Wenn ihr Glauben hättet... Predigt zu Lk 17,5-6 von Susanne Ehrhardt-Rein

Wenn ihr Glauben hättet... Predigt zu Lk 17,5-6 von Susanne Ehrhardt-Rein
17,5-6

Predigt zu Lk 17, 5-6 mit EG 369
Wenn ihr Glauben hättet …

I. Verschieden glauben

„Mir fehlt nichts.“ – sagt Paul. „Mit dem kirchlichen Glauben kann ich nichts anfangen, von Gott habe ich keine Vorstellung, Religion interessiert mich nicht.“ Schon vor Jahrzehnten war er konsequent und ist aus der Kirche ausgetreten. Obwohl ich ihn schon lange kenne, weiß ich nicht einmal, aus welcher. Glauben: Kein Thema. Aber nach dem Tod seiner Mutter hat er doch die evangelische Pfarrerin aus dem Pflegeheim um die Trauerfeier gebeten. Bibelworte, Gebet, Segen. Glauben: kein Thema?
„Mein Glauben ist damals ganz schön ins Wanken geraten.“ – erzählt ein Pfarrer über sein Theologiestudium. „Plötzlich sollte das alles, was ich aus den biblischen Geschichten kannte, nicht mehr wirklich so gewesen sein. Was war nun richtig? Woran sollte ich mich halten? Aber später verstand ich: Mein Kinderglaube war nicht ungültig. Ich konnte Verstehen und Gottvertrauen neu zusammenbringen.“ Glauben – ein Lebensthema.
„Ich habe keine feste Vorstellung von Gott, der irgendwo im Himmel ist.“ – sagt ein 19jähriger Abiturient. Er fragt sich, wie er als Christ Naturwissenschaften studieren kann und wie er denen begegnet, die in der Bibel einen historischen und zweifelsfreien Tatsachenbericht sehen. Die Sorge um die Erde treibt ihn um, die Klimakatastrophe, der Plastikmüll. Er will nicht einfach zusehen, sondern etwas tun. Er glaubt, dass das nicht umsonst ist. Glauben – ein Grund zum Nachdenken und zum Handeln.
„Ich glaube, dass mich Gott in allem, was ich erlebt habe, nicht verlassen hat.“ – erzählt eine alte Frau. „Manchmal habe ich mit ihm gehadert, zweitweise habe ich ihn vergessen und wollte nichts von ihm wissen. Aber ich glaube doch, dass er mich nicht vergessen hat. Und so wird es bleiben.“ Glauben – im Blick zurück und nach vorn.

So verschieden die Lebenserfahrungen sind – so verschieden sind die Glaubenserfahrungen. Wer will da urteilen und einteilen? Wo ist mehr Glaube, und wo weniger? Welcher Glaube ist größer, welcher zu klein?
Auf die Frage nach dem Ranking – zu klein, zu wenig, zu schwach – lässt Jesus sich gar nicht erst ein. „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“ Ein Senfkorn genügt. Ein Senfkorn würde genügen. Alles ist in einem Körnchen Glauben angelegt. Aber wo finde ich ein Körnchen dieses Glaubens?

II. Wer nur den lieben Gott lässt walten

Mit 19 Jahren machte sich Georg Neumark auf eine weite Reise. Er wurde 1621 in Langensalza bei Gotha als Sohn eines Tuchmachers geboren und wuchs in Mühlhausen auf. Neumark hatte in Gotha das herzogliche Gymnasium besucht und nun, 1640, die Berechtigung, an der Universität zu studieren. In der Tasche: sein Stammbuch, in dem ihm Bildung und Abschluss testiert wurden. Von Leipzig aus macht er sich auf den Weg. Er will nach Königsberg, um dort Jura zu studieren und den berühmten Poesie-Gelehrten Simon Dach zu erleben. Der sicherste Weg nach Königsberg führt von Lübeck aus per Schiff über die Ostsee. Aber eine sichere Reise ist die ganze Unternehmung nicht in diesen Jahren, mitten im 30jährigen Krieg.
Er findet Platz bei Kaufleuten in einer Kutsche. Es geht nach Magdeburg und von dort weiter nach Norden, durch die Altmark. 40 km hat man hinter sich, kurz hinter Gardelegen wird es auf einmal laut, die Kutsche hält. Die Reisegesellschaft wird überfallen und vollständig ausgeplündert. Georg Neumark verliert alles: Kleider, Bücher, Reisegeld. Allerdings kann er sein Stammbuch verbergen, den Ausweis seiner Bildung, seinen wichtigsten Schatz. Er schlägt sich zu Fuß durch, zunächst zurück nach Magdeburg. Er klopft in Gelehrten-Häusern an, weist sich aus und bittet um Unterkunft und Anstellung. Man nimmt ihn auf, aber er findet keine Stelle. Es geht weiter nach Lüneburg, Winsen, Hamburg und endlich bis nach Kiel. Er kommt in das Haus von Amtmann Christoph Hennigs. Der sucht einen Erzieher für seine Kinder und stellt ihn kurzerhand ein. Drei Jahre wird Georg Neumark in Kiel bleiben und erst dann nach Königsberg zum Studium ziehen.
40 Jahre später schreibt er in seiner Biografie rückblickend: „Noch des ersten Tages im Haus des Kieler Amtmannes dichtete ich meinem lieben Gott zu Ehren dieses Lied.“

1. Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.

2. Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.

Georg Neumark hat seine Sorgen, seine Mutlosigkeit, seine Traurigkeit nicht überspielt. Er hat sie benannt und vor Gott gebracht.

III. Sorgen und Gottvertrauen

Grund zur Sorge gibt es genug. Wie schaffe ich den Tag morgen? Werden die Eltern gesund bleiben? Kommen die Kinder zurecht? Wie soll ich die Arbeit bewältigen? Und richte ich nicht gleichzeitig so viel Schaden an durch meinen Konsum, das Autofahren, den dauernden Verbrauch von Dingen und Energie? Nachts kommen die Zweifel am Sinn dieses ganzen Betriebs. Und die Angst vor Zerstörung und Untergang wird ganz real. Manchmal schlagen die Sorgen über mir zusammen wie eine Flutwelle.

„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“, sagt Jesus. Gerade dann.

Der 19jährige Georg Neumark machte eine doppelte Erfahrung: Alle Pläne wurden zunichte. Er konnte froh sein, dass er überlebt hat. Und dann: Menschen sind da, unverhofft, nehmen ihn auf, sorgen für ihn. Lassen ihn wieder gehen, als es Zeit ist. So konnte er Vertrauen fassen, klein wie ein Senfkorn. Und sein Vertrauen wuchs und wurde zum Lied:

3. Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unsers Gittes Gnadenwille, wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der sich uns hat auserwählt, der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

4. Er kennt die rechten Freudenstunden er weiß wohl, wann es nützlich sei;
wenn er uns nur hat treu erfunden und merket keine Heuchelei,
so kommt Gott, eh wir’s uns versehn, und lässet uns viel Guts geschehn.

5. Denk nicht in deiner Drangsalshitze, dass du von Gott verlassen seist
und daß ihm der im Schoße sitze, der sich mit stetem Glücke speist.
Die Folgezeit verändert viel und setzet jeglichem sein Ziel.

„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“, sagt Jesus: Dann kann sich vieles ändern, dann kann sich alles ändern. Menschen in Not wird geholfen. Reiche geben ab. Bäume werden gepflanzt. Die Welt wird auf den Kopf gestellt. Glauben wird lebendig, ohne Heuchelei.

6. Es sind ja Gott sehr leichte Sachen und ist dem Höchsten alles gleich:
den Reichen klein und arm zu machen, den Armen aber groß und reich.
Gott ist der rechte Wundermann, der bald erhöhn, bald stürzen kann.

7. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt den verläßt er nicht.

Und der Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Susanne Ehrhardt-Rein

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Am 12.9.21 werde ich mit einer Kursgruppe im Kirchlichen Fernunterricht Gottesdienst feiern – zum ersten Mal wieder vor Ort und leibhaftig nach einem Jahr pandemiebedingter Online-Begegnungen. Die Freude wird groß sein – aber auch die Befürchtungen im Blick auf die bevorstehenden Monate. Prägend für die Arbeit im Kurs ist der lebendige Austausch, gerade weil hier Menschen zusammenkommen, die sehr verschiedene Lebens- und Glaubenserfahrungen mitbringen. Diese Verschiedenheit, die im Gottesdienst eine gemeinsame geistliche Basis findet, möchte ich in der Predigt aufgreifen und würdigen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Lied (EG 369) beschreibt eindringlich die Erfahrung von Glaubenszweifel und Gottvertrauen – beides soll zur Sprache kommen. Die Verschiedenheit der Glaubenserfahrungen erlebe ich als Schatz, als Bereicherung.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Jesus entzieht sich dem „Ranking“ der Glaubensbeurteilung – das ist für mich eine ermutigende Erkenntnis, gerade im Blick auf Glaubenszweifel und offene Fragen. Diese Fragen brauchen Raum und Sprache, auch in der Predigt. In dieser Offenheit kann Gottvertrauen wachsen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Erst nach der Rückmeldung durch den Predigt-Coach habe ich mich entschlossen, das Lied im Ganzen zur Sprache zu bringen und davon auch die Struktur im dritten Teil der Predigt bestimmen zu lassen.

Perikope
12.09.2021
17,5-6

Was Gott unter uns verloren hat - Predigt zu Lukas 15,1-10 von Rudolf Rengstorf

Was Gott unter uns verloren hat - Predigt zu Lukas 15,1-10 von Rudolf Rengstorf
15,1-10

Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? 5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. 6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
8 Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? 9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. 10 So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Liebe Leserin, lieber Leser!
Der Hirte, der ein verlorenes Schaf sucht, die Frau, die einen ihrer Silbergroschen wiederfindet – das sind ja leicht eingängige Bilder. Aber für eine Predigt vielleicht doch ein bisschen harmlos – und dazu auch noch wohl etwas unter unserer Würde: Wer möchte sich schon gern mit einem Schaf vergleichen lassen? Und so ein in die Fußbodenritze gefallenes Geldstück möchte ich auch nicht gerade sein! Das geht mir übrigens mit den Menschen, die da um Jesus auftreten, nicht viel besser: Auf der einen Seite die Schriftgelehrten und Pharisäer, die wie üblich sauertöpfisch dreinblicken, weil Jesus sich mal wieder mit einem gottlosen Völkchen abgibt. Und auf der anderen Seite die als gottlos geltenden Zöllner und Sünder, habgierige Betrüger, schwere Jungen und leichte Mädchen – nein, das wäre nicht mein Platz. Wäre ja auch noch schöner für einen Superintendenten in Ruhe!

Am ehesten erkenne ich mich schon wieder in den beiden Personen, von denen so viel Bewegung ausgeht, weil sie rastlos auf der Suche sind: Also in dem Hirten, der sein Schaf, und in der Frau, die ihren Silbergroschen sucht. Ich weiß ja nicht, wie Ihnen das geht. Aber wenn ich etwas verloren habe, was zu mir gehört und was ich dringend brauche, meine Brille etwa oder meinen Kalender, dann bin ich völlig von der Rolle, genau wie die beiden da in den kleinen Gleichnissen. Da bricht der gewohnte Tagesrhythmus plötzlich ab, da lasse ich alles andere stehen und liegen, denke zunächst noch: Ganz ruhig bleiben, es gibt doch nur diese zwei, drei Stellen, wo es sein muss. Doch dann gerate ich zunehmend in Panik, laufe – wie meine Frau sagt – wie ein Huhn ohne Kopf durchs Haus, suche drei, vier Mal an derselben Stelle, kriege einen fürchterlichen Zorn, weil mir die Zeit nutzlos davonläuft, und falle im nächsten Augenblick in tiefe Resignation: Was soll werden, wenn die Brille, ohne die du nicht lesen und auch nicht amtieren kannst, verschwunden bleibt! Also wieder zum Augenarzt und zum Optiker, die Warterei und das viele Geld! Oder wenn der Kalender nicht wieder auftaucht – nicht auszudenken, was du da zwangsläufig an Terminen verschwitzen wirst!

Die Suche des Hirten und der Frau, von denen Jesus erzählt, verlief wohl noch dramatischer. Schließlich spielte sie sich nicht in Norddeutschland, sondern im Orient ab. Und da regen Mann und Frau sich schneller und heftiger auf als unsereins, zumal es für beide um viel geht. Wenn einem Hirten eines der ihm anvertrauten Schafe verloren geht, gerät er in Existenznot, und mögen da noch so viele andere Schafe sein. Die Besitzer erwarten von ihm, dass er jedes der Schafe kennt, es im Auge behält und sicher zurückbringt. Ohne das verlorene Schaf muss er damit rechnen, gefeuert zu werden. Also, da gibt’s nur eins: Die anderen beim Hund lassen und sich schleunigst auf die Suche machen und sich erst wieder zu beruhigen, wenn er‘s gefunden und sicher zurückgebracht hat. Und der Silbergroschen ist für die Frau, die im Haus das Unterste zuoberst kehrt, ein wertvolles Schmuckstück, das zu ihrer Brautkrone gehört, und die steht für ihre Würde, ihren Stolz, ihr Liebling- und Schatzsein. Wenn die nicht intakt ist, was für eine Schande! Spätestens beim nächsten Fest wird das auffallen und sie ins Gerede bringen.

Und jedem, der Jesus damals zuhörte, war sofort klar: Wie der Hirte und die Frau würde ich es auch machen. Alltags- und Jedermannsgeschichten waren das, die er da erzählte. Und dennoch waren sie ganz und gar unerhört und eine unerträgliche Provokation auch für die liberalsten unter den Pharisäern. Und das deshalb, weil Jesus es wagte, in dem verzweifelt suchenden Hirten und der außer sich geratenden Frau ganz unverhohlen Gott zu zeigen. Ihn, den allein Heiligen, den Unantastbaren, den Unnennbaren, den fromme Juden bis heute mit letztem Ernst auf Abstand halten gegenüber allen Vorstellungen und Wünschen, die Menschen so von ihm haben können. Er – der Allmächtige, gelobt sei sein Name – vergleichbar mit einem Menschen, mit einem Mann und – ja tatsächlich! – einer Frau, denen etwas fehlt und die fast verrückt werden vor Aufregung, bis sie gefunden haben, was sie suchen und sich dann vor Freude nicht mehr einkriegen, so menschlich, so alltäglich. So hochemotional, in aller Öffentlichkeit so ungeschützt und naiv und theologisch völlig undiskutabel von Gott zu reden – das war einmalig zur Zeit Jesu, und es ist anstößig geblieben bis heute.

Denn wenn bei uns von Gott die Rede ist, gehen die Gedanken – so erlebe ich das jedenfalls – unwillkürlich über diese Welt hinaus. Steht er mit seiner Allgegenwart, mit seiner Zeitlosigkeit, seiner Unsichtbarkeit und seiner Allmacht doch außerhalb all dessen, was wir hier erleben. Und weil der Gedanke an Gott aus dieser Welt herauszieht, ist hier, wo er nicht zu fassen ist, auch so wenig die Rede von ihm. Zwar ist das Wort Gott in Redewendungen wie „O Gott, o Gott!“ oder auch „Gott sei Dank!“ in der Alltagssprache noch vorhanden. Aber dass Menschen im Alltag ernsthaft üb Gott reden, erlebe ich so gut wie nie.

Also während Gott bei uns im Denken wie im Sprechen im Nebulösen einer jenseitigen Welt zu verschwinden droht, sieht es bei Jesus ganz anders aus. Der konnte gar nicht anschaulich und konkret genug von Gott reden und ging damit vor allem unter die Leute, die sich Gott gegenüber auf verlorenem Posten sahen und sich entsprechend eingerichtet hatten. Ihnen sagte er unumwunden: Gott hätte seinen Beruf verfehlt, wenn er euch auf verlorenem Posten ließe, und Gott wäre ärmer, wenn er euch nicht hätte und sich nicht mit jedem einzelnen von euch schmücken könnte. Darum werden hier auch keine Moralpredigten gehalten; das Schaf bekommt weder Prügel noch Schelte, sondern erleichterte Freude und Jubel beherrschen die Szene und es wird fröhlich gefeiert.

Und zu uns, die wir uns in unserem Christsein oft genug verloren und armselig vorkommen, sagt Jesus ebenso wie damals zu denen, die sich schon aufgegeben hatten: Gott wird nicht ruhen noch rasten, bevor er dich gefunden und nach Hause gebracht hat. Und er wird mit dem Suchen nicht aufhören, bevor er dich nicht aus der dunklen Ritze hervorgeholt hat. Und wie er sich freuen wird, wenn du im Licht der Sonne an zu strahlen fängst und jedermann sehen kann, was du wert und was für ein Schatz du bist.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Mit stehen Leserinnen und Leser vor Augen, die zum Sonntag eine Predigt lesen wollen, zumal die Teilnahme an einem Gottesdienst in der Kirche nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist.
Ich denke aber auch an Kolleginnen und Kollegen, die noch auf der Suche nach Ideen für ihre Sonntagspredigt sind.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Anschaulichkeit, mit der Jesus von Gott zu reden wagt. In einem Umfeld, aus dem Gott längst verschwunden zu sein scheint.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Gott von Jesus redet, als sei er ein Mensch auf der rastlosen Suche nach Verlorenem und erleichterter Freude beim Finden. Und das ausgerechnet beim Suchen und Finden von Leuten, bei denen sonst niemand etwas sucht oder vermisst.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Einige Straffungen und Klarheit darüber, wie die Transzendenz Gott zum Verschwinden bringt.

 

Perikope
20.06.2021
15,1-10

Singen verboten! - Predigt zu Lukas 19, 37-40 Andreas Schwarz

Singen verboten! - Predigt zu Lukas 19, 37-40 Andreas Schwarz
19, 37-40

Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.

 

Kantate, singt! Wie gerne würden wir das tun! Endlich wieder. Denn wenn sie dürfen, singen im Schnitt eine Million Gottesdienstbesucher sonntags quer durch die evangelischen Kirchen und Gemeinschaften in rund 20.000 Gottesdiensten. Menschen begeistern sich für Musik. Es gibt schätzungsweise sieben Millionen haupt- und ehrenamtliche Musiker in Deutschland. Sie musizieren in Orchestern, in Chören und solo. Musik nimmt Menschen mit, schafft Stimmungen und bewegt die Hörer durch ihre Texte. Selbst zu singen begeistert und zieht Menschen in seinen Bann.

Was für ein Drama, dass es seit einem Jahr kaum noch möglich ist. Wie sehr sehnen sich viele Menschen danach, endlich wieder im Gottesdienst gemeinsam singen zu dürfen. Nicht nur Musik konsumieren, nicht bloß hören, wie andere singen, sondern selbst singen, sich mitnehmen lassen von den Instrumenten und in  das gemeinsame Singen einstimmen. Egal, wie gut man das beherrscht. Es tut vielen einfach gut.

Freude, Begeisterung, Liebe, Trauer, Klage – alles findet seinen Ausdruck in der Musik. Alles, was Menschen empfinden, drücken sie gerne und angemessen mit Tönen aus.

Im Evangelium des heutigen Sonntags steht der Lobpreis der Jünger im Mittelpunkt: Jesus hat sich mit seinen Anhängern nach Jerusalem aufgemacht. Beim Anblick der Heiligen Stadt nach dem mühseligen Aufstieg über den Ölberg wurden die Jünger von großer Freude ergriffen. Sie lobten Gott für die geschehenen Wunder. In den Wundern, die Jesus an vielen Orten Galiläas und Judäas vollbracht hatte, sahen sie die Zeichen der kommenden Gottesherrschaft.

Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz, hörten wie Stumme sprachen, durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz, Strahlen, die die Nacht durchbrachen. Zeichen und Wunder sahen wir geschehen…“ textet Diethard Zils im Lied „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“.

Diese Zeichen und Wunder haben die Jünger mit Jesus erlebt und können von diesen Erlebnissen nicht schweigen. Jesus hat getröstet, geheilt und Menschen von ihrer Schuld losgesprochen. Die Jünger singen, damit alle hören, wie unglaublich es ist, Jesus nachzufolgen und mit ihm zu leben.

Davon ich singen und sagen will – singt Martin Luther an Weihnachten.

Und der Lobpreis der Jünger erinnert ebenfalls an die Weihnachtsbotschaft: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Jesus wird als der kommende König gesegnet. Er ist der Messias, dem im Himmel bereits der Friede bereitet ist. Im Himmel ist die Gottesherrschaft bereits Wirklichkeit für die Menschen. Die Jünger sind voller Hoffnung, dass vom Berg Zion sich die Gottesherrschaft aus durch ihren Herrn verbreitet und auf Erden Wirklichkeit werden wird.

Die Jünger waren angesteckt und begeistert.

Da lässt es sich gut singen.

Sie stimmen in ihrem Lobpreis Worte aus Psalm 118 an und singen sie fröhlich. Wie das geklungen hat, wissen wir nicht; ob es schön und harmonisch, fast professionell war; oder vielleicht doch eher Freudenrufe und spontaner Jubel über den bevorstehenden Einzug Jesu in die Stadt Davids. Das ist dann vermutlich eher so, wie bei uns; Gemeindegesang ist nicht als Konzert gedacht, nicht als Aufführung und Genuss zum Zuhören. Sondern es verbindet die Musikalischen mit den Brummern, die sauber singen mit denen, die keinen Ton treffen oder immer den gleichen singen. Aber sie alle sind Teil einer singenden Gemeinschaft; ihr Gesang wirkt ansteckend, eine große Zahl von Menschen über den engsten Kreis der Jünger hinaus stimmt in den Lobgesang ein. Darum geht es, dass Menschen sich angesteckt und mitgenommen fühlen und voller Freude und begeistert mitsingen.

Weil sie angesprochen sind. Weil sie spüren, bei Jesus Christus hören und erleben sie etwas, das ihrem Leben guttut. Jetzt. Und mit einer Zukunft verbunden. Das ist neu, das kannten sie nicht, aber es spricht sie an. Darum folgen sie, darum vertrauen sie ihm, darum singen sie. So, wie Gemeinde das tut, Sonntag für Sonntag.  Und nehmen einander mit – Alte und Junge, Kinder und Jugendliche. Konfirmanden und Erwachsene. Musikalische und Unmusikalische, Sichere und Zweifler. Jeder ist eingeladen, mitzugehen und mit zu loben.

Auch die Pharisäer in der Menge hätten in den Lobpreis der Jünger einfallen können, aber ihre Münder bleiben verschlossen; ihre Herzen sind zu. Sie wollen nicht nur in den Lobgesang nicht einstimmen, sie wollen ihn möglichst verhindern. Sie erleben Jesus Christus nicht als Einladung, als Aussicht auf Leben. Sie fühlen sich angegriffen und bedroht in ihrer Position, in ihrem Denken. Sie haben den Eindruck, der Zuspruch zu Jesus Christus nimmt ihnen etwas weg. In ihrem Denken und Handeln erscheint alles so festgelegt, da ist kein Platz für die neue gute Nachricht, das Evangelium. Dass Gott das Gute schenkt, das Leben, die  Gemeinschaft, die Vergebung von Schuld, die ewige Zukunft. Für die Pharisäer ist Jesus ein religiös Verwirrter. Sie halten ihn für gefährlich, weil er sich anmaßt, von Gott als seinem Vater zu reden. Noch vor dem Passahfest werden sie ihn festsetzen und zum Tode verurteilen lassen.

Er hat es gewusst; es ist sein Weg. Vielen Menschen steht er so im Weg. Wie kann man da singen und loben? Wie kann man dem folgen? Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.

Jesus sieht das grausame Schicksal Jerusalems vor sich, die brennende, zerstörte Stadt. Kein Stein mehr auf dem anderen. Die Steine schreien. Klagen, weinen, vor Trauer und Schmerz. Was hält, was hilft, wer rettet?

Wir haben es vor zwei Jahren erleben müssen: das Feuer in Paris, in der Kathedrale Notre Dames. Entsetzt, fassungslos haben die Bürger der Stadt mit ansehen müssen, wir ihr zentrales Bauwerk den Flammen anheimfiel. Eine unglaubliche Stille herrschte unter den Beobachtern.  Sollte alles verbrennen, dem Erdboden gleich werden? Was für eine Geschichte ist mit dieser Kirche verbunden! Die Steine haben geschrien, laut war zu hören, wie das Feuer Schmerzen verursachte. Und dann, auf einmal – in der sehr säkularen Stadt Paris – fingen die Menschen an, Choräle zu singen. Alles vergeht, nichts hat Bestand – du aber bleibst.

Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien. Und erinnern an den, der bleibt. In allem Unglück dieser Welt, in allem Feuer, aller Zerstörung. Manchmal ist es kein fröhliches Singen, das aus unserem Herzen kommt – so, wie 40 Jahre lang aus Jerusalem. Sondern Trauer und Klage. Manchmal will es einem die Sprache ganz verschlagen über das Elend vieler Menschen, über den Hass, über die Gewalt. Jesus sieht Jerusalem mit den Augen seiner jüdischen Schwestern und Brüder. Es ist auch seine geliebte Stadt, über die er Tränen vergießt. Er weint aber ebenso über die Menschen, die ihn verwerfen und nicht annehmen. Die nicht sehen, wie er ihr Leben gut macht und zum Ziel des Lebens bringt.

In diesen Tagen wurde an den grausamen Brand der Kathedrale Notre Dames in Paris vor zwei Jahren erinnert. Es wurde in den Nachrichten aber auch gezeigt, mit wie viel Einsatz und Hingabe an der Sanierung gearbeitet wird. Damit dort in wenigen Jahren endlich wieder Gottesdienste gefeiert werden können, gesungen und musiziert werden darf.

Schon die Vorfreude darauf öffnet das Herz. In der Krise hören wir es ganz neu, traurig und mit ganz viel Hoffnung: Nicht die Steine sollen schreien, wir wollen singen, Gott loben und ihm danken.  Kantate – singet!

Guter Gott, lass uns endlich wieder singen dürfen. Gib, dass wir neu zu deiner singenden Gemeinde werden, die deinen heiligen Namen lobpreist. Verwandle unsere Klagen und unser Schweigen in fröhliches Singen. Amen.

 

„Diese Predigt basiert auf Ideen und Texten von Karsten Matthis. Wir danken ihm herzlich für seine Zustimmung zur Veröffentlichung!“

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Wenn es erlaubt ist, feiern wir Präsenzgottesdienste unter Achtung aller Hygienemaß-nahmen. Diese beinhalten ein striktes Verbot für Gemeindegesang. Darunter leiden viele Gottesdienstbesucher; manche nehmen aus diesem Grund an Gottesdiensten ak-tuell nicht teil. Die Bedeutung gemeinsamen Singens hat hier einen hohen Stellenwert. Am Sonntag Kantate wird das schmerzlich bewusst.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Lob Gottes kann nicht schweigen – auch wenn Umstände sich ändern. Die Arbeiten an Notre Dames sind ein Hoffnungszeichen. Menschen wollen und werden wieder singen!

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Dinge, die ich für selbstverständlich halte, einen neuen Wert bekommen, wenn sie nicht mehr selbstverständlich sind. Die Sehnsucht, singen zu dürfen, auch in einem Chor, ist ein so hoher – auch geistlicher Wert. Das möchte ich tiefer schätzen und achten.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ein kritischer Austausch mit dem Coach. Er hat mich auf Dinge aufmerksam gemacht, die ich zu oberflächlich behandelt habe. Ich war genötigt, genauer zu schauen, besser die Lage der Hörer zu achten und bewusster zu formulieren. Das hat gut getan.

 

Perikope
02.05.2021
19, 37-40