Wenn ihr Glauben hättet... Predigt zu Lk 17,5-6 von Susanne Ehrhardt-Rein
Predigt zu Lk 17, 5-6 mit EG 369
Wenn ihr Glauben hättet …
I. Verschieden glauben
„Mir fehlt nichts.“ – sagt Paul. „Mit dem kirchlichen Glauben kann ich nichts anfangen, von Gott habe ich keine Vorstellung, Religion interessiert mich nicht.“ Schon vor Jahrzehnten war er konsequent und ist aus der Kirche ausgetreten. Obwohl ich ihn schon lange kenne, weiß ich nicht einmal, aus welcher. Glauben: Kein Thema. Aber nach dem Tod seiner Mutter hat er doch die evangelische Pfarrerin aus dem Pflegeheim um die Trauerfeier gebeten. Bibelworte, Gebet, Segen. Glauben: kein Thema?
„Mein Glauben ist damals ganz schön ins Wanken geraten.“ – erzählt ein Pfarrer über sein Theologiestudium. „Plötzlich sollte das alles, was ich aus den biblischen Geschichten kannte, nicht mehr wirklich so gewesen sein. Was war nun richtig? Woran sollte ich mich halten? Aber später verstand ich: Mein Kinderglaube war nicht ungültig. Ich konnte Verstehen und Gottvertrauen neu zusammenbringen.“ Glauben – ein Lebensthema.
„Ich habe keine feste Vorstellung von Gott, der irgendwo im Himmel ist.“ – sagt ein 19jähriger Abiturient. Er fragt sich, wie er als Christ Naturwissenschaften studieren kann und wie er denen begegnet, die in der Bibel einen historischen und zweifelsfreien Tatsachenbericht sehen. Die Sorge um die Erde treibt ihn um, die Klimakatastrophe, der Plastikmüll. Er will nicht einfach zusehen, sondern etwas tun. Er glaubt, dass das nicht umsonst ist. Glauben – ein Grund zum Nachdenken und zum Handeln.
„Ich glaube, dass mich Gott in allem, was ich erlebt habe, nicht verlassen hat.“ – erzählt eine alte Frau. „Manchmal habe ich mit ihm gehadert, zweitweise habe ich ihn vergessen und wollte nichts von ihm wissen. Aber ich glaube doch, dass er mich nicht vergessen hat. Und so wird es bleiben.“ Glauben – im Blick zurück und nach vorn.
So verschieden die Lebenserfahrungen sind – so verschieden sind die Glaubenserfahrungen. Wer will da urteilen und einteilen? Wo ist mehr Glaube, und wo weniger? Welcher Glaube ist größer, welcher zu klein?
Auf die Frage nach dem Ranking – zu klein, zu wenig, zu schwach – lässt Jesus sich gar nicht erst ein. „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“ Ein Senfkorn genügt. Ein Senfkorn würde genügen. Alles ist in einem Körnchen Glauben angelegt. Aber wo finde ich ein Körnchen dieses Glaubens?
II. Wer nur den lieben Gott lässt walten
Mit 19 Jahren machte sich Georg Neumark auf eine weite Reise. Er wurde 1621 in Langensalza bei Gotha als Sohn eines Tuchmachers geboren und wuchs in Mühlhausen auf. Neumark hatte in Gotha das herzogliche Gymnasium besucht und nun, 1640, die Berechtigung, an der Universität zu studieren. In der Tasche: sein Stammbuch, in dem ihm Bildung und Abschluss testiert wurden. Von Leipzig aus macht er sich auf den Weg. Er will nach Königsberg, um dort Jura zu studieren und den berühmten Poesie-Gelehrten Simon Dach zu erleben. Der sicherste Weg nach Königsberg führt von Lübeck aus per Schiff über die Ostsee. Aber eine sichere Reise ist die ganze Unternehmung nicht in diesen Jahren, mitten im 30jährigen Krieg.
Er findet Platz bei Kaufleuten in einer Kutsche. Es geht nach Magdeburg und von dort weiter nach Norden, durch die Altmark. 40 km hat man hinter sich, kurz hinter Gardelegen wird es auf einmal laut, die Kutsche hält. Die Reisegesellschaft wird überfallen und vollständig ausgeplündert. Georg Neumark verliert alles: Kleider, Bücher, Reisegeld. Allerdings kann er sein Stammbuch verbergen, den Ausweis seiner Bildung, seinen wichtigsten Schatz. Er schlägt sich zu Fuß durch, zunächst zurück nach Magdeburg. Er klopft in Gelehrten-Häusern an, weist sich aus und bittet um Unterkunft und Anstellung. Man nimmt ihn auf, aber er findet keine Stelle. Es geht weiter nach Lüneburg, Winsen, Hamburg und endlich bis nach Kiel. Er kommt in das Haus von Amtmann Christoph Hennigs. Der sucht einen Erzieher für seine Kinder und stellt ihn kurzerhand ein. Drei Jahre wird Georg Neumark in Kiel bleiben und erst dann nach Königsberg zum Studium ziehen.
40 Jahre später schreibt er in seiner Biografie rückblickend: „Noch des ersten Tages im Haus des Kieler Amtmannes dichtete ich meinem lieben Gott zu Ehren dieses Lied.“
1. Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.
2. Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.
Georg Neumark hat seine Sorgen, seine Mutlosigkeit, seine Traurigkeit nicht überspielt. Er hat sie benannt und vor Gott gebracht.
III. Sorgen und Gottvertrauen
Grund zur Sorge gibt es genug. Wie schaffe ich den Tag morgen? Werden die Eltern gesund bleiben? Kommen die Kinder zurecht? Wie soll ich die Arbeit bewältigen? Und richte ich nicht gleichzeitig so viel Schaden an durch meinen Konsum, das Autofahren, den dauernden Verbrauch von Dingen und Energie? Nachts kommen die Zweifel am Sinn dieses ganzen Betriebs. Und die Angst vor Zerstörung und Untergang wird ganz real. Manchmal schlagen die Sorgen über mir zusammen wie eine Flutwelle.
„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“, sagt Jesus. Gerade dann.
Der 19jährige Georg Neumark machte eine doppelte Erfahrung: Alle Pläne wurden zunichte. Er konnte froh sein, dass er überlebt hat. Und dann: Menschen sind da, unverhofft, nehmen ihn auf, sorgen für ihn. Lassen ihn wieder gehen, als es Zeit ist. So konnte er Vertrauen fassen, klein wie ein Senfkorn. Und sein Vertrauen wuchs und wurde zum Lied:
3. Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unsers Gittes Gnadenwille, wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der sich uns hat auserwählt, der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.
4. Er kennt die rechten Freudenstunden er weiß wohl, wann es nützlich sei;
wenn er uns nur hat treu erfunden und merket keine Heuchelei,
so kommt Gott, eh wir’s uns versehn, und lässet uns viel Guts geschehn.
5. Denk nicht in deiner Drangsalshitze, dass du von Gott verlassen seist
und daß ihm der im Schoße sitze, der sich mit stetem Glücke speist.
Die Folgezeit verändert viel und setzet jeglichem sein Ziel.
„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“, sagt Jesus: Dann kann sich vieles ändern, dann kann sich alles ändern. Menschen in Not wird geholfen. Reiche geben ab. Bäume werden gepflanzt. Die Welt wird auf den Kopf gestellt. Glauben wird lebendig, ohne Heuchelei.
6. Es sind ja Gott sehr leichte Sachen und ist dem Höchsten alles gleich:
den Reichen klein und arm zu machen, den Armen aber groß und reich.
Gott ist der rechte Wundermann, der bald erhöhn, bald stürzen kann.
7. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt den verläßt er nicht.
Und der Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Am 12.9.21 werde ich mit einer Kursgruppe im Kirchlichen Fernunterricht Gottesdienst feiern – zum ersten Mal wieder vor Ort und leibhaftig nach einem Jahr pandemiebedingter Online-Begegnungen. Die Freude wird groß sein – aber auch die Befürchtungen im Blick auf die bevorstehenden Monate. Prägend für die Arbeit im Kurs ist der lebendige Austausch, gerade weil hier Menschen zusammenkommen, die sehr verschiedene Lebens- und Glaubenserfahrungen mitbringen. Diese Verschiedenheit, die im Gottesdienst eine gemeinsame geistliche Basis findet, möchte ich in der Predigt aufgreifen und würdigen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Lied (EG 369) beschreibt eindringlich die Erfahrung von Glaubenszweifel und Gottvertrauen – beides soll zur Sprache kommen. Die Verschiedenheit der Glaubenserfahrungen erlebe ich als Schatz, als Bereicherung.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Jesus entzieht sich dem „Ranking“ der Glaubensbeurteilung – das ist für mich eine ermutigende Erkenntnis, gerade im Blick auf Glaubenszweifel und offene Fragen. Diese Fragen brauchen Raum und Sprache, auch in der Predigt. In dieser Offenheit kann Gottvertrauen wachsen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Erst nach der Rückmeldung durch den Predigt-Coach habe ich mich entschlossen, das Lied im Ganzen zur Sprache zu bringen und davon auch die Struktur im dritten Teil der Predigt bestimmen zu lassen.
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Was Gott unter uns verloren hat - Predigt zu Lukas 15,1-10 von Rudolf Rengstorf
Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? 5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. 6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
8 Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? 9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. 10 So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.
Liebe Leserin, lieber Leser!
Der Hirte, der ein verlorenes Schaf sucht, die Frau, die einen ihrer Silbergroschen wiederfindet – das sind ja leicht eingängige Bilder. Aber für eine Predigt vielleicht doch ein bisschen harmlos – und dazu auch noch wohl etwas unter unserer Würde: Wer möchte sich schon gern mit einem Schaf vergleichen lassen? Und so ein in die Fußbodenritze gefallenes Geldstück möchte ich auch nicht gerade sein! Das geht mir übrigens mit den Menschen, die da um Jesus auftreten, nicht viel besser: Auf der einen Seite die Schriftgelehrten und Pharisäer, die wie üblich sauertöpfisch dreinblicken, weil Jesus sich mal wieder mit einem gottlosen Völkchen abgibt. Und auf der anderen Seite die als gottlos geltenden Zöllner und Sünder, habgierige Betrüger, schwere Jungen und leichte Mädchen – nein, das wäre nicht mein Platz. Wäre ja auch noch schöner für einen Superintendenten in Ruhe!
Am ehesten erkenne ich mich schon wieder in den beiden Personen, von denen so viel Bewegung ausgeht, weil sie rastlos auf der Suche sind: Also in dem Hirten, der sein Schaf, und in der Frau, die ihren Silbergroschen sucht. Ich weiß ja nicht, wie Ihnen das geht. Aber wenn ich etwas verloren habe, was zu mir gehört und was ich dringend brauche, meine Brille etwa oder meinen Kalender, dann bin ich völlig von der Rolle, genau wie die beiden da in den kleinen Gleichnissen. Da bricht der gewohnte Tagesrhythmus plötzlich ab, da lasse ich alles andere stehen und liegen, denke zunächst noch: Ganz ruhig bleiben, es gibt doch nur diese zwei, drei Stellen, wo es sein muss. Doch dann gerate ich zunehmend in Panik, laufe – wie meine Frau sagt – wie ein Huhn ohne Kopf durchs Haus, suche drei, vier Mal an derselben Stelle, kriege einen fürchterlichen Zorn, weil mir die Zeit nutzlos davonläuft, und falle im nächsten Augenblick in tiefe Resignation: Was soll werden, wenn die Brille, ohne die du nicht lesen und auch nicht amtieren kannst, verschwunden bleibt! Also wieder zum Augenarzt und zum Optiker, die Warterei und das viele Geld! Oder wenn der Kalender nicht wieder auftaucht – nicht auszudenken, was du da zwangsläufig an Terminen verschwitzen wirst!
Die Suche des Hirten und der Frau, von denen Jesus erzählt, verlief wohl noch dramatischer. Schließlich spielte sie sich nicht in Norddeutschland, sondern im Orient ab. Und da regen Mann und Frau sich schneller und heftiger auf als unsereins, zumal es für beide um viel geht. Wenn einem Hirten eines der ihm anvertrauten Schafe verloren geht, gerät er in Existenznot, und mögen da noch so viele andere Schafe sein. Die Besitzer erwarten von ihm, dass er jedes der Schafe kennt, es im Auge behält und sicher zurückbringt. Ohne das verlorene Schaf muss er damit rechnen, gefeuert zu werden. Also, da gibt’s nur eins: Die anderen beim Hund lassen und sich schleunigst auf die Suche machen und sich erst wieder zu beruhigen, wenn er‘s gefunden und sicher zurückgebracht hat. Und der Silbergroschen ist für die Frau, die im Haus das Unterste zuoberst kehrt, ein wertvolles Schmuckstück, das zu ihrer Brautkrone gehört, und die steht für ihre Würde, ihren Stolz, ihr Liebling- und Schatzsein. Wenn die nicht intakt ist, was für eine Schande! Spätestens beim nächsten Fest wird das auffallen und sie ins Gerede bringen.
Und jedem, der Jesus damals zuhörte, war sofort klar: Wie der Hirte und die Frau würde ich es auch machen. Alltags- und Jedermannsgeschichten waren das, die er da erzählte. Und dennoch waren sie ganz und gar unerhört und eine unerträgliche Provokation auch für die liberalsten unter den Pharisäern. Und das deshalb, weil Jesus es wagte, in dem verzweifelt suchenden Hirten und der außer sich geratenden Frau ganz unverhohlen Gott zu zeigen. Ihn, den allein Heiligen, den Unantastbaren, den Unnennbaren, den fromme Juden bis heute mit letztem Ernst auf Abstand halten gegenüber allen Vorstellungen und Wünschen, die Menschen so von ihm haben können. Er – der Allmächtige, gelobt sei sein Name – vergleichbar mit einem Menschen, mit einem Mann und – ja tatsächlich! – einer Frau, denen etwas fehlt und die fast verrückt werden vor Aufregung, bis sie gefunden haben, was sie suchen und sich dann vor Freude nicht mehr einkriegen, so menschlich, so alltäglich. So hochemotional, in aller Öffentlichkeit so ungeschützt und naiv und theologisch völlig undiskutabel von Gott zu reden – das war einmalig zur Zeit Jesu, und es ist anstößig geblieben bis heute.
Denn wenn bei uns von Gott die Rede ist, gehen die Gedanken – so erlebe ich das jedenfalls – unwillkürlich über diese Welt hinaus. Steht er mit seiner Allgegenwart, mit seiner Zeitlosigkeit, seiner Unsichtbarkeit und seiner Allmacht doch außerhalb all dessen, was wir hier erleben. Und weil der Gedanke an Gott aus dieser Welt herauszieht, ist hier, wo er nicht zu fassen ist, auch so wenig die Rede von ihm. Zwar ist das Wort Gott in Redewendungen wie „O Gott, o Gott!“ oder auch „Gott sei Dank!“ in der Alltagssprache noch vorhanden. Aber dass Menschen im Alltag ernsthaft üb Gott reden, erlebe ich so gut wie nie.
Also während Gott bei uns im Denken wie im Sprechen im Nebulösen einer jenseitigen Welt zu verschwinden droht, sieht es bei Jesus ganz anders aus. Der konnte gar nicht anschaulich und konkret genug von Gott reden und ging damit vor allem unter die Leute, die sich Gott gegenüber auf verlorenem Posten sahen und sich entsprechend eingerichtet hatten. Ihnen sagte er unumwunden: Gott hätte seinen Beruf verfehlt, wenn er euch auf verlorenem Posten ließe, und Gott wäre ärmer, wenn er euch nicht hätte und sich nicht mit jedem einzelnen von euch schmücken könnte. Darum werden hier auch keine Moralpredigten gehalten; das Schaf bekommt weder Prügel noch Schelte, sondern erleichterte Freude und Jubel beherrschen die Szene und es wird fröhlich gefeiert.
Und zu uns, die wir uns in unserem Christsein oft genug verloren und armselig vorkommen, sagt Jesus ebenso wie damals zu denen, die sich schon aufgegeben hatten: Gott wird nicht ruhen noch rasten, bevor er dich gefunden und nach Hause gebracht hat. Und er wird mit dem Suchen nicht aufhören, bevor er dich nicht aus der dunklen Ritze hervorgeholt hat. Und wie er sich freuen wird, wenn du im Licht der Sonne an zu strahlen fängst und jedermann sehen kann, was du wert und was für ein Schatz du bist.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Mit stehen Leserinnen und Leser vor Augen, die zum Sonntag eine Predigt lesen wollen, zumal die Teilnahme an einem Gottesdienst in der Kirche nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist.
Ich denke aber auch an Kolleginnen und Kollegen, die noch auf der Suche nach Ideen für ihre Sonntagspredigt sind.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Anschaulichkeit, mit der Jesus von Gott zu reden wagt. In einem Umfeld, aus dem Gott längst verschwunden zu sein scheint.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Gott von Jesus redet, als sei er ein Mensch auf der rastlosen Suche nach Verlorenem und erleichterter Freude beim Finden. Und das ausgerechnet beim Suchen und Finden von Leuten, bei denen sonst niemand etwas sucht oder vermisst.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Einige Straffungen und Klarheit darüber, wie die Transzendenz Gott zum Verschwinden bringt.
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Singen verboten! - Predigt zu Lukas 19, 37-40 Andreas Schwarz
Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.
Kantate, singt! Wie gerne würden wir das tun! Endlich wieder. Denn wenn sie dürfen, singen im Schnitt eine Million Gottesdienstbesucher sonntags quer durch die evangelischen Kirchen und Gemeinschaften in rund 20.000 Gottesdiensten. Menschen begeistern sich für Musik. Es gibt schätzungsweise sieben Millionen haupt- und ehrenamtliche Musiker in Deutschland. Sie musizieren in Orchestern, in Chören und solo. Musik nimmt Menschen mit, schafft Stimmungen und bewegt die Hörer durch ihre Texte. Selbst zu singen begeistert und zieht Menschen in seinen Bann.
Was für ein Drama, dass es seit einem Jahr kaum noch möglich ist. Wie sehr sehnen sich viele Menschen danach, endlich wieder im Gottesdienst gemeinsam singen zu dürfen. Nicht nur Musik konsumieren, nicht bloß hören, wie andere singen, sondern selbst singen, sich mitnehmen lassen von den Instrumenten und in das gemeinsame Singen einstimmen. Egal, wie gut man das beherrscht. Es tut vielen einfach gut.
Freude, Begeisterung, Liebe, Trauer, Klage – alles findet seinen Ausdruck in der Musik. Alles, was Menschen empfinden, drücken sie gerne und angemessen mit Tönen aus.
Im Evangelium des heutigen Sonntags steht der Lobpreis der Jünger im Mittelpunkt: Jesus hat sich mit seinen Anhängern nach Jerusalem aufgemacht. Beim Anblick der Heiligen Stadt nach dem mühseligen Aufstieg über den Ölberg wurden die Jünger von großer Freude ergriffen. Sie lobten Gott für die geschehenen Wunder. In den Wundern, die Jesus an vielen Orten Galiläas und Judäas vollbracht hatte, sahen sie die Zeichen der kommenden Gottesherrschaft.
„Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz, hörten wie Stumme sprachen, durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz, Strahlen, die die Nacht durchbrachen. Zeichen und Wunder sahen wir geschehen…“ textet Diethard Zils im Lied „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“.
Diese Zeichen und Wunder haben die Jünger mit Jesus erlebt und können von diesen Erlebnissen nicht schweigen. Jesus hat getröstet, geheilt und Menschen von ihrer Schuld losgesprochen. Die Jünger singen, damit alle hören, wie unglaublich es ist, Jesus nachzufolgen und mit ihm zu leben.
Davon ich singen und sagen will – singt Martin Luther an Weihnachten.
Und der Lobpreis der Jünger erinnert ebenfalls an die Weihnachtsbotschaft: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Jesus wird als der kommende König gesegnet. Er ist der Messias, dem im Himmel bereits der Friede bereitet ist. Im Himmel ist die Gottesherrschaft bereits Wirklichkeit für die Menschen. Die Jünger sind voller Hoffnung, dass vom Berg Zion sich die Gottesherrschaft aus durch ihren Herrn verbreitet und auf Erden Wirklichkeit werden wird.
Die Jünger waren angesteckt und begeistert.
Da lässt es sich gut singen.
Sie stimmen in ihrem Lobpreis Worte aus Psalm 118 an und singen sie fröhlich. Wie das geklungen hat, wissen wir nicht; ob es schön und harmonisch, fast professionell war; oder vielleicht doch eher Freudenrufe und spontaner Jubel über den bevorstehenden Einzug Jesu in die Stadt Davids. Das ist dann vermutlich eher so, wie bei uns; Gemeindegesang ist nicht als Konzert gedacht, nicht als Aufführung und Genuss zum Zuhören. Sondern es verbindet die Musikalischen mit den Brummern, die sauber singen mit denen, die keinen Ton treffen oder immer den gleichen singen. Aber sie alle sind Teil einer singenden Gemeinschaft; ihr Gesang wirkt ansteckend, eine große Zahl von Menschen über den engsten Kreis der Jünger hinaus stimmt in den Lobgesang ein. Darum geht es, dass Menschen sich angesteckt und mitgenommen fühlen und voller Freude und begeistert mitsingen.
Weil sie angesprochen sind. Weil sie spüren, bei Jesus Christus hören und erleben sie etwas, das ihrem Leben guttut. Jetzt. Und mit einer Zukunft verbunden. Das ist neu, das kannten sie nicht, aber es spricht sie an. Darum folgen sie, darum vertrauen sie ihm, darum singen sie. So, wie Gemeinde das tut, Sonntag für Sonntag. Und nehmen einander mit – Alte und Junge, Kinder und Jugendliche. Konfirmanden und Erwachsene. Musikalische und Unmusikalische, Sichere und Zweifler. Jeder ist eingeladen, mitzugehen und mit zu loben.
Auch die Pharisäer in der Menge hätten in den Lobpreis der Jünger einfallen können, aber ihre Münder bleiben verschlossen; ihre Herzen sind zu. Sie wollen nicht nur in den Lobgesang nicht einstimmen, sie wollen ihn möglichst verhindern. Sie erleben Jesus Christus nicht als Einladung, als Aussicht auf Leben. Sie fühlen sich angegriffen und bedroht in ihrer Position, in ihrem Denken. Sie haben den Eindruck, der Zuspruch zu Jesus Christus nimmt ihnen etwas weg. In ihrem Denken und Handeln erscheint alles so festgelegt, da ist kein Platz für die neue gute Nachricht, das Evangelium. Dass Gott das Gute schenkt, das Leben, die Gemeinschaft, die Vergebung von Schuld, die ewige Zukunft. Für die Pharisäer ist Jesus ein religiös Verwirrter. Sie halten ihn für gefährlich, weil er sich anmaßt, von Gott als seinem Vater zu reden. Noch vor dem Passahfest werden sie ihn festsetzen und zum Tode verurteilen lassen.
Er hat es gewusst; es ist sein Weg. Vielen Menschen steht er so im Weg. Wie kann man da singen und loben? Wie kann man dem folgen? Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.
Jesus sieht das grausame Schicksal Jerusalems vor sich, die brennende, zerstörte Stadt. Kein Stein mehr auf dem anderen. Die Steine schreien. Klagen, weinen, vor Trauer und Schmerz. Was hält, was hilft, wer rettet?
Wir haben es vor zwei Jahren erleben müssen: das Feuer in Paris, in der Kathedrale Notre Dames. Entsetzt, fassungslos haben die Bürger der Stadt mit ansehen müssen, wir ihr zentrales Bauwerk den Flammen anheimfiel. Eine unglaubliche Stille herrschte unter den Beobachtern. Sollte alles verbrennen, dem Erdboden gleich werden? Was für eine Geschichte ist mit dieser Kirche verbunden! Die Steine haben geschrien, laut war zu hören, wie das Feuer Schmerzen verursachte. Und dann, auf einmal – in der sehr säkularen Stadt Paris – fingen die Menschen an, Choräle zu singen. Alles vergeht, nichts hat Bestand – du aber bleibst.
Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien. Und erinnern an den, der bleibt. In allem Unglück dieser Welt, in allem Feuer, aller Zerstörung. Manchmal ist es kein fröhliches Singen, das aus unserem Herzen kommt – so, wie 40 Jahre lang aus Jerusalem. Sondern Trauer und Klage. Manchmal will es einem die Sprache ganz verschlagen über das Elend vieler Menschen, über den Hass, über die Gewalt. Jesus sieht Jerusalem mit den Augen seiner jüdischen Schwestern und Brüder. Es ist auch seine geliebte Stadt, über die er Tränen vergießt. Er weint aber ebenso über die Menschen, die ihn verwerfen und nicht annehmen. Die nicht sehen, wie er ihr Leben gut macht und zum Ziel des Lebens bringt.
In diesen Tagen wurde an den grausamen Brand der Kathedrale Notre Dames in Paris vor zwei Jahren erinnert. Es wurde in den Nachrichten aber auch gezeigt, mit wie viel Einsatz und Hingabe an der Sanierung gearbeitet wird. Damit dort in wenigen Jahren endlich wieder Gottesdienste gefeiert werden können, gesungen und musiziert werden darf.
Schon die Vorfreude darauf öffnet das Herz. In der Krise hören wir es ganz neu, traurig und mit ganz viel Hoffnung: Nicht die Steine sollen schreien, wir wollen singen, Gott loben und ihm danken. Kantate – singet!
Guter Gott, lass uns endlich wieder singen dürfen. Gib, dass wir neu zu deiner singenden Gemeinde werden, die deinen heiligen Namen lobpreist. Verwandle unsere Klagen und unser Schweigen in fröhliches Singen. Amen.
„Diese Predigt basiert auf Ideen und Texten von Karsten Matthis. Wir danken ihm herzlich für seine Zustimmung zur Veröffentlichung!“
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Wenn es erlaubt ist, feiern wir Präsenzgottesdienste unter Achtung aller Hygienemaß-nahmen. Diese beinhalten ein striktes Verbot für Gemeindegesang. Darunter leiden viele Gottesdienstbesucher; manche nehmen aus diesem Grund an Gottesdiensten ak-tuell nicht teil. Die Bedeutung gemeinsamen Singens hat hier einen hohen Stellenwert. Am Sonntag Kantate wird das schmerzlich bewusst.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Lob Gottes kann nicht schweigen – auch wenn Umstände sich ändern. Die Arbeiten an Notre Dames sind ein Hoffnungszeichen. Menschen wollen und werden wieder singen!
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Dinge, die ich für selbstverständlich halte, einen neuen Wert bekommen, wenn sie nicht mehr selbstverständlich sind. Die Sehnsucht, singen zu dürfen, auch in einem Chor, ist ein so hoher – auch geistlicher Wert. Das möchte ich tiefer schätzen und achten.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ein kritischer Austausch mit dem Coach. Er hat mich auf Dinge aufmerksam gemacht, die ich zu oberflächlich behandelt habe. Ich war genötigt, genauer zu schauen, besser die Lage der Hörer zu achten und bewusster zu formulieren. Das hat gut getan.
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Ein Generationenvertrag mit fünf Fragen an die Eltern - Predigt zu Lukas 2, 41-52 von Heinz Behrends
Lernen durch Wiederholen
Jedes Jahr gehen Maria und Josef mit ihrem Sohn auf dem Pilgerweg nach Jerusalem.
Gut, wenn Du als Kind mit Traditionen, mit Wiederholungen groß wirst. Religion einüben durch Wiederholung. 7 Tage nach der Geburt ist das Kind bei den Eltern, so lange wie Gott gebraucht hat, die Welt zu erschaffen. Am 8. Tag gehen die Eltern nach Jerusalem in den Tempel. Geben das Kind symbolisch Gott zurück, Vater und Mutter empfangen es ein zweites Mal aus Gottes Hand. „Das ist mein Kind. Sorgt für ihn.“ Ein Junge wird dazu noch am 8. Tag beschnitten. Nun gehörst du sichtbar zum Volk Gottes. „Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passahfest.“ Auch als Jesus 12 ist, gehen sie.
Mit 12 wird ein Junge erwachsen. Der religiöse Brauch ist überliefert seit Moses Zeiten, er nimmt ihn aus der engen Welt Nazareths, aus der Lehmhütte mit Dachterrasse, aus der Werkstatt des Zimmermanns heraus. Bewegen, um sich die andere Welt zu erschließen. Jedes Jahr hört und sieht er die zentralen Geschichten des Glaubens.
„Ihr Enkelkind ist aber interessiert“, sagt die Küsterin, „die war ja so aufmerksam im Gottesdienst. Wie alt ist sie?“ – „Sie ist 4. Wanda geht sehr gerne in den Gottesdienst“, sagt die Großmutter. „Sonntägliches Training sozusagen“, schmunzelt die Küsterin. „Wenn sie uns besucht, will sie immer mit. Die vielen Statuen der Maria und das Altarbild. Es gibt hier so viel zu sehen“.
Ja heute, da hat sie in der erste Reihe gesessen und während der Predigt geflüstert: „Wer ist das, die da unten am Kreuz kniet, Großmama“? „Das ist Maria Magdalena, die hat Jesus besonders lieb“. Warum hat sie ihn so lieb? – „Viele Leute haben schlecht über sie geredet, sie hatte keinen Mann und keine Kinder, aber Jesus hat sie lieb.“ –„Und deshalb hatte sie Jesus besonders lieb“, antwortet erleichtert Wanda. „Genau“. Und Wanda buckt sich wieder an.
Eigene Wege entdecken und fragen
Jesus buckt sich nicht an seine Mutter, als sie den Heimweg nach dem Fest antreten. Er bleibt allein in Jerusalem zurück. Sie merken es erst am Abend, als sie die Zelte zur Rast aufschlagen. Sie wähnen ihn bei den Verwandten. Die Gemeinschaft der Verwandten und Bekannten ist so groß, dass man sein Kind den ganzen Tag unterwegs aus den Augen lassen kann, ohne sich zu sorgen. Großfamilie entlastet. Ein ganzes Dorf erzieht ein Kind, heißt es in afrikanischer Tradition. Zurück in Jerusalem suchen sie ihn drei Tage. Im Tempel haben sie ihn nicht vermutet. Er ist ja noch ein Kind. Denkste. Er erklärt, warum er im Tempel geblieben ist, aber seine Eltern verstehen das nicht. „Ich muss sein in dem, was meines Vaters ist“, sagt er. Klingt rätselhaft für sie. Jesus löst sich ab. Und sie können ihn auch nicht verstehen. Sie sind noch zu sehr beschäftigt mit dem Schmerz, dass er nun ohne sie auskommt. „Mein Sohn, warum hast du uns das angetan?“ Die Mutter ist noch ganz bei sich. Sie finden ihn mitten unter den Lehrern wie er zuhört und fragt.
Zuhören und fragen. So wird ein Kind groß. Aus dem Zuhören kommen die Fragen. Aus dem Sehen, dem Beobachten. Warum steigen die Blasen im Wasser hoch? Kommt der tote Vogel im Garten in den Himmel? Im Tempel waren offensichtlich kluge Lehrer. „Papa, wo ist Gott“, fragt Wanda. „Gott, der ist überall“. „Wenn ich jetzt in die Hände klatsche, tue ich dann Gott weh?“ – „Nein, Gott ist nicht in der Luft, er ist bei dir, in deinem Herzen, in deinem Kopf“.- „Wie kann denn Gott in meinen Kopf kommen?“ – „Wenn ich dir Geschichten von ihm erzähle, dann kommt er in deinen Kopf und in dein Herz“.
Wir wundern uns über die Fragen unserer Kinder. Klug, überraschend. Noch viel mehr wunderten sich die Schriftgelehrten über Jesus, über sein Wissen, über die Fragen und Einsichten. Offensichtlich argumentiert er schon. Sie wundern sich über seinen Verstand. Lehrer hören dem Kind zu. Den Eltern wird er immer fremder. „Sie verstanden die Worte nicht, die er sagte“, heißt es erneut. Eltern allein reichen nicht, du brauchst Lehrer, die dir zeigen, was sie lieben. Zuhören, fragen und selber gehört werden. Emil kann Gedichte aufsagen, das glaubt man gar nicht. „Woher kannst du so viele Gedichte“? fragt ihn sein Patenonkel. „Die habe ich von meinem Lehrer gelernt. In jeder Deutschstunde muss einer von uns ein Gedicht aufsagen oder vorlesen. „Dann sag doch mal eins“. Und schon antwortet er. „Feuer“ von James Krüss „Hörst du, wie die Flammen flüstern, knicken, knacken, krachen, knistern“, er kann alle Verse aufsagen. Sein Vater hat es mit ihm vor dem Kaminfeuer geübt. „Boah, Klasse“.
Aufwachsen in einem Zuhause
Ja, und dann ist die Pilgerreise der Familie nach Jerusalem vorüber. Sie gehen heim nach Nazareth, zurück in den Alltag, in die Werkstatt.
Und Jesus hört auf seine Eltern. Er respektiert sie, der Heranwachsende. Und seine Eltern sind klug. Das Kind einen eigenen Weg gehen lassen, aber sich Respekt verschaffen. Wachsam sein. „Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.“ Noch einmal geschieht, was nach dem Wunder der Geburt geschah. Die Mutter bewahrt, was geschehen ist und bewegt es in ihrem Herzen. Die Kindheitsgeschichte schließt mit „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ Ein Wachsen ist das. Lukas erzählt die Geschichte, wie es nach der Geburt weitergeht. Gott ist Mensch geboren. Er liefert sich dem menschlichen Leben aus. Er ist Kind wie du. Er ist Jugendlicher wie du es warst. Seine Eltern haben ihn gut erzogen. Sie haben ihm die Weisungen Gottes bei gebracht und viel erzählt: Die Geschichten von Abraham und Jakob, von Mose und David. Er hat die Psalmen gelernt.
Und sie haben ihm einen festen Rahmen gegeben, ihm gezeigt, dass man an den Grenzen groß wird. Er musste, bis er 20 war, um 10 Uhr abends zu Hause. Weil seine Mutter morgens um ½ 5 zur Arbeit aufstand und nicht nachts auf ihren Sohn warten konnte. Heilende Grenzen setzen. Die Auseinandersetzung gerade mit dem Pubertierenden nicht scheuen. Das kostet Kraft. Er wäre gerne länger bei Freunden geblieben, aber er liebte seine Mutter.
Maria und Josef haben ihren Sohn in die Welt der Religion eingeführt und ihm Bildung ermöglicht. Bildung braucht Religion. Lernen durch zuhören und fragen. Leben in Verbundenheit. So wird der Glaube weitergegeben über Generationen.
Brückenbauer sein
Über die Brücke der Alten schreitet der Blick für die Endlichkeit des Lebens, dass wir nicht für einen Nutzen leben, dass ein Mensch abdanken kann. Über die Brücke der Eltern, derer die väterlich oder mütterlich leben: Dass wir einander nicht besitzen, die inneren Erfahrungen ernst nehmen, bleiben, wenn jemand scheitert. Das geben wir weiter, wenn wir erzählen und Kopf und Herzen bilden. So wird ein Mensch groß. Lukas ist der einzige, der uns diese kostbare Geschichte vom 12jährigen Jesus erzählt. Er erzählt die Geschichte, wie es nach der Geburt weitergeht. Gott ist Mensch geboren. Er liefert sich dem menschlichen Leben aus. Er ist Kind wie du. Er ist Jugendlicher wie du es warst. Seine Eltern haben ihn gut erzogen. Sie haben ihm Religion beigebracht.
Wir werden eine heilige Groß-Familie, heilig, weil wir zu Gott gehören, werden seine Gemeinde, die Leben lebt und weiterträgt. Gemeinsam wachsen wir an Weisheit, Alter und Gnade mit Emil und mit Wanda.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe eine Gemeinde vor Augen, die an lebensnaher Auslegung interessiert ist. Des-halb wähle ich eine einfache Sprache. Nach 9 Monaten Erfahrungen mit der Pandemie ist die Verunsicherung nicht gewichen. Welche Zukunft haben unsere Kinder vor sich. Welche Lasten legen wir auf ihre Schultern und Herzen. Sie brauchen Räume zum Ent-wickeln und liebevolle, kritische Begleitung, um ihre Zukunft zu bewältigen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Thema des Textes ist ein existentielles. Der Text ist konkret, eine sehr gute Erzäh-lung mit Sache und mit Beziehungen. Ich habe 12 Enkelkinder und bin umgeben von ihren Fragen, ihrer Neugier, ihrer Lust am Leben. Jedes Kind ist selbst bei denselben Eltern ein besonderer Charakter. Sie suchen Nähe und wollen losgelassen werden.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mit den Fragen der Kinder klüger und weiser zu werden.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das Coaching war hervorragend. Alle Anregungen und Kritiken konnte ich aufnehmen, sie waren überzeugend. Die Frage, die Aktualisierung in den Erzählverlauf aufnehmen oder dem anschließen. Die Predigt als Homilie verfassen oder unterbricht das Zitieren der einzelnen Verse den Fluss der Predigt.
Die Predigt wurde von mir Anfang November eingereicht, so dass wir viel Zeit hatten zum Ge-spräch.
Als Rundfunkpfarrer weiß ich jedes Lektorat oder Coaching sehr zu schätzen.
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Leben in der Erwartung - Predigt zu Lukas 1, 67-79 von Matthias Wolfes
„Und sein [des Johannes] Vater Zacharias ward des heiligen Geistes voll, weissagte und sprach: Gelobet sei der HERR, der Gott Israels! denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils in dem Hause seines Dieners David, wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund des Propheten: daß er uns errettete von unseren Feinden und von der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, daß wir, erlöst aus der Hand unserer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die ihm gefällig ist
Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Du wirst vor dem HERRN her gehen, daß du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk, das da ist in Vergebung ihrer Sünden; durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch welche uns besucht hat [oder auch: besuchen wird] der Aufgang aus der Höhe, auf daß er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“ (Jubiläumsbibel, Stuttgart 1912)
Liebe Gemeinde,
der Lobgesang des Zacharias gilt seinem Sohn, Johannes, „Johannes, dem Täufer“. Ihm ist der größte Teil des ersten Kapitels im Lukasevangelium gewidmet. Es geht um die Ankündigung von dessen Geburt, um seine Geburt selbst und dann um die voraussagende Lobpreisung des „Kindleins“ durch den Vater Zacharias.
Johannes werde, so sieht es der Vater, „ein Prophet des Höchsten“ heißen. Dieser Höchste ist Christus. Ihm werde er den Weg bereiten. „Erkenntnis des Heils“ werde er „seinem Volk“ geben, und zwar einer solchen Erkenntnis, die in der Vergebung der Sünden besteht. Sein Wirken sei selbst ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes. In nicht ganz leicht zu verstehenden eigenen Wendungen zitiert Zacharias sodann die Heilige Schrift, wo es unter anderem heißt: „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn aber nicht von nahe. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen [...].“ (4. Mos 24, 17). Der Lobpreis endet mit den Worten: „Auf daß er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“
Johannes ist derjenige, der Christus die Bahn bereitet. Der Evangelist Lukas hat hier einen sehr kompakten Text geschaffen, um diesen Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Er ist auch sonst noch voller Anspielungen und Anklänge an alttestamentliche Stellen. Dieses kleine Stück ist eine Fundgrube für Bibelwissenschaftler. Nicht ohne Grund gilt Lukas als der gediegenste Verfasser unter den zahlreichen Autoren der neutestamentlichen Schriften.
Was mich anspricht ist aber nicht in erster Linie die literarische Form. In unseren Versen findet sich eine sehr genaue, geradezu erstaunlich präzise Beschreibung des christlichen Lebens. Drei Ausdrücke sind es, die wie Merkzeichen aufleuchten. Die, die sich der Barmherzigkeit Gottes gewiss sind, leben „ohne Furcht“. Sie führen ihr Leben in „Heiligkeit“. Und sie gehen „den Weg des Friedens“.
Um diese drei – Furchtlosigkeit, „Heiligkeit“, als Streben nach Gerechtigkeit, und Friedfertigkeit – ist es uns heute zu tun.
I.
Furchtlosigkeit, Heiligkeit, Friedfertigkeit – von Anfang an ist klar, dass der Evangelist nicht sagen will: Wer nur irgendwie sich zu Christus bekennt, der kann das alles für sich in Anspruch nehmen. Von uns selbst würden wir ja auch nicht behaupten, wir führten unser Leben in „Heiligkeit“ oder gingen konsequent „den Weg des Friedens“. Schön wär’s. Aber so ist es nicht. Auch wir sind ja verstrickt in das genaue Gegenteil. Unser Leben ist oft sehr unheilig und sehr unfriedlich.
Was der Evangelist sagt, ist etwas anderes: Er weist selbst mit seinen Worten den Weg. Furchtlosigkeit, ein in sich glaubwürdiges und gemeinschaftsfähiges Leben sowie das Streben nach Ausgleich und Frieden sind es, die der Barmherzigkeit Gottes von unserer Seite aus entsprechen.
Johannes, der Täufer, war nicht selbst der Erlöser. Er war dessen Wegbereiter. Sein Platz in der christlichen Geschichte ist anders: Er gehört zu denen, die das Umfeld Christi bilden. Darin aber ist er einer von denen, die zugleich den Raum schaffen für das Wirken des Heilands selbst.
Und so stelle ich mir auch den Ort vor, an dem wir irgendwie, jeder an seiner Stelle, stehen. Auch wir gehören in das Umfeld des Zentrums. Auch an uns liegt es, wie es weitergeht und welche Wirkung Gottes Barmherzigkeit in der Welt hat.
Wenn man es genau bedenkt, ist das eine enorme Verantwortung, die da auf uns liegt. Aber es ist nichts anderes als die Verantwortung von Menschen, die selbst Gottes Barmherzigkeit erfahren haben. Es muss doch etwas bedeuten, wenn wir uns zu Gott bekennen. Und was es bedeutet, sagt der Evangelist Lukas an dieser Stelle in aller Klarheit: ein furchtloses, „heiliges“, das heißt nach Gerechtigkeit strebendes, friedfertiges Leben.
II.
Als gläubige Menschen sehen wir uns immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, christliches Leben neige zur Weltflucht. Aber alles andere als das ist der Fall. Bei aller Distanz gegenüber dem Alltagsgetriebe verschließen wir uns nicht. Ein christliches Leben wird nicht im Exil geführt. Sich „lossagen“ zu wollen, ist immer sinnlos und führt zu allerlei Absurditäten. Selbst noch die ausgeprägteste Flucht aus der Welt ändert doch nichts an deren bloßem Vorhandensein. Die Grundhaltung des Christen soll auch in dieser Richtung von Güte und Gerechtigkeit bestimmt sein. Wie wir Gott verstehen, will er ehrliche Menschen. Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sind die Voraussetzungen von Güte: „Wer ohne Tadel einhergeht und recht tut und redet die Wahrheit von Herzen; wer mit seiner Zunge nicht verleumdet und seinen Nächstem kein Arges tut und seinen Nächsten nicht schmäht […]: wer das tut, der wird wohl bleiben“ (Ps 15, 2. 3. 5b).
Ein Leben, das ausgerichtet ist am Maßstab von Güte und Gerechtigkeit, kann nicht misslingen. Wer ihm folgt, bedarf der Hilfe des „Glückes“ am wenigsten. Entscheidend ist der Maßstab. Und diesen Maßstab gibt uns Lukas mit seinen drei Leuchtzeichen: ohne Furcht, gerecht, friedliebend.
Sie sind „Leuchtzeichen“. Das bedeutet: Ich kann Ihnen nicht sagen, wir Sie in Ihrem eigenen Leben „gerecht“ oder „gut“ handeln können. Was „gut“ und „gerecht“ ist, was „gütiges“ Handeln bedeutet, lässt sich nicht außerhalb der jeweiligen Situation feststellen. Es handelt sich um Zielsetzungen, die sich an der Sache selbst bewähren müssen. Und solche Zielsetzungen sind Ihre eigenen Zielsetzungen. Mir zum Beispiel ist es sehr wichtig, mich zu konzentrieren, wenn jemand mir etwas sagt. Bei Telefongesprächen gleichzeitig noch etwas anderes zu tun (denn der andere sieht es ja nicht), finde ich ganz und gar ungehörig und unterlasse es streng. Das scheint mir gefordert zu sein, wenn mein Handeln Bestand haben soll. Und so ist es überall: „Gerecht“ ist zunächst einmal das, was mir als gerecht erscheint. Diese Scheinbarkeit kann ich nur mit Einfühlungsvermögen und Urteilskraft überwinden. Ich handele dann nicht nach der Maßgabe guter Absicht, sondern bemühe mich, vernünftig und verantwortungsvoll vorzugehen.
Als Menschen überhaupt, und noch einmal um so mehr als gläubige Menschen müssen wir zu Entscheidungen im Stande sein. Das bedeutet, dass wir einem Maßstab folgen, mit dem wir die Situation einschätzen. In einem absoluten Sinne „gut“ oder „gerecht“ zu sein – oder zu wähnen, man handele so –, ist dann leicht, wenn man die Wirklichkeit ausblendet. Ausblenden aber wollen wir nicht. Gewiß ist es anders gar nicht möglich; man kann nicht alles in gleichem Maße an sich heranlassen. Da geht es auch um Selbstschutz. Doch ein Prinzip machen wir nicht daraus.
Und dann kommt ja auch noch hinzu, dass sich die Folgen unserer Handlungen nicht vollständig abschätzen lassen. Diese Schwierigkeit ist unüberwindlich. Sie ist unseren Entscheidungen wie eine Grundbedingung eingeschrieben, und ihr kann man nur durch Nachdenken, Offenheit des Blicks und Realismus begegnen. Man muss unterscheiden können, Argumenten zugänglich und allem Autoritären gegenüber skeptisch sein.
III.
Wer sich mit Einsicht und Ehrlichkeit auf die Gegebenheiten einlässt, der sieht, dass es in erster Linie darauf ankommt, von welchen Grundsätzen ausgegangen wird. Nicht dagegen kommt es darauf an, dass man sich irgendwelchen Idealen von Gut, Gerecht oder auch Notwendig verschreibt. Eine Güte, die die Begegnung mit der Welt nicht verträgt, ist keine. Es gibt auch eine lächerliche Freiheit, und Weltflucht bedeutet: dem Leben nicht gewachsen sein.
Ich habe den gängigen Vorwurf der Weltflucht angesprochen. In Wahrheit aber hat der christliche Glaube eine weltfluchtfeindliche Tendenz. Ihm entspricht es, sich auf die Welt einzulassen, nicht aber, ihr entgehen zu wollen. Wir betrachten diese Welt als den Ort, an dem wir uns zu bewähren haben. Dabei denke ich etwa an unser Leben in der Familie, an den Bereich unseres Lebens, wo wir einer Arbeit nachgehen und dort mit anderen Menschen konfrontiert sind, oder überhaupt an all jene Situationen, in denen wir anderen begegnen und sie uns. Und doch ist dies alles nicht das Ganze. Als Christen leben wir im Noch-Nicht, denn die Erfüllung, das Heil steht noch aus. Aber wir leben eben in ihm, in diesem Noch-Nicht, das die Wirklichkeit selbst ist, und nicht neben oder außerhalb davon.
Als Christen sind wir immer unterwegs. Unser ganzes Leben ist ein Werden auf das hin, was wir noch nicht sind, was wohl Gott schon im Moment unserer Entstehung bei sich gesehen und gewollt hat, was zu werden aber eben die Aufgabe unseres Lebens ist.
Auch wir selbst, als solche, die „unterwegs“ sind, sind also Vorläufer. Das Eigentliche kommt erst noch; wir aber leben auf es hin. Das ist unsere Hoffnung, die wir unversehrt bewahren wollen in einem furchtlosen, gerechten und friedliebenden Leben.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Vor Augen steht mir die Gottesdienstgemeinde einer Großstadtkirche in zentraler, auch räumlich herausgehobener Lage (Trinitatiskirche in Berlin-Charlottenburg). Auf diese Gemeinde bezieht sich das oft gebrauchte „Wir“, in das ich mich konsequent und ausnahmslos einschließe.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Anspruch, in vergleichsweise finsteren Zeiten (Pandemie) Zuspruch zu geben.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass es nicht ganz leicht ist, das große Thema der „Bewährung“, das mir sehr am Herzen liegt, ohne drängenden Ton oder gar die Tendenz zur Handlungsanweisung zu erörtern.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Anteilnahme der Predigtcoacherin. Ich halte viel von „positivem Hörer bzw. Lesen“, und das meine ich, bei ihr gefunden zu haben.
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Geben und Glauben - Predigt zu zu Lukas 16, 1-9 von Dr. Ralph Hochschild
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Gemeinde,
“Stellt Euch vor, was mir passiert ist. Heute Morgen ruft mich mein Herr zu sich. Ihm gehören all diese Ländereien, Felder und Häuser, die ich für ihn verwalte.” Das Drama beginnt. Benjamin streckt die rechte Hand aus und zieht mit dem Finger vor meiner 10. Klasse einen riesigen Halbkreis. “So weit reichen seine Güter. So viel Arbeit für mich. Jahr für Jahr ärgere ich mich mit den Pächtern herum. Jahr für Jahr laufe ich den Schuldnern hinterher. Jahr für Jahr verkaufe ich Öl und Getreide zu einem guten Preis und schaffe Platz für die neue Ernte. Geräte und Gebäude halte ich in Schuss. Und jetzt das!” Benjamin schnaubt hinter seiner Corona-Maske. Die Brille beschlägt sich vor Empörung. “Er ruft mich und sagt: ‚Jemand hat mir zugetragen: Du verschleuderst mein Vermögen. Deshalb muss ich dich entlassen. Bereite Deine Schlussabrechnung vor und geh!‘
Nicht einmal verteidigen durfte ich mich. Nur ein Gerücht und schon gefeuert, auf die Straße geschickt ohne Beweis. Was soll ich jetzt tun? Ich bin nicht stark genug, um auf dem Feld zu arbeiten. Ich schäme mich zu betteln. Was soll ich tun?”
Im Gleichnis vom sogenannten “ungetreuen Verwalter” findet der Verwalter eine verblüffende Lösung für sein Problem. Nachdem uns die Einleitung ins Gleichnis so brillant vorgespielt wurde, lese ich nun die Fortsetzung aus der Bibel. Wir hören Lukas 16, die Verse 4-9. Der Verwalter überlegt und sagt:
Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.
Liebe Gemeinde,
eigentlich würde ich jetzt gerne hinter Benjamins Corona-Maske schauen. Ob er ganz in seiner Rolle drin ist? Ob er grinsen muss, als er so temperamentvoll den Verwalter dieses Gleichnisses spielt? Keine Chance für mich und keine Chance für seine Mitschüler. Aber jeder im Klassenzimmer erkennt etwas anderes. Vor den Augen ein zu Recht empörter und zu Unrecht beschuldigter Verwalter. Hinter der Fassade eine Figur, die es faustdick hinter den Ohren hat. “Darf man das so machen, wie er es tut?” Ich bitte die Klasse um eine spontane Reaktion. Als Lehrer wecke ich pflichtschuldigst Verständnis für den Verwalter. Keine Chance für mich und keine Chance für den Verwalter. Das Urteil steht: “Nein, man darf nicht stehlen.” “Nein, keiner will, dass einer dem anderen das Vermögen wegschenkt.” “Nein, das hat nichts mit dem zu tun, was ein Verwalter von sich erwarten sollte.” “Nein, auch wenn er den Schuldnern Gutes tut - daraus lässt sich kein allgemeines Gesetz machen.” “Nein, die Glückspunkte, die das Schenken bringt, wiegen nicht das Unglück des betrogenen Mannes auf.”
“Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder des Lichts sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.”
Verlassen wir das Klassenzimmer, noch bevor die spielenden Schüler sich zum Gleichnis äußern dürfen und schließen leise die Tür hinter uns. Lassen wir dort das Urteil über den Verwalter zusammen mit unserem eigenen moralischen Widerwillen zurück. Lassen Sie uns stattdessen fragen: Warum ist er klug? Was können wir von ihm lernen. Drei Dinge fallen mir ein.
Zuerst: Er jammert nicht lange über seine schlechten Aussichten. Er lässt sich nicht einschüchtern. Er nimmt das Unrecht nicht hin. Er sitzt nicht auf die Hände, er tut etwas. Er analysiert. Er weiß, was er kann und was ihn überfordert: Schwere körperliche Arbeit. “Zu betteln schäme ich mich”. Kaum zu glauben. Eigene Werte, die er fokussiert verfolgt, hat er auch, ob sie uns gefallen oder nicht. So handelt er schnell, durchdacht, entschlossen und zielstrebig. Er weiß, was jetzt die Stunde geschlagen hat.
Dann: Er sucht seine Chance mit den Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, ob sie seine eigenen oder ihm überlassen sind. Ich denke an meine eigenen Kräfte und Ressourcen. Vieles von dem, was mir gelingt, schaffe ich mit Mitteln, die mir andere überlassen und gegeben haben. Ob ich wichtige Dinge von Lehrern, Freunden oder Kollegen an meiner Schule gelernt habe, ob ich Impulse von meinen Schülerinnen und Schülern aus dem Unterricht mitgenommen und an ganz anderer Stelle wieder gewinnbringend eingesetzt habe - ich glaube, nicht nur ich verdanke viel im Leben den Ressourcen, Dingen und Mitteln, die mir andere überlassen haben.
Es ist gewiss kein Fehler, wenn wir uns das am heutigen Volkstrauertag vor Augen halten. Wir treten nachher aus der Kirche und gehen über den Friedhof die wenigen Schritte zu unserem Mahnmal. Mit uns geht die lange Geschichte dieses Tages, an dem das Gedenken und das Trauern so unterschiedliche Formen angenommen hat. Zunächst ist der Volkstrauertag der Gedenktag für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges und wurde dann zum “Heldengedenktag”. 1952 wiederbegründet, entwickelt er sich zu einem Teil unserer besonderen Erinnerungskultur. Sie ist in einem langen und gewiss nicht schmerzfreien Prozess seit den 60er-Jahren gewachsen. Heute spart sie die misslungenen Teile unserer Geschichte und das Unrecht, das unschuldigen Menschen zugefügt wurde, nicht aus. Deshalb gedenken wir heute “der Opfer von Gewalt und Krieg, an Kindern, Frauen und Männer aller Völker” (Bundespräsident Joachim Gauck 2016). Ich bin überzeugt, unser Land hätte diesen guten Weg nicht gehen können ohne die Geduld, ohne den Vertrauensvorschuss, der unserem Land nach 1945 gewährt wurde. Wir hätten diesen Weg nicht gehen können, wenn Überlebende der Schoah und ehemalige Zwangsarbeiter nicht bereit gewesen wären, in unsere Schulen zu kommen und unauslöschliche Eindrücke bei Schülerinnen und Schülern hinterlassen hätten. Durch das, was sie erzählt haben, durch ihre Bereitschaft, neuen Generationen eine neue Chance zu geben. Zeit, Geduld, ein großer Vertrauensvorschuss - sie wurden uns gegeben. Und ich glaube, sie wurden gut genutzt.
Jeder von uns nützt die Ressourcen anderer Menschen. Denn wer könnte ohne die Erfahrung der Verzeihung leben? Nicht jeder Konflikt kann juristisch geklärt, nicht jeder Streit vor Gericht befriedet, nicht jedes Unrecht durch kluge Mediation ausgeglichen werden. Es braucht die Erfahrung der Verzeihung. Das heißt ja nichts anderes, als dass ein verletzter und beschädigter Mitmensch bereit ist, einen Raum zu öffnen, in dem neu Vertrauen wachsen kann, in dem eine misslungene Vergangenheit einer besseren gemeinsamen Zukunft nicht im Wege steht. Auch eine Ressource, die uns andere geben und aus der wir etwas machen können.
Lange bevor einer von uns seinen Eltern seine Liebe bewusst zeigen konnte, wurden wir schon von ihnen geliebt. Haben sie ein Urvertrauen in uns gepflanzt, aus dem heraus wir selbstbewusst, vertrauensvoll zu anderen und offen gegenüber der Welt werden konnten. Wir konnten wachsen und die Menschen werden, die wir heute sind, weil uns diese Ressource geschenkt wurde. Das führt mich zum dritten Punkt.
“Also am Anfang habe ich überhaupt nichts kapiert”. Wir sind einen Moment zurück im Klassenzimmer. Alina sitzt auf dem “heißen Stuhl”. Sie ist der Schuldner, dem seine Schuld erlassen wurde. Sie erzählt, wie sie diesen Moment in ihrer Rolle erlebt hat. “Erst habe ich gedacht, der ist verrückt geworden. Aber als ich verstanden hatte, wie mein Leben dadurch leicht wird, da wurde ich richtig froh.”
Liebe Gemeinde,
das macht unseren Verwalter doch fast wieder sympathisch. Denn wenn ich es mir recht überlege. Er hätte die Sache ganz anders anpacken können. Er hätte einfach etwas unterschlagen können - macht er aber nicht. Er hätte Druck aufbauen können und die Schuldner zur Bezahlung ihrer Schuld zwingen können, um sich etwas abzuzweigen - macht er aber nicht. Er hätte seine vornehme Stellung dazu nützen können, um sie zu seiner Unterstützung zu überreden - macht er aber auch nicht. Sondern: Er gibt, er schenkt, entlastet, macht andere froh - und glaubt.
Er gibt und glaubt. Denn er weiß: so gut er sich das ausgedacht hat, so schlau er das geplant hat, so clever wie er es durchgeführt hat. Ob es am Ende klappt, ob sie ihn am Ende wirklich aufnehmen - dafür hat er keine Garantie. Das muss er glauben. Und so ist die vertrauensunwürdigste Person in der Geschichte zugleich die vertrauensseligste. Für mich ist das das Erstaunlichste und die schönste Wendung in dieser ganzen Geschichte.
Glaube ist eine Geistesgabe. Wir glauben, dass Gottes Geist in uns wirkt. Er hält das Gedächtnis Jesu in uns lebendig. Er ist der Tröster. Gottes Geist ist ein Geist der Liebe. Er macht uns bereit, uns anderen Menschen zuzuwenden. Diese Ressource Gottes nicht weniger ruchlos als der Verwalter das Vermögen seines Herrn nutzen - das will ich aus diesem Gleichnis lernen. Aus dem zu leben und zu geben, was mir zur Verfügung steht. Und glauben, dass mein Gott Gutes daraus erwachsen lässt. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Im Bewusstsein vieler Kirchgänger ist der Vorletzte Sonntag des Kirchenjahres der „Volkstrauer-tag“. Besonders in den ländlich geprägten Teilen und im Stadt-Umland-Bereich unseres Kirchenbe-zirks nehmen viele die Gelegenheit wahr, nach dem Gottesdienst an der der Feier der politischen Gemeinde zum Volkstrauertag teilzunehmen. Gemeinderäte und Bürgermeister nehmen diesen Tag zum Anlass, in den Gottesdienst zu kommen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Seit Jahren spiele, reflektiere und deute ich mit Schülerinnen und Schülern biblische Texte in dramapädagogischen Unterrichtssequenzen. Oft zeigen sich im Spiel Sinnpo-tenziale biblischer Texte, die man so nicht in der der gängigen exegetischen Literatur findet und die trotzdem des Nachdenkens wert sind. In der Predigt eine Summe aus einigen dramapädagogischen Versuchen mit diesem Text nachzuvollziehen und für die Predigt produktiv zu machen, war eine motivierende Aufgabe.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Viele der Interpretationen des Gleichnisses ringen mit der moralischen Qualität des „un-ehrlichen Verwalters“. Davon abzusehen und auf seine Handlungen, ihre Voraussetzun-gen und Wirkungen zu achten, hat mir das Gleichnis neu erschlossen. Immer wieder daran denken, dass wir vieles tun können, weil uns geistige und materielle Ressourcen anderer zur Verfügung stehen. Als „Kinder des Lichts“ von der Klugheit der „Kinder der Welt“ das Richtige lernen. Der Geist Gottes als besondere Ressource unserer Existenz.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Ermutigung zu einer anschaulichen Sprache und eine stärkere Fokussierung auf das Thema „Geben und Glauben“