„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, / aber Gott gedachte es gut zu machen“ - Predigt zu Markus 12,1-12 von Ulrike Voigt

„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, / aber Gott gedachte es gut zu machen“ - Predigt zu Markus 12,1-12 von Ulrike Voigt
12,1-12

„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, / aber Gott gedachte es gut zu machen.“

Liebe Gemeinde,

der heutige Predigttext ist in höchsten Maße irritierend. Es ist ein Gleichnis aus dem Markusevangelium. Die Erzählung konfrontiert uns mit einer bösen, ja brutalen Geschichte. Es geht um eine Gewalteskalation mit schlimmen Folgen. Ich lese das „Gleichnis von den bösen Weingärtnern“.

12 1Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
3 Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
5 Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
6 Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?
12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hi
n dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

Da ist ein Mann, dem ein Grundstück für Weinbau gehört. Er investiert alles, was es für einen guten Ertrag braucht: er gräbt den Boden um, pflanzt die Reben, zäunt alles ein, erbaut eine Kelter und einen Wachturm. Wer den Weinbau kennt, weiß, dass dazu viel Arbeit gehört. Dann verpachtet er den Weinberg und reist ab, wahrscheinlich ins Ausland. Das war damals nicht unüblich für einen reichen Landbesitzer in Galiläa.
Etwa 4–5 Jahre muss man warten, bis ein Weinberg zum ersten Mal richtig Ertrag abwirft. Nun möchte der Besitzer seinen Teil der Ernte haben und schickt dazu einen Boten. Doch der wird verprügelt und unverrichteter Dinge weggeschickt. Der vereinbarte Teil des Gewinns wird nicht an den Besitzer abgegeben.
Warum die Pächter so heftig reagieren, erfährt man nicht. Beim zweiten Versuch wird der Bote misshandelt und beleidigt – und nun wird es immer schlimmer: wen auch der Weinbergbesitzer schickt, die Pächter werden immer gewalttätiger, und schließlich gibt es sogar Mord und Totschlag. All dies muss sich über Jahre hingezogen haben. Der Besitzer muss inzwischen gewusst haben, dass mit den Pächtern nicht gut Kirschen zu essen ist, ja, dass sie Betrüger und Mörder sind.
Doch der Besitzer schenkt den Pächtern immer noch Vertrauen. Statt endlich ein Strafkommando zu schicken, das tabula rasa macht, kommt er auf die Idee, seinen einzigen Sohn dorthin zu schicken. Dieser verfügt als Erbe über eine besondere rechtliche Legitimation, und so nimmt der Besitzer an, dass sein Sohn in dieser Funktion respektiert werden wird. Unbegreiflich für die Hörer wird das Leben des Sohnes aufs Spiel gesetzt – und geht verloren. Die Pächter beschließen, auch den Erben zu töten, weil sie glauben, dann gehöre der Weinberg ihnen. Ob sie im Falle fehlender Erben den Weinberg erhalten sollten oder ob sie völlig irrsinnig handeln -  jedenfalls schrecken sie auch vor diesem schlimmsten Verbrechen nicht zurück.
Die Frage, was nun passieren wird, beantwortet der Erzähler des Gleichnisses selbst: Der Besitzer wird den Pächtern das Grundstück wegnehmen, sie töten und neue Pächter suchen. Es gibt auf allen Seiten nur Verlierer.

Eine böse Geschichte, die viele Fragen aufwirft. Eine Spirale der Gewalt wird beschrieben. Auch durch das prognostizierte Ende wird diese nicht unterbrochen. Es geht immer weiter. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Schlagen wir derzeit die Zeitung auf, sehen wir, dass sich daran bis heute wenig geändert hat.

Ist die Geschichte schon unerfreulich genug, dann wird es noch schlimmer, wenn wir uns bewusst machen, dass es bei den damaligen jüdischen Zuhörern „geklingelt“ haben muss, und vielleicht gibt es dieses Aha-Erlebnis auch bei erfahrenen Predigthörern. Der Text erinnert zum Teil wörtlich an das sog. Weinberglied in Jesaja 5. Auch in dieser alttestamentlichen Geschichte bemüht sich ein Weinbergbesitzer um sein Grundstück und um eine gute Weinernte. Doch trotz aller Sorgfalt bringt der Weinberg nur schlechte Trauben hervor. Bei Jesaja wird der Weinberg von seinem Besitzer daraufhin zerstört, er wird zu Brachland. Und es folgt eine allegorische Deutung: Der Weinbergbesitzer ist Gott, der Weinberg ist Israel. Israel hält nicht die Gebote Gottes, hält sich nicht an das, was Gott will, und Gott hält über Israel Gericht.

Diese Konstellation schimmert auch durch die Markusperikope, und die Hörer damals mussten sich daran erinnert fühlen. Immer wieder hat Gott in Geduld und Liebe um sein auserwähltes Volk Israel geworben und neue Boten geschickt. Umsonst. Das Volk Israel hat einen um den anderen Boten Gottes abgelehnt, ja misshandelt oder getötet.
Jetzt, so will der Evangelist Markus mit seinem Gleichnis sagen, ist es kurz vor Zwölf. Jetzt schickt Gott sogar seinen geliebten Sohn. Diese Geschichte wäre dann die „Generalabrechnung“ Gottes mit seinem Bundesvolk Israel. Er hatte dieses Volk vor allen anderen Völkern der Welt erwählt, hatte sich ihm offenbart, hatte mit ihm seinen Bund geschlossen, hatte ihm über die Maßen Gutes gegeben. Aber im Laufe seiner Geschichte ist dieses Volk immer wieder von Gott abgefallen. Jetzt sandte Gott seinen Sohn, aber auch er wurde nicht respektiert; die führenden Köpfe der Juden waren ihm sogar feindlich gesonnen und planten, ihn umzubringen. Die das planten, waren genau die Leute, denen Jesus das Gleichnis von den bösen Weingärtnern ursprünglich erzählte. Dieses Gleichnis kündigt an, dass Gott seinen Pachtvertrag aufkündigt, dass der alte Bund mit Israel nun ein Ende findet, und dass Gott sich neue „Pächter“, ein neues Volk, suchen wird. Diese anderen Pächter sind die Heidenvölker, die Nichtjuden, die Gott durch seinen Sohn Jesus Christus in sein Reich beruft und zu seinem neuen Bundesvolk macht.
Das ist starker Tobak, und es ist verständlich, dass die damaligen Zuhörer Jesus am liebsten sofort um die Ecke gebracht hätten, so wütend waren sie über diese Predigt. Sie sind jedoch erst einmal unverrichteter Dinge abgezogen. Wie die folgende Passionsgeschichte zeigt, haben sie sich durch diese letzte Warnung nicht eines Besseren besonnen. Denn später haben sie es ja dann wirklich getan: auf ihr Betreiben hin starb Jesus am Kreuz.

Letzte Warnung, letzte Drohung. „Was wird der Weinbergbesitzer tun? Er wird den Weinberg anderen geben.“ Israel wird nicht mehr Pächter in Gottes Weinberg sein, Gott wird über Israel Gericht halten – falls Israel nicht umkehrt und den Sohn anerkennt. Das will der Evangelist mit seinem Gleichnis sagen.

Eine ganz schlimme Geschichte, nicht nur als Geschichte, sondern vielmehr noch in ihren Folgen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in solchen biblischen Geschichten die Wurzeln des christlichen Antijudaismus liegen, und das macht die Sache erst recht unerträglich. Dieser Text wurde in der Geschichte der christlichen Textauslegung von großen Theologen gegen die Juden verwendet: Weil die Juden Jesus umgebracht haben, hat Gott die Christen, die Kirche, zum neuen Heilsvolk an Israels Stelle eingesetzt. Die Folgen dieser Auslegung waren Antisemitismus und Verfolgung der Juden bis hin zum Holocaust.

Als ich an diesem Punkt der Vorbereitung angelangt war, habe ich kurz geschwankt, ob ich einen anderen Text für die heutige Predigt nehme. Wie soll man darüber eine Predigt halten? Da vermag es nur wenig zu trösten, dass dieser Predigttext mit der Revision der Perikopenordnung wieder in der Versenkung verschwinden wird, vermutlich genau wegen der antijüdischen Implikationen. Das ist gut. Aber es wäre auch zu billig, ja feige, einfach den Text wegzuschieben, nur weil er Mühe macht und an unangenehme Tatsachen erinnert. Nein, wir müssen uns dem stellen, wir müssen es wissen: solche Texte sind mitverantwortlich für den Antijudaismus in der Kirchengeschichte. Zwar stehen dahinter sehr schmerzliche Erfahrungen der urchristlichen Gemeinden, die sich von ihren jüdischen Geschwistern trennen mussten, weil diese Jesus nicht als den Messias anerkannten. Aber das kann niemals rechtfertigen, welche vielfachen Verbrechen daraus entstanden sind. Und solche Texte widersprechen radikal der Verkündigung Jesu, der Frieden und Gerechtigkeit für alle bringen wollte.
Die Kirchen pflegen Gott sei Dank inzwischen einen lebendigen Dialog mit dem Judentum auf vielen Ebenen, die Christen nehmen die Juden nicht mehr als die Enterbten, sondern als diejenigen wahr, die ihren eigenen Ort in Gottes Plan haben. Doch in der heutigen Gesellschaft ist der Antijudaismus, Antisemitismus, nicht überwunden, ja er nimmt leider zu.

Ich zitiere aus der Rede von Nikolaus Schneider, dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD, die er im September letzten Jahres bei der Berliner Kundgebung gegen Judenhass gehalten hat:

„Dagegen stehen wir auf! Wir wollen uns mit 20% latentem – und dann immer wieder akut aufloderndem! – Antisemitismus in unserer Gesellschaft nicht abfinden. Auch unsere Kirche muss immer neu erkennen und aufarbeiten, dass sie zur Judenfeindschaft beigetragen hat. Ein Überlegenheitsbewusstsein gegenüber dem Judentum seit nahezu 2000 Jahren hat den Weg zur Ideologie „rassischer Überlegenheit“ begünstigt. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir als Kirchen erkannt haben: Antisemitismus ist wie jede Form des Rassismus menschenverachtend. Antisemitismus ist "Sünde gegen den Heiligen Geist", um mit dem Schweizer Theologien Karl Barth zu sprechen.[2] Antisemitismus ist Gotteslästerung. ... Auch wir stehen unbeugsam für jüdisches Leben in Deutschland ein! Auch wir sehen in jüdischem Leben in unserer Nachbarschaft keine Last, sondern eine Bereicherung. Es erfüllt uns mit tiefer Dankbarkeit, dass dies nach der Shoa wieder Realität in Deutschland wurde! Das war keineswegs selbstverständlich. – Deshalb wird jegliche Form des Judenhasses in unserem Land unseren Widerspruch und Widerstand erfahren.“

Auch wenn hier in Deutschland jüdisches Leben oft eher im Verborgenen stattfindet und nicht so im Alltag präsent ist wie zum Beispiel in Frankreich oder in der Schweiz, ist es wichtig für unsere jüdischen Mitbürger, dass wir nicht gleichgültig, sondern wachsam sind, antisemitischen Äußerungen und Haltungen widersprechen und Solidarität zeigen. Gelegenheiten bieten zum Beispiel die jährliche Woche der Brüderlichkeit Anfang März, die jüdischen Kulturwochen oder Veranstaltungen im Stuttgarter Lehrhaus für interreligiösen Dialog. 

Doch kehren wir nochmals zurück zu unserem Gleichnis. Kein biblischer Text ist ja nur dafür erzählt, um die Schlechtigkeit der Menschheit zu zeigen. Jeder biblische Text sagt auch etwas über Gott aus und sein Handeln an und mit den Menschen. Drei Punkte möchte ich noch herausheben:

1. Der Weinbergbesitzer zeigt unendlich lange Geduld. Er gibt den abtrünnigen und bösen Pächtern immer wieder eine neue Chance. Sicherlich hat er längst durchschaut, was gespielt wird. Doch mit dem fortgesetzten Senden neuer Boten stellt er seine gütige Fürsorge unter Beweis. So kennen wir Gott! Er ist keiner, der brutal und unbarmherzig zurückschlägt. Und so passt der Text zum heutigen Sonntag „Reminiscere“, denn Reminiscere heißt: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind!“ (Ps 25,6). In diesem Psalmvers spricht einer, der weiß, dass er gesündigt hat, dass Gott aber barmherzig und gütig ist. Der Psalmbeter kann so beten, weil er weiß, dass Gott dieses Gebet erhören wird, dass er bereit ist, seinen Zorn zu vergessen und sich dem Betenden wieder in Liebe zuzuwenden. Gott wartet darauf, dass wir zu ihm umkehren, und er riskiert es dafür auch, enttäuscht zu werden. „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte“ (Ps 103,8).

2. Weil Gott so gütig ist, weil er die Liebe ist, mutet er auch seinem geliebten Sohn die Ablehnung zu, ja den Tod. Wir stehen am Anfang der Passionszeit. Einen Hinweis auf die Passionsgeschichte finden wir auch in dem Psalmwort, was sich direkt an das Gleichnis anschließt: Da stellt Jesus eine rhetorische Frage, denn gerade die von ihm angesprochenen Schriftgelehrten müssten es ja wissen und wissen es natürlich:
„Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Ps 118,23): Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen.“
Hinter diesem Bild steht der frühere Brauch, alle für einen Bau benötigten Steine einigermaßen grob behauen an der Baustelle aufzutürmen und dann jeweils den zum Gebäude passenden Stein auszuwählen. Fügte sich ein Stein nicht ins Bauwerk, wurde er von den Bauarbeitern einfach zur Seite geworfen. Einer dieser weggeworfenen Steine jedoch fügte sich zum Schluss doch noch perfekt ins Bauwerk ein, und zwar nicht nur in die Mauer, sondern als tragender Eckstein oder als der Schlussstein, der in einer Kirche das ganze Gewölbe zusammenhält.
Der Eckstein ist ein Bild für Christus. Obwohl die Bauleute, das meint die damaligen Zeitgenossen, ihn verworfen, ja weggeworfen haben, ist er nun zum Schlussstein, zum alles tragenden Eckstein, geworden. Gott hat seinem Sohn den Tod zugemutet, weil er sein Kostbarstes nicht erst geben wollte, wenn alle Menschen bereits umgekehrt sind, sondern noch mitten in der Rebellion gegen ihn. Gott wollte sein Haus der Liebe bauen. Jesus musste seinen Weg bis zum bitteren Ende gehen, aber Gott hat Jesus aus dem Tod auferweckt und ihn zum Schlusstein, zum tragenden Stein dieses Hauses der Liebe gemacht. „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, / aber Gott gedachte es gut zu machen.“ (Gen 50,20).

3. Der Weinberg Gottes ist den Pächtern gegeben, die von Gott dort eingesetzt sind. In Übereinstimmung mit anderen Weinberggeschichten von Jesus sehen die Nachfolger Jesu sich als diejenigen, die in Gottes Weinberg arbeiten. Jesus kann uns heute mit seinem Gleichnis die Augen öffnen dafür, was wir alles Gott zu verdanken haben. Da ist der Dank für Gottes Pachtvertrag, für Gottes neuen Bund, der uns zu Gottes Volk macht. Und was sind die Bedingungen dafür, zu denen uns Gott in diesen Bund hineinnimmt? Gott misst uns nicht an dem Profit, den wir als seine Pächter erwirtschaften. Gottes Weinberg ist groß genug, dass jeder, der dort arbeiten und sich an der Weinlese beteiligen will, seinen Platz findet. Das soll uns für heute genug sein, denn es ist genug.

(Gebet in Anlehnung an das jüdische Achtzehnbittengebet)

Gott, dein Erbarmen ist nie zu Ende
und deine Güte hört nie auf.
Wir hoffen auch dich, unsere tragende Hoffnung.
Dein Name sei gepriesen,
wie in alter Zeit genauso heute
und auch künftig in allen Zeiten.
Alles, was lebt, bekenne sich dankbar zu dir
Und erinnere sich an deine göttliche Güte.
Sie trägt uns von alters her,
und sie wird uns weiter tragen.
Dein erhabener Name sei gepriesen.
Du Gott, bist unser Heil und unsere Hilfe.
Laß uns darauf vertrauen
und laß uns in diesem Vertrauen
immer neu die Umkehr wagen zu dir.
Erneuere uns und mach uns bereit,
uns in Dankbarkeit zu dir zu bekennen.

(zitiert nach: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, Zur Perikopenreihe 1, Hg. von Studium in Israel e.V., Wernsbach 2008, S. 134 – Beitrag zur Perikope von Mikulas Vymetal)

AMEN
 

Perikope
01.03.2015
12,1-12

Die Rechnung, die nie aufgeht - Predigt zu Markus 12,1-12 von Thomas Volk

Die Rechnung, die nie aufgeht - Predigt zu Markus 12,1-12 von Thomas Volk
12,1-12

Die Rechnung, die nie aufgeht

Liebe Gemeinde,

„manchmal geht die Rechnung nicht auf!“

Nicht nur im Restaurant kann das einem passieren, wenn man die Aufstellung des Obers nachprüft und merkt, dass er zuviel aufgelistet hat. Es kann auch überall da geschehen, wo man meint alle Kosten bedacht zu haben und dann feststellen muss, dass man sich diese Wohnung einfach nicht leisten kann oder die Raten für das neue Auto doch nicht so ohne weiteres einhalten kann.

Und wer sich nach vielen langen Arbeitswochen auf ein freies Wochenende mit der Person, mit der man so gerne zusammen ist, freut, aber die Tage dann ganz anders verlaufen als gedacht, merkt, dass die eigenen Wünsche und die Wirklichkeit ganz unterschiedliche Währungen sind.

Es ist immer ärgerlich, wenn eine Rechnung nicht aufgeht, vor allem dann, wenn man mehr geben muss, als gedacht.

In dem Schriftwort für den heutigen Sonntag geht die Rechnung ebenfalls nicht auf. Hören Sie aus dem 12. Kapitel des Markusevangeliums, die Verse 1-12:

Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?
Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

Das hat sich der Weinbergsbesitzer ganz anders vorstellt, als er seinen Weinberg den Pächtern in Rechnung stellen wollte. Mit großer Liebe und Sorgfalt hat er ihn angelegt hat, ihn umgegraben, die schweren Bruchsteine aussortiert und weggeschleppt, edle Reben eingesetzt, einen Zaun gezogen als Schutz gegen das Zertreten und Abfressen durch Tiere. Er hat einen Keltertrog aus dem Felsen gemeißelt, in dem die Trauben zertreten werden, einen Turm gebaut, damit darin ein Wächter sein Lager aufschlagen kann, der die reifen Trauben gegen Diebe schützen soll. Und dann vertraut er nach vielen Mühen den Weinberg anderen an. Jetzt sollen sie gut damit umgehen, gewissenhaft darin arbeiten und die reifen Früchte ernten. Dann will er kommen und sich seinen Anteil holen.

Aber die Rechnung geht nicht auf. Die Boten werden angegriffen und geschlagen. Auch der eigene Sohn des Weinbergsbesitzers wird abgelehnt und sogar umgebracht.

Viele haben ähnliches erlebt wie dieser Weinbergsbesitzer und sprechen: „Ich investiere doch auch so viel und dann merke ich, dass die Rechnung nicht aufgeht.“

„Was habe ich in meinem Garten nicht alles unternommen, damit der Ertrag besser wird?“

„Was habe ich in das Haus hineingesteckt. Und als das Meiste abbezahlt war, da ging es schon los mit den ersten großen Reparaturen. Dann war es ohnehin schon zu groß, weil die Kinder schon nicht mehr da waren.“

„Überhaupt: Die eigenen Kinder. Was habe ich mich bemüht? Was haben sie an Zeit und Kraft gekostet. Die langen Fahrten an den Wochenende zu den Turnieren - die vielen Gespräche mit den Lehrerinnen und Lehren über die Noten, die nicht besser geworden sind - das endlose Diskutieren, wie lange sie im Internet surfen dürfen - und jetzt gehen sie ihre eigenen Wege und es ist noch nicht ganz klar, ob sie einmal dahin kommen, wo ich sie gerne hingebracht hätte.“

Unsere Rechnungen gehen oft nicht auf: Weil das, was wir in unsere eigene Ausbildung gesteckt haben, in keinem Verhältnis zu dem steht, was dabei heraus gekommen ist. Oder weil die vielen Bemühungen um eine gute Beziehung doch nichts gebracht haben.

In diesem Gleichnis geht es um noch mehr. Nicht nur, dass wir uns darin wiedererkennen können, sondern merken: Auch bei jemand anderem scheint ebenso eine Rechnung nicht aufzugehen. Die des Weinbergsbesitzers. Und damit ist in diesem Gleichnis niemand anderes als Gott gemeint.

Was hat er in seinen großen Weinberg, die Erde, investiert: Dass sie sich entfalten konnte. Dass sie nach vielen Millionen Jahren so geworden ist, dass Menschen darin Nahrung finden und satt werden. Dass diese die Fähigkeit erlangt haben, sie zu erforschen und zu bebauen. Dass sie eine Sprache entwickelt haben, die ihnen hilft, sich nicht nur untereinander zu verständigen, sondern auch ihn, Gott, für all das, was er ihnen gegeben hat, danken und ehren zu können.

Verständlich, dass der Weinbergsbesitzer kommt und sich am Ergebnis mitfreuen und seinen Pachtanteil holen will. Aber diese Rechnung geht gerade nicht auf. Ich lese aus dieser Geschichte auch heraus, dass Gott selbst der Verlierer in seiner eigenen Welt sein kann. Eigentlich müssten die Pächter doch voller Dankbarkeit den Boten das zurückgeben, was der Weinbergsbesitzer investiert hat. Aber stattdessen gibt es Ablehnung statt Liebe. Auch der letzte Versuch seiner Liebe und Barmherzigkeit geht nicht auf. Selbst den eigenen Sohn achten und ehren sie nicht.

Die Passionszeit erinnert uns daran, dass Gott diese Tragödie erlebt hat. Und diese Geschichte hat schon damals den Hörern deutlich vor Augen geführt, dass die Besessenheit nach „Immer-noch-mehr“ nicht nur die eigene Gier kaum befrieden kann, sondern auch Unfrieden und Zorn hinterlässt, der meistens nicht mehr gut gemacht werden kann.

Viele empören sich zu Recht über das, was die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam kürzlich festgestellt hat: Im Jahr 2016 werden ein Prozent der Menschen weltweit werden so viel Vermögen angehäuft haben, wie die restlichen 99 Prozent der Weltbevölkerung zusammen. Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos vor einigen Wochen hat sie diese Zahlen veröffentlicht.

Weil nicht erste seit heute die einen immer mehr für sich herausholen wollen, weil die Rechnungen der Pächter damals wie heute nicht aufgehen und weil viel zu viele auf der Strecke bleiben, stellt Gott eine ganz andere Schlussrechnung auf: Mit einem alten biblischen Bild kündigt er sie an. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“ (V.10).

Der Eckstein ist der Schlussstein im Bau. Er hat die wichtigste Funktion. Er wird beim Bau eines Portals oder einer Kathedrale als letztes oben gesetzt. Es ist der Stein, der alles zusammenhält, der gleichzeitig auch alle Spannungen ausgleicht.

Das Gleichnis sagt: Ein solcher Eckstein ist Jesus für die Welt. Wenn dieser Eckstein nicht mehr da wäre, dann bricht alle Menschlichkeit zusammen, dann holen sich auch in Zeiten von Finanzkrisen die Superreichen immer noch mehr für sich heraus.

Dieser Eckstein sagt auch: Du bist arm dran, wenn du ein gesichertes Auskommen hast, aber immerzu auf mehr aus bist und immer noch nicht zufrieden bist mit dem vielen, was du bereits verdient hast.

Die Pächter in dem Gleichnis sind ja auch arm dran, weil ihre Rechnung nicht aufgeht. An ihrem Geld klebt Blut. Sie müssen damit leben, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden und einen ganz anderen Lohn erhalten.

Weil so viele Rechnungen nicht aufgehen und weil wir uns häufig verkalkulieren, deshalb braucht es diesen einen Eckstein, der uns erinnert: Du hast alles im Leben nur gepachtet. Und auf deiner letzten Reise kannst du ohnehin nichts mitnehmen.

Eine unangenehme Erinnerung. Schon zurzeit Jesu hat sie nicht ins Konzept gepasst. So ein Eckstein stört. Das ist immer schon so gewesen.

Bereits die Propheten im Alten Testament haben gestört. Für manche waren sie allein deshalb unbequem, weil sie die Reichen immer wieder erinnert haben, dass man bei allem Wirtschaften den einen Weinbergsbesitzer nicht vergessen soll. Sonst stimmt so manche Rechnung nicht mehr. Das Ergebnis: Der Prophet Elia fast zu Tode gejagt, Jeremia war auf einmal verschollen, Sacharja wurde umgebracht und Johannes der Täufer hingerichtet. So ist es weiter gegangen bis zu Martin Luther King, dessen eindrückliches Leben gerade im Kino zu sehen ist.

Und „was würde Jesus dazu sagen?"

So hat übrigens immer wieder Pfarrer Martin Niemöller gefragt, dessen Todestag sich in der kommenden Woche zum 31.Mal jährt.

Er ist auch, wie Jesus und die Propheten des Alten Testaments höchst unbequem gewesen, was viele - auch in der Kirche - gestört hat.

Er gründete 1933 in der Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen den Pfarrernotbund, aus dem sich bald die Bekennende Kirche entwickelte. Er war eine Symbolfigur des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Vereinnahmung der Kirche. Als 1937 der Gegensatz zwischen Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche neutralisiert wurde, hat der Staat alle Kirchenleitungsaufgaben in die Hände der sogenannten „Kirchenausschüsse“ gelegt. Die bekennende Kirche zerbricht daraufhin in einen gemäßigten Flügel, der mit den Kirchenausschüssen zusammenarbeitet und in einen kleinen „radikalen“ Flügel“ zu dem auch Martin Niemöller gehört. Er lässt sich nicht unterkriegen. Mit seiner Kritik gegen das Nazi-Regime steht er fast alleine da. Bald darauf kommt er ins Gefängnis. Von 1938-1945 ist er als persönlicher Gefangener Hitlers in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau inhaftiert. Auch nach dem Krieg ist und bleibt er unbequem. Bis zum seinem Tod im Jahre 1984 setzte er sich für weltweite Abrüstung ein und ist vielen Politikern und auch Theologen ein Dorn im Auge.

Seit seinem neunten Lebensjahr ist diese Frage sein Kompass „Was würde Jesus dazu sagen?“ Sein Leben lang hat er sich an dieser einen Frage orientiert, egal in welche Bedrängnis er gekommen ist oder mit welchen Anfeindungen auch immer er kämpfen musste.

Was würde Jesus dazu sagen, wenn wir immer nur darauf aus sind, dass sich alles mindestens 1:1 rechnet?

Vielleicht würde er sagen: Wer in seinem Leben immer nur so auflistet, dass ein Gewinn herauskommen muss, der ist bedauernswert, weil er alles und jeden als eine Ware ansieht, die man dann entäußert, wenn man sie nicht mehr braucht.

Wo immer das Gefühl im Hintergrund mitschwebt, man könnte zuviel investieren, anderen mehr geben, die Mutter öfters im Wohnheim besucht haben als die Geschwister, sich mehr um den Verein gekümmert haben als die anderen im Vorstand, bekommt vor lauter Aufrechnen und Abwägen den Kopf nicht mehr frei für das, was gerade ansteht. Ganz abgesehen davon, dass solche Verpflichtungen, sowohl für die eigene Familie als auch in irgendeinem Ehrenamt, einem selbst viel geben können und das eigene Leben mit frohen Begegnungen erheblich bereichern.

Jesus würde außerdem sagen: Werde bloß kein Erbsenzähler. Solche Menschen sind ungenießbar, weil sie alles aufrechnen. Lass dich nicht verbittern, wenn etwas nicht so aufgeht, wie du es dir vorgestellt hast. Dazu ist das Leben viel zu schade.

Aus dem Gleichnis von dem Weinbergsbesitzer lese ich auch heraus: „Wenn du etwas auflisten willst, dann das, was du alles bekommst, einfach so“.

Aber noch besser: „Lass dich einfach beschenken. Mach dir bewusst, dass Gott eben nicht aufrechnet, nicht genau Buch führt, wo du ihm etwas vorenthalten, ihm nicht mit gleicher Münze zurückgezahlt hast. Du lebst von dem unermesslichen Vertrauen, das er dir entgegenbringt, weil du in seinen Augen einzigartig und wunderbar bist. Und du kannst dich auch noch entwickeln und es anders machen.

Deshalb: Lass dich beschenken mit dem Vertrauen, das Gott dir entgegenbringt. Auch wenn der Evangelist Markus am Schluss des Gleichnisses ankündigt: „Der Herr des Weinbergs hat die Weingärtner doch nicht umgebracht und den Weinberg anderen geben“ (vgl. V.10). Gott ist nicht in die Welt gekommen, damit er mit der gleichen Währung aufrechnet, mit der wir unsere alten Rechnungen begleichen.“

Vertrauen kann man ohnehin nicht aufrechnen und vergleichen. Vertrauen kann man nur geben oder es sein lassen. Gott hat sich für Ersteres entschieden. Und nun schau, wie du dieses Vertrauen von neuem in dir wirken lassen kannst und du im Rahmen deiner Möglichkeiten - aber auch nicht darunter - eine vertrauenswürdige Maßnahme wirst.

Und das Vertrauen Gottes, das umfangreicher und größer ist als alles menschliche Abwägen und Vergleichen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Perikope
01.03.2015
12,1-12

Predigt zu Markus 8,31-38 von Jochen Arnold

Predigt zu Markus 8,31-38 von Jochen Arnold
8,31-38

Wie war das eigentlich damals, liebe Gemeinde? Was hat er im Voraus gewusst? Was hat er vielleicht nur geahnt? Und was hat er mit seinen Freunden geteilt? Was blieb sein Geheimnis?

Der Evangelist Markus bringt Licht ins Dunkel und nimmt uns hinein in die Geschichte Jesu und seiner Jünger. In ihre Höhen und Tiefen. In der Mitte des Evangeliums richtet sich die Kamera des Erzählers exklusiv auf Jesus und Petrus. Die Geschichte spielt  - weit weg vom kulturellen und geistlichen Zentrum Jerusalem - im kleinen Caesarea Philippi, unweit des Golan, fast am Rande der „Zivilisation“. Die Presse ist nicht dabei, keine große Glocke… Und doch fielen gerade große Worte. Du bist der Christus! So outet sich Petrus. Mit Feuer und Flamme bekennt er sich zu Jesus als Messias. Doch dessen Reaktion irritiert. Jesus verbietet seinen Jüngern, anderen Menschen davon weiterzuerzählen. Geheimnis also! Messias-Geheimnis. Und dann?

- Lesung Markus 8,31-38 -

Nach dem Höhepunkt des fulminanten Bekenntnisses nun also ein absoluter Tiefpunkt. Jesus kündigt Dunkles an: sein eigenes Leiden und Sterben, die bevorstehende Auseinandersetzung mit den Mächtigen in Jerusalem, einen langen steinigen Weg. Nicht glorreich, sieghaft, sondern überschattet von Gefahr und Kampf. Darüber kommt es zu einem scharfen Wortwechsel, zum Clinch zwischen Petrus und Jesus. Der Meister schlägt jedenfalls einen ungewohnt scharfen Ton an. Er erinnert uns an seine Vertreibung des Teufels in der Wüste: Hinweg von mir Satan. Darf man so einen Freund ver-teufeln? Doch auch das griechische Wort, das den Einspruch des Petrus beschreibt, zeigt Energie an: Er wehrte dem, ja herrschte den an, den er gerade noch als Messias gepriesen hat. Er fährt ihm so richtig über den Mund.

Damit kommen wir der Sache näher. Petrus zeigt Gefühle. Er wehrt sich. Er will um keinen Preis, dass Jesus leidet. Er möchte den geliebten Freund nicht auf dem Weg des Leidens sehen, zerrieben zwischen den Fronten des politischen und geistlichen Establishments. Er meint es also gut! Fürsorglich! Petrus denkt: Warum soll Jesus sich dem allem aussetzen? Warum soll der Lehrer vom Reich Gottes, der so vielen Menschen geholfen hat, leiden und den Helden oder Märtyrer spielen?

So fragen Menschen bis heute. Warum das Kreuz in unserer Kirche? Was soll dieses Symbol der Brutalität in unserer Religion? Wem hilft es?

Bleiben wir hier einen Moment stehen. Petrus kann dem bevorstehenden Leiden Jesu nichts abgewinnen, weil er keinen Sinn dahinter erkennt, dass sich ein Unschuldiger aufopfert…

Ich muss zugeben, dass auch ich – nach menschlicher Vernunft geurteilt – kritisch aufhorche, wenn Menschen – wohlgemerkt Menschen wie du und ich! – aus Leichtsinn oder Dickköpfigkeit oder sonst etwas in eine Auseinandersetzung hineinstolpern, die nur Unglück und Not verursacht. Ja, ich bin überzeugt: Viele familiären Konflikte, aber auch viele Kriege nah und fern  ließen sich so gesehen vermeiden. Sie sind gleichsam hausgemacht. Und in ihren Folgen einfach nur schrecklich.

Ganz gleich, wo wir hinschauen, ob in die Ukraine oder nach Syrien. Was dort passiert, ist an vielen Stellen die Folge brutaler Machtpolitik oder die Schreckensherrschaft irregeleiteter Extremisten und Fundamentalisten.

Wenn ich heute anstelle Jesu antworten dürfte, dann würde ich sagen: Ja, Petrus, du hast recht, es gibt unendlich viel Leiden, dem wir keinen Sinn abgewinnen können. Und viele Deutungsangebote wie „Leiden als Strafe“ oder „Leiden zur Prüfung“…oder: „Leiden um zu wachsen“ oder gar „um demütig zu werden“… (das sind) alles schwierige Begründungsmuster. Besonders dann, wenn Gewalt von Menschen an anderen Menschen im Spiel ist. Und – noch schlimmer – wenn damit Gewalt im Namen Gottes gerechtfertigt werden soll. Dazu können und dürfen wir nicht Ja sagen.

Aber Jesus öffnet uns mit seiner Sicht der Dinge noch eine andere Perspektive: „Hier geht es zunächst um meinen Weg“, sagt er. „Um meinen Weg nach Jerusalem, den Gott mir weist. Mein Weg ist anders als der des römischen Kaisers (Caearea!)[1] oder seiner Feldherrn. Er ist nicht gesät mit den Leichen der Gefallenen. Es ist der Weg der Gewaltlosigkeit. Und genau dieser Weg ist es, den Gott mit mir – und mit euch! – gehen will. Er ist radikal anders, nicht immer schön, nicht wirklich kalkulierbar und doch wahrhaftig. Denn es ist der Weg der Liebe.“

Jesus wendet den Vorwurf der Sinnlosigkeit des Leidens und sagt: „Wenn ich euch nach Jerusalem vorausgehe, wenn ich die vielen Schicksale der Menschen am Wegesrand  sehe und ihr Leid mit hinauftrage, dann ist das nicht umsonst. Im Gegenteil. Es ist geradezu angesagt, es ist Gottes Plan. Denn ich bin nicht gekommen, um zu herrschen, sondern um zu dienen  und dadurch Leid zu wenden. Der Menschensohn kommt im Auftrag des Höchsten, um den allerniedrigsten Weg zu gehen. Aber hört! Selbst wenn ich sterbe, ist das nicht das Letzte. Ich werde nach drei Tagen auferstehen! So öffne ich euch allen die Tür zu einem neuen Leben, die Tür zu Gott.“

Viele Christen stellen sich am Beginn der Passionszeit 2015 die Frage des Petrus. Was sollte und soll das Leiden Jesu für uns heute bringen? Gibt es einen „Gewinn“ für uns daraus?

Das Evangelium heute, liebe Mitchristen, ist wirklich eine gute Nachricht: Jesus lässt sich durch seinen Freund Petrus nicht abhalten, den Weg ins Leiden zu gehen. Gott ist sich nicht zu schade für diese Welt. Er weicht der Konfrontation nicht aus. Auch kluge menschliche Argumente, schon gar die Angst vor Gewalt können Jesus abhalten. Deshalb glauben wir: Christus ist dabei, wenn in Syrien oder im Irak, in der Ukraine oder bei uns im eigenen Land Menschen leiden und sterben.  Gott teilt Ohnmacht und Schwäche mit uns Menschen. 

Damit ist freilich nicht gesagt, dass Gott Gewalt und Unrecht gut findet! Im Gegenteil. Wir sind gefordert, in seinem Namen dem Unrecht die Stirn zu bieten und uns für den Frieden einzusetzen, wie es in diesen Tagen Angela Merkel und Francois Hollande tun. Ich finde das gut!

Aber dennoch ist das ist nicht alles. Menschen können diese Welt nicht retten. Wie prominent sie auch sind. Jesus geht nach Jerusalem, nicht nur um zu leiden, sondern um uns vom Leiden zu erlösen. Das ist der österliche Schein hinter dem Kreuz und der Gewinn schlechthin: Rettung vom ewigen Tod!  Der Weg den Jesus mit uns geht, reicht bis zum Himmel Gottes, wo unser Leben an sein eigentliches Ziel kommt.

An dieser Frage hängt letztendlich alles. Jesus sagt es unmissverständlich: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele???

Also doch wieder Ver-tröstung? Himmel statt Erde? Nein! Denn in all dem passiert auch etwas mit uns, die wir mit ihm auf dem Weg sind. Jesus deutet das nur an. Aber das, was er andeutet, ist gewaltig. Es ist die totale Umkehrung alter Prinzipien, eine friedliche Revolution im besten Sinne des Wortes. Bei mir, sagt Jesus, zählt nicht durchsetzungsfähig, stark, mächtig, sondern zugewandt, schwach, zerbrechlich. Mein Qualitätshandbuch kennt andere Prinzipien als Einschüchterung und Terror. Ich gehe den Weg der Freiheit und des Friedens, nicht der Angst und Unterdrückung. Folge mir und du wirst völlig unerwartet ein Gewinner, eine Siegerin. Vertraue mir und die Perspektiven drehen sich! Lebensgewinn in meiner Nachfolge heißt: Du erlebst zwar Schmerzen und Konflikte. Du verbrennst vor Liebe für Andere. Aber genau darin, im Verlieren und Hingeben ist Gewinn. Hier findest du das Leben. Darin findest du mich.

In einer Zeit, die von so tiefer Sehnsucht nach echten Gefühlen und wahrhaftiger Beziehung ist, ist der Weg an der Seite des Menschensohnes die einzige Alternative: die Alternative unbeschadet ans letzte Ziel zu kommen und dabei unterwegs „Wunderbares“ mit ihm zu erleben. Auf diesem Weg öffnet sich eine neue Welt, eine Gegen-Welt zur Herrschaft des Kapitals und der Spirale des Terrors. Sie ist geprägt von echter Zuwendung. Sie ist erfüllt und getragen vom göttlichen Ja zu dir und dieser Welt, das sich in der Menschwerdung Jesu zeigt.

Ich möchte mir das heute (morgen) von ihm sagen lassen, liebe Mitchristen. Ich höre ihn anklopfen und rufen: Folge mir nach. Schau weg von dir selbst. Lass los. Gehe den Weg der Liebe an meiner Seite. Du bist nicht allein.  Mit kleinen Schritten geht es mir nach, Schritten, die dich und diese Welt verändern.  Total. Amen.

 


[1] Vgl. dazu auch JD. Döhling, Anfänglich verstehen, Predigtmeditation zu Estomihi in GPM 2015, 144: „Nach Flavius Josephus war Caesarea Philippi in den Jahren 66 und 69 n.bChr – also in großer Nähe zur Abfassung des Evangeliums – Winterquartier Vespasians vor dem Feldzug nach Süden zur Niederschlagung des jüdischen Aufstands und später ein Ort der Triumphfeiern seines Sohnes Titus nach dem mit ungeheurer Brutalität errungenen Sieg… Wo der gewaltsame Macht-Weg zweier Gottkaiser begann, beginnt der Gegen-Weg des Gegen-Königs und Gegen-Gottessohnes.“

 

Perikope
15.02.2015
8,31-38

Messiastest mit Doppelfehler - oder – Gottes Meinungsfreiheit ist der Hammer, der Fundamentalismusfelsen zerschmeißt - Predigt zu Markus 8,31-38 von Markus Kreis

Messiastest mit Doppelfehler - oder – Gottes Meinungsfreiheit ist der Hammer, der Fundamentalismusfelsen zerschmeißt - Predigt zu Markus 8,31-38 von Markus Kreis
8,31-38

Messiastest mit Doppelfehler - oder – Gottes Meinungsfreiheit ist der Hammer, der Fundamentalismusfelsen zerschmeißt.

Liebe Gemeinde,

er hat es uns leicht gemacht. Wir Christen können gut lachen. Gott hat uns in eigener Sache eine Karikatur seiner selbst geliefert. Kein Mensch könnte dazu ein treffenderes Gebilde anfertigen: die Gestalt Jesu, die am Kreuz hängt. Da können die Spitzfederbuben von Charlie Hebdo noch ganz schön was lernen für ihr Geschäft:

Der Allmächtige ganz wehrlos– der Gerechte gedemütigt – der Herrliche abscheulich – der Heilige angeschlagen – der Ewige am Ende desillusioniert.

Und zugleich zeigt uns dieses Gebilde - anders als andere Karikaturen – die  Wahrheit: Gottes täuschungsfreie Meinung, Gottes wahre Wertschätzung, Gottes wahres Tun, nämlich:

Wehrhaftigkeit für Wehrlose – Gerechtigkeit für Gedemütigte - Herrlichkeit für Abscheuliche - Heiligkeit für Angeschlagene – Ewigkeit in Wahrheit für Desillusionierte am Ende...

Von dieser täuschungsfreien, göttlichen Meinungsfreiheit hat Petrus in Jesu Worten profitiert. Als er von seinem Leidensweg erzählte, hat Jesus sich bereits privat vor seinen Jüngern zur Karikatur gemacht. Petrus verspürte beim Hören auf Jesu Worte in sich zunächst nur einen Hauch von Wehrlosigkeit, Demütigung, Abstoßung, Angeschlagen sein, Desillusionierung.

Er kann nicht glauben, was er da hört. Also nimmt er Jesus zum Vier Augen Gespräch beiseite - er will ihn nicht öffentlich blamieren – er will es wissen: Hab´ ich Jesus recht verstanden? Nach der Reaktion und Antwort Jesu hat es mit dem verspürten Hauch ein Ende: Geh weg von mir Satan, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Das hat Petrus bis ins Mark erschüttert. Jetzt hat er sich gewiss nicht nur gehaucht, sondern gänzlich wehrlos, gedemütigt, abgestoßen, angeschlagen und desillusioniert gefühlt. Denn die Zurechtweisung erfolgte von höchster Stelle, durch Jesus, nicht durch irgendeinen nur mehr oder weniger bedeutenden Mitmenschen. Was ist Petrus da widerfahren?

Petrus wollte sich selbst testen, und zwar auf zweierlei hin. Er wollte sein Gehör prüfen. Und falls mit dem Hören alles in Ordnung war, seinen Einfluss auf Jesus, seine persönliche Nähe zu ihm und sein damit ermöglichtes Einwirken.

Jetzt stand er plötzlich da – eben als der Getestete - aber nicht durch sich selbst, nicht im Autodiagnoseverfahren wie beim PC, welcher selbst ein Testprogramm aufruft. Sondern unvermutet getestet durch einen Anderen, durch Gott in Jesus. Und eben mit dessen Attest: Falsch negativ.

Petrus meinte zuvor, er sei alles andere als ein Sünder, er sei kein Widersacher Jesu. Und bekam von Jesus die Meinung gesagt: Weiche hinweg, Widersacher! Satansliebchen und Schlangenbrut statt Gottes Duz- und Seelenfreund.

Falsch negativ, was heißt das? Wenn man Blut spendet, dann ist ein HIV-Test hinter sich zu bringen. Und man erwartet von zwei möglichen Antworten, positiv oder negativ, die eine - negativ nämlich.

Aber bei solchen Tests gibt es eben vier Antwortmöglichkeiten, nicht nur zwei. Und die zwei weiteren neben positiv und negativ lauten falsch positiv und falsch negativ.

Diese zwei weiteren gründen in der Fehlerhaftigkeit allen menschlichen Tuns; auch ausgetüftelte Tests sind da nicht frei von: falsch positiv heißt: ich hab das Leiden laut Test, obwohl ich es in Wahrheit doch nicht habe. Und falsch negativ bedeutet: ich bin laut Test frei davon und leide in Wirklichkeit doch darunter.

Petrus sah sich frei von Widergöttlichkeit und litt in Wirklichkeit doch darunter ohne es zu wissen. Er fühlte sich ganz sicher wehrlos, gedemütigt, abgestoßen, angeschlagen und desillusioniert-vergänglich. Angesichts der Zurechtweisung durch Jesus, dieser niederschmetternden Antwort von allerhöchster Stelle - kein Wunder.

Ein Wunder aber ist, und daran besteht kein Zweifel, folgendes: Petrus gibt trotz des schlechten Attests von allerhöchster Stelle nicht nur die Karikatur eines wehrlosen, gedemütigten, abgestoßenen, angeschlagenen und desillusionierten Fundamentalisten ab. Das Wunder ist, dass er an Gottes wahrem und wirklichem Tun großen Anteil gewonnen hat, dass die Zurechtweisung Jesu ihm neue Möglichkeiten fürs Leben zugewiesen hat, neue Rechte und Ansprüche – natürlich nicht ohne Pflichten: Wehrhaftigkeit für Wehrlose – Gerechtigkeit für Gedemütigte - Herrlichkeit für Abstoßende - Heiligkeit für Angeschlagene - Ewigkeit für Desillusionierte.

Irgendwie muss das mit der Selbstverleugnung und mit dem Kreuz auf sich nehmen also immer wieder geklappt haben. So dass das bisschen von zwischenmenschlicher Seite verabreichte Quantum an Wehrlosigkeit, Demütigung, Abstoßung, Verletzung und Desillusionierung ihm nichts mehr angehabt hat – welch ein Mensch aus ihm doch noch geworden ist:

Märtyrer des Glaubens, Gründungsbischof von Rom und Stuhldesigner, Parteifreund von Paulus, Dauerdiskutierer bei Versammlungen, für seine Überzeugung ins Gefängnis Geher, Entfesselungskünstler, heimlicher Jesusfreund angesichts weiblicher Avancen... an volatiler Gottesbeziehung und Selbstverleugnung in der Bibel nur überboten von David.

Gottes Meinungsfreiheit in Jesus überzeugt sogar felsenfeste Widersacher, zerbröselt ihre Zweifel, kapert ihre kontroverse Kommunikation, stärkt sie zur Selbstverleugnung, befreit sie von blinden Flecken, transformiert ihre Träume, wechselt Weltanschauungen aus, schmiedet neue Pläne.

Dank der Meinungsfreiheit sieht man sich nicht mehr als Gottes Hausfreund und geht mit der eigenen Nähe zu ihm hausieren. Dann verdreht man nicht mehr die Verhältnisse und vermeint, Gott die eigene Meinung einflüstern zu können. Sondern man bittet und betet darum, dass Gott einem etwas flüstern möge, dass Gott einem seine Meinung geige in ewiger Wahrheit.

Dann glaubt man, dass Gott in Jesu Weg zum Kreuz das Leiden nicht auslassen konnte. Will und muss er doch das Leiden überwinden in seiner liebenden Allmacht. Dann versteht man, dass Gottes Kommen mit Macht in Ohnmacht anheben muss. Alles andere hieße nämlich Böses mit Bösem vergelten und nicht mit Liebe. Dann weiß man, dass Macht echte Ohnmacht erleiden muss, um wahre Abhilfe daraus zu wissen und zu geben: durch liebendes Dienen nämlich.

Wenn Jesus sich den menschlichen Machtinstanzen ausliefert - hier der Anhänglichkeit des Petrus - dann ist der Begriff von Macht nicht mehr der alte, sondern neu definiert. Verkehrt sind dann die bislang geltenden Mächte und die wahre Macht zeigt sich durch diese Umkehrung ins Gegenteil: sich zu befähigen - das heißt liebendes Dienen.          

Im Dienen ist wahre Macht duldsam gegenüber eigenem Leiden und unduldsam gegenüber dem Leiden der Mitwelt. Mit fremdem Leid geduldig und mit eigenem ungeduldig zu sein, das ist das Unvermögen unbeugsamer Macht, wie wir sie oft spontan anbeten und erbeten, wie sie manchmal in unseren Köpfen und Körpern herum spukt.

Wer meint, unter der Meinungsfreiheit habe das Christentum ansonsten nur  gelitten - sei sie hier von Gott in Jesus sozusagen ausnahmsweise in Anspruch genommenen – wer das meint, der irrt und täuscht sich:

Der christliche Glaube hat in echter Nachfolge von Meinungsfreiheit profitiert, ja selbst ursprünglichen Gebrauch davon gemacht.

Stellen doch die Reformation und der Protestantismus eine wirkungsvoll ausgedrückte Meinungsfreiheit in theologischen und religiösen Fragen dar. Und in den Fragen, die das Leben in Gottes Schöpfung den Menschen stellt. Ursprünglich christliche Mindermeinung blieb sie nicht reiner Geist, sondern wurde Fleisch und nahm Gestalt an bis heute in evangelischen Kirchenorganisationen überall auf der Welt.

Das wird gerne vergessen. Evangelischer Glaube beruht ursprünglich auf Meinungsfreiheit. Worin mag dieser Gedächtnisverlust gründen? Vielleicht darin: Die evangelische Kirche gab ziemlich schnell der Meinungsfreiheit feindlichen staatlichen Gebilden ihren Segen. Entweder war der weltliche Fürstenstaat quasi unangreifbar wie bei Luther. Oder man machte wie Calvin in Genf gleich selber Staat: eine ausgewachsene Theokratie, die der des heutigen Irans nicht ganz unähnlich gewesen ist.

Aber auch das hinderte nicht die irrtumslose Meinungsfreiheit Gottes in Jesu, ihr gutes Werk zu tun. Es entstanden alsbald neue evangelische Kirchen, die mit den Formen der staatstragenden Kirche nicht einverstanden waren: in Deutschland zum Beispiel die Mennoniten und Hutterer, in Großbritannien die independant oder dissenting churches. Diese Christen, die wegen ihrer Meinungsfreiheit im Glauben allerlei Einschränkungen in Kauf nahmen, hatten maßgeblich Anteil an der Gründung und Gestaltung der Vereinigten Staaten von Amerika getragen.

Ein weiterer Meilenstein des segensreichen Tuns der Meinungsfreiheit Gottes in Jesus stellt das Barmer Bekenntnis dar. Hier wehrten sich einige evangelische Christen erfolgreich gegen die Deutschen Christen der Nazizeit und gegen deren Glaubensirrtümer und Illusionen.   

Gut für die, welche sich getäuscht haben und falsch positiven oder falsch negativen Meinungen aufgesessen sind über Gott oder die Welt: Wir Christen dürfen und müssen angesichts Gottes illusionsloser Meinungsfreiheit zuweilen ein schlechtes, falsches Bild abgeben. Wir dürfen und müssen manchmal wie weiland Petrus Karikaturen für andere sein.

Wir wissen nämlich: Das Bild korrigiert sich. Gleichen und folgen wir doch gerade darin Gottes schönem und herrlichem Ebenbild, ja werden selbst dazu. Da macht Satire doch nichts aus, im Gegenteil. Vielleicht entdecken wir darin eigene blinde Flecken und unvermutete Fehler. Und so können wir in Jesu Nachfolge deren bösen Folgen entgehen. Amen.

Perikope
15.02.2015
8,31-38

Predigt zu Markus 8,31-38 von Hans-Hermann Jantzen

Predigt zu Markus 8,31-38 von Hans-Hermann Jantzen
8,31-38

31       Und Jesus fing an, seine Jünger zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.
32       Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.
33       Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du redest nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34       Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
35       Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.
36       Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?
37       Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38       Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vatersmit den heiligen Engeln.

 

Liebe Gemeinde,

hier geht es offenbar ans Eingemachte. Zwei ziemlich beste Freunde geraten aneinander, Jesus und Petrus. Eben noch hatte Petrus Jesu Frage: „Was meint ihr denn, wer ich bin?“ vollmundig mit „Du bist der Christus!“ beantwortet. Jetzt fährt derselbe Petrus seinem Christus heftig in die Parade. „Und er nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren…“ Das hat Luther zu zahm übersetzt. Das griechische Verb, das Markus hier benutzt (epitiman), kommt sonst im Rahmen von Dämonenaustrei-bungen vor. Richtiger müsste es also heißen: „Er herrschte ihn an“, oder: „Er beschwor ihn“. „Was fällt dir ein, so etwas zu sagen? Bist du denn von Sinnen?“

Und Jesus? Er reagiert nicht minder heftig. Markus wählt dasselbe Verb, und diesmal trifft Luther es besser: „Er bedrohte ihn.“ Wenn es um Dämonen geht, gibt es kein Drum-herum-reden“, kein Wischi-waschi. Da hilft nur ein kräftiges, klares Wort. „Und er bedrohte Petrus und sprach: Weg von mir, Satan!“

Zwei ziemlich beste Freunde geraten aneinander. Was ist passiert? Nachdem die Jünger Jesus gerade mit ihrem Bekenntnis: „Du bist der Christus!“ ihr Vertrauen ausgesprochen haben, hat er ihnen so offen wie nie zuvor sein Herz ausgeschüttet. Was würde aus ihm werden, wenn sie jetzt nach Jerusalem hinauf gingen? Ihm ist klar, dass der Konflikt mit seinen Gegnern auf eine Entscheidung zutreibt. Zu oft schon haben sie versucht, ihm eine Falle zu stellen, ihn  zu packen. Sie haben ihm nie verziehen, dass er in allem, was er gepredigt und getan hat, das Recht Gottes in dieser Welt und seine bedingungslose Liebe zu den Menschen geltend gemacht hat. Damit hatte er ihre eigenen Ambitionen  nach Ansehen und Macht durchkreuzt.

Soll er trotzdem gehen? Hinauf nach Jerusalem? Es würde böse enden für ihn. Oder soll er sich verstecken, auf günstigere Zeiten warten? Aber was wäre seine Sendung dann noch wert? Jesus ist hin und her gerissen. Er sieht sich selbst als Menschen-sohn, eine Bezeichnung, die zu jener apokalyptisch aufgeladenen Zeit vor allem als himmlischer Weltenrichter verstanden wurde, wie der Prophet Daniel ihn beschreibt. Jesus versteht sich eher als Menschenkind, dem nichts Menschliches fremd ist. Und so ergänzt er das Bild: „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden und getötet werden…“ Hoheit und Niedrigkeit verbinden sich in ihm auf einzigartige Weise.

Petrus, der Sprecher der Jünger, kann das nicht ertragen. Sein Christus darf nicht leiden und sterben. Er darf nicht zu den Verlierern gehören. Dazu hat er, Petrus, nicht Haus und Hof verlassen.  Dazu ist er nicht all die Jahre mit ihm durch Galiläa gezogen. Und so herrscht er Jesus an, als sei der besessen. - Er wird es noch mühsam lernen, dass er „seinen“ Christus erst verlieren muss, damit der „Christus für ihn“, der rettende Christus erhalten bleibt.

„Weg von mir, Satan!“ Für einen Augenblick verliert der Menschensohn die Fassung. Auf die Analogie zur Dämonenaustreibung habe ich schon hingewiesen. Die Vokabel „Satan“, die Markus sonst nur für den Versucher, den Gegenspieler Gottes verwendet, macht überdeutlich: Jesus empfindet den Einspruch des Petrus als dämonische Versuchung, als totale Infragestellung seiner Gottesbeziehung. Ein menschlicher Jesus. Ein wahrer Menschensohn.

Wo stecken wir in dieser Auseinandersetzung? Der Predigtabschnitt ist ein Spiegel der Anfechtungen und Zweifel der ersten Gemeinde. Und darüber hinaus der christlichen Gemeinde aller Zeiten. Petrus, der Sprecher der Jünger, ist zugleich Sprecher der ganzen Christenheit. Muss das sein mit dem Leiden und Sterben des Messias? Was ist denn das für ein Gott, der seinen Gesandten so hängen lässt! Fragen und Einwände, die uns nicht fremd sind. Oder haben Sie schon einmal einem muslimischen Nachbarn oder Arbeitskollegen erklärt, was der Jesus am Kreuz für uns bedeutet? Da kommt man schnell ins Stottern. Paulus hatte Recht: das Wort vom Kreuz ist eine Torheit. Bis heute.

Ich schaue in den Spiegel, den Markus uns vorhält, und entdecke viele Fragen, die uns heute umtreiben. Dabei lasse ich mich von der Geografie anregen. Markus verortet die kleine Szene „auf dem Wege“, in der Gegend von Caesarea Philippi. Hier beginnt er also, der Weg „hinauf nach Jerusalem“, der Weg ans Kreuz. Caesarea Philippi gehört zu Galiläa, der nördlichsten Provinz Israels. Jerusalem ist weg weit. In Galiläa sind die Jünger zu Hause. Hier ist ihre Heimat. Hier kennen sie sich aus. Hier hat Jesus sie in seine Nachfolge gerufen. In Galiläa schlägt gewissermaßen das Herz der Jesusbewegung. Kein Wunder, dass den Jüngern der Hinweis Jesu, er müsse unter den Jerusalemer Autoritäten leiden, quer im Hals stecken bleibt. Wer lässt sich schon gern von „denen da oben“ fremdbestimmen?

Ich denke an die Zehntausende von Menschen, die seit Monaten auf die Straße gehen und hinter PEGIDA-, LEGIDA- oder HAGIDA-Plakaten herlaufen. Sicher, es sind viele darunter, die ihr nationalistisches Süppchen auf diesem Feuer kochen. Aber viele sind auch – berechtigt oder unberechtigt - getrieben von der Angst, fremdbestimmt zu werden; von der Angst, die sicher geglaubte Heimat, den vertrauten Orientierungsrahmen zu verlieren.

Galiläa, das ist zugleich Grenzland. Hier mischen sich Juden und Heiden, Einheimische und Fremde. Während die Landbevölkerung überwiegend jüdisch ist, sind die Städte längst multireligiös. Tiberias, Sephoris: Multi-Kulti-Metropolen, die ins Umland ausstrahlen und die jüdische Identität in Frage stellen. Und wieder sehe ich die ängstlichen Gesichter der Menschen von heute im Spiegel, die nicht mehr genau wissen, wer sie eigentlich sind; die sich ihrer Identität nicht mehr sicher sind.

Schließlich: Caesarea Philippi hat es zu trauriger politischer Berühmtheit gebracht.  Hier hatte der römische Kaiser Vespasian in den Jahren 66-69 n.Chr. sein Winterquartier. Von hier aus startete der Rachefeldzug der Römer gegen Jerusalem, wo Vespasian und sein Sohn Titus im Jahre 70 den jüdischen Aufstand mit äußerster Brutalität niederschlugen. Titus erwählte Caesarea Philippi zum Ort seiner Triumphfeiern. Das alles hat Markus vor Augen, als er in eben diesen Jahren sein Evangelium verfasst. Und genau da, wo der gewaltsame Macht-Weg zweier Gott-Kaiser begann, lässt er den Gegen-Weg eines Gegen-Königs beginnen, den Weg des leidenden Menschensohns, der auf die Liebe statt auf Gewalt setzt.

Ist es vermessen, eine Parallele zu den selbst ernannten Gotteskriegern unserer Zeit zu ziehen, zum sogenannten Islamischen Staat? Wir leiden alle am Triumph der Täter, an der Macht der Unmenschen, und verzweifeln an der Ohnmacht der Liebe und der Menschlichkeit. Kann denn keiner dem Irrsinn Einhalt gebieten? - Ich verstehe den Petrus, wenn er seinen Christus anfährt; wenn er sich seine Hoffnungen und Träume nicht einfach so zerschlagen lassen will.

Liebe Gemeinde, bislang habe ich mich nur mit den ersten drei Versen unseres Predigtabschnitts befasst. Und Sie mögen sich fragen: gibt es denn nur Fragen, Zweifel und Verunsicherung? Oder steckt nicht doch auch Evangelium darin? Bietet der Text nicht auch Antworten, Orientierung? Ja, Gott sei Dank, das tut er, und ich finde sie in der zweiten Hälfte. Ich weiß nicht, ob es Ihnen vorhin beim Vorlesen aufgefallen ist: der Predigttext besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wendet sich Jesus an die Jünger. In der zweiten Hälfte weitet sich plötzlich der Horizont. Jesus spricht das Volk an. „Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach…“ Und dann folgt eine Kurzfassung christlicher Glaubens- und Lebensweisheiten. „Wer mir nachfolgen will, der … nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen …, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?“

Dreierlei fällt mir auf:

1. Der menschliche Widerspruch führt nicht zum Bruch mit Jesus, sondern in eine tiefere Gemeinschaft. Jesus jagt den Petrus nicht zum Teufel, sondern ruft ihn erneut in seine Nachfolge. „Hinter mich, mir nach!“ Im Griechischen ist das dieselbe Vokabel wie bei der ersten Berufung. Jesus will den Menschen, der an ihm zweifelt, ganz nah bei sich behalten. Ich finde das unglaublich tröstlich. Ich brauche mich nicht zu schämen, wenn ich mit dem Kreuzesweg Jesu nicht klar komme. Wenn ich an seinem Leiden und dem Leiden der Welt verzweifle und dagegen aufbegehre. Ich brauche keine Angst zu haben, ausgeschlossen, rausgeschmissen zu werden. Ich darf weiter mit Jesus gehen. Ich darf in Gottes Nähe bleiben.

2. „Wer mir nachfolgen will…“ Oder: Mir nach! Der christliche Glaube ist nichts für Zuschauer. Man muss sich schon mit Jesus auf den Weg machen. Und das kann auch Mit-leiden bedeuten. Niemand von uns wird das Leiden bewusst suchen. Das wäre ein grobes Missverständnis. Jesus ist kein Sadist. Aber wenn uns unser Glaubensweg ins Leiden führt – was ja für viele Christen in anderen Ländern bittere Realität ist -, dann dürfen wir uns der Nähe Gottes gewiss sein. Der leidende Menschensohn ist ganz an unserer Seite. Und seine Nachfolge führt uns an die Seite der leidenden, verzweifelten Menschen. Ich kann nur hoffen und bitten, dass ich, wenn es darauf ankommt,  den nötigen Mut und die Kraft dazu habe und meinen Glauben nicht verleugne.

3. „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne…“  Ein großartiger Satz. Und was für eine kraftvolle Sprache! Ich werde auf meinem Glaubensweg unmissverständlich darauf gestoßen, was wirklich zählt im Leben. Alle Jagd nach Reichtum, alles Streben nach Macht und Glanz ist nichts, wenn die Seele Schaden nimmt. Wenn meine Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen gestört ist. Wenn ich in meinem Innersten nicht eins bin mit mir selber.

„Was hülfe es dem Menschen…“ Ein Satz, der befreit. Und der entschleunigt. Ich muss nicht überall der Erste sein. Ich muss nicht überall mithalten wollen. Ich kann auch mal innehalten. Ich kann etwas für meine Seele, für mein inneres Gleichgewicht tun. Ich kann abgeben – und dabei reicher werden. Ich kann für andere da sein – und Freude gewinnen für mein Leben.

Der Glaubensweg der Nachfolge Jesu: er mutet uns viel zu, aber er schenkt auch viel. Leben, das seinen Namen verdient.

Amen.

Perikope
15.02.2015
8,31-38

Predigt zu Markus 8,31-38 von Maximilian Heßlein

Predigt zu Markus 8,31-38 von Maximilian Heßlein
8,31-38

31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.
32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.
33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.
36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?
37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Liebe Gemeinde,

genießen Sie das bunte Narrentreiben auf den Straßen, in den Räumen und vor allem in den Köpfen dieser Welt? Gehören Sie zu den Menschen, die sich an den Übertragungen aus Köln, Mainz oder Düsseldorf oder wo auch immer der Karneval und die Fasnacht gerade so stark sind, laben? Sind Sie von dieser Zeit im Moment so richtig ergriffen und reisen zu den Umzügen und in die Hochburgen? Oder gehören Sie eher zu der anderen Sorte, die innerlich oder sogar äußerlich auf der Flucht vor der massiven Präsenz der Narren ist. Ich kenne in der Tat Menschen, die fliehen mehr oder weniger ernsthaft in andere Städte vor dem Karneval, obwohl es ja hier in der Kurpfalz wahrlich gesittet zugeht.

Ich selbst bin eigentlich ein ordentlicher Fasnachtsskeptiker. Das ist nicht mein Fest. Da bin ich von Herkunft und Naturell einfach anders geprägt. Die roten Nasen finde ich eher albern, von bunten Haaren hätte ich selbst nicht besonders viel, die Verkleidungen sind nicht mein Ding. Ich bin gerne ich selbst in den eigenen Kleidern, in denen ich mich wohlfühle.

Draußen auf den Straßen, auf den Plätzen und den Wegen aber steuert das sogenannte närrische Treiben seinem Höhepunkt zu. Die Diskussionen um die Gestaltung der Karnevalswagen ist abgeschlossen. In diesem Jahr sind ja tatsächlich auch die Gefahren gewägt worden, die man mit dem einen oder anderen Motiv eingehen würde.

Im Alemannischen aber ist nun also der erste große Höhepunkt mit dem Donnerstag schon geschafft, in Mannheim ist heute Nachmittag der Umzug, in den Karnevalshochburgen am Rhein wird es morgen soweit sein und am Dienstag schießen sich auch die Heidelberger an.

Dann wird es wieder stiller im Land. Es wird Aschermittwoch. Es wird Passion. Es beginnt der schmerzhafte Weg Jesu ans Kreuz. Wir gedenken seiner und bereiten uns damit auf das große Fest der Ostern vor.

Diese Zeit im Januar und Februar eines Jahres aber, die kommt mir doch immer ein wenig aufgesetzt und gezwungen komisch vor, bevor es dann ernst wird. Das mag vielleicht an meinen Vorurteilen über diese Zeit liegen.

Denn: Wenn ich diese Zeit richtig betrachte und auch meine eigene Entwicklung vor Augen nehme, dann erlebe ich sie dieses Jahr und das von Jahr zu Jahr mehr ein wenig anders. Ich stelle an mir selbst erstaunt fest: Die Skepsis über diese Zeit weicht allmählich.

Ich glaube, das hat folgenden Hintergrund. Der liegt vor allem in den letzten beiden Wochen begründet. Neulich las ich nämlich einen sehr netten Eintrag bei Facebook: „Ich habe da so etwas Helles am Himmel gesehen und habe mich richtig erschrocken und dann waren da auch noch so blaue Fetzen! Was soll das?“

An diesem launigen Eintrag habe ich bei mir festgestellt, vielleicht geht es Ihnen ebenso: Allmählich reicht es mir mit dem Winter. Ich will den nicht mehr haben und sehen. Ich mag kein grau in grau mehr. Ich mag keine Kälte mehr, die so nach und nach von den Füßen kriechend den ganzen Körper erreicht und letztlich auch die Hände zu Eiszapfen werden lässt.

Ja, wenn es jetzt Ende November oder Dezember wäre, dann wäre ich froh und glücklich mit den einzelnen Schneeflocken. Dann würde ich meine Kinder gerne schnappen und draußen mit Schneebällen werfen und mich freuen an den weißen Dingen dieses Lebens. Aber so geht das gerade nicht.

Vielmehr lastet das Grau des Stadtwinters schwer auf mir wie ein Todesschleier, der sich über mein Leben legt. Das macht sich breit in der Seele und sie droht ernsthaft Schaden zu nehmen. Schauen Sie sich einfach einmal auf der Straße um, fragen Sie Ihre Freunde und Bekannten. Sie werden viele finden, ich bin sicher, die zurzeit mit den dunklen Wintergedanken zu tun haben.

Ich fühle mich dem Simon Petrus sehr verbunden in dieser Zeit, wenn der sich so vehement gegen das wehrt, was Jesus ihm da offenbart. Petrus nämlich fürchtet sehr um seinen Freund und Begleiter. Er fürchtet um seinen Christus. Er fürchtet um die Nähe Gottes in seinem Leben.

Deswegen nimmt er Jesus beiseite. Ich kann mir diese Szene so richtig vorstellen. Petrus hört, was der Herr sagt. Da nimmt er ihn am Arm, zieht ihn ein wenig aus der Menge hinweg und redet in leisem Flüsterton auf ihn ein. Er sucht das private Zwiegespräch. So, wie ich das tue, wenn ich jemandem widersprechen will oder muss und ihn dabei aber nicht öffentlich beschädigen und bloßstellen will. Dann suche ich den geschützten Raum.

Und wie das so oft ist bei Petrus, und wie das so oft ist bei uns Menschen, wie das so oft ist bei mir. Petrus meint es gut. Und er macht es falsch. So jedenfalls deute ich die harsche Reaktion Jesu auf das Ansinnen des Jüngers. „Geh weg von mir, Satan!“, spricht er.

Können Sie sich vorstellen, wie das den Petrus getroffen haben muss? Ich spüre genau, wie es ihm zugleich heiß und kalt wird. Wie die Beine anfangen zu wackeln, die Knie weich werden und ihm die Röte ins Gesicht schießt.

Mein armer Petrus, mein armer Bruder im Glauben, mein armer Bruder im Kämpfen mit Gott und dem Leben: Jetzt kommt zu dem Schreck über den bevorstehenden Leidensweg auch noch der Bruch mit Jesus dazu. Wahrscheinlich fühlt er sich unendlich bloß und nackt. Das wissen Sie, liebe Gemeinde, das ist die Scham, die ihm hier begegnet.

Ich habe lange gerätselt, Ihr Lieben, warum Christus so direkt und so scharf auf Petrus reagiert. Hätte er nicht auch in Freundlichkeit und Güte dem Petrus widersprechen können? Hätte er ihn nicht einfach im Stillen ein Wort gesagt und alles wäre gut gewesen? Jesus tut genau das nicht.

Wissen Sie, woher das kommt?

Petrus begegnet dem Tod in der Ankündigung Jesu. Er tut das, weil der Tod sich in unserem Leben immer und immer wieder seinen Platz nimmt. Ob wir das zulassen oder nicht. Er bläst und bläht sich auf, ohne dass wir noch an ihm vorbeischauen können. Und er macht einsam. Durch und durch.

Das kennen Sie, wenn Sie ihm selbst schon einmal begegnet sind im Familien- oder Freundeskreis. Da bekommt er eine unglaubliche Macht und Präsenz, und wir erleben, wie wenig wir ihm entgehen, wie wenig wir ihm entgegenhalten. Das Schöne und  das Bunte dieses Lebens scheinen zuerst einmal zu entschwinden.

So auch Petrus. Er hört nur das Leiden. Er hört nicht die Auferstehung. Das aber ist ja nun einfach das, was ihn mit Ihnen und mit mir verbindet. So ist die Todesbegegnung.

Da aber hilft nur eines. Und genau deswegen reagiert Christus so hart. Es hilft nur das Miteinander, die Überwindung der Einsamkeit und die Stärkung der Gemeinschaft, untereinander und mit Gott.

In seinem Erschrecken über die Ankündigung Jesu aber durchbricht Petrus diese Gemeinschaft. Er versucht sich außerhalb des Kreises der Jünger zu stellen, nimmt Jesus für sich allein, stellt sich selbst über die Dinge und nimmt sich damit die Basis, mit den kommenden Geschehnissen, mit Sterben und Tod umzugehen. Er sucht allein seinen Weg mit Gott.

Darin aber, Ihr Lieben, darin sind wir verloren. Diesen Weg gibt es nicht. Ich kann mir die Botschaften Gottes nicht selbst zusprechen. Ich kann mir nicht selbst vergeben. Ich kann nicht vor mir selbst bekennen, was ich falsch mache. Ich kann dem Tod nicht allein ins Gesicht schauen und zugleich das Lebenswort hören.

Ich brauche vielmehr ein starkes, korrigierendes Gegenüber. Ich brauche jemanden, der oder die mir zuhört, mich auf meinen Wegen begleitet, mir in der Kälte des Winters und in der immer wieder einziehenden inneren Kälte mit Wärme begegnet, so wie es in manchen Wohnungen warm ist vor Herzlichkeit, Weisheit und Liebe. Das kennen Sie solche Abbilder der Wohnungen Gottes!

Jesus Christus durchbricht diesen einsamen Weg des Lebens. Er nimmt die Jünger in dieses Geschehen mit hinein und stößt den Petrus auf diejenigen, die ihn auf dem Weg durch das Leid und in das Licht begleiten werden.

Das nämlich hat Petrus in seinem ersten Hören nicht mitbekommen, sonst hätte er den Herrn nicht gegriffen. Am Ende des Weges Jesu steht nicht der Tod. Sondern da steht das Leben. Rein und klar. Hell und weit. Wohlriechend und duftend. Bunt und in Ewigkeit in Gottes Hand geborgen. Das ist die Zukunft, Ihr Lieben, der wir entgegengehen. Das ist Jesu Weg für uns hinauf nach Jerusalem, hinauf ans Kreuz, hinunter in den Tod, um dann mit Kraft wieder zu kommen.

Liebe Gemeinde, in der Schwere, die unser Leben manches Mal für uns bereit hält, gibt es ganz einfache Möglichkeiten, die schönen Seiten des Lebens zu entdecken und festzuhalten. In allem Grau dieser Zeit sind leuchtend gelbe Perücken gut anzuschauen. Die roten Nasen schimmern von weit her durch Schnee und Matsch. So, Ihr Lieben, leuchtet uns auch die Auferstehung entgegen. Dieses Leuchten aber kann ich nur erkennen, wenn jemand anders es trägt, weil ich selbst dazu nicht in der Lage bin. Auf meiner Nase leuchtet es nicht.

Wissen Sie, was mich unglaublich tröstet und meine Seele heilt. Jesus Christus weiß von diesem harten Weg durch Leid und Trauer, durch Sterben und Tod. Er weiß, wie das ist, diesen Weg alleine gehen zu müssen. Er geht ihn selbst und wird mir darin der Gott meiner Gegenwart, der sich in meinem Leben wirklich auskennt.

Ich mag ihm gerne nachfolgen. Kommen Sie mit, gehen wir in Gemeinschaft mit ihm hinauf nach Jerusalem durch die Passion, durch das Kreuz zur Auferstehung und bleiben wir durch Glaube, Hoffnung und Liebe in seiner Gegenwart geborgen und behütet. Amen.

 

Lied zur Predigt

EG 384: Lasset uns mit Jesus ziehen

EG 566 (Baden): Seele, mach dich eilig auf

Perikope
15.02.2015
8,31-38

Predigt zu Markus 4,3-8.13-20 von Werner Grimm

Predigt zu Markus 4,3-8.13-20 von Werner Grimm
4,3-8.13-20

(Vorbemerkung: Die Perikopenordnung empfiehlt Lk 8,4-15 als Text, über den zu predigen sei. Es liegt aber in Mk 4,3-8.13-20 eine nicht nur aller Wahrscheinlichkeit nach ältere, sondern auch prägnantere, „lebendigere“ und noch nicht von dogmatischen Begriffen wie „glauben“ und „retten“ übermalte Fassung des Gleichnisses vom „viererlei Acker“ vor, die ich vorziehe.)

Liebe Gemeinde!

Nach einer Meinungsumfrage erachten es 68 Prozent der Leute als den Sinn des Lebens, glücklich zu werden. Wahrscheinlich müsste man da weiterfragen, was sie wohl unter „glücklich“ verstehen?

Was ist der Sinn des Lebens? Eine Frage, die wir über weite Strecken  wegschieben, weil sie im Wege ist, wenn wir, vollbeschäftigt, alle Hände voll zu tun und wenig Zeit zum Nachdenken haben. Doch spätestens in den so genannten „Sinnkrisen“, wenn wir in unserem Trieb und Trott jäh unterbrochen werden, kehrt die Frage wie ein Bumerang  zurück. Sie schreit dann förmlich nach einer Antwort, und zwar nach einer sehr persönlichen: was ist meines Lebens Sinn?

Als diesen hatte ich, ich erinnere mich, in einer bestimmten Phase meiner Jugend bestimmt: „Du sollst deinen Nächsten lieben!“, und zu den Nächsten zählte ich, auf meinen Religionslehrer hörend, noch die Fremdesten und die Fernsten. Ich gab mein Taschengeld für Brot für die Welt; als es beim Schulaufsatz das Thema zu wählen gab, widmete ich mich dem Schillerschen: „Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt!“; und nach Erledigung der Schulaufgaben besuchte ich einen alten, kranken Mann im Nachbarhaus. Denn durfte ich z.B. in meiner Dunkelkammer lustvoll papierne Bilder hervorbringen, solange in meiner Nähe ein ans Bett gebundener Mensch Einsamkeit litt und in Afrika täglich Hunderte verhungerten? Im Nachhinein zweifle ich, ob ich damals mein Bestes, wie ich meinte, gegeben habe. Muss wohl ein ziemlich freudloser Zeitgenosse gewesen sein; im Elternhaus war zu der Zeit nicht gut Kirschen mit mir essen.

Viele Jahre später – ich war mit meiner Familie ins Pfarrhaus und (ein freilich verkürzter) C.G. Jung war in viele Köpfe eingezogen – da habe ich die extrem entgegengesetzte Sinn-Suche kennengelernt, mitten in der damaligen Gemeinde. Auch diese Leute beriefen sich auf Jesu Gebot der Nächstenliebe: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“, so tönte es, und so betonten sie: Erst einmal musst du dich selbst lieben und erst einmal für die Befriedigung deiner Bedürfnisse sorgen. Denn Selbstverwirklichung ist der Sinn des Daseins, was sonst! Und die Nabelschau wurde zum Tanz um dieses Goldene Kalb „Selbst“. Das Spieglein an der Wand gaben die Betreffenden nie aus der Hand. Eine richtige Psychotherapeutin wolle sie noch werden, wenn das Kind erst einmal aus dem Haus sei, erzählte mir die Frau ihren Traum. Was lag näher, als sie zum Mittun im Besuchsdienst der Gemeinde einzuladen. Sie aber antwortete: „Was jetzt bei mir dran ist, das ist aus meiner Sicht, dass ich jetzt erst nach mir selbst sehen muss.“ Das musste sie dann sieben magere Jahre – mit Hilfe eines Psychotherapeuten, der zur wöchentlichen Droge wurde.

Sinnsuche – ich habe extreme Ausprägungen einerseits der egoistischen, andererseits der altruistischen Art geschildert, und Sie konnten heraushören, dass ich wohl beide Modelle nicht für der Weisheit letzten Schluss halte. Bietet das Evangelium Jesu ein besseres?

Jesus zeigt uns auf unsere Frage nach dem Sinn ein Bild, ein Sinn-Bild aus der bäuerlichen Welt Galiläas, ein Bild aus der Schöpfung – es ist: die Frucht: An ihren Früchten soll ihr sie erkennen. Jeder gute Baum bringt gute Frucht.“ (Mt 7,16f) Und den Weingärtner lässt Jesus sagen: „Herr, lass ihn (den Feigenbaum) noch dieses Jahr, ich will den Boden um ihn aufgraben und düngen; vielleicht bringt er doch noch Frucht.“ (Lk 13,8f)

Gleich verstehen wir: Früchte kann man nicht einfach „machen“. Frucht wächst, erwächst in einem organischen Prozess, der die Geduld des Gärtners braucht. In einem Prozess, in dem das Beste, das Je-Eigene, das tief in den Wurzeln angelegte Wesen zur Reife und zum Tragen kommen soll. Dabei muss, gerade auch der „Kindergärtnerin“[1] und dem Lehrer,  klar sein, dass ein Apfelbaum keine Pfirsiche bringen kann. „Schmecken“ aber sollen die Früchte, etliche Menschen sollen sich vom Besten der betreffenden Pflanze nähren können und sollen so etwas wie Genuss haben beim Verzehr. Egoismus und Altruismus, Selbstfindung und Achtsamkeit für den anderen sind im Bild Jesu von der Frucht jedenfalls miteinander versöhnt und keine Gegen-Sätze mehr.

Nun erzählt Jesus – im heutigen Predigttext ein Gleichnis, um diesen Sinn des Lebens, dass es und wie es Frucht bringe, zu erläutern. Dabei setzt Jesus voraus, dass es das Wort Gottes ist, das dem Menschen zu einem sinnerfüllten Leben verhilft. Hören wir das Gleichnis, besser: schauen wir uns die Folge seiner Bilder an und fügen jeweils gleich die Deutungsimpulse hinzu, die uns das Evangelium selbst an die Hand gibt[2]:

Hört zu! Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen. Und es begab sich, indem er säte, dass einiges auf den Weg fiel; da kamen die Vögel und fraßen’ s auf. (4,3)

Und Jesus erklärt: Das aber sind die auf dem Wege: wenn das Wort gesät wird und sie es gehört haben, kommt sogleich der Satan und nimmt das Wort weg, das in sie gesät war. (4,15)

Martin Luther hat einmal gesagt, dass das Wort Gottes auf seinem Weg durch die Welt einem armen Windlicht gliche, das der Teufel um jeden Preis ausblasen möchte. Ihn, die Macht des Bösen, sieht Jesus am Werk, wo das Wort Gottes wirkungslos verpufft, wo es auf keine Empfänglichkeit seitens eines Menschen trifft. Wo das Wort Gottes, sei es die Sprache der Schöpfung, seien es die Worte der Propheten, sei es das Evangelium Jesu – wo das Wort Gottes einfach nur abgleitet, abprallt an kaltem Menschenherz, da treibt eine unheimliche, undurchschaubare Macht ihr Spiel. Eine Macht, die wir weder durch ethische oder missionarische Appelle besiegen noch durch psychologische Analysen auch nur verstehen können. Sie sind einfach eine Realität – die steinharten, religiös nicht ansprechbaren Herzen.

Einiges fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging alsbald auf, weil es keine tiefe Erde hatte. Als nun die Sonne hochstieg, verbrannte es, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es. (4,5f)

(Und Jesus erklärt): So auch die, bei denen auf felsigen Boden gesät ist: wenn sie das Wort gehört haben, nehmen sie es sogleich mit Freuden auf, aber sie haben keine Wurzel in sich, sondern sind wetterwendisch (oder: sind Augenblicksmenschen); wenn sich Bedrängnis oder Verfolgung um des Wortes willen erhebt, so fallen sie sogleich ab (oder: um). (4,16f)

Zu Jesu Zeiten waren es jene Charaktere, die mit seiner Sache wohl geliebäugelt hatten. Aber dann hatten sie rasch wieder Abstand genommen, als sie das erfuhren, was die Bibel „Verfolgung“ nennt, was

wir heute mit Begriffen wie  religiöse Intoleranz, Mobbing, Ausgrenzung umschreiben. Was aber auch bedeutete: die Feindseligkeit Andersgläubiger und den Druck der römischen Obrigkeit zu spüren. Mehr noch: die Verweigerung des Ave Caesar konnte das Leben kosten. Wenn’s schwer oder auch nur mühsam wird, knicken sie ein oder laufen sie davon, scheint Jesus traurig festzustellen.

Beziehen wir Jesu Worte jetzt unwillkürlich auf verfolgte christliche Gemeinden in Syrien und im Irak und weiteren asiatischen und afrikanischen Ländern? Ich will mir die Anmaßung eines solchen Gedankens nicht erlauben. Ich glaube, dass unser Herr diesen unseren tapferen Schwestern und Brüdern etwas anderes ins Herz gibt: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! … Ich bin bei euch!“ Geflohen sind sie ja nicht aus ihrem Glauben, sondern aus unsäglichem Leiden und Todesschrecken. Uns, die wir eine Heimat haben – wird Jesus uns in der letzten Klärung aller Dinge einmal sagen: „Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen“? Das ist hier die Frage.

Die Frage, die Jesus mit dem Gleichnis vom „viererlei Acker“ an uns stellt, trifft mich so: Wie fest sind sie denn verwurzelt – unsere christlichen Glaubensüberzeugungen? So wir sie denn haben – wie schnell geben wir sie doch oft preis, wo sie auf die vermeintlichen Sachzwänge prallen! Wie schnell ergeben wir uns in die Verhältnisse, wie sie nun mal sind! Wie passen wir uns in aller Regel an  das, was und wie es die anderen tun! Die Wetterwendischen, die Augenblicksmenschen, die Jesus ins Visier nimmt – über die Zeiten sind das die Opportunisten ohne Rückgrat, die Oberflächlichen, deren Begeisterung wie Strohfeuer ist. Sie haben keinen festen Stand und keine Beständigkeit. Sie sind es, die  beim ersten Widerstand den Bettel hinschmeißen, die Stelle kündigen, die Scheidung wollen.

Und einiges fiel unter die Dornen, und die Dornen wuchsen empor und erstickten ’s, und es brachte keine Frucht. (4,7)

(Und Jesus erklärt): Und andere sind die, bei denen unter die Dornen gesät ist: die hören das Wort, und die Sorgen der Welt und der betrügerische Reichtum und die Gier nach allem anderen dringen ein und ersticken das Wort, und es bleibt ohne Frucht. (4,18f)

So aktuell ist Jesus: Diese Wörter reichen, ohne dass wir sie nochmals übersetzen müssen, direkt in unsere Welt. Sich in der Welt behaupten zu müssen und womöglich ein Plätzchen an der Sonne ergattern zu wollen, absorbiert die Kräfte oft völlig. Um sich ja in der Erfolgspur zu halten, um in Machtpositionen und ans Geld zu kommen, verlieren viele Menschen aus den Augen, was sie in tieferem Sinn glücklich und zufrieden machen würde. Da ersticken dann handwerkliche,  künstlerische und musische Fähigkeiten, die Kräfte der Liebe und des Mitfühlens – sie alle könnten wir aus uns selber schöpfen, denn sie liegen in unserer Tiefe, und für ihre „Umsetzung“ braucht es wenig Geld. Horchen wir tief in uns hinein – sie weinen, wollen „heraus“, wollen gelebt werden. Und genau diese Bedürfnisse setzt Gottes Wort ins Recht, bestärkt sie, ermutigt sie.

Verfallen Menschen dagegen der Gier nach materiellem Reichtum,  so schwindet das Gespür für die soziale Gerechtigkeit, für die Bedürfnisse der Armen. Auch der Drang nach permanent zu steigerndem Sex und der Hang, so viel als möglich „Freuden“ aus der Spaß-Gesellschaft für sich herauszupressen[3], lässt die Ehrfurcht vor dem Schöpfer und dem Leben der anderen sterben.

Wenn wir auf Teufel komm raus immer nur Spaß haben wollen und wenn dieser Spaß dann immer noch größer und grober werden muss, um noch Spaß zu machen, dann verlieren wir eine bestimmte Feinfühligkeit. Eine Feinfühligkeit, die Freude und Glück aus den scheinbar kleinen Geschichten des Lebens zöge, welche die Liebe schreibt. Uns schrumpft dann jene Achtsamkeit für das Leben der anderen, von der heute mit Recht viel gesprochen wird.

Und einiges fiel auf gutes Land, ging auf und wuchs und brachte Frucht, und einiges trug dreißigfach und einiges sechzigfach und einiges hundertfach. (4,8)

(Und Jesus erklärt:) Diese aber sind’s, bei denen auf guten Boden gesät ist: die hören das Wort und nehmen ’s an und bringen Frucht, einige dreißigfach und einige sechzigfach und einige hundertfach. (4,20) 

Samenkörner wurden gefressen, zarte Pflänzlein verdorrten, erstickten – und doch – Jesus schließt optimistisch mit dem Blick auf die vielen Menschen, bei denen das Wort Gottes auf fruchtbaren Boden fällt. Er schließt mit der Freude über die Sensiblen und Empfänglichen, bei denen seine Botschaft und seine Lehre im besten Sinn gefruchtet haben. Deren Leben dank dem Wort Gottes ein mit Sinn erfülltes Leben ist. Jesus schätzt ihre Standhaftigkeit, in der sie dran bleiben, ihre Beharrlichkeit, in der sie es mit Glaube, Liebe und Hoffnung versuchen. So wird Frucht. Überschwänglich klingt es: Frucht dreißigfach, sechzigfach, hundertfach!

Aber um es uns nun nicht zu einfach zu machen: Gerade die Freude an der großen Zahl, die Begeisterung über die hohe Quantität einer Lebensernte kann auch verdrießlich stimmen. So merkt der immer wieder gern gehörte Theologe Fulbert Steffensky an: „Eine entmutigende Aussicht für den kleinen Menschen, wenn nur solche Erträge gelten!“ Und wendet sich mit einer fein seelsorgerlichen Ausführung jenem Gärtner in einem anderen Gleichnis Jesu zu, der mit großer Geduld sich um den Feigenbaum bemüht:

„Gib ihm eine Chance! Ich will ihn düngen, vielleicht bringt er doch noch Frucht. Es ist das hoffende Vielleicht der Liebe. Sie ist geduldig und mit der Axt nicht so schnell dabei … Je älter man wird und wenn man weiß, wie bescheiden die Früchte des eigenen Lebens sind, umso mehr dürstet man nach der Fürsprache des geduldigen Gärtners. Man braucht den Gärtnergott, der die Geduld und seine Sanftmut nicht verliert. Man kommt mit dem Früchte suchenden Herrengott nicht aus.“

Und damit kommen wir zu Jesus zurück und seiner Rolle im Plan Gottes mit uns! Jesus ist ja nicht nur der, der das Wort Gottes ausgesät hat in die Welt und der es, wenn wir wollen, immer wieder aussät. Er ist doch wohl auch der Gärtner in dem anderen Gleichnis. Er tritt bei Gott für den ‚Feigenbaum‘ ein, für Sie und für mich, er bittet den Schöpfer des Lebens um Geduld, dass Zeit Er uns lasse. Und er begleitet unser Wachstum zur Frucht hin, hilft uns bei fälligen Entwicklungsschritten – nicht zuletzt durch seine Bilder und Gleichnisse, dem Leben abgelauscht und zielführend.

So betrachtet, ist leise Vorfreude auf die Ernte dem Christenmenschen dann doch wohl möglich!

Amen.

 

[1] Schade, dass diese Berufsbezeichnung heute nicht mehr in aller Munde ist.

[2] Übersetzung des Textes aus Mk 4: LÜ mit wenigen kleinen Abänderungen.

[3]  „Viel Spaß beim Genießen“, ruft mir die Verkäuferin im Selbstbedienungs-Cafe nach, als ich meine Tasse Kaffee zum Tischchen trage.

 

 

Perikope
08.02.2015
4,3-8.13-20

"Heimat in Christus" - ZDF-Predigt zu Markus 10, 46-52

"Heimat in Christus" - ZDF-Predigt zu Markus 10, 46-52
10, 46-52

Bibeltext: Die Heilung eines Blinden bei Jericho (Markus 10, 46-52)

Und sie kamen nach Jericho. Und als er aus Jericho wegging, er und seine Jünger und eine große Menge, da saß ein blinder Bettler am Wege, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Und als er hörte, dass es Jesus von Nazareth war, fing er an, zu schreien und zu sagen: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und viele fuhren ihn an, er solle stillschweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und Jesus blieb stehen und sprach: Ruft ihn her! Und sie riefen den Blinden und sprachen zu ihm: Sei getrost, steh auf! Er ruft dich! Da warf er seinen Mantel von sich, sprang auf und kam zu Jesus. Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Der Blinde sprach zu ihm: Rabbuni, dass ich sehend werde. Jesus aber sprach zu ihm: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege.

Liebe Gemeinde!

Von Portugiesen lernen, heißt: Sich erinnern lernen. Etwa durch den Fado, diese schmerzlich-süße Musik. Beim ersten Hören klingt jedes Lied nostalgisch. Wie ein Ausflug in die Zeit, als die Liebe noch jung, die Taschen noch voll und die Sonne viel goldener war.

Warum singen die Portugiesen diese melancholischen Lieder so gern? Vielleicht, weil sie damit ihre schönen Erinnerungen in die Gegenwart holen. Wir Menschen blühen ja auf, wenn wir von früher reden dürfen!

Aber: Erinnerung kann auch das zementieren, was schon längst überholt ist: Weltbilder, Vorurteile, Stereotypen. Vor 75 Jahren begann der 2. Weltkrieg, vor 100 Jahren der erste – es war die Zeit des aufkommenden Nationalismus und die Zeit der Klischees. Von Menschen in anderen Ländern wurde oft nur im Singular gesprochen. Der Opa einer Freundin redet immer noch  so: "Der Italiener" schreit, "der Grieche" ist faul,  "der Russe" ist ein Rüpel. In wie vielen Köpfen – in wie vielen Zeitungen, gerade jetzt in der Ukrainekrise – tummeln sich solche Gedanken bis heute!  Und flüstern dazu: "Aber wir, wir sind anders, wir sind besser …."

Hier in unserer Auslandsgemeinde ist den meisten dieses Denken fremd.  Denn viele leben in deutsch-portugiesischen Familien. Manche schon seit mehreren Generationen. Sie sind selbst halbe Portugiesen geworden. Essen Bacalhao, also Stockfisch und schmücken ihre Häuser mit Azulejos, den typisch portugiesischen Kacheln. Ihnen ist es weniger wichtig, ob am man Deutscher oder Portugiese ist – da geht es um die Gestaltung des ganz normalen Alltags.

Auch für die Studenten, die für ein Jahr nach Lissabon kommen und hier viele Freundschaften schließen, ist nicht die Nationalität eines Menschen entscheidend, sondern ob er sympathisch ist und ob man zusammen Spaß hat.

Statement von Andreas Müller

Genau! Mein Sohn Hans ist hier in Portugal aufgewachsen und lebt zurzeit in England. Er hätte sich genauso gut für Deutschland, Polen oder ein anderes Land entschieden haben können. Er lebt eher als Europäer, wie viele junge Menschen heute.

Früher war das anders: Ich bin zur Zeit des 'Kalten Krieges' groß geworden, da herrschte noch tiefes Misstrauen. Ich erinnere mich noch an die Landkarten in unseren Geschichtsbüchern. Was östlich der BRD lag und auch die ehemaligen deutschen Gebiete waren weiß, einfach leer… Als ob da keine Menschen leben würden. Ich kann mich auch noch an dieses Gefühl erinnern, mich im Ausland lieber nicht als Deutscher zu erkennen zu geben.

Da spielte sich im Hinterkopf die ganze deutsche Vergangenheit mit ab. Darum verstehe ich auch nicht, wie manche  Christen in Europa rechtsradikalen Parteien oder Bewegungen folgen können. So nach dem Motto: Als erstes kommt mein Dorf, meine Region, mein Land! Was wird werden aus der großartigen Idee von der Europäischen Gemeinschaft? 

Pfarrerin Anke Stalling

Ja, was wird aus Europa? Darüber wird heute entschieden. Auch von den mehr als 400 Millionen Christinnen und Christen, die in allen europäischen Ländern leben und viele Werte miteinander teilen. Folgen wir unserer Fadosängerin, dann lohnt es sich, dass wir Christen  auf die Suche nach unseren Wurzeln und Werten begeben. Denn Erinnern trägt uns in die Zukunft, so haben wir es eben sinngemäß gehört. Was also hält uns Christen in Europa zusammen? Welches sind unsere Werte?

Wir haben eben von Bartimäus gehört – die Geschichte erzählt uns von den Grundlagen unseres Miteinanders. Da sitzt dieser blinde Bettler am Straßenrand. Als Jesus vorbeikommt, ergreift er lautstark seine Chance. Er spürt, dass er ihm helfen kann. Die Jünger reagieren so, wie wir Menschen eben reagieren, wenn jemand laut wird. Wir mögen nicht, wenn jemand schreit. Er soll sich bitte zusammenreißen und wenn überhaupt, sein Anliegen in einer angemessenen Art und Weise vorbringen. Mach hier nicht so ein Theater! Die Welt dreht sich schließlich nicht nur um Dich!

Aber für Bartimäus ist sein Geschrei kein Theater, es ist bittere Wahrheit. Jesus merkt das - und er lässt sich stören. Er beobachtet aber auch die anderen, die Bartimäus abweisen. Sie sollen ihn aus ihrem toten Winkel holen. In dem Moment  geschieht das Wunder: Als Bartimäus von anderen Menschen wahrgenommen wird, erwachsen  ihm scheinbar ungeahnte Kräfte. Er springt auf, wirft seinen Mantel weg und steht vor Jesus. Sein Schreien und Rufen hat geholfen, sein Sehnen und Hoffen auf ein neues Leben erfüllt sich. Er wird gesehen und kann wieder sehen – dank Jesus.

Genaugenommen hat Jesus damals alle gemeinsam geheilt: Bartimäus von Krankheit und Einsamkeit, die Umstehenden von ihrem kalten Herzen. Sie alle erfahren, dass in einer lebendigen Gemeinschaft schwache und starke Menschen gleichermaßen ihren Platz haben.

Der Apostel Paulus hat dafür  das Bild von dem einen Leib Christi geprägt. So stellte er sich die  Kirche vor: Als lebendige Gemeinschaft, in der sich jeder Einzelne als Teil eines großen Ganzen versteht. In diesen Leib Christi werden wir als Kinder Gottes hineingetauft. Das ist großartig. Denn so gehöre ich nicht nur zur Familie Stalling. Ich bin nicht nur Deutsche oder Norddeutsche – oder gehöre zu meinem Chor, weil ich gerne singe. Ich bin auch Mitglied in der großen Gemeinschaft der getauften Menschen. Diese Gemeinschaft wird von Gott begründet. Ohne Schlagbaum oder Grenzzaun. Und ich gehöre dazu – egal wo ich wohne.

Diese große Verbundenheit erlebe ich oft, wenn Menschen hier in Lissabon zum ersten Mal in unsere Gemeinde kommen und sich hier sofort zu Hause fühlen. Sie beten mit uns und singen mit uns und verspüren so in der Fremde ein Gefühl von Heimat. Umgekehrt geht es uns genauso, wenn wir gemeinsam  das Vater unser auf deutsch, portugiesisch oder auf englisch beten: niemals sonst spüre ich eine so große Zusammengehörigkeit unter uns Christen. Und ich erlebe: Wir sind tatsächlich eine Gemeinschaft, eine, die nicht wir selbst machen, sondern eine, die Gott schenkt.

So ist es für den Apostel Paulus nur folgerichtig, zu sagen: Wenn in einer Gemeinschaft ein Mitglied leidet, leiden andere mit. Wenn es einem schlecht geht, kann es den anderen nicht gut gehen. Das  erleben wir im Kleinen in unserer Gemeinde in Lissabon. Wenn jemand im Krankenhaus operiert wurde, und  – wie es hier üblich ist – schon nach zwei Tagen wieder entlassen wird, überlegen wir, wie wir die Betreuung und Pflege untereinander regeln können.

Wenn ein Mitglied leidet, dann leiden alle mit. Das gilt im Kleinen und im Großen. Darum geht uns als  Christen  auch unsere große Völkergemeinschaft Europa etwas an. Es besorgt uns, wenn Europas kostbarer Frieden gefährdet ist und Menschen umgebracht werden, weil sie nicht dem "richtigen" Volk angehören oder die "richtige" Meinung haben. Es beunruhigt uns, wenn Menschen oder ganze Länder aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden sollen, weil sie angeblich wirtschaftlich nicht mithalten können und den Reichtum anderer gefährden. Es verletzt auch uns, wenn andere als faul oder arbeitsscheu oder noch schlimmer bezeichnet werden, nur weil es so den bekannten Vorurteilen und Klischees entspricht. In solchen Situationen sollte Bartimäus uns zum Vorbild werden, der Ungerechtigkeit und Not laut heraus geschrien hat.

Wer durch Christus verbunden ist, findet Heimat und kann Heimat geben. Wer durch Christus verbunden ist, spürt Mitleid und kann sich für andere stark machen. Wer durch Christus verbunden ist, erlebt, wie sich Welten öffnen. In unsere Gemeinde ist es uns wichtig, dass wir das auch ganz praktisch erleben. Unter Erwachsenen und Kindern.

Statement Lucas Kimelmann

Ich bin Lucas und ich bin gerne in unserer Gemeinde.  Bei uns im Pfarrgarten spielen wir oft Fußball. Ich durfte schon mitmachen, als ich noch klein war und nie das Tor getroffen habe. Wenn wir spielen, geht es in der Sprache ständig hin und her. Meine Eltern haben mir Portugiesisch und Deutsch beigebracht. In der Schule lerne ich Englisch und Französisch. Ich fühle mich als Portugiese, ein bisschen als Brasilianer und auch ein bisschen als Österreicher. Die Sprachen helfen mir sehr. Ich finde es toll, wenn ich mit Austauschschülern aus Spanien reden kann, oder zum Beispiel im Flugzeug mit einem Sitznachbarn auf Englisch. Mit verschiedenen Sprachen kann man sich viel besser kennenlernen und verstehen.

Pfarrerin Anke Stalling

Portugiesen sind Meister der Erinnerung. In ihren Liedern üben Sie den Blick zurück nach vorn. Denn in der Erinnerung steckt immer auch die Sehnsucht nach einer anderen, besseren Welt hier und jetzt. Im  Europa der vielen Sprachen und Nationen kann diese Sehnsucht Wirklichkeit werden. Wenn wir Grenzen abbauen statt aufrichten und uns unbedingt dem Frieden verpflichten. Denn Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Wir Christen können dazu beitragen, wenn wir uns an unsere eigenen Werte erinnern.

Und an den, der sie vorgelebt hat: Für Jesus war es nicht wichtig, woher ein Mensch kommt. Zu seinen Anhängern gehörten Reiche und Arme, Menschen aus unterschiedlichen Nationen. Manche von ihnen hatten hohes Ansehen, andere lebten wie Bartimäus am Straßenrand. Als er ihn heilte, holte er ihn vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zurück. Für Bartimäus ging an diesem Tag zum ersten Mal die Sonne auf. Und ein wenig bestimmt auch für die anderen, die neben ihm standen.

Seine Geschichte soll uns heute daran erinnern, wo wir zuhause sind: In der Kirche Jesu Christi. Hier ist es nicht wichtig, woher wir kommen, oder welche Sprache wir sprechen, ob wir viel haben oder wenig. Hier zählt allein, dass wir einander und Gott nicht aus den Augen verlieren.

Amen

 

Perikope
25.05.2014
10, 46-52

ZDF-Predigt von Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler

ZDF-Predigt von Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler
2,23-27

Predigt zu Invocavit (09.03.2014) von Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler "Ohne falsche Gewissheiten"

Predigttext: Markus 2,23-27

Liebe Gemeinde,

wow! Was für ein Bibelwort! „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“. Sagt Jesus und es klingt so, als hätte er es den dämlichen Pharisäern mal wieder richtig gezeigt.  Diesen Spaßbremsen, die den Jüngern übelnehmen, dass sie ein paar Ähren abbrechen und die Körner essen. Aber so ist es nicht. Es ist auch keine ätsch-bätsch-Erzählung, in der lebensfrohe Spontis es dumpfen Spießern mal richtig geben.

Das wäre viel zu einfach – und einfach, einfach macht es Jesus einem nie. Nein, das Bibelwort vom Ährenraufen am Sabbat atmet den Geist der Aufklärung. Aufklärung ist ja eigentlich die Zeit im 18. Jahrhundert, in der man sich bemühte, durch neues Wissen alte Unklarheiten zu beseitigen – und falsche Gewissheiten zu hinterfragen. Man wollte gerne eigenständig seinen Verstand benutzen, ohne sich ständig von anderen bevormunden zu lassen.

Deshalb lautet die aufklärerische Maxime: „Sapere aude!“ Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Gute Idee – ganz im Sinne Jesu, der Menschen lehrt, ihr Herz zu befragen, auf ihren Bauch zu hören und das Hirn einzusetzen. Gott hat uns das alles gegeben, damit wir rechten Gebrauch davon machen. Da ist also der Sabbat, an dem man Ruhe finden kann, um sich selber, Gott und Mensch mit ausreichend Zeit zu begegnen. Alle Tätigkeiten sollen unterbleiben. Sehr vernünftig!

Wir setzen uns schließlich auch europaweit dafür ein, dass der Sonntag geheiligt wird – und er nicht zu einem Werktag verkommt, an dem ganz normal gearbeitet wird und sämtliche Geschäfte offen haben. Es ist eine einsichtige und lebensdienliche Tradition, den Sabbat und den Sonntag hochzuhalten. Warum also streifen die Jünger mit Jesus fidel durch die Gegend und rupfen Ähren aus? Haben sie Hunger und futtern die zerriebenen Körner.

Da hätten sie doch zuhause ordentlich frühstücken können. Oder sind sie so glücklich, beim Gottessohn zu sein und mit ihm durch die Lande ziehen zu können, dass sie aus Jux und Dollerei in den Weizen greifen? Egal. Die Pharisäer sind verärgert. Entweder man achtet den Sabbat oder man zeigt, dass einem nichts an Gottes Gebot liegt. Entweder man hält sich an die vorgegebene Ordnung oder ist ein religiöser Anarchist. Entweder oder, kein laxes laissez-faire.

Ich gestehe, mir ist das nicht unsympathisch.

Klarheit, Sicherheit ist etwas Großartiges. Da weiß ich, was gespielt wird – ich kann mich daran halten und bin mir schnell im Klaren, was ich und vor allem, was andere richtig oder falsch machen. Die Pharisäer, die wir gerne mal als Pedanten und Kleinkrämer abkanzeln, haben also erst einmal Recht. Der Sabbat, das steht in der Heiligen Schrift, ist von Gott selbst eingesetzt – zum Wohl des Menschen. Man muss darauf schauen, dass dieser gute alte Wert nicht einfach flöten geht.

Die Schriftgelehrten weisen Jesus konsequent darauf hin, dass seine Jünger etwas tun, was nicht erlaubt ist. Ob Hunger oder Lust am Leben – wurscht. Sie meinen es jedenfalls ernst. Und Jesus? Der ist doch auch geradlinig, konsequent, ernsthaft. Bei ihm geht es immer um Leben und um den Tod. Eben. Deswegen geht er gar nicht darauf ein, warum seine Jünger im Weizenfeld gewildert haben. Er wird grundsätzlich. Jesus stößt eine alte Sicherheit um – damit neue Gewissheit einkehrt:

Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht umgekehrt.

Gott hat sich den Feiertag liebevoll für uns ausgedacht, damit es einen festen Tag gibt, an dem wir einmal nicht fremdbestimmt sind. Ein Tag, an dem uns einmal nicht die alltäglichen Zwänge und Zwecke beherrschen. Bierernst und stocksteif  irgendwelche Regeln befolgen? Nein, keinesfalls. Es geht um nichts weniger als unsere Freiheit!
Darum, dass wir bei aller sonstigen Last und Plage wieder aufschnaufen, atmen können.

Jesus will, dass Jüngern und Pharisäern klar wird: Der Sabbat, jüdisch als Ende der Woche verstanden, der Sonntag, christlich gesehen der erste Tag der Woche, sind ein himmlisches Geschenk. Sie machen dem Menschen klar, wer er ist – einer, der ein Recht darauf hat, seine Fähigkeiten in der Arbeit auszuleben. Und der das Menschenrecht besitzt, zu ruhen und zu feiern – wie Gott selbst. Der essen und trinken, vergnügt, nachdenklich, heiter und ernst sein darf nach eigenem Gutdünken.

Der Sabbat, der Sonntag sind Gaben Gottes nicht zum beliebigen, gleichgültigen Gebrauch. Sie sind die wunderbare Chance, einen festen freien Tag bewusst, aufgeklärt und lebensbejahend für sich zu nutzen. Wie – dafür  mag es vielleicht sinnige Tipps geben, aber es braucht kein Rezept, keine Bastelanleitung. Kein „du musst“, „du sollst“. Bei einem Geschenk wie dem Sabbat, dem Sonntag, kann man nicht mit einem fixen Regelwerk zu Werke gehen.  

Jesus sagt: "Ich lebe und ihr sollt auch leben" (Joh 14,19). Das atmet den Duft der Freiheit, der eigenen Entscheidung und Gestaltung. Darum geht es bei der diesjährigen Fastenaktion: Falsche Gewissheiten zu verabschieden, selber zu denken. Denn das macht nicht nur schlau. Selber denken und erfahren schafft Leben.

Zum Beispiel: Früher in der Schule haben Handarbeitslehrerinnen regelmäßig meine Werke vor allen anderen aufgetrennt. "Du Ungeschick" sagten sie höhnisch. Jahrelang habe ich an dieser Gewissheit festgehalten: Ich bin ein rechtes Trampel.

Bis einer kam, der holte mich ins Werken, ließ mich krumm und schief töpfern und sagte: "Warum müssen Teller immer rund und Tassen plan sein? Mach wie du denkst – das ist richtig toll!" Und ich fasste Mut, genierte mich nicht länger. Weg mit der falschen Gewissheit, eine kreative Null zu sein. Solche unhinterfragten Urteile engen ein, nehmen einem jede Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln. Ich bin längst kein handwerkliches Genie, aber ich traue mir Überraschungen zu.

Da hat jemand seinen Beruf, ein gutes Einkommen. Das wird so bleiben, denkt er. Auf einmal gerät das Weltbild ins Wanken: Die Firma macht pleite, der Job ist futsch. Haus, Wohnung müssen abgezahlt werden. Die Ausbildung der Kinder kostet Geld. So jemand braucht anstelle der zerbrochenen Sicherheit neue Gewissheit. Er braucht Menschen, die ihn schätzen, ob er Arbeit hat oder nicht. Die seine Familie unterstützen – mit Wort und Tat. Er braucht andere, die ihm neue Perspektiven geben. 

Jahrelang haben viele sich in der falschen Gewissheit gewiegt: Meine Geldanlagen sind sicher. Hohe Renditen sind selbstverständlich.

Irgendwann mussten sie feststellen, dass dem nicht so ist - und sich selber eingestehen, dass sie falschen Versprechungen geglaubt und sich selber nicht näher mit dem Finanzmarkt befasst haben. Selber denken ist natürlich mühsam, anstrengend. Aber wer sich selber aufklärt, wer Informationen sammelt und vergleicht, der wird nicht ganz so leicht betrogen. 

Diese Kirche hier heißt Martin Luther King-Kirche. Der schwarze Prediger und Bürgerrechtler hatte den Mut, falsche Gewissheiten umzustürzen und seinen eigenen Traum zu verkünden: Black and white together! Schwarz und Weiß gleichberechtigt: Im Bus, im Restaurant, in der Schule, am Arbeitsplatz – das ist ein menschenwürdiges Ergebnis davon, dass aufgeklärte Menschen falschen Gewissheiten entschlossen den Laufpass gegeben haben.
Deswegen, weil sie wie der Namenspatron dieser Kirche der göttlichen Aufforderung zum Leben und Lieben seiner Ebenbilder mit dem Kopf verstanden, im Herzen gefühlt  und in die Tat umgesetzt haben. Der Sabbat ist für den Menschen da – dieses ganze Leben ist für uns und unsere Mitmenschen da. Es ist Dynamik, Wachstum, Wandel, Wechsel, Veränderung – wir  dürfen es gestalten, uns hineinwerfen. Spüren, wie sehr Gott es will, dass wir nicht starr, nicht tot, sondern lebendig sind.

Zugleich muss man wissen: Wer falsche Gewissheiten aufgibt, wer mit Traditionen bricht, weil sie einengen, am inneren und am gesellschaftlichen Wachstum hindern, der verunsichert andere. Was, diese ungeschickte Frau will Blumenkästen in die Wand dübeln? Das schafft die nie! Wieso stellt er auf einmal so viele Fragen? Ich bin hier der Fachmann, ich allein weiß, wo´s lang geht. Was jetzt – Du willst am Sonntag ausspannen? Du hast doch da sonst immer gewaschen und gebügelt!

Wer sich einer Sache gewiss ist, der fühlt sich sicher. Solche Sicherheit  gibt Halt – und das ist gut so. Zugleich dürfen wir überprüfen, ob das berechtigt ist, was wir tun oder lassen. Ergibt es einen Sinn? Engt eine Gewissheit uns ein oder lässt sie uns wachsen, gedeihen an Leib und Seele? Diese Fragen sind übrigens auch ein gutes Kriterium, um Glauben zu überprüfen. Setzt diese Art Glaube mich unter Druck, unterwirft er mich? Oder macht mein Glaube frei und lebendig, lässt er mich Mensch sein? 

"Morgenglanz der Ewigkeit" haben wir vorhin gesungen. Eine feine kleine Idee der Gemeinde hier, für spirituelle Gourmets sozusagen. Denn Aufklärung heißt auf englisch "Enlightment", Erleuchtung. Und auf französisch "Les lumières" – Lichter. Morgenglanz der Ewigkeit: Gott bringt uns mit Jesus Erleuchtung, Aufklärung über unser Leben und Sterben. Er macht Schluss mit falschen Sicherheiten und schenkt uns neue Gewissheit:

Dass wir seine geliebten Söhne und Töchter sind, um jeden Tag zu leben. Besonders am Sabbat, am Sonntag.

Amen.

Perikope
09.03.2014
2,23-27

Weiterleben in einem leeren Haus - Predigt zu Markus 13,31-37 von Thomas Volk

Weiterleben in einem leeren Haus - Predigt zu Markus 13,31-37 von Thomas Volk
13,31-37

Weiterleben in einem leeren Haus

Liebe Gemeinde!

"Wenn ich nach dem Einkaufen heimkomme, komme mir vor, als gehe ich in ein leeres Haus."

So sprach neulich jemand, dessen Frau vor einem halben Jahr gestorben ist. Fast vierzig Jahre haben sie zusammengelebt, sich das kleine Häuschen abgespart, den Garten mit vielen Blumen angelegt und die Zimmer innen behaglich eingerichtet.

Eines Tages hat es diese schlimme Diagnose gegeben. Ein Hammerschlag. Dann ist es ganz rasch gegangen. Viel zu schnell. Und als er hilflos mit den vielen anderen an dem offenen Grab steht, kann er noch gar nicht erahnen, wie sich alles verändern wird.

Das Haus ist jetzt so leer. Auch wenn die Möbel immer noch am gleichen Platz stehen und an der Garderobe alles noch so hängt, ist es anders geworden. Der Platz auf der anderen Seite des Küchentischs ist und bleibt leer. Die Stimme, die ihm so vertraut gewesen ist, hört er nicht mehr. Die ihm gewohnten Geräusche aus dem Nebenzimmer bleiben aus. Und der Gang und das Treppenhaus erscheinen unendlich dunkel und lang, die Räume kalt und leer.

"Himmel und Erde werden vergehen", so beschreibt es das Schriftwort am Anfang drastisch. Nichts ist für die Ewigkeit bestimmt. Alles geht einmal vorbei. Und meistens viel zu rasch.

Man braucht diese Redewendung nicht einmal wörtlich zu nehmen. Denn schon ein einziger Abschied für immer kann schon so etwas wie ein Weltuntergang sein. Mit einem Mal verändert sich alles. Was Halt und Sicherheit gegeben hat, bricht mit einem Mal weg. Auch wenn man es nicht wahrhaben möchte, ein völlig neues, ein ganz anderes Kapitel der Lebensgeschichte wird geschrieben - eines, das man sich nicht ausgesucht hat und bei dem man es sich nicht vorstellen kann, jemals gerne darin zu lesen.

Wie kann man in einem leeren Haus wohnen? Wie sich zurechtfinden? Wie alleine weiterleben?

Denn alle Leere kann man ja nicht so beheben, wie man ein Auto zur Reparatur bringt und es dann wieder läuft. Und dabei wird ja gerade das von uns verlangt: Wir müssen schnell wieder funktionieren: Am Arbeitsplatz die gewünschte Leistung bringen. Der Familie nicht schon wieder was vorheulen. Die Finanzen rasch regeln. Möglichst schnell an den Punkt kommen, wo man wieder nur nach vorne schaut und alles, was gewesen ist, abhakt.

Viele von uns mussten sich in diesem zu Ende gehenden Kirchenjahr in einem solchen leeren Haus neu zurechtfinden.

Und andere haben in diesen trüben Novembertagen vielleicht von neuem das Gefühl, dass man sich in den eigenen vier Wänden nicht wohlfühlt, weil es wieder kalt und leer geworden ist, ganz gleich, was auch immer die Ursache gewesen sein mag.

Das heutige Schriftwort spricht auch von einem leeren Haus. Es erzählt von einem Hausherrn, der eine längere Reise antritt und die Mitbewohner des Hauses alleine zurücklässt. Keiner weiß, wann er wiederkommt - ob in wenigen Tagen, in ein paar Monaten oder nach vielen Jahren - ob am Morgen, am Abend, oder gar in der Nacht, wenn alle schlafen. Die Hausbewohner wissen nur eines: Sie haben eine bestimmte Arbeit zugewiesen bekommen, die sie in dieser Zeit auszurichten haben.

Mit diesem Bild haben Menschen in der Zeit des Neuen Testaments ihre Situation beschrieben. Seit Jesus nicht mehr bei ihnen ist, kommen sie sich vor wie in einem leeren Haus. Äußerlich mag alles funktionieren. Jeder erledigt das, was er zu tun hat. Aber dennoch ist alles anders.

Seine spürbare Nähe fehlt ihnen. Sie vermissen seine Worte mit denen er die neue Welt, für die er eingetreten ist, umschrieben hat: Eine Welt, wie sie Gott für die Menschen gedacht hat. Eine Welt, in der alle, die es gerade schwer haben, so getröstet werden, damit niemand an der momentanen Leere verzweifelt. Eine Welt, in der die Stillen und Leisen und all die, die sich nicht durchsetzen können, was zu sagen haben (vgl. Mt.5,4-5). Eine Welt, in der niemand alleine bleiben muss (vgl. Lk.19,5). Und sie sehnen sich danach, dass diese Welt irgendwann einmal auch kommen wird, weil Jesus selbst sie verheißen hat. Dann wird alle Leere aufgehoben sein. Sie werden mit ihm am Tisch sitzen, essen und trinken und wieder ausgelassen feiern können (vgl. Lk.14,15).

Mit den Menschen damals verbinden uns die Abschiede, die einen so schütteln können, dass man meint in einem „leeren Haus“ leben zu müssen. Niemand hat gefragt, ob es einem gerade passt oder nicht. Und dann muss man irgendwie zurechtkommen und sich neu einfinden, wenn es denn überhaupt möglich ist.

Was uns von den Menschen damals trennt, ist ihre feste Erwartung einer baldigen Wiederkunft Jesu, die sie wachsam herbeisehnen sollen.

Markus führt in seinem Evangelium an, dass der Hausherr einmal wiederkommen wird. Was der Evangelist nur bruchstückhaft andeutet, beschreibt die Offenbarung des Johannes mit einer großartigen Verheißung. Am Ende der Zeit wird Gott selbst alle leeren Häuser mit Leben füllen. Dann wird er „alle Tränen abwischen von unseren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein“ (Offenbarung 21,4). Es wird Häuser voller Leben geben. Und ihre Türen sind weit geöffnet, weil alle Menschen wie Schwestern und Brüder zusammenleben.

Auch wenn die ersten Christen anfangs noch mit dieser Vorstellung gelebt haben, so verstehe ich den Aufruf „wachsam zu sein“ heute anders. Wenn ich in meinem Leben eine Leere spüre, weil mir etwas Wichtiges genommen wurde, dann möchte ich in dem, was mir gerade zu schaffen macht, ernstgenommen werden und nicht den Blick auf apokalyptische Szenarien richten müssen, die doch nicht eintreten.

„Wachsam zu sein“ ist für michdeshalb ein aufmunternder Hinweis für all die kleinen Zeichen aufmerksam zu sein, die von Gott kommen und helfen möchten, sich in einem leeren Haus wieder neu einzufinden.

Wie das geschehen kann? Das Schriftwort aus dem Markusevangelium selbst gibt einen Hinweis, wenn es Jesus sagen lässt: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen" (V.31).

Zum Beispiel das Wort, in dem Jesus von sich als „Brot“ spricht (Joh.6,35), mit dem er zusagt: Alles, was du zum Leben nötig hast - alles, was du für diesen einen Tag brauchst, um über die Runden zu kommen - auch alles, was hält und trägt in aller Leere und Einsamkeit des Lebens, das darfst du von mir erwarten.

Oder das Wort mit dem er sich als „Licht“ bezeichnet (Joh.8,12): Ich helfe dir, dass du dich in deinem leeren Haus wieder einfinden und mit dir alleine zurechtkommen kannst. Und dass du allmählich spüren wirst, wie es eine Gegenkraft gegen alle Leere und gegen alle Kälte gibt.

Und die Worte, mit denen sich Jesus als „Weg, Wahrheit und Leben“ ausweist, möchten Mut machen, dass es Wege durch alle Leere hindurch geben kann. Auch wenn man sie heute noch nicht ausmachen kann. Aber es gibt sie. Und sie werden für uns sichtbar, so dass man sie gehen kann. Vielleicht nicht mehr mit dem Tempo und mit der Leidenschaft von früher, aber doch mit einer gewissen Neugier auf die neuen Möglichkeiten.

Für solche und noch für viele andere Worte werden wir aufgemuntert „wachsam zu sein“. Damit sie bei uns ankommen, Kreise ziehen und bewirken, dass unser leeres Haus langsam wieder ein Stückweit bewohnbar wird.

Nochmal: Es geht nicht um den einen Fahrplan oder um die eine Gebrauchsanweisung, die ich mir mit einem Klick ausdrucken oder downloaden kann, wann und wie mein leeres Lebenshaus wieder mit Licht und Sonne gefüllt wird.

Es gibt den einen Weg für alle. Jede und jeder geht mit dem eigenen Tempo oder dem eigenen Rhythmus. Und auch das kann es geben: Das Haus bleibt zeitlebens unbewohnt und kalt.

Aber die Verheißung von den Worten, die bleiben und Mut machen, sagen mir: Es ist Gottes großer Wunsch, dass wir uns in einem Leben, in dem es immer Veränderungen und Abschiede geben wird, gehalten und geborgen wissen dürfen. Nicht nur, dass wir ein Dach über dem Kopf haben, sondern auch, dass wir uns in unseren Wohnungen Häusern behütet fühlen dürfen.

Und dann kann es passieren, dass wir wieder gerne zu Hause sind. Anders als bisher. Vielleicht manchmal nur für einen kurzen Moment. Wenn man sich gerne wieder ins Wohnzimmer setzt und die Musik hört, die einen berührt. Wenn man wieder gerne in den Garten geht. Wenn man wieder jemanden einlädt. Oder wenn man sich wieder Gedanken um die Nachbarn macht und nicht mehr nur um sich selbst kreist. Und wenn das Erinnerungsstück, das einem zu Hause in die Hände fällt, nicht mehr gleich den großen Stich ins Herz versetzt, sondern die damit verbundene Geschichte dankbar in die eigene Lebensgeschichte einordnen lässt.

Wie auch immer wir uns in unseren eigenen vier Wänden gerade vorkommen, wir alle dürfen mit der Zuversicht nach Hause gehen, dass wir niemals alleine, sondern von dem gehalten sind, dessen Worte bleiben, auch wenn wir keine Worte finden für das, was wir gerade mitmachen müssen.

Und die Fülle Gottes, die umfassender und höher und weiter ist als alle menschliche Leere, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Perikope
24.11.2013
13,31-37