Predigt zu Markus 10,35-45 von Hans Joachim Schliep
35Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: »Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.« 36Er sprach zu ihnen: »Was wollt ihr, dass ich für euch tue?« 37Sie sprachen zu ihm: »Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.« 38Jesus aber sprach zu ihnen: »Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?« 39Sie sprachen zu ihm: »Ja, das können wir.« Jesus aber sprach zu ihnen: »Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.«
41Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: »Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.«
Liebe Gemeinde!
[1] Das Evangelium ist u-topisch. Es hat keinen Ort in dieser Welt, jedenfalls keinen festen. Wir begegnen seinen Spuren, doch es ist weiter als wir sind. Udo Jürgens hat gesungen: „Wir sollten uns schon heut’ / die Töne borgen / von einem morgigen Akkord!“ Doch wird es jemals gelingen, die Herrscher vom Herrschen und die Mächtigen von der Gewalt abzubringen, sie aus dem Irrtum zu befreien, nur groß sein zu können, wenn sie andere klein halten? Oder ist das bloß ›Herz-Jesu-Anarchismus‹: »Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.«?
Gestern vor 50 Jahren, am 21. März 1965,1 begann der dritte Marsch von Selma nach Montgomery im US-Staat Alabama, der am 25. März mit einem Konzert von Joan Baez, Harry Belafonte, Sammy Davis jr., Bob Dylan endete. Der erste Versuch der afro-amerikanischen Bevölkerung der Kleinstadt Selma, am 7. März durch einen Marsch in die Hauptstadt Montgomery ihr Recht auf ungehinderte Eintragung in die Wählerliste durchzusetzen, wurde von der Polizei brutal niedergeknüppelt. Dieses dramatische Geschehen zeigt der Film „Selma“. Ich erinnere mich besonders an eine Szene beim zweiten Marsch am 9. März. Diesmal ist der Bürgerrechtler Martin Luther King mit dabei. Als die Demonstranten auf der Brücke über den Alabama River auf die schwer bewaffnete Polizei zugehen, gibt diese unerwartet den Weg frei. Vernünftige Einsicht oder ein Hinterhalt? Martin Luther King stoppt den Marsch, kniet auf der Brücke nieder, betet und kehrt um. Zögernd folgen ihm die demonstrierenden Frauen und Männer. Nachher streiten sie heftig. Wollte King nicht in eine Falle tappen? Ist er ein Opportunist, der dem Verlangen weißer Kongressabgeordneter nach Ruhe folgte? Oder ein Taktiker, der ein neues Wahlrechtsgesetz zugunsten der Afro-Amerikaner nicht gefährden will? Ich meine, in diesem erstaunlichen Verzicht auf eine machtvolle Demonstration noch ein anderes Motiv, ein Kernprinzip der gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung („Civil Rights Movement“) erkennen zu sollen: Martin Luther King will die Siegerpose vermeiden. Er will keine Gewinner und Verlierer, kein neues Machtgefälle, das nur das bisherige Elend mit anderen Vorzeichen fortsetzt!
Vorher wurde im Film eine nächtliche Szene gespielt, in der Martin Luther King, von Selbstzweifeln und Ängsten geplagt, nach langen inneren Ausweichversuchen zu dem Schluss kommt, den ich so in Erinnerung habe: „Das Leben eines Menschen erfüllt sich erst dann, wenn er bereit ist, es für die Rechte seiner Lieben hinzugeben.“ Mit diesem oft variierten Grundsatz gab er kraft seiner Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden, die sich an Jesu Botschaft vom Reich Gottes entzündet hatte, aller Welt zu verstehen: Zur rechten Gesinnung gehört der unbedingte Einsatz für Rechtsverhältnisse, die Macht als bloße Herrschaft von Menschen über Menschen ausschließen und jeder Willkür ein Ende setzen.
[2] Spuren, Lichtpunkte des Evangeliums, die umso deutlicher zeigen, wie weit voraus es uns ist. Wer sich darauf, wer sich auf Jesus Christus einlässt, borgt sich die Töne von einem morgigen Akkord. Lassen Sie uns, um schon weit vor dem Festsaal nach dieser Musik tanzen zu können, genauer hören auf die Verse 35 bis 45 im Evangelium nach Markus:
Wer ›Markus‹ ist, bleibt uns unbekannt. Er schreibt ein Griechisch, das auf Hebräisch als Muttersprache schließen lässt. Wahrscheinlich für Christen, die einmal Juden waren. Aber um auch von Griechen und Römern verstanden zu werden, erklärt er jüdische Ausdrücke und Riten. Hat er sein Evangelium in Rom verfasst oder in Syrien? Die Forschung ist uneins. Eines aber ist klar: Das Evangelium nach Markus ist an Menschen gerichtet, die Herrschergewalt erlitten haben, vielleicht am eigenen Leib: die Pogrome des Kaisers Nero. Jedenfalls ist auch für die frühe Christenheit das Jahr 70 nach Christus ein Trauma: die völlige Zerstörung und Plünderung Jerusalems, die Schändung und Zertrümmerung des Tempels, von dem bis heute nur die sog. ›Klagemauer‹ steht. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem Evangelium nach Markus und dem triumphalen Einzug des Kaisers Vespasian und seines Sohnes Titus in Rom im Jahr 71. Zur Siegesfeier werden die Beutestücke aus dem Jerusalemer Tempel durch die Straßen getragen. Das Volk, das sich im Siegerglanz sonnt, huldigt der Macht. Die meisten Juden aber müssen ihr Auskommen in der Diaspora suchen und dort, in der Zerstreuung, eine besondere Steuer bezahlen. Die Christen gelten als jüdische Sekte. Diese Verbundenheit zerbricht, als der staatliche Schutz verlorengeht. Nun müssen Juden wie Christen, ganz auf sich selbst gestellt, eine jeweils eigene Identität ausbilden.
Dann brechen elementare Fragen auf: Wird unser Glaube der Bedrängnis standhalten? Wo müssen und wie können wir Widerstand leisten? Welche innere Ordnung soll in unseren Gemeinden gelten? Ist das Gottesreich in ferne Zukunft gerückt oder spielt es hinein in die Gegenwart?
Den späteren Ärger der zehn anderen Jesusjünger teile ich nicht. In meiner Sicht stellen Jakobus und Johannes eine ganz wichtige Frage: die nach der Macht. In der Kirche schieben wir sie gerne beiseite. Wo wir aber die Macht vergessen, sind wir schnell auf sie versessen. Zudem hat die Machtfrage einen existentiellen Hintergrund. Denn zum Leben ermächtigt, haben wir alle teil an der Macht zum Sein. Niemand von uns ist ganz ohne Macht. Da kann ich nachvollziehen, dass Jakobus und Johannes wissen wollen, wie es im Reich Gottes sein wird. Und sie artikulieren ihren Anspruch offen heraus: Sie begehren die beiden Ehrenplätze. Denn wer zur Rechten und zur Linken des Höchsten sitzt, erstrahlt selbst in Siegerglanz und Machtfülle. Wie bei den kaiserlichen Triumphzügen. So ist es in der Geschichte immer gewesen, besonders in Diktaturen, sogar in Demokratien soll es vorkommen. Es ist zugleich die existentielle Frage nach Lebenserfüllung: Hat mein Leben Sinn? Werde ich anerkannt mit dem, was ich getan und unterlassen habe?
Auf solche Lebensfragen geht Jesus bereitwillig ein. Er hat sie ja selbst hervorgelockt. Denn als Jakobus und Johannes an ihn herantreten, erklärt er, tun zu wollen, was er könne. Aber er macht sie darauf aufmerksam, dass sein Machtgebrauch ein anderer ist. Diejenigen gebrauchen ihre Macht falsch, die andere in die Knie zwingen. Wer andere verletzt, ist nicht mächtig, sondern gibt nur die eigenen Verletzungen weiter. Wer andere verachtet, hat keine wirkliche Selbstachtung. Wer sich durch solches Machtgebaren verwirklichen will, wird sein Leben verwirken. Darum stellte Jesus schon vorher auf eine ähnliche Frage aus dem Jüngerkreis ein Kind in die Mitte (Mk 9,33-37): »Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.« Immer wieder optiert Jesus für die Kleinen und Armen, die Verachteten und Gescheiterten. Und kündigt seinen eigenen Leidensweg an, zum dritten Mal unmittelbar vor der Frage von Jakobus und Johannes (Mk 10,32-34). Noch davor hat er Kinder gesegnet (Mk 10,13-16). Sind Kinder besser als Erwachsene, Kleine besser als Große, Ohnmächtige besser als Mächtige, Gescheiterte besser als Erfolgreiche? Nein, nur sind eben alle Kinder Gottes! Also von Gott ermächtigt, ein eigener Mensch zu sein. Wer so ermächtigt ist zum selbstständigen Leben, ist weder wehrloses Objekt des Handelns anderer noch muss er auf der Kommandobrücke des Lebensschiffes stehen, sondern kann dort sein, wo die schweren Ruder gehen.
Dazu sind Jakobus und Johannes bereit. Bereit, den Passionsweg Jesu mitzugehen. So akzeptieren sie sich selbst als ›pathische Existenzen‹, als verletzliche, hinfällige, ergänzungsbedürftige Wesen. Bis dahin reicht ja auch unsere Einsicht, wenn wir genau hinschauen auf die immer engeren Grenzen im Fortgang unseres Lebens, bis wir uns in der Demenz gnädig selbst vergessen dürfen. Doch schnell schleicht sich ein Missverständnis ein, das gerade so versessen darauf macht, im Machtgefüge irgendwann ganz oben zu stehen. Der Kelch und die Taufe als Zeichen für Hingabe und Todesangst sind keine Tauschmittel, sie sind bar jeder Belohnung. Das Reich Gottes lässt sich nicht verdienen, es kennt weder Kompensation noch Äquivalent wie wir in unserer Finanz- und Warenwelt. Denn die Gottesbeziehung ist Gnade - und Gnade ist das, was kommt, ohne geschuldet zu sein. Glaube, Hoffnung, Liebe sind eben kein geldwertes Tauschgeschäft. Der Glaube - ja, er ist Lebensermächtigung. Aber er ist kein Machtverhältnis, in dem im günstigen Fall die jeweiligen Stärken ausbalanciert werden oder im ungünstigen Fall der Stärkere sich im Recht wähnt, nur weil er die Macht hat. Darum hat im Glauben, darum hat im Reich Gottes: im ungeteilten Gottesverhältnis jede Gewalt ihr Recht verloren. Sie rechnet mit Siegern und Besiegten. Sie offenbart die Schwäche derjenigen, die mit Druck und Propaganda ihre Herrschaft sichern wollen. Dagegen entlarvt Jesus, dass die real Herrschenden nur Geltungsansprüche haben, keine wahre Geltung. Ein geradezu subversiver Zug des Evangeliums! Jesus will die Hierarchien des Herrschens ersetzen durch die ›Herrschaft Gottes‹: durch den Verzicht auf alle Herrschsucht und Gewalt. So erkennen wir an Jesu Lebenshingabe: Was aus Glaube, Hoffnung und Liebe kommt, hat die Macht, sein eigener Lohn zu sein!
Darum ist es jetzt weder an der Zeit noch Jesu Aufgabe, irgendwelche Rangplätze zu vergeben: Zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. Bitte denke niemand an Vorherbestimmung! Es ist damit nur gesagt, dass im Blick auf das Reich Gottes keine Voraussagen möglich sind, sondern eine einzige Zusage gilt: Es ist Platz für alle Kleinen, für die also, die die Gnade annehmen als das Ungeschuldete und Nichtkäufliche. Und die kraft dieser Gnade es unterlassen, ihre Macht auszuspielen und Gewalt auszuüben.
Hierin sehe ich die eigentliche Herausforderung dieses Evangeliums: die Herausforderung zu einem Perspektivwechsel, der mit dem Bild „klein statt groß“ nur angedeutet ist. Wie radikal der sein muss, erkenne ich an den Jüngern. In ihrem Neid und Zorn auf Jakobus und Johannes sind sie noch der alten Herrschaftsideologie verhaftet. Sie denken weiterhin in den Hierarchien von Rang und Namen. Also steht ihnen noch bevor zu erkennen, was vom Fundament ihres Glaubens her schon „Sache ist“: »Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.« Da eilt Jesus einmal mehr seiner Kirche weit voraus, wenn er den Perspektivwechsel „klein statt groß“ als vollzogen feststellt. Zugleich ist er ganz bei uns. Denn durch Jesus Christus sind wir allemal schon, was wir noch werden sollen. Er ist jetzt schon unsere Zukunft, weil er mit diesem Perspektivwechsel längst ernst gemacht hat: »Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.«
Meint für viele etwa nur für einige? Es meint Alle. Das griechische Wort „Viele“ (polýs) steht für die Fülle, die unüberbietbar alles umfasst. Ist mit Lösegeld (lýtron) etwa eine Sühneleistung gemeint? Das Opfer- und Sühne-Denken hat hier keinen Platz. Einzig darum geht es, dass Menschen mit dem, was sie haben, eintreten für das, was anderen fehlt. Jesus tut es mit seinem ganzen Leben. Er gibt »sein Leben … als Lösegeld« nicht an Gott, sondern von Gottes Nähe erfüllt für die Menschen. So bestimmt er von Gottes Gegenwelt her die Gegenwart seiner Gemeinde. So ist Jesu Lebenseinsatz Ausdruck seines Glaubens, seiner Hoffnung, seiner Liebe. Das ist wahre Bürgschaft, dort ist echte Stellvertretung, wo jemand sich für jemanden einsetzt, ohne diese Person zu ersetzen. Vom Ersetzen keine Spur! Denn wer an die Stelle des leibeigenen Knechtes tritt, will ja dessen Freiheit, dessen selbstständiges Leben! Vom Ersetzen wirklich keine Spur! Denn wer noch die Geringsten neu in ihre Gotteskindschaft einsetzt, ermächtigt sie damit aufs Neue zum Leben! Darum bedeutet »Diener« und »Knecht aller sein« weder Selbstverkleinerung noch Sklavengeist, sondern in der Begegnung mit anderen Menschen die gemeinsame Ermächtigung zum Leben auszubilden in gegenseitiger Anerkennung und Achtung, auf Augenhöhe, jenseits des bekannten Machtgefälles und der berechnenden Tauschverhältnisse.
Indes: Jesu Lebenshingabe lässt mich eine Liebe erblicken, die mein Fassungsvermögen übersteigt. Auch die Jünger, wie sie Markus schildert, standen fassungslos vor seiner Botschaft, seine Passion werde kein Scheitern sein, das alle Hoffnung zunichte macht, sondern der tiefste Ausdruck seiner liebenden Gemeinschaft mit ihnen, Grund und Kraft der christlichen Gemeinde. Grund und Kraft, die durch jede Bedrängnis hindurchträgt. Indem wir unsere letzten psychischen und sozialen Ressourcen mobilisieren? Nein! Indem wir uns von einer Liebe finden lassen, die sich dem Tod aussetzt, ihm den letzten Stachel nimmt, ihn nicht das letzte Wort Gottes sein lässt! Gleichwohl wage ich kaum nachzusprechen, was mir Jesus mit seinem Weg ans Kreuz sagt: Liebe aus Glaube und Hoffnung ist bereit, den Tod auf sich zu nehmen.
[3] Liebe Gemeinde, was ich kaum aussprechen kann - viele christliche Märtyrerinnen und Märtyrer haben es so erfahren. Es gibt sie weltweit wieder. Zigtausende. Besonders unter dem Terror der IS-Banden. Menschen, deren Leben früh abgebrochen wurde, waren auch Dietrich Bonhoeffer, Dag Hammarskjöld, Martin Luther King. Diese Vorbilder geben zugleich die Richtung an für die Konsequenzen von Markus 10 Verse 35 bis 45, die persönlichen und die politischen. Denn Markus will zwar kein Christentum, das nach Art der Zeloten gewaltsame Aufstände anzettelt, sondern das gewaltlosen Widerstand bevorzugt. Aber er will auch keinen vergeistigten, nur auf das Innerliche gerichteten Glauben. Ohnehin will der wahre innere Friede den äußeren. Auch darum profiliert Markus die Jesus-Gestalt als kritisches Gegenüber zu den römischen Triumphatoren. Denn Jesu wunderbare Taten, die den Menschen wieder auf die Beine bringen, sind das Gegenmodell zu den herrscherlichen Versuchen, das abhängige Volk durch Brot und Spiele zu besänftigen, damit die eigene Macht erhalten bleibt.
▷ Ohne Macht keine Gesellschaft, kein Staat. Aber nur mit zivilisierter Macht, die durch Wahl verliehen, auf Zeit befristet und öffentlich kontrolliert wird.
▷ Ohne Macht auch keine Kirche. Aber dann keine verschwiegene, sondern eine transparente, kritisierbare Macht. Nach meiner Wahrnehmung sind die Hierarchien in unserer Kirche flach. Das müssen sie auch sein und immer wieder werden. Denn Kirche soll sich nach Jesu Willen von Gesellschaft unterscheiden, ihr kritisches Ferment sein.
▷ Aus staatspolitischen Gründen bin ich gegen einen Laizismus. Denn im Sinne positiver Religionsfreiheit muss der Staat der Religion seiner Bürgerinnen und Bürger Freiräume garantieren. Doch stellen wir uns darauf ein, dass das alte Staatskirchenrecht umgebildet werden wird zu einem Religionsverfassungsrecht, das anderen Religionen denselben Schutz wie uns gewährt. Allerdings, noch als ›Volkskirche in der Minderheit‹ befinden wir uns in einer Ausnahmesituation. Sind wir bereit, Kirche auch ohne jede weitere Absicherung und ohne äußere Machtstützen zu sein? Nirgendwo ist der Kirche verheißen, es werde ihr gut gehen. Verheißen ist ihr nur, sie werde auskommen mit ein paar Nägeln an der Wand, die schon ein Kreuz bilden.
▷ Das Evangelium ist eine soziale Botschaft. Es hat einen subversiven Zug zum Egalitären. Es ist eine Option für die Armen. Es verlangt, den Skandal zu beseitigen, dass zuerst und vor allem die ärmsten Länder die Folgen des Klimawandels tragen. Was kommt auf uns zu? Angesichts unseres Ressourcenverbrauchs stellt sich für uns die Frage anders: Was kommt uns überhaupt noch zu?
▷ Nun spreche ich noch eine Entwicklung an, an der bereits intensiv gearbeitet wird und die unsere bisherigen Denkmuster über den Haufen werfen könnte: Nach Meinung vieler seriöser Wissenschaftler befinden wir uns längst im Erdzeitalter des ›Anthropozän‹. Denn der Mensch wirkt an der Evolution des Lebens selbst mit. Dabei richten sich die Utopien nicht mehr auf politische Befreiung von Macht und Ausbeutung, sondern auf eine Befreiung von den Bindungen der Menschennatur. Die ›Synthetische Biologie‹ schickt sich an, Organismen zu schaffen, die bisher noch unbekannt sind. Die Robotik setzt auf ›Künstliche Intelligenz‹, die sich selbst steuernde und erneuernde Systeme schafft. Die ›Converging Technologies‹ genannte Verbindung von Nano-, Bio- und Informationstechnologie mit den Neurowissenschaften (NBIC) wird zu einer weiteren enormen Lebensverlängerung führen. Der Entwicklungschef von Google, Ray Kurzweil,2 sieht ab dem Jahr 2045 (!) eine neue ›Singularität‹ nahen, in der der Transhumanismus den Humanismus in Richtung auf einen optimierten Menschen überwindet. Einen Menschen mit höherer Intelligenz in gesteigerter Transzendenz, die das Biologische hinter sich lässt, der Unendlichkeit und dem Friedensideal näher kommt. Das explosionsartige Wachstum der Evolution führe zur Befreiung des Denkens und sei ein durch und durch spirituelles Unternehmen, der Sieg des Geistes über die Materie. Wir haben es also mit der Ankündigung und dem Anspruch zu tun, die Menschheit werde in naher Zukunft einen Riesensprung in der technologischen, moralischen und spirituellen Evolution machen. Werden damit Jesu Aussagen zu Macht und Gewalt, die wir heute bedacht haben, überholt sein? Wird das Evangelium endlich einen festen Ort bekommen? Nun, sollte es so kommen, stellen sich dennoch Fragen: Wie kann die dann noch gewaltigere Kluft zwischen Vermögenden und Unvermögenden mit all den internationalen politischen Verwerfungen wieder geschlossen werden? Wie gehen wir mit Konstrukten um, die wir so mit Informationen ausgestattet haben, dass sie menschenähnliche Emotionen haben, für die die Frage nach Tradition und Religion, Herkunft und Glaube aber keine Plausibilität mehr hat? In welcher Schärfe wird sich dann die Frage nach Macht und Gewalt stellen? Wird gerade der Transhumanismus, der mir von Jesu Botschaft ganz weit weg zu sein scheint, eine rigorose Moral benötigen, die aber keine humane mehr ist, weil lückenlose Überwachung und genaueste Befolgung von Regeln an die Stelle von Freiheit tritt? Wenn, wovon Transhumanisten überzeugt sind, Endlichkeit verschwindet und es keine Sünde mehr geben darf, dann wird wohl erst recht gelten: Gnade uns Gott!
[4] Das Evangelium ist u-topisch. Es ist da, doch es eilt uns voraus. Es sucht Menschen, die ihm nachfolgen. Es schafft sich eine Kirche, die Trost-, Hoffnungs- und Widerstandsgemeinschaft ist. Wollen wir dazu gehören? Wir sind frei, eine neue Welt im Sinne der Reich-Gottes-Botschaft Jesu nicht für so wichtig zu halten, weil wir zu sehr an der alten hängen. Aber nähmen wir dann uns selbst noch ernst, die wir in jeder Nacht auf einen neuen Morgen hoffen? Zu dieser Hoffnung gehört der Blick über uns selbst hinaus. „Nur derjenige hofft existentiell aufrichtig in seinem Leben auf etwas,“ schreibt Holm Tetens, Philosoph an der Berliner Freien Universität, in seinem Buch ›Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie‹, „der so viel wie eben möglich bereits hier und jetzt von dem vorwegzunehmen versucht, was er für die Zukunft endgültig und uneingeschränkt erwartet. Wer hofft, dass Gott nichts und niemanden in der Welt endgültig verloren gegeben hat, der versucht, seinen Mitmenschen genau so jetzt schon zu begegnen.“3 Und das, füge ich hinzu, kann nur geschehen in der Macht der Liebe, mit der Gott uns alle Morgen erweckt. Amen.
Anmerkungen:
1 Es sei auf weitere Daten hingewiesen:
· Am 21. März 1685, vor 330 Jahren, wurde Johann Sebastian Bach geboren.
· Am 21. März 1960, vor 75 Jahren, fand das Massaker in Sharpeville/Südafrika statt, bei dem 69 friedlich gegen das Apartheids-Regime demonstrierende schwarze Bürgerinnen und Bürger von der Polizei erschossen wurden. Deshalb wurde der 21. März zum ›Internationalen Tag gegen des Rassismus‹ ausgerufen.
· Genau am 22. März 1903 wurde Jochen Klepper geboren, dessen Lied “Er weckt mich alle Morgen…” (EG 455) ich als Eingangslied empfehle und das im letzten Satz der Predigt anklingen soll.
2 Ray Kurzweil: Menschheit 2.0: Die Singularität naht, Berlin 2014. Siehe auch das Schlusskapitel in Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit, Stuttgart 2013; sowie Jens Jessen: Der neue Mensch, ZEIT ONLINE vom 29.12.2014 (www.zeit.de/2014/52/jahresrückblick-2014>).
3 Holm Tetens: Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie, Stuttgart 2015. Vgl. Volker Gerhardt: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche, 3. Aufl., München 2015.
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Markus 10,35-45 von Martin M. Penzoldt
“Eine Kultur, die alle Opfertraditionen verloren hat,
hat ein zentrales Merkmal der Humanität verloren.“ (V. Hösle)
35 Da gingen zu Jesus: Jakobus und Johannes,
die Söhne des Zebedäus, und sprachen:
Meister, wir wollen, dass du uns tust,
was wir dich bitten werden.
36 Er sprach zu ihnen:
Was wollt ihr, dass ich euch tue?
37 Sie sprachen: Gib uns,
dass wir sitzen einer zu deiner Rechten
und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
38 Jesus aber sprach zu ihnen:
Ihr wisset nicht, was ihr bittet.
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke,
oder euch taufen lassen mit der Taufe,
mit der ich getauft werde?
39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir.
Jesus aber sprach zu ihnen:
Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke
und getauft werden mit der Taufe, mit ich getauft werde;
40 zu sitzen aber zu meiner Rechten und zu meiner Linken,
steht mir nicht zu, euch zu geben,
sondern das wird denen zuteil,
für die es bestimmt ist.
41 Und da dass die Zehn hörten
wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
42 Da rief Jesus sie [die Jünger] zu sich und sprach zu ihnen:
Ihr wisset, die als Herrscher gelten,
halten ihre Völker nieder
und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
43 Aber so ist es unter euch nicht;
sondern wer groß sein will unter euch,
der soll euer Diener sein;
44 und wer unter euch will der Erste sein,
der sei aller Knecht.
45 Denn auch des Menschen Sohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene und
sein Leben gebe als Lösegeld (zu einer Erlösung) für viele.
Liebe Gemeinde!
I.
Zur Rechten und zur Linken wollen die beiden Jünger sitzen,
wie im Hofstaat eines Königs „die Ersten des Reiches“.
Und die anderen Jünger? Sie werden sofort eifersüchtig,
weil sie Angst haben selbst zu kurz zu kommen.
Sie fürchten auf nachgeordnete Plätze verwiesen zu werden.
So ist das also mit uns Christenmenschen, von Anbeginn.
Auch wir Frommen wollen profitieren:
die von Rechts, die Linken und die von der Mitte:
Alle wollen profitieren. Es ist so tief menschlich.
Als Kleinkinder wollen wir auf dem Schoß der Mutter thronen:
allein - und mit ungeteilter Aufmerksamkeit bedacht werden.
Als Jugendliche wollen wir auf dem Schulhof das Sagen haben
und als erste in die Mannschaft gewählt werden,
am liebsten von allen heiß beneidet.
Wenn später ein guter Posten vergeben wird,
vorbei an verdienten Kollegen,
wenn Delegationen zusammengestellt werden,
wenn gar Frauen plötzlich in höhere Ränge einrücken:
Da gibt es Gerangel, da werden Interessen sichtbar.
Interessen, die man nicht so offen zeigt,
die man eben gerne - wie die beiden Jünger - gesondert sondiert.
Man wird ja mal fragen dürfen…
Aber schon wird das Gespräch ganz grundsätzlich:
Ihr wisset, die als Herrscher gelten,
halten ihre Völker nieder
und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
Aber so ist es unter euch nicht...
Herrschaftsverhältnisse kommen zur Sprache:
hier die Herren und dort die Knechte,
beide unentrinnbar verbunden durch das Machtgefälle,
durch den Zwang, der die Welt durchherrscht
und alle zu Herren oder Knechten macht:
Ohne Knecht kein Herr, ohne Herren kein Knechte.
Jesus bringt die Frage auf den Punkt, trifft ins Herz:
"In Wahrheit geht es um die Macht,
die tiefste der Bewegkräfte in uns.
Tiefer als die Ehre, tiefer als die Begierden,
tiefer als der Stolz - und tiefer als die Liebe,
sitzt die Gier in uns, alles zu haben,
alles zu erraffen und nichts herzugeben,
die Kiefer in die Macht hinein zuschlagen,
sich in ihr zu verbeißen und sie nicht mehr loszulassen,
zuzubeißen und nicht mehr loszulassen."(Urquart als Prime Minister)
Wenn ich Sie jetzt so friedlich und aufgeschlossen vor mir sehe,
dann muss ich solche Schilderungen für übertrieben halten.
Wenn ich aber die gerichtlichen Auseinandersetzungen von Nachbarn,
oder gar Erbstreitigkeiten erlebe,
dann zeigt sich ein anderes Gesicht: Verbissenheit und Angst.
Ein württembergischer Prälat hat gesagt,
er habe in vielen Situationen helfen können,
aber bei einem Streit ums Erbe, da habe er noch nie schlichten können.
II.
Woher der sichere Blick Jesu tief ins Herzen der Menschen?
Wir wissen von dem Leben Jesu nicht all zu viel.
Es ist völlig eingegangen in sein Werk.
Aber es gibt doch einige Durchblicke
und einer betrifft die Frage nach seinem Verhältnis zur Macht
in der Versuchungsgeschichte:
"Wiederum führte ihn der Teufel mit sich
auf einen sehr hohen Berg
und zeigte ihm alle Reiche der Welt
und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm:
Das alles will ich dir geben,
so du niederfällst und mich anbetest.
Da sprach Jesus zu ihm:
Hebe dich weg von mir, Satan!
Denn es steht geschrieben: du sollst anbeten Gott,
deinen Herrn und ihm allein dienen." (Mt 4,8ff)
Vorausgeht die Geschichte von seiner Taufe (Mt 3),
Jesus, ein Unbekannter auftauchend aus der namenslosen Menge,
wird sich seiner Sendung bewusst:
Er erfuhr, dass er Gottes Sohn sei.
Es ist wirklich aufschlussreich,
dass Jesus keineswegs sofort wusste,
wozu ihn seine Sendung berief.
Er brauchte eine längere Einsamkeit,
um die Horizonte seines Lebens
und damit seiner Berufung abzutasten.
Aus dem, was er abgelehnt hat auf dem Berge,
wird deutlich wozu er sich entschied.
Wer in seinen Gedanken mit ihm den höchsten Berg besteigt,
um von dort oben aus die Reiche der Welt
und ihre Herrlichkeit zu sehen:
Heere, Flotten, blaue Meere und große Städte,
glücklich jubelndes Volk und gebeugte Rücken,
dazu die Befehle der Herren über Leben und Tod,
die mit einem Federzug Leben vernichten und Provinzen beglücken,
an deren Lippen Krieg und Frieden hängen;
das Wetterleuchten der Bomben am Horizont,
Gefangene und Verstümmelte und Leichen;
Gold und Öl und Hegemonie liegt uns zu Füßen -
wer diese Phantasie besitzt, weiß worum es geht.
In diesem Augenblick auf der Berghöhe war die Frage noch offen,
ob Jesus: Cäsar werden sollte oder - Christus.
Welches Königreich - das war noch offen.
Sein Verhältnis zur Macht ist also positiv bestimmt
Es ist nicht das Ressentiment des zu kurz Gekommenen.
Jesus stand vor Pilatus nicht anders,
als er im Kreise der Fischer stand,
natürlich, frei, überlegen, seines Wertes gewiss.
Jesu souveräner Verzicht auf weltliche Macht geschieht
ohne Neidinstinkt und Minderwertigkeitsgefühle.
Er ging seinen Weg gelassen.
Er wusste wer er war und er wusste wer sie waren, die weltlichen Herren.
42b Ihr wisset (es heißt), dass die weltlichen Fürsten
ihre Völker niederhalten
und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt.
Das konstatiert Jesus ohne Kommentar – fast lapidar.
Und er spricht nicht vom Rausch der Macht, sondern vom Zwang.
Er sagt auch nicht etwa, dass diese weltliche Macht vom Teufel sei,
doch er sagt: „Aber“ und mahnt „Unter euch - nicht so“:
43 A b e r so soll es nicht sein unter euch;
sondern wer groß sein will unter euch,
der sei euer Diener;
44 und wer unter euch will der Erste sein,
der sei aller Knecht.
Wir können wirklich nicht hingehen und behaupten,
dass Jesus sich darüber nicht klar ausgesprochen habe:
"Selig sind die Sanftmütigen,
denn sie werden das Erdreich besitzen." (Mt 5,5)
Das ist das Umkehrprinzip.
"Es sei denn, dass ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder,
so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Mt 18,3)
Die Antwort Jesu hat Gewicht.
Sie weist Jakobus und Johannes nicht zurück,
sie sagt nur: ihr wisst nicht Bescheid.
Das Umkehrprinzip gilt für Jesus, und es gilt auch für die Jünger.
Der beste Jünger ist, der bereit ist,
auf Ruhm, Ehre und Macht zu verzichten.
Die Niedrigkeit kennzeichnet den höchsten Rang.
Das ist paradox: Macht in der Ohnmacht, Würde in der Niedrigkeit.
Es soll vor allen für die Kirche und für die Kirche in der Welt gelten.
III Umkehrprinzip in der Kirche
Bringt uns das weiter in Strukturfragen?
Für die Verfassung der Kirche, für ein künftiges Kirchenrecht
gab es große Entwürfe nach 1945 (Scheuner, Wolf).
Sie wollten ein spezifisches Kirchenrecht vom Evangelium herleiten,
aber in der Praxis liegt da nicht der Unterschied.
Man redet gern vom Dienst in der Kirche,
aber erreicht man wirklich die Problemzone?
Unfähigkeit darf sich nicht hinter "dienen" verstecken.
Auch in der Kirche gilt: gut gemeint, ist das Gegenteil von gut.
Jesus: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke,
oder euch taufen lassen mit der Taufe,
mit der ich getauft werde?
Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir.
Was sie wirklich können, tritt nicht viel später zu Tage.
Während Jesus in Gethsemane in Todesangst bittet,
der Kelch des Todes möge an ihm vorbeigehen,
können dieselben Jünger, nicht einmal wach bleiben (Mk 14,33f).
Und nicht sie, die Jünger, sondern zwei Verbrecher sind es,
die in der entscheidenden Stunde bei ihm sind:
zu seiner Rechten und zu seiner Linken (Mk 15,27).
Seitdem weiß die Kirche, oder könnte es zumindest wissen,
dass es nicht genügt ihre Würdenträger dem Dienst zu verpflichten.
Mit dem Petrusamt gab es dann einen obersten Stellvertreter Christi auf Erden,
der sich dann Diener aller Diener Christen nennen konnte -
das garantiert, wie wir nach zweitausend Jahren wissen,
keine andere Form von Macht in der Kirche als die in der Welt.
Mit Jesus (und Paulus!) wissen wir, dass alle äußere Ordnung nicht hilft, ja, dass die Kirche immer wieder zurückfällt in Machtbetrieb und Eitelkeit und Irrwege.
Asmussen: „Wir meinen, dass in der christlichen Gemeinde
eine bischöfliche Verfassung und eine presbyteriale Verfassung sein kann.
Wir sind aber auch überzeugt, dass in der christlichen Gemeinde
sowohl unter der bischöflichen Verfassung als auch unter der presbyterialen Verfassung der Teufel zur Herrschaft kommen kann.“
Es bedarf einer immer neuen Balance zwischen
dem Erwählungsglauben der Jünger und ihrem Sündenbewusstsein,
zwischen selbstbewussten Stolz und umsichtiger Demut,
zwischen der christlichen Freiheit über alle Dinge und Menschen und
der christlichen Freiheit zum Dienst an allen Dingen und Menschen.
Es ist ein Wunder, dass die Jünger mit ihrer blinden Selbstüberschätzung
nicht mitsamt der Kirche zugrunde gegangen sind.
Nicht nur der Teufel, wie es in einer Legende heißt,
könnte auf die Idee kommen immer neu zu fragen:
„Mit diesen Menschen willst du das Reich Gottes bauen?
Mit diesen unverständigen Fischern,
den treulosen, überheblichen und selbstgefälligen Aposteln?“
Jesus: „Ja, ich habe keine anderen.“
IV Das Umkehrprinzip im Verhältnis von Kirche und Welt
Und diese Jüngerschar lebt nicht nur in neuen Verhältnissen unter sich,
sondern mitten in der Welt und zugleich im Gegenüber zur Welt:
Sie sind der „Gottesstaat“ mit ihren Tugenden, wie Augustinus formuliert hat,
inmitten von dem menschlichem Staat aus ihren Untugenden.
Und beide sind „in dieser Weltzeit ineinander verworren und vermischt.“
Niemand kann vollends sicher sein,
ob er Bürger des Gottesstaates oder des weltliches Staates ist.
Im Zustand der Vermischung gehört es zu den Aufgaben der Christen,
an einem Gemeinwesen mitzuarbeiten, das als Gleichnis für den Gottesstaat gilt.
Auch der irdische Staat und - die von Augustinus noch nicht in Blick genommene - Staatengemeinschaft muss sich an der Vision vom Gottesstaat,
von einem Reich der neuen Ordnung, des ewigen Friedens, der ewigen Gerechtigkeit, der ewigen Wahrheit und des ewigen Genusses messen lassen.
Solange die Pilgerschaft der Christen zum Gottesstaat anhält,
haben sich die Christen um die irdischen Verhältnisse zu bekümmern.
Die Reformatoren haben Augustinus spannungsvolles Ineinander
von Mitarbeit am irdischen Gemeinwesen
und Hoffnung auf das Reich Gottes als Reich des ewigen Friedens
und vollendeter Gerechtigkeit wieder entdeckt:
Die Kirche ist nicht einfach der Welt überlegen:
„Ihr habt die Probleme, wir haben die Moral.“
Die offiziellen Stellungnahmen der Kirchen (z.B. zum Frieden)
spiegeln dieses gesteigerte Bewusstsein allmählich.
Luther betonte die selbstständige Würde des irdischen Gemeinwesens.
Das erhoffte Reich ewigen Friedens und vollendeter Gerechtigkeit
wurde zu einer machtvollen Vision,
die die Pilgerväter auf dem Weg von alten Europa nach Amerika tief beeinflusste – bis heute.
Amerika wurde – wie Chesterton sagt - die „Nation mit der Seele einer Kirche“
Daher stammt Amerikas weltpolitische Mission,
das Böse in der Welt zu bekämpfen mit einem manchmal geradezu manichäischem Weltbild: hier die Guten, dort die Bösen.
Freilich droht es die Balance zwischen Erwählungsglaube und Sündenbewusstsein, zwischen Stolz und Selbstkritik
immer wieder zu verlieren und muss sich neu besinnen.
Aber ohne die christliche Vision von einem Reich
vollkommenen Friedens und vollkommener Gerechtigkeit,
so schon Augustinus, mutieren Staaten zu großen Räuberbanden.
Es genügt der Weg von Recht und Rechtstaatlichkeit allein nicht.
V Das Opfer
Darum zuletzt: das Kreuz.
Wenn alles durchmessen ist, jede Macht, jede Karriere, jede Ideologie,
auch der Rechtsweg
dann gibt es immer noch Entwicklung: den Dienst, die Demut.
Nicht als Haltung der Schwachen, sondern als letzten Weg der Starken...
45 ...auch des Menschen Sohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene und
gebe sein Leben zu seiner Erlösung für viele.
Der Gottesknecht wird mit seinem Leid den Vielen Gerechtigkeit schaffen (Jes 53,10f.).
Matthäus hat diese Verheißung in einem Bild aufgenommen:
„Viele werden kommen von Osten und von Westen,
und mit Abraham und mit Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen.“ (8,11)
Diese Vielen sind sie alle, die Menschen der Menschheitsgeschichte.
Das ist ein unsere Vorstellungskraft weit überbietendes Bild.
Da sitzen nicht zwei neben Jesus in allernächster Nähe
und darum herum verblasst alles, nein,
hier sitzen alle mit ihm und den Erzvätern zu Tisch.
Die Auffassung von Sünde und Sühne als Mengen,
die miteinander zu verrechnen sind,
ist abgelöst von einem ganz neuen Glauben:
Das Kreuz Jesu Christi wiegt alle Sünde der Welt auf.
Gottes Vergebung ist grenzenlos und unermesslich.
Die machtvolle Autorität Christi zählt gerade da,
wo er uns lehrt, uns zurückzunehmen.
An ihm sieht die Welt einen Menschen,
der andere Menschen nach sich zieht, indem er sie freilässt.
Sein unschuldsvolles Leben, sein Tod an unserer Schuld
und die Kraft seiner Auferweckung durch Gott
stößt der Menschheit das Tor zur Erlösung auf.
Alles Regelwerk der Menschen zur Bändigung der Macht,
aller Tauschwert unseres Reichtums,
das Kosten-Nutzenkalkül von Geben und Nehmen des Händlers,
aller Utilitarismus, kann nicht die Dimension erreichen,
in der ein Mensch dem anderen vergibt,
ihm hilft, ihn pflegt, ihm Obhut gewährt.
Vom kleinsten Akt der Fürsorge, über jede Art von Liebesverhältnis
bis zu jeder Form von Sicherung leben wir in Asymmetrien.
In der Tiefe der Frage nach der Macht scheint das Opfer auf,
ohne das kein Glaube - und keine Humanität möglich wären. Amen
Lesung: Mt 4,1-11
Link zur Online-Bibel
Ein unmoralisches Anliegen - Predigt zu Markus 10,35-45 von Inke Raabe
Ein unmoralisches Anliegen
Markus 10, 35 bis 45 (Evangelium des Sonntags)
Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde! „Ein unmoralisches Angebot“ – so heißt ein amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1993. Dieses unmoralisches Angebot erreicht das junge Ehepaar David und Diana, er ist Architekt, sie Immobilienmaklerin, erfolgsverwöhnt, die beiden, gutaussehend, vielleicht sogar ein bisschen glamourös. Umso schwerer ist es für sie, mit der Schuldenkrise zurecht zu kommen, in die sie plötzlich geraten. Für die Schlüsselszene spielt in der Villa des Milliardärs John Cage, der die beiden zu sich eingeladen hat.
„Sie haben etwas, was ich nicht habe“, sagt Cage zu David mit Blick auf dessen wunderschöne Frau, der damals 31-jährigen Demi Moore, bei einem unverfänglichen Spiel Pool-Billard.
„Man kann halt nicht alles für Geld kaufen“, entgegnet David, „es gibt eben Grenzen.“
„Nicht viele“, erwidert Gage, gespielt vom unvergleichlichen Robert Redford mit smarter Coolness und einem Hauch Arroganz. „Nehmen wir an“, sagt er, „nehmen wir an, ich böte Ihnen eine Million Dollar für eine Nacht mit Ihrer Frau.“ Regie und Kameraführung sind großartig in diesem Moment. Sekunden verharren sie auf den Gesichtern von Diana und Dave. Empörung spiegelt sich in ihnen. Abscheu und Widerwillen, „So eine Nacht geht schnell vorbei, und das Geld reicht für ein ganzes Leben“, sagt Cage, während die schwarze Kugel mit der Acht über das Feld rollt.
David und Diana sind sich einig. „Der Teufel soll Sie holen“, sagen sie übereinstimmend. Aber man sieht in ihren Gesichtern, dass das Böse längst seine Saat ausgeworfen hat und dass das unmoralische Angebot des Amerikaners nicht ins Leere gehen wird.
Von einer, wenn auch nicht so anrüchigen, jedoch ebenso verwerflichen Anfrage erzählt unser heutiger Predigttext aus dem Markus-Evangelium.
Die Jünger sind schon eine Zeitlang mit Jesus unterwegs. Sie haben viel gehört vom Reich Gottes. Sie haben alles aufgegeben für den Mann aus Nazareth: ihre Familien, ihre Berufe, ihr Zuhause. Nun sind sie unterwegs nach Jerusalem, und immer wieder deutet Jesus an, dass das für ihn und seine irdische Mission das Ende bedeuten könnte. Die Jünger haben Angst, sie haben Angst um ihn - und um sich selbst.
Lassen Sie mich in Gedanken die Szene verfilmen.
Es ist ein langer Tag für Jesus und seine Jünger gewesen. Sie sind nur langsam vorangekommen, immer wieder haben Menschen sie aufgehalten und Jesus um seinen Segen und um seinen Rat gebeten. Es ist spät geworden, die Nacht ist lau, sie schlagen unterwegs ihre Decken auf und entzünden ein Feuer am Wegesrand. Leise lassen sie in kleinen Gruppen den Tag Revue passieren.
Langsam verstummen die Gespräche, einer nach dem anderen schläft ein. Nur Jesus und die Söhne des Zebedäus, sie heißen Jakobus und Johannes, sitzen noch am Feuer und stochern nachdenklich in der Glut. Die Kamera hält lange auf die Gesichter der Brüder. Sie schielen immer mal wieder zu den Schlafenden hinüber. Ihnen liegt etwas auf dem Herzen, die Spannung ist greifbar. Wir sehen Jesus. Konzentriert wirkt er. Abwartend. „Na los, raus mit der Sprache“, denken wir, die Zuschauer, „was ist los, was wollt ihr?“ Schließlich beginnt einer der Beiden. „Du Jesus, wir hätten da mal eine Bitte an dich.“ „Gerne“, sagt Jesus, „was kann ich für euch tun?“ Und dann rücken sie heraus mit ihrer zutiefst unmoralischen Anfrage: „Wir möchten gerne, wenn dein Himmelreich kommt, die beiden besten Plätze haben, links und rechts neben dir in deiner Herrlichkeit.“
In Jesu Gesicht bewegt sich nichts. Konzentriert ist er und still. Der Regisseur inszeniert die Szene sorgsam und klug. Er will, dass wir, die Zuschauenden die Emotion, die Empörung, den Ärger in uns selber spüren. Dann schwenkt die Kamera auf die Jünger und landet schließlich auf dem einem, der sich schlafend stellt und der das unmoralische Anliegen der Zebedaiden mithört. Seine Lippen pressen sich aufeinander, Zorn und Enttäuschung stehen in seinen Augen, die er nun erwartungsvoll auf Jesus richtet.
Jakobus und Johannes - Jesus hat sie nicht zufällig als Jünger ausgewählt, er braucht sie für seinen Heilsplan. Sie sind starke Persönlichkeiten: Ja, sie können den Kelch des Leides trinken, den Jesus trinken wird. Ja, sie können die Taufe in den Tod ertragen, die Jesus ertragen wird. Sie sind bereit, für die Sache Jesu zu sterben. In der Bibel tragen sie den Beinamen „Donnersöhne“: Die Geschwister sind emotional, ein bisschen aufbrausend, (Lk 9, 7ff), engagiert, vielleicht sogar Leitfiguren. Jesus hält große Stücke auf sie, nimmt sie sogar mit auf den Berg der Verklärung (Mk 9, 2ff). Vielleicht ist ihnen das zu Kopf gestiegen. Die Bitte der Zebedaiden ist unmoralisch: Sie wollen bevorzugt werden, sie wollen sich ihre Plätze sichern. Sie denken an sich, nicht an die Gemeinschaft, nicht an den Nächsten. Sie sollten es besser wissen. Sie sollten wissen, dass ihr Anliegen vermessen ist.
Lassen Sie mich auf das unmoralische Angebot des Anfangs zurückkommen. Menschen kann man nicht kaufen, Liebe ist nicht erwerblich. Das Ehepaar im Film ist sich einig. Aber sie beschließen: Wir sind stark genug, wir schaffen das. Er kriegt seine Nacht, wir seine Millionen. Meinen Körper kann er haben, meine Seele bekommt er nie. Sie irren sich. Mit dieser einen Nacht ziehen Misstrauen, Angst und Verzweiflung in ihre Ehe ein. Der Riss lässt sich nicht kitten. Das unmoralische Angebot hat an den Festen dessen, was alle drei für unerschütterliche Wahrheit hielten, gerüttelt. Es wird deutlich: Moral ist mehr als eine Frage der Sittlichkeit. Moral ist der Schutzwall vor dem Abgrund der eigenen Begierden.
Die unmoralische Anfrage der Zebedaiden lässt uns in ihren seelischen Abgrund blicken: Johannes und Jakobus wollen Macht. Anerkennung. Ruhm. Sie wollen ihre Namen in den Geschichtsbüchern lesen. Sie wollen etwas bedeuten in dieser und in der kommenden Welt. Dafür verletzen sie den Verhaltenscodex unter den Jüngern, hintergehen ihre Mitbrüder, fallen den anderen in den Rücken. Und die reagieren sehr ärgerlich, als sie davon hören. Die Zebedaiden erinnern mich in ihrem maßlosen Ehrgeiz an Al Kaidha-Kämpfer und Selbstmord-Attentäter. 72 Jungfrauen am Ende und ein der Lobpreis als Märtyrer – sie sind bereit, dafür zu sterben und andere mit in den Tod zu reißen.
Was sind Ihre, was sind meine Abgründe? Was treibt uns eigentlich an, was führt uns in Versuchung? Es gibt verzweifelt Chronisch-Kranke, die sich auf das unmoralische Angebot von Organspenden aus armen Ländern einlassen. Die einen kämpfen mit unerlaubten Mitteln um sportliche Siege, andere tun dasselbe für ihren Arbeitsplatz. Manche Mutter würde für ihr Kind ihre Seele verkaufen. Bei Matthäus ist es übrigens die Mutter der Zebedaiden, die das unmoralische Anliegen an Jesus richtet. Unmoralische Angebote versprechen Jugend, Blicke in die Zukunft, Kontakt zu unseren verstorbenen Liebsten. In jeder und jedem von uns lauern Abgründe, in denen die unmoralischen Angebote des Bösen fruchtbare Böden finden. Und der Humus, der die Saat gedeihen lässt, ist Angst oder unstillbare Sehnsucht. Es ist nicht sinnvoll, die Wälle einzureißen, die uns vom Abgrund trennen.
Jesus sieht, was den Jüngern verborgen bleibt. Er sieht Jakobus und Johannes ins Herz so wie er uns ins Herz sieht. Und er sieht in ihren Abgrund: Da ist wohl ihre Liebe zu ihm, aber auch ihre Liebe zueinander, aber es Liebe in ihrer verletzlichen und eifernden Form, Liebe, die besitzen und für sich allein haben will. Da ist die Angst, zu sterben. Zu sterben und dass es dann so sein könnte, als hätte es sie nie gegeben. Jesus sieht das – und versteht. Darum reagiert er so unbegreiflich milde auf das unmoralische Anliegen der beiden Brüder. Milde und doch deutlich. „Es steht mir nicht zu, euch Plätze im Himmel zuzuweisen“, sagt er schließlich, fast als habe er Mitleid mit ihnen.
„Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an“, erklärt er später den Jüngern und macht ihnen ein anderes, ein befreiendes, lebensrettendes Angebot. „Ihr sollt miteinander anders umgehen“, sagt er. „Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“ Macht es wie ich, sagt er. Ich diene, und ich gebe mein Leben als Lösegeld für viele.
Jesus bietet nicht Reichtum, Macht und Geld, er bietet Erlösung an. Erlösung vom Sund, Errettung vor den inneren Abgründen, Sinnstiftung über den Tod hinaus. Er geht als Beispiel voran, geht den guten Weg mit allen Konsequenzen, damit auch wir ihn gehen können ohne Furcht.
Jesus bietet ein neues, ein anderes Leben an. Und das ist kein unmoralisches Angebot, das am Ende mehr nimmt als es gibt. Das ist keine Nacht mit dem Teufel, der alle Liebe zerstört. Es ist kein kurzes Schillern im Rampenlicht von Ruhm und Macht. Jesus bietet Liebe an, die verschwenderische Hingabe ist. Er bietet den Jüngern und uns einen Platz im Himmel: Es ist der Platz neben dem Nächsten, der Not leidet. Wer der Erste sein will, der mache sich selbst zum Diener. Wem das gelingt, der sitzt hier wie dort neben Jesus, zu seiner Rechten oder zu seiner Linken, ganz in seiner Nähe - neben dem, der sein Leben als Lösegeld gab für uns.
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Markus 12, 1-12 von Gabriele Arnold
Liebe Gemeinde.
Haben wir da eben richtig gehört? Gott ist gegangen. Er überlässt seine Erde, seinen Weinberg, seine Menschen sich selber. Das Bild vom Weinberg und Gott als dem Besitzer des Weinbergs ist ein uraltes Bild und Jesus greift diese Bild auf, ja vielmehr er spitzt es in atemberaubender Weise zu. Gott ist außer Landes. Alles hat er vorher bestens eingerichtet. Er hat den Weinberg bebaut, einen Zaun darum gezogen, einen Turm gebaut von dem man aus den Überblick behalten kann. „Siehe es war alles sehr gut.“ Die Luft war sauber, die Flüsse rein, das Gezwitscher der Vögel wie immer und die Ozonschicht in Ordnung. „Und siehe es war sehr gut.“ Ein Mann, eine Frau und später zwei Kinder, Kain und Abel. Der Garten Eden. Und Gott ging außer Landes Und dann??
Atemberaubend wie Jesus unsere Dauer Fragen beantwortet und unsere Sicherheiten auf den Kopf stellt. Unsere Dauerfrage und unsere versteckte Daueranklage. „Wenn es dich Gott gäbe, dann hättest du doch ….
oder „Wo bist Du, Gott?“ „Wie kannst du das zulassen?“
Aber: Gott ist fort. Außer Landes, eine Welt ohne Gott. Und folglich kann auch das Böse in der Welt nicht von ihm kommen.
Nicht von Gott kommt das Unheil, der Verrat, der Todschlag.
Der Weinberg war bestens in Schuss.
Sie nahmen ihn und schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen nach Hause?
Die Pächter sind es die Unheil und Blutvergießen bringen.
Kain, der den Abel erschlug als sie dem fernen Gott ein Opfer darbrachten. Sinnbild für alles Weitere, was an Schrecken die Erde erfüllt
Dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn
An der U- Bahn Haltestelle. Alles geht ganz schnell, hier ein Tritt und da noch einer und noch einer und keiner greift ein
Und den töteten sie
Feuersturm in Dresden, Bomben über Coventry, das Gas aus den Schornsteinen in Auschwitz
Dem schlugen sie auf dem Kopf und schmähten ihn
Raus mit dem Asylflüchtlingen, das Boot ist voll, Deutschland den Deutschen
Den töteten sie und viele andere, die einen schlugen sie, die anderen töteten sie
Kopenhagen, Paris, Ukraine, Syrien, Libanon, Israel, Palästina, Afghanistan.
Wir haben nichts gelernt. Gar nichts. Der Weinberg war bestens in Schuss. Und nicht genug damit dass wir einander umbringen wo immer es geht, wir beschädigen den Weinberg nach besten Kräften, der Zaun ist zertrampelt, die Ozonschicht zerrissen, der Turm in Stücken. Wir haben den Überblick verloren über das Ende und den Anfang des Lebens, die Weinstöcke genetisch verändert, Trauben in Hülle und Fülle mehr als man essen kann für die einen, nichts als dürres Holz für die anderen.
Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
Gott kann es nicht lassen. Er kann uns nicht lassen. Er hält es nicht aus in der Ferne. Er hält es nicht länger aus zu zu sehen wie sein Weinberg verheert wird, wie die Menschen Opfer von Gewalt und Gräueltat werden. Er hält es nicht aus. Es hält ihn nicht länger in der Ferne. Er macht sich auf. In seinem Sohn. Im Sohn kommt er selber. Vater und Sohn nicht zu trennen. Gott macht sich auf.
Und wird getötet. Getötet wie Abel. Getötet wie die Abermillionen auf den Schlachtfeldern, die Ermordeten in KZ und Gulags, die niemals aufzählbar vielen Opfer von häuslicher Gewalt von Mord und Todschlag.
Heute hören wir diese Geschichte. Heute in der Passionszeit. Heute wenn der bunte Trubel der Narretei hinter uns liegt. Heute wenn wir beklommen wieder den Berg Golgatha vor Augen haben auf den wir in den nächsten Wochen unaufhaltsam hinzugehen müssen.
Gott stirbt wie all die Opfer, deren Blut den Boden des Weinbergs seit Menschengedenken getränkt hat. Auf Golgatha ist Gott zurück in seinem Weinberg und stirbt.
Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?
Nein liebe Gemeinde. Zum Glück irrt der Verfasser des Markusevangeliums an dieser Stelle. Der Herr des Weinbergs hat uns den Weinberg nicht weggenommen. Es sind noch immer die geleichen Menschen wie seit Adam und Eva, wie seit Kain und Abel. Aber der Herr des Weinbergs hat ein Machtwort gesprochen. Er hat die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Der tot am Kreuz hing hat nicht verloren sondern gewonnen. Die Pächter konnten ihn töten, beseitigen konnten sie ihn nicht. Der verworfene Eckstein ist zum Fundament geworden. Zum Fundament einer neuen Welt. Zum Fundament einer neuen Verheißung. Zum Fundament einer neuen Beziehung. Der Gott, der am Kreuz zurückgekehrt ist in seinen Weinberg, der wird ihn nie wieder verlassen. Sie konnten ihn töten. Aber sie konnten ihm das Leben nicht rauben.
Sein' Raub der Tod mußt geben her, / das Leben siegt und ward ihm Herr, / zerstöret ist nun all sein Macht. / Christ hat das Leben wiederbracht. / Halleluja. (Erschienen ist der herrlich Tag)
An Ostern, in ein paar Wochen werden wir das hier singen und glauben tun wir es schon heute. Das Leben siegt über den Tod. Gott über die Vernichtung. Der Glaube über die Barbarei, die Hoffnung über die Depression. Gott geht nicht fort. Er bleibt bei uns in allen Schrecken, in allen Ängsten in allem Todeswüten. Am Ende werden es alle sehen. Das Leben siegt und den zahllosen Toten wird Leben gegeben. Und deswegen dürften wir den Weinberg weiter bebauen. Denn der Gott des Lebens wohnt unter uns und manchmal aber achten wir das nicht gering gelingt es uns heute schon gute Pächter des Weinbergs zu sein. Im Gottes Namen. Im Namen des Lebens. Amen
Link zur Online-Bibel
„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, / aber Gott gedachte es gut zu machen“ - Predigt zu Markus 12,1-12 von Ulrike Voigt
„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, / aber Gott gedachte es gut zu machen.“
Liebe Gemeinde,
der heutige Predigttext ist in höchsten Maße irritierend. Es ist ein Gleichnis aus dem Markusevangelium. Die Erzählung konfrontiert uns mit einer bösen, ja brutalen Geschichte. Es geht um eine Gewalteskalation mit schlimmen Folgen. Ich lese das „Gleichnis von den bösen Weingärtnern“.
12 1Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
3 Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
5 Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
6 Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?
12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
Da ist ein Mann, dem ein Grundstück für Weinbau gehört. Er investiert alles, was es für einen guten Ertrag braucht: er gräbt den Boden um, pflanzt die Reben, zäunt alles ein, erbaut eine Kelter und einen Wachturm. Wer den Weinbau kennt, weiß, dass dazu viel Arbeit gehört. Dann verpachtet er den Weinberg und reist ab, wahrscheinlich ins Ausland. Das war damals nicht unüblich für einen reichen Landbesitzer in Galiläa.
Etwa 4–5 Jahre muss man warten, bis ein Weinberg zum ersten Mal richtig Ertrag abwirft. Nun möchte der Besitzer seinen Teil der Ernte haben und schickt dazu einen Boten. Doch der wird verprügelt und unverrichteter Dinge weggeschickt. Der vereinbarte Teil des Gewinns wird nicht an den Besitzer abgegeben.
Warum die Pächter so heftig reagieren, erfährt man nicht. Beim zweiten Versuch wird der Bote misshandelt und beleidigt – und nun wird es immer schlimmer: wen auch der Weinbergbesitzer schickt, die Pächter werden immer gewalttätiger, und schließlich gibt es sogar Mord und Totschlag. All dies muss sich über Jahre hingezogen haben. Der Besitzer muss inzwischen gewusst haben, dass mit den Pächtern nicht gut Kirschen zu essen ist, ja, dass sie Betrüger und Mörder sind.
Doch der Besitzer schenkt den Pächtern immer noch Vertrauen. Statt endlich ein Strafkommando zu schicken, das tabula rasa macht, kommt er auf die Idee, seinen einzigen Sohn dorthin zu schicken. Dieser verfügt als Erbe über eine besondere rechtliche Legitimation, und so nimmt der Besitzer an, dass sein Sohn in dieser Funktion respektiert werden wird. Unbegreiflich für die Hörer wird das Leben des Sohnes aufs Spiel gesetzt – und geht verloren. Die Pächter beschließen, auch den Erben zu töten, weil sie glauben, dann gehöre der Weinberg ihnen. Ob sie im Falle fehlender Erben den Weinberg erhalten sollten oder ob sie völlig irrsinnig handeln - jedenfalls schrecken sie auch vor diesem schlimmsten Verbrechen nicht zurück.
Die Frage, was nun passieren wird, beantwortet der Erzähler des Gleichnisses selbst: Der Besitzer wird den Pächtern das Grundstück wegnehmen, sie töten und neue Pächter suchen. Es gibt auf allen Seiten nur Verlierer.
Eine böse Geschichte, die viele Fragen aufwirft. Eine Spirale der Gewalt wird beschrieben. Auch durch das prognostizierte Ende wird diese nicht unterbrochen. Es geht immer weiter. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Schlagen wir derzeit die Zeitung auf, sehen wir, dass sich daran bis heute wenig geändert hat.
Ist die Geschichte schon unerfreulich genug, dann wird es noch schlimmer, wenn wir uns bewusst machen, dass es bei den damaligen jüdischen Zuhörern „geklingelt“ haben muss, und vielleicht gibt es dieses Aha-Erlebnis auch bei erfahrenen Predigthörern. Der Text erinnert zum Teil wörtlich an das sog. Weinberglied in Jesaja 5. Auch in dieser alttestamentlichen Geschichte bemüht sich ein Weinbergbesitzer um sein Grundstück und um eine gute Weinernte. Doch trotz aller Sorgfalt bringt der Weinberg nur schlechte Trauben hervor. Bei Jesaja wird der Weinberg von seinem Besitzer daraufhin zerstört, er wird zu Brachland. Und es folgt eine allegorische Deutung: Der Weinbergbesitzer ist Gott, der Weinberg ist Israel. Israel hält nicht die Gebote Gottes, hält sich nicht an das, was Gott will, und Gott hält über Israel Gericht.
Diese Konstellation schimmert auch durch die Markusperikope, und die Hörer damals mussten sich daran erinnert fühlen. Immer wieder hat Gott in Geduld und Liebe um sein auserwähltes Volk Israel geworben und neue Boten geschickt. Umsonst. Das Volk Israel hat einen um den anderen Boten Gottes abgelehnt, ja misshandelt oder getötet.
Jetzt, so will der Evangelist Markus mit seinem Gleichnis sagen, ist es kurz vor Zwölf. Jetzt schickt Gott sogar seinen geliebten Sohn. Diese Geschichte wäre dann die „Generalabrechnung“ Gottes mit seinem Bundesvolk Israel. Er hatte dieses Volk vor allen anderen Völkern der Welt erwählt, hatte sich ihm offenbart, hatte mit ihm seinen Bund geschlossen, hatte ihm über die Maßen Gutes gegeben. Aber im Laufe seiner Geschichte ist dieses Volk immer wieder von Gott abgefallen. Jetzt sandte Gott seinen Sohn, aber auch er wurde nicht respektiert; die führenden Köpfe der Juden waren ihm sogar feindlich gesonnen und planten, ihn umzubringen. Die das planten, waren genau die Leute, denen Jesus das Gleichnis von den bösen Weingärtnern ursprünglich erzählte. Dieses Gleichnis kündigt an, dass Gott seinen Pachtvertrag aufkündigt, dass der alte Bund mit Israel nun ein Ende findet, und dass Gott sich neue „Pächter“, ein neues Volk, suchen wird. Diese anderen Pächter sind die Heidenvölker, die Nichtjuden, die Gott durch seinen Sohn Jesus Christus in sein Reich beruft und zu seinem neuen Bundesvolk macht.
Das ist starker Tobak, und es ist verständlich, dass die damaligen Zuhörer Jesus am liebsten sofort um die Ecke gebracht hätten, so wütend waren sie über diese Predigt. Sie sind jedoch erst einmal unverrichteter Dinge abgezogen. Wie die folgende Passionsgeschichte zeigt, haben sie sich durch diese letzte Warnung nicht eines Besseren besonnen. Denn später haben sie es ja dann wirklich getan: auf ihr Betreiben hin starb Jesus am Kreuz.
Letzte Warnung, letzte Drohung. „Was wird der Weinbergbesitzer tun? Er wird den Weinberg anderen geben.“ Israel wird nicht mehr Pächter in Gottes Weinberg sein, Gott wird über Israel Gericht halten – falls Israel nicht umkehrt und den Sohn anerkennt. Das will der Evangelist mit seinem Gleichnis sagen.
Eine ganz schlimme Geschichte, nicht nur als Geschichte, sondern vielmehr noch in ihren Folgen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in solchen biblischen Geschichten die Wurzeln des christlichen Antijudaismus liegen, und das macht die Sache erst recht unerträglich. Dieser Text wurde in der Geschichte der christlichen Textauslegung von großen Theologen gegen die Juden verwendet: Weil die Juden Jesus umgebracht haben, hat Gott die Christen, die Kirche, zum neuen Heilsvolk an Israels Stelle eingesetzt. Die Folgen dieser Auslegung waren Antisemitismus und Verfolgung der Juden bis hin zum Holocaust.
Als ich an diesem Punkt der Vorbereitung angelangt war, habe ich kurz geschwankt, ob ich einen anderen Text für die heutige Predigt nehme. Wie soll man darüber eine Predigt halten? Da vermag es nur wenig zu trösten, dass dieser Predigttext mit der Revision der Perikopenordnung wieder in der Versenkung verschwinden wird, vermutlich genau wegen der antijüdischen Implikationen. Das ist gut. Aber es wäre auch zu billig, ja feige, einfach den Text wegzuschieben, nur weil er Mühe macht und an unangenehme Tatsachen erinnert. Nein, wir müssen uns dem stellen, wir müssen es wissen: solche Texte sind mitverantwortlich für den Antijudaismus in der Kirchengeschichte. Zwar stehen dahinter sehr schmerzliche Erfahrungen der urchristlichen Gemeinden, die sich von ihren jüdischen Geschwistern trennen mussten, weil diese Jesus nicht als den Messias anerkannten. Aber das kann niemals rechtfertigen, welche vielfachen Verbrechen daraus entstanden sind. Und solche Texte widersprechen radikal der Verkündigung Jesu, der Frieden und Gerechtigkeit für alle bringen wollte.
Die Kirchen pflegen Gott sei Dank inzwischen einen lebendigen Dialog mit dem Judentum auf vielen Ebenen, die Christen nehmen die Juden nicht mehr als die Enterbten, sondern als diejenigen wahr, die ihren eigenen Ort in Gottes Plan haben. Doch in der heutigen Gesellschaft ist der Antijudaismus, Antisemitismus, nicht überwunden, ja er nimmt leider zu.
Ich zitiere aus der Rede von Nikolaus Schneider, dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD, die er im September letzten Jahres bei der Berliner Kundgebung gegen Judenhass gehalten hat:
„Dagegen stehen wir auf! Wir wollen uns mit 20% latentem – und dann immer wieder akut aufloderndem! – Antisemitismus in unserer Gesellschaft nicht abfinden. Auch unsere Kirche muss immer neu erkennen und aufarbeiten, dass sie zur Judenfeindschaft beigetragen hat. Ein Überlegenheitsbewusstsein gegenüber dem Judentum seit nahezu 2000 Jahren hat den Weg zur Ideologie „rassischer Überlegenheit“ begünstigt. Es hat viel zu lange gedauert, bis wir als Kirchen erkannt haben: Antisemitismus ist wie jede Form des Rassismus menschenverachtend. Antisemitismus ist "Sünde gegen den Heiligen Geist", um mit dem Schweizer Theologien Karl Barth zu sprechen.[2] Antisemitismus ist Gotteslästerung. ... Auch wir stehen unbeugsam für jüdisches Leben in Deutschland ein! Auch wir sehen in jüdischem Leben in unserer Nachbarschaft keine Last, sondern eine Bereicherung. Es erfüllt uns mit tiefer Dankbarkeit, dass dies nach der Shoa wieder Realität in Deutschland wurde! Das war keineswegs selbstverständlich. – Deshalb wird jegliche Form des Judenhasses in unserem Land unseren Widerspruch und Widerstand erfahren.“
Auch wenn hier in Deutschland jüdisches Leben oft eher im Verborgenen stattfindet und nicht so im Alltag präsent ist wie zum Beispiel in Frankreich oder in der Schweiz, ist es wichtig für unsere jüdischen Mitbürger, dass wir nicht gleichgültig, sondern wachsam sind, antisemitischen Äußerungen und Haltungen widersprechen und Solidarität zeigen. Gelegenheiten bieten zum Beispiel die jährliche Woche der Brüderlichkeit Anfang März, die jüdischen Kulturwochen oder Veranstaltungen im Stuttgarter Lehrhaus für interreligiösen Dialog.
Doch kehren wir nochmals zurück zu unserem Gleichnis. Kein biblischer Text ist ja nur dafür erzählt, um die Schlechtigkeit der Menschheit zu zeigen. Jeder biblische Text sagt auch etwas über Gott aus und sein Handeln an und mit den Menschen. Drei Punkte möchte ich noch herausheben:
1. Der Weinbergbesitzer zeigt unendlich lange Geduld. Er gibt den abtrünnigen und bösen Pächtern immer wieder eine neue Chance. Sicherlich hat er längst durchschaut, was gespielt wird. Doch mit dem fortgesetzten Senden neuer Boten stellt er seine gütige Fürsorge unter Beweis. So kennen wir Gott! Er ist keiner, der brutal und unbarmherzig zurückschlägt. Und so passt der Text zum heutigen Sonntag „Reminiscere“, denn Reminiscere heißt: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind!“ (Ps 25,6). In diesem Psalmvers spricht einer, der weiß, dass er gesündigt hat, dass Gott aber barmherzig und gütig ist. Der Psalmbeter kann so beten, weil er weiß, dass Gott dieses Gebet erhören wird, dass er bereit ist, seinen Zorn zu vergessen und sich dem Betenden wieder in Liebe zuzuwenden. Gott wartet darauf, dass wir zu ihm umkehren, und er riskiert es dafür auch, enttäuscht zu werden. „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte“ (Ps 103,8).
2. Weil Gott so gütig ist, weil er die Liebe ist, mutet er auch seinem geliebten Sohn die Ablehnung zu, ja den Tod. Wir stehen am Anfang der Passionszeit. Einen Hinweis auf die Passionsgeschichte finden wir auch in dem Psalmwort, was sich direkt an das Gleichnis anschließt: Da stellt Jesus eine rhetorische Frage, denn gerade die von ihm angesprochenen Schriftgelehrten müssten es ja wissen und wissen es natürlich:
„Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Ps 118,23): Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen.“
Hinter diesem Bild steht der frühere Brauch, alle für einen Bau benötigten Steine einigermaßen grob behauen an der Baustelle aufzutürmen und dann jeweils den zum Gebäude passenden Stein auszuwählen. Fügte sich ein Stein nicht ins Bauwerk, wurde er von den Bauarbeitern einfach zur Seite geworfen. Einer dieser weggeworfenen Steine jedoch fügte sich zum Schluss doch noch perfekt ins Bauwerk ein, und zwar nicht nur in die Mauer, sondern als tragender Eckstein oder als der Schlussstein, der in einer Kirche das ganze Gewölbe zusammenhält.
Der Eckstein ist ein Bild für Christus. Obwohl die Bauleute, das meint die damaligen Zeitgenossen, ihn verworfen, ja weggeworfen haben, ist er nun zum Schlussstein, zum alles tragenden Eckstein, geworden. Gott hat seinem Sohn den Tod zugemutet, weil er sein Kostbarstes nicht erst geben wollte, wenn alle Menschen bereits umgekehrt sind, sondern noch mitten in der Rebellion gegen ihn. Gott wollte sein Haus der Liebe bauen. Jesus musste seinen Weg bis zum bitteren Ende gehen, aber Gott hat Jesus aus dem Tod auferweckt und ihn zum Schlusstein, zum tragenden Stein dieses Hauses der Liebe gemacht. „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, / aber Gott gedachte es gut zu machen.“ (Gen 50,20).
3. Der Weinberg Gottes ist den Pächtern gegeben, die von Gott dort eingesetzt sind. In Übereinstimmung mit anderen Weinberggeschichten von Jesus sehen die Nachfolger Jesu sich als diejenigen, die in Gottes Weinberg arbeiten. Jesus kann uns heute mit seinem Gleichnis die Augen öffnen dafür, was wir alles Gott zu verdanken haben. Da ist der Dank für Gottes Pachtvertrag, für Gottes neuen Bund, der uns zu Gottes Volk macht. Und was sind die Bedingungen dafür, zu denen uns Gott in diesen Bund hineinnimmt? Gott misst uns nicht an dem Profit, den wir als seine Pächter erwirtschaften. Gottes Weinberg ist groß genug, dass jeder, der dort arbeiten und sich an der Weinlese beteiligen will, seinen Platz findet. Das soll uns für heute genug sein, denn es ist genug.
(Gebet in Anlehnung an das jüdische Achtzehnbittengebet)
Gott, dein Erbarmen ist nie zu Ende
und deine Güte hört nie auf.
Wir hoffen auch dich, unsere tragende Hoffnung.
Dein Name sei gepriesen,
wie in alter Zeit genauso heute
und auch künftig in allen Zeiten.
Alles, was lebt, bekenne sich dankbar zu dir
Und erinnere sich an deine göttliche Güte.
Sie trägt uns von alters her,
und sie wird uns weiter tragen.
Dein erhabener Name sei gepriesen.
Du Gott, bist unser Heil und unsere Hilfe.
Laß uns darauf vertrauen
und laß uns in diesem Vertrauen
immer neu die Umkehr wagen zu dir.
Erneuere uns und mach uns bereit,
uns in Dankbarkeit zu dir zu bekennen.
(zitiert nach: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, Zur Perikopenreihe 1, Hg. von Studium in Israel e.V., Wernsbach 2008, S. 134 – Beitrag zur Perikope von Mikulas Vymetal)
AMEN
Link zur Online-Bibel
Die Rechnung, die nie aufgeht - Predigt zu Markus 12,1-12 von Thomas Volk
Die Rechnung, die nie aufgeht
Liebe Gemeinde,
„manchmal geht die Rechnung nicht auf!“
Nicht nur im Restaurant kann das einem passieren, wenn man die Aufstellung des Obers nachprüft und merkt, dass er zuviel aufgelistet hat. Es kann auch überall da geschehen, wo man meint alle Kosten bedacht zu haben und dann feststellen muss, dass man sich diese Wohnung einfach nicht leisten kann oder die Raten für das neue Auto doch nicht so ohne weiteres einhalten kann.
Und wer sich nach vielen langen Arbeitswochen auf ein freies Wochenende mit der Person, mit der man so gerne zusammen ist, freut, aber die Tage dann ganz anders verlaufen als gedacht, merkt, dass die eigenen Wünsche und die Wirklichkeit ganz unterschiedliche Währungen sind.
Es ist immer ärgerlich, wenn eine Rechnung nicht aufgeht, vor allem dann, wenn man mehr geben muss, als gedacht.
In dem Schriftwort für den heutigen Sonntag geht die Rechnung ebenfalls nicht auf. Hören Sie aus dem 12. Kapitel des Markusevangeliums, die Verse 1-12:
Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?
Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
Das hat sich der Weinbergsbesitzer ganz anders vorstellt, als er seinen Weinberg den Pächtern in Rechnung stellen wollte. Mit großer Liebe und Sorgfalt hat er ihn angelegt hat, ihn umgegraben, die schweren Bruchsteine aussortiert und weggeschleppt, edle Reben eingesetzt, einen Zaun gezogen als Schutz gegen das Zertreten und Abfressen durch Tiere. Er hat einen Keltertrog aus dem Felsen gemeißelt, in dem die Trauben zertreten werden, einen Turm gebaut, damit darin ein Wächter sein Lager aufschlagen kann, der die reifen Trauben gegen Diebe schützen soll. Und dann vertraut er nach vielen Mühen den Weinberg anderen an. Jetzt sollen sie gut damit umgehen, gewissenhaft darin arbeiten und die reifen Früchte ernten. Dann will er kommen und sich seinen Anteil holen.
Aber die Rechnung geht nicht auf. Die Boten werden angegriffen und geschlagen. Auch der eigene Sohn des Weinbergsbesitzers wird abgelehnt und sogar umgebracht.
Viele haben ähnliches erlebt wie dieser Weinbergsbesitzer und sprechen: „Ich investiere doch auch so viel und dann merke ich, dass die Rechnung nicht aufgeht.“
„Was habe ich in meinem Garten nicht alles unternommen, damit der Ertrag besser wird?“
„Was habe ich in das Haus hineingesteckt. Und als das Meiste abbezahlt war, da ging es schon los mit den ersten großen Reparaturen. Dann war es ohnehin schon zu groß, weil die Kinder schon nicht mehr da waren.“
„Überhaupt: Die eigenen Kinder. Was habe ich mich bemüht? Was haben sie an Zeit und Kraft gekostet. Die langen Fahrten an den Wochenende zu den Turnieren - die vielen Gespräche mit den Lehrerinnen und Lehren über die Noten, die nicht besser geworden sind - das endlose Diskutieren, wie lange sie im Internet surfen dürfen - und jetzt gehen sie ihre eigenen Wege und es ist noch nicht ganz klar, ob sie einmal dahin kommen, wo ich sie gerne hingebracht hätte.“
Unsere Rechnungen gehen oft nicht auf: Weil das, was wir in unsere eigene Ausbildung gesteckt haben, in keinem Verhältnis zu dem steht, was dabei heraus gekommen ist. Oder weil die vielen Bemühungen um eine gute Beziehung doch nichts gebracht haben.
In diesem Gleichnis geht es um noch mehr. Nicht nur, dass wir uns darin wiedererkennen können, sondern merken: Auch bei jemand anderem scheint ebenso eine Rechnung nicht aufzugehen. Die des Weinbergsbesitzers. Und damit ist in diesem Gleichnis niemand anderes als Gott gemeint.
Was hat er in seinen großen Weinberg, die Erde, investiert: Dass sie sich entfalten konnte. Dass sie nach vielen Millionen Jahren so geworden ist, dass Menschen darin Nahrung finden und satt werden. Dass diese die Fähigkeit erlangt haben, sie zu erforschen und zu bebauen. Dass sie eine Sprache entwickelt haben, die ihnen hilft, sich nicht nur untereinander zu verständigen, sondern auch ihn, Gott, für all das, was er ihnen gegeben hat, danken und ehren zu können.
Verständlich, dass der Weinbergsbesitzer kommt und sich am Ergebnis mitfreuen und seinen Pachtanteil holen will. Aber diese Rechnung geht gerade nicht auf. Ich lese aus dieser Geschichte auch heraus, dass Gott selbst der Verlierer in seiner eigenen Welt sein kann. Eigentlich müssten die Pächter doch voller Dankbarkeit den Boten das zurückgeben, was der Weinbergsbesitzer investiert hat. Aber stattdessen gibt es Ablehnung statt Liebe. Auch der letzte Versuch seiner Liebe und Barmherzigkeit geht nicht auf. Selbst den eigenen Sohn achten und ehren sie nicht.
Die Passionszeit erinnert uns daran, dass Gott diese Tragödie erlebt hat. Und diese Geschichte hat schon damals den Hörern deutlich vor Augen geführt, dass die Besessenheit nach „Immer-noch-mehr“ nicht nur die eigene Gier kaum befrieden kann, sondern auch Unfrieden und Zorn hinterlässt, der meistens nicht mehr gut gemacht werden kann.
Viele empören sich zu Recht über das, was die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam kürzlich festgestellt hat: Im Jahr 2016 werden ein Prozent der Menschen weltweit werden so viel Vermögen angehäuft haben, wie die restlichen 99 Prozent der Weltbevölkerung zusammen. Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos vor einigen Wochen hat sie diese Zahlen veröffentlicht.
Weil nicht erste seit heute die einen immer mehr für sich herausholen wollen, weil die Rechnungen der Pächter damals wie heute nicht aufgehen und weil viel zu viele auf der Strecke bleiben, stellt Gott eine ganz andere Schlussrechnung auf: Mit einem alten biblischen Bild kündigt er sie an. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“ (V.10).
Der Eckstein ist der Schlussstein im Bau. Er hat die wichtigste Funktion. Er wird beim Bau eines Portals oder einer Kathedrale als letztes oben gesetzt. Es ist der Stein, der alles zusammenhält, der gleichzeitig auch alle Spannungen ausgleicht.
Das Gleichnis sagt: Ein solcher Eckstein ist Jesus für die Welt. Wenn dieser Eckstein nicht mehr da wäre, dann bricht alle Menschlichkeit zusammen, dann holen sich auch in Zeiten von Finanzkrisen die Superreichen immer noch mehr für sich heraus.
Dieser Eckstein sagt auch: Du bist arm dran, wenn du ein gesichertes Auskommen hast, aber immerzu auf mehr aus bist und immer noch nicht zufrieden bist mit dem vielen, was du bereits verdient hast.
Die Pächter in dem Gleichnis sind ja auch arm dran, weil ihre Rechnung nicht aufgeht. An ihrem Geld klebt Blut. Sie müssen damit leben, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden und einen ganz anderen Lohn erhalten.
Weil so viele Rechnungen nicht aufgehen und weil wir uns häufig verkalkulieren, deshalb braucht es diesen einen Eckstein, der uns erinnert: Du hast alles im Leben nur gepachtet. Und auf deiner letzten Reise kannst du ohnehin nichts mitnehmen.
Eine unangenehme Erinnerung. Schon zurzeit Jesu hat sie nicht ins Konzept gepasst. So ein Eckstein stört. Das ist immer schon so gewesen.
Bereits die Propheten im Alten Testament haben gestört. Für manche waren sie allein deshalb unbequem, weil sie die Reichen immer wieder erinnert haben, dass man bei allem Wirtschaften den einen Weinbergsbesitzer nicht vergessen soll. Sonst stimmt so manche Rechnung nicht mehr. Das Ergebnis: Der Prophet Elia fast zu Tode gejagt, Jeremia war auf einmal verschollen, Sacharja wurde umgebracht und Johannes der Täufer hingerichtet. So ist es weiter gegangen bis zu Martin Luther King, dessen eindrückliches Leben gerade im Kino zu sehen ist.
Und „was würde Jesus dazu sagen?"
So hat übrigens immer wieder Pfarrer Martin Niemöller gefragt, dessen Todestag sich in der kommenden Woche zum 31.Mal jährt.
Er ist auch, wie Jesus und die Propheten des Alten Testaments höchst unbequem gewesen, was viele - auch in der Kirche - gestört hat.
Er gründete 1933 in der Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen den Pfarrernotbund, aus dem sich bald die Bekennende Kirche entwickelte. Er war eine Symbolfigur des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Vereinnahmung der Kirche. Als 1937 der Gegensatz zwischen Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche neutralisiert wurde, hat der Staat alle Kirchenleitungsaufgaben in die Hände der sogenannten „Kirchenausschüsse“ gelegt. Die bekennende Kirche zerbricht daraufhin in einen gemäßigten Flügel, der mit den Kirchenausschüssen zusammenarbeitet und in einen kleinen „radikalen“ Flügel“ zu dem auch Martin Niemöller gehört. Er lässt sich nicht unterkriegen. Mit seiner Kritik gegen das Nazi-Regime steht er fast alleine da. Bald darauf kommt er ins Gefängnis. Von 1938-1945 ist er als persönlicher Gefangener Hitlers in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau inhaftiert. Auch nach dem Krieg ist und bleibt er unbequem. Bis zum seinem Tod im Jahre 1984 setzte er sich für weltweite Abrüstung ein und ist vielen Politikern und auch Theologen ein Dorn im Auge.
Seit seinem neunten Lebensjahr ist diese Frage sein Kompass „Was würde Jesus dazu sagen?“ Sein Leben lang hat er sich an dieser einen Frage orientiert, egal in welche Bedrängnis er gekommen ist oder mit welchen Anfeindungen auch immer er kämpfen musste.
Was würde Jesus dazu sagen, wenn wir immer nur darauf aus sind, dass sich alles mindestens 1:1 rechnet?
Vielleicht würde er sagen: Wer in seinem Leben immer nur so auflistet, dass ein Gewinn herauskommen muss, der ist bedauernswert, weil er alles und jeden als eine Ware ansieht, die man dann entäußert, wenn man sie nicht mehr braucht.
Wo immer das Gefühl im Hintergrund mitschwebt, man könnte zuviel investieren, anderen mehr geben, die Mutter öfters im Wohnheim besucht haben als die Geschwister, sich mehr um den Verein gekümmert haben als die anderen im Vorstand, bekommt vor lauter Aufrechnen und Abwägen den Kopf nicht mehr frei für das, was gerade ansteht. Ganz abgesehen davon, dass solche Verpflichtungen, sowohl für die eigene Familie als auch in irgendeinem Ehrenamt, einem selbst viel geben können und das eigene Leben mit frohen Begegnungen erheblich bereichern.
Jesus würde außerdem sagen: Werde bloß kein Erbsenzähler. Solche Menschen sind ungenießbar, weil sie alles aufrechnen. Lass dich nicht verbittern, wenn etwas nicht so aufgeht, wie du es dir vorgestellt hast. Dazu ist das Leben viel zu schade.
Aus dem Gleichnis von dem Weinbergsbesitzer lese ich auch heraus: „Wenn du etwas auflisten willst, dann das, was du alles bekommst, einfach so“.
Aber noch besser: „Lass dich einfach beschenken. Mach dir bewusst, dass Gott eben nicht aufrechnet, nicht genau Buch führt, wo du ihm etwas vorenthalten, ihm nicht mit gleicher Münze zurückgezahlt hast. Du lebst von dem unermesslichen Vertrauen, das er dir entgegenbringt, weil du in seinen Augen einzigartig und wunderbar bist. Und du kannst dich auch noch entwickeln und es anders machen.
Deshalb: Lass dich beschenken mit dem Vertrauen, das Gott dir entgegenbringt. Auch wenn der Evangelist Markus am Schluss des Gleichnisses ankündigt: „Der Herr des Weinbergs hat die Weingärtner doch nicht umgebracht und den Weinberg anderen geben“ (vgl. V.10). Gott ist nicht in die Welt gekommen, damit er mit der gleichen Währung aufrechnet, mit der wir unsere alten Rechnungen begleichen.“
Vertrauen kann man ohnehin nicht aufrechnen und vergleichen. Vertrauen kann man nur geben oder es sein lassen. Gott hat sich für Ersteres entschieden. Und nun schau, wie du dieses Vertrauen von neuem in dir wirken lassen kannst und du im Rahmen deiner Möglichkeiten - aber auch nicht darunter - eine vertrauenswürdige Maßnahme wirst.
Und das Vertrauen Gottes, das umfangreicher und größer ist als alles menschliche Abwägen und Vergleichen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Markus 8,31-38 von Jochen Arnold
Wie war das eigentlich damals, liebe Gemeinde? Was hat er im Voraus gewusst? Was hat er vielleicht nur geahnt? Und was hat er mit seinen Freunden geteilt? Was blieb sein Geheimnis?
Der Evangelist Markus bringt Licht ins Dunkel und nimmt uns hinein in die Geschichte Jesu und seiner Jünger. In ihre Höhen und Tiefen. In der Mitte des Evangeliums richtet sich die Kamera des Erzählers exklusiv auf Jesus und Petrus. Die Geschichte spielt - weit weg vom kulturellen und geistlichen Zentrum Jerusalem - im kleinen Caesarea Philippi, unweit des Golan, fast am Rande der „Zivilisation“. Die Presse ist nicht dabei, keine große Glocke… Und doch fielen gerade große Worte. Du bist der Christus! So outet sich Petrus. Mit Feuer und Flamme bekennt er sich zu Jesus als Messias. Doch dessen Reaktion irritiert. Jesus verbietet seinen Jüngern, anderen Menschen davon weiterzuerzählen. Geheimnis also! Messias-Geheimnis. Und dann?
- Lesung Markus 8,31-38 -
Nach dem Höhepunkt des fulminanten Bekenntnisses nun also ein absoluter Tiefpunkt. Jesus kündigt Dunkles an: sein eigenes Leiden und Sterben, die bevorstehende Auseinandersetzung mit den Mächtigen in Jerusalem, einen langen steinigen Weg. Nicht glorreich, sieghaft, sondern überschattet von Gefahr und Kampf. Darüber kommt es zu einem scharfen Wortwechsel, zum Clinch zwischen Petrus und Jesus. Der Meister schlägt jedenfalls einen ungewohnt scharfen Ton an. Er erinnert uns an seine Vertreibung des Teufels in der Wüste: Hinweg von mir Satan. Darf man so einen Freund ver-teufeln? Doch auch das griechische Wort, das den Einspruch des Petrus beschreibt, zeigt Energie an: Er wehrte dem, ja herrschte den an, den er gerade noch als Messias gepriesen hat. Er fährt ihm so richtig über den Mund.
Damit kommen wir der Sache näher. Petrus zeigt Gefühle. Er wehrt sich. Er will um keinen Preis, dass Jesus leidet. Er möchte den geliebten Freund nicht auf dem Weg des Leidens sehen, zerrieben zwischen den Fronten des politischen und geistlichen Establishments. Er meint es also gut! Fürsorglich! Petrus denkt: Warum soll Jesus sich dem allem aussetzen? Warum soll der Lehrer vom Reich Gottes, der so vielen Menschen geholfen hat, leiden und den Helden oder Märtyrer spielen?
So fragen Menschen bis heute. Warum das Kreuz in unserer Kirche? Was soll dieses Symbol der Brutalität in unserer Religion? Wem hilft es?
Bleiben wir hier einen Moment stehen. Petrus kann dem bevorstehenden Leiden Jesu nichts abgewinnen, weil er keinen Sinn dahinter erkennt, dass sich ein Unschuldiger aufopfert…
Ich muss zugeben, dass auch ich – nach menschlicher Vernunft geurteilt – kritisch aufhorche, wenn Menschen – wohlgemerkt Menschen wie du und ich! – aus Leichtsinn oder Dickköpfigkeit oder sonst etwas in eine Auseinandersetzung hineinstolpern, die nur Unglück und Not verursacht. Ja, ich bin überzeugt: Viele familiären Konflikte, aber auch viele Kriege nah und fern ließen sich so gesehen vermeiden. Sie sind gleichsam hausgemacht. Und in ihren Folgen einfach nur schrecklich.
Ganz gleich, wo wir hinschauen, ob in die Ukraine oder nach Syrien. Was dort passiert, ist an vielen Stellen die Folge brutaler Machtpolitik oder die Schreckensherrschaft irregeleiteter Extremisten und Fundamentalisten.
Wenn ich heute anstelle Jesu antworten dürfte, dann würde ich sagen: Ja, Petrus, du hast recht, es gibt unendlich viel Leiden, dem wir keinen Sinn abgewinnen können. Und viele Deutungsangebote wie „Leiden als Strafe“ oder „Leiden zur Prüfung“…oder: „Leiden um zu wachsen“ oder gar „um demütig zu werden“… (das sind) alles schwierige Begründungsmuster. Besonders dann, wenn Gewalt von Menschen an anderen Menschen im Spiel ist. Und – noch schlimmer – wenn damit Gewalt im Namen Gottes gerechtfertigt werden soll. Dazu können und dürfen wir nicht Ja sagen.
Aber Jesus öffnet uns mit seiner Sicht der Dinge noch eine andere Perspektive: „Hier geht es zunächst um meinen Weg“, sagt er. „Um meinen Weg nach Jerusalem, den Gott mir weist. Mein Weg ist anders als der des römischen Kaisers (Caearea!)[1] oder seiner Feldherrn. Er ist nicht gesät mit den Leichen der Gefallenen. Es ist der Weg der Gewaltlosigkeit. Und genau dieser Weg ist es, den Gott mit mir – und mit euch! – gehen will. Er ist radikal anders, nicht immer schön, nicht wirklich kalkulierbar und doch wahrhaftig. Denn es ist der Weg der Liebe.“
Jesus wendet den Vorwurf der Sinnlosigkeit des Leidens und sagt: „Wenn ich euch nach Jerusalem vorausgehe, wenn ich die vielen Schicksale der Menschen am Wegesrand sehe und ihr Leid mit hinauftrage, dann ist das nicht umsonst. Im Gegenteil. Es ist geradezu angesagt, es ist Gottes Plan. Denn ich bin nicht gekommen, um zu herrschen, sondern um zu dienen und dadurch Leid zu wenden. Der Menschensohn kommt im Auftrag des Höchsten, um den allerniedrigsten Weg zu gehen. Aber hört! Selbst wenn ich sterbe, ist das nicht das Letzte. Ich werde nach drei Tagen auferstehen! So öffne ich euch allen die Tür zu einem neuen Leben, die Tür zu Gott.“
Viele Christen stellen sich am Beginn der Passionszeit 2015 die Frage des Petrus. Was sollte und soll das Leiden Jesu für uns heute bringen? Gibt es einen „Gewinn“ für uns daraus?
Das Evangelium heute, liebe Mitchristen, ist wirklich eine gute Nachricht: Jesus lässt sich durch seinen Freund Petrus nicht abhalten, den Weg ins Leiden zu gehen. Gott ist sich nicht zu schade für diese Welt. Er weicht der Konfrontation nicht aus. Auch kluge menschliche Argumente, schon gar die Angst vor Gewalt können Jesus abhalten. Deshalb glauben wir: Christus ist dabei, wenn in Syrien oder im Irak, in der Ukraine oder bei uns im eigenen Land Menschen leiden und sterben. Gott teilt Ohnmacht und Schwäche mit uns Menschen.
Damit ist freilich nicht gesagt, dass Gott Gewalt und Unrecht gut findet! Im Gegenteil. Wir sind gefordert, in seinem Namen dem Unrecht die Stirn zu bieten und uns für den Frieden einzusetzen, wie es in diesen Tagen Angela Merkel und Francois Hollande tun. Ich finde das gut!
Aber dennoch ist das ist nicht alles. Menschen können diese Welt nicht retten. Wie prominent sie auch sind. Jesus geht nach Jerusalem, nicht nur um zu leiden, sondern um uns vom Leiden zu erlösen. Das ist der österliche Schein hinter dem Kreuz und der Gewinn schlechthin: Rettung vom ewigen Tod! Der Weg den Jesus mit uns geht, reicht bis zum Himmel Gottes, wo unser Leben an sein eigentliches Ziel kommt.
An dieser Frage hängt letztendlich alles. Jesus sagt es unmissverständlich: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele???
Also doch wieder Ver-tröstung? Himmel statt Erde? Nein! Denn in all dem passiert auch etwas mit uns, die wir mit ihm auf dem Weg sind. Jesus deutet das nur an. Aber das, was er andeutet, ist gewaltig. Es ist die totale Umkehrung alter Prinzipien, eine friedliche Revolution im besten Sinne des Wortes. Bei mir, sagt Jesus, zählt nicht durchsetzungsfähig, stark, mächtig, sondern zugewandt, schwach, zerbrechlich. Mein Qualitätshandbuch kennt andere Prinzipien als Einschüchterung und Terror. Ich gehe den Weg der Freiheit und des Friedens, nicht der Angst und Unterdrückung. Folge mir und du wirst völlig unerwartet ein Gewinner, eine Siegerin. Vertraue mir und die Perspektiven drehen sich! Lebensgewinn in meiner Nachfolge heißt: Du erlebst zwar Schmerzen und Konflikte. Du verbrennst vor Liebe für Andere. Aber genau darin, im Verlieren und Hingeben ist Gewinn. Hier findest du das Leben. Darin findest du mich.
In einer Zeit, die von so tiefer Sehnsucht nach echten Gefühlen und wahrhaftiger Beziehung ist, ist der Weg an der Seite des Menschensohnes die einzige Alternative: die Alternative unbeschadet ans letzte Ziel zu kommen und dabei unterwegs „Wunderbares“ mit ihm zu erleben. Auf diesem Weg öffnet sich eine neue Welt, eine Gegen-Welt zur Herrschaft des Kapitals und der Spirale des Terrors. Sie ist geprägt von echter Zuwendung. Sie ist erfüllt und getragen vom göttlichen Ja zu dir und dieser Welt, das sich in der Menschwerdung Jesu zeigt.
Ich möchte mir das heute (morgen) von ihm sagen lassen, liebe Mitchristen. Ich höre ihn anklopfen und rufen: Folge mir nach. Schau weg von dir selbst. Lass los. Gehe den Weg der Liebe an meiner Seite. Du bist nicht allein. Mit kleinen Schritten geht es mir nach, Schritten, die dich und diese Welt verändern. Total. Amen.
[1] Vgl. dazu auch JD. Döhling, Anfänglich verstehen, Predigtmeditation zu Estomihi in GPM 2015, 144: „Nach Flavius Josephus war Caesarea Philippi in den Jahren 66 und 69 n.bChr – also in großer Nähe zur Abfassung des Evangeliums – Winterquartier Vespasians vor dem Feldzug nach Süden zur Niederschlagung des jüdischen Aufstands und später ein Ort der Triumphfeiern seines Sohnes Titus nach dem mit ungeheurer Brutalität errungenen Sieg… Wo der gewaltsame Macht-Weg zweier Gottkaiser begann, beginnt der Gegen-Weg des Gegen-Königs und Gegen-Gottessohnes.“
Link zur Online-Bibel
Messiastest mit Doppelfehler - oder – Gottes Meinungsfreiheit ist der Hammer, der Fundamentalismusfelsen zerschmeißt - Predigt zu Markus 8,31-38 von Markus Kreis
Messiastest mit Doppelfehler - oder – Gottes Meinungsfreiheit ist der Hammer, der Fundamentalismusfelsen zerschmeißt.
Liebe Gemeinde,
er hat es uns leicht gemacht. Wir Christen können gut lachen. Gott hat uns in eigener Sache eine Karikatur seiner selbst geliefert. Kein Mensch könnte dazu ein treffenderes Gebilde anfertigen: die Gestalt Jesu, die am Kreuz hängt. Da können die Spitzfederbuben von Charlie Hebdo noch ganz schön was lernen für ihr Geschäft:
Der Allmächtige ganz wehrlos– der Gerechte gedemütigt – der Herrliche abscheulich – der Heilige angeschlagen – der Ewige am Ende desillusioniert.
Und zugleich zeigt uns dieses Gebilde - anders als andere Karikaturen – die Wahrheit: Gottes täuschungsfreie Meinung, Gottes wahre Wertschätzung, Gottes wahres Tun, nämlich:
Wehrhaftigkeit für Wehrlose – Gerechtigkeit für Gedemütigte - Herrlichkeit für Abscheuliche - Heiligkeit für Angeschlagene – Ewigkeit in Wahrheit für Desillusionierte am Ende...
Von dieser täuschungsfreien, göttlichen Meinungsfreiheit hat Petrus in Jesu Worten profitiert. Als er von seinem Leidensweg erzählte, hat Jesus sich bereits privat vor seinen Jüngern zur Karikatur gemacht. Petrus verspürte beim Hören auf Jesu Worte in sich zunächst nur einen Hauch von Wehrlosigkeit, Demütigung, Abstoßung, Angeschlagen sein, Desillusionierung.
Er kann nicht glauben, was er da hört. Also nimmt er Jesus zum Vier Augen Gespräch beiseite - er will ihn nicht öffentlich blamieren – er will es wissen: Hab´ ich Jesus recht verstanden? Nach der Reaktion und Antwort Jesu hat es mit dem verspürten Hauch ein Ende: Geh weg von mir Satan, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
Das hat Petrus bis ins Mark erschüttert. Jetzt hat er sich gewiss nicht nur gehaucht, sondern gänzlich wehrlos, gedemütigt, abgestoßen, angeschlagen und desillusioniert gefühlt. Denn die Zurechtweisung erfolgte von höchster Stelle, durch Jesus, nicht durch irgendeinen nur mehr oder weniger bedeutenden Mitmenschen. Was ist Petrus da widerfahren?
Petrus wollte sich selbst testen, und zwar auf zweierlei hin. Er wollte sein Gehör prüfen. Und falls mit dem Hören alles in Ordnung war, seinen Einfluss auf Jesus, seine persönliche Nähe zu ihm und sein damit ermöglichtes Einwirken.
Jetzt stand er plötzlich da – eben als der Getestete - aber nicht durch sich selbst, nicht im Autodiagnoseverfahren wie beim PC, welcher selbst ein Testprogramm aufruft. Sondern unvermutet getestet durch einen Anderen, durch Gott in Jesus. Und eben mit dessen Attest: Falsch negativ.
Petrus meinte zuvor, er sei alles andere als ein Sünder, er sei kein Widersacher Jesu. Und bekam von Jesus die Meinung gesagt: Weiche hinweg, Widersacher! Satansliebchen und Schlangenbrut statt Gottes Duz- und Seelenfreund.
Falsch negativ, was heißt das? Wenn man Blut spendet, dann ist ein HIV-Test hinter sich zu bringen. Und man erwartet von zwei möglichen Antworten, positiv oder negativ, die eine - negativ nämlich.
Aber bei solchen Tests gibt es eben vier Antwortmöglichkeiten, nicht nur zwei. Und die zwei weiteren neben positiv und negativ lauten falsch positiv und falsch negativ.
Diese zwei weiteren gründen in der Fehlerhaftigkeit allen menschlichen Tuns; auch ausgetüftelte Tests sind da nicht frei von: falsch positiv heißt: ich hab das Leiden laut Test, obwohl ich es in Wahrheit doch nicht habe. Und falsch negativ bedeutet: ich bin laut Test frei davon und leide in Wirklichkeit doch darunter.
Petrus sah sich frei von Widergöttlichkeit und litt in Wirklichkeit doch darunter ohne es zu wissen. Er fühlte sich ganz sicher wehrlos, gedemütigt, abgestoßen, angeschlagen und desillusioniert-vergänglich. Angesichts der Zurechtweisung durch Jesus, dieser niederschmetternden Antwort von allerhöchster Stelle - kein Wunder.
Ein Wunder aber ist, und daran besteht kein Zweifel, folgendes: Petrus gibt trotz des schlechten Attests von allerhöchster Stelle nicht nur die Karikatur eines wehrlosen, gedemütigten, abgestoßenen, angeschlagenen und desillusionierten Fundamentalisten ab. Das Wunder ist, dass er an Gottes wahrem und wirklichem Tun großen Anteil gewonnen hat, dass die Zurechtweisung Jesu ihm neue Möglichkeiten fürs Leben zugewiesen hat, neue Rechte und Ansprüche – natürlich nicht ohne Pflichten: Wehrhaftigkeit für Wehrlose – Gerechtigkeit für Gedemütigte - Herrlichkeit für Abstoßende - Heiligkeit für Angeschlagene - Ewigkeit für Desillusionierte.
Irgendwie muss das mit der Selbstverleugnung und mit dem Kreuz auf sich nehmen also immer wieder geklappt haben. So dass das bisschen von zwischenmenschlicher Seite verabreichte Quantum an Wehrlosigkeit, Demütigung, Abstoßung, Verletzung und Desillusionierung ihm nichts mehr angehabt hat – welch ein Mensch aus ihm doch noch geworden ist:
Märtyrer des Glaubens, Gründungsbischof von Rom und Stuhldesigner, Parteifreund von Paulus, Dauerdiskutierer bei Versammlungen, für seine Überzeugung ins Gefängnis Geher, Entfesselungskünstler, heimlicher Jesusfreund angesichts weiblicher Avancen... an volatiler Gottesbeziehung und Selbstverleugnung in der Bibel nur überboten von David.
Gottes Meinungsfreiheit in Jesus überzeugt sogar felsenfeste Widersacher, zerbröselt ihre Zweifel, kapert ihre kontroverse Kommunikation, stärkt sie zur Selbstverleugnung, befreit sie von blinden Flecken, transformiert ihre Träume, wechselt Weltanschauungen aus, schmiedet neue Pläne.
Dank der Meinungsfreiheit sieht man sich nicht mehr als Gottes Hausfreund und geht mit der eigenen Nähe zu ihm hausieren. Dann verdreht man nicht mehr die Verhältnisse und vermeint, Gott die eigene Meinung einflüstern zu können. Sondern man bittet und betet darum, dass Gott einem etwas flüstern möge, dass Gott einem seine Meinung geige in ewiger Wahrheit.
Dann glaubt man, dass Gott in Jesu Weg zum Kreuz das Leiden nicht auslassen konnte. Will und muss er doch das Leiden überwinden in seiner liebenden Allmacht. Dann versteht man, dass Gottes Kommen mit Macht in Ohnmacht anheben muss. Alles andere hieße nämlich Böses mit Bösem vergelten und nicht mit Liebe. Dann weiß man, dass Macht echte Ohnmacht erleiden muss, um wahre Abhilfe daraus zu wissen und zu geben: durch liebendes Dienen nämlich.
Wenn Jesus sich den menschlichen Machtinstanzen ausliefert - hier der Anhänglichkeit des Petrus - dann ist der Begriff von Macht nicht mehr der alte, sondern neu definiert. Verkehrt sind dann die bislang geltenden Mächte und die wahre Macht zeigt sich durch diese Umkehrung ins Gegenteil: sich zu befähigen - das heißt liebendes Dienen.
Im Dienen ist wahre Macht duldsam gegenüber eigenem Leiden und unduldsam gegenüber dem Leiden der Mitwelt. Mit fremdem Leid geduldig und mit eigenem ungeduldig zu sein, das ist das Unvermögen unbeugsamer Macht, wie wir sie oft spontan anbeten und erbeten, wie sie manchmal in unseren Köpfen und Körpern herum spukt.
Wer meint, unter der Meinungsfreiheit habe das Christentum ansonsten nur gelitten - sei sie hier von Gott in Jesus sozusagen ausnahmsweise in Anspruch genommenen – wer das meint, der irrt und täuscht sich:
Der christliche Glaube hat in echter Nachfolge von Meinungsfreiheit profitiert, ja selbst ursprünglichen Gebrauch davon gemacht.
Stellen doch die Reformation und der Protestantismus eine wirkungsvoll ausgedrückte Meinungsfreiheit in theologischen und religiösen Fragen dar. Und in den Fragen, die das Leben in Gottes Schöpfung den Menschen stellt. Ursprünglich christliche Mindermeinung blieb sie nicht reiner Geist, sondern wurde Fleisch und nahm Gestalt an bis heute in evangelischen Kirchenorganisationen überall auf der Welt.
Das wird gerne vergessen. Evangelischer Glaube beruht ursprünglich auf Meinungsfreiheit. Worin mag dieser Gedächtnisverlust gründen? Vielleicht darin: Die evangelische Kirche gab ziemlich schnell der Meinungsfreiheit feindlichen staatlichen Gebilden ihren Segen. Entweder war der weltliche Fürstenstaat quasi unangreifbar wie bei Luther. Oder man machte wie Calvin in Genf gleich selber Staat: eine ausgewachsene Theokratie, die der des heutigen Irans nicht ganz unähnlich gewesen ist.
Aber auch das hinderte nicht die irrtumslose Meinungsfreiheit Gottes in Jesu, ihr gutes Werk zu tun. Es entstanden alsbald neue evangelische Kirchen, die mit den Formen der staatstragenden Kirche nicht einverstanden waren: in Deutschland zum Beispiel die Mennoniten und Hutterer, in Großbritannien die independant oder dissenting churches. Diese Christen, die wegen ihrer Meinungsfreiheit im Glauben allerlei Einschränkungen in Kauf nahmen, hatten maßgeblich Anteil an der Gründung und Gestaltung der Vereinigten Staaten von Amerika getragen.
Ein weiterer Meilenstein des segensreichen Tuns der Meinungsfreiheit Gottes in Jesus stellt das Barmer Bekenntnis dar. Hier wehrten sich einige evangelische Christen erfolgreich gegen die Deutschen Christen der Nazizeit und gegen deren Glaubensirrtümer und Illusionen.
Gut für die, welche sich getäuscht haben und falsch positiven oder falsch negativen Meinungen aufgesessen sind über Gott oder die Welt: Wir Christen dürfen und müssen angesichts Gottes illusionsloser Meinungsfreiheit zuweilen ein schlechtes, falsches Bild abgeben. Wir dürfen und müssen manchmal wie weiland Petrus Karikaturen für andere sein.
Wir wissen nämlich: Das Bild korrigiert sich. Gleichen und folgen wir doch gerade darin Gottes schönem und herrlichem Ebenbild, ja werden selbst dazu. Da macht Satire doch nichts aus, im Gegenteil. Vielleicht entdecken wir darin eigene blinde Flecken und unvermutete Fehler. Und so können wir in Jesu Nachfolge deren bösen Folgen entgehen. Amen.
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Markus 8,31-38 von Hans-Hermann Jantzen
31 Und Jesus fing an, seine Jünger zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.
32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.
33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du redest nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.
36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?
37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vatersmit den heiligen Engeln.
Liebe Gemeinde,
hier geht es offenbar ans Eingemachte. Zwei ziemlich beste Freunde geraten aneinander, Jesus und Petrus. Eben noch hatte Petrus Jesu Frage: „Was meint ihr denn, wer ich bin?“ vollmundig mit „Du bist der Christus!“ beantwortet. Jetzt fährt derselbe Petrus seinem Christus heftig in die Parade. „Und er nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren…“ Das hat Luther zu zahm übersetzt. Das griechische Verb, das Markus hier benutzt (epitiman), kommt sonst im Rahmen von Dämonenaustrei-bungen vor. Richtiger müsste es also heißen: „Er herrschte ihn an“, oder: „Er beschwor ihn“. „Was fällt dir ein, so etwas zu sagen? Bist du denn von Sinnen?“
Und Jesus? Er reagiert nicht minder heftig. Markus wählt dasselbe Verb, und diesmal trifft Luther es besser: „Er bedrohte ihn.“ Wenn es um Dämonen geht, gibt es kein Drum-herum-reden“, kein Wischi-waschi. Da hilft nur ein kräftiges, klares Wort. „Und er bedrohte Petrus und sprach: Weg von mir, Satan!“
Zwei ziemlich beste Freunde geraten aneinander. Was ist passiert? Nachdem die Jünger Jesus gerade mit ihrem Bekenntnis: „Du bist der Christus!“ ihr Vertrauen ausgesprochen haben, hat er ihnen so offen wie nie zuvor sein Herz ausgeschüttet. Was würde aus ihm werden, wenn sie jetzt nach Jerusalem hinauf gingen? Ihm ist klar, dass der Konflikt mit seinen Gegnern auf eine Entscheidung zutreibt. Zu oft schon haben sie versucht, ihm eine Falle zu stellen, ihn zu packen. Sie haben ihm nie verziehen, dass er in allem, was er gepredigt und getan hat, das Recht Gottes in dieser Welt und seine bedingungslose Liebe zu den Menschen geltend gemacht hat. Damit hatte er ihre eigenen Ambitionen nach Ansehen und Macht durchkreuzt.
Soll er trotzdem gehen? Hinauf nach Jerusalem? Es würde böse enden für ihn. Oder soll er sich verstecken, auf günstigere Zeiten warten? Aber was wäre seine Sendung dann noch wert? Jesus ist hin und her gerissen. Er sieht sich selbst als Menschen-sohn, eine Bezeichnung, die zu jener apokalyptisch aufgeladenen Zeit vor allem als himmlischer Weltenrichter verstanden wurde, wie der Prophet Daniel ihn beschreibt. Jesus versteht sich eher als Menschenkind, dem nichts Menschliches fremd ist. Und so ergänzt er das Bild: „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden und getötet werden…“ Hoheit und Niedrigkeit verbinden sich in ihm auf einzigartige Weise.
Petrus, der Sprecher der Jünger, kann das nicht ertragen. Sein Christus darf nicht leiden und sterben. Er darf nicht zu den Verlierern gehören. Dazu hat er, Petrus, nicht Haus und Hof verlassen. Dazu ist er nicht all die Jahre mit ihm durch Galiläa gezogen. Und so herrscht er Jesus an, als sei der besessen. - Er wird es noch mühsam lernen, dass er „seinen“ Christus erst verlieren muss, damit der „Christus für ihn“, der rettende Christus erhalten bleibt.
„Weg von mir, Satan!“ Für einen Augenblick verliert der Menschensohn die Fassung. Auf die Analogie zur Dämonenaustreibung habe ich schon hingewiesen. Die Vokabel „Satan“, die Markus sonst nur für den Versucher, den Gegenspieler Gottes verwendet, macht überdeutlich: Jesus empfindet den Einspruch des Petrus als dämonische Versuchung, als totale Infragestellung seiner Gottesbeziehung. Ein menschlicher Jesus. Ein wahrer Menschensohn.
Wo stecken wir in dieser Auseinandersetzung? Der Predigtabschnitt ist ein Spiegel der Anfechtungen und Zweifel der ersten Gemeinde. Und darüber hinaus der christlichen Gemeinde aller Zeiten. Petrus, der Sprecher der Jünger, ist zugleich Sprecher der ganzen Christenheit. Muss das sein mit dem Leiden und Sterben des Messias? Was ist denn das für ein Gott, der seinen Gesandten so hängen lässt! Fragen und Einwände, die uns nicht fremd sind. Oder haben Sie schon einmal einem muslimischen Nachbarn oder Arbeitskollegen erklärt, was der Jesus am Kreuz für uns bedeutet? Da kommt man schnell ins Stottern. Paulus hatte Recht: das Wort vom Kreuz ist eine Torheit. Bis heute.
Ich schaue in den Spiegel, den Markus uns vorhält, und entdecke viele Fragen, die uns heute umtreiben. Dabei lasse ich mich von der Geografie anregen. Markus verortet die kleine Szene „auf dem Wege“, in der Gegend von Caesarea Philippi. Hier beginnt er also, der Weg „hinauf nach Jerusalem“, der Weg ans Kreuz. Caesarea Philippi gehört zu Galiläa, der nördlichsten Provinz Israels. Jerusalem ist weg weit. In Galiläa sind die Jünger zu Hause. Hier ist ihre Heimat. Hier kennen sie sich aus. Hier hat Jesus sie in seine Nachfolge gerufen. In Galiläa schlägt gewissermaßen das Herz der Jesusbewegung. Kein Wunder, dass den Jüngern der Hinweis Jesu, er müsse unter den Jerusalemer Autoritäten leiden, quer im Hals stecken bleibt. Wer lässt sich schon gern von „denen da oben“ fremdbestimmen?
Ich denke an die Zehntausende von Menschen, die seit Monaten auf die Straße gehen und hinter PEGIDA-, LEGIDA- oder HAGIDA-Plakaten herlaufen. Sicher, es sind viele darunter, die ihr nationalistisches Süppchen auf diesem Feuer kochen. Aber viele sind auch – berechtigt oder unberechtigt - getrieben von der Angst, fremdbestimmt zu werden; von der Angst, die sicher geglaubte Heimat, den vertrauten Orientierungsrahmen zu verlieren.
Galiläa, das ist zugleich Grenzland. Hier mischen sich Juden und Heiden, Einheimische und Fremde. Während die Landbevölkerung überwiegend jüdisch ist, sind die Städte längst multireligiös. Tiberias, Sephoris: Multi-Kulti-Metropolen, die ins Umland ausstrahlen und die jüdische Identität in Frage stellen. Und wieder sehe ich die ängstlichen Gesichter der Menschen von heute im Spiegel, die nicht mehr genau wissen, wer sie eigentlich sind; die sich ihrer Identität nicht mehr sicher sind.
Schließlich: Caesarea Philippi hat es zu trauriger politischer Berühmtheit gebracht. Hier hatte der römische Kaiser Vespasian in den Jahren 66-69 n.Chr. sein Winterquartier. Von hier aus startete der Rachefeldzug der Römer gegen Jerusalem, wo Vespasian und sein Sohn Titus im Jahre 70 den jüdischen Aufstand mit äußerster Brutalität niederschlugen. Titus erwählte Caesarea Philippi zum Ort seiner Triumphfeiern. Das alles hat Markus vor Augen, als er in eben diesen Jahren sein Evangelium verfasst. Und genau da, wo der gewaltsame Macht-Weg zweier Gott-Kaiser begann, lässt er den Gegen-Weg eines Gegen-Königs beginnen, den Weg des leidenden Menschensohns, der auf die Liebe statt auf Gewalt setzt.
Ist es vermessen, eine Parallele zu den selbst ernannten Gotteskriegern unserer Zeit zu ziehen, zum sogenannten Islamischen Staat? Wir leiden alle am Triumph der Täter, an der Macht der Unmenschen, und verzweifeln an der Ohnmacht der Liebe und der Menschlichkeit. Kann denn keiner dem Irrsinn Einhalt gebieten? - Ich verstehe den Petrus, wenn er seinen Christus anfährt; wenn er sich seine Hoffnungen und Träume nicht einfach so zerschlagen lassen will.
Liebe Gemeinde, bislang habe ich mich nur mit den ersten drei Versen unseres Predigtabschnitts befasst. Und Sie mögen sich fragen: gibt es denn nur Fragen, Zweifel und Verunsicherung? Oder steckt nicht doch auch Evangelium darin? Bietet der Text nicht auch Antworten, Orientierung? Ja, Gott sei Dank, das tut er, und ich finde sie in der zweiten Hälfte. Ich weiß nicht, ob es Ihnen vorhin beim Vorlesen aufgefallen ist: der Predigttext besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wendet sich Jesus an die Jünger. In der zweiten Hälfte weitet sich plötzlich der Horizont. Jesus spricht das Volk an. „Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach…“ Und dann folgt eine Kurzfassung christlicher Glaubens- und Lebensweisheiten. „Wer mir nachfolgen will, der … nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen …, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?“
Dreierlei fällt mir auf:
1. Der menschliche Widerspruch führt nicht zum Bruch mit Jesus, sondern in eine tiefere Gemeinschaft. Jesus jagt den Petrus nicht zum Teufel, sondern ruft ihn erneut in seine Nachfolge. „Hinter mich, mir nach!“ Im Griechischen ist das dieselbe Vokabel wie bei der ersten Berufung. Jesus will den Menschen, der an ihm zweifelt, ganz nah bei sich behalten. Ich finde das unglaublich tröstlich. Ich brauche mich nicht zu schämen, wenn ich mit dem Kreuzesweg Jesu nicht klar komme. Wenn ich an seinem Leiden und dem Leiden der Welt verzweifle und dagegen aufbegehre. Ich brauche keine Angst zu haben, ausgeschlossen, rausgeschmissen zu werden. Ich darf weiter mit Jesus gehen. Ich darf in Gottes Nähe bleiben.
2. „Wer mir nachfolgen will…“ Oder: Mir nach! Der christliche Glaube ist nichts für Zuschauer. Man muss sich schon mit Jesus auf den Weg machen. Und das kann auch Mit-leiden bedeuten. Niemand von uns wird das Leiden bewusst suchen. Das wäre ein grobes Missverständnis. Jesus ist kein Sadist. Aber wenn uns unser Glaubensweg ins Leiden führt – was ja für viele Christen in anderen Ländern bittere Realität ist -, dann dürfen wir uns der Nähe Gottes gewiss sein. Der leidende Menschensohn ist ganz an unserer Seite. Und seine Nachfolge führt uns an die Seite der leidenden, verzweifelten Menschen. Ich kann nur hoffen und bitten, dass ich, wenn es darauf ankommt, den nötigen Mut und die Kraft dazu habe und meinen Glauben nicht verleugne.
3. „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne…“ Ein großartiger Satz. Und was für eine kraftvolle Sprache! Ich werde auf meinem Glaubensweg unmissverständlich darauf gestoßen, was wirklich zählt im Leben. Alle Jagd nach Reichtum, alles Streben nach Macht und Glanz ist nichts, wenn die Seele Schaden nimmt. Wenn meine Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen gestört ist. Wenn ich in meinem Innersten nicht eins bin mit mir selber.
„Was hülfe es dem Menschen…“ Ein Satz, der befreit. Und der entschleunigt. Ich muss nicht überall der Erste sein. Ich muss nicht überall mithalten wollen. Ich kann auch mal innehalten. Ich kann etwas für meine Seele, für mein inneres Gleichgewicht tun. Ich kann abgeben – und dabei reicher werden. Ich kann für andere da sein – und Freude gewinnen für mein Leben.
Der Glaubensweg der Nachfolge Jesu: er mutet uns viel zu, aber er schenkt auch viel. Leben, das seinen Namen verdient.
Amen.
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Markus 8,31-38 von Maximilian Heßlein
31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.
32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.
33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.
36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?
37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.
Liebe Gemeinde,
genießen Sie das bunte Narrentreiben auf den Straßen, in den Räumen und vor allem in den Köpfen dieser Welt? Gehören Sie zu den Menschen, die sich an den Übertragungen aus Köln, Mainz oder Düsseldorf oder wo auch immer der Karneval und die Fasnacht gerade so stark sind, laben? Sind Sie von dieser Zeit im Moment so richtig ergriffen und reisen zu den Umzügen und in die Hochburgen? Oder gehören Sie eher zu der anderen Sorte, die innerlich oder sogar äußerlich auf der Flucht vor der massiven Präsenz der Narren ist. Ich kenne in der Tat Menschen, die fliehen mehr oder weniger ernsthaft in andere Städte vor dem Karneval, obwohl es ja hier in der Kurpfalz wahrlich gesittet zugeht.
Ich selbst bin eigentlich ein ordentlicher Fasnachtsskeptiker. Das ist nicht mein Fest. Da bin ich von Herkunft und Naturell einfach anders geprägt. Die roten Nasen finde ich eher albern, von bunten Haaren hätte ich selbst nicht besonders viel, die Verkleidungen sind nicht mein Ding. Ich bin gerne ich selbst in den eigenen Kleidern, in denen ich mich wohlfühle.
Draußen auf den Straßen, auf den Plätzen und den Wegen aber steuert das sogenannte närrische Treiben seinem Höhepunkt zu. Die Diskussionen um die Gestaltung der Karnevalswagen ist abgeschlossen. In diesem Jahr sind ja tatsächlich auch die Gefahren gewägt worden, die man mit dem einen oder anderen Motiv eingehen würde.
Im Alemannischen aber ist nun also der erste große Höhepunkt mit dem Donnerstag schon geschafft, in Mannheim ist heute Nachmittag der Umzug, in den Karnevalshochburgen am Rhein wird es morgen soweit sein und am Dienstag schießen sich auch die Heidelberger an.
Dann wird es wieder stiller im Land. Es wird Aschermittwoch. Es wird Passion. Es beginnt der schmerzhafte Weg Jesu ans Kreuz. Wir gedenken seiner und bereiten uns damit auf das große Fest der Ostern vor.
Diese Zeit im Januar und Februar eines Jahres aber, die kommt mir doch immer ein wenig aufgesetzt und gezwungen komisch vor, bevor es dann ernst wird. Das mag vielleicht an meinen Vorurteilen über diese Zeit liegen.
Denn: Wenn ich diese Zeit richtig betrachte und auch meine eigene Entwicklung vor Augen nehme, dann erlebe ich sie dieses Jahr und das von Jahr zu Jahr mehr ein wenig anders. Ich stelle an mir selbst erstaunt fest: Die Skepsis über diese Zeit weicht allmählich.
Ich glaube, das hat folgenden Hintergrund. Der liegt vor allem in den letzten beiden Wochen begründet. Neulich las ich nämlich einen sehr netten Eintrag bei Facebook: „Ich habe da so etwas Helles am Himmel gesehen und habe mich richtig erschrocken und dann waren da auch noch so blaue Fetzen! Was soll das?“
An diesem launigen Eintrag habe ich bei mir festgestellt, vielleicht geht es Ihnen ebenso: Allmählich reicht es mir mit dem Winter. Ich will den nicht mehr haben und sehen. Ich mag kein grau in grau mehr. Ich mag keine Kälte mehr, die so nach und nach von den Füßen kriechend den ganzen Körper erreicht und letztlich auch die Hände zu Eiszapfen werden lässt.
Ja, wenn es jetzt Ende November oder Dezember wäre, dann wäre ich froh und glücklich mit den einzelnen Schneeflocken. Dann würde ich meine Kinder gerne schnappen und draußen mit Schneebällen werfen und mich freuen an den weißen Dingen dieses Lebens. Aber so geht das gerade nicht.
Vielmehr lastet das Grau des Stadtwinters schwer auf mir wie ein Todesschleier, der sich über mein Leben legt. Das macht sich breit in der Seele und sie droht ernsthaft Schaden zu nehmen. Schauen Sie sich einfach einmal auf der Straße um, fragen Sie Ihre Freunde und Bekannten. Sie werden viele finden, ich bin sicher, die zurzeit mit den dunklen Wintergedanken zu tun haben.
Ich fühle mich dem Simon Petrus sehr verbunden in dieser Zeit, wenn der sich so vehement gegen das wehrt, was Jesus ihm da offenbart. Petrus nämlich fürchtet sehr um seinen Freund und Begleiter. Er fürchtet um seinen Christus. Er fürchtet um die Nähe Gottes in seinem Leben.
Deswegen nimmt er Jesus beiseite. Ich kann mir diese Szene so richtig vorstellen. Petrus hört, was der Herr sagt. Da nimmt er ihn am Arm, zieht ihn ein wenig aus der Menge hinweg und redet in leisem Flüsterton auf ihn ein. Er sucht das private Zwiegespräch. So, wie ich das tue, wenn ich jemandem widersprechen will oder muss und ihn dabei aber nicht öffentlich beschädigen und bloßstellen will. Dann suche ich den geschützten Raum.
Und wie das so oft ist bei Petrus, und wie das so oft ist bei uns Menschen, wie das so oft ist bei mir. Petrus meint es gut. Und er macht es falsch. So jedenfalls deute ich die harsche Reaktion Jesu auf das Ansinnen des Jüngers. „Geh weg von mir, Satan!“, spricht er.
Können Sie sich vorstellen, wie das den Petrus getroffen haben muss? Ich spüre genau, wie es ihm zugleich heiß und kalt wird. Wie die Beine anfangen zu wackeln, die Knie weich werden und ihm die Röte ins Gesicht schießt.
Mein armer Petrus, mein armer Bruder im Glauben, mein armer Bruder im Kämpfen mit Gott und dem Leben: Jetzt kommt zu dem Schreck über den bevorstehenden Leidensweg auch noch der Bruch mit Jesus dazu. Wahrscheinlich fühlt er sich unendlich bloß und nackt. Das wissen Sie, liebe Gemeinde, das ist die Scham, die ihm hier begegnet.
Ich habe lange gerätselt, Ihr Lieben, warum Christus so direkt und so scharf auf Petrus reagiert. Hätte er nicht auch in Freundlichkeit und Güte dem Petrus widersprechen können? Hätte er ihn nicht einfach im Stillen ein Wort gesagt und alles wäre gut gewesen? Jesus tut genau das nicht.
Wissen Sie, woher das kommt?
Petrus begegnet dem Tod in der Ankündigung Jesu. Er tut das, weil der Tod sich in unserem Leben immer und immer wieder seinen Platz nimmt. Ob wir das zulassen oder nicht. Er bläst und bläht sich auf, ohne dass wir noch an ihm vorbeischauen können. Und er macht einsam. Durch und durch.
Das kennen Sie, wenn Sie ihm selbst schon einmal begegnet sind im Familien- oder Freundeskreis. Da bekommt er eine unglaubliche Macht und Präsenz, und wir erleben, wie wenig wir ihm entgehen, wie wenig wir ihm entgegenhalten. Das Schöne und das Bunte dieses Lebens scheinen zuerst einmal zu entschwinden.
So auch Petrus. Er hört nur das Leiden. Er hört nicht die Auferstehung. Das aber ist ja nun einfach das, was ihn mit Ihnen und mit mir verbindet. So ist die Todesbegegnung.
Da aber hilft nur eines. Und genau deswegen reagiert Christus so hart. Es hilft nur das Miteinander, die Überwindung der Einsamkeit und die Stärkung der Gemeinschaft, untereinander und mit Gott.
In seinem Erschrecken über die Ankündigung Jesu aber durchbricht Petrus diese Gemeinschaft. Er versucht sich außerhalb des Kreises der Jünger zu stellen, nimmt Jesus für sich allein, stellt sich selbst über die Dinge und nimmt sich damit die Basis, mit den kommenden Geschehnissen, mit Sterben und Tod umzugehen. Er sucht allein seinen Weg mit Gott.
Darin aber, Ihr Lieben, darin sind wir verloren. Diesen Weg gibt es nicht. Ich kann mir die Botschaften Gottes nicht selbst zusprechen. Ich kann mir nicht selbst vergeben. Ich kann nicht vor mir selbst bekennen, was ich falsch mache. Ich kann dem Tod nicht allein ins Gesicht schauen und zugleich das Lebenswort hören.
Ich brauche vielmehr ein starkes, korrigierendes Gegenüber. Ich brauche jemanden, der oder die mir zuhört, mich auf meinen Wegen begleitet, mir in der Kälte des Winters und in der immer wieder einziehenden inneren Kälte mit Wärme begegnet, so wie es in manchen Wohnungen warm ist vor Herzlichkeit, Weisheit und Liebe. Das kennen Sie solche Abbilder der Wohnungen Gottes!
Jesus Christus durchbricht diesen einsamen Weg des Lebens. Er nimmt die Jünger in dieses Geschehen mit hinein und stößt den Petrus auf diejenigen, die ihn auf dem Weg durch das Leid und in das Licht begleiten werden.
Das nämlich hat Petrus in seinem ersten Hören nicht mitbekommen, sonst hätte er den Herrn nicht gegriffen. Am Ende des Weges Jesu steht nicht der Tod. Sondern da steht das Leben. Rein und klar. Hell und weit. Wohlriechend und duftend. Bunt und in Ewigkeit in Gottes Hand geborgen. Das ist die Zukunft, Ihr Lieben, der wir entgegengehen. Das ist Jesu Weg für uns hinauf nach Jerusalem, hinauf ans Kreuz, hinunter in den Tod, um dann mit Kraft wieder zu kommen.
Liebe Gemeinde, in der Schwere, die unser Leben manches Mal für uns bereit hält, gibt es ganz einfache Möglichkeiten, die schönen Seiten des Lebens zu entdecken und festzuhalten. In allem Grau dieser Zeit sind leuchtend gelbe Perücken gut anzuschauen. Die roten Nasen schimmern von weit her durch Schnee und Matsch. So, Ihr Lieben, leuchtet uns auch die Auferstehung entgegen. Dieses Leuchten aber kann ich nur erkennen, wenn jemand anders es trägt, weil ich selbst dazu nicht in der Lage bin. Auf meiner Nase leuchtet es nicht.
Wissen Sie, was mich unglaublich tröstet und meine Seele heilt. Jesus Christus weiß von diesem harten Weg durch Leid und Trauer, durch Sterben und Tod. Er weiß, wie das ist, diesen Weg alleine gehen zu müssen. Er geht ihn selbst und wird mir darin der Gott meiner Gegenwart, der sich in meinem Leben wirklich auskennt.
Ich mag ihm gerne nachfolgen. Kommen Sie mit, gehen wir in Gemeinschaft mit ihm hinauf nach Jerusalem durch die Passion, durch das Kreuz zur Auferstehung und bleiben wir durch Glaube, Hoffnung und Liebe in seiner Gegenwart geborgen und behütet. Amen.
Lied zur Predigt
EG 384: Lasset uns mit Jesus ziehen
EG 566 (Baden): Seele, mach dich eilig auf