ZDF-Predigt von Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler
Predigt zu Invocavit (09.03.2014) von Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler "Ohne falsche Gewissheiten"
Predigttext: Markus 2,23-27
Liebe Gemeinde,
wow! Was für ein Bibelwort! „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen“. Sagt Jesus und es klingt so, als hätte er es den dämlichen Pharisäern mal wieder richtig gezeigt. Diesen Spaßbremsen, die den Jüngern übelnehmen, dass sie ein paar Ähren abbrechen und die Körner essen. Aber so ist es nicht. Es ist auch keine ätsch-bätsch-Erzählung, in der lebensfrohe Spontis es dumpfen Spießern mal richtig geben.
Das wäre viel zu einfach – und einfach, einfach macht es Jesus einem nie. Nein, das Bibelwort vom Ährenraufen am Sabbat atmet den Geist der Aufklärung. Aufklärung ist ja eigentlich die Zeit im 18. Jahrhundert, in der man sich bemühte, durch neues Wissen alte Unklarheiten zu beseitigen – und falsche Gewissheiten zu hinterfragen. Man wollte gerne eigenständig seinen Verstand benutzen, ohne sich ständig von anderen bevormunden zu lassen.
Deshalb lautet die aufklärerische Maxime: „Sapere aude!“ Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Gute Idee – ganz im Sinne Jesu, der Menschen lehrt, ihr Herz zu befragen, auf ihren Bauch zu hören und das Hirn einzusetzen. Gott hat uns das alles gegeben, damit wir rechten Gebrauch davon machen. Da ist also der Sabbat, an dem man Ruhe finden kann, um sich selber, Gott und Mensch mit ausreichend Zeit zu begegnen. Alle Tätigkeiten sollen unterbleiben. Sehr vernünftig!
Wir setzen uns schließlich auch europaweit dafür ein, dass der Sonntag geheiligt wird – und er nicht zu einem Werktag verkommt, an dem ganz normal gearbeitet wird und sämtliche Geschäfte offen haben. Es ist eine einsichtige und lebensdienliche Tradition, den Sabbat und den Sonntag hochzuhalten. Warum also streifen die Jünger mit Jesus fidel durch die Gegend und rupfen Ähren aus? Haben sie Hunger und futtern die zerriebenen Körner.
Da hätten sie doch zuhause ordentlich frühstücken können. Oder sind sie so glücklich, beim Gottessohn zu sein und mit ihm durch die Lande ziehen zu können, dass sie aus Jux und Dollerei in den Weizen greifen? Egal. Die Pharisäer sind verärgert. Entweder man achtet den Sabbat oder man zeigt, dass einem nichts an Gottes Gebot liegt. Entweder man hält sich an die vorgegebene Ordnung oder ist ein religiöser Anarchist. Entweder oder, kein laxes laissez-faire.
Ich gestehe, mir ist das nicht unsympathisch.
Klarheit, Sicherheit ist etwas Großartiges. Da weiß ich, was gespielt wird – ich kann mich daran halten und bin mir schnell im Klaren, was ich und vor allem, was andere richtig oder falsch machen. Die Pharisäer, die wir gerne mal als Pedanten und Kleinkrämer abkanzeln, haben also erst einmal Recht. Der Sabbat, das steht in der Heiligen Schrift, ist von Gott selbst eingesetzt – zum Wohl des Menschen. Man muss darauf schauen, dass dieser gute alte Wert nicht einfach flöten geht.
Die Schriftgelehrten weisen Jesus konsequent darauf hin, dass seine Jünger etwas tun, was nicht erlaubt ist. Ob Hunger oder Lust am Leben – wurscht. Sie meinen es jedenfalls ernst. Und Jesus? Der ist doch auch geradlinig, konsequent, ernsthaft. Bei ihm geht es immer um Leben und um den Tod. Eben. Deswegen geht er gar nicht darauf ein, warum seine Jünger im Weizenfeld gewildert haben. Er wird grundsätzlich. Jesus stößt eine alte Sicherheit um – damit neue Gewissheit einkehrt:
Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht umgekehrt.
Gott hat sich den Feiertag liebevoll für uns ausgedacht, damit es einen festen Tag gibt, an dem wir einmal nicht fremdbestimmt sind. Ein Tag, an dem uns einmal nicht die alltäglichen Zwänge und Zwecke beherrschen. Bierernst und stocksteif irgendwelche Regeln befolgen? Nein, keinesfalls. Es geht um nichts weniger als unsere Freiheit!
Darum, dass wir bei aller sonstigen Last und Plage wieder aufschnaufen, atmen können.
Jesus will, dass Jüngern und Pharisäern klar wird: Der Sabbat, jüdisch als Ende der Woche verstanden, der Sonntag, christlich gesehen der erste Tag der Woche, sind ein himmlisches Geschenk. Sie machen dem Menschen klar, wer er ist – einer, der ein Recht darauf hat, seine Fähigkeiten in der Arbeit auszuleben. Und der das Menschenrecht besitzt, zu ruhen und zu feiern – wie Gott selbst. Der essen und trinken, vergnügt, nachdenklich, heiter und ernst sein darf nach eigenem Gutdünken.
Der Sabbat, der Sonntag sind Gaben Gottes nicht zum beliebigen, gleichgültigen Gebrauch. Sie sind die wunderbare Chance, einen festen freien Tag bewusst, aufgeklärt und lebensbejahend für sich zu nutzen. Wie – dafür mag es vielleicht sinnige Tipps geben, aber es braucht kein Rezept, keine Bastelanleitung. Kein „du musst“, „du sollst“. Bei einem Geschenk wie dem Sabbat, dem Sonntag, kann man nicht mit einem fixen Regelwerk zu Werke gehen.
Jesus sagt: "Ich lebe und ihr sollt auch leben" (Joh 14,19). Das atmet den Duft der Freiheit, der eigenen Entscheidung und Gestaltung. Darum geht es bei der diesjährigen Fastenaktion: Falsche Gewissheiten zu verabschieden, selber zu denken. Denn das macht nicht nur schlau. Selber denken und erfahren schafft Leben.
Zum Beispiel: Früher in der Schule haben Handarbeitslehrerinnen regelmäßig meine Werke vor allen anderen aufgetrennt. "Du Ungeschick" sagten sie höhnisch. Jahrelang habe ich an dieser Gewissheit festgehalten: Ich bin ein rechtes Trampel.
Bis einer kam, der holte mich ins Werken, ließ mich krumm und schief töpfern und sagte: "Warum müssen Teller immer rund und Tassen plan sein? Mach wie du denkst – das ist richtig toll!" Und ich fasste Mut, genierte mich nicht länger. Weg mit der falschen Gewissheit, eine kreative Null zu sein. Solche unhinterfragten Urteile engen ein, nehmen einem jede Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln. Ich bin längst kein handwerkliches Genie, aber ich traue mir Überraschungen zu.
Da hat jemand seinen Beruf, ein gutes Einkommen. Das wird so bleiben, denkt er. Auf einmal gerät das Weltbild ins Wanken: Die Firma macht pleite, der Job ist futsch. Haus, Wohnung müssen abgezahlt werden. Die Ausbildung der Kinder kostet Geld. So jemand braucht anstelle der zerbrochenen Sicherheit neue Gewissheit. Er braucht Menschen, die ihn schätzen, ob er Arbeit hat oder nicht. Die seine Familie unterstützen – mit Wort und Tat. Er braucht andere, die ihm neue Perspektiven geben.
Jahrelang haben viele sich in der falschen Gewissheit gewiegt: Meine Geldanlagen sind sicher. Hohe Renditen sind selbstverständlich.
Irgendwann mussten sie feststellen, dass dem nicht so ist - und sich selber eingestehen, dass sie falschen Versprechungen geglaubt und sich selber nicht näher mit dem Finanzmarkt befasst haben. Selber denken ist natürlich mühsam, anstrengend. Aber wer sich selber aufklärt, wer Informationen sammelt und vergleicht, der wird nicht ganz so leicht betrogen.
Diese Kirche hier heißt Martin Luther King-Kirche. Der schwarze Prediger und Bürgerrechtler hatte den Mut, falsche Gewissheiten umzustürzen und seinen eigenen Traum zu verkünden: Black and white together! Schwarz und Weiß gleichberechtigt: Im Bus, im Restaurant, in der Schule, am Arbeitsplatz – das ist ein menschenwürdiges Ergebnis davon, dass aufgeklärte Menschen falschen Gewissheiten entschlossen den Laufpass gegeben haben.
Deswegen, weil sie wie der Namenspatron dieser Kirche der göttlichen Aufforderung zum Leben und Lieben seiner Ebenbilder mit dem Kopf verstanden, im Herzen gefühlt und in die Tat umgesetzt haben. Der Sabbat ist für den Menschen da – dieses ganze Leben ist für uns und unsere Mitmenschen da. Es ist Dynamik, Wachstum, Wandel, Wechsel, Veränderung – wir dürfen es gestalten, uns hineinwerfen. Spüren, wie sehr Gott es will, dass wir nicht starr, nicht tot, sondern lebendig sind.
Zugleich muss man wissen: Wer falsche Gewissheiten aufgibt, wer mit Traditionen bricht, weil sie einengen, am inneren und am gesellschaftlichen Wachstum hindern, der verunsichert andere. Was, diese ungeschickte Frau will Blumenkästen in die Wand dübeln? Das schafft die nie! Wieso stellt er auf einmal so viele Fragen? Ich bin hier der Fachmann, ich allein weiß, wo´s lang geht. Was jetzt – Du willst am Sonntag ausspannen? Du hast doch da sonst immer gewaschen und gebügelt!
Wer sich einer Sache gewiss ist, der fühlt sich sicher. Solche Sicherheit gibt Halt – und das ist gut so. Zugleich dürfen wir überprüfen, ob das berechtigt ist, was wir tun oder lassen. Ergibt es einen Sinn? Engt eine Gewissheit uns ein oder lässt sie uns wachsen, gedeihen an Leib und Seele? Diese Fragen sind übrigens auch ein gutes Kriterium, um Glauben zu überprüfen. Setzt diese Art Glaube mich unter Druck, unterwirft er mich? Oder macht mein Glaube frei und lebendig, lässt er mich Mensch sein?
"Morgenglanz der Ewigkeit" haben wir vorhin gesungen. Eine feine kleine Idee der Gemeinde hier, für spirituelle Gourmets sozusagen. Denn Aufklärung heißt auf englisch "Enlightment", Erleuchtung. Und auf französisch "Les lumières" – Lichter. Morgenglanz der Ewigkeit: Gott bringt uns mit Jesus Erleuchtung, Aufklärung über unser Leben und Sterben. Er macht Schluss mit falschen Sicherheiten und schenkt uns neue Gewissheit:
Dass wir seine geliebten Söhne und Töchter sind, um jeden Tag zu leben. Besonders am Sabbat, am Sonntag.
Amen.
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Weiterleben in einem leeren Haus - Predigt zu Markus 13,31-37 von Thomas Volk
Weiterleben in einem leeren Haus
Liebe Gemeinde!
"Wenn ich nach dem Einkaufen heimkomme, komme mir vor, als gehe ich in ein leeres Haus."
So sprach neulich jemand, dessen Frau vor einem halben Jahr gestorben ist. Fast vierzig Jahre haben sie zusammengelebt, sich das kleine Häuschen abgespart, den Garten mit vielen Blumen angelegt und die Zimmer innen behaglich eingerichtet.
Eines Tages hat es diese schlimme Diagnose gegeben. Ein Hammerschlag. Dann ist es ganz rasch gegangen. Viel zu schnell. Und als er hilflos mit den vielen anderen an dem offenen Grab steht, kann er noch gar nicht erahnen, wie sich alles verändern wird.
Das Haus ist jetzt so leer. Auch wenn die Möbel immer noch am gleichen Platz stehen und an der Garderobe alles noch so hängt, ist es anders geworden. Der Platz auf der anderen Seite des Küchentischs ist und bleibt leer. Die Stimme, die ihm so vertraut gewesen ist, hört er nicht mehr. Die ihm gewohnten Geräusche aus dem Nebenzimmer bleiben aus. Und der Gang und das Treppenhaus erscheinen unendlich dunkel und lang, die Räume kalt und leer.
"Himmel und Erde werden vergehen", so beschreibt es das Schriftwort am Anfang drastisch. Nichts ist für die Ewigkeit bestimmt. Alles geht einmal vorbei. Und meistens viel zu rasch.
Man braucht diese Redewendung nicht einmal wörtlich zu nehmen. Denn schon ein einziger Abschied für immer kann schon so etwas wie ein Weltuntergang sein. Mit einem Mal verändert sich alles. Was Halt und Sicherheit gegeben hat, bricht mit einem Mal weg. Auch wenn man es nicht wahrhaben möchte, ein völlig neues, ein ganz anderes Kapitel der Lebensgeschichte wird geschrieben - eines, das man sich nicht ausgesucht hat und bei dem man es sich nicht vorstellen kann, jemals gerne darin zu lesen.
Wie kann man in einem leeren Haus wohnen? Wie sich zurechtfinden? Wie alleine weiterleben?
Denn alle Leere kann man ja nicht so beheben, wie man ein Auto zur Reparatur bringt und es dann wieder läuft. Und dabei wird ja gerade das von uns verlangt: Wir müssen schnell wieder funktionieren: Am Arbeitsplatz die gewünschte Leistung bringen. Der Familie nicht schon wieder was vorheulen. Die Finanzen rasch regeln. Möglichst schnell an den Punkt kommen, wo man wieder nur nach vorne schaut und alles, was gewesen ist, abhakt.
Viele von uns mussten sich in diesem zu Ende gehenden Kirchenjahr in einem solchen leeren Haus neu zurechtfinden.
Und andere haben in diesen trüben Novembertagen vielleicht von neuem das Gefühl, dass man sich in den eigenen vier Wänden nicht wohlfühlt, weil es wieder kalt und leer geworden ist, ganz gleich, was auch immer die Ursache gewesen sein mag.
Das heutige Schriftwort spricht auch von einem leeren Haus. Es erzählt von einem Hausherrn, der eine längere Reise antritt und die Mitbewohner des Hauses alleine zurücklässt. Keiner weiß, wann er wiederkommt - ob in wenigen Tagen, in ein paar Monaten oder nach vielen Jahren - ob am Morgen, am Abend, oder gar in der Nacht, wenn alle schlafen. Die Hausbewohner wissen nur eines: Sie haben eine bestimmte Arbeit zugewiesen bekommen, die sie in dieser Zeit auszurichten haben.
Mit diesem Bild haben Menschen in der Zeit des Neuen Testaments ihre Situation beschrieben. Seit Jesus nicht mehr bei ihnen ist, kommen sie sich vor wie in einem leeren Haus. Äußerlich mag alles funktionieren. Jeder erledigt das, was er zu tun hat. Aber dennoch ist alles anders.
Seine spürbare Nähe fehlt ihnen. Sie vermissen seine Worte mit denen er die neue Welt, für die er eingetreten ist, umschrieben hat: Eine Welt, wie sie Gott für die Menschen gedacht hat. Eine Welt, in der alle, die es gerade schwer haben, so getröstet werden, damit niemand an der momentanen Leere verzweifelt. Eine Welt, in der die Stillen und Leisen und all die, die sich nicht durchsetzen können, was zu sagen haben (vgl. Mt.5,4-5). Eine Welt, in der niemand alleine bleiben muss (vgl. Lk.19,5). Und sie sehnen sich danach, dass diese Welt irgendwann einmal auch kommen wird, weil Jesus selbst sie verheißen hat. Dann wird alle Leere aufgehoben sein. Sie werden mit ihm am Tisch sitzen, essen und trinken und wieder ausgelassen feiern können (vgl. Lk.14,15).
Mit den Menschen damals verbinden uns die Abschiede, die einen so schütteln können, dass man meint in einem „leeren Haus“ leben zu müssen. Niemand hat gefragt, ob es einem gerade passt oder nicht. Und dann muss man irgendwie zurechtkommen und sich neu einfinden, wenn es denn überhaupt möglich ist.
Was uns von den Menschen damals trennt, ist ihre feste Erwartung einer baldigen Wiederkunft Jesu, die sie wachsam herbeisehnen sollen.
Markus führt in seinem Evangelium an, dass der Hausherr einmal wiederkommen wird. Was der Evangelist nur bruchstückhaft andeutet, beschreibt die Offenbarung des Johannes mit einer großartigen Verheißung. Am Ende der Zeit wird Gott selbst alle leeren Häuser mit Leben füllen. Dann wird er „alle Tränen abwischen von unseren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein“ (Offenbarung 21,4). Es wird Häuser voller Leben geben. Und ihre Türen sind weit geöffnet, weil alle Menschen wie Schwestern und Brüder zusammenleben.
Auch wenn die ersten Christen anfangs noch mit dieser Vorstellung gelebt haben, so verstehe ich den Aufruf „wachsam zu sein“ heute anders. Wenn ich in meinem Leben eine Leere spüre, weil mir etwas Wichtiges genommen wurde, dann möchte ich in dem, was mir gerade zu schaffen macht, ernstgenommen werden und nicht den Blick auf apokalyptische Szenarien richten müssen, die doch nicht eintreten.
„Wachsam zu sein“ ist für michdeshalb ein aufmunternder Hinweis für all die kleinen Zeichen aufmerksam zu sein, die von Gott kommen und helfen möchten, sich in einem leeren Haus wieder neu einzufinden.
Wie das geschehen kann? Das Schriftwort aus dem Markusevangelium selbst gibt einen Hinweis, wenn es Jesus sagen lässt: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen" (V.31).
Zum Beispiel das Wort, in dem Jesus von sich als „Brot“ spricht (Joh.6,35), mit dem er zusagt: Alles, was du zum Leben nötig hast - alles, was du für diesen einen Tag brauchst, um über die Runden zu kommen - auch alles, was hält und trägt in aller Leere und Einsamkeit des Lebens, das darfst du von mir erwarten.
Oder das Wort mit dem er sich als „Licht“ bezeichnet (Joh.8,12): Ich helfe dir, dass du dich in deinem leeren Haus wieder einfinden und mit dir alleine zurechtkommen kannst. Und dass du allmählich spüren wirst, wie es eine Gegenkraft gegen alle Leere und gegen alle Kälte gibt.
Und die Worte, mit denen sich Jesus als „Weg, Wahrheit und Leben“ ausweist, möchten Mut machen, dass es Wege durch alle Leere hindurch geben kann. Auch wenn man sie heute noch nicht ausmachen kann. Aber es gibt sie. Und sie werden für uns sichtbar, so dass man sie gehen kann. Vielleicht nicht mehr mit dem Tempo und mit der Leidenschaft von früher, aber doch mit einer gewissen Neugier auf die neuen Möglichkeiten.
Für solche und noch für viele andere Worte werden wir aufgemuntert „wachsam zu sein“. Damit sie bei uns ankommen, Kreise ziehen und bewirken, dass unser leeres Haus langsam wieder ein Stückweit bewohnbar wird.
Nochmal: Es geht nicht um den einen Fahrplan oder um die eine Gebrauchsanweisung, die ich mir mit einem Klick ausdrucken oder downloaden kann, wann und wie mein leeres Lebenshaus wieder mit Licht und Sonne gefüllt wird.
Es gibt den einen Weg für alle. Jede und jeder geht mit dem eigenen Tempo oder dem eigenen Rhythmus. Und auch das kann es geben: Das Haus bleibt zeitlebens unbewohnt und kalt.
Aber die Verheißung von den Worten, die bleiben und Mut machen, sagen mir: Es ist Gottes großer Wunsch, dass wir uns in einem Leben, in dem es immer Veränderungen und Abschiede geben wird, gehalten und geborgen wissen dürfen. Nicht nur, dass wir ein Dach über dem Kopf haben, sondern auch, dass wir uns in unseren Wohnungen Häusern behütet fühlen dürfen.
Und dann kann es passieren, dass wir wieder gerne zu Hause sind. Anders als bisher. Vielleicht manchmal nur für einen kurzen Moment. Wenn man sich gerne wieder ins Wohnzimmer setzt und die Musik hört, die einen berührt. Wenn man wieder gerne in den Garten geht. Wenn man wieder jemanden einlädt. Oder wenn man sich wieder Gedanken um die Nachbarn macht und nicht mehr nur um sich selbst kreist. Und wenn das Erinnerungsstück, das einem zu Hause in die Hände fällt, nicht mehr gleich den großen Stich ins Herz versetzt, sondern die damit verbundene Geschichte dankbar in die eigene Lebensgeschichte einordnen lässt.
Wie auch immer wir uns in unseren eigenen vier Wänden gerade vorkommen, wir alle dürfen mit der Zuversicht nach Hause gehen, dass wir niemals alleine, sondern von dem gehalten sind, dessen Worte bleiben, auch wenn wir keine Worte finden für das, was wir gerade mitmachen müssen.
Und die Fülle Gottes, die umfassender und höher und weiter ist als alle menschliche Leere, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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Wider den Schlaf und seinen hässlichen Bruder - Predigt zu Markus 13, 31-37 von Katharina Wiefel-Jenner
31Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.
32An welchem Tag oder zu welcher Stunde das sein wird, weiß niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater."
33"Passt auf! Seid wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Zeitpunkt da ist.
34Es ist wie bei einem Mann, der auf Reisen ging. Er verließ sein Haus und übertrug seinen Knechten die Verantwortung. Jedem teilte er seine Arbeit zu. Dem Wächter an der Tür befahl er:
'Bleib wach!'
35Bleibt also wach! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt: spät am Abend, um Mitternacht, beim Hahnenschrei oder früh am Morgen.
36Wenn er plötzlich kommt, soll er euch doch nicht im Schlaf überraschen.
37Was ich euch sage, das sage ich allen: Bleibt wach!"
Wie sollen wir das schaffen, Jesus? Du sagst: „Bleibt wach!“ Du weißt doch, wie schwer das ist! Deine Jünger haben es im Garten Gethsemane nicht geschafft. Dabei hattest Du sie so dringlich gebeten. Drei Mal bist du aufgestanden und hast Petrus, Jakobus und Johannes geradezu angefleht: „Bleibt wach!“ Drei Mal bist du bei Ihnen gewesen und hast gehofft, dass sie wach bleiben würden. Du schwebtest in Todesgefahr und trotzdem schliefen sie ein.
Nun sagst du zu uns: „Wachet!“ Wie sollen wir es schaffen, wenn schon deine Jünger damals nicht wach blieben? Du kennst uns. Du weißt es doch genau, Jesus! Wir sind nicht besser als deine Jünger damals. Du weißt, wie mächtig der Schlaf ist. Du kennst uns und erzählst die Geschichte von den zehn Jungfrauen. Auch sie blieben nicht wach. Alle zehn sind eingeschlafen. Nicht nur die Törichten, nein auch die Klugen wurden müde. Sie schliefen ein, obwohl sie allen Grund hatten, wach zu bleiben. Eine Hochzeit ist kein alltägliches Ereignis, selbst wenn sich der Bräutigam verspätet. Sie schliefen alle und wurden erst wach, als sich um Mitternacht der laute Ruf verbreitete: „Der Bräutigam kommt!“
Der Schlaf ist mächtig. Auch von den Starken mit festem Willen und großen Vorsätzen ergreift er Besitz. Lockt mit wohliger Ruhe, verspricht Vergessen. Legt sich bedächtig und schwer auf die Augen. Wartet so lange, bis die Gegenwehr schwach geworden ist ... und dann hat er auch die Tapfersten bezwungen.
Du weißt das, Jesus! Du weißt es, dass sich niemand der Macht des Schlafes entziehen kann. Die Klugen fallen ihm zum Opfer genauso wie die Törichten, die Liebenden genauso wie die Pflichtbewussten.
Und nicht nur du weißt das, Jesus. Der Tod weiß es auch. Der Tod verbündet sich mit dem Schlaf. Er schleicht sich an die Sterbebetten und verrichtet sein Werk, während der Schlaf denen, die bleiben, die Augen zuhält. Anschließend überlassen beide die Trauernden ihren Selbstvorwürfen. Der eine Augenblick genügt dem Tod und Bruder Schlaf hat ihm wieder zuverlässig geholfen.
Das ist doch zum Verzweifeln! Wütend kann man darüber werden. Und dann sagst du: „Wachet!“
Jesus Christus, wohin soll ich mit meiner Wut? Mit meiner Wut auf den Tod und auf den Schlaf, und auch auf mich selbst. Was mache ich mit meiner Verzweiflung, Jesus Christus? Nur zu gerne wäre ich wach geblieben! Nur zu gerne hätte ich den Tod, wenn er denn schon nicht aus dem Zimmer zu vertreiben ist, ins Auge gesehen. Nur zu gerne hätte ich aufmerksam verfolgt, was geschieht. Zu gerne hätte ich meinen Teil dazu beigetragen, dass das Elend nicht um sich greift. Hätte gerne mit aller Kraft dafür gesorgt, dass die Mächte des Todes sich nicht hemmungslos austoben können. Aber wir sind nicht besser als die zehn Jungfrauen und auch nicht besser als Petrus, Jakobus und Johannes im Garten Gethsemane. „Wachet“, sagst du. Und dann erzählst du von dem Hausherrn, der auf Reisen geht und nicht sagt, wann er wieder kommen wird. Ich will ja wach bleiben, wie der Türwächter, Jesus Christus! Ich möchte wach bleiben und rechtzeitig zur Stelle sein, wenn ich das Tor für dich, mein Heiland Jesu Christ, öffnen soll. Ich will es ja. Ich will meine Herzenstür hüten und für dich offen halten. Und in diesen Nächten, wo der Tod seine Macht demonstrieren will, will ich wenigstens das eine: Wenn ich schon nichts anderes kann, will ich wenigstens dem Schlaf und dem Tod trotzen.
Aber ohne deine Hilfe kann ich es nicht. Hilf mir doch, Christus Jesus, damit ich wache! Hilf mir doch, damit ich die Augen offen halten kann und die schweren Lider dem Locken der Ruhe nicht nachgeben. Hilf mir, dass ich die Tür hoch und das Tor weit mache.
Eine seltsame Hilfe bietest du uns da an, Christus! Du erzählst von dem Hausherrn, der auf Reisen geht und seinen Leuten nicht erklärt, wann er wieder zurückkommt. Das ist deine Hilfe? Uns im Ungewissen über deine Rückkehr zu lassen? Wo ist da die Hilfe? So wächst doch nur die Angst. Oder haben wir da etwas überhört? Sind diese Worte des Hausherrn als Hilfe gemeint: „Er verließ sein Haus und übertrug seinen Knechten die Verantwortung. Jedem teilte er seine Arbeit zu.“ Wo ist da Hilfe? Ist das die Hilfe, dass wir als Türwächter auf dein Haus aufpassen sollen? Hilf uns, wenn du uns als deine Türwächter einsetzt!
Du kennst uns. Du weißt, dass wir am besten wachen können, wenn wir etwas zu tun bekommen. Wenn wir nur still sitzen und warten, dann schleicht sich der Tod unbemerkt ins Zimmer und verrichtet zusammen mit seinem Bruder Schlaf sein Werk. Du willst unsere volle Aufmerksamkeit – auch in den Stunden der Nacht, in den Stunden der Finsternis und Verzweiflung. Wenn die Mächte des Todes sich mit ihrem widerlichen Tun über das Leben in unserer Welt hermachen wollen, dann haben wir unser Tun, das uns vom Einschlafen abhalten soll. Genau hier teilst du uns unsere Arbeit zu. Du willst das wir Verantwortung übernehmen, so wie der Türwächter, von dem du sprichst.
Das ist also deine Hilfe, damit wir wach bleiben. Wir sollen Verantwortung für dein Haus übernehmen.
Verantwortung, wenn die Welt aus den Fugen zu geraten scheint? Verantwortung, wenn Stürme Tausenden das Leben kosten, wenn geliebte Menschen von heimtückischen Krankheiten hinweggerafft werden, wenn das Mittelmeer zum Grab für Flüchtlinge wird? Verantwortung, wenn den Jugendlichen die Zukunft verbaut wird? Verantwortung, wenn das Elend über unser Leben hinwegfegt?
Wie sollen wir das schaffen, Jesus? Was meinst du mit Verantwortung?
Wir können es doch gar nicht,
wenn uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird;
wenn der Himmel über uns zusammenbricht;
wenn Fluten über uns zusammenschlagen;
wenn der Tod sich unsere Liebsten raubt;
wenn die Welt über uns zusammenstürzt.
Und du sagst: doch? Du sagst, dass wir wach bleiben und Verantwortung für dein Haus übernehmen können? Zu Petrus, Jakobus und Johannes hast du damals gesagt: „Bleibt hier, wacht mit mir, wacht und betet.“ Aber in Gethsemane hast du sie nicht noch einmal daran erinnert, was du schon vorher zu ihnen gesagt hattest: „Himmel und Erde vergehen, aber meine Worte vergehen nicht“. Sie haben sich in ihrer Müdigkeit nicht mehr daran erinnert und schliefen ein. Aber bei uns machst du es heute besser. Heute erinnerst du noch einmal daran, was alle Jüngerinnen und Jünger wissen müssen. Wir haben dein unvergängliches Wort. Du gibst uns zu tun, du machst uns zu deinen Türwächtern, wartest darauf, dass wir die Tor hoch und die Tür weit machen.
Und für die Zeiten, wenn es lang wird und die Augen vor Müdigkeit zufallen wollen,
für die Zeiten wenn es schwierig wird, wenn die Nachbarn gehässig werden,
für die Zeiten, wenn der Tod sich in dein Haus einschleichen will,
für die Zeiten, wo Lüge und Streit in dein Haus eindringen,
für alle Zeit gilt dein Wort.
Wacht, betet und vergesst nie: Himmel und Erde vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.
Ach, komm, mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Komm und vertreibe den Schlaf und seinen hässlichen Bruder, den Tod. Darauf warten wir, so lange bis du kommst. Mit deiner Hilfe werden wir wach bleiben, doch wir bitten dich: Komme bald.
Amen.
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Vom Vergehen des Lebens und den Worten, die bleiben - Predigt zu Markus 13, 31-37 von Dieter Splinter
Vom Vergehen des Lebens und den Worten, die bleiben
Christus spricht: Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.
Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit und gebot dem Türhüter, er solle wachen: so nun wachsam; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!
I.
Liebe Gemeinde!
Da ist auf der einen Seite das, was unser Leben bestimmt. Auf der anderen Seite steht die gute Nachricht, das Evangelium. Und dazwischen gibt es ein Geheimnis, das sich nicht ergründen lässt..
II.
„Seht euch vor, wachet! … Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!“ Am letzten Sonntag des Kirchenjahres, am Toten- und Ewigkeitssonntag, mahnt uns Christus, wachsam zu sein.
An diesem Sonntag gibt es nämlich etwas zu entdecken, was nur schwer zu ertragen ist: Wir werden vergehen. Der Tod nagt mit der Zeit an uns. Jedes Haar, das uns ausfällt, jeder Zahn, der uns gezogen wird, jeder Krankheit, die wir mehr oder weniger gut überstehen, erinnert uns daran, dass unser Leben ein Ziel hat und wir davon müssen. Ja, nicht nur wir selber werden vergehen. Auch „Himmel und Erde werden vergehen“. Darum die Mahnung Jesu, die an alle ergeht: „Seht euch vor, wachet!“
Ob wir diese Mahnung nötig haben? Ich meine: ja! Ich jedenfalls habe lange gebraucht, um die Frage nach dem eigenen Tod wirklich an mich heran zu lassen. Es sterben ja immer nur die anderen.
Die Vorstellung nicht mehr zu sein, hat in der Tat etwas erschreckendes. Darum haben die meisten von uns Wege gefunden, dieser Vorstellung zu entgehen. Verdrängen nennen das die Psychologen. Manche von ihnen sagen uns, dass das Verdrängen durchaus etwas Gutes habe. Lebenskräfte würden gesteigert, schließlich halte es keiner lange bei dem Gedanken an den eigenen Tod aus. Zudem setze das Verdrängen Energie frei: Energie zur Erforschung und Beseitigung von Krankheiten; Energie, um Hilfen zur Lebenserleichterung jedweder Art zu schaffen; Energie, um Spuren zu hinterlassen, die lange bleiben.
Wir aber werden von Christus heute am Toten- und Ewigkeitssonntag daran erinnert, was unser Leben unweigerlich bestimmt – und was im Grunde alle wissen, aber nur zu gern nicht wahrhaben wollen: „Himmel und Erde werden vergehen.“ Das geschieht nicht erst in ferner Zukunft. Das geschieht schon jetzt. Der Tod nagt mit der Zeit an uns. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“ So sagt es ein altes Kirchenlied.
Am heutigen Toten- und Ewigkeitssonntag wird das deutlich. Viele trauern um Menschen, die im nun zu Ende gehenden Kirchenjahr von ihnen gegangen sind. Für immer. Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Pläne konnten nicht mehr verwirklicht werden. Eine Lücke bleibt zurück. Je größer die Nähe zum Verstorbenen war, desto größer ist diese Lücke. So wie wir um die Verstorbenen trauern, die ganz nah an unserem Herzen waren, so wird man auch einmal um uns trauern. Wir sind selber in das Vergehen des Lebens einbezogen. Der Tod nagt mit der Zeit an uns. Mit der Zeit vergehen auch wir. Dieses Gesetz bestimmt unser Leben.
„Manchen Menschen geht so schlecht, dass dieses Gesetz im Augenblick ihre einzige Hoffnung ist. Mit allen Fasern ihres gequälten Leibes wünschen sie das Ende ihres Lebens herbei. Für viele andere hingegen ist dieses Gesetz hart, unerträglich herzzerreißend – weil es erbarmungslos unsere Endlichkeit feststellt.“ (Manfred Josuttis: Offene Geheimnisse. Predigten, Gütersloh 1999, S. 137.)
III.
Was sagt Jesus Christus dazu? „Meine Worte aber werden nicht vergehen.“ Offenbar gibt es Worte, die bleiben. Sie gehen mit einem. Sie tragen einen. Sie machen Mut. Herta Müller berichtet in ihrem Roman „Atemschaukel“ von solch einem Wort.
Darin schildert sie den Lebensweg des jungen Leopold Auberg aus Hermannstadt in Siebenbürgen, Rumänien. Rumänien war im Zweiten Weltkrieg mit Deutschland verbündet. Kurz vor Kriegsende wechselt die rumänische Regierung die Fronten und schlägt sich auf die Seite der Sowjetunion. Im Januar 1945 verlangt Stalin von der rumänischen Regierung alle Deutsche aus Siebenbürgen zwischen 17 und 45 Jahren an die Sowjetunion auszuliefern. Sie sollen dort in Arbeitslagern zum Wiederaufbau beitragen. Patrouillen ziehen von Haus zu Haus, um jene abzuholen, die deportiert werden sollen. Leopold Auberg berichtet es im Roman von Herta Müller so:
„Ich setzte mich an den Tisch und wartete auf Mitternacht. Und Mitternacht kam, aber die Patrouille hatte Verspätung. Drei Stunden mussten vergehen, das hielt man fast nicht aus. Dann waren sie da. Die Mutter hielt mir den Mantel mit dem schwarzen Samtbündchen hin. Ich schlüpfte hinein. Sie weinte. Ich zog die grünen Handschuhe an. Auf dem Holzgang, genau dort, wo die Gasuhr ist, sagte die Großmutter: ICH WEISS DU KOMMST WIEDER. Ich habe mir diesen Satz nicht absichtlich gemerkt. Ich habe ihn unachtsam mit ins Lager genommen. Ich hatte keine Ahnung, dass er mich begleitet. Aber so ein Satz ist selbständig. Er hat in mir gearbeitet … ICH WEISS DU KOMMST WIEDER … Weil ich wiedergekommen bin, darf ich das sagen: So ein Satz hält einen am Leben.“ (Herta Müller: Atemschaukel.Roman, München 2009, S. 14.)
Es gibt Worte, die bleiben. Sie gehen mit einem. Sie tragen einen. Sie machen Mut. Es sind Worte, die nicht vergehen. ICH WEISS DU KOMMST WIEDER. Manchmal finden Menschen Worte, die übersetzen die mutmachenden Worte Jesu ins Hier und Heute. Jesus Christus spricht: „In der Welt habt ihr Angst, doch siehe, ich habe die Welt überwunden.“ Die Übersetzung: ICH WEISS DU KOMMST WIEDER. Jesus Christus spricht: „Meine Worte werden nicht vergehen.“
Seine Worte ergreifen uns bis heute. Sie machen Mut zum Leben und zum Sterben. Mit ihnen kann man das Zeitliche segnen, weil sie der vergehenden Zeit entzogen sind. Jesu Worte werden noch da sein, wenn wir längst vergangen sind. Doch heute gelten sie ganz und gar uns. Denn das die gute Nachricht, das Evangelium: Inmitten der vergehenden Welt ergreifen uns die Worte Jesu. Sie bleiben und vergehen nicht – Worte wie: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden!“
IV.
Da ist also auf der einen Seite das, was unser Leben bestimmt: Es vergeht. Der Tod nagt mit der Zeit an uns. „Himmel und Erde werden vergehen.“ Das ist das Gesetz unseres Lebens. Auf der anderen Seite steht das Evangelium, die gute Nachricht: Jesu Worte vergehen nicht. Sie ergreifen uns inmitten der vergehenden Welt. Sie machen Mut. Sie geben Kraft. Und sie lassen uns etwas von der Ewigkeit ahnen. Im letzten Buch der Bibel hat der Seher Johannes diese Ahnung so ausgedrückt: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen … und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein...“. (Offenbarung 21, 1 und 4)
Zwischen beidem aber – dem Leben, das vergeht, und den Worten Jesu, die nicht vergehen - gibt es ein Geheimnis, das sich nicht ergründen lässt. Jesus beschreibt es so: „Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“
Das ist ein merkwürdiger Satz. Jesus hat zwar etwas zu offenbaren – „Himmel und Erde werden vergehen“ - aber weder er noch die Engel im Himmel wissen, wann das endgültig der Fall sein wird. Nur Gott, der Vater, allein weiß es.
Das hat die Endzeitpropheten aller Zeiten nicht davon abgehalten zu berechnen, wann dieser Tag eintritt. Doch ist es zwecklos nach den „Zeichen der Zeit“ Ausschau zu halten und sie deuten zu wollen: Kriege, Seuchen, Klimawandel, Erdbeben, Taifune, Hungersnöte, Zerrüttung der öffentlichen Moral. All das ist nur Teil der oftmals verstörenden und empörenden, aber alles in allem sich doch häufig wiederholenden Menschheitsgeschichte. Ein Hinweis auf das unmittelbar bevorstehende Ende der Welt ist es nicht.
Wann das sein wird, können wir nicht wissen. Es ist und bleibt das Geheimnis Gottes. Das ist bei ihm gut aufgehoben. Darauf gilt es wachsam zu reagieren, nicht aber ängstlich. Zwar gilt: „Himmel und Erde werden vergehen“. Doch dem steht der Satz Jesu entgegen: „Meine Worte aber werden nicht vergehen.“ Seinen Worten lasst uns trauen. Sie sind ja noch da, wenn wir nicht mehr da sind. Mit ihnen will er uns ergreifen, wenn wir zu fallen drohen und ängstlich, niedergeschlagen und voller Trauer sind: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Und so bewahre der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
(Wesentliche Impulse verdankt diese Predigt der schon zitierten Predigt von Manfred Josuttis „Vergehen“, in: Offene Geheimnisse. Predigten, Gütersloh 1999, S.136-138; weitere Literatur: Martin Hauff/Kristin Merle: Von Worten, die nicht vergehen, Markus 13, 31-37, Ewigkeitssonntag, in: Predigtstudien für das Kirchenjahr 2012/2013, Perikopenreihe V – Zweiter Halbband, Hg. Von Wilhelm Gräb et al., Freiburg im Breisgau 2013, S. 249-256)