Wem gehören wir? – Predigt zu 1. Korinther 6,-9-14.18-20 von Angelika Volkmann

Wem gehören wir? – Predigt zu 1. Korinther 6,-9-14.18-20 von Angelika Volkmann
6,-9-14.18-20

Liebe Gemeinde,

wovon lassen wir uns beherrschen?
Sind wir getrieben von Neid und Sucht und Machtgelüsten? Voller Sorge um das eigene Image? Verführt dazu, schlecht über andere zu reden? Sind wir ausgeliefert an sexuelle Gier? Frönen wir einem Körperkult und purer Genusssucht? Als Mitglieder einer Gemeinde, die sich sonntags hier zum Gottesdienst versammeln, vermutlich eher nicht.

Der Apostel Paulus schreibt über solche Fragen an die Gemeinde in Korinth. Er spricht konkrete Alltagsprobleme der Gemeindeglieder an. Die meisten Christusgläubigen in dieser multikulturellen und multireligiösen römischen Stadt am Hafen kommen aus dem Heidentum. Gut 400 Jahre zuvor hatte der Philosoph Diogenes von Sinope auch in Korinth seine Lehre vertreten und Essen, Trinken und Körperlichkeit ohne Einschränkungen und Schamgefühl propagiert. Die Äußerung von Paulus zeigt, dass diese Lebensweise in der Stadt Korinth durchaus üblich war und dass einige Gemeindeglieder ein solches Leben geführt haben. „Alles ist mir erlaubt!“ – so lautete die sogenannte korinthische Parole, mit der Trunkenheit, Diebstahl und auch ein unverantwortlicher Umgang mit Sexualität gerechtfertigt wurden. Dafür findet Paulus kritische Worte:

Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes. Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, sind außerhalb seines Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

Liebe Gemeinde,

Es ist noch nicht klar, was für die Christusgläubigen gilt. Die Identitätsfindung ist noch im Fluss in der Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus. Was gilt für uns? So fragen die Korinther zwischen römisch-hellenistischen Ansichten und jüdischen Geboten. Paulus klärt in seinem Brief einige Fragen in diesem Zusammenhang. Er orientiert sich dabei an den wichtigsten jüdischen Geboten, die schon damals aus jüdischer Sicht auch für Nichtjuden gelten. Der jüdische Glaube kennt gute Gebote für die ganze Menschheit. Die wichtigsten drei sind das Verbot von Unzucht, von Götzendienst und Blutvergießen. Diese Gebote gelten selbstverständlich auch für die christusgläubige Gemeinde.

Unzucht, das griechische Wort heißt: porneia. Damit ist eine unverantwortliche Sexualpraxis gemeint. In aller Schärfe stellt Paulus fest: Wer unverantwortlich mit seiner Sexualität umgeht, der gehört nicht in das Reich Gottes. Heute verstehen wir ihn so: wer beziehungslos Sexualität konsumiert, wer Sexualität so lebt, dass Beziehungen zerstört werden, wer vergewaltigt oder sich an Kindern oder Abhängigen vergreift, wer Menschen sexuell benutzt oder ausbeutet, der gehört nicht in das Reich Gottes.

Blutvergießen: Damit sind Gewalttaten gemeint. Das fängt schon an, wenn jemand schlecht über andere redet, lesen wir in der Bergpredigt Jesu. Auch wer stiehlt, sagt Paulus, und wer den Hals nicht voll genug bekommt, wer im Rausch anderen schadet, wer verleumdet und mobbt und ausbeutet, begünstigt dadurch Gewalt und Blutvergießen und gehört nicht in Gottes Welt.

Götzendienst: Wer andere Gottheiten verehrt, gehört nicht in das Reich Gottes. Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott, sagt Martin Luther. Wer sein Herz z.B. an Geld und Macht oder einen perfekt gestylten Körper hängt, wer dem eigenen Ego dient, wer sich selbst zum Maßstab aller Dinge macht und vergisst, dass er sich einem Größeren verdankt, der gehört nicht in das Reich Gottes. Denn er wird voller Verachtung sein gegenüber anderen.

Der jüdische Glaube lehrt uns: wenn alle Menschen, egal welchen Glaubens oder auch ohne einen Glauben an einen Gott diese drei Gebote einhalten, dann ist dem Zusammenleben der Menschen sehr gedient.

Um wieviel mehr müssen diese Verhaltensweisen für eine christliche Gemeinde verbindlich sein. Paulus sagt: wer sich daran nicht hält, gehört nicht in das Reich Gottes.

Harte Worte. Doch Paulus schließt nicht nur aus, Paulus lädt auch ein. Früher habt ihr solche Dinge gemacht, sagt er. Aber jetzt ist es anders. Ihr seid andere geworden. Man kann sich ändern und Ungutes hinter sich lassen. Durch die Verbindung zu Jesus Christus gehört ihr zu Gott. Ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht gemacht. Wer zu Christus gehört, ist ein neuer Mensch. Gott wohnt in euch! Wer Christus gehört, gehört nicht zerstörerischen Impulsen, vielmehr dient er dem Guten.

 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich … Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?

Es geht darum, dass wir so leben, dass es uns selber und der Gemeinschaft guttut. Und es geht darum, dass es nicht egal ist, was wir mit unserem Körper tun. Denn auch diese Auffassung herrschte in Korinth, dass der Körper, und was wir mit ihm machen, nicht so wichtig sei.

Der Körper ist der Tempel, in dem Gottes Geist wohnt, sagt Paulus. Nicht nur die Seele stellt eine enge Verbindung zu Gott her, sondern auch der Körper. Heute ist uns bekannt, wie sehr beide miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Wie sehr es auf die Seele zurückwirkt, wenn sich der Körper wohlfühlt, wenn er genügend Bewegung und genügend Schlaf bekommt und gesundes Essen. Wenn man ausgeschlafen ist, fühlt man sich glücklicher als bei chronischem Schlafmangel. Ein Spaziergang durch die Natur hellt unsere Stimmung auf. Positive Angebote des Körpers sind für die Seele unwiderstehlich. (nach Monika Lehmann-Etzelmüller)

So ist es nicht nur medizinisch, sondern auch geistlich geboten, mit dem eigenen Körper gut umzugehen. Euer Körper ist ein Tempel des Heiligen Geistes.
Das ist für manche in Korinth völlig neu.  Auch für uns mag es fremd sein. Auch wir verlagern die Dinge des Glaubens gern in die Innenwelt, in Herz und Geist. Gott mit dem Herzen loben, ja, aber mit Herzen, Mund und Händen? (nach Monika Lehmann-Etzelmüller)

Dabei ist es uns nicht fern. Was haben wir nicht alles in den letzten Tagen mit unseren Händen Liebevolles und Gutes getan: eine liebevolle Berührung, für jemanden etwas Hilfreiches erledigt, eine Mahlzeit zubereitet, gegossen und gepflanzt, jemandem die Hand gereicht oder sie einem anderen Menschen ermutigend auf die Schulter gelegt. Manchmal reicht ganz wenig, um Gottes Güte und Liebe gegenwärtig sein zu lassen für andere. Oder die Füße. Wo waren sie unterwegs in der vergangenen Woche? Oder der Mund. Der kann kritisieren und schlecht reden, aber auch Liebevolles sagen, Mut zusprechen, Küsse verteilen. (Monika Lehmann-Etzelmüller)

Oder die Augen. Wie schaue ich auf andere? Wie schaue ich auf mich selbst? Wie schaue ich auf die Welt? Wenn Gott in mir wohnt – kann ich gütig schauen, freundlich?

Oder eben die Sexualität. Diese wunderbare Gabe Gottes an jeden Menschen. Und das besondere Geschenk, sich zu binden, sich körperlich einlassen zu können auf einen Menschen, den man liebt, auf Berührung und Hingabe, einander erkennen in der gemeinsamen Verbundenheit mit Gott.

Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?

Uns für die Gegenwart Gottes in unserem Körper zu öffnen, heilt uns, befreit uns und lässt uns großzügig sein. Die Gegenwart Gottes in anderen Menschen zu sehen verändert unsere Wahrnehmung und unser Verhalten.

Martin Buber erzählt in seinen chassidischen Geschichten, wie der Kozker Rebbe einige Männer fragt: „Wo wohnt Gott?“ Und dann schließlich selber seine eigene Frage beantwortet: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“

Darum preist Gott mit eurem Leibe, schreibt Paulus.
Dazu sind wir eingeladen, ja aufgefordert. Das ist beglückend. Dabei erwartet uns ein Leben in Fülle.
Amen. 

Angelika Volkmann, Pfarrerin an der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche Tübingen,
email: Angelika.Volkmann@elkw.de

 

verwendete Literatur:

Einige Anregungen verdanke ich Monika Lehmann-Etzelmüller, Mit Herzen, Mund und Händen, 29. Juli 2012, 8. Sonntag nach Trinitatis, 1. Korinther 6,9-14.18-20, in: Pastoralblätter, 7-8/ 2012, S. 521ff

Jürgen Pithan, 8. Sonntag nach Trinitatis: 1.Kor 6,9-(14.18-)20, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, zur Perikopenreihe IV, herausgegeben von Studium in Israel, e.V., Wernsbach 2005, S. 252-256

Mareike Schmied, 8. Sonntag nach Trinitatis: 1.Kor 6,9-14.18-20, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, zur Perikopenreihe IV, herausgegeben von Studium in Israel, e.V., Berlin 2017, S. 286-290

Perikope
22.07.2018
6,-9-14.18-20

Wer immer strebend sich bemüht – Predigt zu 1. Korinther 14,1-3,21-25 von Uwe Hüllweg

Wer immer strebend sich bemüht – Predigt zu 1. Korinther 14,1-3,21-25 von Uwe Hüllweg
14,1-3,20-25

Liebe Gemeinde,

am kommenden Donnerstag geht es los. Es wird wieder hoch hergehen, jedenfalls bei den Fußballfreunden. In Russland beginnt die Weltmeisterschaft der Männer, und natürlich ist auch die deutsche Mannschaft dabei. Ich kann mich noch lebhaft an das „Sommermärchen“ vor zwölf Jahren in Deutschland erinnern, ob gekauft oder nicht, und erst recht an die Weltmeisterschaft vor vier Jahren, als Deutschland wieder mal Weltmeister wurde. Begeisterung und Jubel allenthalben. In den Stadien, auf den „Fanmeilen“ beim „Public Viewing“ und an den heimischen Bildschirmen wird gefiebert, gebrüllt, gestöhnt, da werden Sprechchöre angestimmt, es kommen Freuden- oder Schreckenslaute aus vielen Kehlen. Erwachsene und junge Menschen statten sich mit Fan-Artikeln aus oder verkleiden sich witzig und manchmal verrückt, malen sich in den jeweiligen Nationalfarben an. Selbst Pfarrer werden davon nicht verschont: Ich habe erlebt, wie ein geschätzter Amtsbruder bei der Fernsehübertragung des Spiels Portugal gegen Deutschland mit Portugal-Cap auf dem Kopf und mit Germany-T-Shirt am Leib erschien - immerhin ausgewogen!

Manche von uns sind bestimmt auch jetzt wieder mit Herzen, Mund und Händen dabei, wenn am nächsten Sonntag Mexiko und Deutschland gegeneinander antreten. Ich kenne das auch, obwohl ich kein fanatischer Fußballfan bin: Ich gucke mir das an, in mir fiebert dann etwas mit, ich kann mich dem einfach nicht entziehen. Und wer mal im Stadion war, kennt auch dieses „Oaaah“ aus zehntausenden Kehlen, wenn der Ball zentimeternah am Tor vorbeifliegt, und erst recht den ohrenbetäubenden Schrei, wenn er „drin“ ist. Dann ist der Verstand weg, und das Gefühl bordet über.

In Korinth scheint bei den Erwachsenen Ähnliches geschehen zu sein, die sind zwar, soweit wir wissen, keine Fußballfans, sondern mit Sicherheit Anhänger des antiken Olympia. Es war jedoch ausgerechnet beim Gottesdienst der christlichen Gemeinde eingerissen, den Gefühlen freien Lauf zu lassen und geradezu in Ekstase zu geraten. Sie wurden von ihrer Begeisterung so mitgerissen, so dass sie nur noch unverständliches Gestammel hervorbrachten. Dann begannen sie zu zappeln und zu tanzen und dabei Unverständliches zu lallen. Der Verstand war weg, das Gefühl bordete über. Die Korinther werteten das als untrügliches Zeichen für das Wirken des Heiligen Geistes. „Zungenrede“ nannten sie das, wenn Mund und Zunge unkontrolliert und unverständlich Laute ausstießen. Auch heute gibt es das noch in manchen durchaus bedeutenden christlichen Strömungen, wie z.B. in den Pfingstkirchen oder der „Charismatischen Bewegung“. Dort wird solches ebenfalls als unmittelbares Reden mit Gott verstanden. Auch im außerchristlichen Bereich gibt es religiöse Ekstase, etwa bei den tanzenden Derwischen muslimischer Orden in der Türkei oder bei den Schamanen mancher Naturvölker.

Paulus verurteilt das „Zungenreden“ nun keineswegs, er kann damit leben. Er schreibt sogar selbstbewusst: Ich praktiziere es mehr als ihr alle (V. 18), sprich: Ich kann es besser als ihr! Aber er fragt doch auch kritisch nach: Was ist mit denen, die das nicht verstehen? Schließt ihr damit nicht andere Menschen aus? Dieses sogenannte Zungenreden ist doch nicht das Wichtigste, das kann doch nicht das Zentrum christlicher Glaubenspraxis sein! Paulus betrachtet nämlich auch vieles andere als Gabe des Geistes, so etwa Dienste der Nächstenliebe oder in der Verwaltung. Dem prophetischen, verständlichen Reden aber gibt er den Vorrang. Wichtig war ihm, dass die ganze Gemeinde in der Erkenntnis wächst, und dabei kann solche Ekstase im Wege stehen. (Sach- und Worterklärungen, Luther 17).

Und so setzt er sich kritisch mit dem Wesen dieser für uns befremdlichen Praxis auseinander: Wer „in Zungen redet“, ist nur noch bei sich selbst und bei Gott, schreibt er, aber nicht bei den anderen Christen. Der kreist im wahrsten Sinne des Wortes um sich selbst und kündigt sozusagen die „Gemeinschaft der Heiligen“ zumindest zeitweise auf.

Das „prophetische Reden“ aber, das er dagegen setzt, schaltet den Verstand nicht ab und klinkt sich nicht aus der Gemeinschaft aus. Es nimmt stattdessen auch den anderen Menschen in den Blick, „zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung“.

Wenn ihr schon in Zungen reden müsst, dann sollt ihr es nicht übertreiben, mahnt er, sondern auch eine Erklärung, eine Auslegung dazu geben, für alle, die es nicht verstehen, es sozusagen der Kontrolle des Verstandes unterwerfen und für die anderen einen Zugang für den Verstand schaffen. Dann mag es für Paulus angehen. Mit Verstand, eben verständlich reden, das ist für Paulus entscheidend für die Verkündigung, und das ist es bis heute in der Predigtlehre der evangelischen und inzwischen auch der katholischen Kirche.

Nun könnten wir ja meinen, was interessiert uns dieses spezielle Problem der Korinther. Bei uns hier gibt es das nicht. Und doch haben wir mehr damit zu tun als auf den ersten Blick scheint, auch wenn wir keine Pfingstler sind und nicht der Charismatischen Bewegung angehören, wo religiöse Ekstase auch eine Rolle spielt. Alles, was in der Gemeinde an Kommunikation mit Gott und den Menschen geschieht, stellt Paulus unter die Überschrift: „Strebt nach der Liebe!“, und zwar gleich im ersten Vers. Das ist ihm offenbar das Allerwichtigste. Und es ist auch für uns heute ein Grund, uns zu prüfen, ob das bei unseren Lebens- und Glaubensäußerungen geschieht.

Ein Kapitel vorher, im berühmten Kapitel 13 des Römerbriefs, entfaltet Paulus ja mit mächtigen, geradezu unsterblichen Worten seine Gedanken über die Liebe. Und wir werden sicher alle das Schlusswort im Kopf haben, mit dem er seine Ausführungen zusammenfasst: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Das ist einer der bekanntesten Verse der Bibel. Viele Brautpaare, die ich in meinem beruflichen Leben getraut habe, wünschten sich gerade ihn, um ihr gemeinsames Leben davon begleiten zu lassen.

An diese wunderbaren Worte knüpft Paulus unmittelbar an, wenn er sein neues Kapitel so beginnt: „Strebt nach der Liebe!“ Wer sie zum Maßstab seines Reden und Handelns macht, hat begriffen, worauf es ankommt. Zungenrede schön und gut - das liebevolle prophetische Reden, das auch aus dem Herzen kommt, genießt allemal den Vorzug. Sein entscheidendes Merkmal: Man kann es verstehen.

Ob unsere Andachten und Gottesdienste, unsere Gebete und Predigten, alles, was wir in Kirche und alltäglichem Leben an Glaubensäußerungen von uns geben, vor dem kritischen Urteil des Paulus bestehen könnte? Er würde vermutlich nicht wollen, dass bei uns gefühlsüberbordende „Zungenrede“ eingeführt wird. Die liturgische Strenge des Gottesdienstablaufs, die gedankliche und rhetorische Schlüssigkeit der Predigten, die ausgefeilte Glätte der Gebete würden ihm, dem größten Theologen der Christenheit, der ja Gedankenfülle und logische und theologische Klarheit als sein Handwerkszeug mit sich trägt, vermutlich nicht unliebsam sein. Ich nehme aber an, dass er uns, im Gegensatz zu den Korinthern, fragen würde: Ist die prophetische Rede bei euch nicht erlahmt? Vertragen eure Gottesdienste nicht ein bisschen mehr Feuer? Ist euer Glaube noch begeisterungsfähig?

Man hat uns Protestanten ja gelegentlich vorgeworfen, staubtrocken, verkopft und langweilig zu sein, nur den Verstand und nicht auch die Sinne anzusprechen. Da mag etwas dran sein. Deshalb hat es in den letzten Jahrzehnten hier und da neue Ideen in der Gottesdienstgestaltung gegeben, z.B. mit Einbeziehung der Teilnehmenden, mit schmissiger Musik, mit Bildern und Aktionen.

Auch haben wir Evangelischen uns bei den anderen Konfessionen umgesehen und von unseren ökumenischen Geschwistern manches übernommen. Ich nenne nur als Beispiele das Friedenszeichen beim Abendmahl, die Farben von Talar und Stola, die Kerzenbäume in manchen Kirchen, Gebetswände und Handauflegungen, und das alles, um mit Paulus zu sprechen, „zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung“.

Auch wir heute stehen noch immer unter der werbenden Aufforderung des Apostels: „Strebt nach der Liebe!“ Erbauung, Ermahnung und Tröstung sind Ausdrucksformen christlicher Liebe. Wer wollte von sich behaupten, dass er oder sie deren nicht bedürfe? Und wer kann ehrlichen Gewissens sagen, dass es in seiner und ihrer Umgebung keine Menschen gebe, die deren nicht bedürfen und es möglicherweise von uns erwarten könnten?

Lassen wir uns also einfangen von diesen biblischen Worten und das Wirken des Heiligen Geistes erbitten, der uns

-  anrege und ermutige zum beherzten Gebrauch unseres Verstandes beim Streben nach der Liebe;

- anrege und ermutige zur phantasievollen Anwendung des Glaubens auch im Alltag;

- anrege und ermutige zu verständlichem Reden und Wertschätzung der Gemeinschaft;

- anrege und ermutige zur „zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung“.

Manche werden das berühmte Zitat aus dem Faust II von Goethe kennen: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“. Ich leihe es mir aus und wandle im Sinne des Paulus entscheidend ab: Wer immer strebend sich bemüht, um die Liebe, der hat etwas von der Erlösung begriffen, die in Jesus Christus bereits geschehen ist.

Amen.

Perikope
10.06.2018
14,1-3,20-25

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“ – Predigt zu 1. Korinther 14, 1-3.20-25 von Christoph Hildebrandt-Ayasse

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“ – Predigt zu 1. Korinther 14, 1-3.20-25 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
14,1-3,20-25

1. Korinther 14, 1-3.20-25

„ Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn: im Geist redet er Geheimnisse. Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.

Liebe Brüder und Schwestern, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Bosheit geht; im Verstehen aber seid erwachsen. Im Gesetz steht geschrieben: »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, aber auch so werden sie nicht auf mich hören, spricht der Herr.« Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen. Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? Wenn aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen überführt und von allen gerichtet; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.“

 

Liebe Gemeinde,

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“- was dann? Was würde er oder sie erleben?

Sooft ich kann, gehe ich gerne in andere Gottesdienste in anderen Gemeinden, vor allem im Urlaub. Als Ortsunkundiger muss ich dann manchmal im Gesangbuch nach der gängigen Liturgie suchen. Wann darf ich aufstehen, wann sitzen bleiben? Ist das hier eine reformierte, lutherische oder unierte Liturgie? Oder ich staune über den Reichtum orthodoxer  Gottesdienste, über diesen Reichtum an Gesängen, Lesungen, Verbeugungen, Prozessionen und Weihrauch. Oder ich fühle mich etwas gehemmt, wenn in charismatisch geprägten Gemeinden mit erhobenen Armen gesungen und gebetet wird. Oder ich vernehme in einem Gebetsgottesdienst mit Erstaunen ein Gebet in Zungenrede. Oder ich klatsche verhalten und schüchtern mit, wenn um mich herum eine Gospelgemeinde singt, swingt und tanzt. Oder ich denke, ich falle unangenehm auf, wenn ich bei einer Messfeier mich nicht bekreuzige oder hinknie.

Auch wenn ich mich als Unkundiger in einer anderen Gemeinde recht fremd unter fremden Mitchristen fühlen kann, so denke ich doch: es ist wunderbar, wie vielfältig die Traditionen in meinem Glauben sind und wie unterschiedlich Gottesdienst gefeiert werden kann. Gott kann in vielen Sprachen und Formen gelobt werden.

Und vielleicht kennen sie das ja auch: man ist im Urlaub in einem fremdsprachigen Gottesdienst, ein Unkundiger, was Sprache, Ablauf und Liturgie anbelangt, und feiert trotzdem den Gottesdienst innerlich mit, mit einem eigenen, stillen Gottesdienst hinten im Eck einer alten Kirche.

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“- was dann? Dann kann er sich hoffentlich zuhause fühlen in dem für ihn fremden Gottesdienst und das Gefühl bekommen: Gott ist wahrhaftig unter uns.

Dass ein Unkundiger oder Ungläubiger im christlichen Gottesdienst auftaucht, das war damals zur Zeit des Apostels Paulus wohl nichts Ungewöhnliches. In der quirligen Hafenstadt Korinth gab es Menschen unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Religion. Man feierte seine eigenen Gottesdienste in der eigenen Sprache, Religion und Tradition jeweils in seinem Tempel oder Versammlungsort. Und da konnte es nicht ausbleiben, dass jemand aus Neugierde einmal den Gottesdienst einer anderen Religion oder Sprachgruppe besuchte. Oder er kommt als Unkundiger oder Andersgläubiger zum Gottesdienst, weil er dazu eingeladen wurde von einem Arbeitskollegen oder aus der eigenen Familie, in der jemand zu einer anderen Religion gehört. Das ist so, wie wenn man heute als Urlauber in einen Gottesdienst in Peking oder Sidney oder Kischinau geht oder zu einer Konfirmation „ganz wo anders“ eingeladen wird oder eine Einladung zum Iftar-Essen in eine Moscheegemeinde erhält.

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“- Paulus regt die Gemeindeglieder in Korinth an, doch einmal diese Außenperspektive ein zu nehmen. Wie wirkt ihr als Gemeinde auf Besucher? Werden Außenstehende durch eure Gottesdienste zum Glauben eingeladen? Führen eure Gottesdienste dazu, dass Menschen das Beten lernen? Dass sie ihr Herz ausschütten können? Dass sie sich in Gott geborgen fühlen?

Paulus sieht bei den Gottesdienstfeiern in Korinth hier ein ganz konkretes Problem. Und das Problem ist für ihn „das Reden in Zungen“. Die Zungenrede¸ von der Paulus hier spricht, muss allerdings unterschieden werden von dem öffentlichen Predigen der Jünger in ihnen unbekannten Sprachen am ersten Pfingstfest. Darum geht es Paulus in unserem heutigen Bibeltext nicht.

Es geht ihm hier um das private Reden in Zungen, nicht um das öffentliche. Vielleicht haben sie so ein Reden in Zungen in einem Gottesdienst schon einmal erlebt. Die Zungenrede ist eine sehr besondere Form des ganz persönlichen Gebetes. Wer in Zungen betet, der spricht sein Gebet in einer völlig unverständlichen Sprache und in fremdklingenden Lauten. Diese Art zu beten ist in vielen Pfingstgemeinde in der christlichen Welt ganz normal; für viele europäischen Christen wirkt das Beten in Zungen allerdings äußerst befremdlich. Paulus zählt die Zungenrede zu den möglichen acht Gaben des Heiligen Geistes. Man kann diese Gabe haben, man muss sie aber nicht haben. Es gibt allerdings Pfingstgemeinden, die fordern die Gabe des Zungenredens von ihren Mitgliedern als Ausweis echten christlichen Glaubens.

Paulus sieht die Gabe der Zungenrede als eine mögliche Geistesgabe. Für ihn ist sie aber keine Voraussetzung für das Christsein. Wer in Zungen beten kann, der betet in einer besonders intensiven Art. Es ist eine Art ganz tiefes Herzensgebet, das den eigenen Glauben stärkt und mit dem man sich geheimnisvoll in Gott birgt; ein ganz privates und wohltuendes spirituelles Erlebnis. Aber es bleibt eben bloß privat, sagt Paulus. Es ist ein Reden für Gott, aber nicht für Menschen. Und das ist, wenn es um öffentliche Gottesdienste geht, für Paulus das große Problem. Öffentliche Gottesdienste sind keine Privatveranstaltung, sondern die Bezeugung des Wortes Gottes in der Welt und für die Welt.

Im christlichen Gottesdienst geht es immer auch um eine Feier für andere, für Unkundige und für Ungläubige. Der Gottesdienst der christlichen Gemeinden wird nicht nur für die Gemeinde und ihre religiösen Bedürfnisse gefeiert. Er muss immer auch offen sein für andere; für die, die nicht zur Gemeinde gehören.

Wenn also jemand in einen Gottesdienst kommt, in dem alle in Zungen reden und ihre private Frömmigkeit pflegen, so wird der nichts verstehen von dem, was es heißt, Gottesdienst zu feiern und wird nur den Kopf schütteln über solch eine exklusive Versammlung. Wie gesagt: Paulus lehnt die Gabe der Zungenrede nicht grundsätzlich ab. Sie ist eine mögliche Geistesgabe. Aber er erstellt eine Prioritätenliste. „Bemüht euch um die Gaben des Geistes“, schreibt er, „am meisten aber nach der Gabe der Profetischen Rede.“

So wie er im Kapitel voraus von Glaube, Liebe und Hoffnung sprach und die Liebe als die größte unter ihnen beschrieb, so setzt er hier unter den Geistesgaben die prophetische Rede deutlich über das Reden in Zungen. Vor allem um diese Geistesgabe: die prophetischen Rede soll die Gemeinde sich bemühen. Und zwar nicht nur die Pfarrerin oder der Pfarrer oder die Gemeindeleitenden, sondern alle in der Gottesdienstgemeinde. Wenn alle prophetisch redeten „…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“, ja dann könnte er merken und spüren, dass Gott gegenwärtig ist im Gottesdienst.

„Prophetische Rede“: das klingt ziemlich anspruchsvoll. Man denkt dabei an die Propheten des Alten Testamentes. An ihre Gerichtsworte gegenüber den Herrschern, an ihren Einsatz für Gerechtigkeit, an ihre großartigen Zukunftsentwürfe von Gottes Frieden für unsere Welt. Und man denkt vielleicht: das ist alles eine Nummer zu groß für mich.

Paulus aber erklärt die Prophetische Rede so: „Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.“ Und diese Gabe kann Gottes Geist allen in der Gemeinde schenken.

Ein Beispiel dafür? Da gehe ich mit schlechter Laune und einem Problem belastet in den Gottesdienst in einer anderen Stadt. Gleich am Eingang der Kirche begegne ich einem ersten prophetischen Wort: mit einem freundlichen „Guten Morgen“ drückt mir jemand ein Gesangbuch in die Hand und meine Stimmung gerät in ein anderes Licht. Der Bußpsalm und das Sündenbekenntnis im Gottesdienst prüfen und überführen mich gleichsam und im stillen Gebet kann ich vor Gott bringen, was in meinem Herzen verborgen war. Erbauung und Ermahnung und Tröstung habe ich im Gottesdienst erfahren durch die Worte, Gebete und Gesang einer mir fremden Gemeinde: die Wirkungen der Gabe der prophetischen Rede.

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“ – wie würde er oder sie sich bei uns fühlen? Würde er oder würde sie hilfreiche, wohltuende und tröstende Worte hören? Würde er auf eine Gemeinde treffen, die offen ist für andere und Gottes Gegenwart mit ihnen feiern möchte?

Amen

Perikope
10.06.2018
14,1-3,20-25

Von Propheten und überraschenden Gästen! - Predigt zu 1. Korinther 14,1-3+20 von Mirko Peisert

Von Propheten und überraschenden Gästen! - Predigt zu 1. Korinther 14,1-3+20 von Mirko Peisert
14,1-3+20

Liebe Gemeinde,

ein durchschnittlicher Konfirmand verschickt in seiner durchschnittlichen Konfirmandenzeit von 18 Monaten im Schnitt 99.513 Nachrichten und erhält im Schnitt 155.500 Text-Nachrichten.

Immer wichtiger werden Videobotschaften und Filmclips. Youtube steht so hoch im Kurs wie nie. Angesichts dessen ist selbst der Fernseher für Jugendliche längst zur Nebensache geworden. Das beliebteste und am häufigsten aufgerufene Konfirmationsvideo aus Deutschland auf Youtube ist übrigens ein Make-up Tutorial zum Thema Make-up, Haare & Outfit für deine Konfirmationen!

Ich glaube, es ist kein Zufall, dass es um Make-Up geht! Selbstdarstellung ist für viele heute ziemlich wichtig. Gut, da stehe vor den anderen. Von vielem gemocht werden. Das wird durchs Smartphone noch verstärkt!

Ein Jugendlicher erklärt mir: Es ist ein befriedigendes Gefühl, wenn man für ein Selfie viele likes kriegt. Im Schnitt krieg ich so um die sechzig likes, wenn es gut läuft, achtzig bis hundert. Wenn ein Bild nicht so läuft, überlegt man sich schon, weshalb das Bild nicht wirkt. Trotzdem sind für mich likes nicht ausschlaggebend, ich teile Momente mit meinen Freunden.

Wie wirken wir?

Wie wirken wir als Gemeinde?

Wie wirken wir auf Gäste?

Paulus stellt diese scheinbar so modernen Fragen auch seiner Gemeinde in Korinth und gibt deutliche Anweisungen:

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist verleiht – vor allem aber danach, als Prophet zu reden. Wer in fremden Sprachen redet, spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht ihn. Was er unter dem Einfluss des Geistes sagt, bleibt vielmehr ein  Geheimnis. Wer dagegen als Prophet redet, spricht zu den Menschen. Er baut die Gemeinde auf, ermutigt sie und tröstet sie.

-

Brüder und Schwestern, seid doch nicht unmündig wie Kinder, wenn es ans Denken geht. Wenn es dagegen um die Bosheit geht, sollt ihr wie Kleinkinder sein. Aber beim Denken sollt ihr euch als mündige Erwachsene erweisen. Im Gesetz heißt es: »So spricht der Herr: In fremden Sprachen und durch fremde Lippen will ich zu diesem Volk reden. Aber auch dann werden sie nicht auf mich hören.« Das Reden in fremden Sprachen ist also ein Zeichen – aber nicht für die, die zum Glauben gekommen sind, sondern für die Ungläubigen. Bei der prophetischen Rede ist es umgekehrt: Sie ist nicht für die Ungläubigen bestimmt, sondern für die,  die zum Glauben gekommen sind. Stellt euch vor: Die Gemeinde kommt zusammen und alle reden in fremden Sprachen. Wenn jetzt Unkundige oder Ungläubige hereinkommen, werden sie euch wohl für verrückt halten. Stellt euch aber umgekehrt vor: Alle reden als Propheten. Wenn jetzt ein Ungläubiger oder  Unkundiger hereinkommt, wird er sich von allen zur Rechenschaft gezogen sehen. Er weiß sich von allen geprüft. Das, was in seinem Herzen verborgen ist, kommt ans Licht. Er wird sich niederwerfen, Gott anbeten und bekennen: »Tatsächlich, Gott ist mitten unter euch!«

(Text nach Basisbibel)

 

Wie wirken wir?

Wie wirken wir als Gemeinde?

Wie wirken wir auf Gäste?

Ja, wir wirken wie hier auf jemanden Fremden, auf einen Unkundigen, der herein kommt zu uns?

 

Stellt euch vor: Die Gemeinde kommt zusammen und alle reden in fremden Sprachen. Wenn jetzt Unkundige oder Ungläubige hereinkommen, werden sie euch wohl für verrückt halten.

 

Ich finde Paulus entwirft ziemlich moderne Kriterien zur Beurteilung der zerstrittenen Situation in Korinth. Und er reizt mich zu fragen: Wie wirkt unser Gottesdienst heute auf einen fremden Gast? Die Liturgie, die wir feiern, meine Predigt? Die Orgelmusik?

Ob Sie uns auch für verrückt halten? Oder wie eine fremde Sprache? Eine ferne Welt?

Hape Kerkeling hat unseren Gottesdiensten ein ziemlich schlechtes Zeugnis ausgestellt. Er schreibt:

„Gott ist für mich so eine Art hervorragender Film wie Ghandi mehrfach preisgekrönt und großartig! Und die Amtskirche ist lediglich das Dorfkino, in dem das Meisterwerk gezeigt wird. Die Projektionsfläche für Gott. Die Leinwand hängt leider schief, ist verknittert, vergilbt und hat Löcher. Die Lautsprecher knistern, manchmal fallen sie ganz aus oder man muss irgendwelche nervigen Durchsagen während der Vorführung anhören…Kein Vergnügen wahrscheinlich, sich einen Kassenknüller wie Ghandi unter solchen Umständen ansehen zu müssen. Viele werden rausgehen und sagen. Schlechter Film. Wer aber genau hinsieht, erahnt, dass es sich dich um ein einziges Meisterwerk handelt… Leinwand und Lautsprecher geben nur das wieder, wozu sie in der Lage sind. Das ist menschlich. Gott ist der Film du die Kirche ist das Kino, in dem er läuft. Ich hoffe, wir können uns den Film irgendwann in bester 3-D und Stereo-Qualität unverfälscht  und in voller Länge angucken. Und vielleicht spielen wir ja mit.“

 

Wie wirken wir?

Wie wirken wir als Gemeinde?

Wie wirken wir auf Gäste?

 

Paulus stellt diese Fragen seiner Gemeinde in Korinth angesichts eines Streits. Es geht um das richtige Reden im Gottesdienst und da wendet sich Paulus gegen ein Phänomen, das Luther mit Zungenrede übersetzt hat. Das Fachwort heißt Glossolalie und meint ein geistbegabtes, aber unverständliches betendes Sprechen, das in der Welt der ersten Christen weit verbreitet war, aber deren Praxis im Gottesdienst Paulus hier infrage stellt.

Paulus empfiehlt der Gemeinde stattdessen das Prophetische Reden!

Stellt euch vor: Alle reden als Propheten. Wenn jetzt ein Ungläubiger oder Unkundiger hereinkommt, wird er sich von allen zur Rechenschaft gezogen sehen.

Er weiß sich von allen geprüft. Das, was in seinem Herzen verborgen ist, kommt ans Licht.

Er wird sich niederwerfen, Gott anbeten und bekennen:

»Tatsächlich, Gott ist mitten unter euch!«

Die interessante Frage ist aber, was meint er mit dem prophetischen Reden? Und was könnte das heute sein?

Vielleicht erklärt es das Experiment des Sozialpsychologen Salomon Asch:

Sein Versuch bestand schlicht dran, nach der Länge von Linien zu fragen.

Die Probanden bekamen Kärtchen, auf dem oben ein Strich und darunter eine Auswahl von drei weiteren Strichen aufgedruckt waren. Einer der drei unteren Striche war offensichtlich genauso lang wie der obere, einer war länger, einer war kürzer. Die Versuchspersonen mussten allein den zum oberen Strich passenden nennen. Allein für diese einfache Aufgabe gestellt, gab jeder die richtige Antwort.

Dann allerdings brachte Asch die Teilnehmer in einer Gruppe zusammen. Jede Gruppe bestand aus einer Versuchsperson und dazu sieben Helfern, die Asch ohne Wissen der Probanden instruiert hatte. Die Helfer begannen nun einstimmig und im Brustton der Überzeugung, falsche Antworten zu geben. Kurze Striche nannten sie lang, lange nannten sie kurz.

Die nichts ahnenden Versuchspersonen?

Sie schlossen sich an. Dieselben Probanden, die vorher ohne zu zögern die Linien vor ihren Augen richtig zuordnen konnten, erklärten jetzt Striche, die nach ein paar Fingerbreiten endeten für länger als solche, die sich fast über die ganze Seite zogen. Nicht einmal jede vierte Versuchsperson schaffte es, dem unsinnigen Zureden der Helfen zu widerstehen und eine eigene Position zu beziehen. Prophetisch zu reden, das heißt für mich der Mut zur eigenen Meinung, zur Wahrhaftigkeit, zum Widerspruch, so wie Lennart mit seinem fleckigen T-Shirt. Der Fleck begleitete ihn, immer noch zu sehen, dabei hatte seine Mutter das T-Shirt sogar eingeweicht und anschließend mit Spezialprogramm gewaschen. Doch der Blutfleck war immer noch da. Nur der Schriftzug auf dem Shirt war ausgewaschen:  Kein Mensch ist illegal.

Er zog es heute trotzdem wieder an.

Es war auf dem Rückweg nach Hause, als er die beiden Kahlgeschorenen auf ihn zukamen. An viel mehr kann er sich gar nicht mehr erinnern. Seine Nase muss unglaublich geblutet haben. In der Zeitung stand später nur von einer Schlägerei unter Jugendlichen an der U-Bahn Station Steintor. Doch für ihn ging es um viel mehr! Es ging ihm um Haltung, ums Prinzip, es ging ihm um seinen Glauben.

Wacht darüber, dass eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird! Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt! Das Gedicht von Günther Eich kommt ihm in den Sinn. Paulus sagt: Seid doch nicht unmündig wie Kinder, wenn es ans Denken geht! Beim Denken sollt ihr euch als mündige Erwachsene erweisen.

Trotzdem. Trotzdem zog er das befleckte T-Shirt wieder an. Trotz dem Alten Drachen! Und wenn die Welt voll Teufel wär Und wollten uns verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr!

Trotz des Telefonterrors engagiert die Kirchenvorsteherin sich weiter im Flüchtlingscafé am Dienstag. Trotz der Todesdrohungen sagt, Seygun Ates, tritt sie für einen neuen Islam ein. Trotzdem, hat jemand auf das Pflaster vor der Gedächtniskirche in Berlin gesprüht, an dem noch immer viele Kerzen an die Opfer des Attentates erinnern.

Trotz der Zahlen, auch wenn wir immer weniger werden, wenn unsere Gemeinden schrumpfen, auch wenn nur wenige in den Gottesdienst kommen, trotzdem dürfen wir uns nicht die Gewissheit, den Mut nehmen lassen. Das wäre ja noch schöneren

Nein es wird nicht mit unserer Kraft, nicht mit unserer Macht geschehen, aber er, er wird doch das Feld behalten! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist verleiht! Wer sonst als wir könnte denn das Unmögliche zur Sprache bringen, die Träume wach halten.  widersprechen der Sinnlosigkeit Der Angst etwas entgegenhalten. Aufstehen gegen die Kräfte, die uns klein machen wollen und krank und stumm.

Seid doch nicht unmündig wie Kinder, wenn es ans Denken geht! Beim Denken sollt ihr euch als mündige Erwachsene erweise

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist verleiht – Vor allem aber danach, als Prophet zu reden.

 

AMEN

 

Perikope
10.06.2018
14,1-3+20

Gottes Geist wie Bienen – Predigt zu 1. Korinther 1,12-16 von Barbara Eberhardt

Gottes Geist wie Bienen – Predigt zu 1. Korinther 1,12-16 von Barbara Eberhardt
1,12-16

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen“? (Jesaja 40,13) Wir aber haben Christi Sinn.

Es geschieht ein Brausen vom Himmel. Na ja, vielleicht ist es auch ein mittelleises Summen. Ich stehe mit meiner Freundin in ihrem Garten. Vor uns sind vier Bienenstöcke. Bienen ziehen ihre Schleifen, landen am Kasten, krabbeln um den Eingang herum und verschwinden schließlich darin, während andere von innen auftauchen und zum Start ansetzen.
Meine Freundin ist seit drei Jahren Hobby-Imkerin. Das auch noch, habe ich mir gedacht, als sie mir damals erzählt hat, dass sie mittwochs jetzt immer den Imkerkurs hat. Sie hatte zu dieser Zeit schon genug um die Ohren. Eine kränkelnde Mutter, um die sie sich kümmern musste. Eine Arbeitsstelle, mit der sie schon seit Jahren nicht zufrieden war, weil sie da ein funktionierendes Rädchen sein sollte. Mitdenken, eine eigene Meinung haben, war nicht erwünscht. Die Hierarchien sollten gewahrt bleiben. Bewirb dich doch woanders, habe ich geraten. Ja, aber, sagte sie. Und blieb. Eine Torheit war das in meinen Augen. Nach meiner Logik wäre ein Jobwechsel angesagt gewesen.  
Stattdessen begann sie mit den Bienen. Immer wenn wir uns getroffen haben, hat sie davon erzählt. Von Smoker und Imkerhut, vom Heranziehen einer Bienenkönigin, von Waben und Honigarten.
Irgendwann war meine Freundin mit ihrem Kurs fertig. Sie trat dem Imkerverein bei, ging zum Imkerstammtisch, kaufte sich Bienenkästen. Am Anfang hatte sie wenig Glück. Ein Volk war krank, eines verließ den Bienenstock. Dieses Jahr aber geht es sehr gut. Ein Volk hat sie sogar auf ihrem Gartengrundstück in der Fränkischen Schweiz eingefangen. Es war einfach da.
Mittlerweile bin ich froh, dass meine Freundin dieses Hobby begonnen hat. Es ist ein neuer Geist bei ihr eingezogen. Sie hadert nicht mehr so mit ihrem Job. Wenn ich sie besuche, stehen wir erst einmal vor den Bienen. Und staunen.

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.

Es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel, erzählt die Bibel. Wie das Summen eines Bienenschwarms. Und der Geist Gottes kommt.
Als Kind habe ich diese Szene mit Begeisterung gemalt. Menschen mit grünen und gelben und blauen Gewändern und auf einem jeden von ihnen eine rote Feuerflamme. Und alle lachten von einem Ohr zum anderen. Überhaupt haben mir die biblischen Geschichten in Ohren und Herz gesummt . Sie waren voll Zauber und Farben. Es wimmelte von Tieren. Esel mit ihren Jungen und Fische und Kamele und Schafe, viele Schafe, von denen auch ich eins sein durfte. Ich lief mit Jesus über Felder, saß mit ihm auf dem Fischerboot, als ein Sturm kam. Die Jünger hatten Angst, aber ich, ich wusste immer: Jesus wird mich beschützen.
Ich wohnte Tür an Tür mit dem kleinen Zachäus, der auf einen Baum klettern musste, um Jesus zu sehen. Da wuselten so viele Menschen herum in gelben und grünen und blauen Gewändern, und Zachäus wäre verschwunden in der Menge. Aber Jesus sah genau auf den Baum und auf ihn, und Zachäus lachte von einem Ohr bis zum anderen und ich mit ihm, denn Jesus sieht auf die Kleinen, auf dich und mich, kennt auch dich und hat dich lieb.
Das war mir als Kind tiefe Gewissheit und deshalb war mir auch die Geschichte so einleuchtend mit dem Geist, der brausend in vielen kleinen Feuerflammen kommt. Denn Gott schaut auf jeden einzelnen Menschen, auch auf die kleinsten, und alle bekommen etwas ab von seiner Liebe.

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.

Irgendwann ist der Zauber der Kindheit ausgeflogen wie ein Bienenschwarm. Unbeachtet stapelten sich meine Bilder von Pfingsten und Zachäus und all den anderen in der Ecke und verblassten. Die Kinderbibel wurde gegen die Lutherbibel ausgetauscht, und die enthielt nur noch stumme Buchstaben, von denen ich die Hälfte nicht verstand. Überhaupt war jetzt Verstehen angesagt und die Welt wurde erklärt. Urknall und Evolution, und was können wir überhaupt von Jesus wissen? Gelebt hat er wohl und gekreuzigt wurde er auch, aber alles andere, Ostern und Himmelfahrt und Pfingsten? Das musst du glauben, hat der Pfarrer gesagt. Aber Müssen wollte ich damals nicht, mach ich auch heute nur ungern. Und vom Heiligen Geist war eh nichts zu sehen. Atomkraft, nein danke und Unfriede herrscht auf der Erde, und die Worte des Pfarrers in der Kirche klangen wie Rauschen in der Ferne, schwarz und weiß und manchmal auch grau, aber niemals mehr farbig.

Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden.

Ich weiß nicht, wann es begonnen hat, dass die biblischen Worte ihr Summen zurückgewonnen haben. Vielleicht war Gottes Geist im Spiel. So wie er oft im Spiel ist, wenn etwas Neues entsteht. Ein neuer Blick. Ein neuer Weg.
Vielleicht war es, als ich mit anderen über die Bibel diskutiert habe. Als ich meine Fragen und Kritik offen gesagt habe und andere nicht geantwortet haben: Du musst eben glauben. Da zumindest ist der Geist zurückgekommen, den ich in meiner Kindheit gespürt habe. Das Gefühl, angenommen zu sein, so wie ich bin. Mit all meinen Zweifeln. Vielleicht die Kleinste von allen, die sich auf einen Baum in sicherer Entfernung zurückgezogen hat. Und doch hat Gott gerade mich angesehen.

Als Erwachsene haben wir es in Manchem schwerer als die Kinder. Wir kennen den Geist der Welt: Rationalisieren, regulieren. Nach dem Nutzen fragen. Sich unterordnen. Dem glauben, was schwarz auf weiß steht. Erst die Arbeit dann das Spiel. Manchmal lebe ich auch so. Muss ich, denn ich lebe nicht auf einer Insel, sondern in einer Welt mit Krankenversicherung und Lohnsteuerjahresausgleich, mit Gesetzen und Terminen. Und ich verstehe jetzt auch, warum meine Freundin ihre Arbeitsstelle behalten hat – bis heute. Dem Geist der Welt kann man nicht durch Jobwechsel entfliehen.   

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.

Gott schenkt uns seinen Geist. Er umgibt uns, Erwachsene wie Kinder, mit Brausen und Summen, wie Hunderte kleiner Bienen, die Schleifen in den Luft ziehen. Manche landen und und manche fliegen weiter.

Gestern, erzählt meine Freundin, als wir gemeinsam vor ihren Bienenkästen stehen, gestern hat sie in einen ihrer Kästen hineingeguckt. Emsiges Treiben war da, denn es war am frühen Abend und viele Bienen waren gerade heimgekommen. Alle hatten gelbe Höschen. Denn im Moment ist alles gelb. Die Birken, der Raps. Und da war eine Biene, die hatte ein blaues Höschen. Wo hatte sie das her?, frage ich. Keine Ahnung, sagt meine Freundin. Kann man nicht verstehen. Aber es war so schön.

 

Perikope
20.05.2018
1,12-16

Fremdes Feuer - Predigt zu 1. Korinther 2,12-16 von Sven Keppler

Fremdes Feuer - Predigt zu 1. Korinther 2,12-16 von Sven Keppler
2,12-16

I. „Das alles bringt nichts. Diese Versammlungen werden zu nichts führen. Die Stimme der Mäßigung, die Stimme der Vernunft, war unhörbar. Sie setzte sich in dieser Orgie nicht durch.“ Zwei Männer gehen abends durch Jerusalem. Frustriert kommen sie aus einer Versammlung ihrer Partei. Man könnte meinen, das Gespräch habe sich erst gestern ereignet. Kopfschütteln über den Hass der Politiker im Nahen Osten. Und ihr Spiel mit dem Feuer.

Aber diese Männer sind im Jahr 1964 unterwegs, in einer Erzählung von Amos Oz. 16 Jahre war Israel damals alt. Derselbe Staat Israel, dessen 70. Gründungstag am vergangenen Montag gefeiert wurde. Die beiden Männer sind Mitglieder in der Partei der Mitte. Der Partei, die eigentlich für Mäßigung eintreten wollte in der Spirale der Gewalt. Aber selbst in der Mitte hatte es die Stimme der Vernunft immer schwerer. Warum nur?

Die Männer sind unterwegs in Rechavia. Diesem grünen, modern gebauten Jerusalemer Stadtteil. Vor allem gebildete deutsche Juden lebten damals dort. Auch die beiden haben ihre Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus gemacht. Und sie haben daraus gelernt: Politik braucht Vernunft. Aber sie spüren: Die Gemäßigten erreichen die anderen nicht mehr. Der eine sagt: Es ist fast unmöglich, „einen berauschten Pöbel und seine leichtsinnigen, euphorischen Führer zu stoppen, die alle jubelnd dem Chaos entgegenrennen.“

Warum ist das so? Warum hat es die Vernunft so schwer? Warum lassen sich so wenige von einem besonnenen Geist ergreifen? Der eine der beiden Männer zündet sich eine Zigarette an. Mühsam schützt er die Flamme des Feuerzeugs vor dem Wind. Es gelingt ihm, die Zigarette zu entzünden. Aber schon bald geht sie wieder aus. Frustriert zertritt sie der Mann auf der Straße. Lag es am Wind? Oder lag es daran, dass er sie nicht gut genug angezündet hatte?

Diese kleine Episode ist symbolisch. Wenn die Vernunft erlischt – liegt es am starken Gegenwind? Oder liegt es daran, dass ihre Vertreter ihre Sache nicht gut genug machen? Woher könnte eine Macht kommen, die stärker ist als der Gegenwind? Und geschickter als wir unzulänglichen Menschen?

Amos Oz erzählt noch ein zweites Detail mit symbolischer Kraft: Die Gründer des Viertels Rechavia hatten viele Bäume gepflanzt. Sie hatten Gärten und Alleen angelegt, weil sie in den glühenden Steinen von Jerusalem ein schattiges, gepflegtes Viertel bauen wollten. Aber nachts nisten im Gebüsch dunkle Geschöpfe, die ihre Flügel ausbreiten und verzweifelt schreien.

Die gute, vernünftige Absicht der Erbauer überzeugt. Schatten spendende Bäume in Jerusalem zu pflanzen ist klug. Aber sie haben ungewollt eine Nachtseite. Die unheimlich schreienden Nachtvögel sind wie ein Fluch der guten Tat. So sehr wir Menschen uns bemühen – allzuoft führt unser Handeln zum unerwünschten Gegenteil.

Eine vernünftige Mäßigung in der Politik – ermutigt sie nicht sogar die Radikalen, die das als Schwäche missverstehen? Die arabischen Nachbarn Israels haben immer wieder mit Krieg gedroht. War es da nicht sogar vernünftig, im Sechs-Tage-Krieg große Gebiete für Israel zu erobern? War es nicht vernünftig, später die großen Mauern zu bauen, um das Land zu schützen. Aber es war nur eine weitere Drehung in der Spirale der Gewalt. Auch anscheinend vernünftiges Handeln lässt die schreienden Nachtvögel groß werden. Nicht nur in Israel. Auch bei uns. Und überall auf der Welt.

 

II. Hören wir den heutigen Predigttext. Er steht im 1. Brief von Paulus an die Gemeinde in Korinth, im 2. Kapitel [lesen: 1.Kor 2,12-16]

Ist das die Antwort auf die Fragen, die der Text von Amos Oz aufgeworfen hat: Was wir so „Vernunft“ nennen, ist gar nicht vernünftig? Sondern nur „Geist der Welt“, „menschliche Weisheit“, natürliche Torheit? Und deshalb immer wieder zum Scheitern verurteilt? Liebe Gemeinde, ganz so einfach ist es, glaube ich, nicht!

Paulus sagt: Was Gott uns schenkt, das können wir nicht von uns aus wissen. Das erfahren wir nur durch Gottes eigenen Geist. Nicht durch den Geist der Welt. Was Gott uns schenkt, das ist kein natürliches Weltwissen. Gottes Gabe erkennen wir auch dort nicht, wo unsere Vernunft zur Höchstform aufläuft: in der menschlichen Weisheit.

Paulus geht sogar noch einen Schritt weiter: Was Gott uns schenkt, das ist nach menschlichen Maßstäben sogar Unsinn. Eine Torheit. Deshalb ist Gottes Geschenk nach menschlichen, vernünftigen Maßstäben nicht zu beurteilen. Über Gottes Gabe können wir nur geistlich urteilen. Wenn wir von Gottes Geist erfüllt sind.

Aber stimmt das denn? Paulus spricht ja vom Evangelium. Gottes Geschenk ist, dass er uns erlöst. Dass er uns liebevoll behütet und bewahrt. Ist diese Einsicht für unsere Gedanken wirklich so völlig unsinnig und unzugänglich?

Hinter unserer sichtbaren Welt steht eine unsichtbare, ordnende Macht. Diese Annahme ist doch durchaus vernünftig! Die Ordnung der Natur, ihre Gesetze, ihr Entstehen aus einem einzigen Anfangspunkt – das alles spricht doch dafür. Und diese ordnende Macht muss es gut mit der Welt meinen. Gäbe es sonst diese Entwicklung zu immer höheren Lebensformen? Wäre sonst so etwas wie Vernunft und Liebe entstanden? Diese Macht – nennen wir sie Gott – will, dass sich die Welt gut entwickelt. Gott fördert seine Welt, weil er seine Schöpfung liebt. Und deshalb sollen auch wir uns förderlich und liebevoll verhalten. Das klingt doch alles sehr vernünftig!

Und doch erleben wir dasselbe, wie die beiden Männer bei Amos Oz: Diese doch so vernünftigen Gedanken finden nur schwer Gehör. Es herrscht eine überwältigende Gleichgültigkeit gegenüber Gott. Lieber haben die Leute ihren euphorischen, berauschten, leichtsinnigen Spaß.

Ist das wie bei der Zigarette, die nicht brennen wollte? Liegt es am starken Gegenwind? Oder am fehlenden Geschick derer, die vernünftig von Gott reden wollen? Oder ist es wie bei den Bäumen von Rechavia? Gepflanzt, um Schatten zu spenden, locken sie die schreienden Nachtvögel an. Die Religion könnte die höchste Vernunft sein. Aber oft ist sie ein Nistplatz für Radikale, für Hetzer, für Moralisten und Hassprediger. – Es scheint also doch Einiges für die skeptische Einschätzung des Paulus zu sprechen!

 

III. Wir dürfen die Radikalität von Paulus nicht überhören. Achten wir noch einmal genau auf seinen Text [erneut lesen: 1.Kor 2,12-16].

Paulus sagt nicht, dass Gottes Geschenk eigentlich auch durchaus vernünftig wäre. Und dass sich diese Vernunft nur leider nicht durchsetzt. Sondern Paulus schreibt, dass wir von uns aus gar nicht darauf kommen können. Über die Ursache davon sagt Paulus an dieser Stelle nichts. Aber sie hat wohl viel mit den Bäumen und der Zigarette zu tun. Unser Tun ist tief ambivalent. Selbst wenn wir gute, vernünftige Absichten haben, bekommen sie eine schreiende Nachtseite. Wenn dann noch Gegenwind und Ungeschick dazu kommen, ist das Scheitern nicht mehr weit.

Gottes Geschenk dagegen ist ohne jede Ambivalenz. Es ist eindeutig und ohne Schatten. Der pfingstliche Geist lässt es erkennen: Gott ist Mensch geworden, um uns zu erlösen. Gott will uns retten. Aus unseren Ambivalenzen. Und aus dem Tod. Dafür ist er Mensch geworden. Und durch den Kreuzestod hindurch in ein neues Leben gegangen. Um uns den Weg in ein erlöstes Leben zu bahnen.

Paulus spricht die Korinther als geistliche Menschen an. Sie haben Gottes Geist empfangen. Sie können wissen, was Gott schenkt. Sie haben die passenden geistlichen Worte, um darüber zu reden und zu urteilen. Und wenn wir als christliche Gemeinde diese Worte lesen, dann traut uns Paulus dasselbe ebenfalls zu!

Was folgt daraus? Ich glaube, vor allem dreierlei. Wir dürfen darum beten, dass Gott uns tatsächlich seinen Geist immer wieder schenkt. Und dass er viele Menschen mit diesem Geist erleuchtet. Dass er immer wieder Menschen mit seiner Wahrheit und seiner Liebe erfüllt.

Zum anderen haben wir selbst die Aufgabe, diesen Geist weiterzutragen. Indem wir von Gottes Geschenk erzählen. Und uns nicht davon entmutigen lassen, auch wenn viele nichts von der uns geborgten höheren Vernunft wissen wollen. Gott wird selbst dafür sorgen, dass immer wieder Menschen erreicht werden!

Und schließlich dürfen wir so leben, wie es Gottes Geist entspricht. Befreit. Angstfrei. Liebevoll und zuversichtlich. Engatiert für Frieden und Ausgleich. Ohne Angst vor dem Gegenwind und vor den schreienden Vögeln der Nacht. Unverzagt, auch wenn wir uns immer wieder ungeschickt anstellen. Wir dürfen uns immer wieder daran erinnern: Gottes Geist ist uns geschenkt. Aus ihm dürfen wir leben. Amen.

 

 

Quelle: Amos Oz, Fremdes Feuer (1964), in: ders., Wo die Schakale heulen, Berlin 2018, S. 136-171.

Perikope
20.05.2018
2,12-16

Predigt zu 1. Korinther 2,12-16 von Friedrich Seven

Predigt zu 1. Korinther 2,12-16 von Friedrich Seven
2,12-16

 Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie die menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche  Menschen. Der natürliche Mensch  aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden.  Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selbst von niemandem beurteilt. Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen“ Wir aber haben Christi Sinn.

                                                       Kanzelgruß

Liebe Gemeinde,

der Apostel Paulus will hier Christen in Korinth bestärken.  So weit wir wissen, drohte damals in der Hafenstadt ein Konflikt die Gemeinde zu spalten, und soviel wir von Paulus selbst erfahren, machten einige Christen in Korinth ihr Wissen um Gott und die Welt, ihre Weisheit, zum Maßstab für das Verstehen des Glaubens. Sie mochten  wohl an Gott glauben, aber an den gekreuzigten Gottessohn zu glauben, schien ihnen doch töricht. Ein Gott, der zu schwach ist, sich selbst zu helfen, kann keine Hilfe sein. An den zu glauben, verletzt gar den Stolz, und in diesem Stolz fühlten sie sich doch in Korinth mehr mit denen verbunden, die nicht zur Gemeinde gehörten, als mit ihren Schwestern und Brüdern.

Vor diesen Hochmütigen will der Apostel seine unsicher gewordenen Schwestern und Brüder schützen und sie in ihrem Glauben stärken. Deswegen nennt er sie „geistliche Menschen“.

Paulus weiß, dass er damit den Konflikt verschärft, doch schien ihm dies nötig, weil er wohl  die Gefährdung der Gemeinde durch äußere Einflüsse befürchtete.

Bringt uns aber heute die Zusage, wir seien geistliche Menschen, nicht eher in Verlegenheit?

Auch wir diskutieren über Inhalte des Glaubens: Nicht jeder meint, jede Passage des Glaubensbekenntnisses mitsprechen zu können, aber wir wollen doch keinen Keil  in die Gemeinschaft treiben. Außerdem, wo gefährden uns denn noch fremde Einflüsse?  Wer interessiert sich denn überhaupt noch für uns?

Wenn unsere Mitmenschen überhaupt noch zu uns kommen, wollen wir uns doch nicht mit unseren Gottesdiensten und  in unserem Gemeindeleben von ihnen abheben. Vielmehr suchen wir doch ihre Nähe und versuchen, Brücken zu  bauen und sie einzuladen. Die sogenannte Schwere Kost, die Worte von Gericht, Sünde und Schuld  sind nicht erst heute zu Reizworten geworden, und wir suchen sie doch  nach Möglichkeit in unserem Reden zu vermeiden. Gäben wir doch sonst unseren Kritikern damit weiterhin  nur Gelegenheit, uns auf die  Rolle der Spielverderber und Moralapostel festzulegen.

Was hilft es heute noch, von der Sünde des Geizes zu reden, wenn Geiz geil ist, oder vom Neid, wenn der doch als eine der Triebfedern für den sozialen Ausgleich gilt.

Wie kann sich der, der anderen die Schwellenangst nehmen möchte, heute auf ein Podest der Geistbegabten stellen, und meinen, von dort oben herab könne er anderen die frohe Botschaft nahebringen?

Kann das nicht immer nur Zuteilung und keine Zuwendung sein?

Wo bleibt bei so viel Geist die Liebe?

Auch viele von uns haben doch schon die böse Erfahrung gemacht, in einem Gespräch über den Glauben, vielleicht sogar in einen Bibelkreis mit seinen Bedenken, seinen Zweifeln abgebügelt zu werden mit der Zurechtweisung: „ Du hast einfach nicht den Heiligen Geist!“ Das wirkte dann immer wie ein Platzverweis und war wohl manchmal auch so gemeint.

Oft ging es bei bei solchen Gesprächen, gerade wenn um das rechte Verständnis der Bibel gerungen wurde,nicht mehr darum, den anderen zu verstehen, sondern vor allem darum, Recht zu haben 

Und wer den Heiligen Geist ins Feld führte, der wollte sich damit ins Recht setzen. Dann ging es gar nicht geschwisterlich zu.

Die Zeiten in unseren Gemeinden, wo solches Auftreten noch ganze Gruppen und Gemeindeabende dominieren konnte, sind wohl bald Geschichte.  Auch und gerade Prediger können auf den Kanzeln nicht mehr predigen, als hätten sie mit ihren Worten den Geist der Wahrheit gepachtet.

Bisweilen  scheint es eher so, als würden wir in den Gemeinden ganz auf die Wahrheit, die doch keiner für sich reklamieren kann, verzichten.

Aber wenn man alles so oder auch anders sehen kann, was ist dann noch wirklich zu sehen?

Paulus geht in der Tat davon aus, dass wir im Glauben die Welt anders sehen, als die Welt sich selbst und uns versteht.

Das soll nicht heißen, dass das, was über den Menschen und seine Natur von den Wissenschaften bis hin zum gesunden Menschenverstand verstanden und gesagt wird, falsch sein muss.

Wir wären doch umsonst zur Schule gegangen und hätten unsere Kinder umsonst auf den Schulweg gebracht, wenn wir die allgemeine Bildung nicht schätzen würden.

Paulus meint auch nicht, dass das Wissen der Welt unnütz sei, er hat vielmehr die Weltweisen im Blick, denen der Glaube daran, dass es mehr als ihr Wissen geben kann, töricht erscheint.

Vor ihnen und ihrem Hochnut will der Apostel die Christen in Korinth schützen. Aber kann man das, indem man gegen die Anmaßung der Wissenden auf den Hochmut des Glaubens setzt?

Zumal doch zum allgemeinen Wissen und zu den geläufigen Überzeugungen doch gehört, dass es mehr zu verstehen gibt, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt.

Brauchen die Menschen heute noch eine Weisheit mehr, besonders dann, wenn sie als elitäres Wissen daher kommt?

Hilfreich ist es, wenn wir hören, dass es Paulus beim Geist des Glaubens nicht einfach um ein spezielles Wissen geht. Hören wir genau auf das, was er schreibt, dann geht es Paulus zuletzt um den Sinn von Jesus Christus bei uns.

Dieser Sinn will uns wohl helfen, herauszufinden, was wahr oder falsch sein könnte, aber er will zu einem Urteil verhelfen und nicht zur Verurteilung. Es geht Paulus also auch nicht einfach darum, dass wir Christus im Sinn haben, sondern  dass wir seinen Sinn haben, also versuchen, in seinem Sinn zu reden und zu handeln. Der Geist, den er meint, ist der Geist unter Geschwistern.

Wer dem anderen im Streit um das angemessene Verstehen einer Bibelstelle zuruft: „Du hat nicht den Heiligen Geist“, widerspricht damit schon der Wahrheit, dass der Geist da weht, wo er will.

Schauen wir auf die Pfingstgeschichte: Die Jünger haben nicht plötzlich in einer Sprache gesprochen, die alle verstehen konnten, vielmehr ist doch das Überraschende an der Pfingstgeschichte,  dass jeder sie in seiner Sprache verstehen konnte. Plötzlich konnten die Neugierigen vor dem Haus der Jünger verstehen, was es heißt, nicht sich etwas zu holen, sondern neues zu empfangen. Gehört haben sie von Jesus und verstanden haben sie plötzlich, was es bedeutet, in einem anmaßenden Weltreich wie dem Römischen an den zu glauben, dessen Reich nicht von dieser Welt ist.

Das Pfingstwunder lag doch sowohl bei denen, die verstanden werden wollten als auch bei denen, die plötzlich verstanden.

Die verstanden hatten, haben damit auch nicht kleinmütig ja gesagt, so als hätten auch sie es nun endlich begriffen, sondern wollten das neue Leben ergreifen und  fortan dazugehören.

„ Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?, so fragen sie die Jünger am Pfingsttag, und was wie eine Forderung klingt, wirkt hier aus dem Munde des Petrus eher wie ein Angebot:

Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes.“

Das wichtigste am Heilgen Geist ist nicht, dass wir ihn haben, sondern dass wir ihn empfangen haben.

 

Amen!

 

 

Perikope
20.05.2018
2,12-16

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis – Predigt zu 1. Korinther 15, 50-58 von Ralph Hochschild

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis – Predigt zu 1. Korinther 15, 50-58 von Ralph Hochschild
15,50-58

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Der Predigttext für den Ostermontag steht im ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther im 15. Kapitel, die Verse 50 bis 58.

 

Das sage ich aber, liebe Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können; auch wird das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit. Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit. Wenn aber dies Verwesliche anziehen wird die Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: »Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?« Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus! Darum, meine lieben Brüder und Schwestern, seid fest und unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.

Herr, segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde,

“Das sage ich aber …, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können; auch wird das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit.” Es ist, als wirbelte noch einmal ein kalter Wind vom Winter übersehenes Herbstlaub auf. Und mit ihm verwischte Spuren vergangenen Glücks, vertrocknetes Leben, tote Blätter. Im österlichen Frühling erinnert uns Paulus plötzlich an unsere Vergänglichkeit. So wie das jene Industriebrache tut, an der ich ab und an vorbeikomme. Notdürftig hinter einem Bauzaun gesichert und versteckt, “Betreten verboten. Eltern haften für ihre Kinder”, Graffiti am brüchigen Putz, zerschlagene Scheiben, Stille, wo einmal Maschinen unablässig surrten und Menschen ihren Lebensunterhalt verdienten. Vergänglichkeit.

Ich sehe auf meine Hände und in mein Gesicht. Ich sehe in diesem “Fleisch und Blut” meine Lebensgeschichte. Wie vieles ist entschwunden und vergangen? Die unbeschwerte Kindheit, die unbändige Kraft der Jugend, manche Freundschaft und manches Glück. Vergänglichkeit.

So dankbar ich für dieses Leben bin, so sehr ich mich auf das freue, was noch kommen könnte - sollte mein Leben dem Kreislauf von Werden und Vergehen entfliehen, aus dem Vergänglichen Unvergängliches werden, aus dem Verweslichen Unverwesliches entstehen können? Was bedeutet die Auferstehung Jesu und die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten für uns, die jetzt Lebenden?

Zum Glück! Paulus ruft uns zwar unsere Vergänglichkeit ins Gedächtnis, aber er lässt uns nicht bei unseren manchmal deprimierenden Gedanken darüber stehen. Er drängt weiter. Wagt einen kühnen Sprung in die Zukunft. Traut Gott etwas zu. Traut unserem Leben etwas zu. Aber. Noch ist das ein Geheimnis. Noch liegt es nicht vor unseren Augen. Noch ist das keine erkennbare Realität. Aber. Paulus behält sein Wissen nicht für sich.

“Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden”. Wo Verwandlung ist, da entsteht neues, frisches Leben. Wir kennen das aus der Natur, die uns so viele Gleichnisse für die Auferstehung schenkt. Bilder von Verwandlungen, Mutationen und Metamorphosen, die uns erkennen lassen, was diese Verwandlung, von der Paulus spricht, für uns bedeutet. Ein neues, anderes Leben.

Wir können es an manchem alten Fabrikgebäude sehen. Im Inneren sind neue Wände gezogen, die Installationen sind erneuert, neue Mieter, neue Gewerbe haben ihren Platz gefunden, die Außenanlagen sind neu gestaltet, frische Farbe leuchtet auf der Fassade, in der alten Kantine ist eine Gaststätte eröffnet. Und auf einmal pulsiert neues Leben im alten Gebäude, die neue Gestalt schafft neue Begegnungen, neue Kontakte, ein neues, anderes Miteinander.

“Typwechsel.” Auch wir haben uns immer wieder verwandelt, neue Impulse für unser Leben gesetzt. Familienkutsche statt Sportwagen, neuer Haarschnitt, Sakko und Hemd statt T-Shirt, plötzlich wieder mit der abgewetzten Lederjacke auf der alten BMW. Kleider machen eben Leute. Meine Kleidung sagt, wer ich sein will, wer ich bin, wer ich sein soll. Und wenn Paulus uns verrät, dass dieser vergängliche und verwesliche Leib die Unverweslichkeit anziehen muss, dieses vergängliche und sterbliche Leben die Unsterblichkeit anziehen muss, so nennt er nicht allein unsere Bestimmung. Er verknüpft unser ganzes Leben mit der Auferstehung Christi. Symbolisch ist das bei der Taufe, bei viele von uns im weißen Taufkleid, längst geschehen. “Ihr habt Christus angezogen” - so kann Paulus die Taufe umschreiben. Deshalb sind wir eng mit Jesus Christus verbunden, können darauf hoffen, dass er den letzten, großen Impuls für unser Leben setzen wird.

“Siehe, ich sage euch ein Geheimnis”. Eigentlich verrät man Geheimnisse nicht. Pins und Passwörter, Fingerprints und Tans sichern unser Leben in unserer digitalen Welt. Jeder bewahrt seine Geheimnisse, so gut er kann. Und es ist oft reizvoll, seine Geheimnisse zu haben. Wer hingegen ein Geheimnis verrät, überschreitet die Grenze zu anderen. Er öffnet sich für sie und bildet eine Gemeinschaft mit ihnen. Es ist mit dem Geheimnis der Auferstehung vielleicht so, wie bei einem gut gehüteten Familiengeheimnis. Werden die Kinder rechtzeitig ins Vertrauen gezogen, dann gibt es zuerst ein großes Staunen. Vielleicht können sie kaum glauben, was sie hören. Aber am Ende wächst das Vertrauen und der Zusammenhalt in der Familie vertieft sich. Ich glaube, so ist es auch mit dem Geheimnis der Auferstehung, das uns Paulus hier verrät. Es stiftet eine Gemeinschaft, die sich vertraut, die glaubt. Eine Gemeinschaft, die, wenn der Auferstehungsglaube schwerfällt, stärkt, zur Hoffnung ermutigt und die, wenn wir es selbst nicht können, ganz einfach für uns glaubt.

“Siehe, ich sage euch ein Geheimnis”. Wer ein Geheimnis kennt, sieht die Wirklichkeit in einem anderen Licht. Denn er weiß und kennt anderes. Er kann seine Welt im Lichte des Geheimnisses deuten und verstehen. Ihre lichten und ihre dunklen, traurigen Seiten. Vieles erscheint uns im Licht der Auferstehung Jesu wie ein Gleichnis unserer eigenen Zukunft. Manches, das uns bedrückt, das einen piekst, einem das Leben sauer macht, das einen zu blockieren, hemmen oder festzunageln scheint, rückt in einen weiteren Horizont.

“Tod, wo ist dein Sieg? Tod wo ist dein Stachel?” Paulus singt vom Sieg über den Tod. Er teilt sein Lied mit uns, dass wir befreit in sein Lied vom Sieg des Lebens einstimmen. Es möge uns immer wieder Mut machen und spüren lassen, dass unser Leben, unsere Arbeit, unsere Hoffnung, unser Glauben Sinn und Zukunft haben – und nicht vergeblich sind. Amen.

Perikope
02.04.2018
15,50-58

Wer zuletzt lacht … - Predigt zu 1. Korinther 15,50-58 von Anita Christians-Albrecht

Wer zuletzt lacht … - Predigt zu 1. Korinther 15,50-58 von Anita Christians-Albrecht
15,50-58

Was gibt es da noch zu lachen? - Unter dieser Überschrift stand ein Seminar, in dem es um den Humor am Lebensende ging. Lachen und Tod, Humor und Trauer – geht das? Ist am Lebensende nicht Schluss mit lustig? Bleibt einem da das Lachen nicht im Halse stecken?

 

Und doch begegnet einem der Humor auch am Lebensende. Und doch erweist sich oft genug gerade das Lachen als Kraftquelle in einer Situation, die eigentlich zum Weinen ist.

 

Manchmal entwickeln Sterbende eine Art ‚Galgenhumor‘ und schauen damit dem Unvermeidlichen trotzig ins Auge. Manchmal ist im Lachen aber auch ein klein wenig Hoffnung zu spüren mitten in dem, was Angst macht. Manchmal hilft Humor, die eigene Hilflosigkeit erträglicher zu machen. Im Bereich der Pflege kursiert z. B. folgende Begebenheit: Fragt der Patient auf der Palliativstation die Schwester: ‚Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Tumor und einer Krankenschwester?‘- ‚Nein.‘ - ‚Na ja, ein Tumor kann auch gutartig sein!‘1

 

Auch die Menschen, die beruflich immer wieder mit dem Tod konfrontiert werden, brauchen den Humor: Pfleger, Ärzte, Therapeuten, Seelsorger, sie können aus einem Lachen Kraft schöpfen in dem oft anstrengenden Arbeitsalltag und nennen nach dem Team oft den Humor als zweitwichtigste Ressource. Wo nicht gelacht wird, hat der Tod schon gewonnen.

 

Humor im Angesicht des Todes ist so etwas wie ein Gegenprogramm und bringt zwei Welten zusammen, die man eigentlich gar nicht zusammen denken kann.

 

Um ein solches Gegenprogramm zu unserer Welt geht es Paulus auch im Predigttext für den heutigen Ostermontag. Es geht um den Gegensatz von Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit, von Sterblichkeit und Unsterblichkeit, Tod und Leben und um ein großes Geheimnis.

 

Textlesung: 1. Kor. 15, 50-58

 

Es geht um Ostern bei Paulus und um die Frage, die wir uns stellen in diesen Feiertagen: Was feiern wir da eigentlich? Auf www.ostern-online.de wird es uns erklärt: Für die Christen ist die Auferstehung Jesu das zentrale Ereignis ihres Glaubens. Der Tod wird nicht als Ende, sondern als Neubeginn eines neuen Lebens gesehen. Damit soll im christlichen Osterfest bekundet werden, dass das Leben über den Tod siegen wird.

 

Hört sich gut an. Aber wie soll man sich das vorstellen? Wie soll das gehen? Das fragen nicht nur unsere Konfirmanden. Das hat damals die Gemeinde in Korinth auch schon Paulus gefragt.

 

Wir werden verwandelt, sagt Paulus. Wir werden alle verwandelt werden, und die Toten werden auferstehen als Unvergängliche. Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus.

 

Wir werden so verwandelt werden, dass der Tod und seine Handlanger und all die Todesmächte unserer Welt keine Macht mehr über uns haben. Terror, Krieg, Gewalt und Menschenverachtung, Krankheiten und begrabene Hoffnungen – all diese Kennzeichen unserer Vergänglichkeit werden überwunden sein. Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Es ist, als wenn wir uns neu einkleiden mit Leben, sagt Paulus: Denn dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit.

Wunderbar! Und nun?

 

Wenn die Christen das glauben würden, meint ein Redakteur in der Süddeutschen Zeitung, dann müssten ihnen eigentlich Flügel wachsen, die Gemeinden müssten vor Kraft strotzen, ihre begeisterten Mitglieder müssten an Ostern durch die Straßen rennen und jedem ins Ohr brüllen: »Gott lebt! Wirklich, er lebt!« Stattdessen stehen sie mit allen anderen im Stau auf der Autobahn.2

 

So ganz Unrecht hat der Autor nicht, denn Umfragen zufolge ist tatsächlich vielen der Grund für das Osterfest nicht mehr bewusst. Für die meisten ist es vor allem ein harmonisches Familienfest, verbunden mit gutem Essen und Trinken und - Autobahnfahrten.

 

Und doch gibt es immer noch viele Menschen, denen vielleicht keine Flügel wachsen und denen man ihre Begeisterung nicht auf den ersten Blick ansieht, die sich aber fest auf die Botschaft von Ostern verlassen und immer wieder etwas von ihrer verwandelnden Kraft spüren.

 

Ein gutes Beispiel ist Paulus selbst: Ihm ist der auferstandene Jesus begegnet, und deshalb hat sich sein Leben komplett verändert. Aus dem, der die Christen vehement verfolgt hat, wird einer der wichtigsten Apostel. Paulus hat es erlebt: Die Auferstehungshoffnung verändert uns und unsre Sicht der Dinge.

 

Ich denke auch an das, was eine Freundin mir nach dem Tod ihres Vaters erzählte. Als sie ihn – vom Bestatter schön hergerichtet – vor sich im Sarg sieht, erkennt sie ihn nicht mehr als den Menschen, den sie liebt. Das, was sie vor Augen hat, ist nicht das Eigentliche. So viel mehr ist ihr Vater doch für sie. Und auf einmal ist sie sich ganz sicher: Dass es mehr gibt als dieses Vergängliche und Sterbliche, und dass dieses Unvergängliche bleiben wird.

 

Und wir?

 

Wo Glaube ist, das sind Lachen und Freude!, hat Martin Luther einmal gesagt.

 

Das sahen und sehen längst nicht alle so: Es gibt eine lange Traditionsreihe grimmiger Theologen3, die das Lachen kritisieren und Lachen als ‚Heidenspaß‘ ansieht. Bis in die Neuzeit hinein amüsieren sich Christen nur mit größter Zurückhaltung. So erzählt der Theologe Karl Barth z.B., dass er im November 1916 einen ‚aufrichtigen frommen Mann‘ getroffen habe, der der Meinung gewesen sei, ein Christ dürfe nie scherzen.

 

Eine Ausnahme gab es allerdings. Und die hat ganz ursächlich mit dem zu tun, was wir heute feiern. Im Mittelalter gab es die Tradition des Osterlachens. Das Lachen, das richtig laute Lachen, gehörte damals – im Ostergottesdienst - regelrecht zur Liturgie. Die Prediger haben die Aufgabe, die Menschen zum Lachen zu bringen und lassen sich einiges einfallen. Sie entwickelten Osterspiele, in denen der Tod und der Teufel sich zunächst diebisch freuen, dass sie den Sohn Gottes ans Kreuz gebracht haben. Doch dann, nach der Auferstehung, schauen sie dem Sieg des Lebens fassungslos zu und zanken sich am Ende sogar. Nun werden diese beiden, Tod und Teufel, ausgelacht, und es kommt richtig Stimmung auf. Auch Witze und Anekdoten werden von der Kanzel erzählt. Die Freude über die Auferstehung Christi soll an Ostern für alle sichtbar und erfahrbar sein. Tod, wo ist dein Sieg geblieben?

 

Mit dieser Terminierung war schon damals klar, warum Glaube und Lachen zusammen gehören, warum Christen einen Grund zum Lachen haben.

 

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Diese alte Volksweisheit hört sich zunächst banal an. Nach kurzem Nachdenken öffnet sich jedoch die ganze Dimension dieses Satzes: Wir lachen im Widerstand gegen das, was eigentlich nicht zum Lachen ist und bringen damit zwei Welten zusammen, die eigentlich nicht zusammenpassen.

Wir kennen das in der Kirche bei Beerdigungen. Am Ende, beim Kaffeetrinken, wird wieder gelacht – die Spannung, die der Tod und seine extreme Widerständigkeit bedeuten, erfährt ihre Auflösung.

 

Immer wieder hat der Humor Menschen auch geholfen, die z. B. unter Hitler oder anderen Diktatoren gelitten haben. In dieser Art von Humor wird so etwas wie eine Gegenwelt errichtet. Es ist schlimm, in einem Land zu leben, in dem es keinen Humor gibt. Aber es ist noch schlimmer, in einem Land zu leben, in dem man Humor braucht, hat Berthold Brecht einmal gesagt und damit gezeigt, dass Humor auch immer ein Element des Widerstandes in sich hat.

 

Sie kennen vielleicht die kleine Geschichte von Alfred Delp, dem katholischen Priester, der während der Nazizeit auf dem Weg zu seiner Hinrichtung ist. Er fragt den begleitenden Gefängnisseelsorger nach den letzten Nachrichten vom Frontverlauf. Aber der Pfarrer kann mit Neuigkeiten nicht aufwarten. Darauf Delp: ‚Na ja, in einer halben Stunde weiß ich sowieso mehr als Sie!‘ - Da bleibt einem fast die Luft weg. Das ist nicht nur politischer Widerstand, sondern auch Glaubenszuversicht. Diesen Humor kann nur der haben, der sich im Tiefsten und Letzten geborgen weiß. Aus der Geborgenheit im Letzten wird das Gelächter über das Vorletzte möglich, hat der Theologe Helmut Thielicke es einmal sehr treffend formuliert.

 

Dieses Lachen ist weit weg vom Lachen der Spaßgesellschaft. Es ist das Lachen der Hoffnung, des Widerstandes gegen das, was das Leben beschädigt und zerstört. Das Lachen der Christen weiß um eine andere Wirklichkeit hinter dem, was manchmal zum Weinen ist. Im Lachen bricht diese andere Wirklichkeit hinein in unsere Welt. Punktuell. Für einen Moment ist alles gut; für einen kleinen Augenblick ist die Erlösung spürbar. Für ein paar Sekunden wäscht das befreiende Lachen den Staub von der Seele.

 

Was gibt es in unserer vom Tod bestimmten Welt, in der wir unser vergängliches Leben leben, zu lachen?

 

Ich muss an den bekannten Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch denken. Er hat sich viel mit dem Thema Sterben und Auferstehung befasst:

 

Kennst Du diese plötzlichen Sekunden, fragt er in einem Chanson4,
wenn Dir einfällt, dass Du sterben musst
Siegessicher gehst Du durch die Stunden
doch auf einmal wird es Dir bewusst.

 

Hüsch ist später an Krebs erkrankt und wurde in dieser Phase auch einmal zur Bedeutung von Ostern befragt. Er sagte: ‚Wenn Christus nicht auferstanden wäre, hätten wir nicht das ewige Leben. Aber er ist auferstanden und wir mit ihm. Das ist der große Sinn unseres Lebens, das wir uns wiedersehen in Christus, mit Christus. Und wenn er nicht auferstanden wäre, wäre sein Grab auch unser Grab. Ich glaube an die Auferstehung und lasse meinen Jesus nicht.
 

‚Wer zuletzt lacht, lacht am besten‘ – sagt ein Sprichwort. Wir brauchen als Christen vielleicht manchmal einen etwas längeren Atem. Wir brauchen Widerstandskraft, wenn wir unsere Hoffnung nicht aufgeben wollen in einer Welt, in der der Tod weiterhin eine todsichere Sache ist. Unser Glaube aber sagt es wie das Sprichwort: Nicht alles, was schnell und vordergründig Erfolg hat, wird sich durchsetzen.

Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Amen.

 

Liedvorschlag: Jesus lebt, mit ihm auch ich (EG 115, 1.2.5.6) von Christian Fürchtegott Gellert (1757); Melodie: Jesus, meine Zuversicht (EG 526)

 

 
1 I vgl. Humor und Tod – wer zuletzt lacht, lacht am besten? unter https://www.humorinstitut.de/media/HAUT_6-16_Seitenblick_Humor-5_Seidle…

2 I Christian Nürnberger in ‚Die Süddeutsche Zeitung‘, 30.2.2007

3 I Formulierung von Peter L. Berger: Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Grunderfahrung. Berlin 1998.

4 I 1999, Hans-Dieter Hüsch, CD Kabarett-Chansons der frühen Jahre

Perikope
02.04.2018
15,50-58

Für das Leben ein Herz – Predigt zu 1. Korinther 10,16,17 von Maximilian Heßlein

Für das Leben ein Herz – Predigt zu 1. Korinther 10,16,17 von Maximilian Heßlein
10,16,17

Der Kelch des Segens, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist's. So sind wir, die vielen, ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben. 1. Korinther 10,16.17

Liebe Gemeinde,

Abend ist es geworden. Vorabend des Karfreitags. Die dunklen Schatten ragen schon in diese Zeit hinein. Und doch ist hier noch Licht und Leben. Hier ist noch Kraft und Gemeinschaft. Nur dieser Abend noch. Dann muss alles geschehen. So sind auch wir zusammen und lassen uns fallen in die Ereignisse, die da kommen sollen.

Schließen Sie doch einmal für einen Moment die Augen, schalten wir gemeinsam ab von den Gedanken, die uns an diesem Abend in die Kirche begleitet haben, und spüren wir miteinander unserem Leben nach. Wer müde ist, wird merken, wie Arme und Beine schwer sind. Vielleicht schließen sich die Augen auch ganz schnell oder sie fallen einfach zu vor Erschöpfung und Anstrengung des Tages und der zurückliegenden Zeit. Dann soll jetzt also Ruhe einkehren.

Ja, der Leib mag ruhen; denn in ihm ist unser Leben geborgen. – So genießen wir seine innere Wärme und weiche Anmut. Wir spüren zugleich seine Zerbrechlichkeit.

Unsere Füße aber stehen auf festem Boden. Sie sind gegründet auf der Erde und halten die Beine, mit denen wir uns aufrichten und fortbewegen, gehen oder rennen oder auch einfach einmal innehalten und stehen.

Der Oberkörper, Rücken, Flanken und Bauch, richtet uns auf. Er lässt uns sitzen. Die Bauchdecke hebt und senkt sich mit jedem Atemzug in großer Ruhe. Noch ist Frieden. Noch ist kein Geschrei und auch keine Klage zu hören. In dieser Ruhe spüren auch wir auch Arme und Hände, mit denen wir greifen, was uns in der Welt entgegen kommt. Sind die nicht wunderbare Werkzeuge des Lebens? Unsere Hände können streicheln und liebkosen. Sie können auch einmal hart sein und ermahnen. Manchmal ballen sie sich zur Faust. Sie wehren sich. Wer seinen Arm oder seine Hand je in einem Gips hatte, der weiß übrigens, wie eingeschränkt man ist, wenn dieses Werkzeug einmal nicht funktioniert.

Aber wenn die Händen sich durch das Leben tasten, wenn sie fühlen und spüren, was die Umgebung und das Leben ausmachen, dann öffnet sich eine ganz eigene Welt. Das lässt sich schon an den Bänken in der Kirche gut nachvollziehen. Wer an diesen entlangfährt, erkennt, was dem Auge verborgen bleibt: kleine Veränderungen und Unebenheiten, aber genauso die weiche Wärme des Holzes.

Über allem aber steht unser Kopf. Hoch ragt er empor. Mit ihm nehmen wir alles wahr. Riechen, Schmecken, Hören und Sehen. Er ist unser Gesicht. Ausweis für die Menschen, die uns begegnen.

Mitten in unserem Körper aber schlägt ein Herz. Fest und rhythmisch. Immer wieder. Noch ist Ruhe. Auch das Herz merkt es. Es schlägt und schlägt. Kein Leben ohne das Herz. Kein Ende des Lebens, solange es schlägt.

Unser Leib, liebe Gemeinde, er lebt. Fühlen Sie einfach einmal dieses Leben, das in Ihrem Körper steckt. Ist das nicht etwas Wunderbares?

[Pause]

Wir, die Vielen des heutigen Abends, sind ein Leib, sagt der Apostel Paulus. Wir leben als eins und gehören zusammen, ein gemeinsames Leben. Das hat er schon vor nahezu 2000 Jahren so festgehalten. Und wenn ich auf die Kirche, auf uns heute Abend schaue, dann gilt das heute immer noch. Ja, dieser Leib lebt. Daran gibt es keinen Zweifel.

Diesem Leben hat sich der Apostel Paulus ganz und gar verschrieben. Er kämpft um seinen Erhalt. Manchmal ist er dabei unerbittlich. Manchmal ist er am Ende seiner Kraft. Aber immer wieder macht er sich auf. Ihn treibt eine tiefe Sehnsucht danach, in der Gemeinschaft und in diesem Leben zu bleiben.

Aber warum ist ihm das so wichtig? Warum nimmt er all die Entbehrungen auf sich, die ihm im Leben beim Aufbau dieser Gemeinschaft begegnen? Und warum schmeißt er nicht alles hin und geht seiner Wege? Das wäre viel einfacher.

Wer schon einmal solch intensive Lebensphasen des Kämpfens und Ringens verlebt hat, der weiß doch, wie sehr einen das beeinträchtigt. Da werden der Schlaf unruhig und die Nächte kurz. Das Herz pocht bis zum Hals. Da kreisen die Gedanken immer um dieselben Probleme. Einen Ausweg scheint es kaum zu geben.

Die Bibel erzählt an ganz unterschiedlichen Stellen von genau diesen Lebensphasen: Es ist so, als Jakob nach dem Betrug an Esau vor seinem Bruder flieht und des Nachts wach liegt auf offenem Feld. Der König Saul ist darin gefangen. Es nimmt ihn so mit, dass er letztlich in Raserei verfällt. Wenn ich genau hinschaue, finde ich das sogar bei Jesus Christus wieder. Im Garten Gethsemane flieht er vor den ankommenden schweren Gedanken in die Unruhe und die Schlaflosigkeit.

Es sind offensichtlich urmenschliche Erfahrungen. Die kennen Menschen, seit es sie gibt.  

So kennt sie auch der Paulus. Immer wieder steht er in harten Auseinandersetzungen mit seiner Gemeinde in Korinth über die Frage des wahren Christseins. Was zeichnet unser Miteinander aus? Manchen Strauß hat er darüber mit den Menschen ausgefochten. Aber an der Gemeinschaft will er unbedingt festhalten.

Hier nämlich spürt er das Leben. Hier sieht er die Zukunft und findet endlich Ruhe für die marternden Gedanken. Es ist eine paradoxe Konstruktion. Was ihm nun das Leben so schwer macht, soll endlich dazu führen, dass Ruhe und Frieden überhaupt sein kann.

Wer nämlich schon einmal in traurigen Zeiten den Trost eines anderen erfahren hat, wird das nachvollziehen können. Wem unvermittelt Hilfe zuteil geworden ist, weiß, wie erleichternd das ist. Wer in großer Gefahr von anderen gerettet wurde, sieht das eigene Leben und das der anderen mit neuen Augen. Der erkennt also, dass wir nicht allein existieren können, sondern angewiesen sind darauf, dass wir mitgetragen, mitgehalten und gemeinsam in die Zukunft geschickt sind.

„Wir sind ein Leib!“, sagt der Apostel.

Wir liebkosen und ermahnen einander. Wir tasten uns  vorwärts und gehen aufeinander zu. Wir sehen manchmal das  Leben mit neuen Augen und häufig müssen wir uns auch wehren. Der Leib aber öffnet so die Zukunft.

Doch jeder Leib wäre tot, wenn er nicht durch das kraftvolle Schlagen des Herzens erhalten würde. Spüren Sie Ihren Herzschlag noch?

[Pause]

Der Leib lebt. Dieses Herz ist die Quelle all unserer Kraft. Aus diesem Herz lebt die Gemeinschaft.

Daraus hat schon die Gemeinschaft der Jünger gelebt. Auch an diesem Abend vor den heraufziehenden Katastrophen des Lebens. Wie lange schon haben sie sich zusammengefunden. Wie lange schon sind sie miteinander durch das Leben gegangen, haben miteinander gelacht und geweint, haben manche gefährliche Situation überstanden und alles miteinander geteilt. Wie groß waren die Wunder, wie heftig der Streit mit den Gegnern. Wie tief waren die Geheimnisse, die das Leben umgaben und wie weit sind sie doch gekommen. Gestärkt durch die Gegenwart und die Kraft Jesu, der sie geführt und geleitet hat. Er nämlich war ihr Herz, das die Gemeinschaft am Leben erhielt.

Nun aber ist es Abend geworden. Dieser Leib der Gemeinschaft droht sein wichtigstes Teil zu verlieren. Die Jünger wissen an diesem Abend, dass dem Herrn ein schwerer Gang bevor steht. Sie ahnen: Ihr Herz wird aufhören zu schlagen. Unter den Peitschenhieben und Hammerschlägen der Folterknechte des römischen Statthalters Pilatus wird es verstummen. Der Leib soll sterben. So haben es die Oberen beschlossen.

Jesus Christus spürt die Anspannung, die über der Runde der Jünger liegt. Er spürt sie in sich selbst. So stiftet er ihnen das Mahl, dessen Einsetzung wir heute feiern. Er pflegt seine lieben Menschen. Jesus Christus tut etwas, das nur Gott selber tun kann. Der Herr bläst seinem Leib schon heute Abend neues Leben ein. Das ist ein Akt der neuen Schöpfung Gottes. Die Ostern stehen unmittelbar bevor und überbrücken die Zeit. Denn mit jedem neuen Mahl wird diese neue Schöpfung wieder wahr.

„Ihr sollt leben.“, spricht Jesus Christus zu seinen Jüngern. „Ich werde eure Gemeinschaft am Leben erhalten. Das Herz wird weiter schlagen. Immer dann, wenn ihr dieses Brot miteinander teilt, immer dann, wenn ihr gemeinsam aus diesem Kelch trinkt, bin ich mitten unter euch und gebe euch die Kraft für das Leben. So haltet zusammen, wie der Leib zusammenhält, dass ihr gemeinsam an mir bleiben könnt.“

Paulus weiß um die Stärke dieses Miteinanders. Und in diesem Wissen sorgt er für die Menschen, die er zum Glauben gebracht hat. Daraus lebt unsere Kirche bis auf den heutigen Tag. Allein Jesus Christus ist unsere Kraftquelle. Schmecken wir gemeinsam und sehen wir, wie gut uns der Herr tut und wie wohl er es mit uns in Leben, Sterben und Auferstehen meint. Amen.

 

Perikope
29.03.2018
10,16,17