Predigt zu Epheser 5,15-21 von Karl Hardecker

Predigt zu Epheser 5,15-21 von Karl Hardecker
5,15-21

Liebe Gemeinde,

wer sich so richtig in der Tretmühle fühlt, der wünscht sich doch nur eines: einmal richtig frei zu sein und ohne Termine, ohne Verpflichtungen, einfach in den Tag hineinzuleben. Und wer dann einmal richtig frei hat und nicht nur ein, zwei Tage, sondern drei, vier Wochen oder Monate, der sehnt sich schnell nach einer Ordnung und Struktur, nach einem Tagesablauf, der ihm Halt gibt.

Feste Gewohnheiten helfen uns, unseren Alltag zu bestehen, zu wissen, was wir tun, nachdem wir aufgestanden sind, was nach dem Frühstück folgt, was unsere Ziele sind an diesem Tag. Wenn wir unseren Alltag jeden Tag neu erfinden müssten, fiele uns das schwer.

Wer in den Ruhestand geht oder dort schon eine Weile ist, kennt das. Anfangs mag alles wie Urlaub sein, aber spätestens nach zwei Monaten braucht es neue Ziele und verlangen unser Tage nach einer Einteilung und Struktur.

Denn ohne eine solche Strukturierung unserer Tage fehlt uns die Orientierung und der Halt. Diese Gefahr sieht der Schreiber des Ephesusbriefes. Es geht ihm also nicht darum, den Alkohol oder andere Genüsse zu verbieten. Es geht ihm um die fehlende Orientierung, um eine drohende Haltlosigkeit. Denn das können wir aus eigener Beobachtung bestätigen: Menschen, die ganz abhängig sind von Alkohol, Tabletten, vielleicht auch von ihrer Arbeit, sind nur noch mit sich selbst beschäftigt. Ihre Tagesstruktur wird ihnen von ihrer Sucht diktiert. Ihre Freiheit haben sie verloren.

Diese Freiheit gilt es wiederzugewinnen.

Nur wie soll das gehen? Wo können wir lernen unseren Alltag zu strukturieren? Hier können wir die Schöpfungsgeschichte als ein Lernprogramm verstehen. Sie beschreibt einen Strukturierungsprozess und bekennt Gott als dessen steuernde Kraft. In sechs Tagen erschafft Gott seine Schöpfung und ordnet sie und verleiht ihr eine Struktur. Und im Übrigen verordnet er sich selbst den siebten Tag als Ruhetag, als Auszeit.

Wenn wir Menschen nach einer Ordnung unseres Alltags suchen, so machen wir etwas ganz ähnliches: wir strukturieren unsere Zeit, wir ordnen unsere Tage. Unsere Orientierungslosigkeit, unsere Tatenlosigkeit, unsere Einsamkeit würden uns sonst zerstören. Deshalb brauchen wir den Geist Gottes, der uns hilft unser Leben zu ordnen und es so vor der Zerstörung zu bewahren.

Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der seinem Leben nach einer unheilbaren Tumorerkrankung ein Ende setzte, beschreibt die letzte Zeit, die ihm die Krankheit noch ließ. Seine Texte tragen den Titel: Arbeit und Struktur. Arbeit und Struktur halfen ihm zwar nicht seine Krankheit zu besiegen, aber über seine schweren Tage hinweg zu kommen.

Unser Leben braucht Struktur. Jesus hat so Kranke geheilt, auch psychisch Kranke, dass er den Dämonen und bösen Geistern ihren Platz zuwies und so ihrem Leben eine Struktur und Ordnung gab. In Jesu Geist hat sich dann eine Kirche gebildet, die mit ihren Strukturen den Menschen zum Leben verhelfen möchte. Das Fest, das wir heute feiern, ist ein schönes Beispiel dafür: es bietet eine Struktur, einen Rahmen, in dem wir uns bewegen und einander begegnen können. Nun können wir den Rahmen füllen und miteinander reden und uns miteinander freuen. Beides muss zusammen kommen: eine sinnvolle Ordnung und Begegnungen, die diese Ordnung mit Leben erfüllen. Doch wie soll diese Ordnung und Struktur denn aussehen? Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen, lesen wir im Epheserbrief, macht euch Mut zum Leben und helft einander dazu, im Gegenüber zu Gott und eurem Mitmenschen zu leben. Verkriecht euch nicht, tretet aus euch heraus und aufeinander zu. Lasst euch vom Geist Gottes erfüllen!

Sucht also nach Ordnungen, die euer Leben sinnvoll machen, Ordnungen, die euch erlauben, eure Zeit zu gestalten und das Leben miteinander zu teilen.

An dem Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe haben wir dabei einen Anhalt. Diese Gebote helfen uns unser Leben zu ordnen. Diese Ordnung wird uns gut tun.  

Wir werden uns dann nicht länger nur mit uns selbst beschäftigen. Wir werden frei sein und wir werden aufschauen können und hinschauen zu unserem Nächsten. Dann wird unser Lebensraum groß genug sein, damit andere neben uns und mit uns leben können und von unserer Zeit und unseren Gaben profitieren. Eine Ordnung und Struktur im Geiste Jesu wird so aussehen, dass der Schwache und Bedürftige neben uns seinen Platz erhält und findet.

Die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen unserer Tage zerstören Ordnungen und Ordnungsstrukturen in gewaltigem Ausmaß. Zehntausende von Menschen hatten noch vor einigen Jahren eine sinnvolle Ordnung, in der sie lebten und ihren Alltag gestalten konnten: in Homs, in Aleppo und bis vor kurzem auch in Kobane.

Diese sinnvollen Strukturen hat der Krieg zerstört. Zu Zehntausenden sind diese Menschen geflohen und leben jetzt in Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon oder an der türkischen Grenze. Eine ganze Reihe von ihnen wird zu uns kommen. Dann sind wir gefragt, ob wir unsere Strukturen, unsere sinnvollen Ordnungen, die wir uns geschaffen haben, Alltagsstrukturen, aber auch gesellschaftliche Strukturen wie Rechtssicherheit oder unser Gesundheitswesen, teilen wollen, ob wir bereit sind, diesen Menschen zu helfen wieder eine Struktur für ihr Leben zu finden. Wir können dazu beitragen, dass diese Welt nicht im Chaos und in der Zerstörung versinkt, sondern dass Gottes gute Schöpfung weiter bestehen kann und in Gottes Geist jeden Tag neu erschaffen und erhalten werden kann. Amen

 

Perikope
19.10.2014
5,15-21

Von Einheit und Vielfalt - Predigt zu Epheser 4,1-6 von Katja Dubiski

Von Einheit und Vielfalt - Predigt zu Epheser 4,1-6 von Katja Dubiski
4,1-6

„Von Einheit und Vielfalt“

keine Einigung in Sicht
Vor ein paar Wochen wurde in der Paulskirche in Frankfurt eine Ausstellung mit dem Titel „Frieden geht anders!“ eröffnet. Organisiert von der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau.

Frieden geht anders! Ausrufezeichen.

Vor allem dieses Ausrufezeichen hat mich neugierig gemacht. Was für ein Selbstbewusstsein hinter diesem Ausrufezeichen steckt! Drückt es doch einen Anspruch aus, es besser zu machen. Eine konkrete Vorstellung davon zu haben, was zu tun ist. Und das zu einem so komplexen Thema!

„Frieden geht anders!“ Aber – anders als was eigentlich? Und besser als wer? Und – wie soll das genau gehen?

Bei der Ausstellungseröffnung gab es Orangensaft und Sekt, ein Streichquartett hat gespielt. Das Publikum bestand größtenteils aus engagierten Kirchenmitgliedern. Es gab mehrere Grußworte und einen Vortrag.

Während des Vortrags wurde mein Sitznachbar, ein älterer Herr, immer unruhiger. Erst brummelte er vor sich hin, dann tuschelte und raunte er halblaut seiner Begleitung seinen Widerspruch zu. Der Redner vorne erläuterte unter anderem die verfassungsrechtlichen Bedingungen für militärische Ein­sätze der Bundeswehr und erwähnte auch Fragen, die sich daraus im Zusammenhang mit Waffenlieferungen ergeben. Neben mir grummelte es immer lauter und schließlich unterbrach mein Sitznachbar lautstark den Vortrag: „Frieden geht anders!“ Einige Anwesende murmelten beifällig, andere machten deutlich, dass sie keine Störung wünschten, sondern den Ausführungen des Redners weiter folgen wollten. Nach einigen Minuten allgemeiner Unruhe fuhr der Redner in seinem Vortrag fort.

Beim anschließenden Empfang und beim ersten Rundgang durch die Ausstellung war die Atmosphäre weiterhin emotional, die Diskussionen angeregt. War die Wahl des Redners die richtige? War es angemessen, den Vortrag auf diese Weise zu stören? Hatten sich die Veranstalter mit dem Titel der Ausstellung übernommen? Und – Waffenlieferungen ja oder nein?

Eine Einigung war an diesem Abend nicht in Sicht.

… sodass aus vielen eine Einheit wird
Liebe Gemeinde,
heute Abend feiern wir gemeinsam den Semesteranfangsgottesdienst. Nach Wochen des vor-sich-hin-arbeitens, mehr oder weniger ohne Sitzungen und Lehrveranstaltungen, mit weniger Kontakt untereinander, kommen wir aus allen Himmelsrichtungen wieder hier zusammen – zum Gottesdienst an der Universität.

Für manche von uns ist dies seit Jahren der wohl-bekannte Rhythmus. Manche kommen schon seit langem hier in den Uni-Gottesdienst und sind schon  lange in Bochum und an der Ruhr-Universität zuhause. Ist in diesen Tagen wohl etwas neu für sie – oder ist alles so wie immer? Mit welchen Gefühlen starten sie in das neue Semester?
Für andere ist heute und in diesen Tagen alles neu. Neue Gesichter, neue Wege und Räume, vielleicht ein ganz neuer Lebensabschnitt. Empfinden sie das wohl als aufregend und spannend? Oder eher als beängstigend?

Wir alle sind die evangelische Universitätsgemeinde.
Wir sind Kirche an der Universität.
Und uns zusammengewürfelten Haufen erreichen heute Abend Worte zu Ein-heit der Kirche.

Ich lese aus dem Epheserbrief, Kap. 4, die Verse 1-6:

1 So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, daß ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid,  2 in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe  3 und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens:  4 ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung;  5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;  6 ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

auseinander-setzen statt ver-einheit-lichen
Siebenmal „Ein-heit“.
Und dazu Demut, Sanftmut, Geduld und Liebe.
Die Ersten winken vielleicht innerlich schon ab.

Siebenmal „Ein-heit“?
Das klingt doch nach etwas viel Harmonie.
Das klingt fast nach Einheitlichkeit.

Dabei schätzen wir an der Universität doch gerade, dass verschiedene Argumente vorgebracht werden. Dass es hier Raum gibt für unterschiedliche Sichtweisen, für angeregte Diskussionen. Einheitliches Denken würde den wissenschaftlichen Austausch verhindern. Es ist die Un-einheitlich-keit, die für die Wissenschaft geradezu lebensnotwendig ist. Von Uneinheitlichkeit und neuen Ideen lebt die Wissenschaft! Hier muss am Ende der Diskussion nicht eine Meinung stehen. Kein sanfter Konsens. Kein Kompromiss. Hier kann vielmehr die Aussicht stehen – ja, eine durchaus freudige Aussicht – , dass morgen weiter diskutiert wird. Und übermorgen…

Ich gehe davon aus, dass, wer an der Universität unterwegs ist – egal ob als Studierende oder Lehrende –geradezu Lust hat an der engagierten Auseinandersetzung.
Und Einheitlichkeit ablehnt.
Und vor Einigkeit vielleicht eher zurückschreckt.

Das macht es umso reizvoller, die Worte aus dem Epheserbrief zu bedenken.

Denn neben der Diskussionslust gibt es ja auch die andere Seite: das Leiden daran, dass man sich nicht einig wird. Auch nicht in der Kirche. Gerade nicht in der Kirche.

Ich vermute, den meisten von Ihnen fällt sofort das eine oder andere Thema ein, bei dem Sie selbst emotional werden und hitzig diskutieren. Die ein oder andere Person, mit der sie sich immer wieder un-einig sind. Und immer wieder auch genau daran leiden: Dass die Auseinandersetzung verletzt und beide Seiten mit Blessuren auseinander gehen. Oder dass ein Gespräch vorschnell abgebrochen wird, um eine Harmonie zu wahren, die eigentlich gar nicht besteht.

Diskussionslust und Streitfrust existieren nebeneinander. Der Grat zwischen ihnen ist manchmal schmal.

Gottes „zuerst“
Was bedeutet also die Ermahnung, „Einigkeit im Geist“ zu wahren, für uns diskussionsfreudige und manchmal auch konfliktfrustrierte Mitglieder der Universitätsgemeinde?

Dietrich Bonhoeffer formuliert eine Beschreibung der „Einheit der Gemeinde“, die diese Ambivalenz nicht beschönigt. Freudvolle Auseinandersetzungen sind genauso innergemeindliche Realität wie leidvolle. So zu tun, als wären wir uns alle einig, ist da nicht sinnvoll. Aber gerade deshalb ist die Einheit so schwer zu fassen. Bonhoeffer schreibt, sie bleibe „im Unanschaulichen“. Ich verstehe das so: Diese Einheit kann wider unseren Verstand sein. Wider unser Gefühl. Und sie ist dennoch real. An ganz unerwarteter Stelle ist sie zu erahnen. Aber hören Sie Bonhoeffer selbst:

„Die Geist-Einheit der Gemeinde […] ist nicht durch […] Gleichartigkeit [oder] Seelenverwandschaft ermöglicht oder mit Stimmungseinheit zu verwechseln, sie ist vielmehr gerade dort wirklich, wo die scheinbar härtesten äußeren Gegensätze walten, wo jeder sein ganz individuelles Leben führt, sonst sie ist vielleicht gerade dort nicht, wo sie am meisten zu walten scheint. Sie kann aus dem Kampfe der Willen viel heller leuchten als aus der Einigkeit. Da, wo der eine sich am anderen stößt, könnte es leicht dahin kommen, daß sie an den erinnert werden, der über ihnen beiden Einer ist, und in dem sie beide einer sind. Dort, wo Jude und Grieche streiten in der völligen Verschiedenartigkeit ihrer psychologischen Struktur, ihrer Empfindung und Erkenntnis, gerade dort ist durch Gottes Willen die Einheit gesetzt (Gal 3,28).“[1]

So weit Bonhoeffer.

In aller Uneinigkeit sind wir Ein-heit.

Im Epheserbrief ist diese Ein-heit in dem Einen in Bildern beschrieben:
Die Gemeinde ist der Leib, dessen Haupt Christus ist.
Die Gemeinde ist der lebendige Bau, dessen Schlussstein Christus ist.

Und sie wird in sieben Facetten beschrieben.

ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung
ein Herr, ein Glaube, eine Taufe
ein Gott und Vater aller

Das ist die von Gott zuerst gesetzte Einheit.

zuerst:
Ein-heit

dann:
bewahrt die Ein-heit

wenn das so einfach wäre
Bewahrt die Einheit. Wenn das so einfach wäre!

Es sind große Worte, mit denen im Epheserbrief beschrieben wird, wie das geschehen soll:
Demut, Sanftmut, Geduld.
Ertragt einander. In Liebe.

Das sind große Worte.
Ich möchte keines davon klein reden. Ich glaube, dass sie tatsächlich ein Hinweis darauf sind, wie
wir Ein-heit der Kirche in unserer ganzen Unterschiedlichkeit verkörpern können. Wie wir Ein-heit trotz aller Un-Einheitlichkeit verwirklichen können.

Das sind große Worte.
Was könnten sie hier und heute bedeuten?

Demut – trotz allem danach suchen, ob es vom anderen etwas zu lernen gibt?

Sanftmut – eindeutig bei der Sache bleiben? Und dabei friedfertig sein? Friedfertig bei der Sache bleiben?

Geduld – immer und immer wieder das Gespräch suchen? In Kontakt bleiben?

Ertragt einander in Liebe – an die Grenze dessen gehen, was man noch ertragen kann? Daran zweifeln, ob man diese Meinung  überhaupt noch ertragen kann?

Und sich dann erinnern.
An Gottes zuerst:
ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung
ein Herr, ein Glaube, eine Taufe
ein Gott und Vater aller

Wenn das so einfach wäre.

setzt euch in Liebe aus-einander
Die Ausstellung in Frankfurt „Frieden geht anders!“ wird übrigens ihrem Ausrufezeichen gerecht. Sie zeigt anhand verschiedener Stationen der jüngeren Geschichte, wie durch kreative Ideen und durch Ausdauer sich hier und da neue Lösungswege fanden und der Friede sich durchsetzte. Und ich gehe davon aus, dass viele dieser Ideen und Aktionen in hitzigen Debatten entstanden sind.

Das und die Auseinandersetzungen am Eröffnungsabend selbst haben mir Mut gemacht. Es war an diesem Abend keine Einigung in Sicht, das nicht. Aber die Diskussionen waren eingebettet in eine gemeinsame Hoffnung. Das Gespräch brach nicht ab. Das Ringen um den richtigen Weg war ein gemeinsames. Und ich meine, darin etwas geahnt zu haben von der Einigkeit im Geist.

Also:
Lasst uns in diesem Semester wieder herzhaft diskutieren – die verschiedensten Argumente und die unterschiedlichsten Positionen. Und lasst uns darum ringen, was es heute bedeutet, der „Leib Christi“ zu sein. Was es für Kirche heute heißt, die „Einigkeit im Geist“ zu wahren.

Und uns dabei immer wieder in Erinnerung rufen: Wir sind zu einer gemeinsamen Hoffnung berufen.
Und es ist Gottes Friede, der uns zusammenhält.
Amen.
 


[1] Dietrich Bonhoeffer, Sanctorum Communio. Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche, hg. v. Joachim von Soosten, Berlin 1986, 128f zit. n. Ursula Kannenberg, Einheit in Vielfalt, in: Studium in Israel e.V. (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext VI, Wernsbach 2013, 356-359, hier: 356.
 

 

Perikope
12.10.2014
4,1-6

Predigt zu Epheser 5,15–21 von Bernd Vogel

Predigt zu Epheser 5,15–21 von Bernd Vogel
5,15-21

„So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit.
Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.
Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.
Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen
und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi.“
(Lutherbibel 1984)

Ja, ja – der Lebenswandel guter Christen:
die Zeit nutzen für Sinnvolles
nach Gottes Willen fragen
Alkohol nur in Maßen
fromme Lieder singen äußerlich und innerlich „im Herzen“
dankbar sein
und sich einander (!) unterordnen …

Die Weisheit der Perikopenschneider (derer, die festgelegt haben, wo ein Predigttext anfängt und aufhört) hat es gefügt, dass weggelassen wurde, was jetzt erst folgt und so richtig interessant klingt:

„Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn.
Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat.
Aber wie nun die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen.
Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben, um sie zu heiligen.“ (VV 22 – 26).

An diesem Tonfall erkennt die Mehrheit der Bibelwissenschaftler, dass der Brief des ‚Paulus‘ an die Epheser in der Tradition des Paulus steht (oder stehen soll), keinesfalls aber von Paulus stammen kann. Es sei denn, derselbe Mann wäre im 1. Korinther- und im Römerbrief ein theologischer Revolutionär: „In Christus“ sind Frauen und Männer grundsätzlich gleichen Rechts! - und im Epheser- und Kolosserbrief ein konservativer Gemeindeleiter, ein patriarchales Kind seiner Zeit: Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter …!“

Nun ist diese Fortsetzung des Predigttextes ausgespart. Predigerin und Gemeinde brauchen sich nicht abzumühen mit schwierigen Ausführungen über das Patriarchat zur Zeit des Apostels und die kulturell und politisch bedingten Veränderungen im Geschlechterverhältnis in Deutschland seit ca. 50 Jahren.

Sollen wir stattdessen lieber über den Alkoholgebrauch und – missbrauch nachdenken? Immerhin ein schönes Wortspiel: Berauscht euch nicht am Weingeist, lasst euch lieber mit heiligem Geist abfüllen!

Liebe Gemeinde, ihr habt den Text des Apostels gehört, wie auch immer er heißt.
--
Was wäre noch zu sagen?

Vielleicht eine Frage: Was ist für dich oder euch oder Sie ein guter Ratschlag?

Ist es ein guter Ratschlag, wenn ein Mann zu seiner Frau sagt: „Nun nimm es dir doch nicht so zu Herzen!“ ?

Was sagt ein Mensch zu einem anderen eigentlich mit diesem Ratschlag? Er sagt: Dass du so betrübt bist, liegt ganz an dir selber. Du selber bist verantwortlich dafür. Nimm es dir einfach nicht so zu Herzen. Das darf doch nicht zu schwer sein!
Und lass mich mit dir und deiner Betrübnis in Ruhe.

Kein guter Ratschlag.
Was wäre für dich ein guter Ratschlag?
Haben Sie schon einmal in Ihrem Leben einen richtig guten, einen wichtigen, einen wegweisenden Ratschlag gehört?

Wenn ja: Von wem kam dieser Ratschlag? Wer war dieser Mensch für Sie? Und wie war er oder sie für dich?

Was war denn das Gute an dem Ratschlag?

Steckte viel Wissen in dem Ratschlag?
Oder war es viel Lebenserfahrung?

Oder lag die Qualität dieses Ratschlages gar nicht so sehr in dem, was dieser Mensch dir gesagt hat?

War es eher die Art und Weise, in der er dir einen Rat gab?

Wenn ja: Wie war denn die Art und Weise?

Eine Predigt ist leider ein Monolog … Darum kann ich meine Fragen jetzt nur selber beantworten. Und hoffe, dass du etwas damit anfangen kannst.

Ich habe selten gute Ratschläge in meinem Leben gehört. Sicher: Kleinere Tipps für kleine Alltagsfragen – das schon. Fahr doch nächstes Mal nicht unbedingt morgens um 8 Richtung Hamburger Elbtunnel. Da ist immer Verkehrsstau. So was in der Richtung. Ich bin selber ein Tipp – Geber. Fürchterlich. Ein Problemlöser. Männer denken: Probleme müssen gelöst werden. Frauen wissen: Die wichtigeren Probleme sind meistens nicht lösbar. Menschen müssen sie aushalten. Das Beste aus der Situation machen. Mit anderen darüber sprechen. Darum sprechen Frauen stundenlang über Probleme, während Männer das Handy zücken oder den Schraubenschlüssel holen. Aber das Leben ist anders.

Ich habe selten gute Ratschläge in meinem Leben gehört.
Führe dein Leben weise! sagt der Briefschreiber. Bitte, was heißt denn das? Das griechische Wort für „weise“ ist „sophos“. Philosophie kommt daher: Die Liebe zur Weisheit.

Führe dein Leben weise! Wenn mir das jemand sagte, käme es nur bei mir an, wenn der- oder diejenige glaubwürdig für mich wäre. Lebenserfahrung müsste er haben. Ich müsste an ihm oder ihr absehen können, was es bedeutet, das Leben nicht zu vermeiden, sondern wirklich zu leben!

Dann könnte vielleicht .. bei mir die Frage entstehen: Wie macht der das? Kann ich das auch?

Und dann könnte mir der Ratschlag zu Herzen gehen. Vielleicht.

Nutze die Zeit (kaufe die Zeit aus!). Carpe diem! Eine alte römische Lebensweisheit. Für sich genommen noch kein guter Ratschlag. Mit was soll ich denn den Tag verbringen, für welche Ziele die Zeit nutzen? „Kaufe die Zeit aus!“ könnte in Frankfurt auf dem Schreibtisch eines Bankenchefs stehen … aber das ist sicher nicht gemeint. Was aber dann?

Eine Warnung vor Müßiggang? Eine indirekte Ermunterung zur Erwerbsarbeit? Wer keine Arbeit hat, könnte sich darüber ärgern. .. Und wer eine hat – auch. Denn vielleicht wäre dieser Rat viel angemessener: Gönne dir Zeit für Müßiggang. Lass doch einmal Zeit vergehen. Übe damit die Gelassenheit. Das Leben ist kurz. Ja. Aber warum sollte man darum in Stress geraten? So wird das Leben auch nicht länger, nicht intensiver, nicht schöner, nicht hoffnungsfroher..    

Sauft euch nicht voll Wein … Wer Alkoholiker ist, weiß, dass solche Appelle wenig nützen. Abhängigkeit ist nicht mit Maßhalten zu lösen, sondern mit begleitetem Entzug.

Und wer kein Alkoholiker ist oder gerade wird … was soll der anfangen mit diesem Rat? Meine Empfehlung – aber ich bin ja kein Apostel – ist an alle Nicht – Alkoholiker eher: Ein guter Single Malt Whisky verleitet nicht zum „Saufen“ und rundet herrlich den Tag ab. Gott sei’s gedankt!

Ja, Gott danken mit Liedern im Herzen. Sich erfüllen lassen vom Heiligen Spiritus. Das ist ein guter Rat. Ich nehme ihn gern von einem, der mit mir nach dem Abendgebet noch einen Whisky teilt …

Im Laufe von 2000 Jahren Christentum haben die moralischen Tipps und Regeln der Bibel nicht immer zum Besten gedient. Leider oft eher im Gegenteil. Ein Heer von Philosophen und Psychologen hat Argumente gesammelt gegen ein lebensverkümmertes Christentum. Die Leute haben einfach keine Lust mehr auf dieses Mittelmaß – Christentum.

Und alles war ein Missverständnis. Wir sollen Paulus und alle die anderen nämlich nicht als Ratschläge für unser Leben lesen. Wir können aber mit ihnen in ein ernsthaftes Gespräch eintreten. Wir sollen nicht wiederholen und gebetsmühlenartig und unbedacht an andere weitergeben, was wir selbst kaum leben. Wir sollen aber fragen und mit einander darüber streiten, was denn zum vollen Menschsein im Sinne Jesu dazugehört. Vom Alkohol und der Sexualität bis zum Umgang mit Geld. Vom Gebetsleben bis zum politisch wirksamen Engagement.

Wir sprechen nicht – mit dem echten Paulus – vom Gott am Kreuz, vom gekreuzigten Christus, um dann etwas Lebensmoralin daraus zu saugen.
Und wer fähig sein soll, sich einander unterzuordnen, der muss erst einmal selbstbewusst wissen, wer er oder sie selber ist!

Auf einer Fortbildung hörte ich den Unterschied von englisch „importance“ – deutsch: wichtig sein (wollen) – und „to be essential“ – deutsch mit Goethe: „Mensch, werde wesentlich!“. Die Frage war dann: Wissen wir, wie wesentlich wir sind?
Für andere. Für Gott. Für uns selbst. Einfach so.

Ich hielt diese Frage für einen guten Ratschlag und nahm sie mir zu Herzen. Amen.

Perikope
19.10.2014
5,15-21

Göttliche Bandenbildung – oder – Friede sei mit Euch! - Predigt zu Epheser 4,1-6 von Markus Kreis

Göttliche Bandenbildung – oder – Friede sei mit Euch! - Predigt zu Epheser 4,1-6 von Markus Kreis
4,1-6

Göttliche Bandenbildung – oder – Friede sei mit Euch!

Liebe Gemeinde,

es gibt nur einen, der laufend einseitige Friedensangebote ausspricht und auf Gewalt verzichtet, selbst wenn man ihm feindlich begegnet: der Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Er ist Gott allein. Er hält die rechte Wange hin, wenn er auf die linke geschlagen worden ist. Er lässt sich Gewalt antun, ohne daran zu Grunde zu gehen. Mehr noch: Er geht an erlittener Gewalt nicht nur nicht zugrunde. Sondern er verfügt über derart viel Lebendigkeit, dass er seinen Feinden unablässig Friede in Wort und Tat anbietet.

Kann es so ein Wesen überhaupt geben? Das ist uns durchaus fraglich. Wir sind gewohnt, Lebewesen zu kennen, die an Gewalt zugrunde gehen, sei es weil sie sie erleiden oder sie selber ausüben – denken sie nur daran, wie es Soldaten mit dem posttraumatischen Belastungssymptom PTBA ergangen ist. Daran leiden auch die, die erfolgreich ihre Feinde bekämpft haben.

Oder wir kennen für gewöhnlich Lebewesen, die auf Gewalt mit Gegengewalt antworten, übrigens oft im Übermaß, solche also, die nach erlittener Gewalt versuchen, ihre Gegengewalt im Verhältnis zur ersteren zu steigern. Da reicht Auge um Auge, Zahn um Zahn oft nicht aus, statt eins zu eins muss es dann zehn zu eins heißen.

Wir selbst wissen uns davon nicht ausgenommen, sondern eingeschlossen in den Kreis und Kreislauf von Gewalt und Unfriedfertigkeit. Selbst körperliche Gewalt ist uns als Täter oder Opfer nicht fremd. Auch wenn sie weit weniger eine alltägliche Rolle spielt als all die Jahre vor dem schon sieben Jahrzehnte dauernden Frieden in Westeuropa.

Kinder leiden unter körperlicher Gewalt von Gleichaltrigen oder von Erwachsenen, manchmal sogar in der Kirche. Und Heranwachsende üben körperliche Gewalt aus, nicht nur gegen ihresgleichen. Verkehrsopfer leiden unter Gewalt, auch die, denen Arbeitsunfälle passieren.

Und mit körperlicher Gewalt allein ist es nicht getan. Es gibt auch kommunikative Gewalt. Nicht nur Beleidigung und öffentliche Bloßstellung, das gehört auch dazu, der mediale Pranger. So wie die verbale Aufrüstung, die Propaganda. Denken sie nur an den verbalen Schlagabtausch im Kriegskonflikt an der Ostgrenze der Ukraine.

Die größte Lüge jedoch ist die halbe Wahrheit. Kommunikative Gewalt zeigt sich überall vor allem in dem, was ausgesprochen und in dem, was bei diesem Sprechen bewusst verschwiegen wird. An Intrigen. An geheimen Absprachen. Insiderwissen, verdeckten Drohungen oder Bestechungen.

Kommunikative Gewalt, wie sie in Arbeitszeugnissen und Wirtschaftsverträgen vorkommt, in Bewertungen, die vom Recht gedeckt sind und doch nicht moralisch einwandlos. Kommunikative Gewalt, die nach außen Friede erzwingt,

nach innen aber umso mehr Unfriede erzeugt.

Wissen wir uns als Gemeinde und Kirche davon frei? Unterscheiden wir uns da  von der Welt und ihren Unternehmungen, seien es wirtschaftliche oder gemeinnützige. Oder herrscht auch hier unter uns Christen nicht zuweilen ein solcher Scheinfriede? Ein falscher Friede, der auf Gewalt, auf kommunikativer Gewalt beruht?

Und schließlich gibt es auch noch eine Art geistiger Gewalt. Die muss zwar keineswegs zwangsläufig zu kommunikativer oder gar körperlicher Gewalt führen. Und doch beunruhigt sie uns. Weiss ein jeder sich frei von Gewaltphantasien oder Rachewünschen. Von Dominanzgelüsten und Herabsetzungswillen?       

Gibt es also überhaupt ein lebendiges Wesen, das so geduldig, sanftmütig und demütig, so friedfertig ist? Ein Leben, das sich jeglicher körperlicher,  kommunikativer und geistiger Gewalt enthält?

„Der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen!“ spricht durch Jeremia der Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. Es ist der Friedde eben nicht Schicksalslaune oder Zufall. Gott ist gerecht und heilig. Gott ist autonom und selbst bestimmt, wenn er uns, die wir es gar nicht verdient haben, fortlaufend seinen Frieden in Wort und Tat anbietet.

Er bietet uns Frieden in Wort und Tat, weil es da einen Bund gibt, den er geschaffen hat, einen Vertrag, den Gott sich aus freiem Entschluss ausgedacht hat und eingegangen ist. Dieser Vertrag kann nicht wie unsere menschlichen Vertragswerke gebrochen werden, sondern er steht ewig fest. Dieser Bund wird gehalten, diese Selbstverpflichtung wird von Gott in die Tat umgesetzt.

Bürge und Garant für die Friedfertigkeit Gottes ist Jesus Christus. Am Gekreuzigten und Auferstandenen ist zu sehen, wie der friedfertige und gewaltlose Vater unter von Gewalt bestimmten Tätern und Opfern eine friedfertige Bande bildet, die erste Gemeinde.

Machen wir uns keine falschen Vorstellungn von den Jüngern Jesu. Genaus so wenig wie wir bildeten sie eine Gemeinschaft von friedfertigen, demütigen,  sanften und geduldigen Menschen, die mit Gewalt in all ihren Formen nichts zu tun hatten.

Das Unglaubliche und Schrecklichste war geschehen: die Anderen hatten das Spiel gewonnen. Jesu blutüberströmte Körper war vom Kreuz genommen, er war tot, nicht mehr da, vielleicht nicht einmal mehr sein Leichnam.

Und die Jüngerschaft selber! Wie oft hatten sie ihn mißverstanden. Ganz anders als nach seinen Worten gedacht und gelebt, anders als er geredet und gehört, anders als er gelitten und getan. Und als es dann Spitz auf Knopf stand, dann hat einer der ihren ihn verraten um gewisse Summe Geld, da hatten sie ihn alle verlassen und waren geflohen. Nur einer wollte widerstehen und verstieg sich zu einer angesichts der Gegnerüberzahl hilflosen Amokaktion per Schwerthieb und Ohrläppchen. Ihr Anführer Petrus hatte Jesus dreimal verleugnet, obwohl dieser ihn als eine Art Nachfolger tituliert hatte.

Was sollte aus ihnen werden? Da saßen sie hinter verschlossenen Türen, aus Furcht vor ihren Mitmenschen, die ihren Jesus moralisch und rechtlich verachtet und verurteilt hatten, nicht nur kommunikativ, sondern körperlich bis zum Tode hin. Drohte ihnen nicht ein gleiches Schicksal?        

Der erste Kirchenraum: ein selbst gewähltes Gefängnis, abgeschottet von der Außenwelt um nicht entdeckt zu werden. Der erste Gemeinderaum im wahrsten Sinne ein Verlies: Belegt von heimatfernen Flüchtlingen, die von Gefühlen wie Rache, Reue, Trauer und Angst überwältigt und zum Verstummen gebracht worden sind. Ein Haufen, wahllos aneinander gekauert, hilflos wie zerstreute Herdentiere in einer eisigen lichtlosen Nacht, jedes seinen Gedanken und Gefühlen nachhängend. Stille, die von Gewalt erzwungen ist, Scheinfriede.

Zu diesen kam, in ihre Mitte trat der gekreuzigte und auferstandene Jesus. In der Macht des gewaltlosen und friedfertigen Vaters macht er sich zum Haupt dieser geschlagenen Leiber und verwirrten Köpfe. Er tat das in der denkbar einfachsten Weise: „Friede sei mit euch“ hat er zu ihnen gesagt. Eigentlich ein simples Grußwort, das man sich damals untereinander zu jeglicher Tageszeit mitteilen konnte.

Aber wenn Zwei das gleiche tun, ist es nicht unbedingt dasselbe. Jesus brachte, ja Jesus erschuf in seinen Jüngern das, was jenes einfache Grußwort sagte: Frieden. Einen guten Abend, einen guten Tag, ein gutes neues Leben. Denn das am Kreuz geschlachtete Lamm Gottes erwies sich ihnen als der siegreich lebendige Löwe von Juda. Jesus zeigte sich mit seinen offenen Wunden als der wahrhaft selbst bestimmte Mensch des in Wahrheit friedfertigen Gottes. Und als solcher nahm er nun wirksam und endgültig die Unterrichtung, die Strukturierung, die Befähigung und die Leitung jener verlorenen Leiber und Geister in die Hand. So machte er diesen wirren Haufen in seiner ganzen Ohnmacht zu einem Leib mit einem Geist, mächtiger als alle Weltmächte. So wünschte, nein, brachte und schuf er ihm wahren Frieden, einen guten Abend, einen guten Tag, ein gutes Leben, indem er als der gekreuzigte Auferstandene in ihre Mitte trat.

Hier darf und muss etwas hinzugefügt werden: Jesus trat, indem er so grüßend in die Mitte seiner Jünger trat, in die Mitte des Lebens jedes einzelnen von ihnen: ob er nun Petrus oder Johannes oder Andreas oder Thomas hieß. Friede sei mit euch, das gilt jedem persönlich. Das hieß: Friede sei mit Dir!  Gerade mit Dir persönlich. Im Heiligen Geist spricht der Gekreuzigte und Auferstandene diesen Frieden auch jedem von uns heute zu, erschafft ihn in und lässt ihn in uns wirklich werden.

Steht Jesu Volk damals mit diesem Gruß nicht mehr vor seinem Leichnam, seinem Grab, vor seiner Niederlage, dann auch keiner von uns heute - mit Hilfe des Heiligen Geistes. Dann ist jeder durch seine Auferstehung neu geboren zu einer lebendigen Hoffnung, angezeigt und symbolisiert durch die christliche Taufe.

Im Heiligen Geist, in diesem Frieden und in dieser Hoffnung gewinnen wir Anteil an Gottes Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit: Wir verzichten auf Gewalt sogar angesichts selbst erlittener Gewalt. Das ist sehr schwer, aber nicht unmöglich und ganz sicher eine eigene Predigt wert. Um dieses Thema zu bedenken, sind sehr viele neue Gesichtspunkte einzuführen und zu erläutern, vor allen Dingen, was die Wissenschaft an Neuem über den Menschen entdeckt hat. Dazu ist in dieser Predigt leider kein Platz mehr.

Trotzdem gilt: Im Heiligen Geist, in diesem Frieden und in dieser Hoffnung gewinnen wir Anteil an Gottes Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit: wir werden geduldig und erkennen den guten Augenblick zum Eingreifen. Wir werden sanftmütig und entschlossen. Wir werden demütig und setzen unser Know-how geschickt in die Tat um. Wir werden überzeugend statt drohend oder bestechend. Wir werden als integrer Mensch gesehen, auch mit unseren biografischen Brüchen, auch wenn wir selber uneins mit uns sind. Wir verzichten auf alle Formen der Gewalt. Wir bilden so den einen Leib Christi, auf dass die Welt den wahren und einzigen und friedfertigen Gott erkenne. Amen.

Perikope
12.10.2014
4,1-6

KONFI-IMPULS zu Epheser 4,1-6 von Thomas Ebinger

KONFI-IMPULS zu Epheser 4,1-6 von Thomas Ebinger
4,1-6

Nach den Sommerferien wächst die neue Konfirmandengruppe immer besser zusammen und entwickelt ein Gruppengefühl und Regeln des Umgangs miteinander. Da passt dieser Text, der realistisch und utopisch zugleich ist, wenn er einer urchristlichen Gemeinde christliche Prinzipien des Umgangs miteinander nahebringt. Die Botschaft an die Konfirmandengruppe könnte sein: Ihr seid eine kleine Gemeinde auf Zeit innerhalb der großen (Kirchen- und weltumspannenden) Gemeinde, zu der ihr gehört. Wie können wir es schaffen, die großen Worte des Textes – Liebe, Frieden, Geduld, Einigkeit – mit Leben zu füllen?

Für die Riedenberger Konfirmand/innen, mit denen ich den Text angeschaut habe, war vor allem die Gefangenschaft des Briefschreibers überraschend eindrücklich, sie fragten sich, ob die Gefangenschaft wörtlich oder nur metaphorisch gemeint ist. Ins Gefängnis kommt man doch nicht einfach so – eine gute Spur, um auf Verfolgung um des Glaubens willen einzugehen und den Wert der Religionsfreiheit zu betonen.

Schwierigkeiten hatten sie mit der bildhaften Rede vom „einen Leib“. Wenn man 1. Kor. 12 als Schriftlesung wählt, lässt sich zur Veranschaulichung gut der schöne Sketch von Otto Waalkes biblisch nachspielen und das Zusammenwirken der Körperteile als Bild für die Einheit in der Gemeinde darstellen. (Zur Inspiration für Mitarbeitende: Der menschliche Körper, http://youtu.be/9XC85D7bcYw).

Interessant waren die Antworten auf die Frage „Warum wird immer gesagt oder befohlen, was wir tun sollen?“ 1) Damit du weißt, was du tun sollst, damit du nicht in die Hölle kommst. 2) Weil wir damit Grundbausteine für unser Leben haben und es halbwegs geordnet ist. 3) Weil Gott unser Wohl will und ohne sine Befehle kommen wir nicht aus. 4) Weil es richtig ist.

Jemand wollte wissen „Warum hat Gott jemanden berufen?“ und bekam diese Konfi-Antworten: 1) Weil er ihn und andere näher bei sich haben will 2) Gott hat jeden von uns „berufen“, er hat jedem von uns das Leben geschenkt. 3) Ich denke, dass Gott uns z voller Demut, Freundlichkeit und Geduld berufen hat.

Aufgefordert, den Text auf wenige Worte zu kürzen, fanden die Konfis eindrückliche Bibel-Kurztexte (Basisbibel-Übersetzung): 1) Ich bitte: Ertragt euch gegenseitig! 2) Leben: Demut, Freundlichkeit, Geduld 3) Gott Liebe 4) Friede.

Dies lässt sich mit Hilfe der Methode Text schwärzen leicht nachmachen: Der Bibeltext wird kopiert, die Konfis reduzieren ihn bis auf eine bestimmte Anzahl Wörter. Dabei kann auch jeder eine andere Zahl bekommen. Die Kurz-Bibeltexte werden im Anschluss an die Verlesung des Predigttextes von den Konfis vorgetragen.

Eine besondere Spannung liegt in der Formulierung „Ertragt einander in Liebe“. Manchmal scheinen andere fast unerträglich, eine Dauerprobe für die eigenen Nerven. Die anderen „respektieren“ heißt das für Konfis, auch wenn sie anders sind. Und die anderen lieben wie sich selbst.

Bildhaft nachvollziehen lässt sich das Band des Friedens, wenn man tatsächlich ein Band um die Gruppe zieht. Möglich ist das mit einer schönen gruppenpädagogischen Übung: Man besorgt einen alten Fahrradschlauch, entfernt vorsichtig mit einer Rasierklinge das Ventil. Dann kann die ganze Gruppe in das extrem dehnbare Gummiband hineinsteigen, das sich auf Hüfthöhe befindet. Bis zu 30 Personen passen da hinein.

Man könnte ein solches Band des Friedens auch mit Text und Symbolen gestalten unter der Fragestellung: Was führt dazu, dass wir als Gruppe zusammenhalten. In dieses große Band kann man dann im Gottesdienst als Gruppe hineinsteigen. Ein wichtiges Stichwort in Konfi-Sprache war hier übrigens: „Zusammenhalt“.

Der Bibeltext lässt sich auch gut in eine Einheit integrieren, bei der Kontrakte und Regeln für die Gruppe ausgehandelt werden. Muster dafür gibt es u.a. in:  „Von Anfang an“, KU-Praxis Nr. 40, Gütersloh 2000 ; „Konfis auf Gottsuche“, H.U Kessler, B. Nolte, Gütersloh 2003.

Liedvorschläge:

·         Gut, dass wir einander haben (Feiert Jesus! 1)

·         Wir wollen aufstehn, aufeinander zugehn (Das Liederbuch ejw, 151)

·         Wie ein Fest nach langer Trauer (EG 660)

·         Her, mach mich zum Werkzeug deines Frieden (Das Liederbuch ejw, 152)

Dr. Thomas Ebinger, Dozent für Konfirmandenarbeit am Pädagogisch-Theologischen Zentrum Stuttgart

MATERIAL (Nur Internet)

Konfirmand/innen aus Ostfildern-Ruit zu Hebräer 13,8-9b

Assoziationsplakate

Assoziationen zu „Jesus Christus ist gestern und heute derselbe und bleibt es für immer.“

·         Er ist immer derselbe und ist immer da für uns. Er hat nicht mal schlechte Laune.

·         Er ist und bleibt immer freundlich.

·         Er verändert sich nicht.

·         Er liebt uns.

·         Ewigkeit

·         Stimmt / Ja / geil / Right

·         Er hilft uns immer

·         Jesus, wir lieben dich.

·         Irgendwie langweilig, aber auch gut, denn so ist er gerecht.

·         Wär schlimm, wenn es nicht so wäre.

Lasst euch durch die vielfältigen fremden Lehren nicht irreführen.

·         Nicht alles glauben, was erzählt wird, sondern selber in der Bibel nachlesen

·         Keine andere Religion, kein anderer Glaube

·         Eigenen Weg gehen

·         Ok, mach ich

·         Keine Götzen neben Gott

·         Nicht anderen Leuten nachmachen

·         Gehe deinen eigenen Weg und lass dich nicht beirren

·         Man soll seinen eigenen Weg gehen (4x)

·         Man soll nur das machen, was man machen will.

·         Nicht alles glauben, was andere Menschen sagen

·         Schau weg

·         Sich keinen Quatsch einreden lassen.

·         Nur Gott!

·         Z. B. durch Magie

·         Man selbst sein.

·         Man kann machen, was man will.

Denn es ist wirklich nützlich, wenn euer Herz durch Gnade gefestigt wird.

·         Es ist wichtig, Selbstbewusstsein zu haben

·         Kraft von Gott / Jesus

·         Stimmt

·         JA (steht mehrfach da)

·         Super YYY

·         Ja, das ist richtig.

·         Ja, besonders in schweren Situationen, in denen man es nicht alleine schafft.

·         So ist man nicht so anfällig.

·         Ja, denn wenn man etwas böses/schlechtes getan hat, bekommt man kein schlechtes Gewissen.

·         Hope!

·         Right!

Woran denke ich (vermutlich) beim Rückblick auf das Jahr 2013?

·         YOLO (Abkürzung für You only live once)

·         An viele schöne, aber auch traurige Momente

·         L.-M. (Mädchenname) ging L

·         M. (Jungenname) ging

·         Mein Geburtstag

·         Konfi-Anfang

·         Konfiwochenende

·         Schule

·         Der beste Mädelsabend beim Musikvereins-Probenwochenende

·         Viele Erfolge

·         Freund (im Herz)

·         Glück

·         Meine erste GTA Mission (Comuterspiel Grand Theft Auto)

·         Neue Freundschaft mal mit einem Jungen

·         Neue Schule

·         Neue Klasse J

·         Schule / Sommer /Schnee

·         Seeehr schlechtes Wetter!!!!!!

·         Coole Sachen

·         Viel Glück, Spaß

·         Präteritum (ich auch)

·         Vergangenheit

Woran denke ich, wenn ich auf das Jahr 2014 vorausblicke?

·         Konfirmation (8x)

·         Konfi (3x)

·         Schule (2x)

·         Taufe

·         An viele schöne persönliche Erlebnisse

·         (endlich) strafbar …

·         (Sommer)ferien

·         Ostern

·         14. Geburtstag

·         Ich werde 14! (2x)

·         Ich werde 15.

·         Gott geht mit

·         Freude

·         Stabil!

Was bedeutet für dich „GNADE“?

·         Zukunft

·         Gute Zukunft

·         Dass jemand jmd. Vergibt

·         Vergebung (11x)

·         Alles

·         Gnade -> Vergebung

·         Dass Gott uns mag

·         Erbarmen (5x)

·         Erlösung

·         Gott

·         Milderung

·         Egal, was passiert, immer gut

·         Vergebung, Kraft, Vertrauen

Was bedeutet für dich ein „GEFESTIGTES HERZ“?

·         Gottes Kraft, man glaubt an Gott

·         Ein starkes Herz Haben (gemalt: Herz mit zwei starken Armen rechts und links)

·         An Gott glauben

·         Menschen, auf die man sich VERLASSEN kann und denen man VERTRAUEN kann.

·         Vertrauen zu Gott

·         Stark sein

·         Standhaftigkeit, Selbstbewusstsein

·         Wenn man im Glauben stark ist.

·         Standhaft sein

·         Ein festes Herz zu haben (Selbstbewusstsein)

·         Selbstbewusstsein (5x!)

·         Ein Herz, das nicht rausfallen kann aus dem Körper

·         Kraft

·         Die Kraft des Herrn

·         Sicherheit

·         Eigene Meinung

·         Eigene Meinung vertreten

·         Selbstbewusstsein, Kraft, Stärke

·         Ein Bund

·         Selbstvertrauen

·         Ziemlich nett

·         Vertrauen in sich selbst

·         Selbstvertrauen

 

 

 

Ergebnisse der Fünffinger-Methode (wurde gemeinsam erarbeitet)

1. (Daumen) Was gefällt Dir am Text?

·         Dass Jesus derselbe ist, er lässt sich nicht durch Menschen beeinflussen.

·         Dass er jeden Tag gleich ist, heute ist Jesus gut für mich.

·         Dass Gottes Gnade innerlich fest macht, das gibt einem Kraft.

·         Dass Gott immer gnädig ist.

2. (Zeigefinger) Worauf macht dich dieser Text aufmerksam?

·         Dass wir so sein sollen, wie wir sind (keine fremden Lehren)

·         Dass man nur Gott glauben soll, nichts anderem.

3. (Mittelfinger) Was stinkt dir am Text?

·         Dass es Leute gibt, die einen vom richtigen Weg fernhalten wollen.

·         Die Sprache: Ist eher „alt“ geschrieben, z. B. „derselbe“. Besser: Jesus ist jeden Tag der Gleiche.

·         Es wäre auch gut, wenn Jesus mal andere Seiten von sich zeigen würde (Abwechslung statt Langeweile)

4. (Ringfinger) Wo steckt im Text eine Zusage oder ein Versprechen Gottes?

·         Jesus ist (verlässlich) derselbe.

·         Gottes Gnade wird euch innerlich fest machen.

·         Gott ist denen gnädig, die an ihn glauben.

5. (kleiner Finger) Was kommt dir in diesem Text zu kurz?

·         Die Auseinandersetzung mit anderen Religion bzw. Lehren (z. B. Islam)

 

 

 

Ergebnisse der Origami-Methode, bei der Konfi-Fragen im Kreis herum weitergegeben und mehrfach beantwortet werden (Auswahl):

Warum hat die Person den Text geschrieben?

·         Um den Menschen zu zeigen, dass sie Gott vertrauen können.

·         Damit gläubige Menschen nicht alles glauben, was ihnen erzählt wird.

·         Damit die Hebräer Bescheid wissen.

Was bedeutet „Gottes Gnade wird euch innerlich fest machen“? (Frage taucht mehrfach auf)

·         Nicht an sich selbst zweifeln.

·         Dass man Gott vertraut und im Glauben stärker wird.

·         Vielleicht dass man sich etwas merkt und daran glaubt.

·         Dass man es sich zu Herzen nimmt und man es sich merkt.

·         Vielleicht dass man sich die Worte verinnerlichen soll und darüber nachdenken soll.

·         Dass man innerlich einen Bund damit schließt.

·         Überzeugt sein.

·         Dass Gott uns hilft.

·         Dass man innerlich besser, fest wird.

Wie macht Gott einen Menschen innerlich fest?

·         Durch die Lehre

·         Durch Stärke von ihm

·         Durch Vertrauen

Was sind die anderen möglichen Lehren, durch die man sich nicht verführen lassen soll?

·         Erfundene Götter, die anscheinend gut sind

·         Verschiedene Sünden wie Klauen oder Ehebrechen

·         Z. B. Filme oder so, die der Bibel widersprechen.

·         Eine Bibel von einer anderen Religion.

·         Lehren, die man nicht kennt.

Was bedeutet: „Lasst euch nicht durch alle möglichen fremden Lehren verführen“?

·         Man soll nicht alles glauben, sondern seine eigene Meinung haben.

Was heißt „sich durch fremde Lehren verführen lassen“?

·         Man soll nicht alles glauben, was man hört.

·         Sich nicht ablenken lassen.

·         Sich durch Medien oder Filme ablenken lassen von Gott.

·         Man sollte nur auf Gott und die Bibel hören, nicht auf andere Lehren.

Gilt das auch für uns Christen? (Vorher wurde darauf hingewiesen, dass der Hebräerbrief sich an Hebräer, d. h. Judenchristen richtet)

·         Ja!

·         Keine Ahnung

·         Ich glaube schon

·         Ja

Warum wird die Gnade Gottes mit Speisen verglichen und nicht mit etwas anderem?

·         Weil Essen lecker ist *o*

·         Weil halt

·         Weil der Mensch Essen braucht und es sehr wichtig ist.

Was passiert mit einem, wenn man von Gottes Gnade innerlich festgemacht wird?

·         Man ist glücklich

·         Man ist innerlich glücklich und sicher.

·         Man wird bekehrt.

·         Man traut sich.

 

Perikope
12.10.2014
4,1-6

Predigt zu Epheser 4,1-6 von Rainer Kopisch

Predigt zu Epheser 4,1-6 von Rainer Kopisch
4,1-6

Liebe Gemeinde,

der heutige Episteltext, aus dem zehnten Kapitel des Römerbriefes des Apostels Paulus ist uns noch ein wenig im Ohr: „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.“ So ist der Glaube an Gott und das persönliche Bekenntnis zu Jesus Christus die Grundlage christlichen Lebens.
So gut es zunächst auch ist, wenn ein Mensch sich als Christ versteht, der für die Ewigkeit gerettet ist, die Bewährung dieses Glaubens und dieses Bekenntnisses im Zusammenleben mit anderen Menschen steht ein Leben lang an.
Die Sorge um das gelingende Zusammenleben der zu Glauben und Bekenntnis Gekommenen scheint nun den Apostel im Predigttext unseres heutigen Sonntags zu bewegen:

4,1So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn,
dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid,
2in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe
3und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens:
4ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung;
5ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;
6ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Christsein ist kein Ehrenamt sondern ein Beruf. Sollten wir bisher Zweifel daran haben, so macht uns dieser Text deutlich, dass wir mögliche Zweifel vergessen sollten.

Alle Einfälle und Erfahrungen, die sofort zum Thema Beruf auftauchen, sind sicher sinnvoll in die hier entstehenden Überlegungen einzubeziehen.
Beispielsweise: Einen Beruf sollte ein Mensch mit Freude und Liebe ausüben.
Menschen die beruflich mit anderen Menschen zu tun haben, weil sie ihnen helfen und beistehen wollen, werden eher eine berufliche Erfüllung finden, wenn sie Menschen lieben.

Ein Christ kann als Berufsausübender hier Vorteile gegenüber anderen Menschen haben, weil er in seinem Beruf als Christ eine Menge an Kenntnissen und Erfahrungen gesammelt hat, die er in seinem anderen Beruf gut gebrauchen kann.

Da ist erstens der Umgang mit den anderen Menschen des gleichen Berufs.

Demut, Sanftmut und Geduld zu gebrauchen, heißt keinesfalls, sich alles gefallen lassen zu müssen. Das Geheimnis dabei ist, einen anderen in Liebe zu ertragen. Dann stellen sich die Grundgefühle von Demut, Sanftmut und Geduld schon ein.
Wie in jedem Beruf kommt der Erfolg mit der Übung und der Erfahrung.

Falls irgendjemand an dieser Stelle einwenden sollte, wir sollten es doch bitte nicht übertreiben mit dem Christsein als angeblichen Beruf, es gäbe doch die berufstätigen Mitarbeiter in den Kirchen, würde ich antworten:
Ich bin ihnen dankbar für ihren Hinweis auf die Menschen die Berufe in Kirchen und Gemeinden ausüben.
Die sind in den Gedankengängen unseres Textes nicht ausgenommen. Sie haben allerdings den in anderen Berufen Tätigen eines voraus. Sie leben die Berufung zum Christsein und ihren kirchlichen Beruf in der Arbeitswelt zusammen. Die Nachfrage nach dem Stand ihres Christseins in ihrem Berufsalltag wird stetig abgefragt. Sie werden sich häufiger als Christen in anderen Berufen fragen, ob sie ihrer Berufung als Christ nachkommen.

Seit darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.
Der Apostel denkt an Gottes Geist, der uns zu Einigkeit und Frieden untereinander führen kann. Es ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen gemeint, wie die Redewendung es laut Wikipedia ausdrückt: Eine oberflächliche intakte scheinbar friedlich-sorglose Fassade innerhalb einer Gesellschaft. „Diese Redewendung wird oft eingesetzt, um auszudrücken, dass man Probleme verdrängt, statt sie zu lösen.“ Zitat Wikipedia Ende.
Kirchengemeinde und die Gruppen in ihr sind zunächst auch Gruppen von Menschen, in denen es natürlich auch menschelt wie anderswo auch. Aber es gibt einen Anspruch von der
göttliche Wirklichkeit her gesehen. Der Predigttext formuliert ihn so:
4ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung;
5ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;
Das sind Berufungen und Gaben in gleichem Maße. Wenn wir seine angebotenen Gaben annehmen, werden wir sicher einige Mühe damit haben, uns auf ihn hin und von uns weg zu orientieren. Wir dürfen viele von unseren Angewohnheiten, Seltsamkeiten und Absicherungen einfach mal loslassen. Unsere so oft krampfhaften Bemühungen um Anerkennung bei anderen Menschen sind ebenso überflüssig.

Gott liebt uns in einem unendlichen Maße. Er hat ja zu uns gesagt, ehe wir uns selbst erkennen konnten. Er hat uns Menschen in unser Leben gegeben, die ihrer Berufung treu uns von ihm berichtet haben, die uns getauft haben, die uns vom Glauben erzählt haben, Menschen, die uns Glauben vorgelebt haben. Gott  hat eine Kirche geschaffen, die er als einen Leib ansieht, in der es seinen Geist gibt, in der wir auch berufen sind. Von Gott her sind wir rundherum versorgt. Eigentlich könnte er uns unsere Hausaufgaben allein machen lassen.
Natürlich überlässt er uns unserer christlichen Freiheit, selbst zu entscheiden, wann wir was machen werden, um unserer Berufung gerecht zu werden.

„ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.“
Der letzte Vers macht uns noch einmal die Qualität unserer Berufung deutlich. Die Worte sind nicht nur für den Verstand gedacht, sondern auch für unser Herz. Sie beschreiben, wie die Liebe Gottes uns überall hin begleitet. Wir dürfen mit Gottes Gegenwart nicht nur immer und überall rechnen, wir dürfen aus der Kraft seiner gegenwärtigen Liebe allein und in Gemeinschaft mit anderen leben.

Ich wünsche Ihnen kraftvolle Erfahrungen mit Gott.
Amen

 

 

Perikope
12.10.2014
4,1-6

Predigt in einfacher Sprache zu Epheser 5,15-21 von Christiane Neukirch

Predigt in einfacher Sprache zu Epheser 5,15-21 von Christiane Neukirch
5,15-21

Hinweis: Predigt in einfacher Sprache für einen Gottesdienst in Gebärdensprache

Seht zu also genau, wie ihr wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise, auskaufend die Zeit, weil die Tage böse sind!
Deswegen nicht seid töricht, sondern begreift, was ist der Wille des Herrn!
Und nicht berauscht euch an Wein, in dem ist Liederlichkeit, sondern lasst euch füllen mit Geist,
redet zu euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singend und spielend in eurem Herzen dem Herrn,
danksagend allezeit für alles im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dem Gott und Vater.

Liebe Gemeinde!

Es ist mir ein bisschen peinlich, aber es stimmt: ich rede manchmal mit mir selber. In der Küche zum Beispiel beim Kochen oder beim Autofahren. Ich unterhalte mich in Gedanken mit Kollegen oder Freunden; ich schimpfe auf den, der vor mir so langsam fährt; ich sage mir selbst, was ich als nächstes tun muss: jetzt die Zwiebeln klein schneiden und anbraten usw..

Vielleicht kennen Sie das ja auch. Vieles beschäftigt uns innerlich und nicht immer ist genau der Mensch da, mit dem wir darüber sprechen können. Manches will ich und muss ich auch erstmal mit mir selbst besprechen, muss überlegen: wie sage ich das? Oder sage ich besser gar nichts?

Wenn wir alleine sind, können wir einfach losreden.. rauslassen, was da in uns ist und uns ausfüllt..

Das ist das Eine: Was wir aus uns rauskommen lassen. Aber, liebe Gemeinde, was wir in uns hineinkommen lassen, das ist das Andere. Davon redet der Epheserbrief.

„Lasst euch füllen mit Geist“ sagt er. Klar denkt der Apostel dabei nicht an irgendeinen Geist. Er denkt an den Heiligen Geist, Kraft von Gott, die uns direkt mit Gott verbindet.

Wie sollen wir das machen?

In unserem Predigttext bekommen wir dafür die praktische Anweisung. Wörtlich übersetzt steht da: „Redet zu euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen!“

Ich will das erstmal auch genauso wörtlich nehmen: Wir sollen zu uns selber reden. Selbstgespräche führen, aber mit biblischem Inhalt, mit Psalmen, mit Lobgesängen! Zum Beispiel „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts fehlen!“ „Du tröstest mich.“ „Lobe den Herren, meine Seele.“ „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ Sowas sollen wir, dürfen wir uns selber sagen. Ganz bewusst, in aller Ruhe.

Ich versuche das. Setze mich hin, ich lege die Hände in den Schoß und beginne mir zu sagen: „ Du hältst deine Hand über mir.“ Ich sage mir das langsam 10 mal hintereinander. Zuerst denke ich: was tue ich hier?? – aber dann habe ich ein Bild vor Augen und ein Gefühl macht sich in mir breit: da ist eine Hand über mir, warm, schützend, liebend. Das tut gut. Ich fühle, wie Kraft in mich hineinfließt. Die Worte wirken. Warum habe ich das nicht früher schon gemacht?

Wir haben gelernt: wir sollen nicht auf uns selbst sehen, sondern immer zuerst auf die anderen. Aber mich ermutigt der Epheserbrief, anders herum zu denken: Wir dürfen uns auch selbst heilsame Worte aus der Bibel sagen! Ob wir uns die Worte 10 mal sagen oder 20 mal, ob wir dabei die Hände in den Schoß legen oder vielleicht auf unser eigenes Herz, das kann jeder selbst für sich entscheiden.

Mit diesen Worten ist Gottes Kraft verbunden. Sie werden uns erfüllen mit Dankbarkeit und Liebe und dann werden Dankbarkeit und Liebe auch aus uns heraus fließen und wir werden – wie Luther unsere Stelle übersetzt - auch einander ermutigen mit Psalmen und Lobgesängen. Und wir werden Gott dankbar sein können für alles.

Darum wünsche ich Ihnen viele solche biblische Selbstgespräche!  Amen.

 

 

Perikope
19.10.2014
5,15-21

Predigt zu Epheser 4,1-6 von Walter Meyer-Roscher

Predigt zu Epheser 4,1-6 von Walter Meyer-Roscher
4,1-6

Liebe Gemeinde,

„Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland – danach lasst uns alle streben“. So beschwor schon Hoffmann von Fallersleben seine Zeitgenossen. Wir hören es noch heute. Wir wollen uns davon nicht abbringen lassen. Wir wollen es auch nicht auf das deutsche Vaterland beschränken. Wir sehen heute weiter als der Dichter unserer Nationalhymne. Wir wünschen uns ein einiges Europa, das nach Einigkeit und Recht und Freiheit strebt.

Aber die Bilder verfolgen uns. Wir Älteren erinnern uns durchaus an die Propagandabilder der Einigkeit auf Reichsparteitagen und Aufmärschen, mit Fahnen und Fackeln, gleichzeitig aber auch mit den Anzeichen brutaler Machtausübung gegen alle, die eine andere Überzeugung, einen anderen Glauben, eine andere Heimat hatten. Wir haben es erfahren, welche Katastrophen ein ungezügelter Wille zur Einigkeit auslösen kann. Wir meinten nach diesen Katastrophen, solche falschen manipulierenden Beschwörungen überwunden zu haben. Wir wollten zumindest nach der Einigkeit einer christlichen Ökumene in einem neuen Europa streben. Was haben wir erreicht?

Wieder verfolgen uns Bilder, die uns erschrecken. So habe ich vor kurzem im politischen Teil unserer Tageszeitung ein Bild uniformierter, schwer bewaffneter Kämpfer gesehen. Nur einer von ihnen trug keine Waffe. Er trug ein großes silbernes Heiligenbild vor sich her. In der Bildunterschrift las ich seinen Schlachtruf, mit dem er die Ikone der heiligen Magdalena in die Kämpfe um die Städte in der Ostukraine trug: „Möge Gott uns beistehen“.

Das Bekenntnis zu Gott, die Verehrung einer Heiligen als Waffe gegen die anderen, die Feinde, die aus der beschworenen Einheit ausgegrenzt, vielleicht auch ausgemerzt werden sollen!

Ja, so einfach ist es in unserer immer noch und schon wieder von Grenzen durchzogenen Welt offenbar nicht, wie der Apostelschüler es im Epheserbrief meint, die Einigkeit zu wahren „ im Geist durch das Band des Friedens“. Zu viele Grenzen, zu viele Zäune, die Menschen einengen und ausgrenzen, christliche Gemeinden und Gemeinschaften spalten. Zu oft wird das Bekenntnis zu dem einen „Gott und Vater aller“ pervertiert und als Waffe missbraucht, die verfemt, verurteilt und Leben beschädigt, auch zerstört.

„Möge Gott uns beistehen“ schreien alle selbsternannten Gotteskrieger. „Gott mit uns“ beten die Verteidiger des rechten Glaubens und der reinen Lehre. Dass Gott auf unserer Seite ist, glauben die, die in unserer Welt Grenzen ziehen und Zäune aufrichten, die alle Menschen einteilen in die Guten und die Bösen. Die Bösen sind immer die anderen. Möge Gott uns beistehen.

Nein, das tut er nicht. Er hilft nicht mit, Grenzen zu errichten und Menschen auszugrenzen. Er will nicht, dass Glaubensbekenntnisse und Gebete als Waffen missbraucht werden. Er will sich nicht von den Guten gegen die Bösen, von den Gläubigen gegen die Ungläubigen vereinnahmen lassen. Er ist, wie der Predigttext uns einschärft, „ein Gott und Vater aller, der da ist über allen, und durch alle, und in allen“.

Von ihm sind wir  berufen, und dieser Berufung sollen wir uns würdig erweisen. So lesen wir es im Epheserbrief. Ja, berufen fühlen wir uns auch alle. Viele allerdings fügen da schnell hinzu: Aber doch nur wir, die anderen eben nicht. Sie bleiben zum Unglauben, zum Irrglauben verdammt.

Und schon sind wieder Grenzen errichtet. Warum lässt Gott das zu, wenn er den „Gefangenen im Herrn“, der an die Gemeinde in Ephesus schreibt, doch beauftragt hat, für die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens auch aus dem Gefängnis heraus eindringlich zu werben?

In der jungen Christenheit, zu der die Gemeinde in Ephesus gehört,  hat es von Anfang an nicht nur Einigkeit, sondern auch Unterschiede gegeben. Das ist so geblieben bis heute. Wir unterscheiden uns durchaus von anderen Christengemeinschaften und Kirchen im Verständnis unseres Bekenntnisses zu Gott und der eigenen Glaubensüberzeugung. Wir unterscheiden uns in der Beschäftigung mit biblischen Texten und in der Aneignung der Heiligen Schrift als Gottes Wort. Das ist ja keineswegs nur „Theologengezänk“, wie es oft verächtlich genannt wird. Es geht schon um den verantwortungsvollen Umgang mit unserer „Gründungsurkunde“ und mit der Kirchengeschichte. Es geht um unseren Glauben und unser Gewissen.

Die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum schreibt in ihrem jetzt in Deutschland erschienenen Buch „Die neue religiöse Intoleranz“: „Die eigene Auslegung der Religion ist ein Teil der Menschenwürde“. Diese Menschenwürde zu wahren, fordert die Achtung von Glaubensunterschieden und den gegenseitigen Respekt vor der „Abweichung von der eigenen ethischen Norm“. Toleranz eröffnet aber gleichzeitig auch den Dialog mit anderen Überzeugungen und anderen gläubigen Menschen.

Für diesen Dialog nennt der Epheserbrief Kriterien: Demut, Sanftmut und Geduld, den anderen in Liebe ertragen und sich dabei um Einigkeit bemühen, damit die Grenzen ihre trennende Schärfe verlieren und für eine mitmenschliche Gemeinschaft, in der wir Glaubensunterschiede achten lernen, durchlässig werden.

Wer sich auf diese Kriterien einlässt, wird Freiheit erfahren. Ich meine die Freiheit von dem Zwang, sich und anderen den eigenen Wert beweisen und ihnen gleichzeitig ihren Wert absprechen zu müssen. Ich meine die Freiheit von dem Zwang zur Selbstgerechtigkeit und von dem Zwang, über den Glauben und die Überzeugung anderer richten zu müssen. Um uns in  Gottes Namen von diesem Zwang zu befreien, eröffnet der Epheserbrief einen Freiraum, der unserer Berufung entspricht. Da erscheinen die Menschen anderer Glaubensüberzeugung nicht mehr als Gegner und Feinde, die es auszugrenzen gilt, sondern als Menschen, die wie wir zu der einen Gemeinschaft der Kirche Jesu Christi gehören und wie wir von der einen Hoffnung auf ein menschenwürdiges, friedliches Miteinander beseelt sind.

„Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens“. Hoffnung auf Bewährung im Freiraum, den der eine Herr eröffnet. Ein Glaube, eine Taufe, ein Gott, der unser aller Vater ist. Da scheinen Hoffnungsbilder von Einigkeit und Recht und Freiheit auf, die alle angstmachenden Bilder in den Hintergrund drängen.

Darum wollen wir in unseren Gemeinden, wo immer es möglich ist, die Gestaltungsformen unseres Glaubens vor Selbstgerechtigkeit, vor Intoleranz und vor falschen Grenzziehungen bewahren helfen. Unterschiede wollen wir achten und beachten, aber trennende Grenzen und Zäune wollen wir überwinden, wo immer wir können. „Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens“ – das wäre eine Ökumene aller Kirchen als Friedensstifter in einer gewalttätigen Welt.

Im Geist der Liebe, die Christus gelebt hat, auf andere zuzugehen und so manchen keineswegs gottgegebenen Grenzen ihre trennende Schärfe zu nehmen, soll unsere Aufgabe in unseren Gemeinden und unserer Kirche bleiben. Den Willen, mit unseren Kräften an menschenwürdiger Gemeinschaft in unserer Gesellschaft mitzuarbeiten, wollen wir uns erhalten. Das wäre eine Art Testament des „Gefangenen in dem Herrn“, der in aller Bedrängnis an seiner Berufung festhält und uns auf den Gott hinweist, den“ Vater aller , der da ist  über allen und durch alle und in allen“.

Amen

Perikope
12.10.2014
4,1-6

Predigt zu Epheser 1,20b-23 von Sven Keppler

Predigt zu Epheser 1,20b-23 von Sven Keppler
1,20-32

I. Jesus aus Nazareth: Zimmermann. Wanderprediger. Seelsorger. Heilkundiger. Religionsgelehrter. Menschenfreund. Sektenführer. Gottessohn. Justizopfer. Erlöser.
Liebe Gottesdienstbesucherinnen, liebe Gottesdienstbesucher: Welche Seite von Jesus spricht Sie am stärksten an? Was prägt Ihr Bild von diesem Mann? Gibt es vielleicht eine Geschichte von ihm, die Sie besonders berührt?
Ich werde kurz einige Szenen aus seinem Leben schildern. Und es wäre schön, wenn Sie beim Zuhören auch in sich hineinhorchen. Darauf achten, ob Sie etwas besonders angespricht.

Einmal wollten sie Jesus provozieren. Aber er malte gelassen mit dem Finger in der sandigen Erde. Sie hatten eine Frau zu ihm gebracht, die beim Ehebruch erwischt worden war. Hatten ihn erinnert, dass das Gesetz ihre Steinigung vorschrieb. Jesus sagte zu ihnen: „Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Als alle gegangen waren, sagte er zu der Frau: „Dann verdamme ich dich auch nicht. Geh, aber sündige in Zukunft nicht mehr!“
Ein andernmal traf er Fischer, die die ganze Nacht lang auf dem See gewesen waren, ohne Erfolg. Er ermutigte sie, es erneut zu versuchen. Da rissen fast die Netze, so groß war der Fang. Jesus forderte die Fischer auf, mit ihm zu gehen und in Zukunft Menschen zu gewinnen.
Als viele Menschen zu ihm kamen, erzählte er ihnen von seiner Hoffnung: Selig sind die Leidenden, die Sanften, die mit reinem Herzen und Durst nach Gerechtigkeit. Und er riet ihnen, lieber selbst Unrecht zu erleiden, als anderen Gewalt anzutun.
In Jericho entdeckte er einen kleinen Mann auf einem Baum, der ihn unbedingt sehen wollte. Ein korrupter Zolleinnehmer. Jesus forderte ihn auf, sein Gastgeber zu sein. Daraufhin versprach der Zöllner, all seine Opfer zu entschädigen.
Dieser Jesus war in einem Stall zur Welt gekommen. Gottes Sohn zwischen Ochs und Esel. Der Himmelskönig an Marias Brust. Gelehrte und Hirten kamen gemeinsam zur Krippe. So brachte er von Anfang an unsere Vorstellungen von arm und reich durcheinander.
Er starb wie ein Verbrecher. Gefoltert am Kreuz. Und trotzdem betete er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Der Verbrecher am Nachbarkreuz nutzte seine letzte Chance zur Umkehr und vertraute sich ihm an. Da versprach Jesus ihm: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Und den Frauen, die zwei Tage später an sein Grab kamen, ließ er ihnen sagen: „Fürchtet Euch nicht. Was sucht Ihr den Lebenden bei den Toten?“

War Ihr persönlicher Jesus dabei? Oder sind für Sie noch andere Geschichten wichtig? Während die Posaunen spielen, haben Sie Zeit, darüber ein wenig nachzudenken.

Musik

II. Und, ist für Sie eine Szene besonders lebendig geworden? Vielleicht kommen Sie ja beim Kaffee nach dem Gottesdienst darüber ins Gespräch. An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne sagen, was mir an den Geschichten wichtig ist.
Ein Wesenszug von Jesus wird ja in den unterschiedlichsten Erzählungen sichtbar: Jesus eröffnet den Leuten neue Möglichkeiten. Menschen, die scheinbar feststecken, können durch ihn neu anfangen. Nach Fehlern bekommen sie eine unerwartete Chance.
Das erreicht Jesus nicht durch Druck. Er tritt nicht autoritär auf. Sondern gewaltfrei. Liebevoll. Manchmal sogar schwächer, als man erwartet hätte. Weniger imposant. Weniger herrschaftlich. Aber dennoch erreicht er sein Ziel.
Er stellt sich nicht auf die Seite des strafenden Gottes. Gerade so bewegt er die Ehebrecherin zu einem anderen Verhalten. Die Fischer ermutigt er zu einem neuen Versuch, und sie haben Erfolg. Den Zöllner ermahnt er nicht, sondern belohnt ihn. Und gerade deshalb verändert der sein Leben.
All das gipfelt am Kreuz: Der Gottessohn leidet. Er steigt nicht vom Kreuz und vernichtet mit himmlischen Heeren seine Feinde. Sondern er bleibt wehrlos. Er stirbt. Und so gelingt es ihm, nicht die todbringenden Soldaten zu besiegen, sondern den Tod selbst.

III. Oft wird behauptet: Mit dieser Haltung ist kein Staat zu machen. Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren. Ein Polizist oder ein Soldat darf seinem Gegner nicht die andere Wange hinhalten, wenn er geschlagen wird.
Liebe Gottesdienstbesucher: Durch unseren heutigen Predigttext wird diese Frage auf die Spitze getrieben. Er behauptet etwas Sensationelles: Gott habe seine Weltherrschaft in Jesu Hände gelegt. Ich lese aus dem Brief an die Epheser:

Gott hat Christus von den Toten auferweckt und ihn im Himmel an seine rechte Seite gesetzt: über alle Mächte und Gewalten, über jede Kraft und Herrschaft und über alles, was sonst einen Namen hat. Nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Alles hat er unter seine Füße getan. Und er hat ihn der Gemeinde zum Haupt über alles gesetzt. Sie ist sein Leib, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.

Was in der Welt geschieht, liegt nicht mehr in Gottes Hand. Genauer: Nicht mehr in der Hand Gottes, des Vaters. Die verborgene, rätselhafte Lenkung der Welt. Dieses oft so unergründliche Rätsel, das uns immer wieder zu der Frage führt: Wie kann Gott das eigentlich zulassen? Wie kann Gott all das Leid in der Welt zulassen?
Von diesem Text her müssen wir sagen: Es ist gar nicht Gott-Vater, der alles zulässt oder sogar steuert und bewirkt. Er hat die Herrschaft Jesus überlassen. Dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Dem, der nach dem Tod in ein neues Leben durchgedrungen ist. Und der nun in der Sphäre Gottes ist. „Zum Himmel gefahren.“

IV. Denken Sie an die Frage zur Bergpredigt: Kann man mit deren Regeln eigentlich das öffentliche Leben organisieren? Ist mit Gewaltlosigkeit ein Staat zu machen? Dieselbe Frage verschärft sich jetzt noch radikal: Kann ein sanfter Seelsorger wie Jesus zum Weltenherrscher werden? Der den Menschen mit liebevoller Offenheit begegnete – trauen wir dem zu, dass er die gottwidrigen Kräfte unserer Welt in den Griff bekommt?
Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist der Auferstandene ein Anderer geworden. Oder Jesus ist sich auch im neuen Leben treu geblieben. Und dann stellt sich eben die Frage, wie dieser anscheinend so schwache Menschenfreund die Welt in den Griff bekommen soll!
In der Vergangenheit hat man sich scheinbar für die erste Möglichkeit entschieden. In alten Kirchen finden Sie manchmal die Darstellung von Christus als Weltenherrscher. Über dem Altar, ein großes Mosaik in der offenen Halbkuppel.
Meistens sehen wir Jesus in einem Brustbild. Manchmal sitzt er auch auf einem Thron. Den Blick fest und streng nach vorn gerichtet. In der einen Hand meistens eine Bibel. In der anderen die Weltkugel. Oder er erhebt die Hand zu einer segnenden Geste. Diesem strengen, übergroßen Gottessohn traut man sofort zu, mit allen Gewalten fertig zu werden.

V. Er hält jedoch nicht zufällig die Bibel in der Hand. Sie gibt den entscheidenden Hinweis: Der da auf dem Thron sitzt, das ist derselbe, von dem die Evangelien berichten. Derjenige, der die Sünderin gerade nicht steinigte. Der die Fischer ermutigte und bei den Zöllnern zu Gast war. Der Sanftmut und Friedfertigkeit predigte. Der als Kind im Stall lag und als Erwachsener am Kreuz hing.
Der Auferstandene ist derselbe. Er hat sich nicht verändert. Das hat eine sensationelle Konsequenz: Jesus wird die widergöttlichen Mächte genau so erobern, wie er die Sünder gewonnen hat. Wie er denen einen Neuanfang, eine Veränderung ermöglicht hat. Nicht indem er sie mit Gewalt vernichtete, sondern indem er sie aufsuchte und liebevoll gewann.
Kann das gelingen? Ist das nicht naiv? Nun, es erklärt vielleicht, warum es immer noch soviel Widergöttliches gibt in der Welt. Christus zerschlägt und zermalmt es nicht. Genauso wenig, wie er damals vom Kreuz gestiegen ist und die Römer mit Feuer geschlagen hat.
Aber mit Gottes Kraft hat er leidend den Tod besiegt. Genau so wird er mit der Zeit alles gewinnen, was Gott jetzt noch entgegensteht. Das ist die Botschaft am Himmelfahrtstag. So gewiss Gott ihn zum Haupt aller Glaubenden gemacht und ihm die Welt zu Füßen gelegt hat – so gewiss wird er die Welt durch seine Liebe erneuern. Amen.
 

Perikope
29.05.2014
1,20-32

„Christus als Gemeinde existierend“ - Predigt zu Epheser 1,20b-32 von Ralf Hoburg

„Christus als Gemeinde existierend“ - Predigt zu Epheser 1,20b-32 von Ralf Hoburg
1,20-32

„Christus als Gemeinde existierend“ (Dietrich Bonhoeffer)

Es gibt Bilder und Vorstellungen, die wirken durch alle Zeiten hindurch. Sie sind geradezu Ausdruck einer prägenden geistigen und kulturellen Vorstellungswelt. Von ihnen sagt der Philosoph Hegel, dass sie den objektiven Geist verkörpern. Die Faszination an kosmologischen Mythen und Vorstellungen gehört in diesen Bereich. Ob Atheist oder Christ, Jude oder Moslem, philosophischer Pantheist oder Buddhist: Philosophien und Weltreligionen reiben sich seit alters an der Vorstellung metaphysischer Mächtigkeit und auch die naturwissenschaftliche Entmythologisierung zu Gunsten des Erklärbaren hat es nicht geschafft, den kosmologischen Vorstellungen ihre Faszination zu rauben. Mit welcher Emphase bekannte der US-amerikanische Astronant Neil Amstrong als er als erster den Fuß auf den Mond stellte, dass dort oben Gott nicht sei. Und Immanuel Kant stellt in seinem Werk Kritik der praktischen Vernunft den berühmten Satz auf: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ Was also hat es auf sich mit der Macht und der Mächtigkeit des Himmels? Ist der Himmel leer, wie der Atheismus mutmaßt oder wird einfach nur das Bild von der Mächtigkeit des Himmels seit langer Zeit falsch verstanden? Für das Christentum bedeutet die Himmelfahrt Jesu Christi nicht weniger als den Ausdruck dafür, dass der Mensch Jesus von Nazareth eine Wandlung vollzogen hat und als Mensch, der gestorben ist, zugleich auch Gott ist. Daran hängt vieles, wenn nicht sogar alles im dogmatischen Lehrgebäude der Kirchen. Denn mit Christi Himmelfahrt wird der Glaube an den dreieinigen Gott, d.h. die Trinität erst möglich. Sie indes unterscheidet das Christentum wiederum vom Judentum als dem religiösen Wurzelgrund der drei semitischen Religionen ebenso wie vom Islam. Im religiösen Festkalender folgt nur etliche Tage nach Himmelfahrt das Pfingstfest. Damit ist der Kreis zwischen Karfreitag, Ostern und Pfingsten geschlossen.   

Es ist in der Geschichte der Kirche unzählige Male und zu jeder Zeit wiederum neu der Versuch unternommen worden, die Ereignisse zwischen Passion und Pfingsten in theologische Sprache und Begriffe zu übertragen. Nach wie vor überzeugt mich der Versuch Dietrich Bonhoeffers noch am meisten, der vom Pfingstereignis herkommend, Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingsten unter die Formel zu vereinen sucht: „Christus als Gemeinde existierend“. Für mich heißt das: In der Wirklichkeit der christlichen Gemeinde sind Gott und Jesus Christus als Abwesende in Symbolen, Verkündigung und Ritualen anwesend. Sie sind im Himmel und gleichzeitig auf der Erde. Darin besteht ihre Mächtigkeit, dass sie nämlich wirksam sind und die Sphäre des Himmels bis hinunter auf die Erde reicht. Ein Ort ihrer Gegenwart ist die Gemeinde, aber dieser Ort hat exemplarischen Charakter und repräsentiert das Göttliche bei Leibe nicht exklusiv. Das zu erklären hat sich auch der Brief des Apostels Paulus an die Epheser vorgenommen, aus dem der Predigttext zum Himmelfahrtstag entnommen ist. So sind die wenigen Verse, die als Vorlage für die Predigt zum Himmelfahrtstag gedacht sind, eingebettet in den Gesamtzusammenhang des Briefes und vor allem in den Duktus der Verkündigung des Apostels. Dabei spielen zwei Aspekte eine entscheidende Rolle: die Auferstehung und die Idee der Kirche. Sie bildet eine Gemeinschaft der Glaubenden, in der Jesus Christus selbst als anwesend gedacht wird. Er ist der „Geist“ dieser Gemeinschaft, der mit Pfingsten ausgegossen wird. Im Abendmahl, in der Verkündigung und in der Gemeinschaft ist dieser Geist lebendig und wirksam. Dieser Grundgedanke prägt die Kirche in ihrem Selbstverständnis und Selbstbild bis heute.  

1. Die Macht des Himmels

Die orthodoxe Theologie erkennt im Ablauf des Kirchenjahres ein Mysterienspiel, das sich jeweils zyklisch im Jahreskreislauf zwischen der Offenbarung des Göttlichen im Weihnachtsgeschehen bis hin zur Inthronisation des Gottessohnes im Himmel und der Ausgießung des Heiligen Geistes ereignet. Im Rahmen der göttlichen Heilsökonomie ist der östlichen Kirche die Inthronisation und Einsetzung Christi als Gottessohn erkennbar wichtiger als es dies der westlichen Kirche ist. Damit knüpft die orthodoxe Kirche sehr stark an die theologischen Aussagen des Philipper-Hymnus (Phil 2,6-11), dem Kolosserbrief und auch dem Epheserbrief an, die in einer theologischen Verwandtschaft zueinander stehen. Sie folgen dem Schema einer Heilsgeschichte zwischen Schöpfung und Erlösung, in deren Mitte die Erniedrigung durch das Kreuz und der Erhöhung durch die Auferstehung sind. Sie bilden die „Mitte der Zeit“. Die protestantische Theologie geht dagegen hauptsächlich vom Geschehen des Kreuzes aus. Luthers Theologie ist zunächst eine Kreuzestheologie, in deren Mitte die Sühneleistung steht. Gottes Sohn stirbt stellvertretend den Tod am Kreuz, um den Menschen von der Sünde frei zu machen. Nicht die Mächtigkeit bzw. die Macht der Inthronisation, sondern die Freiheit des Menschen durch Kreuz und Auferstehung stehen im Zentrum des evangelischen Glaubensverständnisses. 

Auch der Epheserbrief des Apostels Paulus geht vom Geschehen der Auferstehung aus. Das Wunder der Auferstehung als Gottes eigene Tat setzt alles Weitere in Gang: So vereint der Predigttext aus dem Epheserbrief unter dem Thema der Inthronisation und Einsetzung des Auferstanden Herrn Jesus Christus als Herrscher über den Kosmos (Eph. 1,20-22) noch das zweite Thema, nämlich die Teilhabe  der Kirche an diesem kosmischen Geschehen (Eph. 1,22-23). Die Macht ist das Zeichen der Herrlichkeit Gottes. (Eph. 1,18) Von dieser Herrlichkeit geht eine Kraft aus, die ausstrahlt auf die Gläubigen und ihre Gemeinschaft.  Unter dem Schatten dieser himmlischen Macht werden sie zu einer Gemeinschaft der Heiligen (Art. 7 der Confessio Augustana). Wer diese Macht erkennt, der weiß, dass auch die Herrlichkeit wie im Ereignis der Auferstehung selbst, so auch in den Glaubenden wirksam ist. Der Schreiber des Epheserbriefes verknüpft mit seinen Aussagen die Absicht der Verkündigung. Er erklärt der Gemeinde, der er den Brief schreibt, den inneren Zusammenhang und den Hintergrund ihres Glaubens. Dabei verfährt er durchaus pädagogisch und didaktisch, denn er erinnert ganz am Anfang die Gemeinde daran, dass sie im Glauben an Jesus Christus steht. (Eph. 1,15) Für den Apostel ist es nun wichtig zu erklären, wie zentral es ist, diesen Glauben zu erkennen. Dazu braucht es den Geist der Weisheit. (Eph. 1,17) Vielleicht befürchtet er, dass der Gemeinde dieses Wissen des Anfangs langsam aber allmählich verloren zu gehen droht.

Hier ist der Text in seiner an den Anfang und an die Weisheit mahnenden Haltung durchaus sehr aktuell. Die Eindringlichkeit, mit der der Apostel an die erleuchteten Augen des Herzens mahnt und an die Erkenntnis der Hoffnung, hat etwas Beschwörendes. Was mich daran so fasziniert, ist der mehrfache Hinweis auf die „Wirkung“, nämlich die Erleuchtung des Herzens. Wo finde ich diese „erleuchteten Augen des Herzens“ in der Kirche der Gegenwart? In der biederbürgerlichen Langweiligkeit deutscher Oberkirchenräte? Und wo finde ich Erkenntnis? In den gedämpften Fluren von Landeskirchenämtern mit ihrem bürokratischen Charme der 50er Jahre? Ist es ein Ausdruck von erleuchteten Augen des Herzens, wenn nun aktuell die evangelische Kirche im Jahr 2014 den gutwilligen Kirchenchristen, die noch gerne Kirchensteuer zahlen, nochmal auf ihr sorgsam erspartes Geld mit seinen Zinsen Kirchensteuer auf Kapitalerträge abtrotzt? Das ist alles andere als herzlich und weit weit weg von der Errichtung der Herrschaft Christi. Das ist einfach nur Geldschneiderei. Auch wenn es juristisch richtig ist, ist es aber moralisch falsch! Ich wünschte mir „mehr“ Erkenntnis der Kirchenleitungen, aber vor allem mehr Moral. Wenn die evangelische Kirche allen Ernstes diesen Schritt nötig hat, dann glaubt sie selber nicht mehr an die Überschwenglichkeit der Kraft Gottes in der Kirche, sondern dann hat sich Christus in einen „kapitalistischen Geist“ verwandelt und ist die Macht der Auferstehung hohl und schal. Wenn die Mitglieder fehlen, aber die Institution immer reicher wird: Wo ist dann der Glaube an den Reichtum der Herrlichkeit, wie er im Epheserbrief so eindrücklich vor Augen geführt wird?        

Im Zentrum des Textes steht die Einsetzung Jesu Christi zur Rechten Gottes im Himmel (V. 20). Dieser Gedanke greift ein typisches Bild des Himmelsthrones und des himmlischen Thronstaates auf, das bereits aus jüdisch-alttestamentlicher Zeit stammt. Sowohl im sog. Königspsalm 110,1 als auch im Prophetenbuch Jesaja wird diese himmlische Thronvorstellung benannt. Angeknüpft wird hier an die weltliche Thronbesteigung des Herrschers und Königs, der in der jüdischen Religionsvorstellung lediglich der Stellvertreter und Platzhalter für JHWE – also Gott – selbst ist. Der Text aus dem Epheserbrief knüpft demnach an diese Vorstellungen jüdischer Herrschaftstheologie an. Nach dem jüdischen Glaubensverständnis kommt allein JHWE alle Macht und Herrlichkeit zu. Zu den göttlichen Attributen zählt die Allmacht wie auch die Gerechtigkeit. Aber in seiner Herrscherfunktion und Allmacht ist JHWE auch der Fürsprecher der Armen.   

Das Bild vom „Sitzen zur Rechten Gottes“ prägt nun in der Übertragung jüdischer Vorstellungen auf Jesus Christus seit Jahrhunderten dann aber auch die christliche Vorstellungswelt. Die christliche Ikonographie hat in vielen bildlichen Darstellungen den herrschenden Pantokrator Gott sowohl mit väterlichen Gesichtszügen versehen wie aber auch mit dem leidenden Gesichtsausdruck Jesu Christi. In der Vorstellungswelt vieler Kinder wird Gott als auf dem Thron sitzend dargestellt. Macht und Herrschaft sind seine Insignien wie die eines Königs. Und zur „Rechten“ Gottes zu sitzen ist ein Privileg. So wird in den Evangelien dieser Platz dem Apostel Petrus zugewiesen. Aus dieser privilegierten Stellung heraus wird bis heute die Machtstellung des Papstes in der katholischen Kirche begründet. Die Attribute der Macht Gottes liegen nun in der Vorstellungswelt des Epheserbriefes ganz auf dem Jesus Christus. War der Text aus dem Brief des Apostels anfangs beschwörend, so wechselt innerhalb der wenigen Verse der Ton nun fast ins Euphorische. Gottes Macht und Kraft ist wirksam in denen, die glauben. Und diese Macht ist die gleiche, die Christus von den Toten auferweckt hat. Schon beim Lesen springt für mich in gewisser Weise dieser Funke über und werde ich mitten in das Kraftfeld der Auferstehung hinein gesogen. Und gleichzeitig wird spürbar, dass mit der Einsetzung Jesu Christi zur Rechten Gottes das Alte vergangen und das Neue im Dämmerlicht erkennbar wird. Pointiert spricht der Epheserbrief deshalb vom Übergang dieser Welt in die zukünftige Welt. Mit Himmelfahrt rückt das Reich Gottes ein Stück näher und leben wir bereits in der Macht-Sphäre der Herrlichkeit.    

2. Im Himmel und in der Kirche

Mit dieser kosmischen Spekulation über Macht und Herrlichkeit und der Herrschaft über die Schöpfung versetzt uns der Epheserbrief fast in eine Traumwelt oder in ein Fantasiereich. Sehnt sich der Mensch nicht nach der „Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“? (Eph. 1,23) Bei dieser Schwärmerei kommt mir das schöne Lied von Reinhard Mey in den Sinn:

„Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man … blieben darunter verborgen, und dann…
wäre was vorher groß und mächtig erscheint, plötzlich nichtig und klein…“

Hier lauert die Gefahr, nämlich vor lauter Schielen nach der Herrlichkeit die irdische Sphäre ein bisschen aus dem Blick zu verlieren. So dient der Hinweis auf die zukünftige Welt nicht dazu, in eine Traumwelt der Herrlichkeit abzugleiten, sondern mahnt – so eine Auslegerin unserer Tage – der Epheserbrief auch vor einer zu starken irdischen Selbstbezogenheit. Trotz Herrlichkeit und Inthronisation bleibt alles Geschehen auf der Welt unter den Füßen Christi und trotz der Errichtung der Herrschaft Christi bleiben die Gesetze der Welt weiter bestehen. Die Christen haben mit dieser Ambivalenz der Realität umzugehen: Einerseits herrscht Christus über die Welt und sitzt zur Rechten Gottes, andererseits bleiben die widergöttlichen Mächte weiter in Kraft. Kann man daran nicht irre werden, wenn die Herrlichkeit Christi schon angebrochen, aber trotzdem die irdische Machtsphäre noch in Kraft ist?

Für den Verfasser des Epheserbriefes nehmen bei der Bewältigung dieses Zwiespaltes zwei Größen eine besondere Rolle wahr: Der Glaube und die Kirche. Sie sollen die Überschwenglichkeit erden. Christus ist das Haupt der Gemeinde. Wie im Korintherbrief oder dem Kolosserbrief zeichnet auch der Epheserbrief die Kirche im Bild des Leibes. Dabei ist nicht die einzelne Gemeinde gemeint, sondern die Kirche als „Corpus Christi“, d.h. als Ganzer. Auch in diesem Bild ist die kosmologische Vorstellungswelt mit Händen zu greifen. Der Leib Christi wird als heilsgeschichtlicher „Wirkraum“ vorgestellt. In vielen Kirchen stellt bis heute ein übergroßes Triumphkreuz an der Schwelle zwischen Altarraum und Kirchenraum das Symbol für die Macht des Leibes Christi dar. Es versinnbildlicht die frohe Erkenntnis: „Ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20). Gleichzeitig zieht das Kreuz auf die Erde und verweist die Christen auf den Boden der Tatsachen. Die Kirche als „Heilsunternehmen Gottes“ (Gollwitzer) steht „zwischen den Zeiten“ (Barth).

In protestantischer Tradition hat die Kirche auf der Erde immer auch eine sozialethische Funktion. Als Teil des Leibes Christi leben die Christinnen und Christen als Zeitzeugen mitten in der Welt. Sie repräsentieren in ihrem Glauben die Hoffnung auf das Reich Gottes. So dient die Vergewisserung der Herrlichkeit des Himmels aus meiner Sicht dazu, die sehr weltbezogene Verantwortung der Christen nicht aus dem Blick zu verlieren. Und da ist heute viel zu tun, angefangen von der diakonischen Verantwortung im Sozialraum bis zum sozialen Protest gegen Exklusion und Ungleichheit. Die Kirche als Leib Christi wird somit zu einem sozialen Erinnerungsort an die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Die Kirche hat als himmlischer Bote auch eine prophetische und mahnende Funktion, die Ungerechtigkeit anzuprangern. Lobpreis des Schöpfers und Erlösers und die politische Mahnrede sind zwei Seiten derselben Medaillie. Der Ort der Kirche ist und bleibt in protestantischer Tradition immer auch ein politischer Ort. Den politischen Protest als protestantischer Tradition aber, der von der Basis der Gemeinde ausgeht, scheinen die modernen Kirchenverwalter in die unterste Schublade ihrer Schreibtische verbannt zu haben. Aber auch hier: Statt der Überschwenglichkeit scharfer Wort höre ich nur noch die Aneinanderreihung von kirchenamtlichen Plattitüden. Auf allen Kanälen wird das Heil der Zukunft an die seligmachende Rückerinnerung an Spiritualität gehängt als hinge davon das Heil ab. Der Epheserbrief zeigt mir, dass von der Verkündigung des Auferstandenen eine Überschwenglichkeit und Kraft ausgeht, die in der Kirche verlebendigt sein will. In einem Interview des Fernsehsenders Bibel-TV saß vor wenigen Wochen einem verkrampften Moderator mit Schlipps und ernster Mine ein fröhlich und erlöst wirkender Jürgen Domian vom WDR gegenüber und erzählte mit einer überzeugenden Selbstverständlichkeit und einer gewissen Heiterkeit darüber, welche inspirierenden Gedanken er durch die Beschäftigung mit der Religion erhalten habe. Ich saß wie gefesselt vom Überschwang Domians vor dem Bildschirm und dachte: Wenn Christus in der Kirche durch fröhliche Christen und heitere Pastorenschaft mit guten Predigten auf diese Weise anwesend ist, dann lässt es sich fröhlichen Herzens und mit Überschwang singen: „Der Himmel geht über allen auf…“ Darauf hoffe ich. AMEN

         

Perikope
29.05.2014
1,20-32