Glauben und glauben wollen - Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Matthias Wolfes

Glauben und glauben wollen - Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Matthias Wolfes
40,26-31

Glauben und glauben wollen

„Hebet eure Augen in die Höhe und sehet! Wer hat solche Dinge geschaffen und führt ihr Heer bei der Zahl heraus? Er ruft sie alle mit Namen; sein Vermögen und seine Kraft ist so groß, daß es nicht an einem fehlen kann. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber? Weißt du nicht? hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt; sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt den Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Die Knaben werden müde und matt, und die Jünglinge fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.“ (Text nach: Jubiläumsbibel 1912).

Liebe Gemeinde,

Gott ist „unvergleichlich“. Das ist der Kern dessen, was uns der Prophet hier sagt. Gott ist unvergleichlich.

Auf den ersten Blick scheint das nicht weiter spektakulär. Natürlich ist er das. Wie könnte von Gott sonst überhaupt die Rede sein? Sollen wir ihn mit der Sonne vergleichen? Oder mit dem Licht, dem Lebensatem, der Vernunft? Irgendwie fließen in den Gedanken von Gott alle diese Begriffe mit ein. Gott ist ja auch das Lichtvolle, das Vernünftige, das „Elixier“, in dem und aus dem heraus wir leben können. Aber er ist zugleich mehr als das, viel mehr, und vor allem ist er nicht wie die Sonne, wie das Licht oder wie die Vernunft.

Ich möchte zunächst die Frage stellen, woher der Prophet eigentlich weiß, was er sagt. Woher weiß er, daß Gottes „Verstand“ „unausforschlich“ ist, daß also alle Versuche unsererseits, ihm auf die Spur zu kommen, in einer letzten Vergeblichkeit enden müssen. Dann will ich den Abschnitt noch einmal in Ruhe durchgehen und mit Ihnen ein wenig betrachten, welche Bilder der Prophet benutzt, um den Hörern und Lesern seinen Gedanken zu erläutern. Und schließlich komme ich zu der entscheidenden Frage: Was bedeutet nun aber diese Unvergleichbarkeit für uns, wenn wir doch immer wieder versuchen – und ja auch versuchen wollen, ja es sogar auch müssen –, von Gott ein Zeugnis zu geben. Wovon sprechen wir da eigentlich? Von Gott? Oder nicht doch am Ende von uns selbst, die wir Gott eben doch immer mit irgend etwas vergleichen, und sei es, besserem Wissen zum Trotz, einfach deshalb, weil es anders nicht geht und wir stumm bleiben müßten.

I.

Woher weiß dieser Gottesmann, daß Gott immer der noch Größere ist, der, der sich auf nichts Bestimmbares eingrenzen läßt, der Grenzenlose schlechthin? „Wissen“ im Zusammenhang mit dem Glauben bedeutet: Sich einer Sache gewiß sein, sie als feste Überzeugung sich zueigen gemacht haben. In diesem Sinne „weiß“ er es aus zweierlei:

Zum einen ist auch der Prophet ein Mensch, der aufgewachsen ist in einer ganz bewußt überlieferten Verkündigung von Gott. Propheten sind ja nur in einer Hinsicht Verkündiger, die, wie es scheint, in einer Art direkter Verbindung mit der göttlichen Macht stehen. In der anderen Hinsicht sind natürlich auch sie geprägte Wesen, so wie jeder andere Mensch, wie jedes Lebewesen sonst. So originell, spektakulär und einzigartig die Prophetenrede sein oder anmuten mag, sie ist doch immer auch die Fortsetzung einer Tradition des Redens von Gott, und zwar einer Tradition, die von anderen überliefert wird. Aus der Überlieferung heraus spricht auch dieser Prophet, wenn er erklärt, Gott lasse sich in seinem Wirken, seinem Tun und seinem Sein nicht „ausforschen“. Er steht für ihn und er steht für die Glaubenstradition, die er zu der seinen gemacht hat, als der schlechthin Einzigartige da.

Das ist das eine. Das andere aber, weshalb der Sprecher „weiß“, was er von Gott weiß, betrifft seine eigene religiöse Erfahrung. Dieser Prophet, Deuterojesaja – der zweite Jesaja (Jes 40 bis 55) –, ist ja einer der wenigen im Zusammenhang der alttestamentlichen Prophetie, bei denen uns ein genauerer Einblick in das Seelenleben gewährt wird. Es handelt sich zwar um einen anonymen Propheten aus der Spätzeit des Babylonischen Exils. Man geht davon aus, daß die Zeugnisse seines öffentlichen Auftretens aus den Jahren kurz nach der Mitte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts stammen. Doch als eine bestimmte Persönlichkeit tritt er uns aus seinen überlieferten Worten deutlich genug hervor. Es handelt sich hier nicht um allgemeine Mitteilungen über Gott an und für sich, sondern um den Ausdruck einer ganz bestimmten Erfahrung Gottes.

Wir brauchen uns nun aber gar nicht mit den genaueren Umständen dieser einen Individualität zu beschäftigen. Denn was für ihn gilt, gilt für alle, die etwas von Gott zu sagen wissen. Die Basis ist stets und immer das eigene Erfahren und Erleben. Aus ihr heraus spricht einer, und auf dieses Erfahrene bleibt alles bezogen. Allerdings, und so kommen beide Seiten zusammen, diese Erfahrungen stammen nicht aus dem Nichts. Sie sind nicht der Inhalt einer gleichsam anknüpfungslosen Unmittelbarkeit. Woher sollte etwas Derartiges auch kommen? Und auf welche Weise sollte es denkbar sein, daß das derart Geoffenbarte im menschlichen Geist eine Anknüpfung fände, wir also dafür überhaupt empfänglich wären? Offenbarung in diesem brutalen Sinne gibt es nicht. Das von Gott als Ausdruck seines Wirkens Erfahrene ist eingebettet in den Rahmen der Überlieferung, die den jeweiligen Einzelnen erreicht hat und von ihm angeeignet worden ist. So verhält es sich auch bei Deuterojesaja, und deshalb „weiß“ er, was von Gott zu wissen er seinen Adressaten mitteilt.

II.

Der Prophet hebt an, indem er die Zuhörer auffordert, ihre Augen „in die Höhe“ zu richten. Erst, indem sie den Blick auf diese Weise aus dem Netz der Vorfindlichkeiten lösen, werden sie Gottes ansichtig werden können. Denn Gott ist nicht eingewoben in die Sphäre des Bedingten. Wohl trägt und erhält er es, aber er selbst ist nicht Bestandteil seiner.

Er ist vielmehr der Schöpfer. Er herrscht, wie der Prophet in Aufnahme der Sprache und Denkmuster seiner Zeit sagt, über alles; wie ein Feldherr führt er das Heer. Unsinnig ist denn auch die Meinung, man könne etwas vor ihm verbergen oder irgend eine Regung sei ihm unbekannt. Hier heißt es dann: „Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt; sein Verstand ist unausforschlich.“ Gott „gibt den Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.“ Die Maßstäbe gelten nicht bei ihm und für ihn, an denen wir unsere Welt zu bemessen gewohnt sind. Was uns als stark und beharrlich gilt, daß wird „müde und matt“. Die aber, „die auf den HERRN harren“, die bekommen „neue Kraft“. Sie werden „auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden“.

Soweit also der Prophet. Es ist eine bilderreiche Sprache, voller Möglichkeiten, die verschiedensten Assoziationen anzuknüpfen. Im wesentlichen aber geht es um eines: Wer auf Gott setzt, den verläßt er nicht. Dem gibt er Kraft und Stärke. Das Vertrauen auf Gott ist die Basis von allem. Glaube heißt Vertrauen. Wer dazu imstande ist, wer sich dazu selbst immer wieder anhält, dem kann das Leben nicht mißlingen. Es ist für Deuterojesaja durchaus eine Frage des Willens, der Selbstdisziplin und des ständigen Mit-sich-Ringens, vor der der Gläubige hier steht. Er versteht den Glauben als eine Aufgabe. Nicht bloß also als ein „Geschenk“, was er natürlich auch ist und wovon immer so viel die Rede ist. Sondern eben auch eine Aufgabe, die man sich setzen kann und von der man sich durch jene Figur der Geschenkhaftigkeit nicht einfach dispensieren kann.

Wer glaubt, wer Gott vertraut, der will ihm auch vertrauen, und dieses Wollen ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Glaubens. Das scheint mir für uns heute, an diesem Sonntag Quasimodogeniti, kurz nachdem wir das Osterfest gefeiert haben, das Entscheidende zu sein.

III.

Damit hat uns der Prophet nun aber auch einen Weg gewiesen, wie wir mit der dritten Frage umgehen sollen, derjenigen nämlich, was es für unser Sprechen von Gott bedeutet, wenn er doch „unausforschlich“ ist. Gott ist seinem Wesen nach unvergleichbar mit allem, was uns als Bekanntem und Vertrautem umgibt, woraus unsere Welt besteht und von dem her wir uns die Welt deuten, in der wir existieren. Wie also könnten wir dann noch irgend etwas über ihn sagen? Wie sollen wir auch nur uns darüber selbst klar werden, was es mit Gott auf sich hat?

Mir scheint, als handele es sich dabei um eine Scheinfrage. Nehmen wir ernst, was der Prophet sagt, jenen Gedanken vom Wollen des Glaubens, dann kann uns die andere Frage, wie wir über Gott denken und sprechen sollen, nicht mehr beunruhigen. Von „Gott an sich“, „Gott selbst“ oder seinem „Wesen“ (essentia) haben wir, hat der Glaube nichts zu sagen. Es mag diesen Gott „geben“ oder nicht – das ist kein Thema des Glaubens.

Wir wollen unser Vertrauen auf den Gott setzen, dessen wir uns gewiß sind und von dem wir im Leben genug erfahren, um auch Zeugnis von ihm geben zu können. Alles, was wir von ihm sagen können, erwächst aus dieser Erfahrung. Es erwächst aber immer auch aus der Tradition des Sprechens von Gott, denn hieraus erst haben wir die Mittel, wie wir unsere Worte wählen, Worte also, von denen wir annehmen können, daß sie verstanden werden und daß sie als sinnvoll aufgenommen werden.

So ist es denn auch beschaffen mit jener angeblichen Unmittelbarkeit der prophetischen Gottesbotschaft: Das viel gebrauchte „So spricht der HERR“ ist eben der Ausdruck eines eigenen Empfindens. Nur sofern wir dieses Empfinden haben, können wir überhaupt wahrhaftig von Gott etwas sagen. Alles andere ist Deutung. Ob wir es als direkte „Offenbarung“ verstehen oder als eine Botschaft, die uns aus der Geschichte des Bekennens erreicht hat, ist Sache der Deutung.

Die Propheten deuten und verstehen das, was sie zu sagen haben, als direkte Gottesrede. Es ist also nicht die Sache selbst, sondern ihr Verständnis, das hier den auffälligen, den eigentümlichen Zug ausmacht. Auch in der prophetischen Rede spricht Gott, wie in jedem anderen religiösen Zeugnis, also in jedem anderen Satz über und zu Gott, sofern es sich nur um aufrichtige und wahrhaftige Rede handelt. Aber er spricht eben durch den seinerseits sprechenden Menschen hindurch. Anders hat Gott nie gesprochen, und anders kann es auch nicht sein, jedenfalls dann nicht, wenn es sich um eine vernehmbare, verstehbare, bedeutungsvolle Rede handelt oder handeln soll.

Lassen Sie uns aus diesem Gottesdienst die Einsicht mitnehmen, daß wir mutig und wahrhaftig sein sollen in unserem Zeugnis. Wir können es sein, denn wir sind uns unserer Sache gewiß. Es ist unser Gott, von dem wir etwas zu sagen haben. Es ist der Gott, auf den wir unser Vertrauen setzen, von dem wir wissen – von dem wir also uns dessen gewiß sind –, daß er uns nicht verlassen wird. Es ist der Gott, von dem ein anderes Zeugnis lautet, er habe gesagt: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen“ (Jos 1, 5c).

Amen.

 

Verwendete Literatur:

Claus Westermann: Das Buch Jesaja. Kapitel 40 – 66 (Altes Testament Deutsch. Band 19), Göttingen 1966.

Rainer Albertz: Die Exilszeit: 6. Jahrhundert v. Chr. (Biblische Enzyklopädie. Band 7), Stuttgart / Berlin / Köln 2001 (Kapitel III.2.7: Das Deuterojesajabuch).

 

Perikope
27.04.2014
40,26-31

Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Axel Denecke

Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Axel Denecke
40,26-31

1.

 „Quasimodogenoti“ ist der Name des heutigen 1. Sonntags nach Ostern. „Wie neu geboren“. Es war auch der uralte Taufsonntag der ersten Christenheit.  „Wie neu geboren“ – so als könne ich in meinem Leben noch einmal neu anfangen. Taufe – abwaschen des ‚alten Adam’ – frisch und gereinigt (von aller Sünde gereinigt) zurück ins Leben. Neubeginn. Was für ein Traum, Chance, Vision. --- Kennen Sie das? Träumen auch Sie manchmal davon? Oder haben Sie diesen Traum aufgegeben? Lohnt sich nicht, bringt nichts?

Martin Luther sagte einst, wir müssen immer wieder neu zu unserer Taufe zurückkriechen, wie in den Mutterleib (nein nicht unserer Mutter, das geht nicht), in den Mutterleib Gottes hinein. Das geht. Das ist unserer Taufe. Neunfang, so als könne ich noch einmal ganz neu starten, alles was bisher war, hinter mir lassen.

Quasimodogeniti -  wie neu geboren ! „Jetzt geht’s los“, geht mein Leben richtig los. Ach ja, ich möchte es manchmal und frage mich: Ist es nicht doch möglich? Ist das die Pointe unseres christlichen Glaubens, dass wir tatsächlich immer wieder neu, noch einmal neu beginnen können, trotz allem, wegen allem, was uns so alltäglich niederdrückt?

2.
Liebe nachösterliche Gemeinde,

diesen Traum gibt es nicht  erst seit 2000 Jahren (also seit Ostern),  dieser Traum ist so alt wie die Menschheit – umgreift alle Völker, alle Religionen.  --- So eben auch im alten Israel, bereits 700 Jahre vor Jesu Geburt, beim Propheten Jesaja. Davon handelt unser Predigttext, für   den heutigen Sonntag Quasimodogeniti von unserer lieben Kirche ausgewählt, extra dafür. Wir hören

 Jes 40, 26-31

Haben Sie dabei etwas von dem „wie neu geboren gespürt“? Ist dieser Text Ihnen nahe gekommen?

Zunächst ein paar knappe Worte zur  Situation damals, dem sog „Sitz im Leben“, also zu wem und warum der Prophet Jesaja damals (doch nicht nur damals) redet.

In Kurzform einige Stichworte nur an dieser Stelle:

Babylon - Gefangenschaft – in der Fremde – Begegnung mit fremden Religionen- Astralreligionen – Euer Gott taugt nix, wo ist er denn, heh? - das nagt am Gemüt – 1000x gebetet, er sollte uns befreien, sollte sein Macht  erweisen – er tut einfach nix- verschwindet, glänzt durch Abwesenheit – sollte er gar tot sein- sollte unser Gl. nur eine Fiktion  sein? Ein-Bildung? Und dann der Spott der Babylonier – „Guckt mal, ihr habt so einen unsichtbaren, nix zu sehen – Für uns sind Sterne, Sonne und Mond unsere Götter – kommen und gehen - beeinflussen uns real -  Mondzyklus, Gezeitenwechsel, da sieht man was, ja, ja – und was habt ihr dagegen?“ ---

Das kann schon Nerven kosten und am Gemüt nagen – jahrzehntelang (die Israelis waren über 100 Jahre in Babylon) Nix da  mit „neugeboren“ – alles alt und grau geworden.

3.

Ich denke, ich muss das gar nicht groß auf uns übertragen. Kennen wir ja auch.

In der Politik im Großen: Immer die großen Kriegsgebiete: Ukraine gerade jetzt. Und das Dauerproblem: Frieden in Israel? Frieden überhaupt? Und dann gerade das Unglück des Fährschiffes vor Süd-Korea. Überall die alten Sorgen und Probleme. Also: „Wie neu geboren“?  ???

Und natürlich auch ganz persönlich:  Unsere Jugendträume – ich mach’s anders als meine Eltern - mach nicht die gleiche Fehler – meine Ehe wird halten – „mit meinem Gott spring ich über Mauern“ Sind wir gesprungen? „Wie neu geboren“? ???

Und nun dazu das trotzige Wort des Jesaja: Ja, trotz allen, wegen allem: „Du bist heute wie neu geboren“.

Hören wir noch mal einen Teil des Textes: (vv.28-31)

Ist ja fast zu einem Poesiealbumspruch, Tauf- und Konfirmations-Spruch geworden. Können wir das glauben? Beflügelt es uns, so dass wir heute wirklich neu geboren werden und fliegen lernen, fliegen in dieser Welt mit den Schwingen des Adlers wie es so schön poetisch heißt?

Fliegen lernen, wie ein freier Vogel im Wind, alle Erdenschwere unter uns lassen. „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ sang einst R. May sehnsüchtig, ein Lied, immer wieder gehört. Warum wohl? Wie neu geboren. Müde Glieder werden munter, ich krieg wieder neue Kraft, trotz alledem. Ich gebe nicht auf. Jeder von uns hat da wohl seine eigenen Erinnerungen aus der Kindheit. Neuanfang, trotz alledem. So war es j auch für viele Ältere unter uns nach dem Krieg anno 1945.

Wenn es so ist,  sprechen wir uns  hier  nur selbst Mut zu? Oder ist’s die Kraft Gottes?

4.

Das haben sich die frommen Ausleger dieses Textes natürlich auch gefragt. Ist der Prophet denn verrückt geworden? Versucht er sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen? Selbstbeschwörung oder Erfahrung: Gott hält treu zu mir.

Es gibt eine jüdische Auslegung dieses Textes, die ich gefunden habe, grad eben, sozusagen auch „Wie neu geboren“ für mich, weil ich sie noch nicht kannte. Die finde ich sehr bemerkenswert und möchte Sie ihnen weiter geben, also „wie neu geboren“ jetzt.

Eliezer Berkowitz, ein jüdischer Rabbiner fragt in seinem Buch „Faith after the Holocaust“ (Glauben nach dem Holocaust), viel schlimmer noch als damals in Babylon: Wo war denn  Gott, an den wir glauben, in Auschwitz? Wo hat er uns Kraft gegeben, das wir Fliegen lernten mit Schwingen des Adlers, wegfolgen aus Auschwitz und nicht vergast worden? Wo? Können wir –so fragt dieser fromme Jude- nach Auschwitz noch weiter an Gott glauben? Trotz alledem: Aus der Asche wie neu geboren? Ja, antwortet er trotzig, Ja. Nicht nur  trotzig, sondern auch ganz demütig.

Und er sagt mit eigenen Worten so:

„Wahrhaftig. Du bist ein Gott, der sich verbirgt. Du Gott Israels. Dass Gott sich verbirgt (er also nicht da ist, wir ihn nicht wahr nehmen) das gehört zu unserem Gott dazu, zu unserm  Gott, der unser Helfer ist.  Auf geheimnisvolle Weise ist der Gott, der sich verbirgt, der Gott, der errettet…Man kann es als das göttliche Dilemma bezeichnen, das in Gott selbst wohnt, Denn wenn es den Menschen geben soll,  muss Gott die Entscheidungsfreiheit des Menschen achten. Wenn der Mensch in eigner verantwortlich handeln soll, ohne fortwährend durch die Übermächtigkeit Gottes eingeschüchtert zu werden, muss sich Gott aus der Geschichte zurück ziehen… Damit der Mensch sein und leben kann, muss Gott sich entfernen, aber damit der Mensch nicht in der von ihm selbst herbeigeführten tragischen Absurdität  zurunde geht, muss Gott in der Welt bleiben. Unser Gott muss zugleich abwesend und gegenwärtig  sein. Er ist abwesend, ohne hoffnungslos unerreichbar zu sein. Er ist gegenwärtig, ohne sich unzweideutig festzulegen und uns damit zu vergewaltigen. Er lässt uns unsere Freiheit, die er uns geschenkt  hat“

Ein toller Text.

Ich lerne daraus: Gott schenkt uns die Freiheit zum Leben – immer wieder neu – Er ist bei uns, trägt uns, auch wenn wir ihn nicht sehen, nicht spüren. Zwingt sich uns nichts auf. Lässt uns selbst das Leben gestalten. Wir sehen, spüren ihn nicht und sagen leichtfertig: Er ist nicht da. Woher wissen wir das eigentlich? Er ist da, real da,  er ist bescheiden, zurückhaltend da, ja er ist verborgen da, um uns unser Leben zu lassen, das wir es selbst gestalten können, meinen, selbst gestalten zu können. Er ist abwesend und  präsent zugleich. Er ist auch in seiner Abwesenheit im Hintergrund für uns noch präsent.

5.

Das ist damit gemeint. Er gibt den Müden Kraft und den Ohnmächtigen gibt er Stärke. Jünglinge werden müde  (ja sogar Jünglinge, wie sehr dann wir Älteren) aber die auf den Herren harren, kriegen  neue Kraft, dass ihnen Schwingen wachsen wie den Adlern, dass sie laufen (weiter laufen im Leben, wie neu geboren, immer weiter) und nicht ermatten, das sie wandeln und nicht müde werden.

Ja, das glaube ich. Das ist mein Glaube, an dem ich fest halte. Und Jesus, mein Bruder und mein  Herr, hat ihn neu bestätigt durch sein Leben, sein Leben, durch seinen Tod und sein neues Leben. Dieser Glaube gilt. Da lasse ich m ich nicht irre machen. „Wie neu geboren“. Heute ist der erste neue Tag vom Rest meines Lebens. Das glaube.ich das gilt für mich.

Das gilt auch für Sie, für einen jeden – Und dann kann Ostern werden, auch noch eine Woche danach,  neue Auferstehung zum Leben. Zurück zur Taufe, wo das konzentriert begonnen hat  – voraus in unser Leben, das noch vor uns liegt, Gott allein weiß wie lange.

Fliegen lernen im Glauben – mit meinem Gott spring ich über Mauern - mit den Schwingen des Adlers, laufen, immer weiter laufen und nicht matt werden. Das ist Ostern. Das ist wie neu geboren. Nicht nur wie: Das ist „neu geboren“. Jetzt! Für jede/n!

 

Perikope
27.04.2014
40,26-31

Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Karl Hardecker

Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Karl Hardecker
40,26-31

Liebe Gemeinde,

Kriegstüchtige junge Krieger ermüden nie. Unerschöpflich ist ihre Ausdauer. Im Rausch des Tötens sind sie außer sich. Sie laufen und klettern, sie jagen über Bergkämme hinweg. Hindernisse gibt es für junge Krieger nie. Sie fliegen. Aber dann, wenn die Schlachten geschlagen sind und die Macheten stumpf, wenn das Blut der Opfer schon längst verdampft und ihre Schreie verhallt sind, überkommt diese jungen Krieger eine Müdigkeit, die tiefer reicht und weiter geht als bis zum nächsten Tag. Müde und matt sind sie nun und verfolgt von den Gesichtern, von den Schreien ihrer Opfer. Pausenlos hetzen sie ihre Täter bis in den Schlaf und dann noch im Schlaf, solange, bis der Traum sie erschöpft und sie am anderen Morgen erwachen wie gerädert und wie erschlagen. Der letzte Blick ihres Opfers verlässt sie nicht und die Mutter mit ihrem Säugling erhebt sich vor ihnen mit fordernder Hand. Schwer ist solch ein Traum und hat sich längst ausgewachsen zum Trauma, auch für den Täter. Und diese Traumata zehren ihn auf, den jungen Krieger, sie fressen an seiner Seele, sie fressen ihn auf und wenn er nachts schreiend erwacht, könnte man meinen, nicht den Täter, sondern die Opfer zu hören. Und wenn der Krieg auf dem Balkan und in Ruanda längst vorüber ist, bleiben junge Krieger, müde und matt und seelisch ein Wrack. 

Männer werden müde und matt, Jünglinge straucheln und fallen.

Es geht auch alltäglicher und weniger spektakulär: dass da diesem Menschen, dieser Frau oder diesem Mann die Kraft ausgeht und nicht einmal mehr genug da ist, um aufzustehen, geschweige denn seinen Alltagspflichten nachzugehen, dass da einer am Boden ist und nicht weiß, wie ihm geschieht, weil die Erde und die Welt erdrückend ist und ihre Schwere lähmt.

Kein Flug und keine Flügel mehr. Als Ikarus stürzt du ins Meer. Nichts, was dich erheben könnte.

Deine Schwere ist die von Exilanten ohne Aussicht jemals heimzukehren, mit der bitteren Perspektive auf ewig als Fremder zu leben in grußloser Fremde, ohne ein Wort der Anerkennung, ohne Zuspruch und ohne die Möglichkeit, die Rituale zu feiern, die du kennst aus deiner Kindheit.

Abgeschafft Tempel und Tempelgesänge; keine Thora, die der Priester mit erhobener Stimme rezitiert; kein gemeinsam begangenes Passa, das an die Befreiung aus Ägypten erinnert; dafür neue Gefangenschaft und neue Bedrückung. Und nicht die Aussicht, jemals wieder ein Fest feiern zu können, in heimischem Tempel, mit Opfern, die die Welt wieder ins Lot bringen könnte.

Mein Weg ist dem Herrn verborgen; er sieht mich nicht mehr. Ich bin ihm gleichgültig geworden.

Das aber wollen sie nicht hören. Sie behaupten nämlich etwas ganz anderes, dass Er die Erde erschaffen hat und nicht nur die Erde, auch Dich hat er erschaffen, so sagen sie und behaupten, das gebe Kraft und das mache Sinn.

Aber nur der behauptete Gott, den sie uns gegen die Schwermut stellen, mit dem sie uns wieder neues Leben einhauchen möchten, ist zu wenig; er bleibt ohne Kraft.

Dieser Gott, der da erscheint, wo Männer schwach sind, der allein hat eine Kraft, die aus dem Geist stammt und in der Stille spürbar wird. Wie sollte einer sonst schwach sein können ohne zu verzweifeln, wenn ihm nicht diese Kraft zu Hilfe käme? Und wie sollte eine Alleinerziehende ihren beschwerlichen Alltag bestehen, wenn sie nicht etwas von dieser Kraft verspürte? Längst hätte sie sonst Abgrund tiefen Hass empfunden beim Gedanken an die Reichen, deren Betten sie macht im Fünf- Sterne-Hotel nebenan.

Der Gott, der da erscheint, wo Krankenschwestern, Ärzte kollabieren, weil sie nicht fertig werden mit den unaufhörlich eingelieferten Verwundeten in Aleppo und in Abuja, - wenn ein Gott, dann dieser.

Aber dieser Gott, der da erscheint, wird noch einmal ans Kreuz geschlagen. Endgültig und für immer soll er vertrieben werden von dieser Erde, der Gott, der es gut meint mit den Erschöpften, den Geschlagenen und Traumatisierten.

Aber ihn ganz zu vertreiben gelingt nicht. Ein Zwischenraum bleibt, eine Lücke, eine Frage, ein Säuseln des Windes. Drei Tage und drei Nächte reichen aus für diesen Zwischenraum, in dem dann Gott erscheint, für diesen Zwischenraum, der schützt vor Tod und Grausamkeit. Das Verlies, in dem sich die Flüchtenden verstecken, die innersten Kammern der Seele, in Räumen erinnerter Kindheitstage, - in diesen Zwischenräumen erscheint dieser Gott, in diesem Zwischenraum menschlicher Gespräche, in diesem Zwischenraum von Bildern, von Zuspruch und von Zuflucht. Am dritten Tage erscheint er dann in diesem Zwischenraum, - der Gott des Glaubens und der Hoffnung und der Liebe. Unsichtbar ist er und schwach, leicht zu übersehen und seine Stärke wirkt geheim, manchmal am armen Ort, nicht auf der Bühne, hinter den Kulissen, im Inneren mehr als herzeigbar auf hoch polierten Werbeseiten.

Auf dem Weg nach Emmaus erscheint er dann und gibt den Jüngern neue Kraft. Er erklärt seinen Weg und stärkt die Trauernden, stärkt die Traumatisierten bei Brot und bei Wein, bis sie sich selbst wieder spüren und sagen: Brannte nicht unser Herz? Wurde das schwere Herz nicht froher und leichter durch Ihn? 

Unter den Kreuzen dieser Welt, wo Menschen anderen Menschen Menschen sind, da gibt er ihnen Kraft dazu. Unter den Kreuzen dieser Welt wirkt er mit Kraft und Stärke dort, wo Menschen ihre Schwäche spüren, - in den Hospizen und den Krankenhäusern, wo andere dann ihre Leben teilen, um zu begleiten, um zu trösten.  

Jeden Morgen gibt er neue Kraft. Er wird nicht müde und er wird nicht matt. Kein Krieger und kein Waffenträger und kein Tyrann und auch kein Machtstratege. Ein Hirte ist aus diesem Gott geworden und aus der Welt wird seine Herde.

Amen

 

Perikope
27.04.2014
40,26-31

Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Karl Hardecker

Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Karl Hardecker
40,26-31

Liebe Gemeinde,

Kriegstüchtige junge Krieger ermüden nie. Unerschöpflich ist ihre Ausdauer. Im Rausch des Tötens sind sie außer sich. Sie laufen und klettern, sie jagen über Bergkämme hinweg. Hindernisse gibt es für junge Krieger nie. Sie fliegen. Aber dann, wenn die Schlachten geschlagen sind und die Macheten stumpf, wenn das Blut der Opfer schon längst verdampft und ihre Schreie verhallt sind, überkommt diese jungen Krieger eine Müdigkeit, die tiefer reicht und weiter geht als bis zum nächsten Tag. Müde und matt sind sie nun und verfolgt von den Gesichtern, von den Schreien ihrer Opfer. Pausenlos hetzen sie ihre Täter bis in den Schlaf und dann noch im Schlaf, solange, bis der Traum sie erschöpft und sie am anderen Morgen erwachen wie gerädert und wie erschlagen. Der letzte Blick ihres Opfers verlässt sie nicht und die Mutter mit ihrem Säugling erhebt sich vor ihnen mit fordernder Hand. Schwer ist solch ein Traum und hat sich längst ausgewachsen zum Trauma, auch für den Täter. Und diese Traumata zehren ihn auf, den jungen Krieger, sie fressen an seiner Seele, sie fressen ihn auf und wenn er nachts schreiend erwacht, könnte man meinen, nicht den Täter, sondern die Opfer zu hören. Und wenn der Krieg auf dem Balkan und in Ruanda längst vorüber ist, bleiben junge Krieger, müde und matt und seelisch ein Wrack. 

Männer werden müde und matt, Jünglinge straucheln und fallen.

Es geht auch alltäglicher und weniger spektakulär: dass da diesem Menschen, dieser Frau oder diesem Mann die Kraft ausgeht und nicht einmal mehr genug da ist, um aufzustehen, geschweige denn seinen Alltagspflichten nachzugehen, dass da einer am Boden ist und nicht weiß, wie ihm geschieht, weil die Erde und die Welt erdrückend ist und ihre Schwere lähmt.

Kein Flug und keine Flügel mehr. Als Ikarus stürzt du ins Meer. Nichts, was dich erheben könnte.

Deine Schwere ist die von Exilanten ohne Aussicht jemals heimzukehren, mit der bitteren Perspektive auf ewig als Fremder zu leben in grußloser Fremde, ohne ein Wort der Anerkennung, ohne Zuspruch und ohne die Möglichkeit, die Rituale zu feiern, die du kennst aus deiner Kindheit.

Abgeschafft Tempel und Tempelgesänge; keine Thora, die der Priester mit erhobener Stimme rezitiert; kein gemeinsam begangenes Passa, das an die Befreiung aus Ägypten erinnert; dafür neue Gefangenschaft und neue Bedrückung. Und nicht die Aussicht, jemals wieder ein Fest feiern zu können, in heimischem Tempel, mit Opfern, die die Welt wieder ins Lot bringen könnte.

Mein Weg ist dem Herrn verborgen; er sieht mich nicht mehr. Ich bin ihm gleichgültig geworden.

Das aber wollen sie nicht hören. Sie behaupten nämlich etwas ganz anderes, dass Er die Erde erschaffen hat und nicht nur die Erde, auch Dich hat er erschaffen, so sagen sie und behaupten, das gebe Kraft und das mache Sinn.

Aber nur der behauptete Gott, den sie uns gegen die Schwermut stellen, mit dem sie uns wieder neues Leben einhauchen möchten, ist zu wenig; er bleibt ohne Kraft.

Dieser Gott, der da erscheint, wo Männer schwach sind, der allein hat eine Kraft, die aus dem Geist stammt und in der Stille spürbar wird. Wie sollte einer sonst schwach sein können ohne zu verzweifeln, wenn ihm nicht diese Kraft zu Hilfe käme? Und wie sollte eine Alleinerziehende ihren beschwerlichen Alltag bestehen, wenn sie nicht etwas von dieser Kraft verspürte? Längst hätte sie sonst Abgrund tiefen Hass empfunden beim Gedanken an die Reichen, deren Betten sie macht im Fünf- Sterne-Hotel nebenan.

Der Gott, der da erscheint, wo Krankenschwestern, Ärzte kollabieren, weil sie nicht fertig werden mit den unaufhörlich eingelieferten Verwundeten in Aleppo und in Abuja, - wenn ein Gott, dann dieser.

Aber dieser Gott, der da erscheint, wird noch einmal ans Kreuz geschlagen. Endgültig und für immer soll er vertrieben werden von dieser Erde, der Gott, der es gut meint mit den Erschöpften, den Geschlagenen und Traumatisierten.

Aber ihn ganz zu vertreiben gelingt nicht. Ein Zwischenraum bleibt, eine Lücke, eine Frage, ein Säuseln des Windes. Drei Tage und drei Nächte reichen aus für diesen Zwischenraum, in dem dann Gott erscheint, für diesen Zwischenraum, der schützt vor Tod und Grausamkeit. Das Verlies, in dem sich die Flüchtenden verstecken, die innersten Kammern der Seele, in Räumen erinnerter Kindheitstage, - in diesen Zwischenräumen erscheint dieser Gott, in diesem Zwischenraum menschlicher Gespräche, in diesem Zwischenraum von Bildern, von Zuspruch und von Zuflucht. Am dritten Tage erscheint er dann in diesem Zwischenraum, - der Gott des Glaubens und der Hoffnung und der Liebe. Unsichtbar ist er und schwach, leicht zu übersehen und seine Stärke wirkt geheim, manchmal am armen Ort, nicht auf der Bühne, hinter den Kulissen, im Inneren mehr als herzeigbar auf hoch polierten Werbeseiten.

Auf dem Weg nach Emmaus erscheint er dann und gibt den Jüngern neue Kraft. Er erklärt seinen Weg und stärkt die Trauernden, stärkt die Traumatisierten bei Brot und bei Wein, bis sie sich selbst wieder spüren und sagen: Brannte nicht unser Herz? Wurde das schwere Herz nicht froher und leichter durch Ihn? 

Unter den Kreuzen dieser Welt, wo Menschen anderen Menschen Menschen sind, da gibt er ihnen Kraft dazu. Unter den Kreuzen dieser Welt wirkt er mit Kraft und Stärke dort, wo Menschen ihre Schwäche spüren, - in den Hospizen und den Krankenhäusern, wo andere dann ihre Leben teilen, um zu begleiten, um zu trösten.  

Jeden Morgen gibt er neue Kraft. Er wird nicht müde und er wird nicht matt. Kein Krieger und kein Waffenträger und kein Tyrann und auch kein Machtstratege. Ein Hirte ist aus diesem Gott geworden und aus der Welt wird seine Herde.

Amen

 

Perikope
27.04.2014
40,26-31

Scheiterhaufen. Den armen Teufel schickt der Himmel - Predigt zu Jesaja 53,1-12 von Uwe Vetter

Scheiterhaufen. Den armen Teufel schickt der Himmel - Predigt zu Jesaja 53,1-12 von Uwe Vetter
53,1-12

Scheiterhaufen
Den armen Teufel schickt der Himmel


Jesaja 53 : 1-6 . Ein “Gottesknechts-Lied”

Wer glaubt unserer Kunde ?
Und die „Macht-des-HERRN“ – auf wem wurde sie offenbar ?
Er schoss auf wie ein
spärlicher Halm vor seinen Augen,
und wie ein
kümmerliches Gewurzel aus magerer Erde.
Er hatte kein Profil
und nichts Ansehnliches, auf dass wir hingeschaut hätten,
und nichts Imponierendes, dass uns gereizt hätte.
Er war ungeachtet und verlassen von den Leuten,
ein Mann-der-Schmerzen, und jeder wusste, dass er krank war.
Wie jemand, vor dem man sein Gesicht verhüllt,
war er ungeachtet, dass wir ihn für nicht beachtenswert hielten.
Doch,
unsere Krankheit – er trug sie !
unsere Schmerzen – er hat
sie sich aufgeladen !
Und wir hielten ihn für einen Gezeichneten,
für einen, der von Gott geschlagen und gebeugt wäre.
Dabei wurde er an unserer Missetat verletzt
und von unseren Verfehlungen erschlagen
- Züchtigung für unseren Frieden traf ihn -
und durch seine Wunde wurden wir geheilt. 

I

Zu den großen Versuchungen, die in meiner Kindheit einen Erstklässler auf dem Schulweg bummeln und zu spät kommen (und nachsitzen) ließ, gehörte das Schauspiel der Müllabfuhr. Der große blassgrüne MagirusDeutzMüllwagen machte einen Höllenlärm, wenn er ruckartig anfuhr und nach wenigen Metern wieder scharf bremste. Müllmänner sprangen ab, griffen sich die grauen Blechtonnen, rollten sie zum Laster und hoben sie auf die Hebegabeln. Dann liftete eine zischende Hydraulik die Tonnen nach oben, die Deckel schwangen auf, und kopfüber ergoss sich der Unrat in schwarze Löcher. Modergeruch lag in der Luft und stand minutenlang in der Häuserschlucht, ein Dunst von gärenden Essensresten, Kehricht, Zerbrochenem und Hausbrandasche. Die Müllmänner rannten den ganzen Tag regennass und schwitzend hinter dem Laster her, im Tempo des Fahrers, der aus dem offenen Fenster Befehle bölkte. Arme Teufel, keine Frage, aber ich hätt sonst was dafür gegeben, einmal mitfahren zu dürfen, hinten, auf dem Trittbrett, an den Wagen geklammert. Aber die Lehrerin war dagegen. „Lernt fleißig“, sagte sie streng, „sonst landet ihr mal bei der Müllabfuhr“. Die Botschaft war unmissverständlich: Ansehen und Beachtung warten woanders.

Pass auf, dass ihr nicht auch da endet ! mögen Eltern geflüstert haben, wenn sie damals, am Karfreitag, ihre Kinder aus den Schaulustigen am Hinrichtungsfelsen (Golgatha) wegzogen. Kommt hier weg, mögen sie gesagt haben, mit einem Nicken in Richtung auf die Kreuze, an denen Häftlinge hingen. Das ist kein Anblick, werden sie gesagt haben. Wer scheitert, landet auf Golgatha, dem Scheiterhaufen, dem Müllberg der Stadt. Kommt da weg, das ist kein schöner Anblick.

… die „Macht-des-HERRN“ ...
hatte ... nichts Ansehnliches, auf dass wir hingeschaut hätten,
und nichts Imponierendes, dass uns gereizt hätte.


Der Karfreitag war zum Wegschauen. Eine Warnung für die, die nicht spurten. Am Karfreitag war der Christus kein Vorbild, eher jemand, vor dem Eltern ihre Kinder warnten: Macht nicht so was. So landet man auf dem Scheiterhaufen, dem Müllberg der Geschichte.

II

Irgendjemand damals hat sich nicht wegzerren lassen. Er sah diesen Hinrichtungsberg mit den drei Kreuzen drauf, und den Christus sah er, und stellte eine irrwitzige Frage in den Raum : Was wäre, wenn dieser Jesus Christus alles richtig gemacht hätte? Was, wenn er sich schmutzig gemacht hätte für andre ? Wenn er sich schmutzig gemacht hätte an unserem Abfall ? Wenn das, was er da auf seinen Schultern geschleppt hat, unser Unrat wäre, und dieser ganze Golgatha-Scheiterhaufen unser Müllberg ? Da steht einer, in Sichtweite der Kreuze, und denkt nach: Was wäre, wenn dieser Christus mit der Malaise ringt, die uns krank macht?
Und dann singt er das Lied, das in Israel gesungen wurde, vom Gottesknecht, vom armen Teufel im Dienst für andre :

Unsere Krankheit – er trug sie !
unsere Schmerzen – er hat
sie sich aufgeladen !
Und wir hielten ihn für einen Gezeichneten,
für einen, der von Gott geschlagen und gebeugt wäre - !
Dabei wurde er an unserer Missetat verletzt
und von unseren Verfehlungen („Sünden“) erschlagen  -
Züchtigung für unseren Frieden traf ihn -
und durch seine Wunde wurden wir geheilt. 


Liebe Karfreitagsgemeinde, ich weiß, das Gleichnis ist grob und derb, und es fügt sich nicht elegant in die Tradition eines Karfreitagsgottesdienstes. Aber mich erinnert Karfreitag an jenen Wochentag, wenn man die Mülltonne rausstellt: Was wir verdorben haben und was uns verdorben ist; was uns in die Brüche gegangen ist übers Jahr; was wir falsch gemacht haben, mutwillig oder unabsichtlich; und was uns auf die Füße gefallen ist und verletzt hat; was andre gekränkt hat und was uns krank macht; wo wir eingesteckt haben, den Kürzeren gezogen, uns nicht gewehrt haben; unser Versagen, die Überreste guter Vorsätze; jede Verwünschung und jede bewusst gestreute Halbwahrheit; alles Mogeln, aus der Verantwortung Stehlen und andre hängen Lassen; das, was rottet und gärt und untern Teppich gekehrt... Das ganze Durcheinander des Unrats eines Jahres, unsortiert wie in Zeiten vor der Mülltrennung ...  stellen Sie sich vor, wir würden das heute mit in die Kirche bringen, in eine virtuelle Mülltonne stopfen, und sagen: Kann sich mal wer drum kümmern? Kann mal wer die Tonne auf die Hebegabel[1] hieven und das Zeug entsorgen ?

Und dann stellen Sie sich vor, dann käme einer, den man auf keiner Liste hatte. Er hatte kein Profil und nichts Ansehnliches, auf dass wir hingeschaut hätten, und nichts Imponierendes, dass uns gereizt hätte...  –  Stellen Sie sich vor, dieser Mensch, der unsern Unrat entsorgt, wäre der Schlechtbezahlteste von uns allen. Für seine Arbeit bekäme der nicht mal den Mindestlohn. Draufzahlen würde er, mit seinem Leben müsste er bezahlen. Aber er täte das. Er würd sich die Tonne aufladen und sie auf den Schultern rauf schleppen auf den Scheiterhaufen von Golgatha, ohne Gebühr zu verlangen. Einfach auf Grund eines persönlichen Handels mit Gott würde er die Sache aus der Welt schaffen, damit wir´s los sind.

Stellt Euch vor, sagt der Gottesknechtslied-Dichter,
unsere Krankheit – er trug sie !
unsere Schmerzen – er hat
sie sich aufgeladen !

Die ersten Christen haben „Gottesknechtlieder“ auf Jesus gesungen[2]. Das ist der Mann, haben sie gesagt, für uns ist er das. Das ist der, der unsern Unrat aus Versündigung, Leid und Altlasten entsorgt. Der trägt, was uns krank macht.  -  Und was haben wir gemacht ? Und wir hielten ihn für einen Gezeichneten, für einen, der von Gott geschlagen und gebeugt wäre. Herabgeschaut haben wir auf ihn! Weil er für einen lausigen Lohn gearbeitet hat. Weil er sich den Tod geholt, in diesem Job. ´Wer am Kreuz endet, ist verflucht`- so hieß es doch.[3] Wer am Kreuz hängt, ist Gott los.  –  Dabei war es umgekehrt: Den armen Teufel schickt der Himmel. Er hat es sich schwer gemacht, damit wir es leichter haben.

Das Lied vom verkannten Gottesknecht haben sie in zwei Chören gesungen. Die Kinder Jisrael sangen es auf Jesaja, und die ersten Christen sangen es auf den Christus Jesus. Das Lied vom Verlierer, der unsere Schulden aus eigener Tasche begleicht. Der sich die Hände schmutzig macht an unserm Abfall. – Während die halbe Welt Sieger anbetete und Absteiger aus dem Stadion jagte, stellte Karfreitag alles auf den Kopf: Wir glauben dem Gekreuzigten! war das Bekenntnis der Christenheit. Wir salutieren vor dem Müllwerker Gottes. –

Wer glaubt unserer Kunde ? Wie klingt das heute, in Ohren von Menschen, die alle auf Erfolg geeicht sind ? Wie klingt das Gottesknechtslied in Ihren Ohren – Hit-verdächtig ? Oder wie ein Flop ?

III

Jeden Tag kommen Menschen in diese Johanneskirche, setzen sich hier still in die Bank, schauen nach vorn Richtung Apsis, so, dass sie ihn sehen. Diesen Gescheiterten auf dem Scheiterhaufen. Jeden Tag kommen Menschen, setzen sich still in eine Bank und suchen seine Nähe. Lassen ihre Gedanken nach vorne wehen, sprechen mit Gott im Angesicht des Gekreuzigten. Warum ?
Vielleicht tun sie es, weil wir etwas teilen, dieser Christus und wir. Wir scheitern auch. Wir laufen mit dem Müll verdorbener Vorgeschichten herum, versuchen uns als Sorgen-Entsorger, mehr schlecht als recht. Sind Müllwerker in eigener Sache und tragen, was andre uns zu tragen geben. Wir sind Fachleute für das, was zu Bruch geht.  

° Manchmal kommen Examenskandidaten mit ihrer Prüfungsangst in die Johanneskirche und setzen sich vis á vis zum Christus: Ich hab gehört, du kennst dich aus mit Prüfungsangst. Du hättest auch nicht schlafen können, in der Nacht vor deiner Prüfung in Gethsemani. Was soll ich machen, wenn ich durchfalle ? Wie bist du wieder aufgestanden ?... Und plötzlich ist der, der Hölle kennt und daraus auferstanden ist, ein erfahrener Ratgeber.  

° Manche kommen auf dem Stadtbummel herein, betrachten den, der sich das Kreuz andrer auflädt, lange schweigend, und fragen ihn dann: Kennst du eigentlich mein Kreuz ? Du kennst dich doch aus, du weißt wie das ist, wenn die andern einem den schwarzen Peter zuschieben, wenn sie alles, was sie selbst nicht übernehmen wollen, bei dir abladen. Und dir dann vorhalten, dass du - mit ihrer Mülltonne auf dem Buckel - keine gute Figur machst... Und der Christus nickt und sagt leise: Ich weiß, wie das ist, der Sündenbock andrer zu sein.

° Manche kommen in diese Kirche, noch verheiratet, aber ohne Hoffnung. Hatten sich Treue bis zum Tod geschworen und merken, wie die Gemeinschaft zerfällt. Sehen ihren eigenen Anteil am Streit und fürchten, es ist zuviel schon passiert. Und dann schauen sie zu dem Gescheiterten und sagen: Du kennst dich doch aus. Deine Jünger haben doch auch hingeschmissen und sind fortgegangen. Selbst deinen Gott hast du gefragt, warum er dich verlassen hat. Wie habt ihr euch wieder gefunden ? Wie hast du das gemacht, dass die Gemeinschaft auferstanden ist ? ... Und der Christus sagt: Manchmal ist Gott für eine Überraschung gut.

*

Karfreitag ist für die Christenheit ein hoher Feiertag, mit Ostern der höchste Feiertag. Wir arbeiten nicht. Wir lassen keinen Menschen für uns arbeiten, sondern legen die Hände in den Schoß. Nur einer arbeitet heute schwer. Da ist ein armer Teufel zugange, im Durcheinander unseres Lebens, einer, den der Himmel schickt.
Amén
 

[1] Das Evangelium hat sich immer einer bildreichen Sprache bedient. „Vergebung der Sünden“ hieß im Bibelgriechisch des Neuen Testaments afienai twn amartiwn - Aufheben, Wegheben einer Last, nicht unähnlich dem Vorgang, wenn eine Mülltonne mit Muskelkraft angehoben und auf eine Hydraulik gewuchtet wird, die dann die Tonne liftet und kopfüber in den Bauch eines Müllwagens leert.

[2] Zweite gottesdienstliche Lesung MatthEvg 12:15-21

[3] Galaterbrief 3:13 / 5.Mose 21:23.

 

Perikope
18.04.2014
53,1-12

KONFI-IMPULS zu Jesaja 40,26-31 von Gerlinde Feine

KONFI-IMPULS zu Jesaja 40,26-31 von Gerlinde Feine
40,26-31

Gottes „breaking news“

Der Text gehört zur Vorstellungsrede Deuterojesajas, der dem besiegten, verschleppten und um Freiheit und Würde ringenden Volk Israel Trost und große Veränderungen ankündigt. Dafür muss er sich aber erst Gehör verschaffen im Gewirr der Meinungen und Stimmen. Die rhetorischen Fragen in Vv. 27.28 erzeugen den Eindruck einer öffentlichen Rede, in der Beachtung für eine unerhörte Veränderung gesucht wird. Auch wo die Predigt sich auf individuell-seelsorgerliche Aspekte der in der Lutherbibel fettgedruckten Kernstellen V. 29 und V.31a (früher beliebte Konfirmationssprüche!) konzentrieren möchte, lohnt es sich, diesen Zusammenhang in den Blick zu nehmen, damit die großartigen Bilder, die DtrJes der Verzweiflung entgegenstellt, ihre ganze Kraft entfalten können.

Jugendliche im Konfirmandenalter haben in der Regel noch wenig Interesse an tagepolitischen Nachrichten, lassen sich aber für geschichtliche Zusammenhänge begeistern, wenn Parallelen zur Gegenwart gezogen werden können. Darüber, wie ein Volk sich fühlt, wenn es gerade den totalen Zusammenbruch der bestehenden Ordnung erlebt hat, welche Verwirrung herrscht, wenn Nachrichten sich überschlagen und niemand weiß, wie es gut weitergehen kann und ob nach Flucht und Exil jemals wieder so etwas wie persönliches Glück und gemeinsamer Wohlstand möglich wird, kann die Predigt erzählend informieren und auch ältere Predigthörende zu Weiterdenken anregen.

„Weißt du nicht? Hast du nicht gehört?“
Ein einfaches Spiel, das auch als Impuls im Gottesdienst eingesetzt werden kann, erklärt die Bedeutung von „breaking news“: „Überlege dir eine wichtige Mitteilung, die du allen anderen sagen möchtest. Dann geh herum und flüstere sie allen anderen in der Gruppe ins Ohr, so dass am Ende alle Nachrichten bei allen angekommen sind..“
Nach der Murmelphase sagen alle nacheinander laut den einen Satz, den sie am wichtigsten finden. Die wenigen „Meldungen“, die übrig geblieben sind, werden dann mit dem ursprünglichen „Angebot“ verglichen. Es zeigt sich, dass wir Dinge dann wichtig finden, wenn sie
um Leben und Tod gehen
Prominente betreffen (oder den allerbesten Freund / die allerbeste Freundin)
etwas Geheimnisvolles oder Wunderbares an sich haben

„…dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler“
Jugendliche verbinden mit diesem Bild euphorische Momente: „Wie bei der LAN-Party am Ende der Nacht“ – „Wenn man den ‚Zenit der Müdigkeit‘ überschritten hat“ – „wie an Silvester oder beim Konfi-Camp“ – „wenn man irgendwo Wache hält, bei jemandem, der krank ist, zB., oder im Krieg“ – „wenn man zu viel ‚Red Bull‘ getrunken hat“… Für sie hat eine so unerhörte Verheißung etwas leicht Surreales: „Man ist dann irgendwie anders aufmerksam und traut sich viel mehr zu als sonst“.
Der Adler hat dagegen für sie nur als Wappentier und Hoheitszeichen Bedeutung; die Älteren vertraute Symbolik des Schutzes und der Stärke („Adlersfittiche“) sagt ihnen nichts.

„… laufen und nicht matt werden…“
In diesem Frühjahr sind es besonders die Ereignisse in der Ukraine, die die Nachrichten bestimmen und sich parallelisieren lassen. Ihr Echo auf den verschiedenen Kanälen läßt ahnen, wie komplex und verwirrend sich die Lage für die Menschen darstellt, die mitten drin leben und sich für Freiheit und Frieden einsetzen. Auf maidantranslations.com dokumentiert Charis Haska, die Frau des deutschen Auslandspfarrers in Kiew, die Ereignisse aus der „Alltags“-Perspektive. Ihre Blogbeiträge könnten als Konkretionen im Gottesdienst verwendet werden, z.B.: http://maidantranslations.com/2014/03/05/charis-haska-signal-gespeichert/.

 

Perikope
27.04.2014
40,26-31

Gott bleibt da und trägt alle dunklen Tage mit - Predigt zu Jesaja 53,1-12 von Thomas Volk

Gott bleibt da und trägt alle dunklen Tage mit - Predigt zu Jesaja 53,1-12 von Thomas Volk
53,1-12

Gott bleibt da und trägt alle dunklen Tage mit

„Da hätten wir doch drauf kommen müssen!“

So sagen wir, liebe Gemeinde, wenn uns eine Sache erst im Nachhinein aufgegangen ist oder wenn wir erst später gemerkt haben, wie es sich wirklich verhält.

Eigentlich hätte ich doch wissen müssen, dass ich dieser Person nicht vertrauen kann. Wie sehr habe ich mich doch blenden lassen. Wenn ich heute an manche Gespräche denke. Wie bin ich doch so naiv gewesen?

Eigentlich ist die Klausur gar nicht so schwer gewesen. Aber ich habe einfach zu kompliziert gedacht, bin einfach zu hektisch und zu kurzsichtig geblieben. Jetzt wo ich die Lösung weiß, sehe ich die Aufgabenstellung in einem ganz anderen Licht.

Und eigentlich hätte ich schon längst merken müssen, dass etwas mit meinem Körper nicht stimmt. Aber ich habe die Zeichen einfach ignoriert und gedacht, es ist doch bis jetzt auch alles gut gegangen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass meine Schmerzen richtige Alarmsignale gewesen sind.

Manchmal kommen wir wirklich nicht darauf, weil wir zu sehr in unseren eigenen kleinen Gedanken gefangen sind oder weil wir davon ausgehen, dass es keine andere Sicht der Dinge geben kann als unsere eigene.

„Da hätten wir doch drauf kommen müssen!“

So haben auch Menschen über die Person geredet, von der in diesem alten Text die Rede ist. Als sie so sprechen, da ist es schon einige Zeit her, dass sie an seinem Grab gestanden sind.

Damals haben sie noch gedacht: Wer hat ihn schon ernst genommen? Wer hat seinen aberwitzigen Worten Glauben geschenkt? Wer kann man nur so eine absurde Meinung haben? Niemand!

Und wie er ausgeschaut hat? Keine Erscheinung mit der man Wahlen gewinnt.

Er hat so gar nicht zu uns gehört. Es geschieht ihm ganz recht, dass er sein Grab außerhalb unserer Glaubensgemeinschaft bekommt, draußen bei den Gottlosen.

Aber später ist ihnen nach und nach aufgegangen: Er hatte Recht. Und wie! Wir konnten einfach nicht glauben, dass seine Worte gelten. Wer konnte schon darauf kommen, dass der Sturz der großen Weltmacht Babylon bevorsteht? Und dass Gott mit uns, nach der großen Katastrophe, fern der Heimat, einen neuen Anfang machen möchte?

Und wir hatten unsere ganze Enttäuschung darüber, dass wir unser Hab und Gut verloren haben und wir in der Fremde einfach nicht heimisch werden, an ihm herausgelassen, so wie man sich in der Klasse einen aussucht, an dem man alle Ernüchterung ablädt oder im Ort über den herzieht, der andere Ideen und eine andere Meinung hat.

Wir haben ihm sogar noch so übel mitgespielt, dass er krank geworden ist. Und dabei hat er uns mit seiner Hoffnung, dass Gott auch in allen Umbrüchen und Veränderungen da ist und da bleibt, Mut gemacht, durchzuhalten. Und mit ihm hat ja auch tatsächlich schon etwas von dieser vorausgesagten Zukunft begonnen. Aber wir haben es einfach nicht begriffen.

Jetzt unerklärlich, dass der, der da draußen liegt und dessen Grab man schon gar nicht mehr ausmachen kann, so behandelt, so abgelehnt und so verachtet wurde.

„Da hätten wir doch drauf kommen müssen!“

So haben die ersten Christen gedacht, als sie nach einiger Zeit auf diesen schlimmen Karfreitag zurückgeschaut haben.

Damals haben sie noch nicht verstanden und nur gedacht: Unfassbar. Wir finden einfach keine Worte für das, was passiert ist. Zu welchen Ausmaßen von Gewalt doch Menschen fähig sind. Und keiner schreitet ein, stoppt diesen Wahnsinn.

Weil diese letzten Tage Jesu in Jerusalem so unwirklich gewesen sind, haben sie nach einem Grund gesucht. So wie man heute auch bei Ereignissen, die einfach keinen Sinn ergeben, grübelt, weil man sie einfach nicht so stehen lassen kann und möchte. Und weil man alles Sinnlose nur schwer aushalten kann, sagt man: „Naja, für irgendwas wird es schon gut gewesen sein.“ Aber ein echter Trost ist das nicht.

Auch der Tod Jesu muss doch für etwas gut gewesen sein. Viele haben es nicht ausgehalten, dass es am Ende so schlimm gekommen ist. Das kann doch nicht sein, dass das Leben von dem, der doch so gut gewesen ist und den Menschen so unmittelbar von Gott erzählt hat, so schrecklich geendet hat.

Es ist für die Geschichte des Christentums wegweisend geworden, dass man nach dem Tod Jesu nach möglichen Hinweisen gesucht hat. Und man ist auch auf Antworten gekommen. Eine davon haben sie in diesem alten Text aus dem Buch des Propheten Jesaja gefunden, wo von einer Person ist, von der man eigentlich gar nichts weiß, außer dass sie von diesem Neubeginn Gottes mit seinen Menschen gesprochen und keiner ihr zu deren Lebzeiten Glauben geschenkt hat.

Genau dort, vor mehr als 500 Jahren, ist schon beschrieben, wie sie es jetzt mit Jesus gemacht haben. Schon damals soviel Unrecht an einem, bei dem man kein Unrecht entdecken konnte.

Und eigentlich hätten wir dieses schlimme Ende, das Jesus erlitten hat, verdient, weil wir irgendwie doch auch mitgeholfen haben, dass er nicht mehr bei uns ist. Eigentlich hätte es mit uns so enden müssen, weil wir ihm nicht geglaubt haben, weil wir uns auf und davon gemacht haben, zu feige gewesen sind und weil wir allem schlimmen Treiben nicht Einhalt geboten haben.

Um die Gedankengänge von damals zu verstehen, muss man wissen, dass es zu dieser Zeit gängige Auffassung gewesen ist, dass das Böse durch Blut aus der Welt geschafft wird. Das war bei den alten Griechen nicht anders als bei irgendwelchen Völkern anderer Erdteile. Auch im Alten Bund Israels ist es so gewesen.

Dazu ist jedes Jahr das Volk am "Jom Kippur", am großen Versöhnungstag zusammengekommen. Der Hohepriester hat ein Tier geschlachtet, ist in das Heiligtum gegangen und hat gesagt: "Ja, Gott, das Maß ist wieder voll. Sieh dieses Opfer gnädig an und gib uns einen Neuanfang mit dir zu leben." Und danach hat er einen Ziegenbock genommen, hat ihm die Hand aufgelegt und hat gesprochen: "Alles Böse lege ich auf dich drauf." So hat er ihn zum Sündenbock gemacht und hat ihn hinausgejagt aus der Stadt. Das Böse ist raus aus der menschlichen Gemeinschaft.

Die Menschen haben sich gefragt: Ist es beim Tod Jesu nicht ebenso gewesen? Und heißt es nicht im Buch des Propheten Jesaja: „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt“ (V.5). Einer leidet und stirbt für andere, nimmt somit alle Schuld auf sich und schafft damit das Böse aus der Welt. Und alles ist wieder gut.

Liebe Gemeinde, alle Erklärungen und Deutungen haben auch ihre Zeit. Und man muss immer wieder neu drauf kommen, wie man heute verantwortlich von dem, was damals am Karfreitag geschehen ist, sprechen kann.

Denn gerade diese Deutung von dem stellvertretenden Leiden und Sterben hat auch eine fatale Wirkungsgeschichte in Gang gesetzt.

Nicht nur das Leiden und Sterben Jesu hat man so verstanden: Jesus musste sterben, weil die anderen so schlecht sind. Man hat auch noch so gesagt: „Du und deine Sünden haben Jesus ans Kreuz gebracht.“ So wurde über Jahrhunderte Konfirmanden und Schüler vorgehalten. Zu Recht fragen sie heute: Warum soll ich für etwas verantwortlich sein, was vor hunderten vor Jahren geschehen ist? Und die von der Kirche sind ja auch nicht besser. Nicht nur die Missbrauchsfälle, die in den vergangenen Jahren aufgedeckt worden sind, machen deutlich, dass wir viel behutsamer und viel feinfühliger mit der Schuldfrage umgehen müssen.

Ich glaube nicht, dass man heute noch so von Gott sprechen kann, dass er - man kann es umschreiben, wie man möchte - in irgendeiner Form mit Blut besänftigt werden muss. Wie soll man in Hospizen oder bei Trauergesprächen, in denen es um einen vorzeitigen Abschied geht, einen Gott nahe bringen, dem die Menschen zwar am Herzen liegen, der aber bewusst und willentlich den Tod seines eigenen Sohnes in Kauf nimmt? Und was würde der Glaube an einen Gott, der zwar die Menschen liebt, aber den eigenen Sohn grausam dahingibt, auch für einen Trost geben? Wer könnte da sicher sein, ob er Gott auch wirklich recht ist oder ob Gott irgendwann doch genug mit einem hat?

Alle, die sagen, dieses Sterben ist ein göttlicher Plan gewesen, vergessen, dass das grausame Sterben am Kreuz Menschen besorgt haben und nicht Gott. Ich bin mir sicher: Gott hätte diesen Tod nicht gebraucht.

Denn Jesus hat schon längst mit seinem Leben gezeigt, dass er auf der Seite der Menschen steht. Mit seiner Zuwendung zu all den Mühseligen und Beladenen, die ohne Hoffnung sind und an ihrem Leben leiden, hat Jesus längst deutlich gemacht: Es ist Gottes großes Bedürfnis, dass Menschen wieder den Mut bekommen, den sie brauchen.

Und die Tatsache, dass Jesus sich mit all den Gestrandeten zusammengesetzt, gegessen und gefeiert hat, macht deutlich, dass es einfach Gottes unabdingbarer Wille ist, Menschen trotz all ihrer Schwächen zu fördern und nicht ständig aufzurechnen oder vorzuhalten, was sie wieder alles nicht geschafft haben und deshalb mit dem dicken Ende zu drohen.

Der Tod Jesu am Kreuz ist die unausweichliche Folge seines Lebens und seiner Zu-wendung zu den Armen und Schwachen gewesen. Dass Jesus auf sie zugegangen ist, war mehr als ein Hinweis, dass sie Gott recht sind.

Man ist auch erst später drauf gekommen, dass Jesus weg musste, weil er die religiös Verantwortlichen einfach gestört hat: Er hat es gewagt den gängigen religiösen Tempelbetrieb in der Hauptstadt Jerusalem zu kritisieren. Und viele haben es nicht ertragen, dass er so unmittelbar von Gott gesprochen hat, dass auch die Armen und die, die immer wieder an den religiösen Forderungen scheitern, sich angenommen fühlen konnten. Nicht mit dem Hinweis auf das Einhalten von Gesetzen und Vorschriften kann man die Menschen ändern, sondern indem man ihnen eine Welt vorlebt, in der man sich wie zu Hause empfinden kann.

Liebe Gemeinde, auf welche Zusammenhänge man kommt oder nicht. Der Karfreitag geht nicht auf. Niemand kommt ganz darauf, warum er damals so und nicht anders abgelaufen ist. Und keiner kann diesen schweren Tag mit einer schlüssigen Logik erschließen. Auf alle Fälle glaube ich nicht daran, dass am Karfreitag ein göttliches Schauspiel inszeniert worden ist, das sagt: Jemand musste sterben werden, damit andere leben.

Wer Bilder von den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Kiew oder Kairo im Blick hat, in denen Menschen, die friedlich für bessere Zustände eintreten und dann ins Zielfeuer von Scharfschützen genommen werden, kann nicht damit Hof halten, dass Gott irgendeine Form von stellvertretendem Leiden gut heißen kann.

Was für mich von dem alten Bericht aus dem Buch des Propheten Jesaja, der so viele Kreise gezogen hat und so viele Pfarrerinnen und Pfarrer unterschiedlicher Generationen angeregt hat, bleibt: Gott ist da und er bleibt da, wenn jemand etwas Schlimmes erleiden muss. Er geht alle Wege mit, auch die ganz dunklen und bitteren. Er trägt „unsre Krankheit“ und lädt auf sich „unsre Schmerzen“ (V.4a). Und es ist auch sein Leid, wenn etwas ganz anders verläuft, als gedacht, wenn jemand vorzeitig gehen muss oder wenn etwas passiert, was niemand auf der Rechnung hatte.

Gott ist alle Wege dieser unbekannten Person, von der unser Schriftwort erzählt, mitgegangen, die nicht mehr erleben konnte, wie andere froh geworden sind. Die auch nicht mehr daran teilnehmen konnte, wie sie in ihre Heimat gezogen sind, wie es ein Wiedersehen mit den Familien gegeben hat. Nach all dem, wie sie sich eingesetzt hat und wie sie die Hoffnung aufrecht gehalten hat, hätte sie es verdient gehabt, diesen Neubeginn mitzuerleben.

Gott hat auch diesen schlimmen Karfreitag mitausgehalten und hat sich nicht aus der Welt drängen lassen. Er ist geblieben und hat allem Bösen standgehalten und ein Gegengewicht gesetzt. Erst nach Ostern ist man darauf gekommen.

Und auch all unsere Tage, die uns wie ein Karfreitag vorkommen, sind Zeiten, an denen Gott bei uns ist und bleibt, auch wenn wir vielleicht erst später Spuren seiner Gegenwart erkennen.

Und der Gott, der nicht von unserer Seite weicht, möge all unsere Hoffnungen und alle Zuversicht, die sich gerade an dunklen Tagen durchscheint, bewahren.

Amen.

Perikope
18.04.2014
53,1-12

Durch seine Wunden sind wir geheilt - Predigt zu Jesaja 52,13-53,12 von Mira Stare

Durch seine Wunden sind wir geheilt - Predigt zu Jesaja 52,13-53,12 von Mira Stare
52,13-53,12

Durch seine Wunden sind wir geheilt

Liebe Glaubende,

wir begehen heute den Karfreitag und gedenken des Sterbens und des Kreuzestodes unseres Herrn Jesus Christus. Die Schriftlesung führt uns jedoch zuerst zu einer besonderen Gestalt, nämlich zum Gottesknecht. Über ihn haben wir ein Lied gehört. Das ist das vierte Gottesknechtlied im Jesajabuch.
Mit den Worten Gottes beginnt das Lied:
         „Seht, mein Knecht hat Erfolg,
         er wird groß sein und hoch erhaben.“ (Jes 52,13)
Man ist nun auf den Erfolgsbericht gespannt. Die anschließenden Worte Gottes machen jedoch den Erfolg wie auch die Gestalt des Gottesknechtes geheimnis- und spannungsvoller. Denn Gott sagt über ihn:
         „Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus,
         nicht mehr wie ein Mensch,
         seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen.
         Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen,
         Könige müssen vor ihm verstummen.
         Denn was man ihnen noch nie erzählt hat, das sehen sie nun;
         was sie niemals hörten, das erfahren sie jetzt. (Jes 52,14-15)
Auf der einen Seite ist der Gottesknecht so entstellt, dass er nicht mehr wie ein Mensch ausschaut, und löst er die Entsetzung aus. Auf der anderen Seite bringt ausgerechnet er viele Völker und Könige zum Staunen und zu einer bisher nie erfahrenen Wirklichkeit.
Interessiert an diesem Novum, das der Gottesknecht mit sich bringt, stoßen wir noch auf weitere Kontraste. Nicht der Grund für das Staunen wird zuerst genannt. Umgekehrt, an ihm und seiner Gestalt wird weder Schönheit wahrgenommen noch findet man Gefallen an ihm. Er wird nicht geschätzt und wird sogar von den Menschen verachtet und gemieden. Mit Schmerzen und Krankheiten ist er vertraut.
Schritt für Schritt vergrößern sich die Lasten und die Leiden, die der Gottesknecht trägt. Gleichzeitig wird wiederholt gesagt, dass er sie stellvertretend für andere Menschen trägt. So wird behauptet:
         „Aber er hat unsere Krankheit getragen
         und unsere Schmerzen auf sich geladen ...
         Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen,
         wegen unserer Sünden zermalmt.
         Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm,
         durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,4-5)
Dass jemand für andere so ein Leidensschicksal auf sich nimmt, ist ein Novum und löst das Staunen aus. Es ist unglaublich, ja fast unmöglich, dass er auf die ganze Gewalt, die ihm angetan wird, völlig gewaltlos reagiert.
         „Er wurde misshandelt und niedergedrückt,
         aber er tat seinen Mund nicht auf.
         Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt,
         und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer,
         so tat auch er seinen Mund nicht auf.“ (Jes 53,7)
Schließlich nimmt er für andere Menschen auch den gewaltsamen Tod und ein Grab bei den Verbrechern auf sich. Mit dem Tod und dem Grab kommt jedoch das vierte Gottesknechtlied noch nicht zu einem Ende. Nun handelt Gott selbst an seinem Knecht und redet über ihn. Er hat Gefallen an ihm, rettet ihn und schenkt ihm langes Leben. Der Gottesknecht erblickt das Licht. Er bekommt seinen Anteil bei Gott. Nicht der Tod, sondern Gott mit seiner Gabe des Lebens und des Lichtes hat das letzte Wort.

Wer ist der Gottesknecht? Bezieht sich er auf einen einzelnen Menschen oder auf ein Kollektiv, wie dies das Volk Israel ist? Es gibt verschiedene Deutungen. Für die Christen steht der Gottesknecht von Anfang an mit Jesus Christus in Verbindung, denn er erinnert an die Art und die Weise des Lebens und des Leidensweges Jesu. Bereits im Neuen Testament wird dieses Lied wiederaufgenommen und zitiert. So liest in der Apostelgeschichte (Apg 8,26-40) ein Äthiopier dieses Lied vom Gottesknecht aus dem Jesajabuch. Philippus fragt ihm: „Verstehst du auch, was du liest?“ Der Äthiopier bittet Philippus, ihm zu sagen, von wem der Prophet erzählt? Philippus beginnt zu reden und ausgehend von diesem Schriftwort verkündet er ihm das Evangelium von Jesus. Der Äthiopier lässt sich anschließend taufen und wird selber zum Verkünder Jesu und seines Evangeliums. Auch der 1. Petrusbrief ruft mit diesem Gottesknechtlied zur Nachfolge Jesu auf und erkennt im Gottesknecht Jesus selbst:
„Dazu seid ihr berufen worden;
denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt.
         Er hat keine Sünde begangen,
und in seinem Mund war kein trügerisches Wort.
         Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht;
er litt, drohte aber nicht,
sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter.
Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben.
Durch seine Wunden seid ihr geheilt.“ (1 Petr 2,21-24)

Liebe Glaubende, wir verehren heute unseren Herrn Jesus Christus am Kreuz. Was sehen und erkennen wir? Den Gottesknecht, den Sohn Gottes, der auch uns seine Liebe bis zur letzten Konsequenz in der Haltung der Gewaltlosigkeit schenkt. Was bewirken seine Wunden in uns? Was löst seine Hingabe für uns in uns aus? Die Liebe Jesu und der Blick des Gekreuzigten mögen uns begleiten und uns aus unseren Ängsten befreien und unsere Wunden heilen. Dankbar können wir uns vor ihm beugen, der an uns denkt und sich für uns und die ganze Welt hingegeben hat.
„Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.“ Amen.

 

Perikope
18.04.2014
52,13-53,12

Predigt zu Jesaja 53,1-12 von Peter Schuchardt

Predigt zu Jesaja 53,1-12 von Peter Schuchardt
53,1-12

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir feiern den Karfreitag. Aber können wir so eine Tag feiern? Wir feiern den heruntergekommen Gott. Ist das ein Grund zum Feiern? Wir erinnern uns, wie Jesus am Kreuz stirbt. Es ist zuallererst ein Tag der Trauer. Ein Tag, den die Farbe Schwarz beherrscht. Ein Tag, der Bilder in uns wachruft. Bilder der Kreuzigung. Bilder des Leidens Jesu. Bilder bedeutender Maler. Szene aus Filmen und aus dem Fernsehen. Mancher von euch kennt den Film „Die Passion Christi“ von Mel Gibson. Vor Jahren hat er für große Aufregung und viele Diskussionen gesorgt. So viel Leiden gab es da zu sehen. So viel Blut, so viel Schmerz. Ich denke, er hat auch gerade darum so verstört, weil wir uns an andere Bilder gewöhnt haben. Die Bilder von Leid, Blut und Schmerz wollen wir nicht sehen. Wir haben uns  an das Kreuz in unseren Kirchen gewöhnt. Erkennen wir noch, ahnen wir noch das Leid, den Schmerz, der in dem Kreuz steckt? Wir haben oft Bilder von Christus im Kopf. Sie zeigen uns den friedlichen, sanften Heiland, den Wohltäter, den Guten Hirten. Wir sehen ihn mit langem Gewand und mit wallenden Haaren und bedenken nicht: Dieses Bild ist von der Malerei geformt worden, von den Nazarenern im 19. Jahrhundert. Bis heute bestimmt es unser Denken. Achtet einmal auf das Bild, das in der Werbung, im Fernsehen, in so vielen Jesus-Satiren in den Comedy-Shows zuhauf auftaucht. Es ist dieser immer gleiche, leicht dämliche, stets lächelnde Jesus, der mit uns nichts mehr zu tun hat, der als Witzfigur belächelt wird.

Heute, am Karfreitag, aber geht es um sein Leiden, seine Schmerzen, seinen Tod – und es geht um uns. Darum steht heute ein Abschnitt aus dem Propheten Jesaja im Mittelpunkt. Es ist ein Lied, ein Lied über den Knecht Gottes, aus dem Kapitel 53:
1Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart?
2Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
3Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.
4Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
5Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.
6Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
7Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.
8Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war.
9Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.
10So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit.
Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen.
11Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden.
12Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.


Liebe Schwestern und Brüder, dieser Text ist alt, viel älter als das Neue Testament. Niemand weiß genau, von wem dieses Lied handelt. Ist es das Volk Israel, das in der damaligen Zeit im Exil sitzt? Ist es der Prophet selbst? Auf diese Fragen erhalten wir keine Antwort. Aber auf eine andere Frage bietet uns der Text eine Antwort: Wer ist Jesus Christus? Seine Jünger, die ihn begleitet haben, die Menschen, die er begeistert, geheilt und mit seinen Worten aufgerüttelt hat, sie fragen immer wieder: Wer ist das? Die Fragen werden größer und drängender, als Jesus in Jerusalem einzieht. Die Fragen werden schmerzlich und fassungslos, als Jesus am Kreuz stirbt. Wer ist Jesus Christus? Die Jünger, die Menschen in Israel kennen die Schrift. Sie kennen das Lied vom Knecht Gottes. Und sie erkennen: Jesus ist wie dieser Knecht. Jesus ist der Knecht Gottes, der für uns leidet und stirbt. Und so steht heute, am Karfreitag, dieses Lied im Mittelpunkt. Es soll uns helfen zu verstehen, was mit Christus am Kreuz geschieht, warum er stirbt.

Aber dieses Lied ist voller verstörender Bilder. Es will uns von aller Gewöhnung ans Kreuz freimachen. Es will uns die Augen und das Herz freimachen für das, was da geschieht. Denn das Lied besingt nicht den freundlichen Guten Hirten. Dieser Knecht Gottes ist eine erbärmliche Gestalt, der Allerverachtetste  und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Das ist kein hoheitsvoller Jesus, der mit Würde am Kreuz stirbt. Das ist ein zerschlagener und geplagter Mensch. „Da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte“, heißt es in dem Lied. Wir haben uns an das Kreuz und das Sterben Jesu gewöhnt – und wie schnell gewöhnen wir uns an das Sterben in den Kriegsgebieten unserer Tage! Mit seinen Bildern aber stört das Lied vom Knecht Gottes unsere Gewöhnung. Was für eine heruntergekommene Gestalt hängt da am Kreuz! Und es geht noch tiefer. Denn in Christus kommt Gott zu uns. Er selbst, der Schöpfer der Welt, gibt sich in das Leiden, die Verachtung, den Tod. An was für einen heruntergekommenen Gott glauben wir eigentlich! Der Karfreitag ist ja darum ein so wichtiger Feiertag, weil er uns den Grund unseres Lebens zeigt, einen doppelten Grund. Der eine ist: In allen menschlichen Abgründen, in allem, wo wir heruntergekommen, gestürzt und verloren sind, ist Gott an unserer Seite. Und dafür geht Gott in Christus den Weg in tiefste Verachtung und Ablehnung. „Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg.“ Der andere: Das Lied will uns mit seinen Bildern nicht nur verstören, es will uns auch den Blick öffnen für das Warum. Warum ist Gott so heruntergekommen? Und die Antwort ist: Weil es ihm um uns geht. Es geht ihm um uns, weil wir so heruntergekommen, unansehnlich, verachtet sind. Wir meinen, das sind wir nicht? Oder ist es so: Wir wollen es nicht sein!? Und wenn wir das sind, dann tun wir alles, um das zu verstecken, um den Schein zu wahren. Ein jeder sieht auf seinen Weg. Ein jeder hat nur sich selbst im Blick. Wir vertrauen nur auf uns selbst. Wir sind doch gut, und wenn etwas mal nicht klappt, wir schuldig werden, dann ist es eben ein Ausrutscher auf unserem Weg. Denn wir haben doch, meinen wir,  eigentlich so viel vorzuweisen. Unsere Leistungen, unser Konto, unser Ansehen, alle unsere guten Taten. Und wir hängen der fixen Idee an, wir könnten Gott mit unseren Erfolgen und unserem Leisten beeindrucken. Ja, wir meinen, Gott sei doch mit denen, die genau das vorzeigen können: die besten Noten, das meiste Geld, das beste Leben. Wir hängen an dieser fixen Idee, Gott sei in unseren Guttaten bei uns. Meinen, Gott sei uns in unseren Abgründen fern. Das Gegenteil ist wahr.

Aber neben den verstörenden Bildern von dem unansehnlichen, abstoßenden Knecht Gottes sind es die Worte, die uns verstören. Worte, die unsere Ruhe und unsere Selbstsicherheit stören. Denn der Knecht Gottes, Jesus, so deuten es die Jünger, sieht nicht auf sich selbst. Er sieht auf Gott. Und das heißt: Er vertraut nicht auf sich, er vertraut auf Gott. Und darum kann er uns sehen, wie wir sind, verstrickt in alles, was wir sein wollen und nicht sind, was wir vorspielen und niemals sein werden, was uns belastet und bedrängt und die Kraft raubt. Er sieht auf unser selbstgemachtes zerbrechliches Glück. Und nun kann es uns so gehen wie den Menschen im Lied aus vom Gottesknecht. Wir erkennen: Er leidet ja für uns! Er nimmt das alles, Hohn und Spott, Verachtung und Schmach, Tod und Grab auf sich, allein für uns, ohne eigene Schuld. Unsere Krankheit und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen. „Die Strafe Gottes liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Sofort werden einige einwenden: das geht doch gar nicht. Da kann sich doch keiner für uns opfern. Wenn wir schuldig sind, dann müssen wir das auch verantworten. Kann denn ein anderer für uns Schuld und Strafe tragen? Ja. Aus Verantwortung und aus Liebe. „Eltern haften für ihre Kinder“, lesen wir an jeder Baustelle. Und hier, vor den Trümmern unseres Lebens, ist es unser himmlischer Vater, der für uns haftet, der zu uns in unser Leben herunterkommt, sich selbst in seinem Sohn am Kreuz hingibt. Weil er uns liebt.

Eine verstörende Botschaft, eine Botschaft, die unsere Sicherheiten stört und zerstört. Denn sie sagt: Es ist notwendig, dass wir gerettet werden. Wir können es nicht allein. Und zugleich eine heilende Botschaft. Die heilende Botschaft für uns: Gott liebt uns so sehr, dass er uns daraus retten will. So gibt er sich für uns aus Liebe in Leid und Schuld und Tod. Alle Bilder von Jesus, die wir in uns tragen, sind zusammengefasst in dem einen: Christus, Gottes Sohn, Gott selbst am Kreuz. Für uns.

Wir feiern den Karfreitag. Können wir das überhaupt feiern? Ja. Mit einem Herzen, das auf unseren Gott am Kreuz sieht. Was ist das nur für ein heruntergekommener Gott, an den wir glauben! Gott sei Dank. Amen
 

Perikope
18.04.2014
53,1-12

Predigt zu Jesaja 52,13-53,12 von Angelika Volkmann

Predigt zu Jesaja 52,13-53,12 von Angelika Volkmann
52,13-53,12

Ein Lied von dem, der mit seinem Leben für andere einsteht

Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, so wird er viele Heiden in Staunen setzen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken.

Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit.

Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.

Liebe Gemeinde,

Karfreitag. Der dunkelste Tag im Kirchenjahr. Der Tag, an dem wir in besonderer  Weise unser Augenmerk auf das Leiden legen. Das Leiden von Menschen, die uns wichtig sind, das große Leiden von Vielen in der Welt, das Leiden im eigenen Leben. Karfreitag. Der Tag, an dem wir auf das Leiden und Sterben Jesu Christi schauen. Auf manche Fragen gibt es keine Antwort. Nicht jedes Leiden hat einen Sinn. Doch ist es möglich, so bezeugen es viele, durch den Blick auf das Leiden Christi  zu erleben, dass Christus unser Leiden teilt. Er ist uns tief verbunden, tröstet uns und vermittelt uns neue Hoffnung.

Das Leiden Jesu Christi, auf das wir heute schauen, entzieht sich dem vollkommenen Verstehen. Es bleibt ein Stück weit Geheimnis. Es entzieht sich vor allem dem Versuch, es in eine einfache dogmatische Gleichung zu pressen, so in der Art: Weil der Mensch gesündigt hat, will Gott zu Besänftigung ein Opfer, darum straft er seinen Sohn stellvertretend, um den Menschen vergeben zu können. Die Evangelien und auch das Gottesknechtslied sind meilenweit entfernt von einer solchen Haltung. Hier ist nirgends von einem strafenden Vater die Rede.

Das Leiden und Sterben Jesu war für seine Anhänger schwer zu verstehen. Nach seiner Auferstehung rangen sie darum, all diese Geschehnisse zu verkraften. Warum war Jesus so entwürdigt worden? Was konnten sie dieser Schmach entgegensetzen?  Wozu der Spott, die Gewalt, die Schmerzen? In den Gottesknechtsliedern des Propheten Jesaja fanden sie hilfreiche Einsichten. So kommt es, dass in den Evangelien das Leben Jesu im Anklang an die Gottesknechtslieder erzählt wird, ohne dass die Evangelien diese Lieder in Besitz nehmen. Die Gottesknechtslieder haben ihre eigene Botschaft schon längst vor Jesus Christus.

Wer ist der Gottesknecht?

Der Gottesknecht ist nicht der verheißene Messias. Es ist eine Gestalt, über die nach ihrem Tod gesprochen wird.  Es könnte der Prophet selber sein. Manchmal ist auch Mose darin gesehen worden. In späterer Zeit hat sich das ganze Volk Israel in dieser Gestalt erkannt. Viele Deutungen sind möglich.

Aufgabe des Gottesknechtes ist es, das Licht der Völker zu sein und ihnen die Tora und die Gerechtigkeit zu bringen. Eine große Aufgabe.

Das Wunderbare an diesem geheimnisvollen Lied, das absolut Tröstliche und oft Übersehene ist sein Anfang. Quasi die Überschrift. Am Anfang spricht Gott selber (V 13). Gott sagt: „Siehe, meinem Knecht wird’s gelingen, er wird erhöht und hoch erhaben sein.  Wie viele sich über ihn entsetzten … so wird er viele Heiden in Staunen setzen.“
Dass dieser Knecht unbeschreibliche Leiden durchlebt und die Menschen sich voller Abscheu von ihm abwenden, sagt nichts aus über das Wunderbare, das er bewirkt und sagt nichts aus über sein Ende.

Dann redet im Lied eine Gruppe von Menschen. „Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde?“ Sie beschreiben den Gottesknecht  von Geburt an bis zu seinem Tod.  Er wuchs auf wie eine Wurzel aus dürrer Erde.  Keine Gestalt hatte er, keinen Glanz, dass wir ihn gerne angeschaut hätten. Verachtet war er, von den Menschen nicht mehr als Mensch angesehen. Ein Mensch der Schmerzen war er, vertraut mit Krankheit, wie jemand, vor dem man sein Gesicht verbirgt, so verachtet war er, wir hielten ihn für nichts.

Dann schildern sie die jähe Erkenntnis, die sie später gewonnen haben, im Rückblick  auf die Ereignisse. Er hat unsere Krankheiten getragen! Er hat unsere Schmerzen auf sich geladen! Wir hielten ihn für einen, den Gott geschlagen hatte – aber das stimmt nicht! Wegen unserer Vergehen war er durchbohrt. Er hat unser Schicksal auf sich genommen, damit es uns gut geht, damit wir Frieden finden.

Und dann singen sie davon, wie der Gottesknecht sich beugte wie ein Lamm, dass er seinen Mund nicht auftat, sich nicht wehrte. Dass er schändlich begraben wurde bei den Übeltätern. Und sie enden mit der unvermuteten Einsicht, dass Gott an ihm Gefallen hatte, an ihm, der von Krankheit geschlagen war, an ihm, der sein Leben zur Schuldtilgung einsetzte. Er wird Nachkommen haben und leben! Was dem Ewigen gefällt, wird durch die Hand des Knechtes gelingen!

Am Ende des Liedes ist wieder Gottes Stimme zu hören, der über seinen Knecht sagt: Er wird die Vielen gerecht machen, denn ihre Verschuldung lud er auf sich und er trat ein für die Übeltäter.

Was also tut er Gottesknecht?

Aktiv übernimmt er einen Weg, den andere hätten gehen sollen. Willentlich übernimmt er ein Schicksal, das andere hätten erleiden sollen. Er tritt für sie ein. Er übernimmt Verantwortung für ihre Taten. Er trägt die Konsequenzen – damit sie verschont bleiben. Es ist ihm gelungen!

Er ist Knecht. Er ist kein strahlender Held. Er ist kein Opfer, das Gott verlangt. Freiwillig übernimmt er für andere Haftung und Verantwortung, um Böses von ihnen abzuwenden.

Diese anderen erkennen das schließlich voller Ergriffenheit. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe!  Welch ein großes Geschenk ist es, dass der Gottesknecht für uns einsteht und uns geholfen hat, dass er unser Leiden übernommen, unsere Verantwortung getragen hat.

Jener Knecht war dazu bereit, an die Stelle der anderen zu treten. Das ist ein unglaubliches Geheimnis. Es erinnert uns an das Wort Jesu im Johannesevangelium: Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für die Freunde.“  (15,13)

Liebe Gemeinde,

davon leben wir.

Mehr als von vielen anderen Gütern leben wir davon, dass jemand, wenn es darauf ankommt, zu uns hält. Dass jemand ganz konkret hilft.

Wo haben wir das schon erlebt?
Wir werden an manche Menschen denken, denen wir viel verdanken.

Wir werden an die denken, die für ihre Mitmenschen voll und ganz eingestanden sind im Laufe der Geschichte.  Voller Respekt sei hier erinnert an viele Märtyrer, die tatsächlich ihr Leben gegeben haben, wie Martin Luther King, Oscar Romero, Mahatma Gandhi, Maximilian Kolbe, Janusz Korczak, Dietrich Bonhoeffer und viele andere.
Und ich möchte auch an all die vielen „kleinen Leute“ erinnern, die nicht berühmt wurden und werden: die Feuerwehrmänner in den Twin Towers am 11.9.2001, die vielen das Leben retteten und selber umkamen. Die Lehrerin, die sich beim Amoklauf vor ihre Schüler stellte und erschossen wurde, die Ehefrau, die keine Mühe scheut, ihren todkranken Mann zuhause zu pflegen bis er stirbt, die Tochter, die ihre demenzkranke Mutter versorgt und seit Jahren auf viele eigene Bedürfnisse in ihrer Lebensgestaltung verzichtet, den Bruder, der seinem arbeitslos gewordenen Bruder einfach mal eine größere Rechnung bezahlt ohne Rückforderung, die jungen Freiwilligen, die jedes Jahr in die armen Länder der Erde reisen, um mit den Menschen dort ihr Leben zu teilen und sich einzusetzen. Und viele mehr.

Davon lebt unsere Familie, unsere Gesellschaft, unsere weltweite Gemeinschaft, dass Menschen selbstlos füreinander einstehen, dass sie Verantwortung füreinander übernehmen, die Lasten der anderen tragen.

Wenn Menschen so etwas tun, gefällt das Gott. Ein Mensch, der so handelt, setzt sich voll und ganz für die Sache Gottes ein. Und wenn er noch so von anderen verachtet und ausgelacht wird. Er ist ein Mensch Gottes. Er ist einer, der wirklich lebt, weil er voller Liebe zu seinem Nächsten handelt. Weil er in tiefer Verbundenheit mit anderen diesen Leben ermöglicht hat. Gott steht zu ihm. Gott anerkennt ihn. Gott lobt ihn. So singt es das alte Lied. Gott rehabilitiert ihn.

So können wir auch Jesus sehen. Er hatte eingewilligt in diesen Weg. Er war ein leidender Gerechter, der dieses Leid für andere auf sich genommen hat – im tiefsten Gottvertrauen – und in der Erwartung, dass er zur Rechten Gottes sitzen würde und von dort wieder kommen würde, um Gerechtigkeit herzustellen.

Liebe Gemeinde, worunter oder mit wem auch immer wir leiden – wir können den Blick des Gekreuzigten suchen und seine ausgebreiteten Arme sehen, die uns sagen: ich sehe dich. Ich leide mit dir und für dich. Ich kenne deinen Schmerz und ich bin dir verbunden. Du bist in meiner Liebe und Gott wird am Ende alles gut machen. Und wenn du willst und kannst, dann lass auch du dich in Dienst nehmen von Gott und setze dich für andere ein ohne Furcht. Denn du hast Anteil an meinem Weg und auch dein Leben ist in Gott geborgen.

Amen.

 

Viele Gedanken zum Verständnis des Gottesknechtes verdanke ich der Predigtmeditation von Klaus Müller, Karfreitag:  Jes (52,13-15) 53,1-12, Gottes Knecht – gelebte Solidarität bis zum Tode, erschienen in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, Zur Perikopenreihe VI, Herausgegeben von Studium in Israel e.V., Wernsbach 2007, S.146-151.

 

Perikope
18.04.2014
52,13-53,12