Von der Wahrheit und ihrer Leugnung - Predigt zu Johannes 5, 39-47 von Ralf Hoburg
Es gibt die alte Volksweisheit: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Ob diese Skepsis dem Menschen, der wissentlich oder unwissentlich nicht die Wahrheit sagt, immer gerecht wird oder ob es auch Situationen für sogenannte Notlügen gibt, bleibt der Phantasie des Lesenden und der Deutung der jeweiligen Situation überlassen. Aber existiert auch die Umdrehung dieser Volksweisheit, nämlich dass demjenigen, der die Wahrheit spricht, oft kein Vertrauen und Glauben entgegen gebracht wird? Die Weltgeschichte kennt Beispiele dafür, dass die Wahrheit – weil sie so unfassbar und unwahrscheinlich klingt – nicht geglaubt wird! Dieses Phänomen fällt wohl in den Bereich der „Prophezeiungen“, deren Beweis in der Zukunft liegt.
Wer die Wahrheit dann ausspricht, der wird von den Anderen gescholten, verschmäht oder gar für verrückt erklärt. Denn oftmals verfährt die Mehrheitsmeinung nach der Devise und Lebensweisheit: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“. Die Propheten des Alten Testamentes sprachen die Wahrheit aus, dass JHWE das Gericht über das Volk Israel ergehen lässt. (Jes. 8) Der Reformator Martin Luther sprach die Wahrheit aus, dass der Ablasshandel nicht der Hlg. Schrift entspricht und wurde für „vogelfrei“ erklärt. Mancher Zeitgenosse ahnte in Deutschland schon 1933, dass der Zweite Weltkrieg kommt und heute inszeniert sich ein kleines Mädchen, das „freitags nie kann“ (Zitat – Die Fantastischen Vier) und spricht vor laufenden Fernsehkameras die Wahrheit aus, die sowieso schon jeder kennt und alle glauben es und machen fröhlich freitags schulfrei! Aber wer beim Dieselskandal die Wahrheit sagt, dass hier maßlos übertrieben wird, wird niedergebrüllt. Journalisten werden in Russland verhaftet, wenn sie die Wahrheit sagen, die keiner hören will – aber wer in der SPD die Wahrheit sagt, dem wird nicht geglaubt. Vielleicht kommt es auch manchmal darauf an, „wer“ die Wahrheit ausspricht, die von der Allgemeinheit nicht gehört werden will.
Zur Wahrheit haben wir inmitten der Medienwelt einen ganz eigenen Bezug – eben mal so und mal so! Die Frage, was Wahrheit denn inmitten der Meinungsfreiheit und der digitalen Bilderwelten ist, kann nicht mehr eindeutig beantwortet werden. Repräsentieren die Medien noch die Wahrheit der Geschehnisse oder bilden sie nicht vielmehr ein gedeutetes Bild von der Wirklichkeit ab, das nicht selten die Waage zwischen Wahrheit und Lüge zu Gunsten der Lüge verschoben hat? Sprechen Politiker die Wahrheit und wird auf die, die die Wahrheit – die oft unbequem ist – aussprechen, gehört? Wohl kaum.
1-Die Wahrheit in Person
Von der Tragik von einem der die Wahrheit sagt, aber nicht gehört wird, spricht der Predigttext aus Joh. 5,39-47. Wer ist der, der die Wahrheit spricht? Das Johannesevangelium gibt schon am Anfang die Antwort auf diese Frage sehr elementar, aber verschlüsselt: Er ist das Wort selbst oder genauer – das Wort, das Fleisch geworden ist und unter uns wohnte. (Joh. 1,14) Mit dieser Formel beschreibt das Evangelium anders als die übrigen synoptischen Evangelien das, was die Theologie „Offenbarung“ nennt. Damit ist gemeint, dass Gott selbst in Person sich der Welt zeigt und auf die Welt in Form eines Menschen kommt. Dies bildet in der antiken Vorstellung von Religion eine doppelte Provokation: Für die Griechen bleibt der Gott Zeus dem Menschen unnahbar – für die Juden lebt in der Antike die Vorstellung eines nahenden Weltendes, an dem dann der Herr selbst erscheinen wird. Für beide Weltauffassungen bildet also die Idee, dass Gott selbst in Person eines Menschen auf die Welt kommt, eine Ungeheuerlichkeit. Den Römern wiederum war die Religion der Juden egal – Hauptsache sie machen keinen politischen Aufstand.
So gerät die Wahrheit von der Offenbarung regelrecht zwischen die religiösen Fronten der damaligen Welt. Es ist also nur zu verständlich, dass der, der die Behauptung aufstellt, selbst die Offenbarung zu sein, angefeindet wird. Er wird zwar von allen gesehen und gehört, seine Taten sind unübersehbar, geglaubt wird ihm dennoch nicht. Aber: Behauptet er das eigentlich? Oder anders: Was wird in dem Text eigentlich genau gesagt? Schauen wir hin.
Der Predigttext aus Joh. 5,39-47 ist in einen größeren Textabschnitt eingebettet, nämlich in Joh. 5,19-47, in dem es vor allem um das Verhältnis von Gott Vater und Sohn mit dem Stichwort der Vollmacht geht bzw. dem Zeugnis für den Sohn. Aber es ist eine merkwürdige Konstruktion, denn nirgendwo spricht der Bibeltext die Wahrheit offen aus, dass Jesus von Nazareth die Offenbarung ist. Vielmehr wird in Wendungen gesprochen, die nebulös bleiben, die etwas ahnen lassen, aber es nicht wirklich sagen. Und dennoch sind sie keineswegs nichtssagend! Parteipolitiker von heute können hier wahrlich Rhethorik und unklar bleibende Argumentation lernen. Einen Schlüssel zum Verständnis liefern die Verse in Joh. 5,31-32, die in etwa wie folgt zu verstehen sind: Wenn der irdische Jesus von Nazareth von sich selbst sagen würde, er sei das Wort Gottes, die Offenbarung oder der Sohn Gottes, so wäre sein Zeugnis „nicht wahr“. (Joh. 5,31) Daraus folgt: Wenn ein anderer dies tut, so lässt sich feststellen: „ich weiß, dass das Zeugnis wahr ist, das er von mir gibt.“ (Joh. 5, 32) So hat etwa Johannes der Täufer die Wahrheit bezeugt, indem er von sich selbst auf den Anderen verwies.
Von hier aus gesehen erschließt sich dann die Wahrheit Stück für Stück. Den Beginn findet man in Joh 5,19, in dem es heißt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht.“ Da ist die Ver-drehung oder besser Um-Drehung wieder: Alle Aktion geht vom Anderen aus – hier Gott selbst. In moderner Sprache könnte man sagen, dass der Sohn Jesus von Nazareth ein Medium ist oder anders ausgedrückt ein Gefäß, durch das etwas bewirkt wird. Aber was? In verschiedenen Wendungen kommt zur Sprache, dass es um das Ziel der Seligkeit geht (Joh. 5,34) oder das ewige Leben (Joh. 5,39). Und dies geschieht aus Glauben und Bekenntnis. Zu diesem Zweck sollen die Menschen „den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat.“ (Joh. 5,23) Damit ist eine harte Wahrheit ausgesprochen, die es auszuhalten gilt.
II - Die Wahrheit in Wort und Schrift
In der eigentlichen Predigtperikope aus Joh. 5,39-47 wird dieser „Stachel im Fleisch“ von dem Sohn seinem eigenen Volk vor Augen geführt. Jesus von Nazareth – so wie ihn das Johannesevangelium hier darstellt – geht in die Auseinandersetzung und Konfrontation. Über den historischen und authentischen Charakter dieser Verse lässt sich verständlicher Weise nichts aussagen – die You-Tuber und Blogger von heute waren mit ihren Smartphones leider nicht „live“ dabei und es findet sich auch nichts im Internet. So lassen sich die Verse, die eine schmerzvolle Auseinandersetzung wiederspiegeln, nur aus dem Kontext der Theologie des Johannesevangeliums verstehen.
Was aber hält Jesus – der Sohn – seinem eigenen Volk konkret vor? Die Theologie des Johannesevangeliums, in die die Worte eingebettet sind, weist hier eine gewisse Nähe zur Theologie des Apostel Paulus auf. (Röm 7) Beide kritisieren die ausschließliche Bezogenheit des Judentums auf das Gesetz der Tora und ihrem religiösen Gebrauch. Für Paulus und Johannes sucht das Judentum allein aus dem Halten der Gesetze und der Tora-Observanz das „ewige Leben“. Der Konflikt wird in V. 39 offenbar: „Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist’s, die von mir zeugt.“ Das Johannesevangelium entstand in einer Zeit ab ca. 70 n. Chr. in einem eher hellenistischen, d.h. griechisch geprägten Kontext. Ganz offensichtlich ist das Evangelium von einer sehr ambivalenten Position gegenüber dem Judentum durchzogen. Wahrscheinlich wird es durchaus konfliktreiche Kontakte zu jüdischen Gemeinden gegeben haben, deren Reflex zum Teil im Text mitschwingt.
Liest man die Verse vor dem Hintergrund der auch aktuell in Israel sehr kontrovers geführten Diskussion um die sog. Ultra-Orthodoxen, dann haben diese Verse von vor 2000 Jahren nichts an ihrer Brisanz verloren. Vielmehr zeigen sie einen tiefen Riss im Judentum, der gegenwärtig wieder sehr lebendig ist. Dieser Riss macht die Schwierigkeit deutlich, wie in der modernen Gesellschaft die Religion gelebt werden soll und kann. Während die Ultra-Orthodoxen in Israel ihr gesamtes Leben dem Schriftstudium widmen, ihr Seelenheil im ausschließlichen Gebet finden und in ihrem Leben „jenseits“ der Gesellschaft soziale Unterstützung vom Staat Israel erhalten und so die Gesellschaft spalten, lehnen andere Teile der Gesellschaft dies als religiösen Fundamentalismus ab. Dieser religiöse Konflikt prägt die aktuelle Politik Israels und belastet auch den Dialog mit Palästina.
Diese Ausschließlichkeit der Heilssuche prangert im Bibeltext der Sohn an und verweist auf einen alternativen Umgang mit der Heiligen Schrift, denn dort wird ja gerade das lebendige Wort bezeugt, das der Sohn selber ist. Die Perspektive des Sohnes vermischt sich hier mit der Perspektive des Evangelisten Johannes. Und aus der Sicht des Evangelisten Johannes verweigern sich die Juden diesem lebendigen Wort. In V. 43 kommt dies unmissverständlich zur Sprache: „Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an.“
An dieser Stelle darf natürlich heute ein Wort zum Antijudaismus nicht fehlen. Ganz im Sinne des Stuttgarter Schuldbekenntnisses von 1945 und den vielen Denkschriften seitdem zum Verhältnis von Christen und Juden muss klar gesagt werden: Es gibt eine Schuldgeschichte, in die auch Martin Luther mit seinen Schriften wider die Juden eingebettet ist. Es verbietet sich von der „Verstocktheit“ der Juden zu reden. Vielmehr bleiben Judentum und Christentum – und dann auch der Islam – unverbrüchlich miteinander verbunden. Sie sind aber auch unterschieden. Und dies betrifft vor allem die Deutung des Verhältnisses von Gott Vater und Sohn. Jeder Religion ist es aufgrund ihrer eigenen Tradition selber überlassen, die eigene Wahrheit zur Sprache zu bringen. Es ist die Freiheit der Religion sich jeweils zu den anderen Religionen zu verhalten und – wie dies der Text bezeugt – dann auch Elemente daraus abzulehnen. Es zählt zu den kleinen versteckten Wahrheiten dieses Textes, die in diesem Zusammenhang benannt werden können. In Vers 45-46 erwähnt der Predigttext Moses. Auf ihn beziehen sich alle drei semitischen Religionen und an ihm zeigen das Johannesevangelium wie wiederum der Apostel Paulus auf, was Glaube ist. Martin Luther hat sich in seinen Bibelauslegungen ebenfalls auf Moses bezogen und hat den Glauben als „fides“ – als Vertrauen – beschrieben. Moses vertraute der Verheißung und sie wurde erfüllt. Nicht die Übergabe der Gesetzestafeln wie im 2. Buch Genesis beschrieben allein begründet für Luther den Glauben, sondern das Vertrauen auf die Verheißung, die aus christlicher Sicht in der Offenbarung Mensch geworden ist. Nichts anderes betont auch der Text aus dem Johannesevangelium, aber es ist das Recht und die Freiheit des Judentums dies anders zu sehen.
III - „bezeugen“ in der Welt der vielen Wahrheiten
Viel wird in diesen Tagen und Wochen von der religiösen Indifferenz unserer Gesellschaft gesprochen und davon, dass die Kirchen in Deutschland weiter schrumpfen werden. Mittlerweile ist es wohl schon die Mehrheit in der Gesellschaft, die die Wahrheit, von der in diesem Text die Rede ist, nicht hören will. Ja, sogar noch drastischer: diese Wahrheit interessiert nur noch einen kleineren Teil der Menschen – die Mehrheit weiß eigentlich gar nicht mehr wovon die Rede ist. Hart klingt da der Satz des Bibeltextes: „Ihr nehmt mich nicht an“. (Joh. 5,43)
Was soll man da machen? Kinder haben bei solchen Gelegenheiten noch unverbaute Möglichkeiten ihres Kindseins, wenn sie nicht gehört werden: Schreien, toben, rumbrüllen. Erwachsene wechseln dann lieber die Methode durch gutes Zureden oder versuchen Überzeugungsarbeit zu leisten in der Hoffnung, dass die eigene Wahrheit von den Anderen dann doch noch gehört wird. Die Skeptiker würden einfach ihre Sachen einpacken und still den Saal durch die Hintertür verlassen und die ewig Naiven bauen Leuchttürmchen im Sand und wollen trotzig Wachsen gegen den Trend.
Was rät der Bibeltext? Er argumentiert mit einer Logik durch die Hintertür. Die Position des „Nicht-glaubens“ wird ernst genommen. Es geht nicht darum diese Haltung zu verurteilen. Der Bibeltext spricht davon, dass der Sohn das Volk Israel nicht vor dem Vater verklagen wird (Joh. 5,45). Gleichzeitig verweist das Evangelium hier erneut auf Moses. Die Argumentation – diesmal wieder in der Deutung des Evangelisten Johannes – wird geschickt aufgebaut, denn wieder wird der Glaube des Moses als Vorbild genommen. Die Schriften bezeugen in gleicher Weise Moses und den Sohn. Wer also dem nicht glaubt, was in den Schriften steht, der kann auch nicht den Worten des Sohnes glauben. (Joh. 5,47)
Eine positive Wendung strebt dieser Bibeltext in Joh. 5,39-47 in sich selbst nicht an. Dafür muss der Interpret wieder zurückgreifen auf den Kontext des Textes. Die Kernbotschaft des Johannesevangeliums bildet der Zusammenhang von „Glauben und Verstehen“ (Rudolf Bultmann). Wer das Wort hört und der Botschaft vor der Offenbarung glaubt, der hat verstanden, welche Bedeutung in ihm steckt. (Joh. 3,16) Allerdings: In der heutigen pluralen Welt gibt es viele heilsversprechende Worte, die miteinander konkurrieren. Wer seine eigene Wahrheit bezeugt, der hat das Recht dazu. Aber er muss es in Anerkennung von Toleranz und Gleichheit unter Absehung eines Absolutheitsanspruches tun. Mit Recht gilt: Die Religion ist Privatsache und eines ist gewiss: an irgendeine Wahrheit glaubt jeder!
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Kaffeepause mit Gott - Predigt zu Johannes 14,15 von Berenike Brehm
I Seit Jörg sie vor drei Jahren verlassen hat, dreht sich in Ilses Leben unaufhörlich ein Karussell voller Probleme. Gerade hat es wieder richtig an Fahrt aufgenommen: Ilses Vater Werner hat vor zwei Wochen einen Herzinfarkt erlitten, kurz darauf hat ihr Jana, ihre Große den neuen Freund vorgestellt und gestern kam dann Clara auch noch mit der nächsten Fünf in Mathe heim. Ilse weiß nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Sie macht sich Sorgen. Claras Noten in der Schule werden immer schlechter. Wenn sie so weitermacht, muss sie von der Realschule runter. Wird Clara dann jemals einen guten Job finden? Es ist doch eh schon schwer genug auf dem Arbeitsmarkt…
Und was will Jana mit diesem Hassan? Einem Araber, der erst seit fünf Jahren hier in Deutschland wohnt! Kann das was überhaupt was werden? Hassan kann zwar gut deutsch und ist auch Christ, aber diese arabischen Männer haben doch so andere Vorstellungen von Familie. Hoffentlich unterdrückt er ihre Tochter dann nicht. Ilse hat schon so viel Schlimmes über solche Beziehungen gehört. Und übermorgen steht auch noch Werners Beipass-Operation an. Hoffentlich versauen es die Ärzte nicht, denkt Ilse. Sie hat Angst. Mit zittrigen Händen gießt sie sich einen Kaffee ein.
II Während sie ihren Kaffee trinkt, fällt Ilses Blick in Richtung Kühlschrank. „Suche Frieden und jage ihm nach“, steht da auf einer Karte zur Jahreslosung. Sie seufzt: „Ja, Frieden, das wär was!“. Hatte davon nicht auch neulich die Pfarrerin letztens beim Abendmahl gesprochen? Da gab es doch dieses Abschlusswort, dass Jesus einem Frieden gibt. Ilse nimmt ihr Smartphone und googelt mit den Wortfetzen, die sie noch weiß, nach der Bibelstelle. Und in der Tat wird sie fündig. In Johannes 14 steht, was sie gesucht hat. Ilse liest: »Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befolgen. Dann werde ich den Vater um etwas bitten: Er wird euch an meiner Stelle einen anderen Beistand geben, einen, der für immer bei euch bleibt. Das ist der Geist der Wahrheit. Diese Welt kann ihn nicht empfangen, denn sie sieht ihn nicht und erkennt ihn nicht. Aber ihr erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch gegenwärtig sein.
Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein. Ich komme wieder zu euch. Es dauert nur noch kurze Zeit, dann wird diese Welt mich nicht mehr sehen. Aber ihr werdet mich sehen, denn ich lebe. Und ihr werdet auch leben. Wer mich liebt, wird sich nach meinem Wort richten. Mein Vater wird ihn lieben. Und wir werden zu ihm kommen und immer in ihm gegenwärtig sein. Wer mich nicht liebt, wird sich nicht nach meinem Wort richten. Und dabei stammt das Wort, das ihr hört, nicht von mir selbst. Es stammt vom Vater, der mich beauftragt hat. Ich habe euch das gesagt, solange ich noch bei euch bin. Der Vater wird euch den Beistand schicken, der an meine Stelle tritt: den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe. Zum Abschied schenke ich euch Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden. Ich gebe euch keinen Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und fürchtet euch nicht.
III „Fürchtet auch nicht“, klingt es in Ilses Kopf nach. „Leichter gesagt als getan“, denkt sie. Doch spürt sie auch Kraft, die in diesen Worten liegt. Sich nicht fürchten. Frieden haben. Beistand erfahren. Ja, danach sehnt Ilse sich. Aber geht das überhaupt, sich keine Sorgen zu machen? Es ist ja wirklich alles so schwer und viel gerade. Die Sorgen kommen völlig ungefragt in ihrem Kopf. Ilse jedenfalls hat sie nicht um Besuch gebeten. Sie ist ja nicht freiwillig in dieses Karussell voller Probleme gestiegen. Da wurde sie einfach so hineingezogen. Aber wie kann sie nun wieder da rauskommen?
Ilse schaut nochmal auf die Worte. Sich nicht fürchten. Frieden haben. Beistand erfahren. Das bringt etwas in ihr zum Klingen. Auf einmal huscht ein ganz neuer Gedanke durch ihren Kopf: „Die Dinge ändern sich nicht, wenn ich mir Sorgen mache. Clara wird deswegen keine bessere Schülerin, Jana wird sich nicht von Hassan trennen, und die OP von Werner muss nun einmal sein. Er braucht sie ja. Und es liegt auch ganz viel Hoffnung in der OP.“ Ilse fasst einen Entschluss: „Ich sage meinem Vater einfach, dass ich Angst um ihn habe. Und dann bete ich mit ihm und gebe ihm meinen Glücksengel mit ins Krankenhaus.“
Kaum ist der Entschluss gefasst, ist Ilse als wäre ein großer Stein von ihrem Herzen gepurzelt. Als drehe sich das Karussell ihrer Probleme schon viel langsamer. Das gibt Ilse Kraft über Clara nachzudenken. „Ein gutes Gespräch anstatt sich immer nur anzubrüllen“ denkt Ilse, „sicherlich finden wir dann gemeinsam auch Stärken von Clara. Mit Tieren kann sie doch echt gut.“ Sofort fasst Ilse den nächsten Entschluss: „Wenn Clara heute Mittag von der Schule kommt, werde ich sie fragen, ob wir mal gemeinsam einen Hund im Tierheim ausführen wollen.“ Und während sie das noch denkt, wird ihr Problemkarussell noch ein gutes Stück langsamer. Ilse kann schon fast nebenherlaufen. Beflügelt denkt sie weiter nach. Auf ihrer inneren Liste fehlen nur noch Jana und Hassan. „Ich sollte Hassan mal richtig kennenlernen“, denkt Ilse. Und da kommt ihr auch schon eine Idee wie: „Ich werde Jana und Hassan Freitagabend zum Essen einladen. Wenn Hassan will, kann er seine Familie mitbringen. Ich war doch mal in diesem Kochkurs mit den Flüchtlingen, da wird ich sicher noch Rezepte finden.“
IV Ilse nimmt den letzten Schluck Kaffee und bemerkt, wie das Problemkarussell in ihrem Kopf auf einmal stehen geblieben ist. Dafür hängt an einer seiner Streben nun eine große, gut lesbare Liste: 1. Mit Papa beten und ihm meinen Engel mitgeben 2. Mit Clara nach Tieren im Tierheim sehen 3. Hassan mit seiner Familie zum Essen einladen. Ilse betrachtet die Liste. Sie gefällt ihr. Doch kommt ihr auch ein leiser Zweifel: Was, wenn der Sturm des Lebens die Liste vom Karussell abreißt und das Problemkarussell wieder in Gang bringt? „Ich brauche Hilfe“, denkt Ilse. „Damit ich bei meiner Liste bleibe, und nicht aufgebe“. Ilses blickt wieder zu dem Bibeltext auf ihrem Smartphone. Sich nicht fürchten. Frieden haben. Beistand erfahren. „Da bin ich doch schon weit gekommen“, denkt sie. „Die Furcht ist jedenfalls weg. Sogar Frieden spüre ich gerade in mir. Aber der Beistand fehlt mir noch.“ Es erleichtert Ilse zwar zu wissen, dass Gott ihr beisteht. Und doch hätte sie gerne auch einen menschlichen Beistand. Jemand, der nachfragt, ob denn ihre Liste noch am stehenden Karussell hängt, ob Ilse noch dabei ist, die Liste abzuarbeiten. Oder ob das Problemkarussell sie wieder mitgerissen hat.
Ilse drückt auf das Telefonsymbol ihres Handys und dann auf Cornelias Nummer. Allzu oft haben die beiden nicht Kontakt, aber sie stehen sich immer bei. Gerade in den schweren Zeiten. „Klar“, sagt Cornelia auch gleich, als Ilse ihr von dem Karussell und der Liste erzählt hat, „ich rufe dich einfach nächste Woche an und frage, wie viele Haken du schon an deine Liste gesetzt hast.“ „Danke“, sagt Ilse und verabschiedet sich. Dann steht sie auf. In der Diele nimmt sie den Glücksengel vom Regal und geht auf Vater Werners Zimmer zu. Ohne Furcht. Ganz im Frieden. Mit Beistand von Gott und von Cornelia. Das fühlt sich richtig gut an. So ganz anders wie noch vor der Kaffeepause in der Küche. Ilse ergänzt ihre Liste schnell um einen weiteren Punkt: 4. Mehr Kaffeepausen mit Gott. Dann klopft Ilse an Werners Zimmer. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe die Inselgemeinde auf Juist vor Augen, die in jedem Gottesdienst anders zu-sammengesetzt ist aus Gästen und Insulanerinnen und Insulanern. Die Gemeinde hat das Mosaik, das in der Predigt eine tragende Rolle spielt, an der Altarwand vor sich. Der Kunstlehrer, der das Bild mit Schülerinnen und Schülern erarbeitet hat, wäre in diesem Jahr 111 Jahre alt geworden, und am 12. Juli 1964 wurde in der erst halbfertigen Kirche der erste Gottesdienst gefeiert.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat besonders der Gedanke beschäftigt, dass die Distanz zwischen Boot und Festland nicht nur praktische sondern auch inhaltliche Gründe haben könnte und die daraus resultierende Freiheit in der Begegnung mit Christus.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich möchte weiter über das Geheimnisvolle im Prozess der Entstehung oder Entde-ckung von Glauben nachdenken. Welche Möglichkeiten haben wir als Kirche /Gemeinde, in alles Freiheit Räume, Geschichten, Erfahrungen zur Verfügung zu stel-len, die hilfreich sein können?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Neben den sehr hilfreichen Beobachtungen des Coaches fand ich es hilfreich, den Text der Predigt wiederholt laut zu lesen. Ich habe dabei etliche sprachliche Dubletten ent-deckt und verändert, aber auch einzelne Worte und Formulierungen immer wieder ausgetauscht, um auszuprobieren, was im Moment für mich stimmiger erscheint.
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Lehren – Erinnern – Bewegen – Predigt zu Johannes 14, 23-27 von Elisabeth Tobaben
Liebe Gemeinde!
Eine Freundin von mir ist Erzieherin in einer evangelischen Kindertagesstätte.
Vor einigen Jahren erzählte sie mir, dass die Kinder diesmal ganz versessen gewesen seien auf die Figuren der Weihnachtskrippe.
Noch lange, lange nach Weihnachten wollten sie immer wieder so gern damit spielen, dass es nicht möglich war, die Krippe wieder fürs nächste Jahr einzuwickeln und wegzupacken.
Wieder und wieder spielten die Kleinen die Weihnachtsgeschichte nach,
bewegten die Figuren hin und her und manchmal tauchten auch ganz neue Mitspieler auf, Kuscheltiere oder Bilderbuchfiguren,
Phantasiegebilde der Kinder.
Dabei beobachtete die Erzieherin eines Tages,
dass einer der größeren Jungen mit dem Josef spielte.
Er ließ ihn das Kind aus der Krippe nehmen
und es denn darum herumstehenden Heiligen drei Königen zeigen.
Dann ließ er den Josef sagen:
„So, jetzt könnt ihr ruhig wieder nach Hause gehen in euer Land.
Das Jesus-Kind wird jetzt größer, und dann wird es euch beschützen vor
dem Heiligen Geist und allen anderen bösen Geistern.“
Da beschloss meine Freundin, dass es wohl an der Zeit sei, diesmal mit den Kindern ganz ausführlich über Pfingsten zu sprechen.
„GEIST“ - das hatte für den Sechsjährigen offenbar etwas Unheimliches, Gefährliches;
Mag sein, dass er schon zu viele Halloween-Geschichten gehört hatte!
Nun werden wir Erwachsenen vielleicht nicht mehr gleich an Geister- und Gespenstergeschichten denken, wenn vom Heiligen Geist die Rede ist;
Aber mir scheint, das Ungreifbare, das Ungestüme und Umkrempelnde des Pfingstgeistes hat auch für uns noch manchmal noch fast schon etwas unheimliche, zumindest erschreckende Züge!
Das mit dem Geist überlassen wir meist doch lieber anderen, etwas pfingstbewegteren Gruppen und Gemeinden.
Eine besondere Rolle scheint mir der Heilige Geist in der Frömmigkeit von uns „normalen Kirchenchristen“ doch wohl doch eher nicht zu spielen.
Gut, wir bekennen Sonntag für Sonntag gemeinsam: „Ich glaube an den Heiligen Geist“,
sprechen von „Dreieinigkeit“ Gottes und feiern heute Pfingsten ... das schon,
Aber manchmal hat man fast das Gefühl: es ginge auch so!
Vielleicht trifft unsere Stimmungslage besser, was im Johannesevangelium steht und uns heute zum Nachdenken vorgeschlagen ist:
Johannes 14, 23-27
Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht.
Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
„...euer Herz erschrecke nicht...“
Insgesamt ruft dieser Text eher eine düstere, etwas melancholische Stimmung dieser Text wach.
Kein Wunder, er gehört in die sogenannten „Abschiedsreden“ Jesu, in eine Zeit vor Kreuz und Auferstehung, vor Karfreitag und Ostern.
Jesus schon weiß: die Zeit seines Redens und Handelns geht zu Ende.
Er ist entschlossen, nach Jerusalem zu gehen, und er ahnt, was dort auf ihn zukommt.
Die Lage spitzt sich zu.
Er kann nichts mehr tun für die Jünger, aber sie sollen wenigstens vorbereitet sein, wenn er sie zurücklassen muss.
Solange sie zusammen waren, gab es keine Veranlassung für ihn, sie irgendwie zu beunruhigen mit solchen bedrohlichen Zukunftsperspektiven!
Das wird jetzt anders.
Jetzt mutet er es ihnen allerdings zu, der Gefahr ins Auge zu sehen.
...damit ihr nicht abfallt, nicht Ärgernis nehmt! wird er wenig später in diesen Abschiedsreden sagen.
Damit ihr drauf gefasst seid, dass sie euch angreifen werden.
Sie - dass sind die, die nichts begriffen haben, die zwar sehr wohl ‘von außen’ sozusagen gesehen und gehört haben von Jesus, von seiner Botschaft der Menschenfreundlichkeit Gottes, der Liebe und Freiheit, aber dort ist sie auch geblieben, äußerlich, hat sie innerlich nicht erreicht, ihr Leben unverändert gelassen.
Sie haben ihn gehört, aber doch nicht gehört.
Und so fangen sie an zu hassen, so schlagen sie zu, werden zunächst Jesus selbst umbringen und dann auch viele, die zu ihm gehören.
Die Jüngerinnen und Jünger werden den Tröster also dringend brauchen.
Tröster übersetzt Martin Luther, Beistand sagt die Einheitsübersetzung.
Trost finden- das ist eine ganz wichtige, grundlegende Lebenserfahrung für ein kleines Kind!
Wenn es sich verlassen und traurig fühlt, es ihm so vorkommt, als wäre es ganz allein auf der Welt und würde die verloren geglaubte Mama nie wiederfinden,
Denn -normalerweise jedenfalls- tauchen die Eltern ja natürlich wieder auf,
nehmen das Kind auf den Arm, wischen ihm die Tränen ab und stellen es schließlich wieder auf die eigenen Füße,
damit es getröstet getroste Schritte ins Leben machen kann;
Und später?
Für Jugendliche und Erwachsene ist der Trost irgendwie etwas in Verruf geraten,
viele assoziieren zu dem Wortfeld sofort:
Trost hat etwas von ... es ändert sich ja eigentlich doch nicht wirklich etwas ...,
hat was von Vertröstung, vom Zudecken von Unabänderlichem.
„Sie haben aber schönen Architektentrost“ sagte kürzlich ein Architekt zu mir, der bei uns zu Gast war, und bewunderte den herrlich blühenden Knöterich;
Eine schnell wachsende Pflanze, mit deren Hilfe man tatsächlich auch unansehnlich graue Betonwände schnell begrünen und verschönern kann.
Trost hat irgendwie den Anstrich von: „Du schaffst es eben doch nicht allein“, ich helfe dir besser mal;
Und das ist ein Gefühl, das die meisten Menschen lieber zu vermeiden versuchen,
denn das wäre ja ‘uncool’.
Trotzdem: Dass der Gottesgeist auch ein tröstender ist, ist eine ganz wichtige Eigenschaft!
Aber was tut er denn nun, wenn er tröstet?
Das Wort, das Luther mit „Tröster“ übersetzt, kann auch mit Helfer, Anwalt, Beistand oder Retter wiedergegeben werden.
Wörtlich steht da eigentlich bedeutet es: der Anrufende, der, der mich anspricht, mich herausruft.
Damit stellt sich natürlich sofort die Frage: Was ruft er denn?
Und wo heraus?
Interessant ist es, zu beobachten, wenn man sich Erfahrungen von Menschen anguckt, die sie als Geisterfahrungen beschreiben, dann ähneln die sich alle in einem Punkt, sie haben alle das Gefühl, sie hätten etwas absolut Neues kennengelernt, etwas noch nie Dagewesenes.
Unser Text ist da sehr viel nüchterner.
„...er wird euch lehren und erinnern...“ (V. 26) sagt Jesus.
Nur lehren?
Nur erinnern?
Wozu das nun wieder? Glaubt Jesus, dass seine Anhänger alle ein so schlechtes Gedächtnis haben, dass sie dauernd erinnert werden müssen?
Es geht offenbar gar nicht um ganz neue Inhalte, frisch entdeckte Erkenntnisse oder Sätze.
Der Geist, den er ihnen für Pfingsten ankündigt, wird gar nichts völlig Neues sagen, nichts Anderes, als sie eigentlich schon lange kennen.
Er wird erinnern an das Wort, das von Gott kommt.
Wieder eine Quelle für Missverständnisse, denn wenn Johannes vom Wort spricht, dann meint er nicht bloß solche Worte, wie Sie sie jetzt gerade hören oder lesen, gesprochene, geschriebene Worte, sondern für Johannes klingt immer sofort mit: das Wort, das Jesus selbst ist, mit allem, was er sagt und tut ist er das lebendig gewordene Wort Gottes, an seiner Gestalt, seinem Leben kann man ablesen, dass Gott es gut meint mit seinen Menschen.
Mehr und anderes, Wichtigeres kann auch der Geist nicht vermitteln, meint Johannes.
Er erinnert.
Und das muss nicht für jede und Jeden an jedem Tag genau Dasselbe sein!
Schon beim gesprochenen Wort ist das so, wir können alle denselben Text hören und hören doch etwas völlig Unterschiedliches.
Ich erinnere mich an einen Vortrag bei einer Tagung, den ich grauenvoll langweilig und nichtssagend fand.
Ich ärgerte mich, dass ich nicht doch lieber spazieren gegangen war, und traf im Anschluss vor der Tür einen Kollegen, der völlig hingerissen und begeistert war und geradezu ins Schwärmen geriet über diesen phantastischen Vortrag.
Ich war sprachlos.
Jesus jedenfalls geht es eben gerade nicht um eine allgemeingültige, unveränderliche, eherne neutrale und unumstößliche Wahrheit, das ist die Vorstellung, aus der uns der Geist herausruft, von der wir uns verabschieden sollten.
Es geht vielmehr um die sehr persönlich gefärbte Zeugenaussage, damit der Geist eine Chance hat, sich einzumischen und zu wirken!
Als „Kirche des Wortes“ werden die protestantischen -speziell wir als lutherische- oft bezeichnet.
Das ist ja auch nicht verkehrt- nur denke ich, wir müssten auch hier den Wortbegriff umfassend genug verstehen.
So wie wir mit Menschen ja auch nicht nur über das gesprochene Wort Kontakt aufnehmen, Gesten und Symbole sprechen mit.
Jesus ist das Gestalt gewordene Wort, sagt Johannes.
Und so sind Bilder und Formen für uns eben nicht ablenkendes Beiwerk, auf das man besser verzichten sollte, sondern Ausdruck des Glaubens.
Pfingsten 2019, Nordseebad Juist, Ostfriesland, Bundesrepublik Deutschland, Europa ...
Keine Verfolgungssituation mehr bei uns, wir leben wohl eher in einer Zeit, in der sich der Ungeist der Gleichgültigkeit breitgemacht hat.
Glauben?
Wen interessiert das denn noch,
wenn nicht gerade wieder in der Kirche irgendwo der Rotstift an der falschen Stelle angesetzt wird,
eine Skandalgeschichte aufgedeckt
oder ein Forscher wieder mal Gottes-Gen entdeckt haben will ...
Oder wenn nicht grad Kirchentag ist und die Zeitungen ungläubig staunen, dass Hunderttausende zusammenkommen und singen und beten.
In so einer Menge kann man sich vorstellen, wie das damals in Jerusalem gewesen sein könnte.
Pfingsten.
Ich finde, es wird Zeit, dass wir wieder lernen, heftig darum zu streiten,
was wir glauben?
Nicht, um nachher alle dasselbe zu denken, aber: um vielleicht Neues zu entdecken, weil der andere was anderes erkannt hat, einen, der auch meinen Blickwinkel erweitert.
Diese Freiheit brauchen wir, damit sich nicht ein anderer Glaube in den Herzen breitmacht, der kaputt macht und krank!
Wenn Kirche der Raum ist dafür, dann ist Pfingsten.
Und zuletzt: Pfingsten ist ein Fest, das sehr nüchtern beginnt.
Bevor das Brausen vom Himmel kommt und die aufrüttelnde Predigt der Jünger losgeht.
Da heißt es nämlich schlicht: „Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort.“
Mehr nicht.
Sie waren zusammengekommen, trotz depressiver Grundstimmung, trotz Traurigkeit und Abschiedsschmerz.
Und dann kommt der Geist! Er kommt eben gerade nicht zu jedem einzelnen irgendwo verstreut in der Landschaft, am Strand oder im Wald, er kommt zur versammelten Gemeinde.
Viele sagen: Pfingsten ist so schwer greifbar, kein Tannenbaum wie zu Weihnachten, keine Ostereier...
Man könnte doch aber sagen: Die versammelte Gemeinde ist geradezu das greifbare Zeichen für Pfingsten!
Ist der Ort, an dem Gott wirkt, seinen Geist schenkt, Hoffnung, Frieden, Trost und Kraft.
Amen.
Vorschläge Lieder / Liturgie:
Psalm 118 kombiniert mit EG 294 Nun saget Dank und lobt den Herren als Eingangslied:
Choralvorspiel Liturg*in oder Lektor*in: Ps 118, 1 + 14 • Gemeinde singt EG 294,1 •
L.: Ps. 118, 15-18 • G.: EG 294,2
L.: Ps. 118, 19-25 • G.: EG 294,3
L.: Ps. 118, 26-29 • G.: EG 294,4 - Gloria Patri
Graduallied: freitöne 5 Erschein, du Heilger Geist
Lied nach der Predigt: freitöne 7 Atme in uns, Heiliger Geist
Schlusslied: EG 130 O Heilger Geist, kehr bei uns ein
Nach dem Segen im Stehen EG 135,4 Güldner Himmelsregen
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Der Heilige Geist kann mehr – Predigt zu Johannes 14, 15–19.23b–27 von Johannes Neukirch
Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. (...) Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Liebe Gemeinde,
"Kirche muss unbequemer werden. Jugend fordert auf ihrer Vollversammlung mehr Klimaschutz und Mitspracherechte" lese ich in der Evangelischen Zeitung (vom 2.6.2019). Sie ahnen wahrscheinlich aus welcher Richtung dieser Wind weht. Seit die 16-jährige schwedische Aktivistin Greta Thunberg die Bewegung "Fridays for Future" ins Leben gerufen hat, bewegt der Klimaschutz viele Menschen - und eben auch die evangelische Jugend. Das ist auch richtig so, denn die Bewahrung der Schöpfung sollte Christinnen und Christen am Herzen liegen. Es ist erstaunlich, welche Wirkung Greta Thunberg und ihre Bewegung haben und wie sie uns beeinflussen. In Schweden gibt es inzwischen das Wort "Flugscham" und tatsächlich ist die Zahl der Inlandsflüge stark zurückgegangen.
Ich habe mal versucht aufzuzählen, welche Menschen mein Leben beeinflusst haben oder noch beeinflussen - unabhängig davon, ob sie noch leben oder nicht.
An erster Stelle stehen meine Eltern. Wenn alles gut geht, schenken Eltern ihren Kindern die nötige Liebe und Geborgenheit, um das so wichtige Urvertrauen aufzubauen. Das ist mindestens genau so wichtig wie die Erziehung und Bildung, die sie uns mitgeben.
Dann sind es die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen und den Universitäten. Sie machten mich mit Ideen und Lehren von Schriftstellern, Dichtern, Philosophen und Theologen vertraut. Ich habe erst im Laufe meines Lebens erkannt, wie sehr sie mich beeinflusst haben und weiter beeinflussen.
Und selbstverständlich sind es seit den Tagen des Kindergottesdienstes die biblischen Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament, die ihren Platz in meiner Welt eingenommen haben. Der Prophet Jona im Walfisch, Mose, der das Meer geteilt hat und das Volk Israel aus Ägypten geführt hat - das sind Geschichten, mit denen viele von uns aufgewachsen sind, und die wir nicht vergessen haben.
Wir leben in Beziehungen - mit der Partnerin oder dem Partner, mit der Familie, mit Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen, in Beziehungen zu lebenden und auch längst verstorbenen Menschen, die wir gekannt haben. Sie wirken alle in uns.
Aber eine Beziehung gibt es, die uns noch viel tiefer prägen und begeistern, motivieren und beflügeln kann: die Beziehung zu Jesus. Das ist doch eigentlich erstaunlich. Denn wir kennen ihn ja auch nur durch das Hören und Lesen von Texten, von biblischen Geschichten und durch Predigten?! Wie also ist das möglich, dass Jesus uns - und viele vor uns in der Geschichte - bis heute so tief bewegt und bewegt hat? Unser Predigttext behauptet, diese Beziehung schenkt der Heilige Geist. Nur durch ihn ist das möglich! Jesus sagt den Jüngerinnen und Jüngern: "Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben."
Der Heilige Geist sorgt dafür, dass die Verbindung zu Jesus so tief geht und nicht abreißt. Er ist die treibende Kraft unserer Beziehung zu Jesus. Er sagt seinen Freundinnen und Freunden: "Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe." Zum Beispiel, so ergänze ich, an den Satz "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." Oder: "Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe".
Es ist dieser Heilige Geist, der Menschen durch zwei Jahrtausende immer wieder angesprochen und bewegt hat. Denn er wirkt anders als all die Stimmen, die uns tagtäglich beeinflussen. Er ist eine starke, in uns wohnende Kraft, die sich in der Liebe verwirklicht wie zum Beispiel in den Werken der Barmherzigkeit, der Pflege der Kranken, der Sorge um die Armen, der Begleitung von Sterbenden, aber auch in der Aufnahme von Flüchtlingen und heute dem Eintreten für den Klimaschutz. In unserem Text drückt Jesus das so aus: "Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen."
Wer so tief mit Jesus verbunden ist, bleibt nicht allein. Die Pfingstgeschichte zeigt anschaulich, dass die Erfahrung des Heiligen Geistes Menschen in Jesus verbindet. Er erscheint allen, die versammelt sind und hat ganz konkrete Folgen: "Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. (...) Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte."
Das ist die Geburtsstunde der Kirche. Weil das 50 Tage nach Ostern geschehen ist, feiern wir Pentecoste - Pfingsten. Wir danken Gott dafür, dass seine Geschichte mit uns weitergeht und wir bitten ihn: "O komm du Geist der Wahrheit und kehre bei uns ein" (EG 136).
Amen
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Eines Tages - Predigt zu Johannes 16, 23b-33 von Susanne Ehrhardt-Rein
I.
An jedem, oder doch an fast jedem Arbeitstag, den ich in meinem Büro verbringe, lege ich um kurz nach 12 Uhr mittags den Stift aus der Hand. Schalte den Rechner auf standby, lege die Unterlagen beiseite. Gespräche werden unterbrochen, Sitzungen haben eine Pause. Ich gehe nach unten, über die Straße ins Zinzendorfhaus, in den „Raum der Stille“. Ein heller, schlichter Raum, nicht besonders liturgisch ausgestattet. Vorn ein Tisch, aus einem rohen Baumstamm herausgeschnitten, eine Kerze, ein Stuhlkreis. Um 12.15 Uhr beginnt das tägliche Mittagsgebet. „Mitten am Tag halten wir inne …“ Manchmal merke ich dann, wie müde ich bin. Oder wie schön der Ausblick in den benachbarten Garten ist, besonders jetzt, im Mai. Manchmal ist der Raum fast zu klein, wenn gerade viele Arbeitsgruppen im Haus tagen. Manchmal sind wir zwei oder drei. Selten einmal fällt es aus, weil niemand gekommen ist. Der Ablauf bleibt immer derselbe: Lied, Wochenpsalm im Wechsel der Seiten, Losung und Lehrtext, Stille. Ich sitze und atme, denke oft gar nichts, oder lasse den Bibelvers nachklingen. Seltsam, so aus dem Zusammenhang genommen. Dann beten wir, vorgegebene Worte für jeden Tag der Woche: Wir bitten um Hoffnung in den Niederlagen und Demut in den Erfolgen in der gerade begonnenen Arbeitswoche. Um Frieden in der Welt und in unseren kleinen Lebenszusammenhängen. Um Gelassenheit in den unvermeidlichen Konflikten. Um die Bewahrung der Schöpfung und die Erhaltung der Kirche. Um Trost für die Trauernden und um Linderung von Leid und Schmerz. Das Vaterunser sprechen wir gemeinsam. Danach noch ein Liedvers: „Verleih und Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten. Es ist ja doch kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du unser Gott alleine.“ Wir bitten um Segen, für uns, für alle. Dann ist es schon vorbei. Zehn Minuten, aus der Zeit genommen. Eine Zeit ohne Effizienz und Leistungsdruck. Es kommt vor, dass leise Tränen fließen oder dass gelacht wird. Beim Rausgehen kurzer Austausch: Lange nicht gesehen, wie geht es dir, gehst du mit zum Essen? Auf dem Weg zurück über den Vorplatz des Hauses klingt die Ruhe nach. Worum bitten wir da eigentlich? Was erwarten wir von Gott, mit diesem täglichen Gebet? Hört er uns, bewegt es ihn?
Die Regelmäßigkeit des täglichen Gebetes trägt diese Fragen mit, lässt Zweifel zu. Allein gingen mir manche Bitten schwer über die Lippen. Im gemeinsamen Gebet bin ich getragen, spreche mit, lege das, was mich bewegt, Gott vor. Auf Hoffnung hin.
II.
Wer ist unser Gegenüber, wenn wir beten? Zu wem wenden wir uns, mit Dank und Bitte, Klage und Freudengesang? Verhallt das alles ungehört, oder wirkt bestenfalls durch die innere Ruhe, die sich einstellt? Dass Beten nicht einfach so zur Wunscherfüllung führt, wissen schon kleine Kinder. Warum tun wir es dann trotzdem?
Im Johannesevangelium fordert Jesus seine Freundinnen und Freunde zum Beten auf:
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht in einem Bild. Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist. Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr?
Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.
Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
So ist es in der Welt, so ist es jetzt: Abschiedsschmerz und Angst. Wir müssen uns verabschieden, immer wieder: Von Hoffnungen und Plänen, die sich nicht verwirklichen lassen. Von Menschen, die uns verlassen, weil sie sterben, oder weil Beziehungen enden. Von Träumen und von Lebensenergie, die sich verbraucht haben. Vergangenes belastet. Zukunft bleibt unsicher. Nur der Tod ist sicher. „In der Welt habt ihr Angst“ – und es ist schon ein großer Schritt, das überhaupt zuzugeben: Ja, ich habe Angst. Vor falschen Entscheidungen und davor, Fehler zu machen. Vor Krankheit und Tod. Vor Missverständnissen und vor den Folgen unserer Lebensweise. Davor, nicht angenommen, nicht geliebt zu werden, und nicht genug zu lieben, andere zu enttäuschen. In der Welt habt ihr Angst – Jesus sagt uns das auf den Kopf zu. Es hat keinen Sinn, sich die Welt schönzureden. Und das heißt auch: Er kennt diese Angst. Er kennt Abschied und Verlassenheit, Schmerz und Tod. Die Szene, die wir sehen, spielt in der Erzählung des Evangeliums vor seiner Leidensgeschichte, vor Kreuz und Tod – das alles steht ihm noch bevor. Erzählt wird diese Geschichte aber erst nach der Ostererfahrung. Der tote Jesus lebt. Die Grenzen der Welt sind nicht seine Grenzen. Aber das lässt sich innerhalb dieser Grenzen, wo wir sind, nicht begreifen.
III.
Eines Tages aber, eines Tages wird alles ganz klar sein:
Wir werden erkennen, was wahr ist. Wer die Wahrheit sagt und wer lügt. Was wir tun sollen, und was wir lassen müssen.
Eines Tages, und diese Stunde kommt, werden wir frei sein. Wir werden frei denken und frei reden, niemand wird uns den Mund verbieten, schon gar nicht wir selbst.
Wir werden sehen, welcher Weg zur Liebe führt und zum Guten.
An jenem Tag werden wir keine Angst haben. Nicht davor, zu versagen und nicht vor Krankheit und Schmerzen. Nicht vor den Mächtigen, die mit Gewalt herrschen und nicht vor Krieg und Zerstörung. Wir werden das Ruder herumreißen und die Waffen begraben. Unsere Schuld wird uns klar vor Augen stehen und wir werden den Mut haben, sie zu bekennen. Und wir werden umkehren und den Schaden, den wir angerichtet haben, wieder gut machen. Es wird ganz leicht sein, weil wir keine Angst haben. Die Wahrheit wird auf dem Tisch liegen, ungeschminkt, wir müssen sie nur genau ansehen und akzeptieren.
Eines Tages, und die Stunde wird kommen, machen wir die Tür auf, und die Liebe kann einfach hereinkommen. Sie wird das Gesicht eines Kindes haben oder das der Nachbarin oder ein ganz anderes. Und der Menschensohn wird sagen: So habe ich mir das gedacht mit euch. Dass ihr mich hereinlasst in eure Wohnungen und in euer Leben. Dass Ihr euch nicht schämt, um die einfachsten Dinge zu bitten: Zuwendung. Verständnis. Wahrhaftigkeit. Ihr braucht vor dieser Wahrheit keine Angst zu haben.
Eins Tages werden wir das alles ganz klar sehen: Dass wir geliebt werden und deshalb wahrhaftige Menschen sind. So hat er sich uns gedacht. Es wird ganz leicht sein und wir werden so miteinander leben, dass jeder diese Liebe erfährt.
Eines Tages. Und dieser Tag wird kommen.
Und bis dahin?
Bis dahin leben wir in der Welt. Nicht ohne Angst, aber mit der Möglichkeit, ihm diese Angst hinzuhalten im Gebet. Ihn zu bitten und zu fragen. Wo finden wir deine Wahrheit? Wie hast du das gemeint – wie hast du uns gemeint? Dann wird er uns wieder seine Geschichte erzählen: Wie er als Mensch lebte, verletzlich und bedürftig. Wie er alles, was uns Angst macht, auch durchlebte. Und wie ihn das alles bewegt, was wir ihm erzählen. Unsere Bitten, unsere Gebete, sind alle auch in seiner Geschichte enthalten. Und er nimmt das, was wir ihn bitten, mit, wenn er die Grenzen der Welt überwindet.
Eines Tages wird das alles ganz klar sein. Und bis dahin können wir suchen, fragen, um seine Wahrheit bitten. Ihm unsere Geschichten und unsere Bitten erzählen. Sie sind bei ihm gut aufgehoben.
Amen.
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Beten heißt: wir bleiben in Kontakt – Predigt zu Johannes 16,23b-28.33 von Karoline Läger-Reinbold
Die Gläser sind leer, die Rechnung bezahlt. Schnell noch die Jacke aus der Garderobe geholt, dann stehen wir draußen. Ein letztes Lächeln und vielleicht ein Kuss, ein Händedruck, eine Umarmung. „Wir bleiben aber in Verbindung, du!“ - „Ich ruf‘ dich an.“
Abschiede und Trennungen sind einfach und schwer. Es geschieht, dass mir ganz leicht ist in so einem Moment und ich schwebe davon, von guten Worten beflügelt. An anderen Tagen bin ich nachdenklich, langsam. Oder ich bin froh, wenn das Treffen vorbei ist, kann es kaum erwarten, endlich aufs Fahrrad, ins Auto zu steigen. Ich kehre zurück in den Alltag oder breche auf zu neuen Ufern.
Die Art, wie Menschen auseinander gehen, sagt etwas aus über ihre Beziehung. Da gibt es die Freundinnen, Familie, Menschen, mit denen ich phasenweise praktisch unzertrennlich bin. Bei anderen wieder bin ich froh, sie nur selten zu sehen. Und manche mag ich einfach gern in meiner Nähe. Oder, wenn das schon nicht geht, dann will ich wenigstens wissen, wo sie sind und was sie gerade so machen. Wie gut, dass es das Telefon, das Internet, das Handy gibt. Da kann ich die Meinen jederzeit erreichen. Muss von Zeit zu Zeit sogar aufpassen, dass ich sie nicht nerve.
Viel mehr noch als früher sind Menschen miteinander verbunden. Können jeden erreichen, zu jeder Zeit. Entfernung ist total egal. Die Kinder im Ausland, die Nachbarn im Haus: wenn ich das mag, dann kann ich permanent auf Empfang sein. „Fernanwesenheit“ oder „Telepräsenz“, das sind schöne Begriffe dafür.1 Jemand ist weit weg und trotzdem sehr nah. Ich kann mit ihm reden, kann Bilder schicken oder skypen. Neulich sah ich in der Stadt eine Frau, die sich per Videoanruf in der Gebärdensprache mit ihrem gehörlosen Gegenüber ausgetauscht hat. Was für ein großartiger Fortschritt, wunderbar!
Wie bleiben wir in Kontakt, wenn wir doch räumlich getrennt sind? Die Frage ist alt. Aber die Standards unserer Kommunikation sind in den letzten Jahren gestiegen. Noch in den 90er Jahren war es normal, dass Menschen, die auf weiten Reisen waren, sich tage- oder wochenlang nicht gemeldet haben. Da kam mit Glück vielleicht irgendwann mal ein Brief. Heute haben viele von uns den Anspruch, jederzeit erreichbar zu sein, und sich sofort, oder zumindest nach wenigen Stunden wieder bemerkbar zu machen, und sei es nur für die banale Meldung: ich bin jetzt da, und alles ist gut.
Wie bleiben wir in Kontakt? Diese Frage beschäftigt auch die frühen Christinnen und Christen. Das Auferstehungsfest, der Ostermorgen, liegt heute fünf Wochen zurück. In zehn Tagen feiern wir Himmelfahrt. In der Apostelgeschichte wird erzählt, dass Jesus sich den Jüngerinnen und Jüngern noch 40 Tage nach Ostern gezeigt hat, bevor er dann hinweggenommen wird und in den Himmel zurückkehrt. In dieser Zeit, so heißt es da2, „zeigte er sich …durch viele Beweise als der Lebendige und … redete mit ihnen vom Reich Gottes.“ Natürlich hatte Jesu Anwesenheit nach Ostern eine neue, veränderte Qualität. Sein Leidensweg, das Kreuz von Golgatha, das alles war ja passiert. Der Auferstandene war der Gekreuzigte, doch seine Art, mit den Seinen in Verbindung zu sein, wurde neu definiert. Das Johannesevangelium trägt in besonderer Weise dazu bei: nur bei Johannes finden wir die Abschiedsreden, mit den Jesus die Gemeinde nicht nur auf das Ende einstimmt, sondern auch auf die Zeit, die dann kommt. Auf das Danach, in dem sich unsere Kirche bis heute befindet. Christus ist körperlich fern und dennoch weiter präsent, mal deutlich und mal weniger spürbar.
Der heutige Predigttext ist ein Auszug daraus:
Joh 16,23 b-28.33: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.3
Jesus kommt vom Vater und kehrt wieder zurück. Johannes zeichnet diesen Weg wie eine Parabel. Von ganz oben bis nach ganz unten ist dieser Jesus gegangen: Das Wort wurde Fleisch und wohnte mitten unter uns.4 Der Tod am Kreuz markiert den Tiefpunkt seines Wegs. Den Tiefpunkt – aber nicht das Ende. Denn es geht ja wieder hinauf. Der Auferstandene kehrt zurück zu seinem Vater, und wir, die wir auf Erden sind, bleiben weiter mit Christus verbunden. Und das zeigt sich im Beten. Im Gebet pflegen wir die Beziehung zu Gott. Jesus macht klar: was wir von Gott erbitten in seinem Namen, das wird er uns geben. Sein Weg nach unten und zurück hat auch für uns den Weg zu Gott gebahnt.
Wie also bleiben wir in Kontakt? Wir bitten und beten durch Jesus zu Gott. Der ist weit weg und doch gut zu erreichen, denn er ist telepräsent: Fernanwesend in unseren Gedanken, in unseren Herzen und Sinnen. Jesus ist der Mittler zwischen Gott und Menschen. Und es ist paradox: je stärker dieser Jesus sich physisch entfernt, desto deutlicher scheint zu werden, wer er für uns ist. Erst nach Ostern zeigt sich das volle Ausmaß seines Weges. Und mit der Rückkehr zum Vater verlässt er uns nicht. Er bleibt Mittelsmann, Fürsprecher, mehr noch: er schickt uns den Tröster, den Heiligen Geist.
Christus lässt die Seinen nicht allein. Wir haben einen kurzen Draht zu Gott. Und seine Nähe aus der Ferne macht, dass wir die Welt mit anderen Augen sehen. Die Perspektive verschiebt sich. Und Jesus will, dass wir Frieden haben in ihm.
In der Welt habt ihr Angst, sagt Jesus. Und Jesus weiß, wovon er spricht, soviel ist klar, denn diese Angst hat er im Leiden und im Sterben selbst erfahren. Und dann folgt das Aber. Jesus sagt: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Die Angst wird also nicht das Letzte sein. Wir bleiben miteinander in Kontakt.
Und auf einmal ist es so, als hättest du das Handy in der Tasche und der Akku wäre niemals leer. Betet, Rogate, so heißt es am heutigen Sonntag. Sei klug und nutze diesen kurzen Draht. Vielleicht brauchst du ihn dauernd. Vielleicht brauchst du ihn selten. Die Leitung ist jederzeit frei, und auch für Netzabdeckung ist gesorgt. Gott bleibt auf Empfang.
Und: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Da ist gar nichts, was zwischen euch steht. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost. Ich habe die Welt überwunden.
Amen.
1 I Christina Costanza, Fernanwesenheit. Personsein im Social Web im Lichte der Theologie, in: dies./ Christina Ernst (Hg.), Personen im Web 2.0. Kommunikationswissenschaftliche, ethische und anthropologische Zugänge zu einer Theologie der Social Media, Göttingen 2012, S. 127ff.
2 I Apg 1,3.
4 I Joh 1,14.
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Ganz nah - Predigt zu Johannes 16,23b-28.33 von Hans Uwe Hüllweg
Liebe Gemeinde,
„Dafür kannst du doch mal beten“, sagte Tante Minchen, „du willst doch schließlich Pfarrer werden!“. Ich glaubte, mich verhört zu haben. Wofür sollte ich beten? „Dass ich mal sechs Richtige im Lotto habe!“
Ich schaute sie prüfend an. Sie schien es ernst zu meinen. Nun, ich war selbst ein Jugendlicher von etwa 17 Jahren und wusste, ich will Pfarrer werden. Aber ich hatte noch nicht viel Ahnung von dem, was ein werdender Pfarrer so alles lernen muss. Aber eines fuhr mir blitzartig durch den Kopf, die Frage nämlich, ob man für so etwas wohl beten dürfe?!
„Du meinst, ich soll dafür beten, dass du sechs Richtige im Lotto kriegst, dafür soll ich beten?“
„Ja, natürlich!“ Sie meinte es tatsächlich ernst. Tante Minchen ‑ sie ist schon seit Jahrzehnten tot ‑ meinte damals wirklich, wenn sie selbst schon kein Glück mit dem Beten habe, dann müsste Gott sich doch von einem, der Pfarrer werden will, beeindrucken lassen. Gott könne doch sicher die Kugeln in der Lostrommel dahin rollen lassen, wohin er will oder besser: wohin sie will. Und wenn für uns die Chance nur 1:13 Millionen ist, dann gelten für Gott doch wohl nicht dieselben Regeln der Mathematik!
Tante Minchens Ansinnen enthüllt beiläufig ein Missverständnis, das ich bei vielen Menschen gefunden habe: Als ob „der lange Arm Gottes“ direkt in das Geschehen in der Welt eingreifen wollte. Den Wunsch, dass Gott sich gefälligst um die Sechs Richtigen kümmern solle, kann man ja noch als schrullig und meinetwegen auch als egoistisch beiseitelegen. Aber die Sache ist ernster. Es gibt ja auch Menschen, die für durchaus ehrenhafte und sinnvolle Anliegen beten, und es gibt Menschen, in ihren Wünschen und Gebeten nicht in erster Linie an sich, sondern an andere denken. Und die dennoch enttäuscht werden.
Ich habe in all den Jahren meines Dienstes gehört, wie Menschen solche Wünsche aussprachen: Dass Gott die Arbeitslosigkeit abschaffen solle und die Armut, die Kriminalität und die Einsamkeit. Dass Gott mit einem Blitz aus dem Himmel zwischen all das Leid fahren solle, das uns widerfährt. Dass er etwa mit Terroristen, der Mafia, dem Blutvergießen insgesamt und überhaupt allen Grausamkeiten aufräumen müsste.
Ich kann diese Wünsche gut verstehen. Auch ich fühle mich machtlos, wenn ich im Fernsehen mit ansehen muss, wie Kinder hungern, wie Mädchen und Frauen entführt und missbraucht werden, wie Terroristen Hunderte, ja Tausende Menschen umbringen, wie Flutwellen oder Tornados Menschen obdachlos machen und wie bei der Flucht in ein besseres Leben übers Mittelmeer die Schleuser reich werden und eine Vielzahl von Flüchtlingen ertrinken. Auch ich wünsche mir, dass es damit ein Ende nähme.
Doch eins dürfen wir nicht vergessen: Das meiste Leid, das geschieht, ist von Menschen verursacht, und es ist unsere Aufgabe, damit aufzuräumen. Da müssen wir selbst ran. Das kommt nicht von allein. Die Verantwortung für mein Leben und für unsere Welt nimmt mir niemand ab.
Hier hat, so meine ich, auch das Beten seinen Sinn: Wenn ich bete, finde ich mich nämlich nicht mit der Wirklichkeit ab, sondern glaube, dass sie veränderbar ist. Ich wünsche mir im Gebet den Mut, sie zu verändern, wo immer ich kann. Unsere Vorfahren hatten dafür einen Spruch zur Hand, der heute leider aus der Mode gekommen ist: „Bete und arbeite!“
Sechs Richtige im Lotto – wer die erwischt, mag sich freuen. Das können immer nur einzelne sein. Wenn aber viele Menschen beten und arbeiten, dann haben alle was davon.
Wer über unseren Text aus dem Johannesevangelium nachdenkt, mag erstaunt sein über die Unbedingtheit der Zusage Jesu, die man vorher vielleicht noch nie so deutlich gelesen oder gehört hat: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.“ Das beißt sich mit der Lebenserfahrung vieler Menschen, die noch beten.
Was heißt aber, in Jesu Namen zu beten?
Der englische Prediger Charles Spurgeon, einer der bekanntesten Prediger des 19. Jahrhunderts, hat einmal in einem treffenden Bild erklärt, was es heißt, im Namen Jesu zu bitten. Die Zahlungsverfahren sind heute im Zeitalter von Smartphone, Kreditkarte und Paypal zwar andere, aber wir kennen das auch noch. Spurgeon schreibt:
„Wenn ich mit einem von einem reichen Mann unterzeichneten Scheck zur Bank gehe, dann erhaltene ich die ausgeworfene Summe, weil der Mann ein Guthaben auf der Bank hat und weil ich in seinem, nicht in meinem Namen darum bitte.
Ich kann ein mit schmutzigen Lumpen bedeckter Bube sein, doch die Bank zahlt mir aus, weil ich auf der Anweisung einen guten Namen stehen habe. Denn er interessiert sich nicht so sehr für die Person, die das Geld abholt, als für den Namen, der auf der Anweisung steht. Und wenn ich im Gebet vor Gott stehe, so ist die Frage weniger, wer ich bin. Ich kann sehr arm und unbedeutend sein, es ist der Name, in welchem zu bitten ich das Vorrecht habe… Welche Kraft des Namens Jesu!“ Soweit Spurgeon.
Ein Mensch, dessen konkrete Bitte Gott nicht erhört hat, und das gibt es ja!, ist schnell dabei, das Beten als etwas Sinnloses und Vergebliches anzusehen. Manche verachten es als Träumerei oder gar Spinnerei. Es mag ja auch enttäuschend sein, dass Gott offenbar auch sinnvolle Bitten überhört.
Dazu gibt uns Martin Luther einige hilfreiche Ratschläge. Er sagt zum Beispiel:
- Zweifle nicht, wenn du betest, du machst ja sonst Gott zu einem Lügner. Oder:
- Gott erhört wundersam und reichlich, des Menschen Herz ist zum Begreifen dessen zu eng. Oder auch:
- Wer nicht betet, wird mit der Zeit den Glauben verlieren. Nächst dem Predigtamt ist das Gebet das größte Amt in der Christenheit. Im Predigtamt redet Gott mit uns, darum rede im Gebet mit ihm.
Dass Gott gelegentlich in der Tat auf wundersame Weise Gebete erhören kann, hat einmal Johann Heinrich Pestalozzi berichtet, der bekannte, große Schweizer Pädagoge des 18. Jahrhunderts. Er hatte einen einzigen Sohn, der etwa vom zwanzigsten Lebensjahr an schwere epileptische Anfälle bekam. Da geschah folgendes, wie Pestalozzi erzählt:
„Ich war gerade um die Mittagszeit heimgekommen, da traten die Leiden des Sohnes wieder so entsetzlich auf, dreimal war es an dem Tage schon vorgekommen, ich konnte es nicht mehr mit ansehen. Und was er noch nie tat, er schrie in seinem Leiden. Da ergriff mich ein unaussprechliches Gefühl. Ich wusste nicht, was ich tat; ich wusste auch kaum, was ich wollte. Wie von einem Sturmwind niedergestoßen, lag ich auf den Knien und betete mit einer Macht der Stimme, die den Knaben erschütterte. So auf den Knien betete ich und rief auch ihm zu: 'Glaube nur, glaube Gott, er kann dir helfen.' Da wichen die Geister. Erstaunen ergriff uns… Schön war diese heilige Stunde; ohne die Leiden meines Lebens hätte ich sie nicht erfahren. Dank dem Ewigen!“
Über das Leid, das dieser bedeutende Pädagoge in seinem Leben erlitt und annahm, schreibt ein Autor: „Am Leid ist Pestalozzi gereift, und er hat übermäßig viel gelitten; aber wie er mit dem Leid fertig wurde, das rückt ihn aus der Linie des nur heroischen Menschentums und stellt ihn in den Kraftbereich des Glaubens…“ Das kann natürlich keine Garantie sein für unser Bitten. Aber solche Erfahrungen gibt es eben auch, und die machen Mut, es immer wieder mit dem Beten zu versuchen.
Ewas wir heute aus er Bibel erfahren: Kein Gebet bleibt ungehört, wenn es ernsthaft ist. Auch wenn es nicht in jedem Fall erhört wird. Das schafft uns schon mal inmitten der Ängste dieser Welt und unseres Lebens die Gewissheit, bei Gott geborgen zu sein.
Liebe Gemeinde, Tante Minchen ist gestorben, ohne im Lotto gewonnen zu haben. Ich habe ja auch nicht dafür gebetet. Und wenn ich mich wider Willen dafür hergegeben hätte, wäre vermutlich auch nichts daraus geworden. Man sollte sich halt überlegen, was man, wofür und für wen man betet. Denn wenn gewiss ist, dass Gott alle Gebete hört, dann hört er auch die bösen.
Zu guter Letzt: Es geht hier und heute nicht um einen Imperativ nach dem Motto: „Betet!“, oder gar: „Betet mehr.“ Oder: „Betet etwas Gutes!“ Sondern um einen wichtigen Hinweis für uns als Christinnen und Christen:
Das Gebet ist der Atem der Seele. Die Seele braucht das Gebet, wie die Pflanze das Wasser, um nicht zu verdorren.
Wenn Ihr von diesem Gottesdienst und dieser Predigt nichts behaltet, dann doch wenigstens diesen einen Satz: „Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt!“ Den habe ich von dem ehemaligen brasilianisch-deutschen Fußball-Nationalspieler Cacau. Ja, Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt!
Amen.
Anregungen von Albrecht Weber/Delmenhorst über www.predigtdatendank.de (derzeit offline); Luther-Worte aus verschiedenen Quellen, z.B. aus Ulrich Asendorf, Die Theologie Martin Luthers nach seinen Predigten, Göttingen 1988; Zitat über Pestalozzi: Jörg Erb, Die Wolke der Zeugen, 3. Band, 3. Aufl., Kassel 1969, 394f.; Zitat von Cacau häufig im Internet zu finden, ursprünglich Gedichtzeile von Nelly Sachs
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Hirtensonntag – Predigt zu Johannes 10, 11-16 von Matthias Petersen
(Musik zum Eingang)
Begrüßung
Gemeinde: Morgenlicht leuchtet (455)
Psalm 23
Gloria Patri
Votum
Kyrie eleison
Votum
Gloria in excelsis
Gruß
Gebet
Lesung: 1. Petrus 2, 21-25
Gemeinde: Der Herr ist mein getreuer Hirt (274)
Lesung: Johannes 10, 11-16
Credo
Gemeinde: Ich möchte, dass einer mit mir geht (209)
Predigt: Johannes 10, 11-16
Gemeinde: Gott hat das erste Wort (199)
Abkündigungen
Gemeinde: Gott gab und Atem (432)
Fürbitte
Vaterunser
Gemeinde: Christ ist erstanden (99)
Segen
(Musik zum Ausgang)
Begrüßung
Jesus: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ (Jh 10)
Misericordias Domini – das Erbarmen des Herrn – Hirtensonntag
Herzlich Willkommen!
Wer kann Orgel spielen?
A capella – einfach versuchen
Im Namen Gottes des Vaters
und des Sohnes
und des Heiligen Geistes
Amen
Eingangsgebet
in deinem haus bleiben
gott
immerdar
das wollen wir gern
das wünschen wir uns
heimat zu haben in deiner nähe
dort zu hause zu sein
darum bitten wir auch heute morgen
in diesem gottesdienst
dass du zu uns kommst
in unser beten und singen
in unser reden und hören
darum bitten wir
in jesu namen
amen
johannes 10, 11-16
gnade sei mit euch und friede von gott unserem vater und dem herr jesus christus amen
liebe schwestern und brüder
es gibt eine art von herablassender kommunikation bei der geht mir das messer in der tasche auf
ich meine zb diese von manchen schlichten zeitgenossen witzig gemeinte dumm-dämlich-dreiste anmache herr pastor – ihre schäfchen warten der so redende will ausdrücken die sind ja doch ein bisschen dumm diese christenmenschen ich dagegen bin ein aufgeklärter zeitgenosse ein toleranter noch dazu ich gönne jedem tierchen sein pläsierchen ich seh das anders ich behaupte dagegen wer so herablassend redet der ist weder aufgeklärt noch tolerant sondern schlichtweg ein wenig unterbelichtet denn er bedient dabei das vorurteil dass a alle schafe dumm sind und christenmenschen sowieso und dass b diese dummen schafe diese dummen christenmenschen willenlos einem führer hinterhertrotten dabei im alten wie auch im neuen testament steht die metapher von hirt und schafen für ganz etwas anderes das sind starke bilder die damals jeder verstand der hirt steht für den starken beschützer den mutigen und selbstlosen verteidiger der schwachen der könig saul war so einer dieser legendäre erste könig israels zunächst hirt dann könig dann kommt als nachfolger der könig david auch er zunächst hirt dann so etwas wie ein räuberhauptmann später in der erinnerung israels bis heute der große übervater der nation stark und schwach fromm und unfromm eine schillernde figur einer mit ecken und kanten ein mensch eben kein heiliger wie saul wird auch er zum hirten seines volkes nirgendwo wird dabei unterstellt dass schafe dumm wären aber gegen manche gefahren sind sie eben wehrlos gegen wölfe zum beispiel das erfahren wir gerade in schleswig-holstein gegen löwen ohnehin einer muss sie verteidigen und das ist ein lebensgefährlicher job sowohl saul zumindest bevor er geistig umnachtete aber dann ganz besonders david stellen sich dieser aufgabe ohne rücksicht auf die eigene person ohne rücksicht auf das eigene leben als der evangelist johannes diese worte berichtet worte die er jesus in den mund legt da will er sagen so wie die großen hirten israels ihr land verteidigt haben wie sie das volk verteidigt haben das ihnen anvertraut war so setzt sich jesus mit seiner ganzen existenz mit seinem ganzen leben ein für die gemeinde er erinnert damit an die lange lange tradition seines volkes nicht nur an die geschichtliche
auch an die theologische tradition denn hirten das waren nicht nur die könige einer sagenhaften vergangenheit ein hirte ein guter hirte seiner schafe das ist gott selbst der herr ist mein hirte mir wird nichts mangeln seit zweieinhalb tausend jahren finden menschen mit diesen worten trost und ermutigung in not und gefahr und ob ich schon wanderte im finsteren tal ich fürchte kein unglück das alles möchte ich gerne jenen unterbelichteten zeitgenossen erklären denen die da ihre milden schäfchen-witze erzählen aber sie würden es wohl nicht verstehen stattdessen will ich lieber die frage stellen ob nicht diese verführbarkeit die da uns christenmenschen süffisant unterstellt wird ob die nicht eine ganz akute und hochgefährliche gesamtgesellschaftliche wirklichkeit beschreibt ich frage gibt es eigentlich irgendeinen unsinn der nicht von irgendwelchen menschen behauptet verbreitet und geglaubt wird heute mit lichtgeschwindigkeit und übers internet und der nicht sofort auch geglaubt wird von tausenden hunderttausenden sogenannten followern
da gibt es verschwörungstheorien ohne ende
- dass es bielefeld gar nicht gibt
- dass zwei jahrhunderte des mittelalters von historikern einfach dazu erfunden wurden
- dass die kondensstreifen von flugzeugen in wirklichkeit als eine heimliche vergiftungsaktion der bevölkerung veranlasst wurden
- dass masernimpfungen der perfide versuch der regierung sind, die bevölkerung auf chemischem weg gefügig zu machen
- dass außerirdische längst in ufos gelandet sind und uns heimlich ausspionieren
dazu gehört für mich auch obwohl ich damit einen shitstorm riskiere der glaube an wünschelruten globuli erdstrahlen an die heilkraft von edelsteinen und vieles vieles mehr ich denke manchmal der glaube an die auferstehung jesu christi ist dreimal deutlich besser belegt als all das an was eine angeblich aufgeklärte gesellschaft heute glaubt karl rahner der scharfsinnigste katholische theologe des letzten jahrhunderts hat in der ihm eigenen bissigkeit schon vor 50 jahren geschrieben man glaubt gar nicht was man alles glauben muss wenn man nicht glaubt wohl wahr die bibel dagegen ermutigt zum gebrauch des kritischen verstandes alles prüfet sagt paulus und das gute behaltet von jesus wird überliefert sie werden euch sagen gott ist da oder gott ist hier geht nicht hin und lauft ihnen nicht hinterher die bibel ist ein dokument kritischen glaubens ein dokument das den analytischen verstand des menschen nicht nur nicht ausschließt sondern bewußt in anspruch nimmt und fordert
die bibel setzt die mündige gemeinde als leitbild voraus die bibel ist damit aber auch ein dokument des vertrauens denn glaube heißt ja nicht etwas für wahr zu halten was sich nicht beweisen läßt sondern glaube heißt zu leben aus dem tiefen vertrauen heraus dass gott es gut meint mit mir gutes und barmherzigkeit werden mir folgen mein leben lang und ich werde bleiben im hause des herrn immerdar aber die frage die dieser abschnitt des evangeliums stellt ist ja noch eine zweite diese frage heißt wem kann ich trauen und wem trau ich lieber nicht
diese frage hat ja angesichts der trumps und orbans der gaulands und der bolsonaros nichts von ihrer aktualität und dringlichkeit verloren im gegenteil als ob die menschheit nichts aber auch gar nichts gelernt hätte aus ihren erfahrungen mit den führern und verführern des 20. jahrhunderts man möchte manchmal schier verzweifeln ob dieser unfähigkeit also die notvolle frage wem dürfen wir vertrauen gute hirten sind dringlichst gesucht ein erstes kriterium könnte heißen ein guter hirte drängt sich nicht nach dem job die propheten israels sie waren alles andere als glücklich über ihre berufung mose reklamiert nicht reden zu können jona läuft weg jeremia meint er sei zu jung jesus schließlich bittet gott lass den kelch an mir vorübergehen gute hirten müssen überredet werden bis sie sich schließlich ihrer aufgabe stellen aus der einsicht heraus verantwortung übernehmen zu müssen für die not der menschen nicht mein sondern dein wille geschehe ein zweites kriterium gute hirten verzichten auf privilegien sie reklamieren keine sonderbehandlung für sich ein großteil der sympathien die die welt für den römischen papst franziskus hegt beruht doch auf seiner bescheidenheit auf seiner anspruchslosigkeit in materiellen dingen vögel haben nester sagt jesus füchse haben gruben aber der menschensohn hat nicht einmal einen ort wo er sein haupt hinlegen könnte
ein drittes kriterium
gute hirten halten widersprüche aus gute hirten umgeben sich mit starken mit widerständigen mitarbeitern sie wissen niemand kann alles wissen darum wollen sie auch die anderen stimmen hören sie holen die gegner an den tisch und bleiben mit der opposition im gespräch an jesu tisch saßen sie alle die gewaltbereiten politischen akteure wie simon zelotes jakobus und johannes der verräter judas der leugner petrus der zweifler thomas
und schließlich
gute hirten eröffnen neue chancen sie behaften ihr gegenüber nicht mit den fehlern der vergangenheit sondern sind bereit zum risiko und schenken neues vertrauen weide meine schafe so soll jesus es zu petrus gesagt haben zu petrus dem versager weide meine schafe und überträgt ihm die verantwortung für die junge gemeinschaft gehet hin in alle welt so sagt jesus schließlich zu den jüngern gehet hin in alle welt und lehret alle völker er behaftet sie nicht bei ihrem versagen sondern schenkt ihnen neues vertrauen und damit neues leben versteht ihr warum mir die dummen flachwitze über den pastor und seine schäfchen so auf den zeiger gehen weil erstens gute hirten sind keine verführer sondern starke vorbilder und starke beschützer und zweitens die gemeinden so sieht sie die bibel das sind starke mündige kritische menschen die sich im vertrauen auf einen liebenden gott mutig den herausforderungen dieser welt stellen
amen
fürbitten
lasst uns gott danken
für seine gegenwart unter uns
im wunder der schöpfung
in der erfahrung guter menschen
in dem geist der uns belebt
lasst uns gott bitten
für glaubwürdige leitung
für integere verantwortungsträger
für überzeugende vorbilder
für eine mündige gemeinde
für kritische christen
für eine engagierte und glaubwürdige kirche
für die gäste unserer gemeinde
dass sie hier etwas spüren vom frieden der natur
von der liebe gottes zu seiner schöpfung
für die menschen die hier leben
dass sie die große fülle des lebens erfahren
in ihrer kleinen gemeinschaft
für alle kranken und sterbenden
für trauernde und verzweifelte
für die suchenden
und für die
die meinen schon alles zu wissen
für uns selbst
dass gott uns begleite in diese neue woche
und dass er segne unser tun und lassen
lasst uns beten
wie jesus christus selbst es uns gelehrt hat
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Führen und folgen - Predigt zu Johannes 10, 11-16, 27-30 von André Demut
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Liebe Gemeinde!
Den Bibeltext für die heutige Predigt haben wir bereits als Evangelium gehört. Ich lese ihn noch einmal nach einer anderen Übersetzung:
Jesus Christus spricht: Ich bin der gute Hirt. Ein guter Hirt ist bereit, für seine Schafe zu sterben. Einer, dem die Schafe nicht selbst gehören, ist kein richtiger Hirt. Darum lässt er sie im Stich, wenn er den Wolf kommen sieht, und läuft davon. Dann stürzt sich der Wolf auf die Schafe und jagt die Herde auseinander. Wer die Schafe nur gegen Lohn hütet, läuft davon; denn die Schafe sind ihm gleichgültig. Ich bin der gute Hirt. Ich kenne meine Schafe und sie kennen mich, so wie der Vater mich kennt und ich ihn kenne. Ich bin bereit, für sie zu sterben. Ich habe noch andere Schafe, die nicht zu diesem Schafstall gehören; auch die muss ich herbeibringen. Sie werden auf meine Stimme hören, und alle werden in einer Herde unter einem Hirten vereint sein. … Meine Schafe hören auf mich. Ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen das ewige Leben und sie werden niemals umkommen. Niemand kann sie mir aus den Händen reißen, weil niemand sie aus den Händen meines Vaters reißen kann. Er schützt die, die er mir gegeben hat; denn er ist mächtiger als alle. Der Vater und ich sind untrennbar eins.«1
„Führen und Folgen“ war die Überschrift eines Tanz-Workshops, an dem meine Frau und ich am letzten Wochenende teilnahmen.
Beim Tanzen sind die Rollen klar verteilt: Der Mann führt, die Frau lässt sich führen. So zumindest die Theorie. Wer das als Mann schon einmal versucht hat – oder gar regelmäßig tanzen geht – weiß, wie anspruchsvoll gutes Führen ist. Es kommt darauf an, dass ich selbst weiß, was ich als Nächstes machen möchte – und dass ich dies dann meiner Partnerin ohne Worte, nur durch meine Körpersprache, anzeige. Schlechtes Führen ist viel einfacher – und es passiert leider manchmal, dass ich schlecht führe. Das kann dann so aussehen, dass ich gar nicht führe und meine Frau die Führung übernehmen muss, wenn wir bestimmte Figuren tanzen wollen. Oder, die andere Variante schlechten Führens: Ich weiß zwar, was ich als Nächstes machen will und ich mache auch die Bewegungen, die in die neue Figur führen sollen – doch mein Führen ist nicht wirklich ein Führen, sondern ein Zwingen, ein Drängen, ein Überwältigen.
Die Partnerin kann sich dann nicht gut führen lassen, weil ihr jede eigene Freiheit genommen ist bei solch einer schlechten Führung. Wenn ich gut führe, biete ich durch meine Körperspannung und durch eindeutige Signale an, was wir als Nächstes machen können. Und meine Tanzpartnerin hat dann genügend Raum, genügend Luft zum Atmen, genügend Zeit zum Reagieren, um sich auf das Führungsangebot einzulassen. Gute Führung zwingt die Geführten nicht, bedrängt sie nicht und überwältigt sie nicht.
In unserem heutigen Bibeltext unterscheidet Christus gute Hirten von schlechten Hirten, gutes Führen von schlechtem Führen. Ein guter Hirte ist bereit, für die Geführten notfalls sein eigenes Leben zu geben. Ein schlechter Hirte lässt die Geführten im Stich, sobald ein ernsthaftes Problem auftaucht. Ein guter Hirte kennt diejenigen wirklich, für die er Leitungsverantwortung trägt. Einem schlechten Hirten sind die Geführten im Grunde egal. Ein guter Hirte weiß, dass er selbst jemanden über sich hat, ich zitiere nochmal aus der Christus-Rede: „Ich kenne meine Schafe und sie kennen mich, 15 so wie der Vater mich kennt und ich ihn kenne … und der Vater ist mächtiger als alle.“ Ein schlechter Hirte tut so, als sei er niemandem außer sich selbst Rechenschaft schuldig.
Wenn wir über das Johannesevangelium hinausblicken, sehen wir noch mehr, was einen guten Hirten, eine gute Führerin, einen guten Leiter ausmacht: „Und Jesus … sah die große Menge; und sie jammerten ihn, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er fing eine lange Predigt an.“ (Mk 6, 34), so heißt es im Markusevangelium.
Man zuckt ein wenig, wenn man das liest: „Er fing eine lange Predigt an.“ Gott sei Dank wissen wir, wie die Geschichte weitergeht: Dieser Hirte wird sich dann auch um das leibliche Wohl der Volksmenge kümmern – es folgt nämlich die Geschichte der wunderbaren Brotvermehrung. Sie teilen das, was sie dabeihaben – und alle werden satt. Auf die Seelsorge folgt die Leibsorge. Leibsorge und Seelsorge gehören zusammen.Dieser Hirte speist die an Leib und Seele Geplagten nicht mit einer Predigt ab. Dieser Führer hat alle Bedürfnisse der ihm Anvertrauten im Blick. Doch dieser Leiter speist die Geführten auch nicht ab mit Brot und Spielen,
mit Wachstumsraten und Konjunkturdaten, mit abgedroschenen Phrasen und leeren Worthülsen. Dieser Hirte hat wirklich etwas zu sagen, weil er vorher selber genau hingehört hat, er hält eine Predigt, er legt das Wort Gottes aus, er schenkt Orientierung: durch eine gute Rede, durch kluge Argumente, durch geistige Impulse, die den Zuhörenden wirklich etwas zu denken geben. Er nimmt die Geführten ernst, indem er ihnen geistige Nahrung für ihr eigenes Denken zumutet. Dieser Leiter tappt nicht in die Zynismus-Falle. Dieser Führer sagt sich nicht: „Die Schafe wollen eh nur einen gefüllten Magen haben. Denken wollen die nicht, dafür sind sie zu dumm und zu träge.“
Nein, dieser Hirte stellt die Predigt sogar an die erste Stelle, ehe er das Brot austeilt. Was für eine Freiheit beim Führen! Und wie viel traut er den Geführten zu! Dieser Hirte bietet eindeutige Signale an, was wir als Nächstes machen können. Dieser Führer überwältigt nicht. Dieser Leiter drängt nicht. Dieser Hirte manipuliert nicht. Von diesem Leiter werden die Geführten ernst genommen. Dieser Führer traut den Geführten zu, dass sie selbst mitdenken. Dieser Hirte kultiviert nicht das „dumme Schaf“, sondern, wenn wir mal im Hirt-und-Herde-Bild bleiben, das „intelligente Schaf“.
Ein „intelligentes Schaf“ scheint ein Widerspruch in sich selbst zu sein. Doch Achtung: Vielleicht zeugt es einfach nur von unserer menschlichen Arroganz, wenn wir gern die Bildrede vom „dummen Schaf“ verwenden. Eine Studie der Universität Cambridge förderte ein erstaunliches Ergebnis zutage: Stellen Sie sich vor: Zwei Bildschirme an der Wand, darunter je ein Ausgabeschacht für Leckerlis, in der Mitte ein Schaf. Per Zufallsgenerator werden sodann Fotos von Barack Obama und drei anderen Prominenten im Wechsel mit unbekannten Gesichtern, Gegenständen oder einem schwarzen Monitor gezeigt. Im Vorfeld der Studie waren dem Tier wiederholt Porträts der Prominenten gezeigt worden.
Das Schaf muss nun entscheiden, auf welchem Bildschirm ein Prominenter gezeigt wird. Irrt es sich, ertönt ein Hupton. Hat es recht, bekommt es zur Belohnung einen Getreidehappen. Die Versuchsergebnisse erstaunten die Wissenschaftler um die Neurobiologin Jenny Morton: Das Welsh-Mountain-Schaf war in acht von zehn Fällen in der Lage, im Abgleich den Prominenten zu identifizieren. Dass Schafe ihre Hirten erkennen können, war im Vorfeld des Versuchs bekannt - nicht jedoch, dass sie vier bekannte Gesichter von unbekannten unterscheiden können.2
„Führen und folgen“. Es gibt gute Hirten und es gibt schlechte Hirten. Die Guten trauen ihren Schafen etwas zu, sie respektieren sie als selbständige Gegenüber und sehen sie nicht als „dumme Schafe“. Und für sich wissen die guten Hirten, dass sie selbst auch Führung und Orientierung brauchen, um anderen gute Orientierung geben zu können. Sie führen gut, weil sie auch folgen können – und nicht selbstherrlich um sich selber kreisen.
„Führen und folgen“ Niemand ist nur Hirte. Nicht einmal Christus. Und niemand ist ganz Schaf. Oder anders gesagt: Es ist keine Schande, sich führen zu lassen – es kommt nur darauf an, ein intelligentes Schaf zu sein: eins, das guter von schlechter Führung unterscheidet, eins, das sich verweigert, wenn es manipuliert und überwältigt werden soll eins, das Freude am Mitdenken hat eins, das sich am guten Hirten orientiert und weiß, worauf es ankommt beim „Führen und folgen“.
Der Friede Gottes, der höher ist als aller Menschen Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn
1 I Joh 10, 11-16.27-30 Gute Nachricht
2 I Quelle: https://www.spiegel.de/panorama/studie-universitaet-cambridge-schafe-erkennen-prominente-a-1176945.html, aufgerufen am 1. 5. 2019
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Wende zum Leben – Predigt zu Johannes 20,11-18 von Martina Janßen
I. Mich rührt diese Ostergeschichte aus dem Johannesevangelium besonders an. Vielleicht deshalb, weil sie der Trauer Raum gibt. „Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.“ Die anderen Jünger waren gegangen, nachdem sie gesehen hatten, dass das Grab leer und der Leichnam Jesu nicht da war. „Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste. Da gingen die Jünger wieder zu den anderen zurück.“ Maria aber harrt vor dem Grab aus und weint. Bis auch sie wie die anderen vom Grab weggehen würde, ausgeweint, allein. Das wäre das Ende gewesen. Aber die Ostergeschichte erzählt nicht von einem Ende, sondern von einem Anfang. Auf den Maria sich einlässt, auf den sie zugeht, Schritt für Schritt.
Die Weinende erstarrt nicht, sie ist in Bewegung. Die, die draußen vor dem Grab steht, bleibt nicht stehen. Weder bei sich noch bei dem, was sie bedrückt. Maria bewegt sich. „Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein.“ Diese Bewegung ins Grab hinein öffnet ihr die Augen für den Lebenden. Aber nicht sofort. Sondern nach und nach. Schritt für Schritt, Wendung um Wendung. Maria sieht zwei Engel, sie hört eine Frage „Was weinst du?“ Maria lässt sich ansprechen, spricht aus, was sie bedrückt. „Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ Sie weint um den, den man ihr genommen hat, aber sie verschließt sich nicht in ihrer Trauer. Sie findet sich nicht ab mit der Leere im Grab. Sie sucht den Toten. Sie bewegt sich, wendet sich um, um weiter zu suchen. Da sieht sie den Gärtner, den Lebenden sieht sie noch nicht. Und wieder hört sie die Frage: „Frau, was weinst du? Wen suchst du?“ Und wieder lässt sie berühren von den Worten, wieder antwortet sie, bewegt sich heraus aus ihrer Trauer, spricht aus, was sie bewegt. „Sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen.“ Wieder sucht sie den Toten, den sie weggenommen glaubt. Den Lebenden sucht sie noch nicht. Aber sie ist in Bewegung. Maria bewegt sich auf den Lebenden zu, unbestimmt und unbewusst. Da trifft sie das Wort. „Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister.“ Eine seltsame Szene, eigentlich eine Bewegung, ein Sich-Umwenden zu viel. Maria hatte sich schon zu dem zugewandt, den sie für den Gärtner hält, nun – nach dem Wort, das sie trifft: „Maria“ – wendet sie sich erneut um. Eine kleine Bewegung nur. Doch das ist der Wendepunkt in der Geschichte, die entscheidende Bewegung, das „entscheidende Mal, daß sie sich wendet und in diesem Sich-Wenden verwandelt wird […] in eine, die ihn erkennt“ (Patrick Roth) und bekennt: „Rabbuni“. Diese eine Sekunde zwischen zwei Worten: „Maria“- Rabbuni“ ist die Wende zum Leben. Maria hat Jesus erkannt. Nach und nach. Schritt für Schritt, Wendung um Wendung, jetzt ganz und gar. Nun sind sie – der Auferstandene und die, die neu aufersteht zum Leben – einander zugewandt, ganz nah, so als wurde sich in dieser Sekunde zwischen zwei Worten die ganze Wahrheit des neuen Lebens verdichten, licht und leicht. Am Ende geht auch Maria vom Grab weg ins Leben zu den anderen, befreit und beschenkt. Sie hat den Toten nicht gefunden, aber den Lebenden. Das ist mehr als sie je zu suchen gewagt hat. „Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und was er zu ihr gesagt habe.“ Das ist der neue Anfang für alle. „Im Tale grünet Hoffungsglück.“
II. Mich rührt diese Ostergeschichte an. Vielleicht deshalb, weil sie Missverständnisse zulässt, dem Weg ins Leben Raum und dem Suchen und Versuchen Zeit gibt. Leicht war das nicht für Maria, kein Osterspaziergang – „vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick“. Nein: „Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.“ Leicht ist es eben nicht, von Tod und Trauer ins Leben zu finden. Manchmal braucht es viele Versuche, um aufzustehen, sich umzudrehen, aufzubrechen, neu zu leben. Dreimal musste Maria sich umwenden, bis sie den Lebenden gefunden hat, bis sie weitergehen und selber auferstehen konnte. Das berührt mich, diese Wendepunkte, dieses immer wieder neue Suchen, dieses Erkennen nach und nach, dieser Mut, immer wieder den nächsten Schritt zu tun. Da ist nicht alles mit einem Schlag leicht und licht, das sind alle Fragen und Tränen nicht mit einem Mal weggewischt. Diese Ostergeschichte ist kein triumphales Finale, kein Blitzsieg über den Tod, sondern ein langer Weg ins Leben Schritt um Schritt, nach und nach, Bewegung um Bewegung bis zum entscheidenden Wendepunkt, jener „Magdalenensekunde“ wie Patrick Roth sie nennt, wo die Weinende und der Lebende, wo Mensch und Gott einander zugewandt sind, wo Maria den Auferstandenen erkennt und selber neu zum Leben aufersteht. Sie rührt mich an, diese Maria Magdalena, die sich bewegt, die nicht bei sich und ihrer Trauer stehen bleibt, die sich immer wieder ansprechen lässt in ihrer Suche, sich immer wieder ins Leben wendet und am Ende mehr findet als sie jemals gesucht hat: Nicht den Toten, sondern den Lebenden. „Maria“ – Da spricht er, der vermeintlich Tote, der Verstummte, Verlorene. Eigentlich geht das nicht, eigentlich hat Maria das nicht erwartet. Aber Maria hört, lässt sich bewegen zu etwas Ungeahntem hin, bleibt nicht bei dem stehen, was erwartbar ist. Ein bisschen ver-rückt, ver-dreht, ver-kehrt, aber die Wendung zum Guten, zum Leben.
III. Mich berührt dieses Tasten und Suchen, dieses Sich-Wenden und Winden, dieses in Bewegung und in der Hoffnung Bleiben. Das möchte ich von Maria lernen: Angesichts der kleinen und großen Sorgen und all der Sackgassen im Leben nie aufhören, einen neuen Anfang zu suchen. Den Menschen, die mich weinen machen, immer wieder neu und offen zu begegnen. Bei den großen Plänen immer wieder wagen, den nächsten Schritt zu gehen, auch wenn ich das Ziel kaum erblicken kann. Das möchte ich von Maria lernen: Am Beginn eines jeden neuen Morgen dem, was auf mich zukommt, mit Hoffnung zu begegnen und offen zu sein für die Antworten auf meine Fragen, die erwarteten und die, die meine Erwartungen sprengen. All das möchte ich von Maria lernen und noch viel mehr. Maria – sie ist die, die ansprechbar ist für eine Gewissheit, die tiefer ist als alles, was ich je sehnen und suchen kann. Als Jesus sie beim Namen nennt, denkt sie nicht einen Moment: Ist das eine Täuschung? Woher kennt der Gärtner meinen Namen? Dass Jesus selbst es ist – wie könnte das sein? Nicht einen Moment stellt Maria solche Fragen, nicht einen Moment stellt sie die neue Wirklichkeit in Frage, bleibt nicht einen Moment bei dem stehen, was menschenmöglich ist, sondern bewegt sich auf das Wunder zu: „Da wandte sie sich um und spricht zu ihm Rabbuni!“ Eine kleine Bewegung, ein einziges Wort, eine Wendung hin zum Unmöglichen, das allein neues Leben ermöglicht. Von dieser Gewissheit möchte ich anstecken lassen, in all meinem Weinen und meiner Angst, in all meiner Mutlosigkeit und all meinem Suchen möchte durchlässig sein für das Wunder des Lebens. Dann kann es sein – in einer dunklen Stunde vielleicht oder dann, wenn das Leben vollkommen gelingt –, dann kann es sein, dass auch mich ein Wort trifft, ein Hauch, sein Geist, dann bin auch ich mitten drin jener Wende zum Leben, die alles neu macht, leicht und licht. „Halleluja, der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja. Im Tale grünet Hoffnungsglück.“
Amen