Predigt zu Römer 8,31b-39 von Gerda Altpeter
31b. Wenn Gott für uns ist,
wer ist gegen uns?
32. Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont,
sondern ihn für uns alle gegeben.
Wie könnte er uns nicht alles geben?
33. Wer beschuldigt die Auserwählten Gottes?
Gott, der Gerechte, verureilt niemanden.
34. Jesus Christus, der gestorben ist,
er tritt eifrig für uns ein.
Er ist zur Rechten Gottes.
Er tritt bittend für uns ein.
35. Wer trennt uns von der Liebe Christi?
Schikane oder Bedrängnis oder Verfolgung
oder Hunger oder Nacktheit
oder Gefahr oder Schwert?
36. Wie geschrieben steht:
„Wegen dir sterben wir den ganzen Tag.
Wir werden zu den über alle Massen'
geopferten Schafen gerechnet.“
37. Aber in allem siegen wir
durch den, der uns liebt.
38. Denn wir sind überzeugt,
dass weder Tot noch Leben,
weder Engel noch Herrschaften,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
39. weder Höhe noch Tiefe,
noch irgendeine Kraft
uns trennen kann von der Liebe Gottes
in Christus unserem Herrn.
Bestimmt Gott alles, was auf der Erde geschieht? Sind wir Menschen Marionetten in seiner Hand?
Wer ist er? Wer sind wir? Immer wieder höre ich:“Wie kann Gott das zulassen?“ „Wo kommt das Böse her?“ Wir quälen uns mit diesen Fragen herum wie Paulus.
Die Christen in Rom, an die Paulus schreibt, sind nur eine kleine Minderheit. Sie werden von den Heiden verachtet und von den Juden verfolgt. Sie ertragen um ihres Glaubens willen Leid und Schmerzen. Dieser Gruppe sagt Paulus, dass Gott mit ihnen ist. Er habe sie ausgesucht und erwählt als seine Kinder.
Er hat uns als seine Partner geschaffen. Wir entscheiden frei, ob wir nach seinem Willen leben wollen oder nach unserem eigenen Willen.
In einer Gerichtsverhandlung erhebt der Staatsanwalt die Anklage. Er berichtet alles, was die Schuld des Angeklagten erhärtet. In der Gerichtsverhandlung vor Gott ist der Teufel der Staatsanwalt. Er kennt alle bösen Gedanken und Handlungen jedes Menschen. Was kann der Mensch antworten? Er ist schuldig.
Bei jeder Gerichtsverhandlung wird dem Angeklagten ein Rechtsanwalt beigegeben, der ihn verteidigt. Er trägt alles vor was ihn entschuldigt. Im himmlischen Gericht ist Jesus unser Rechtsanwalt. Er sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. So wird der Rechtsfall zu unseren Gunsten entschieden. Der Richter spricht uns frei.
Als ich mit Schülerinnen und Schülern diese Fragen besprach meinte einer:“Ich sehe den Sinn meines Lebens darin eine Familie zu gründen, eine gute Arbeit zu finden und glücklich zu werden. Mit dem ewigen Leben kann ich nichts anfangen.“
Da antwortete eine Schülerin:“Weil ich das ewige Leben vor mir habe kann ich heute und hier mein Leben geniessen. Ich brauche keine Angst zu haben. Ich darf mich freuen an dem, was mir gerade begegnet.“
Stärker als alles Böse, das uns begegnet, ist Gottes Gabe in Jesus. Er hilft uns aus allem schwierigen
Geschehen heraus. Wir dürfen uns heute freuen über seinen Schutz. Wir sind in seiner Hand. Wir gehören zu den Kindern Gottes. Wir sind gerettet.
Amen.
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Predigt zu Römer 1,1-7 von Eugen Manser
Liebe Gemeinde,
Als ich einen 14jährigen fragte, worüber er zuletzt gestaunt habe, sagte er: Das letzte Mal habe er gestaunt, als bei ihm plötzlich von einem Jahr auf das andere die Aufregung, vor Weihnachten weg war. Die großen Erwartungen vor dem Fest, die Zeit der Kerzen und Geheimnisse, der Zauber über allem. Alles weg. Weihnachten entzaubert.
Ich sagte mir im Stillen: Willkommen im Kreis der nüchternen Erwachsenen, schade, wieder ein Kind weniger. Wieder ein nüchterner Erwachsener mehr!
Dass man auch ohne Zauber das ganze volle Weihnachten erleben kann, entdeckte ich beim Lesen der Schriften des Paulus.
Wir hören in dieser Christnacht den Anfang eines Briefes, den der Apostel Paulus von Korinth aus an die Christengemeinde in Rom schreibt. Er stellt sich der ihm noch fremden Gemeinde vor und lässt anklingen, wie er selbst sein Weihnachten erlebt hat:
Paulus, ein Diener Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes,
das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der heiligen Schrift,
von seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn.
Er war von Geburt ein Nachkomme des Königs David;
Durch die Erweckung vom Tod aber hat Gott ihn als den Sohn bestätigt,
dem er seine Kraft übertragen hat.
Durch ihn, Jesus Christus, unseren Herrn hat Gott mich in seiner Gnade zum Apostel für alle Völker gemacht, damit sie das Evangelium annehmen und an Jesus glauben.
Darum gilt mein Auftrag auch euch in Rom, euch, die ihr von Jesus Christus berufen seid.
Ihr seid von Gott geliebt, ihr seid berufen und ihr gehört zu seinem heiligen Volk.
Euch allen wünsche ich Gnade und Frieden von Gott unserem Vater und von Jesus Christus, unserem Herrn.
Kein Stall, keine Krippe. Weder Joseph noch Maria werden erwähnt, noch die Engel und Hirten auf dem Feld. Kein Wort von den Weisen aus dem Morgenland oder gar der Jungfrauengeburt. Weihnachten entzaubert?
Paulus hat Jesus von Nazareth nicht persönlich gekannt wie die anderen Apostel. Er erzählt von sich selbst, dass er sogar die Jesusanhänger verfolgt habe als einer der Eifrigsten.
Doch dann berichtet er von sich: Denn eins müsst ihr wissen, Geschwister:
Das Evangelium, das ich verkünde, ist nicht menschlichen Ursprungs. Ich habe diese Botschaft ja auch nicht von einem Menschen empfangen und wurde auch nicht von einem Menschen darin unterwiesen; nein, Jesus Christus selbst hat sie mir offenbart.(Gal.1,12)
So also hat Paulus Weihnachten erlebt. Mitten in sein Leben hinein, als er am wenigsten damit rechnete, wurde Jesus, der Mensch Gottes, in ihm geboren und hat sein ganzes weiteres Leben erfüllt. Kreuz und quer zog er durch die römischen Provinzen um Menschen dazu zu verlocken, auch die Geburt Gottes in sich zuzulassen, damit sie ganze Menschen werden.
Hinter all den Bildern und Geschichten, die wir üblicherweise mit Weihnachten verbinden, dem Stall, der Krippe, dem Stern, den Hirten auf dem Felde, dem obdachlosen Paar Joseph und Maria, Bilder und Geschichten, die wir oft bis zur Unkenntlichkeit verkitscht haben, steht eine Wahrheit, die so einfach wie überwältigend ist: Die letzte Wirklichkeit, die Ewigkeit, die Quelle des Lebens geht mit uns Menschen eine LEBENSGEMEINSCHAFT ein.
Deshalb feiern wir Weihnachten: Gott wohnt mit uns zusammen. Er freut sich mit uns, er leidet mit uns. Er streitet sich mit uns, er versöhnt sich mit uns. Er trauert mit uns und er jubelt mit uns. Aber weil es Gott ist, der uns nicht nur besucht in kurzen heiligen Momenten, sondern mit uns zusammenlebt, bekommt unser Leben einen neuen Glanz. Oder wie es eine Weihnachtsliedstrophe singt: Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein’ neuen Schein, es leucht wohl mitten in der Nacht und uns des Lichters Kinder macht.
Zu manchen Zeiten ist uns diese Lebensgemeinschaft mit Gott ganz fremd. Wir kommen sozusagen aus der Gefangenschaft des Alleinlebens, des Single- Daseins nicht heraus. Müssen uns selbst durch Aktivität in Bewegung halten, um uns auf diese Weise vorzumachen, dass wir lebendig sind. Das Leben aber scheint jenseits der Aktivität zu liegen. Denn alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher. Das Ziel ist etwas vom Leben zu haben. Haben wir aber das Gefühl, einen Fortschritt erreicht zu haben, dann suchen wir weiter. Offensichtlich sind wir auf einem Weg ohne erreichbares Ziel. Wir laufen, weil sie Angst vor der Ruhe haben. Stillstand ist angeblich Rückschritt. Es muss etwas los sein in unserem Leben, doch dieses „Los-sein“ verwechseln wir offensichtlich mit dem Leben. Denn es ist ein Leben, das nur in sich selbst kurvt und dazu noch von der Angst vor dem Ende beherrscht wird. Deshalb müssen wir die Jahre, die ihnen gegeben sind, unter erheblichen Zeitdruck genießen. Denn die Ewigkeit, aus der wir gekommen sind und in die wir zurück gehen, scheint uns wenig attraktiv, leer und tot und deshalb eher bedrohlich.
C.G. Jung herrschte deshalb einmal eine Patientin an: „Was, Sie glauben nicht an Gott und die Ewigkeit?! Kein Wunder, dass Ihr Seelenleben so atrophisch (ausgezehrt, abgemagert) ist!“
Was können wir aber machen, dass das Ewige auch bei uns einzieht, damit es uns nicht geht wie dieser Frau mit ihrem abgemagerten Seelenleben?
Ich fürchte, machen können wir da gar nichts. Wir tun und machen uns ja jetzt schon zu Tode. Machen, Macher sein, das ist das alte Leben als Single ohne Lebensgemeinschaft mit Gott.
Es geht anders mit Weihnachten. Paul Gerhardt gibt einen guten Rat in seinem Adventslied Wie soll ich dich empfangen. Die siebente Strophe lautet: Ihr dürft euch nicht bemühen noch sorgen Tag und Nacht, wie ihr ihn wollet ziehen mit eures Armes Macht. Er kommt, er kommt mit Willen, ist voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die Euch an ihm bewusst.
Ihr dürft euch nicht bemühen…Das fällt uns so ziemlich am allerschwersten!
Mit unserem Machen, Tun, mit unseren Zerstreuungen und Genussphasen machen wir unser Leben dicht, unzugänglich aber eben auch unberührbar.
Wie geht das Nicht- bemühen?
In dem Buch Oskar und die Dame in Rosa empfiehlt eine alte Frau, die sich um Oskar, einen krebskranken Jungen kümmert diesem, doch Briefe an Gott zu schreiben, in denen er ihm alle seine Sorgen und Nöte mitteilt. Oskar ist empört: Jetzt fangen Sie nicht auch noch mit Gott an! Ich bin damals schon mit dem Weihnachtsmann reingefallen. Gott gibt es nicht! Ich glaube nicht an Gott! Darauf erwidert sie: Denke an ihn! Je mehr du an ihn denkst, umso mehr wird es ihn für dich geben. Und er wird dich besuchen.
Oskar hat den Rat von Oma Rosa befolgt und Gott hat ihn besucht.
Er konnte in Frieden sterben, weil seine neu gewonnene Lebensgemeinschaft mit Gott blieb.
Weihnachten. Gott geht mit uns eine Lebensgemeinschaft ein. Für Oskar war es ein lebendiger Briefwechsel, für uns sind es vielleicht Gedanken, Gespräche mit ihm. Wir werden es spüren, er wohnt nah hinterm Zaun. Mit ihm ist gut Nachbarschaft halten. Es tut gut, wenn ich darauf vertrauen kann, dass der Ewige in der Nähe wohnt. Wir können uns austauschen, wir können uns auch streiten. Am Wichtigsten ist doch: Ich bin nicht mehr allein in meinem Menschen – Single – Schneckenhaus. Gott hat mit mir eine Lebensgemeinschaft gegründet.
Wie beendet Paulus seinen Gruß an die römische Gemeinde?
Ihr seid von Gott geliebt, ihr seid berufen und gehört zu seinem heiligen Volk.
Euch allen wünsche ich Gnade und Frieden von Gott unserem Vater und von Jesus Christus unserem Herrn!
Weihnachten ohne Zauber und doch zauberhaft. Gott besucht uns in unseren Gedanken und also auch in unseren Häusern.
Und wenn’s nach ihm geht, so möchte er auch wohnen bleiben.
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Predigt zu Römer 1,1-7 von Jochen Riepe
‚Paulus , ein Sklave des Christus Jesus , berufen zum Apostel , ausgesondert das Evangelium zu predigen … an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom : Gnade sei mit euch und Friede von Gott , unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
I
‚… an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom…‘ Ja, manchmal reicht es , den Namen einer Stadt zu nennen , um sogleich mitten in der Christnacht anzukommen. Rom. Ewige Stadt. Just zu dieser Stunde Mitternachtsmesse in St. Peter. Das Herz des Schülers schlug höher , als der Lehrer im Geschichtsunterricht von der Kaiserkrönung Karls des Großen erzählte : im Jahre 800… zu Weihnachten in Rom . Ein Reisender unserer Zeit schreibt : ‚Welche Freude , als ich den Petersplatz und die Krippe sah. Als ich mich dann aber zum Petersdom drehte , standen mir die Tränen in den Augen.‘
II
Weihnachten in Rom. Kaiserlicher Glanz , ja, ein geradezu überirdisches Leuchten. Historisch wissen wir nicht viel über die römische Gemeinde zur Zeit des Apostels Paulus , auch nicht darüber , was Paulus selbst wußte oder von ihrem ‚Innenleben‘ , ihren Parteien oder Konflikten , erahnte. Auffällig am Eingang des Römerbriefes ist aber schon : Paulus nennt sich gleich zu Anfang , also herausgehoben , dem Leser ins Auge springend , ein ‚Sklave Jesu Christi‘. Er stellt sich seinen Adressaten , den ‚berufenen Heiligen in Rom‘ , wohl demütig , aber gleichsam markant-demütig vor , und diese Selbstvorstellung hat seine Leser gewiß aufhorchen , wenn nicht : aufschrecken lassen . ‚Sklave‘ – mit dem Wort allein ist ja schon die Kehrseite oder der ‚Untergrund‘ der Ewigen Stadt angedeutet. Ein Briefeingang – das wissen wir , sofern wir noch Briefe schreiben – sollte höflich verfaßt sein , Nähe und Distanz gekonnt auspendeln , aber so wahr Paulus dies weiß , er will auch ehrlich sein.
III
‚Paulus, ein Sklave Jesu Christi…‘ - Wie kommt der Apostel zu solcher ‚Selbsterniedrigung‘ – er, der doch selbst das römische Bürgerrecht besaß und das wohl auch nicht ohne Stolz. In dieser Stunde mögen wir schnell an das Bild vom Kind im Stall , das Urbild der Demut, denken , an die arme Heilige Familie, die kein Obdach fand, aber Paulus geht einen anderen Weg. Er lobt dieses Kind , seinen ‚Herrn Jesus Christus‘ , geradezu in den Himmel . In den irdischen Himmel einer königlichen Herkunft : ‚geboren aus dem Geschlecht Davids‘ , und in den himmlischen Himmel : ‚nach dem Geist, der heiligt‘, wurde der Christus durch die Auferstehung ‚als Sohn Gottes in Kraft‘ eingesetzt . Paulus , der Knecht , der ‚Gefangene‘ (Phl 9) , hat einen sehr besonderen Herrn . ‚Sklave Jesu Christi‘ – ‚in diesen Worten liegt zugleich Hoheit und Demut‘.* Der Diener Jesu ist kein stummer Befehlsempfänger , sein Gehorsam gründet in einer Berufung und Erhebung. Selbstbewußt und offen darf er den Gruß des Friedens entbieten .
IV
Man weiß nicht sicher, ob in Rom das erste Weihnachtsfest der Christenheit gefeiert wurde, aber : ‚Weihnachten in Rom‘, das ist mehr als ein Reiseslogan, das kann für Christen aller Konfessionen Hochgefühle wecken. Der Rom-Reisende, von dessen Freudetränen in der Christnacht angesichts des überirdischen Glanzes der Ewigen Stadt ich eben sprach, er schildert allerdings auch ganz weltliche Eindrücke. Bevor er St. Peter betreten darf, muß er wie alle Gottesdienstbesucher sich kontrollieren lassen …auf mitgebrachte Waffen … Wo Licht ist , ist auch Schatten. Das ist ja soz. die Kehrseite des Kaiserlich-Königlichen : Die Gewalt. Die Angst. Wo Macht , auch die Macht , die sich von Gott herleitet, sich zeigt oder demonstriert und inszeniert wird , wo eine jahrtausendalte Geschichte der Verbindung von geistlicher und politischer Macht buchstäblich zelebriert wird, da rumort auch immer die Gegenmacht , der Schrei der Unterdrückten : Rebellion, Haß , Wahn . Wie wir in diesen Tagen immer wieder hören : Keiner ist sicher vor dem Terror.
V
Was will Paulus, der Briefschreiber , mit seinem Brief ? Er , der Sklave Jesu Christi. Die Schriftausleger machen verschiedene Vorschläge : Paulus will sich den römischen Christen bekannt machen , um sie bald auf seiner Reise nach Spanien zu besuchen. Er will die Parteien in der Gemeinde aussöhnen. Er will die Christen dort an die bleibende Verbindung mit dem Gottesvolk Israel erinnern. Dies alles aber wird gleichsam grundiert von dem Willen, den ‚Glanz des Sklaven‘ , so etwas Skandalöses und Wunderbares wie den Titel ‚Sklave Jesu Christi‘ , das Ineinander von Hoheit und Demut , von Gehorsam und Erhebung , nach Rom zu bringen . Eine Stadt, die nicht lebensfähig gewesen wäre ohne ein Heer von Arbeitssklaven , ohne ein System der Unterdrückung, das vielleicht eines der ‚repressivsten … gewalttätigsten‘ der Geschichte (C .J. Martin ) war. In diese Welt hinein verkündet einer : Wir sind die Sklaven des höchsten Herrn , des Herrn , der die ‚Barmherzigkeit Gottes‘ (Röm 12,1) in ‚brüderlicher Liebe‘ gelebt hat . Im Schlußteil des Römerbriefes (Röm 12,6) heißt es entsprechend: ‚Trachtet nicht nach den hohen Dingen und haltet euch zu den geringen‘. Hatte sich die römische Gemeinde täuschen lassen vom Glanz des Kaisers und war dem menschlich-allzumenschlichen Ehrgeiz erlegen , in die höheren Kreise aufzusteigen oder sich wenigstens an ihnen zu orientieren ?
VI
Das Kind im Stall , das Geheimnis der Menschwerdung Gottes, wird damit vom Apostel auf eigenwillige Weise bezeugt. Er weiß vom hohen Christus , vom himmlischen Herrn, aber die, die diesem Herrn folgen, die Brüder und Schwestern des Sohnes , sind gleichsam ‚ausgesondert‘ , wörtlich : ‚herausgeschnitten‘ aus den Spielen , Intrigen , Wertordnungen der Herrschenden . Den Römern war der Sklave – ein Objekt , bloßer Gegenstand eines herrschaftlichen Willens , seinen Befehlen und Verfügungen und Erlassen untertan … Befehl und Gehorsam. Ein Wille , der bestimmt. Ein Wille , der folgt. Schimmern hier nicht der Weg nach Bethlehem und der armselige Stall durch , in den der höchste Herr , er , der Sohn , der ‚Bruder aller Versklavten‘(Phl 15f) sich begeben hat ? Sich begeben mußte?
VII
Brief nach Rom. Weihnachtsbrief ‚urbi et - orbi‘. Mitternachtsmesse zu dieser Stunde. Hohe Liturgie. Prachtvolle Gewänder. Der Papst hat die Heilige Pforte zum ‚Heiligen Jahr‘ geöffnet , der Zeit der Barmherzigkeit ist ausgerufen . Zeichen hat er gegeben , daß auch er als Sklave seines Herrn und nicht als Sklave der Vatikan-Bank oder anderer Machtansprüche , und seien es die der eigenen Eitelkeit , unterwegs sein will . Daß auch er nicht ‚wandelt in großen Dingen , die zu hoch sind‘ (Ps 131,1), sondern -hoch erhoben durch das Kind - sich zum Kinde herabbeugt , das Dank kaiserlich-römischen Erlasses in dieser Stunde in - Bethlehem geboren wird.
‚Gnade sei mit euch und Friede von Gott , unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus‘. Eine frohe und gesegnete Christzeit.
*Martin Luther, Vorlesung über den Römerbrief 1515/16 (MA Ergänzungsreihe Bd. 2, 1965, S. 14)
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Predigt zu Römer 1,1-7 von Gabriele Arnold
Liebe Gemeinde
An Weihnachten hat die Post Hochkonjunktur. Niemals sonst im Jahr werden so viele Briefe geschrieben, verschickt und gelesen. Und dann steht man im Flur und macht all die viele Weihnachtspost auf. Der Klavierstimmer wünscht klingende Weihnachten, der Elektriker besinnliche Tage in mildem Licht, der Heizungsbauer wünscht wohlige Feiertage. Neben all den Grußkarten von Banken, Versicherungen und Hinz und Kunz gibt es immer wieder auch echte Briefe, in denen viel Liebe drin steckt. Persönliche Gefühle und Geschichten vom letzten Jahr und Wünsche, die zeigen, dass der Briefschreiber weiß, was ich brauche. Briefe mit Herzblut. Worte, die sagen: Ich denk an Dich, ich mag dich, ich hab dich lieb, du bist mir wichtig.
Mit dieser Weihnachtpost zeigen wir uns, wie gut es ist, dass wir einander haben. Und so gesehen sollte eigentlich immer Weihnachten sein. Aber es ist eben nur einmal im Jahr: das Fest des Liebhabens. Weil es um die Liebe geht, ist Weihnachten auch nicht tot zu kriegen. Weihnachten können wir nicht absagen und ausfallen lassen und selbst wer nach Dubai flüchtet wird auch dort Weihnachtsspuren finden. Man kann ja auch die Liebe nicht abschaffen und man kann auch vor der Liebe nicht davon laufen, wenn sie einen begegnet und das Leben verwandelt.
Wir haben heute alle auch einen Weihnachtsliebesbrief bekommen. Einen mit einer guten Nachricht. Auch wenn der Brief bald zweitausend Jahre alt ist und zuerst an ein paar Frauen und Männer in Rom geschrieben war, so gilt er doch auch uns. Paulus hat diesen Brief geschrieben. Paulus, der zuerst ein glühender Verfolger derer war, die sich um Jesus scharten und dann sein eifrigster Bekenner, einer für den Jesus die Liebe, die Bestimmung seines Lebens wurde, der die Straßen ablief, die Meere befuhr und sich aufmachte bis nach Rom, dem Zentrum der damaligen Welt. Und das weil er aller Welt verkünden wollte, wer dieser Jesus ist, dessen Geburt wir heute feiern und was die Welt von ihm haben wird.
Römer 1,1-7 in der Übersetzung der Guten Nachricht
Diesen Brief schreibt Paulus, der Jesus Christus dient, zum Apostel berufen und dazu erwählt, Gottes Gute Nachricht bekannt zu machen. Diese Gute Nachricht hat Gott durch seine Propheten in den Heiligen Schriften schon lange angekündigt. Es ist die Botschaft von seinem Sohn, Jesus Christus, unserem Herrn. Als Mensch geboren, ist er ein Nachkomme des Königs David. Durch die Kraft des Heiligen Geistes als Erster vom Tod erweckt, ist ihm die Macht übertragen, die ihm als Sohn Gottes zusteht. Er hat mich bevollmächtigt, sein Apostel zu sein. Mein Auftrag ist es, zur Ehre seines Namens Menschen aus allen Völkern dafür zu gewinnen, dass sie sich Gott im Gehorsam unterstellen und ihm vertrauen. Zu ihnen gehört auch ihr. Denn Gott hat euch in die Gemeinschaft mit Jesus Christus berufen.
Dieser Brief ist für alle in Rom, die Gott liebt und dazu berufen hat, ihm als sein heiliges Volk zu gehören. Gnade und Frieden sei mit euch von Gott, unserem Vater, und von Jesus Christus, dem Herrn!
Da ist also alles zusammengefasst ist, was von Jesus, von Gott und damit von Weihnachten zu sagen ist. In diesen wenigen trockenen Briefzeilen ist alles eingepackt, was wir auspacken können, damit es in unseren Herzen wirklich Weihnachten wird, auch und gerade bei denen, die heute Abend gar nicht festlich gestimmt sind, sondern traurig, einsam oder verbittert. Hier ist alles eingepackt, was Gott uns zu schenken hat, was in unsere Herzenskrippe heute Abend hineingelegt gehört.
Es geht um eine gute Nachricht. Ja es geht um die zentrale gute Nachricht, um die einzig wirklich wichtige Nachricht. Gott kommt zu uns. Und das hat er schon immer vor gehabt. Immer schon hat er diesen Plan im Herzen getragen. Zu uns zu kommen. Und weil man nicht besser zu uns Menschen kommen kann denn als einer von uns, hat Gott den tollkühnen Plan gefasst selber Mensch zu werden. Und so wird er Mensch. Wird geboren wie wir alle auch. Legt sich in die Arme einer Mutter und eines Vaters. Und wird so von Gott als Sohn eingesetzt.
Paulus weiß nichts von einer wundersamen Geburt, aber er weiß das dieser Jesus Mensch ist ganz und gar und zugleich Gottes Sohn. Gott hat eine ganz eigene besondere Beziehung zu diesem Jesus. Da passt kein Blatt zwischen Gott und Jesus und so in diesem Sinne ist er Gottes Sohn, Gottes Kind.
Das ist die gute Nachricht. Gott kommt selber in seinem Sohn. Gott liegt in der Krippe. Gott geht in diesem Sohn durch die Welt. Wer den Sohn hört, hört den Vater. Und Gott kommt nicht in gute Zeiten, sondern in schlechte Zeiten. Damals wie heute. Das Leben von Jesus war kein Leben der Schönen und Reichen. Kein Jet Set, keine Bilder für Gala. Das Leben von Jesus, von Gott in ihm war das Leben an der Seite der normalen Leute. Das Leben von Menschen im Jammertal. Wenn wir Jesus sehen auf seinen Wegen im Jammertal zu den Menschen, dann sehen wir Gott. Dann sehen wir, wo Gott ist. Bei den Blinden und Lahmen, bei denen die nicht glauben können, bei denen, denen das Unrecht der Welt das Herz zerreißt. Bei uns also. Bei uns zerrissenen fried - und freudlosen Gesellen, bei uns, die wir das Schöne nicht sehen und unser Füße nicht auf den Weg des Friedens richten können. Bei uns, die wir so leiden an dem Elend der Welt, dem Krieg, dem Hass, der Folter oder leiden an unserem eigenen Elend ist Gott. Und uns, uns allen, allen, allen wird die gute Nachricht verkündigt, dass Gott nicht mehr fern ist. Gott selbst ist es der von der Krippe, diesem Wiegenplatz armer Leute ans Kreuz geht, dem Hinrichtungsplatz für die Verdammten dieser Erde. Gott selbst gibt sich in den Tod. Und deshalb muss niemand mehr allein durch die dunkle Todesnacht, ist niemand mehr allein im Tal der Tränen. Selbst die tiefste Angst und die bitterste Schuld kann Gott nicht schrecken. Er ist durch alles hindurch gegangen, durch alles, was uns armen Menschenkindern begegnen kann. Er ist hindurch gegangen und deshalb an unserer Seite, ja uns stets einen Schritt voraus. Immer schon wartet er auf uns, immer schon ist er da und fängt uns auf. Alles ist ihm vertraut, alles ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Ja, er hat das Dunkel schon besiegt. Die Auferstehung des Kindleins, dessen Geburt wir feiern und um dessen Tod wir wissen kündet davon, wer nun in Wahrheit der Herrscher der Welt ist. Nicht der Tod, nicht das Dunkel, sondern Gott, das Leben, das Licht. Das ist die gute Nachricht. Das ist, was uns trägt nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen.
Und was bleibt uns dann zu tun?
Nicht viel, liebe Gemeinde. Nur das eine: Gott zu vertrauen, Gott zu glauben. Und deswegen ist Paulus unterwegs. Deswegen lesen wir bis heute seinen Brief auch in dieser Nacht. Damit wir glauben. Nehmt den Glauben an, darum bittet uns Paulus. Vertraut Gott.
Glauben. Glauben das meint nicht für wahr halten. Wir glauben nicht an die Bibel und nicht an das Glaubensbekenntnis. Wir müssen nichts bekennen als nur, dass wir Gott vertrauen. Das Leben der Welt, das Lieben, das Geboren werden und das Sterben, es liegt nicht in unserer Hand. Das alles ist in Gottes Hand. Und auch unser Leben liegt in Gottes Hand. In seiner Hand liegen all die vielen und kleinen Entscheidungen, die Sorgen und das Glück, das Weinen und das Lieben, das Lachen und das Fluchen. Wir haben die Wahl. Entweder wir meinen alles hängt an uns oder wir glauben, dass alles an Gott hängt, dass wir an Gott hängen. Wenn wir so vermessen sind zu glauben, dass unser Leben an uns hängt, dass wir unseres Glückes Schmied sind, dann sind wir belastete und gedrückte Menschen. Wenn wir aber Gott vertrauen, ihm unser Leben überlassen, dann kann unser Leben frei und wundersam leicht werden.
Dann können wir leben und lieben, lachen und weinen, können scheitern und fallen und wieder aufstehen und sind wunderbar getröstet und seltsam von uns entlastet. Denn ich muss mich nicht selber halten und tragen. Gott hält mich. Und in dieser Gewissheit wagen wir das Leben und versuchen das Richtige zu tun und in den Spuren des Kindes aus Bethlehem zu leben. Denn das freilich gehört zum Glauben, sich darauf zu verlassen, dass das was das Kind bringt gut ist für die Welt. Wer das Kind in der Krippe im Herzen trägt, muss sich empören über Terror und Gewalt. Wer das Kind im Herzen trägt, muss kämpfen gegen Hunger und soziale Kälte. Wer das Kind im Herzen trägt, muss sich kümmern um Flüchtlinge und Arme und denen die Stirn bieten, die Deutschland den Deutschen skandieren. Und damit meinen sie seien das Volk. Wer das Kind im Herzen trägt, kann nicht immer mehr wollen und alles nur für sich. Das Kind im Herzen öffnet unser Herz für die am Rand, die im Dunkeln, die im Schatten des Todes. Und das kann und muss zuweilen sehr politisch und sehr handfest sein. Aber das wissen Sie ja selbst am besten, denn sonst wären Sie heute Abend nicht hier, sondern würden sich mit „süßer die Glocken nie klingen“ unter dem Christbaum begnügen und mit den Lebkuchen, der Gans und dem Champagner und auf die nächsten Brigitte Diät warten.
Aber es geht um mehr. Es geht um die Gute Nachricht. Um die Gute Nachricht dass Gott hier ist. Dass er uns und diese Welt nicht vergessen hat und sie nicht denen überlässt, die nur an sich selber denken oder gar nichts anderes im Sinn haben als Terror, Haß und Gewalt. Und deswegen ist Gnade mit uns und Frieden von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus. Was für ein passender Schluss für den Weihnachtsbrief.
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Predigt zu Römer 13,8-14 von Stefan Henrich
8 Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«
10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. 11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. 13 Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; 14 sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.
Liebe Gemeinde,
als ich die Worte des Paulus vor Tagen im kleinen Kreis vorlas und sagte, dass das nun der Predigttext für den ersten Adventssonntag sei, da war erst einmal verblüfftes Schweigen im Raum.
Die Worte klangen gewaltig nach in der Stille, vor allem die vom Fressen und Saufen, die von der Unzucht und der Eifersucht. Der gegenläufige Appell „Zieht an den Herrn Jesus Christus, dass ihr nicht den Begierden verfallt“ und die Worte von der Liebe hatten es schwer dagegen anzukommen. Nach der Verblüffung dann eine erste Reaktion, eine aus der Runde sagte: „Ist Paulus ein Spaßverderber oder hätte er heute vielleicht was zur Terrorangst auf Weihnachtsmärkten gesagt?“
Was als Kern dieser Äußerung auch rüberkam, war im nachfolgenden Gespräch dann das: Paulus vermag in seinen Worten die Wirklichkeit der Welt ungeheuer scharf zu treffen und gleichzeitig stellt er diese Welt in das Licht einer besseren Möglichkeit. „Nein“, sagte eine, „Paulus schürt keine Angst, Paulus entfacht Liebe. Er weiß aber auch um die Fallstricke derselben und deshalb redet er nicht vordergründigem Spaß das Wort sondern wirbt für tiefe Freude.“ Paulus spricht die Menschen dabei direkt an, er erinnert sie an ihre Verantwortung für ein wohlgefälliges Leben und weitet dabei den Blick über die eigene Verantwortung hinaus zum Grund unseres Heils. Das hat er in Jesus Christus gefunden, daran lässt er uns teilhaben. Überaus konkret und anschaulich geht Paulus dabei vor. Ich werde gleich versuchen mich seinen Worten zu nähern.
Zuvor aber dies: Wir feiern heute den ersten Advent, ein neues Kirchenjahr hat begonnen. Das Dunkel der Zeit wird durchbrochen vom Licht der ersten Kerze am Adventskranz. Draußen sind Märkte und Gassen vielfach erleuchtet von Tannenbaumgirlanden, Schwibbögen und blinkenden Weihnachtsmannmützen. Die Sehnsucht nach Licht und unbeschwerter Freude ist groß, Schnupfennasen wittern Zimtsterndüfte. Wir in den Kirchen lassen es ruhig angehen, im Zeittakt der vier Adventssonntage mit ihren je eigenen Texten und Liedern bereiten wir uns vor. Langsam, stetig sich steigernd dringt die Nacht vor, die Erwartung kommt wartend, Gott kommt nicht laut zur Welt sondern leise. Für dieses neue Kirchenjahr sind uns Texte aus den Briefen des Neuen Testamentes als Predigtaufgabe gestellt. Da ist manch harte Nuss dabei, die zu knacken sich überaus lohnt, weil unter der harten Schale auch des intellektuellen Zugangs sich nahrhafte Frucht für das ganze Leben verbirgt. Also, auch wenn zuweilen schon das Zuhören schwieriger ist als bei den vertrauten Jesusgeschichten aus den Evangelien des letzten Predigtjahres, lohnt sich die Mühe und wenn ich wirklich nichts verstehe, darf ich auch aufstöhnen und sagen, dass das so ist.
Heute legt der Text eine verwirrend schöne Spur ins neue christliche Jahr hinein. Grundsätzlich, fast wie mit einem guten Neujahrsvorsatz hebt Paulus an mit dem Aufruf zur Liebe als des Gesetzes Erfüllung, er legt guten Grund ehe er konkretisierend im offensichtlichen Alltag der Gemeinde landet. Ich fange mit dem letzten an, zäume das Pferd vom Schwanz her auf:
Laßt uns ehrbar leben, sorgt für den Leib, haltet an euch beim Fressen und Saufen (er sagt wirklich Fressen und Saufen...), dazu dann: Enthaltet euch der Unzucht und Ausschweifung, hadert nicht und seid nicht eifersüchtig.
Paulus scheint mit diesen drastischen Worten für ein Fitness- und Wellnessprogramm zu werben, das Körper und Seele gleichermaßen im Blick behält. Das verblüffende ist, dass Paulus zu seiner Zeit offensichtlich wirklich nächtliche Exzesse vor Augen hat, die keinem gut tun. Man könnte fast meinen, Paulus sei auf einer heutigen Weihnachtsfeier gewesen, die völlig aus den Fugen geriet. Erst fettes Essen und dann zuviel süßer Punsch, was dann passierte, weiß keiner mehr so genau, nur der Ärger zuhaus und die Kopfschmerzen sind real.
Paulus gibt angesichts solcher oder ähnlicher Auswüchse gute Tipps: Mach alles so, dass es das aufdeckende Licht des Tages vertragen kann, und mit einem uns eher fremden Bild fährt er dann fort: „Zieh an den Herrn Jesus Christus.“ Paulus meint damit doch, dass wir allezeit Jesu Geist in unserem Leben Raum geben, damit wir in seiner Nachfolge das Heilvolle vom Unheilvollen unterscheiden lernen und uns nach dem Heilvollen ausrichten. Das Urdatum eines jeden Christenlebens blitzt auf: die Taufe und dass da früher die Erwachsenen in dunkler Nacht reingekrochen sind in tiefe Wasserbecken, nachdem sie die Grundbegriffe des Glaubens durchbuchstabiert hatten. Und dann tauchten sie aus dem Wasser wie neugeboren auf, legten weiße Gewänder an, zeigten nach außen hin, ich bin Christ, Lichtgestalt, weil geliebt. Die Werke der Finsternis will ich nicht tun, das Dunkle soll keine Macht an mir haben. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. Während hier noch Dunkelheit und Nachtschatten sind, leuchten dort schon Licht und Herrlichkeit. Die Sonne geht auf, raus geht es ins Leben des anbrechenden Tages, jeden Morgen neu darfst du Lebenskräfte schöpfen, wenn du aufstehst vom Schlaf.
Liebe Gemeinde, Paulus schlägt einen weiteren Bogen, er stellt in all seinen Gedanken und Konkretionen die Liebe als das Maß einer menschenfreundlichen Christenheit vor Augen. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Bösen, wer in der Liebe lebt, hat die Gebote erfüllt, wer aus der Liebe heraus handelt, macht nichts falsch. Schöne Worte und gute Handlungsanweisungen sind das und doch erleben und erleiden so viele dann doch, dass sie an der Liebe scheitern. Blitzschnell schieben sich Egoismen und Aggressionen darein, blitzschnell erleben wir, was Paulus wortwörtlich benennt, dass Streit etwa oder Eifersucht auf die Liebe eindreschen und sie kaputt machen. Seid niemanden etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt. So einfach gesagt, so schwer erfüllt; Liebe, ein einfaches Wort und eine schön-schwierige Tat.
Zum Schluss: Der Dichter Kurt Marti hat die Schwierigkeit des „ Niemandem etwas schuldig zu sein, außer dass ihr euch untereinander liebt“ umgedreht in einem kleinen meisterhaften Gedicht, indem er einen weiten Horizont jenseits des je eigenen Versagens öffnet Kurt Marti sagt, fragt und dichtet:
Manchen bin ich einiges,
einigen bin ich vieles schuldig geblieben.
Und die Zeit läuft davon.
Wessen Liebe kann das noch gut machen?
Die meine nicht.
Nein, die meine nicht.
Und der Friede Gottes, der höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsere Herze und Sinne in Christus Jesus. Amen
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Predigt zu Römer 13,8-12 von Michael Rambow
Liebe Gemeinde!
„Von ihnen als Christ hätte ich so etwas überhaupt nicht erwartet“. Der Satz markiert gewissermaßen den Super-Gau jedes Christenlebens. Schließlich kommt es doch darauf an, grenzenlose Liebe zu demonstrieren gerade als Christen.
„Von ihnen als Christ hätte ich so etwas überhaupt nicht erwartet“. Da tritt der Störfall im Selbstbild ein. Da zuckt man innerlich zusammen. Wenn schon die Nächsten so enttäuscht sind, was mag erst der liebe Gott von mir denken?
Haben sie so etwas noch nie erlebt?
Mit diesem Störfall im Christenleben hat es Paulus heute zu tun. Seht bloß zu, dass ihr niemandem etwas schuldig bleibt, vor allem nicht die nötige Liebe. Enttäuscht um Himmels willen nicht eure Nächsten. Werdet den Ansprüchen gerecht, die Gottes Gesetz fordert.
Denn eine neue Zeit steht bevor und sie stellt neue Anforderungen an das Leben. Nicht mehr lange, dann erfüllt sich die Hoffnung auf eine ganz neue Zeit. Das ist die Botschaft zum 1. Advent. Willkommen also im Warteraum auf Gottes Zukunft.
Im Advent packt Menschen mehr als sonst im Jahr eine sehnsüchtige Stimmung. Uns Deutschen bescheinigte ein französischer Philosoph eine Harmoniesehnsucht. Und irgendwo las ich sogar vom ‚klebrigen Einlullen in scheinbaren Frieden‘.
Liebe als Gegengewicht in schwierigen Zeiten. Wärmende Herzlichkeit gegen soziale Spannungen. Ehrenamtlicher Einsatz gegen das Böse, das auch 2015 entgegen allen Schwüren viel stärker geworden ist. Schaffen wir das?
Advent ist ohne Frage eine schwierige und schöne Zeit. Ich freue mich jedes Jahr auf Lichter, Stimmung, Besinnung. Sie ist notwändig für das Leben. Die Seele stellt sich dem eigenen inneren Bedürfnis: Hinter allem Gerenne und Aktionismus hast du insgeheim dauernd innere Einkehr und Seelenfrieden gesucht.
Advent ist Vorschau und Widerspiegelung unauslöschbarer Erwartungen, wie sie keiner sich selbst schaffen kann. Aber wir sind auf der beständigen Suche danach.
Das Heil ist jetzt näher als jemals zuvor, sagt Paulus. Steht auf! Wacht auf aus den trügerischen Träumen! ‚Der Stern der Gotteshuld‘ erstrahlt über der geschundenen und durcheinander gewirbelten Menschheit und Welt.
Die erste Kerze brennt wieder in diesem Jahr. Ein neues Zeitalter beginnt mit dem neuen Kirchenjahr. Ein erster Schein der Hoffnung auf eine neue Zeit. Er weist hin auf den, der im Dunkel der Welt mit der Botschaft kam, dass das Leben sich an Gott ausrichten muss, wenn es sich erfüllen soll.
Es wäre der Super-Gau, wenn Christen aufhörten, darauf immer wieder hinzuweisen ungeachtet, wie viele es hören wollen oder können. Es wäre der Super-Gau, hörten Christen auf, darauf hinzuweisen, weil heute doch alle gleich sind mit ihrem Glauben und ihren individuellen Lebensentwürfen. Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnen, die nicht in Parlamenten beschlossen oder von sozialen Einsätzen garantiert werden. Ich kann nicht verstehen, wieso sich Menschen diese herrliche Zeit oft mit billigem Rummel und inhaltsleerem Konsum zumüllen lassen. Oder ist die Botschaft mittlerweile zu leise geworden hinter Aktionismus?
Natürlich ist diese göttliche Verheißung problematisch. Es hat in der Welt- und Kirchengeschichte nicht an heillosen Versuchen gefehlt, wenigstens stückweise diese Verheißung unmittelbar spürbar umzusetzen. Ein bisschen mehr Nächstenliebe und die böse Welt wird schon merken, dass wir auf der richtigen Seite sind und umkehren. Aus Ungeduld und weil die Zeitläufe manchmal unerträglich sind, wollten Menschen nicht nur reden und glauben an die neue Zeit, sondern sie heute und spätestens morgen erleben. Es endete jedes Mal im Chaos und Terror und bittersten Enttäuschungen. Nicht zuletzt Aufrufe und Appelle zur gegenseitigen Liebe leisten solchen Erwartungen Vorschub.
Natürlich kann die Welt nicht sich selbst überlassen werden-gerade wegen der Verheißung Gottes. Die mangelhafte Verantwortung für angemessene Erziehung in manchen Familien kann nicht nur mit Geld erfüllt werden. Das Leben werden alle verfehlen, welche den eigenen Lebensentwurf mehr verfolgen als das Gemeinsame zu erstreben. Großangelegte Betrügereien bei Abgasen, Korruption bei großen Sportereignissen, die vielen großen und kleinen Tricksereien und dunklen Stellen unter den schönen weißen Westen des Erfolges bereiten nicht wirklich Freude oder ein besseres Leben.
Es ist Zeit aufzuwachen, weil eine neue Zeit bevorsteht. Vor 2000 Jahren schreibt der Apostel Paulus an die Christen nach Rom, wie Christen sich untereinander und als Bürger des Staates verhalten. Es muss sich unterscheiden, ob da Menschen leben, die ihre tägliche Kraft aus einer anderen Hoffnung nehmen als immer schneller, immer mehr, immer höher hinaus zu streben. Paulus begründet das mit diesem Lichtschein aus Gott, mit Jesus Christus. Niemandem etwas schuldig zu bleiben ist der Unterscheidungsbegriff der Christen. Bleibt niemand etwas schuldig außer, dass ihr euch unterscheidet im Handeln, Hoffen, Denken. Die Leute haben Recht, wenn sie klagen: Gerade von ihnen als Christ hätte ich anderes erwartet. Darum tut das so weh, weil es stimmt und man sich mal wieder erwischt sieht.
Wir haben aber den Menschen auch entgegen zu halten: Ja, aber das gilt nach unserem Verständnis allen. Es kann sich niemand aus dieser Hoffnung ausklinken, weil er ‚nicht religiös ist‘ wie das heute gerne schwammig heißt. Im Advent teilen wir die gemeinsame Hoffnung durch Jesus Christus auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Menschen lassen sich anstecken von dem, was mit dem Kind in der Krippe in einigen Wochen erwartet wird und dass es nicht bloß ‚klebrige Harmonie‘ bleibt. Es wäre der schlimmste anzunehmende Störfall weiter zu träumen, dass Begehren stärker als Gottes- und Nächstenliebe sein darf.
Die Hoffnung erfüllt sich nicht dadurch, dass soziale Appelle ausgesendet werden zusammen zu rücken. Es erfüllt sich alles durch Christus. Das muss im Blick bleiben. Advent darf nicht zum Liebes-Endspurt am Jahresende werden. Wer wach ist mit aufgewecktem Herz und Sinnen, lässt sich nicht so leicht hinters Licht führen. Wer sich von diesem ersten, vorsichtigen Strahl des Lichtes anscheinen lässt, der von der noch fernen Krippe aufleuchtet, weiß, dass es heller wird und die Erfüllung näher rückt.
So ruft Gott uns als Wartende auf und stellt vor die Aufgabe, die Zeit zu füllen:
‚Komm, o mein Heiland, Jesu Christ
meins Herzens Tür dir offen ist.
Ach zieh mit deiner Gnade ein;
dein Freundlichkeit auch uns erschein.
Dein Heilger Geist uns führ und leit
den Weg zur ewgen Seligkeit.
Dem Namen dein, o Herr,
sei ewig Preis und Ehr‘ (EG 1, 5)
Wer so lebt und dann nachsieht, wie das praktisch auszusehen hat, erwartet nach jedem Dunkel einen neuen Morgen, nach jedem Leid neue Freude, nach dem Tod das Leben durch Gottes Gnade. A m e n.
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Nicht allein in der Nacht - Predigt zu Römer 13,8-14 von Hans Uwe Hüllweg
Nicht allein in der Nacht
„In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine…“ So, liebe Gemeinde, lautete einmal ein überaus erfolgreicher Hit, gesungen von Marika Rökk, Peter Alexander und anderen Showgrößen in den fünfziger Jahren und neuerdings auch von einer der erfolgreichsten deutschen Popgruppen, den „Prinzen“. In diesem Song geht es natürlich um die Liebe, aber der Text hat auch darüber hinaus eine psychologische Dimension. Die Nacht hat nämlich eine besondere Bedeutung in unserem Leben. Die meisten Menschen schlafen sicherlich oder versuchen es; aber viele müssen auch arbeiten, im Krankenhaus und bei der Bahn, in den Kraftwerken, bei der Polizei oder auch hier im Seniorenstift.
Und manch einer fürchtet sich, abends etwa durch den Park oder das nicht so gut beleumundete Viertel zu gehen, weil manchmal Gestalten im Dunkeln tatsächlich oder vermeintlich ihr Unwesen treiben, das das Licht des Tages scheuen muss. Da ist es besser, jemanden bei sich zu haben.
„In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine“ – in dieser Zeile schwingen unterschwellig unsichtbare, doch höchst reale Gefahren und ebenso zwar irreale, aber doch sicht- und spürbare Alpträume mit.
Und wer nicht so einfach in den Tag hinein lebt, wer bewusst über sein Leben nachdenkt, wird manchmal das Gefühl nicht los: „Der Tag ist vorgerückt, die Nacht kommt näher.“ Mit jedem Sonnenuntergang wird unser Leben kürzer, auch mit jedem Geburtstag, den wir feiern, wobei niemand weiß, ob es nicht der letzte ist. Einmal wird die Sonne nur noch eine Handbreit über unserem Lebenshorizont stehen, und wir wissen nicht, wann das sein wird. Morgen schon? Oder in vielen Jahren?
Schon die Jüngeren spüren das Altern. Auch wenn die Statistik uns weismacht, dass man sich erst mit etwa 35-40 Jahren, also wenn ungefähr die Hälfte des Leben nach unserer regulären Lebenserwartung verstrichen ist, mit dem Tode bewusst auseinanderzusetzen beginnt - er ist ja schon allgegenwärtig in seinen Vorboten. Viele setzen sich heftig zur Wehr gegen das Altern: Die Kosmetikindustrie stellt Salben und Wässerchen her gegen die Falten und verdient viel Geld damit. Die einen vergießen Schweiß in den Fitness-Studios, die anderen joggen um den See, und die wenigstens die Optik jung halten wollen, legen sich auf die Sonnenbank.
Im Grund wissen wir aber: Gegen das Älterwerden ist nun mal kein Kraut gewachsen. Der Tag rückt vor, die Nacht näher, und in der Nacht wird der Mensch, ob er will oder nicht, alleine sein. Das ist, bei nüchterner Betrachtung, unser Leben.
Dagegen aber erhebt Paulus seine Stimme. Er behauptet das genaue Gegenteil, und seine Worte klingen wie ein Fanfarenstoß: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist herbeigekommen, es ist Zeit aufzustehen…“
Natürlich ist Paulus kein Phantast. Er kennt sich im Leben aus. Er redet nicht einfach so daher. Und er hat sicherlich auch schon einmal im Wasserspiegel des Brunnens sein Gesicht gesehen, an dem die Spuren des Älterwerdens nicht vorübergegangen sein dürften.
Aber er lässt sich nicht verwirren und sich schon gar keine Angst einjagen. Mit jedem Tag, der vergeht, so ist er überzeugt, wird der Abstand zwischen mir und Christus kleiner. Es geht nicht bergab, sondern bergauf mit mir. Die Nacht brauche ich nicht zu fürchten, denn ich bin schon am Tag nicht alleine. Jesus Christus geht mit mir, jeden Schritt, den ich mache. Nach Gottes Zeitplan werde ich nicht älter, sondern jünger.
Nun können wir nicht erwarten, dass das jeder dem Apostel abnimmt. Auch das Mitfeiern des Gottesdienstes heute, am 1. Advent, bietet uns dafür keine Garantie. Die Skeptiker, die es möglicherweise ja auch unter uns gibt, werden sich fragen, ob das nicht einige Nummern zu groß ist angesichts einer Realität, die uns doch immer wieder in die finstere Wirklichkeit zurückholt. Terror in Europa, Krieg in Ost und Süd, Flüchtlingsstrom in unser Land, dazu mancherlei individuelle Sorgen und Ängste – wen soll das alles kalt lassen?
Doch unser Glaube ist immer einige Nummern zu groß. Wir greifen mit unseren Überzeugungen immer über die Wirklichkeit hinaus. Wollten wir das nicht, wäre unser Glaube arm. Denn Gottes Wirklichkeit, das soll uns im Advent wieder zu Bewusstsein kommen, ist immer einige Nummern größer als unsere.
Nach menschlichen Maßstäben sollte Gott lieber im Himmel geblieben sein! Nichts wie Ärger auf dieser Erde! Die Menschen wenden sich von ihm ab, wollen „autonom” sein, d.h. ihre eigenen Gesetze machen. Der Wille Gottes kann ihnen gestohlen bleiben. Und als sich Gott schließlich aufmacht, um ein Mensch zu werden, da erwartet ihn „am Anfang der Stall und am Ende der Galgen”, wie der Rhetoriker, Philologe und Schriftsteller Walter Jens gesagt hat.
Wer an diesen Gott glaubt, der greift in der Tat über sich hinaus. Und für den ist dieser Satz dann nicht mehr so unwahrscheinlich, wie es zunächst schien: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen”, der Tag nämlich, an dem Gott selbst in die Welt und in sein Leben tritt.
Paulus ist für mich ein beeindruckender Mann. Er redet, wie nur ein Mensch reden kann, der, wenigstens im Augenblick, völlig frei ist von Angst. Er spricht schwungvoll, mitreißend und begeisternd. Das Lied von Jochen Klepper, das wir gleich noch singen werden, versucht, diese Stimmung einzufangen:
Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern,
so sein nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern!
Auch dieses Lied schlägt nicht vor Begeisterung über die Stränge - die musikalische Stimmung in Moll, die ja als schwer und traurig gilt, bewahrt vor überschießender Fröhlichkeit, die das Bewusstsein trübt. Mir scheint, das Lied ist wie eine Hängebrücke zwischen zwei Ufern. Der Text, ganz nah bei Paulus, hängt am Ufer Gottes. Er will uns mit der Gewissheit anstecken, dass wir nicht in eine ungewisse Zukunft hineinlaufen, sondern einem Ziel entgegengehen, an dem Christus uns erwartet. Die Melodie hängt am Ufer unseres Lebens. Sie bewahrt die Bodenhaftung, hat noch ein Ohr für die dunklen Töne der Welt.
Gewiss, das Aufatmen über die schwindende Nacht und die adventliche Vorfreude auf den kommenden Tag Gottes muss auch Konsequenzen haben, und Paulus scheut sich nicht, in aller Deutlichkeit davon zu sprechen. „Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht”, so legt er los.
Nun brauche ich Paulus nicht in Schutz zu nehmen, etwa gegen den Verdacht, als ob er hier die alte, vergangene Werkgerechtigkeit wiederauferstehen ließe. Oder als ob er ein sauertöpfischer, stets mit erhobenem Zeigefinger herumlaufender Griesgram wäre, der das Leben nicht genießen, sondern nur verteufeln kann.
Was er dagegen meint: Wer zügellos und ausschweifend lebt, merkt meist nicht, dass der innere Antrieb dafür nicht einfach Freude am Genuss, sondern tief im Innern eigentlich der verbissene Kampf gegen den Tod ist. Wer nicht dem herangerückten Tag entgegenschaut, bleibt auf der dunklen Seite des Lebens stehen. Und in einer solchen Nacht bleibt der Mensch dann wirklich oft allein.
Das aber, so meint Paulus, haben Christen nicht nötig. Ihr Leben erfüllt sich nicht im Lebensgenuss um jeden Preis, um die Nacht zu vertreiben, sondern im kommenden Tag Gottes.
Das ist der Grund dafür, dass unser Leben nicht trostlos, sondern im Gegenteil voller Hoffnung ist. Wir leben zwar noch in der Nacht, aber sie ist schon im Schwinden, und wir sind sozusagen schon vom Licht des neuen Tages angestrahlt.
„In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine” - eigentlich könnte das ein Adventslied werden, wenn der Text so lautete:
In der Nacht ist der Mensch nicht gern allein,
und er brauchte es auch nicht zu sein.
Ein Silberstreif am Horizont zeigt an:
Gott ist im Kommen, ist schon auf der Bahn,
er kommt für uns zu einem guten End -
das ist Advent.
Na ja – da ist das Lied von Jochen Klepper sicher seriöser.
Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.
Amen.
Einige Anregungen verdanke ich Hans-Georg Lubkoll in PastBl 12/91, S. 676ff
Lied: 16,1-5
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29.11.2015 - 1. Advent 2015
1. Advent 2015
Die Fenster bleiben rund
Herr, segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde, mögen Sie Dickschädel? – Nein? – Ich auch nicht.
Aber ich sag Ihnen was: Ich stehe hier mitten in einem Dorf voller Dickschädel!
Und ich liebe sie alle. – Die meisten von ihnen gehören zu meiner Gemeinde.
Es gibt hier ein altes Sprichwort. Das sagen die Leute heute noch:
„Die Fenster bleiben rund!“
Früher hatten ’s die Evangelischen in Österreich sehr schwer. Mit ihrem Glauben.
Nachdem sich die Reformation in weiten Teilen des Landes rasch ausgebreitet hatte, setzte nach einigen Jahrzehnten die Gegenreformation ein und mündete schließlich in Gewalt.
Die Protestanten standen plötzlich vor der Entscheidung: Glaube oder Heimat! – Entweder ich verlasse mein Heimatland oder ich werde wieder „brav“ römisch-katholisch. An die 200.000 Evangelische wurden in dieser Zeit ins Exil vertrieben.
Seit 1781 durfte man durch das „Toleranzpatent“ Josefs II. seinen evangelischen Glauben wieder leben. Unter strengen Auflagen und Einschränkungen, versteht sich.
Die Evangelischen durften z.B. keine Gebäude bauen, die einer Kirche ähnlich gesehen hätten.
So hat man „Bethäuser“ errichtet – ohne Turm, ohne Glocken, ohne Rundbogenfenster, kein Eingang zur Straße hin.
Ein solches Bethaus bauten auch unsere Naßwalder, aber sie dachten gar nicht daran, sich an alle Auflagen zu halten.
Doch die Obrigkeit kontrollierte streng …!
Und die Fenster blieben rund!
Schwemmmeister und Dorfoberhaupt Georg Hubmer aber war nicht nur berühmt für seine Durchsetzungskraft und für seinen gesunden Hausverstand. – Er war auch ein schlauer Fuchs!
Er hatte tatsächlich einen persönlichen Fürsprecher gefunden: Erzherzog Johann, des Kaisers Bruder! Der hatte ihm eine Audienz bei seiner Majestät Franz II. eingefädelt. Der Kaiser soll schließlich zu Hubmer gesagt haben: „Man lasse mir meinen Raxkönig in Ruhe!“
So blieb das bescheidene Bethaus in Naßwald das einzige mit runden Fenstern in der gesamten Donaumonarchie.
Das Bethaus konnte man übrigens bald direkt von der Straße aus betreten. Hubmer hatte nicht etwa den vorgeschriebenen Hintereingang wiederrechtlich nach vorne verlegt. Nein, er hatte einfach die Straße auf die andere Seite verlegen lassen.
Sogar die streng verbotenen Glocken konnte man schließlich läuten hören. – Natürlich nicht in einem angebauten Turm aus Stein. Ein kleines Stück weit entfernt vom Bethaus stand unversehens ein hölzernes Gerüst, von dem drei Eisenglocken erklangen. – Man musste ja schließlich ein Feuerwarnsystem haben und zu den Ortsversammlungen rufen können …
Es gibt noch etliche solcher Naßwalder Geschichten.
Ja, ich liebe diese Dickschädel.
Aber diese Dickköpfigkeit kommt ja nicht von ungefähr.
Ohne sie hätten sie sich damals gar nicht behaupten können.
Ein buchstäblich notgedrungener „Glaubens-Dickschädel“ also, - dessen Ursprung wohl in die Zeit des Geheimprotestantismus zurückreicht.
Die Zeiten des konfessionellen Gegeneinanders in diesen Breiten sind mittlerweile längst vorbei – auch hier in Naßwald. – Gott sei Dank!
Längst ist Naßwald nicht mehr nur lutherisch bevölkert. – Konfessionsverbindende Ehen sind heute kein Problem mehr. – Die katholische Pfarrer oben in Schwarzau im Gebirge oder unten in Gloggnitz zum Beispiel sind meine Freunde. Gelegentlich feiern wir miteinander Gottesdienst.
Wozu da noch einen „Glaubens-Dickschädel? –
Bedarf es heute in unserem freien Europa mit seinem Grundrecht auf freie Religionsausübung überhaupt noch einer Standfestigkeit im Glauben.
Wenn ich Sie frage: Würden Sie für Ihren Glauben den Kopf hinhalten? – Sie würden vermutlich meine Frage gar nicht verstehen: Kopf hinhalten? Für den Glauben? Warum? Es tut mir ja keiner etwas.
Doch auch den Familien um den Raxkönig ist es ja um weit mehr gegangen als um ihren Wunsch nach runden Kirchenfenstern. Im Kern des evangelischen Glaubens ging es und geht es darum, wer vor Gott etwas zählt. Nur, wer fromm ist? Gibt es Bedingungen? Oder gilt Gottes Liebe vielleicht gerade denen, die an den gestellten Bedingungen immer wieder scheitern?
So sieht es doch auch heute aus. In der Gesellschaft gehörst du in dem Maß dazu, wie du mithalten kannst, - solange du noch was auf deinem Bankkonto habe, solange du gesund bist.
Ich denke an alle die, die Jesus seligpreist: die geistlich arm sind, - die da Leid tragen, - die Sanftmütigen, - die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, - die Barmherzigen, - die reinen Herzens sind, - die Friedfertigen, - die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden – alle die haben auch bei uns wenig zu lachen. Die will eine Spaßgesellschaft gar nicht sehen!
Wir kennen solche seliggepriesenen Leute! Jede Menge! – manchmal gehören wir selbst zu ihnen!
Und auch Georg Hubmer war einer von ihnen. – Auch wenn manche sicher zu Recht behaupten, er sei – wie Martin Luther – einer gewesen, dem schnell einmal der Kragen platze, der mit der Faust auf den Tisch haute und derb und laut wurde.
Der aber für sich und die Seinen beschlossen hatte, ein bescheidenes und menschenwürdiges Leben zu führen.
Kinder zum Beispiel haben damals nichts gegolten. Junge, billige Arbeitskräfte waren es.
Was hat Hubmer gemacht: Er hat dafür gesorgt, dass Kinder und Erwachsene in Naßwald lesen und schreiben lernten. Das Bethaus war zugleich auch Schule! Die Löcher für die Tintenfässer in den Bankreihen der Kirche sind heute noch zu sehen. Alle sollten eine Grundbildung besitzen, sollten selbst die Bibel lesen können!
Auch darin waren die Naßwalder echte Evangelische: Protestantismus und Bildung und die Heilige Schrift in der Muttersprache gehören zusammen! Das wissen die Evangelischen heute noch. Daher ist das heurige Jahr, auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 das Jahr der Bildung in Österreich.
Hubmer hat in diesem Tal eine Krankenkasse und eine Sozialversicherung eingeführt, ein Schutzhaus für die Schulkinder gebaut.
Er hat im Glauben begriffen, dass wir Empfangende, dass wir von Gott Beschenkte sind, dass wir allein aus der Gnade Gottes leben, - die es gilt, weiterzugeben!
Er hat mit Paulus und mit Luther begriffen, dass alle die, die Jesus seligpreist, ihre Seligkeit nicht mit irgendeiner eigenen Anstrengung verdienen müssen, - nicht verdienen können!
„… und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. … So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ (Röm 4,24.28)
Diesem evangelischen Glauben bleib Hubmer treu. Für den hielt er seinen Kopf hin. Zu dessen Ehre hatten die Fenster rund bleiben müssen.
Protestantisch war er auch in seiner Überzeugung: Ich bin Gott verantwortlich und damit an mein eigenes Gewissen gebunden.
So sind die dickköpfigen Naßwalder nicht nur Gott, sondern auch sich selbst treu geblieben.
Deshalb haben sie sich auch nicht vor der habsburgischen Macht gefürchtet. Allein auf die Durchsetzung des Gesetzes hatte die staatliche Obrigkeit in Naßwald gebaut.
Aber die Jesus seligpreist, die kuschen nicht. Die folgen ihrem Gewissen, mit dem sie vor Gott bestehen wollen, - mit dem sie Mensch bleiben wollen.
All jenen, die ohne Rücksicht auf Verluste dem letzten Modeschrei nachjagen, immer höher hinaus wollen, immer weiter weg, immer mehr Action, immer mehr Spaß mit immer höherem Tempo, - denen wünsche ich, dass sie einmal einen Fuß ins alte Naßwald setzen. – Demut lernen. – Entschleunigen. – Menschengerechter zu leben beginnen. – Für sich selbst, für andere.
Ich glaube, das täte ihnen gut.
Ich wünsche ihnen, dass sie einmal auf diesem hohen Felsen stehen und von dort oben einen klaren Blick bekommen.
Was sehe ich von dort?
Von dort oben erkenne ich, dass in meinem Leben getrost auch einmal etwas hinterwäldlerisch sein darf, etwas langsamer, bedächtiger halt.
Nicht, dass die Naßwalder rückständig wären!
Die Naßwalder waren und sind bis auf den heutigen Tag alles andere. Sie sind immer noch Experten auf ihrem Gebiet, hochqualifizierte Spezialisten in der naturnahen Forstwirtschaft und im Quellschutz für die Stadt Wien. Von hier fließt das Wasser nach Wien. Die Naßwalder sind gescheit, talentiert und weltoffen. Sie schauen aufeinander. Sie schauen auch auf andere: Gerade haben sie in ihrem kleinen Dorf eine siebenköpfige irakische (oder: sunnitische?) Flüchtlingsfamilie aufgenommen! – Die Naßwalder stehen mitten im Leben.
Das Vermächtnis ihrer Vorfahren ist ihr Dickschädel.
Zusammen mit den Naßwaldern dürfen wir uns fragen:
Wofür lohnt es sich heute, seine Kraft einzusetzen, zu kämpfen, den Kopf hinzuhalten?
Wo ist mein christlicher Glaube gefordert? – Schauen Sie sich um! – Schauen Sie in die Welt! Auf das, was sie vor Ihrer Nase sehen. Und auf das, was weit hinter Ihrem Kirchturm liegt.
Und hören Sie auf Ihr Gewissen! –
Und dann entwickeln Sie Ihren persönlichen Dickkopf!
Doch um einen Dickkopf zu bilden, braucht es Bildung! – Braucht es Urteilsvermögen!
Auch da gilt es:
Weiten Sie Ihren Horizont! – Die gemütlichen Naßwalder haben‘s Ihnen vorgeführt!
Öffnen Sie sich für Neues, Fremdes, - auch und vor allem für neue und fremde Menschen! Öffnen Sie sich für die, die Jesus seligpreist!
Denn unsere Welt braucht Menschen, die den Mut haben, zu ihrem Glauben zu stehen und mit Wort und Tat das Evangelium von Jesus Christus bezeugen.
Das weist hinaus an die Schwachen und die Schwächsten dieser Welt. An die mit den leeren Händen, die Jesus seligpreist und denen Gottes bedingungslose Zuwendung gilt.
Weil wir Gnade empfangen, können wir nicht gnadenlos sein!
Wir können unseren Mund aufmachen und laut mit Paulus sprechen:
„Ich schäme mich des Evangeliums nicht;
denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht – alle, die daran glauben …“ (Röm 1,17)
Das ist es, was uns froh macht.
Das ist es, was unserer Welt ein freundliches und menschenwürdiges Gesicht verleiht.
Dafür einzutreten, wünsche ich Ihnen einen Naßwalder Dickschädel.
Amen.
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You are welcome - Predigt zur Jahreslosung nach den Anschlägen in Paris, von Jens Junginger
You are welcome
Weil die Losung für das Jahr 2015, nicht treffender, aktueller und herausfordender nicht lauten könnte,
angesichts des barbarischen Terroranschlags und des Geiseldramas in Paris
angesichts der Aufmärsche gegen die angebliche Islamisierung des Abendlands
und angesichts sich ausbreitender Skepsis, Angst und Sorge unter uns allen,
rufen wir 10 Tage nach dem Beginn des neuen Jahres heute diese Losung noch einmal in Erinnerung.
Aus dieser Losung spricht die Sehnsucht und Bitte des Apostel Paulus,
im Blick auf Menschen, auf Menschengruppen,
die sich in der Stadt Rom offenbar schwer getan haben,
sich gegenseitig anzunehmen.
Wir hören, was Paulus am Ende seines Briefes an die Freunde und Glaubensgeschwister in Rom über den Losungsspruch hinaus schreibt:
(Römerbrief Kapitel 15 nach der Übersetzung der Basisbibel)
„Wir, die Starken, sind verpflichtet,
die Schwächen von denen mitzutragen,
die nicht so stark sind.
Es geht ja nicht darum,
was uns gefällt.
Vielmehr soll jeder von uns so handeln,
wie es seinem Mitmenschen gefällt.
…wir sollen die Hoffnung nicht aufgeben.
Dabei helfen uns die Ausdauer und die Ermutigung,
wie wir sie aus den Heiligen Schriften gewinnen können.
Diese Ausdauer und diese Ermutigung kommt von Gott.
Daher bitte ich euch:
Nehmt einander an,
so wie Christus euch angenommen hat,
damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird.
Denn das sage ich:
Weil Gottes Zusage wahrhaftig gilt,
trat Christus in den Dienst der Beschneidung.
[d.h. der Jude Jesus orientierte sich an den Gesetzen der Tora]
So wollte Gott das einlösen,
was er den Stammvätern[ Abraham, Isaak und Jakob]
versprochen hat.
9Aber auch die Heiden haben allen Grund,
Gott für sein Erbarmen zu loben.
[d.h. die Menschen aus den Völkern,
die nicht an den Gott von Israel glauben.]
Denn in der Heiligen Schrift steht:
"Darum will ich dir danken unter den Heiden
Deinen Namen will ich preisen mit einem Lied."
Unbekannte Gesichter
fremde Sprachen
seltsame Sitten
Mittendrin
CHRISTUS
Im Gewirr der unbekannten Laute
sein Name
in der Melodie anderer Sprachen
Gottes Lob
in den Gesten fremder Menschen
seine Liebe (Gottfried Heinzmann)
Liebe Gemeinde
Skepsis, Befremden Konflikte, Gräben, Spaltungen, Auseinandersetzungen, Aversionen, das sind keine Phänomene unserer heutigen Zeit in einer globalisierten Welt, in einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft.
Der Apostel Paulus war intensiv damit befasst
Konflikte und Streitereien zu schlichten, zu vermitteln,
um für gegenseitigen Verständnis zu werben, Ausgleich zu schaffen,
um Frieden zu stiften, zur Solidarität aufzufordern
und die Einheit der Christengemeinden zu stärken.
Wo er nicht selbst war oder noch nicht war, wie in Rom,
bei den dortigen Glaubensgenossen,
mit ihrer ganz unterschiedlicher religiöser und sozialer Prägung,
von deren Unstimmigkeiten und Verständigungsschwierigkeiten er aber gehört hatte,
da versuchte er schriftlich Einfluss zu nehmen, mit eindringlichen Worten, wie eben im Brief an die Römer.
Die Schar der Christusgläubigen in Rom lebte in den ungesünderen, dicht besiedelten Stadtteilen Roms - bis auf wenige Ausnahmen, in recht ärmlichen Verhältnissen.
Da war sich schon immer wieder jeder selbst der Nächste, wenn‘s um die Existenz, ums Überleben, ums tägliche Brot ging.
Das verhinderte, dass sich alle einander annahmen.
Und noch etwas Zweites bot Stoff für Konflikte.
In den besagten Vierteln dieser Metropole lebten Christusgläubige mit jüdischem Hintergrund und Christusgläubige, die einen anderen kulturellen oder religiösen Hintergrund hatten.
In der Sprache des Paulus Heidenchristen.
Und Paulus wurde nicht müde immer wieder zu betonen:
Alle sind von Gott angenommen,
diese Zusage Gottes gilt wahrhaftig – für alle.
Deshalb bittet er so eindringlich darum
Nehmt einander an,
so wie Christus euch angenommen hat,
damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird.
Das ist eine eindringliche Aufforderung des Apostels
religiöse, soziale und kultureller Entfremdung und gesellschaftlicher Spaltung
zu überwinden.
Da wo es in einer Gesellschaft bunter zugeht, kapseln sich Menschen – zunächst – voneinander ab und ziehen sich wie eine Schildkröte in ihren Panzer zurück.
Ein Verharren im Panzer ist für keinen förderlich – im Gegenteil.
So entstehen Isolation, Parallelwelten und Beziehungslosigkeit.
Warum verharren Menschen dort, unter diesem Panzer?
Warum fühlen sie sich zurückgesetzt, vergessen, aufgegeben oder bedroht?
Wovon sind sie enttäuscht?
Ich denke: Das sollte uns interessieren, danach müssten wir fragen.
bei jenen, die gegen Überfremdung und Islamisierung aufmarschieren
bei jenen, die sich mit dem Makel Migrationshintergrund als die ewigen Verlierer erleben und daher in radikale Systeme flüchten.
Diffamierung in beide Richtungen, führt zu mehr Isolation und Radikalisierung.
Nehmt einander an,
das ist ein leidenschaftlicher Aufruf, der besagt:
geht aufeinander zu, trefft euch, erzählt euch, fragt euch
was ihr denkt und glaubt und warum,
fragt euch, wie es euch geht, was euch befremdet und was ihr nicht versteht,
und sagt euch womit ihr nicht klar kommt,
was ihr euch wünscht voneinander, was ihr erwartet.
Findet heraus was euch trennt und eint.
Verharren wir in der Angst, in der Sorge in der Furcht,
fühlen sich die, die Furcht säen wollen, lateinisch: „Terror“ als Gewinner.
Bleiben wir bei uns selbst, skeptisch, ängstlich, mutmaßend, verdächtigend
und denken Islam ist Islamismus, ist Salafismus und Islamischer Staat, so treiben wir selbst die Radikalisierung voran und zwar, gerade derer, die selbst von ihrer Religion keine Ahnung haben.
Die Jahreslosung für dieses Jahr hat eine Brisanz, die so nicht zu erwarten war. Sie trifft den Nerv. Sie ist eine Zeitansage.
Faszinierend, verlockend, spannend - eine echte Herausforderung.
Erst recht angesichts der Tatsache dass 57% der nicht muslimischen Bevölkerung in Deutschland den Islam für eher oder sehr bedrohlich halten, und angesichts von 63 Prozent, die keine Kontakte mit Muslimen haben.
Nehmt einander an! Darauf liegt eine wahrhafte Verheißung.
Das war spürbar in den Begegnungen und Gesprächen, die wir im vergangenen Jahr hatten, hier in der Kirche und in der Moschee hatten.
Auch die folgende Begegnung vermag von dieser Verheißung etwas anschaulich machen:
Ich sitze Hope (Name geändert) gegenüber
[erzählt eine Ehrenamtliche aus der Ini Asyl].
Ihr Baby hat sie an der Brust angelegt, ihr älterer Sohn spielt mit einem kleinen Spielzeugauto, das er durch den ganzen Saal chauffiert.
Wir befinden uns im Café International, es ist eigentlich kein Ort.
Das Café International ist eine Zeit – und eine Gelegenheit. Nämlich die, sich kennenzulernen sich zu begegnen, vielleicht jemanden zu treffen der die eigene Sprache spricht… .
Da ist ein großer Tisch voller Menschen aus Eritrea.
Dort sitzt etwas verloren ein Paar mit einem Kind aus Bosnien, am hinteren Tisch eine putzmuntere 11-köpfige Kinderschar mit ihren Eltern aus Syrien.
Mein Mann sitzt an einem Tisch mit Afghanen.
Meine Tischnachbarin kommt aus Nigeria, sie strahlt mich an,
„I am so happy“! sagt sie
Endlich ist sie heil in Deutschland angekommen, nach der beschwerlichen Flucht über Land nach Libyen, dann auf einem Seelenverkäufer übers Mittelmeer.
Schwanger mit dem Baby, das jetzt an ihrer Brust liegt und friedlich nuckelt und mit ihrem kleinen Sohn, der wohl kaum lange Strecken laufen konnte.
Wie wird sich ihr Leben in Deutschland entwickeln?
Noch ist alles neu. Sie kennt sich nicht aus, ist fasziniert von dieser anderen Kultur und glücklich endlich angekommen zu sein.
Ja, und sie will Deutsch lernen, möglichst schnell.
Ich biete ihr an, einmal in der Woche vorbei zu kommen und sie zu unterrichten.
Sie strahlt mich an „Thank you - Danke schon“ sagt sie und lacht über das ungewohnte Wort.
„Bitte schön“ sage ich, „You’re welcome“.
Nehmt einander an
so wie Christus euch angenommen hat,
das hat Paulus seiner eindringlichen Bitte hinzugefügt
anders gesagt:
Nehmt einander an,
so wie Christus zu spüren gegeben hat:
„you are welcome“.
Jemanden anzunehmen,
unglaublich vielen Menschen das zu spüren zu geben,
sie es erfahren lassen
und gerade den Geringsten, den Letzten zuzusagen,
you are welcome,
darin war Jesus Christus unübertreffbar, ja einzigartig.
Auch weil er nicht darauf schaute wie Menschen kulturell religiös geprägt waren.
Dafür hat er sein Leben gegeben
doch tot zu kriegen war er und seine Botschaft nicht.
Wer sich wirklich zutiefst angenommen fühlt,
vermag andere anzunehmen.
das heißt im Umkehrschluss aber auch:
Wer sich nicht angenommen fühlt
nimmt auch andere ungern an.
Das wissen wir – eigentlich - und müssen uns doch immer wieder
daran erinnern lassen,
als Christen, Eltern, Pädagogen Politiker,
Ärzte, Pfleger, Sozialarbeiter als Bürger und Bürgerin.
Paulus erinnert uns :
Angenommen … das Leben
läuft anders, als gedacht.
Angenommen … es dominieren
die Schatten und die Ablehnung.
Angenommen … der Platz
an der Sonne bleibt leer, weil
der erste Schritt aufeinander zu
so unendlich schwer fällt.
Dann hat Christus bereits
den ersten Schritt getan.
Er hat sich nicht abgewandt.
Er hat angenommen.
Ohne wenn und aber. (Dieter Braun)
Amen