Predigt zu Römer 5,1-5 von Antje Marklein
Der Sonntag heute heißt ‚Reminiscere‘ . Gedenke. Erinnere dich.
Erinnere dich, Gott, an deine Barmherzigkeit und deine Güte – so haben wir es im Psalm 25 gebetet. Erinnere dich, Mensch, an den Gott, der dich durch das Leben begleitet. So werden wir es gleich im Predigttext des Sonntags hören. Gleich.
Der Sonntag der Erinnerung.
1: Heute vor 100 Jahren begann die Schlacht von Verdun. Vom 21.2.1916 an führten Deutsche Truppen einen monatelangen und quasi ergebnislosen Belagerungskrieg gegen die französische Stadt Verdun. Bis heute wird in Verdun an diesen Tag erinnert, und diese Erinnerung verhindert hoffentlich, dass Menschen gleichgültig werden gegenüber Krieg und Gewalt.
Nun werdet ihr fragen. Na und? Vor 100 Jahren? Nicht mal mein Großvater war daran beteiligt, was habe ich damit zu tun?
2: Heute vor 3 Wochen kam Manfred aus der Kur zurück. Burnout, war die Diagnose gewesen, eine ‚Erklärung‘ dafür, dass er nicht mehr er selbst war. In der Kur lernte er, auf sein eigenes Leben zu schauen. Er hat sich erinnert an all das, was ihn zum Zusammenbruch geführt hat. Die Ausbildung, der Beruf, Familie und Haus, dann die Krise, Frau und Kind sind ausgezogen, in der Firma hat er umso verbissener seinen Mann gestanden, und dann ist er zusammen gebrochen.
Nun werdet ihr sagen: na und, es wird einen Grund gegeben haben für die Krise…
3: Heute vor 14 Jahren kam Nathalie zur Welt. Sie war vom ersten Tag an körperbehindert. Für die Eltern ein Sorgenkind. Immer schon fühlt sie sich isoliert. Wenn ihre Klassenkameradinnen Sport haben, schaut sie zu. Gehen die anderen shoppen, bleibt sie im Rollstuhl sitzen. Und die mitleidigen Blicke, das gekünstelte Lächeln von Möchtegernverstehern erträgt sie schon lange nicht mehr.
Und nun werdet ihr sagen, naja, wir haben ja auch unsere Probleme…
Heute geht es um das Erinnern. Was hat das, was war zu tun mit dem was ist und dem, was morgen sein wird.
Und bei all dem Erinnern spielt heute der Apostel Paulus eine große Rolle. Von ihm stammt der Bibeltext für diesen Sonntag. Paulus erinnert uns. An den Gott der uns mit seinem Frieden durch das Leben begleitet. Paulus drückt das aber kompliziert aus.
Rö 5, 1-5
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Noch einmal:
Nochmal lesen als Collage /Echo-Text mit im Raum verteilten Sprechende: Person 1 liest den gesamten Text, unterbrochen jeweils von Person 2,3,4 mit dem Echo.
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; wir haben Frieden mit Gott! Frieden mit Gott? Frieden mit Gott!
durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Wir stehen in der Gnade. Wir stehen in der Gnade? Wir stehen in der Gnade!
Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Bedrängnis bringt Geduld
Geduld aber Bewährung, Geduld bringt Bewährung
Bewährung aber Hoffnung, Bewährung bringt Hoffnung
Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Gottes Liebe in unseren Herzen. Gottes Liebe? Gottes Liebe!
Ein Satz bleibt bei mir besonders im Ohr. Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.
Nehmen wir diesen einen Satz einmal als Folie, auf der wir unser Leben ansehen. Oder die drei Geschichten von eben. Vielleicht wird dann das theologisch abstrakte greifbarer. Gedenke, erinnere dich, Mensch, zwischen dir und Gott ist Frieden. Den musst du nicht jeden Tag neu machen. Der Friede ist schon da.
Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.
Der Satz also als Folie unter unserem Leben. Durch all die Höhen und Tiefen, die Freuden und Katastrophen unseres Lebens hindurch: Wir haben Frieden mit Gott. Dieser Frieden ist schon da, vor uns sozusagen. Wir machen ihn nicht. Gott macht ihn. Wir haben Frieden mit Gott. Trotz und in allem.
Und jetzt folgen die vielen großen Worte, für die Paulus so bekannt ist.
Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung.
Lassen sich die großen Worte auch zusammen bringen mit unserer Lebenswirklichkeit? Erinnern wir uns an Verdun, an Manfred, an Nathalie.
Bedrängnis
Bedrängnis ist ein altes Wort für Not, Leiden. In Verdun haben sie gelitten, die Bewohner der Stadt, an der monatelangen Belagerung durch deutsche Soldaten. Heute leiden Menschen in Aleppo, fliehen aus Angst vor einer Belagerung, aus Angst vor dem Tod. Bedrängt.
Bedrängnis empfindet Manfred, wenn er in sein leeres Haus zurückkehrt und die Kinderzimmertür öffnet. Da stehen noch die Spielsachen, das Bett, die Bilder hängen an der Wand. Das tut Manfred weh.
Bedrängnis empfindet Nathalie im Rollstuhl immer, wenn sie auf Hilfe anderer angewiesen ist. Eine geschlossene Tür, eine Schwelle, der Gang zur Toilette in fremden Gebäuden.
Noch ein großes Wort:
Geduld
Geduld haben die Menschen im ersten Weltkrieg aufbringen müssen, Geduld bis zur Verzweiflung bringen Menschen an den aktuellen Kriegsschauplätzen auf, sie halten aus, was eigentlich nicht auszuhalten ist. Weil sie leben wollen. Weil der Überlebenswille stärker ist als die Verzweiflung.
Geduld muss Manfred aufbringen mit seinem Kind, das ihn bis heute ablehnt. So sehr hofft Manfred, dass sich das ändert. Dass sein Sohn einmal sagen wird: Ich verzeihe dir, Papa.
Geduld bringt Nathalie vor allem für ihre Eltern auf. Wenn sie sie wieder wie ein kleines Kind bemuttern. Wenn sie ihr etwas nicht zutrauen. Wenn sie sie zum wiederholten Mal mit dem Auto von der Schule abholen, obwohl Nathalie doch endlich Freundinnen hat, die den gleichen Weg fahren.
Und dann: Bewährung
Das Wort kennen wir aus der Rechtssprechung: 3 Jahre auf Bewährung, eine Zeitspanne in der sich etwas oder jemand bewähren muss. Aus der Geschichte in Verdun haben die folgenden Generationen gelernt zumindest dort in Verdun wird das Gedenken an die Opfer bewahrt und die deutsch-französische Aussöhnung hoch gehalten. Das gemeinsame Gedenken hat sich bewährt.
Vielleicht ist Manfred bei seinem Sohn auch ‚auf Bewährung‘, und es gibt irgendwann eine Annäherung zwischen den beiden.
Nathalie muss jeden Tag neue Bewährungsproben bestehen. Über mitleidige Blicke hinwegsehen. Hindernisse überwinden, Pläne schmieden und sie als unrealisierbar wieder verwerfen. Und dabei den Kopf oben behalten.
Und schließlich: Hoffnung
Die erschütternden Nachrichten aus Syrien sprechen nicht für Hoffnung. Und doch denke ich, dass das Erinnern an die Schrecken der Kriege Europa wach hält und verhindert, dass leichtfertig kriegerische Auseinandersetzungen riskiert werden.
Manfreds Hoffnung leuchtet in seinen Augen, wenn er sich an den einen Urlaub mit seinem Sohn erinnert.
Nathalies Hoffnung wird sich in den nächsten Wochen erfüllen: Sie wird mit ihren Freundinnen gemeinsam konfirmiert. Zum Segen werden sie zusammen vor den Altarstufen knien und sitzen, ganz selbstverständlich.
Bedrängnis bringt Geduld, Geduld bringt Bewährung, Bewährung bringt Hoffnung. Und dann münden diese großen Worte in der Liebe. Denn, so sagt Paulus, die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen.
Nicht, dass jetzt alles mit dem Mantel der Liebe verdeckt wird, was vorher noch da war an Schmerz und Hoffnung. Nein, da schreibt einer so abstrakt, der doch Bedrängnis und Leid erlebt hat. Paulus klammert nicht aus, dass das Leben von Christen leidvoll und mühselig sein kann. Aber er legt gleichsam unter dieses harte Leben die weiche Folie: Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.
Gedenke also, Mensch, der Liebe deines Gottes. Und wenn du verzagt bist und in Bedrängnis, dann erinnere dich an Gottes Barmherzigkeit, und dann erinnere auch Gott an seine Barmherzigkeit.
Vorhin habe ich von Verdun erzählt, und von Manfred und Nathalie. Vielleicht heißt Verdun auch nicht Verdun, Manfred nicht Manfred und Nathalie nicht Nathalie. Vielleicht werde ich heute angestoßen, mich auch zu erinnern. Was hat das, was war zu tun mit dem was ist und dem, was morgen sein wird. Vielleicht, l.G. ist die Fastenzeit vor Ostern so eine Zeit des Erinnerns. Erinnern kann weh tun, erinnern kann auch alte Kräfte neu wecken. Auf jeden Fall soll unser Erinnern getragen sein von der Folie: Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.
Den Frieden mit Gott müssen wir nicht machen. Den Frieden mit Gott haben wir in Jesus Christus.
Treffend hat das Dietrich Bonhoeffer formuliert:
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
so viel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.
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Predigt zu Römer 5,1-5 von Lucie Panzer
Hand aufs Herz, liebe Gemeinde: Eigentlich geht es uns gut. Die allermeisten können nicht klagen. Wir leben in einem der wohlhabendsten Länder der Welt, in einer der wohlhabendsten Städte Deutschlands, in einer der wohlhabendsten Wohngebiete dieser wohlhabenden Stadt. Wir leben seit 70 Jahren in Frieden. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekord-Niedrigstand. Kein Kind bei uns muss mehr an Diphterie sterben oder an Mumps, schon gar nicht am Hunger, keine Frau mehr am Kindbettfieber. Die meisten Krankheiten kann man wenigstens lindern. Natürlich, noch ist nicht alles gut, der Wohlstand sehr ungleich verteilt, noch immer nicht alle Krankheiten besiegt. Und viel Unglück gibt es, weil Menschen sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Aber trotzdem: Verglichen mit den Generationen vor uns in unserem Land, verglichen mit den Menschen in anderen Ländern, geht es uns unverdient gut.
Manchmal schaue ich mich um in meinem Leben und denke: Was für eine Gnade!
Ich nehme an, genau das wollte der Apostel Paulus den Christen in Rom deutlich machen. In Zeiten, die viel unsicherer waren als unsere, es gab große Armut, man starb an Tuberkulose und den Pocken, das Durchschnittsalter war so irgendwo Mitte 30. In Rom waren die Christen von ersten Verfolgungen bedroht. Trotzdem schreibt Paulus ihnen in seinem Römerbrief: Eigentlich geht uns Christen doch gut. Und wir haben Hoffnung, dass es noch besser wird. Hoffnung auf die kommende Herrlichkeit Gottes.
Ich lese vom Predigttext, zuerst einmal die ersten beiden Verse: Rö 5, 1+2
Wir haben Shalom. Es geht uns gut.
Wir haben Frieden, sagt er den Christen in Rom. Frieden. Shalom. Das ist der umfassende Zustand von Glück und Wohlergehen, den Paulus der Jude, als Geschenk empfunden hat. Wir haben das Jesus Christus zu verdanken, schreibt er. Er hat es uns möglich gemacht, im Shalom zu leben. Was für eine Gnade.
Ja, Paulus schreibt sogar: Wir stehen in der Gnade. Wie in einem geschützten Raum stehen wir in der Gnade Gottes und es geht uns gut. Paulus hat das für die christlichen Gemeinden ganz real gemeint. Inmitten der gewalttätigen Welt leben wir nach neuen Maßstäben, in einer Welt des Friedens. Und wenn ich Paulus recht verstehe, dann meint er: das kann in unseren Gemeinden wirklich erlebt und erfahren werden. Die Christen haben sich um Ausgleich der sozialen Gegensätze bemüht, arm und reich, upper class oder prekäre Verhältnisse, das spielte in der Gemeinde keine große Rolle. Gastfreundschaft wurde groß geschrieben, man sorgte nach Kräften für die Armen und Konflikte versuchte man friedlich zu lösen. Christen stehen einander bei auch das zu ertragen, was einem allein zu schwer ist. Die Liebe ist die größte unter den christlichen Tugenden, hatte Paulus eingeschärft. Er ging davon aus, dass in den christlichen Gemeinden Gottes schöne neue Welt schon spürbar werden konnte. Trotz Kindersterblichkeit und Armut und Bedrohung durch Christenverfolger.
Einwand: Es gibt Grund zur Sorge. Kaum Grund zur Hoffnung
Aber, liebe Frau Panzer, denken Sie jetzt vielleicht, da hat Paulus sich doch was vorgemacht. Sich und erst recht den Gemeinden, denen er seine Briefe schreibt. Er kann doch nicht einfach so tun, als ob es das andere nicht gäbe: Mütter, denen damals jedes Jahr ein Kind gestorben ist, Väter, die in den Verliesen der Staatsgewalt verschwanden, Gefängnis und Tod, nur weil man Christ war, ein paar wenige Superreiche und Mächtige in der Stadt und alle anderen waren rechtlos und Sklaven?
Das konnte Paulus doch damals so wenig übersehen wie wir heute unsere Situation: Krieg und Gewalt im Nahen Osten, das reichste Prozent der Weltbevölkerung – das sind ungefähr 70.000 Menschen – besitzen mehr als die übrigen 99 Prozent (also fast 7 Milliarden) zusammen. Millionen Menschen auf der Flucht, viele davon bei uns im Land, die Probleme, die das bringt, muss ich nicht aufzählen. Die Menschen auch in unserer Stadt machen sich Sorgen und haben Angst vor der Zukunft – wahrscheinlich nicht anders als die Menschen in Rom zur Zeit des Paulus. Und der schreibt: Eigentlich geht es uns doch gut! Und wir haben Hoffnung. Aber nichts von Sorgen und Angst.
Paulus kennt einen Weg aus der Angst
Stimmt aber gar nicht. Paulus kennt die Angst und die Sorgen. Er schreibt auch von Not. Von Leid. „Trübsal“ übersetzt Luther. Paulus weiß, wie einem das zu schaffen machen kann. Paulus kennt die Einwände gegen sein: Eigentlich geht es uns doch gut. Die Einwände gegen die Hoffnung, die einem Kraft gibt: einmal wird Gottes Herrlichkeit über uns aufgehen. Wie soll einer an so einer Hoffnung festhalten, wenn es allen Grund gibt, sich Sorgen zu machen?
Paulus kennt diese Einwände, Und er zeigt einen Weg, wie man aus Trübsal zu Hoffnung und zu neuer Kraft kommt. Die fällt ja nicht einfach vom Himmel. Paulus macht klar: Das ist richtig Arbeit!
Ich lese ihnen vom Predigttext die Verse 3 bis 5
Was hilft aus der „Trübsal“
Trübsal lehrt durchzuhalten. Trübsal lehrt Geduld, übersetzt Luther. Aber Paulus meint mehr, als passives Dulden, bis es vorbei ist. Nicht mal eine Grippe muss man einfach bloß aushalten und abwarten. Sogar da kann man manches tun, dass es erträglicher wird, dass es nicht verschleppt wird und immer schlimmer, dass man schneller wieder auf die Beine kommt und vor allem: dass es einen nicht gleich wieder erwischt. Also nicht aufgeben: Ich habe ja immer so ein Pech, jetzt habe ich mich schon wieder erkältet. Sondern inhalieren und Tee trinken, wenn es sein muss Bettruhe oder Obst und frische Luft und Bewegung. Dann geht es einem bald wieder gut und oft sogar besser als vorher.
Und das gilt erst recht für die großen und existentiellen Krisen. Manche werden aus der Bahn geworfen, geben auf, werden depressiv, entwickeln posttraumatische Belastungsstörungen. Und andere verarbeiten dieselbe Notlage relativ problemlos. Manche Menschen scheinen an existentiellen Krisen sogar zu wachsen und innere Stärke zu gewinnen. Natürlich kann ich jetzt nur die prominenten Beispiele nennen - aber wahrscheinlich kennen Sie auch Menschen in ihrem persönlichen Umfeld, für die das gilt.
Prominent ist Nelson Mandela, der nach 27 Jahren Haft Präsident in Südafrika geworden ist und das Apartheitsregime überwunden hat. Oder Malala Yousafzai, der die Taliban in den Kopf geschossen haben und sie setzt unbeirrt ihren Kampf für Mädchenbildung fort. Manchmal frage ich mich: Wo nehmen solche Menschen bloß diese Geduld her, diese Standhaftigkeit, die sie durchhalten und weitermachen lässt?
Resilienz
Resilienz nennt man neuerdings diese Kraft. Resilienz erspart einem nicht, dass etwas passiert, dass ein Unglück geschieht, dass es einen sogar selber trifft. Aber Resilienz hilft einem, die Trauer, die Sorge, die Angst, die mit solchem Unglück einhergehen, besser zu bewältigen. Resilienz hilft also nicht gegen die Probleme der Welt. Aber Resilienz hilft durchhalten.
Und wie gewinnt man Resilienz? Gesundheitspsychologen sagen: Beziehungen helfen. Menschen, die am besten schon in früher Kindheit erfahren, dass wenigstens ein Mensch für sie da war, an sie geglaubt und ihnen geholfen hat. Solche Menschen haben gute Aussichten, resilient zu werden. Das können Freunde sein, die Familie. Aber natürlich auch die Gemeinde, zu der man gehört. Dass andere mir zuhören, zu mir halten, für mich beten – das macht resilient. „Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand“ – dieses Vertrauen hat einer bekannten Protestantin Kraft gegeben, ihre Krise durchzuhalten und wieder auf die Beine zu kommen statt sich beleidigt, verletzt oder beschämt zurück zu ziehen.
Und da, denke ich, da können wir Christen einander helfen. Gerade wenn es uns unverdient gut geht, können wir anderen helfen, durchzuhalten, denen es nicht gut geht. Einander helfen durchzuhalten – wahrscheinlich ist das ein ganz wichtiger Teil von diesem Shalom, von dem Paulus spricht. Shalom heißt ja unter den Bedingungen unserer Welt nicht, dass alles gut ist. Shalom heißt viel eher, dass wir einander helfen können, durchzuhalten. Damit Menschen sagen können: Das schaffe ich! Und auf ihre Kraft vertrauen können, anstatt zu sagen: Das schaffe ich sowieso nicht. Wer so anfängt – der kann es am Ende wirklich nicht schaffen, fürchte ich. Paulus schreibt: dazu hat Gott uns seinen Geist geschenkt – damit wir durchhalten und es schaffen!
Was mir besonders aufgefallen ist: Paulus schreibt: Wir sind froh, auch über die Betrübnisse. Wie das? Sollte man nicht alles tun, die Schwierigkeiten des Lebens zu vermeiden? Ich jedenfalls versuche meistens, den Schwierigkeiten irgendwie aus dem Weg zu gehen. Mir scheint: Paulus weiß, dass die Durchhaltekraft, die Resilienz nur da wächst, wo ich mich dem Stress stelle und der Betrübnis. Wenn ich weglaufe, wenn ich die Augen verschließe, wenn ich mich einschließe, damit mir nur nichts passiert – dann können die Widerstandskräfte nicht wachsen. Wie bei der Grippe.
Durchhalten also, nicht mutlos aufgeben. Ich glaube: Dazu können wir einander helfen. Dazu brauchen wir Christen einander. Nicht dazu, einander in unseren Ängsten zu bestärken.
(Übrigens auch dazu, dem anderen zu sagen: Hör auf. So geht es nicht. Du machst dich kaputt. Wir müssen nach einem anderen Weg suchen. Auch das ist wichtig, dass einem das jemand sagt. Damit man sich nicht überfordert. Viel zu oft allerdings sage ich mir das selber: Gib auf – hat doch keinen Zweck. Da, fürchte ich, überwältigt mich dann einfach meine Mutlosigkeit. Und am Ende bin ich frustriert, weil ich wieder mal nicht geschafft habe, was ich mir vorgenommen hatte)
Durchhalten macht ein gutes Gefühl
Denn, schreibt Paulus, das ist ja das Nächste. Wer durchgehalten hat, der kriegt ein gutes Gefühl. Dieses Gefühl: Ich hab es geschafft. Wir haben es hingekriegt. Ich hab durchgehalten. Durchhalten schafft Bewährung. Beim Fasten kann man das beobachten. Im Radio wurde ein Moderator gefragt, ob das nicht eine furchtbar schwere Zeit ist, wenn er sich jetzt vorgenommen hat, 7 Wochen auf sein Feierabendbier zu verzichten. Nein, hat er gesagt, überhaupt nicht, im Gegenteil: Es ist ein tolles Gefühl, wenn man da an etwas arbeitet und jeder Tag gibt einem mehr das Bewusstsein: Ich schaff‘s. Ich kann’s! Und die Ärzte bestätigen das: Fasten wirkt grundsätzlich gegen depressive Phasen und es sind grundsätzlich mehr Glücks- als Stresshormone im Körper unterwegs. Wenn man durchhält und sich bewährt, das ist ein tolles Gefühl. Auch in den großen Krisen, die einen treffen können: Da reden Menschen nicht länger davon, dass sie passiv und hilflos Opfer geworden sind. Opfer einer Krankheit, eines Krieges, Opfer eines Verbrechens. Sondern sie begreifen sich als Überlebende. Ich habe überlebt. Ich bin stark. Ich habe es geschafft. Ich habe durchgehalten.
Manchmal denke ich, genau das ist es, was den einen Aussätzigen, der zu Jesus zurück gekommen ist, von den 9 anderen unterscheidet. Die bleiben Opfer. Die haben Angst, dass ihnen bei nächster Gelegenheit wieder etwas passiert. Der eine hat die Krise überlebt. Das ist anders. Er fühlt sich jetzt stark. Er kann hoffen. Wenn es wieder einmal schwierig wird: Er weiß – Gott wird mir beistehen. Jesus sagt: Diesem einen hat sein Glaube geholfen. Paulus sagt, ein bisschen abstrakter: Bewährung bringt Hoffnung.
Bewährung bringt Hoffnung
Hoffnung auf Gott. Hoffnung, die nicht darauf angewiesen ist, dass alles so bleibt, wie es ist. Weil es uns jetzt ja gut geht. Und wir uns sorgen, dass es anders werden könnte. Hoffnung, die aus der Bewährung kommt, die vertraut auf Gott. Die weiß: Es werden Krisen kommen. Aber Gott wird mit uns gehen. Er wird seine Liebe auf uns ausgießen und sein Heiliger Geist wird uns beflügeln. So werden wir uns bewähren, auch in kommenden Krisen. Und müssen die Hoffnung nicht aufgeben.
Dazu schenke Gott uns seinen Geist.
Amen.
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Standhaft, zuversichtlich, voller Hoffnung - Predigt zu Römer 5,1-5 von Jens Junginger
Standhaft, zuversichtlich, voller Hoffnung
Glauben, der Resignation zum Trotz.
Hoffen, den Gegebenheiten zum Trotz.
Handeln, der Angst zum Trotz.
Leben, aller Sorge zum Trotz.
Von Menschen, die auf ihre ganz besondere Weise diese Haltungen verkörpert und gelebt haben erzählt der Publizist Christan Nürnberger. Mutige Menschen nennt er sie.
Er erzählt von Frauen und Männern, die den Mut hatten Hitlers Pläne zu durchkreuzen, Befehle zu verweigern, Menschenleben zu retten:
Er erzählt von Menschen, die den Mut zeigten manche Dinge anders zu sehen, etwas Neues zu wagen, die den Mut hatten mit einer Tradition zu brechen oder einer Übermacht die Stirn zu bieten:
Von 24 mutigen Persönlichkeiten erzählt er. Und doch ist es nur eine Auswahl von weit mehr Menschen, die es gab und gibt, zu allen Zeiten.
Aber einfach mal 24 Namen mit ihren mutigen Lebensgeschichten gebündelt vor sich zu haben, von Menschen, die sich nicht beugen ließen, die für etwas eingestanden sind, das hat was. Das ist wie ein Kraft- oder Energiebündel, das Faszination auslöst, heilige Begeisterung.
Zugleich frage ich mich:
Kennst du selbst nicht vielleicht auch so jemand?
Jemand, der nicht so bekannt ist und vielleicht ganz unscheinbar der Resignation, der Angst, der der Sorge die Stirn zeigt, der Hoffnung und Zuversicht ausstrahlt?
Der mir eingefallen ist, ist Fußballtrainer einer Flüchtlingsmannschaft.
Kritisch, skeptisch wird er manchmal beäugt, sagt er. Warum er gerade Flüchtlinge trainiert. „Ich mach‘s weil‘s mir Spaß macht und weil es den Jungs gut tut“.
Und er freut sich über die Turniere, zu denen er Vereins- und Firmen- und weitere Flüchtlingsmannschaften gewinnt. Er gibt sich rein, allem abfälligen Geschwätz zum Trotz. Das steckt an.
Indem wir von solchen mutig trotzigen Menschen hören, von ihnen erzählt bekommen oder lesen, lassen wir uns unser Wissen anreichern und speisen unsere Hoffnungsquellen, angesichts unserer mitunter schwankenden inneren Gewissheit.
Das Gefühl der Ohnmacht und Verunsicherung ist oft so viel stärker, dass wir starke innere Bilder und Gewissheiten brauchen.
Unglaubliche Geschichten von mutigen, standhaften, trotzigen Menschen. Die brauchen wir.
Damit das manchmal beinahe erstickende Pflänzchen Hoffnung immer wieder gewässert wird. Damit der mitunter gerade noch glimmende Docht frischen Wind bekommt um neu Feuer zu fangen.
Die kürzlich ausgezeichnete Journalistin Dunja Hayali gehört für mich zu solchen trotzig mutigen Menschen. Sie hat die auf Facebook geschriebenen persönlichen Anfeindungen und die beleidigenden Hassbotschaften veröffentlicht. Sie hat sich an prominenter Stelle als gebürtige Irakerin klar und mutig öffentlich dagegen positioniert.
Und von noch einem möchte ich erzählen:
Das Leben kann man nicht verlängern, aber man kann es verdichten – so beschrieb der kürzlich verstorbene Roger Willemsen seine Lebensphilosophie, mit einer abgewandelten Selbstaussage Jesu (Vgl. Mk 8,35 par). Der umtriebige, selbstlose und hoch engagierte immer sprudelnde Intellektuelle, verstand sich selbst als ein Mitarbeiter an einem Engagement des radikalen Liebens. Bei Amnesty International, Care, in und für Afghanistan.
Du würdest keinen anderen in mir finden als jenen den du kennst, sagte er geradlinig und ungebrochen, noch vor kurzem in seiner stets trotzig schwärmerischen Haltung. Und fügte hinzu: Es sei Zeit für einen energischen Aufstand.[1]
Von solchen Menschen zu erzählen, das sind wir uns selbst schuldig. Das sind wir erst recht Menschen schuldig, die bisweilen davon überzeugt sind, Glaube, Liebe, Hoffnung habe keinen Sinn mehr.
Wir sind es uns schuldig, auch weil die überwältigende Macht der medialen Bilder und Botschaften, deren Anzahl stetig wächst, einen erschlägt.
Christenmenschen, so sagt Paulus, die der Resignation, der Angst und der Skepsis mit Zuversicht und Hoffnung entgegentreten, tun dies, weil sie aufgrund des Glaubens ihren Frieden haben, Frieden in Gott und mit Gott.
Er sagt es auf Grund seiner innersten Haltung heraus und aufgrund seiner persönlichen Erfahrung. Und er will diese Gewissheit weitergeben.
In Frieden mit Gott leben, sich im tiefsten Glauben von ihm angenommen, geliebt zu empfinden – egal was kommt. Das – und davon bin ich überzeugt - das setzt Kräfte frei. Das stärkt die Zuversicht.
Ich erinnere mich an persönliche Begegnungen mit Menschen, bei Besuchen und Gesprächen, die diese unglaubliche Glaubenshaltung hatten und ausgestrahlt haben. Obwohl ihre Lage so schwer war, dass es mir selbst sehr schwer fiel die Situation und die Belastung mit auszuhalten.
Als von Gott angenommener Mensch Widrigkeiten und Anfechtungen standzuhalten, Zuversicht zu haben das umschreibt Paulus mit: Aufgrund des Glaubens Frieden in Gott und mit Gott haben.
Er führt seine Gedanken noch weiter aus. Er schreibt im 5.Kapitel des Briefs an die Freunde in Rom:
Weil wir also aufgrund des Glaubens als gerecht gelten,
haben wir Frieden,
der auch bei Gott gilt.
Das verdanken wir unserem Herrn Jesus Christus.
Durch den Glauben hat er uns
den Zugang zur Gnade Gottes ermöglicht.
Sie ist der Grund,
auf dem wir stehen.
Und wir dürfen stolz sein
auf die sichere Hoffnung,
zur Herrlichkeit Gottes zu gelangen.
Aber nicht nur das.
Wir dürfen auch auf das stolz sein,
was wir gegenwärtig erleiden müssen.
Denn wir wissen:
Das Leid lehrt, standhaft zu bleiben.
Die Standhaftigkeit lehrt,
sich zu bewähren.
Die Bewährung lehrt zu hoffen.
Aber die Hoffnung macht uns nicht zum Gespött.
Denn Gott hat seine Liebe
in unsere Herzen hineingegossen.
Das ist durch den Heiligen Geist geschehen,
den Gott uns geschenkt hat.
Trotz alledem!
Das könnte als Überschrift über diesem Abschnitt stehen.
Denn wer so inständig von der Hoffnung spricht, von Standfestigkeit, von Bewährung in gegenwärtigem Leid, der lässt erkennen, dass sich Resignation, Angst, Sorge breitmachen und dass Gefährdung in der Luft liegt.
Paulus setzt dagegen trotzig zuversichtliche Gelassenheit. „Weil Gott uns nicht gegeben hat den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“(2.Tim 1,7)
Das Gefühl, das Empfinden von Resignation, Angst, Sorge und Gefährdung liegt seit geraumer Zeit auch bei uns in der Luft, wenngleich die Situationen nicht unmittelbar vergleichbar sind.
Dennoch:
Da fliehen wieder Tausende aus Aleppo
Da stehen Tausende sehnsüchtig und Aufbruchbereit an der türkischen Mittelmeerküste
Sie hoffen auf Europa!
Es ist die Bewährung, die sie das Hoffen lehrt
und Ihr Leid, das sie lehrt standhaft zu bleiben.
Und da sind Tausende, die rufen nach einem bewaffneten Festung Europa, nach Stopp, nach Abgrenzung.
Ihre Bewährung lehrt sie auf Abgrenzung, auf Zurückweisung und auf eine national-völkische Gemeinschaft zu hoffen und zu setzen.
Sie leiden an Angst vor Überfremdung, Werteverlust, vor möglichem Jobverlust an weniger Wohnraum, an weniger staatlicher Sozialhilfe. Und das macht sie standhafter in der Entschiedenheit, im Hass und in der Gewaltbereitschaft
Und es sind wiederum Tausende, die leiden an der Hetze, an der aufheizten Stimmung, an fehlender Organisation und fehlendem Personal, am Mangel an Menschlichkeit.
Die Bewährung in dieser Lage lehrt auch sie das Hoffen und das Standhalten
Da ist Resignation, Angst und Skepsis gleich in mehrfacher Weise da.
Wir ahnen und spüren, dass da gerade etwas Historisches passiert.
Dabei geht es – so scheint es - weniger darum was wirklich ist, was real ist, wie die Fakten liegen. Viel entscheidender ist derzeit, was wird empfunden, gefühlt und was könnte evtl. zu erwarten, zu befürchten sein?
Dem mit Zuversicht und Hoffnung zu widerstehen, das können wir als Christen als christliche Gemeinde, als Kirche – in dem wir uns von Paulus Gewissheit zusprechen lassen, uns vergewissern lassen,
dass wir den Frieden haben, und aus dem Frieden zuversichtlich und gelassen handeln können, dem Frieden, der bei Gott gilt.
Diesen Frieden – daran erinnert uns Paulus im weiteren - den verdanken wir unserem Herrn Jesus Christus.
Nun, inwiefern?
Indem wir schauen, wie Jesus mit bedrängenden Fragen umging?
Ich bin ein Fremder gewesen, sagt er. Und: Ihr habt mich aufgenommen (Mt 25,31) und Jesus erinnert dabei an die Heiligen Schriften, wo es heißt:
„Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken.
Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst. (Lev 19,33-34)
Die göttliche Zusage mit denen zu sein, die fliehen und eine neue Heimat suchen müssen, ist Ausdruck christlicher Nächstenliebe.
Wir aber tun uns schwer mit grenzenloser Gastfreundschaft.
Das soll uns für einen Moment innehalten lassen:
Ist es denn nicht so?
Man weiß doch nur, wer man selbst ist, wenn man sich der Unruhe der Fremdheit aussetzt. Und man lernt den eigenen Reichtum und den eigenen Mangel erst kennen, wenn man auf den Reichtum und den Mangel der Fremden stößt.
Wer unter sich bleiben will, bleibt unter seinen Möglichkeiten.
Als im vergangenen Sommer der Rapper Fard zur Flüchtlingsdebatte interviewt wurde, platzte ein kleiner Junge in die Video-Aufzeichnung: Der vierjährige Niklas.
Ob er schon im Kindergarten sei, wollte Fard von ihm wissen. Und ob es dort gut sei.
„Ja“, antwortet der Junge. „Sind da auch Ausländer?“, fragt Fard weiter. „Nein“, sagt Niklas, „da sind Kinder!“ [2]
Der Junge übersetzt, was Jesus meinte, wenn er sagte: Und ihr habt mich aufgenommen. Der kleine Niklas vermittelt uns den Frieden Gottes, aus dem heraus Christen entsprechend handeln.
Ein anderes Mal macht Jesus, nach einem langen anstrengenden Tag, die Erfahrung, dass eine Menge ihm hinterhergeht, obwohl er sich zurückziehen will. Sie sind nicht abzuschütteln. Sie haben nichts zu verlieren, weil sie einem Hoffnungsschimmer folgen. Es werden immer mehr.
Die Jünger beginnen sich zu sorgen: So viele Mäuler können wir nicht stopfen. So viele können hier nicht übernachten. Mehr geht nicht! Sie hielten es für besser, dass sie zurückgehen, wo sie hergekommen sind. Doch Jesus hat ein grenzenloses Vertrauen, Gottvertrauen.
Er sagt:
„Es ist nicht nötig, dass sie fortgehen; gebt ihr ihnen zu essen.“ Er blickte zum Himmel, so wird erzählt – und sah keine Grenzen. Nur das große Schöpferherz, das allen schenkt, was jeder und jede zum Leben braucht. Er sagte Danke für unser täglich Brot. Danke Gott, dass Du uns von der Sorge befreist, wir könnten es nicht schaffen, es könnte nicht für alle reichen.
Auch die Jünger merken, es ist gar nicht so wenig da, wie sie dachten. Und die Menschen, die kamen, haben auch selbst etwas zu geben.
Am Ende war viel mehr da, als sie dachten.
Es ist viel mehr da, als wir denken. Nur: Es ist es recht ungleich verteilt. Wenn wir gleicher verteilen, fairer, bekommen am Ende alle, was sie brauchen. Es reicht für alle.
In der Gemeinschaft werden wir wirklich satt.[3]
Halten wir im Glauben also daran fest, an diesen beiden einfachen klaren Sätzen:
Da sind Kinder.
Und:
Es reicht für alle.
Standhaft, trotzig, mutig, zuversichtlich, voller Hoffnung
Aus der Gewissheit:
Aufgrund unseres Glaubens haben wir Frieden in Gott,
Aufgrund unseres Glaubens an Jesus,
an seine Hingabe, an seine Hoffnung
und an sein Handeln
haben wir Gnade.
Das ist der Grund, auf dem wir stehen.
Das macht uns Mut.
Das lässt uns
Glauben, der Resignation zum trotz
Hoffen, den Gegebenheiten zum trotz
Handeln, der Angst zum Trotz
Leben, aller Sorge zum Trotz
Fromme Träumerei, naive Weltsicht!
Mögen manche Vorwürfe lauten.
Sollen sie doch!
Die Bewährung lehrt zu hoffen.
Die Hoffnung macht uns nicht zum Gespött.
Denn Gott hat seine Liebe
in unsere Herzen hineingegossen.
Das ist durch den Heiligen Geist geschehen,
den Gott uns geschenkt hat.
Amen
[1] „Jörg, hier ist Frohsinn“; Die ZEIT, 11.02.2016; S.39
[2] Vgl. Ralf Meister, Andachtsimpuls, in: Themenheft zur Fastenaktion der Evangelischen Kirche, edition chrismon, Frankfurt 2015, S.37
[3] Vgl. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Andachtsimpuls, in: Themenheft zur Fastenaktion der Evangelischen Kirche, edition chrismon, Frankfurt 2015, S.35
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Predigt zu Römer 5,1-11 von Rainer Stahl
Liebe Leserin und lieber Leser!
Liebe Schwestern und Brüder!
Diese Passage aus dem Römerbrief des Apostels Paulus gibt uns ein wichtiges Problem auf: das Problem der Zeit, genauer: das Problem unserer eigenen Zeit in Bezug zur Zeit Jesu Christi auf unserer Erde.
Vor Jahren hatte ich dazu eine Art spontane geistliche, ja: ich will das so sagen: „geistliche“ Eingebung. Im Juli 2002 war ich zu einem Wanderurlaub ganz oben im Ötztal in Tirol, in Obergurgel. An einem Tag haben wir eine Busfahrt hinüber nach Italien, nach Bozen, gemacht. Dort konnten wir das „Südtiroler Archäologiemuseum“ besuchen, in dem der „Mann aus dem Eis“, der so genannte „Ötzi“, ausgestellt ist: die Mumie dieses über 5.000 Jahre alten Mannes, der an der Flanke des Similaun gefunden worden war. Wir sind nach dem Museumsbesuch auch wieder in Richtung Österreich zurückgefahren und zum Similaun-Pass aufgestiegen. Am Tag danach, dem 18. Juli 2002, ging es zur Fundstelle dieses Mannes aus der Steinzeit auf 3.300 Metern Höhe. Nun aber zurück zum Museumsbesuch: Dort sind die Geräte ausgestellt, die bei ihm gefunden worden sind, auch seine Fellkleidung. Und dann ist da die Wand mit einem Fenster, hinter dem in einem speziell klimatisierten und temperierten Raum der Gefundene liegt. Vor mir war eine Schülergruppe von vor allem Mädchen, die wegen des nackten Mannes herumkicherten. Dann konnte ich an das Fenster treten, sehe den Mann da liegen und denke nur eines – völlig unvorbereitet, ganz spontan –: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes.“ Mit diesem Bekenntnissatz sprechen wir unsere Glaubensüberzeugung aus, dass Christus auch für diejenigen gestorben und auferstanden ist, die zeitlich vor ihm gelebt haben, also auch für diesen Mann, der 3.000 Jahre vor Christus in den Alpen umgekommen war. Christus hat den Zeitunterschied zu denen vor sich überbrückt. Sie sind auch einbezogen in die Einladung zu seinem Heil, in die Gemeinschaft mit Gott.
Paulus ringt in unserem Abschnitt seines Briefes an die Gemeinde in Rom mit demselben Problem: Er spricht mit seinem Brief aus dem Jahr 56 nach Christus Menschen an, die vielleicht in den Jahren 10 vor Christus bis 25 nach Christus geboren sind – und er rechnet sich selbst mit hinzu, gehört er ja diesen Generationen mit an. Für ihn, für diese alle, gilt schon rein zeitlich: Sie sind vor dem Kreuzestod Jesu geboren, sie schauen also auf lange Jahre zurück, in denen sie noch nichts von Gottes Liebe in Jesus Christus ahnten, in denen sie noch – wie Paulus schreibt – „Sünder waren“, in denen sie noch – ein anderer Ausdruck des Paulus – „Schwache waren“.
Christi letzter Schritt seines Lebens auf unserer Erde für uns Menschen war ein Schritt gerade ohne jede Voraussetzung auf unserer Seite. Er hat sich für uns geopfert, als wir dieses Opfer noch gar nicht „verstehen“ konnten – bitte: „verstehen“ mit ganz starken Anführungsstrichen geschrieben (!) –, als wir überhaupt noch nicht ahnen konnten, dass dieser Tod ein Opfer für uns war!
Hier müssen wir noch etwas bei unserem Nachdenken bleiben: Die Menschen, die Jesus von Nazaret erlebt haben, die geheilt worden sind, die von einer Heilung durch ihn gehört hatten, die wunderhaft mit Nahrung versorgt worden waren – mit ausreichender Nahrung, die satt gemacht hatte (!) –, die seine Predigten gehört hatten – die waren vielleicht ein wenig vorbereitet. Wie die beiden Jünger, die nach seiner Kreuzigung auf dem Weg nach Emmaus waren und dem sie begleitenden Fremden – in Wahrheit dem Auferstandenen (!) – erzählten: „Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde“ (Lukas 24,21). Aber gerade, dass sein Tod Bedeutung für sie hat, das hatten sie nicht verstanden. Also, auch für sie gilt diese große Einsicht des Paulus: Christus ist für uns gestorben, als wir noch schwach waren, noch sündig, also: noch ohne Zugang zur innersten Gemeinschaft mit Gott waren, noch ohne Zugang zur Einsicht in den Rettungswillen Gottes.
Und genauso gilt diese Situation für Paulus selbst, der während des Opferleidens Christi als Saulus in Tarsos gelebt hatte und nichts von Jesus wusste. Und sie gilt für alle in Rom, denen er schreibt, deren Eltern vielleicht das Reich des Herodes verlassen hatten und in die römische Hauptstadt umgezogen waren, um dort ihr Glück zu machen: Als sie alle noch Ahnungslose waren, da hat Gott in Jesus Christus schon das Wichtigste und Entscheidendste für sie getan! Das hat Paulus wie in einer Offenbarung begriffen. Wie es mich angesichts des „Ötzi“ im Sommer 2002 in Bozen überfallen hat.
Nun aber stellt sich die große Frage: Wie ist das bei uns Nachgeborenen? Die wir vielleicht als ganz kleine Kinder getauft wurden. Die wir dadurch überhaupt keine Entschuldigung haben: Denn lange vor meinem Leben und lange vor meinem Getauftsein ist Christus gestorben. Was ist dann, wenn ich diese große Rettungstat nicht auf mich beziehe? Wenn sie mich nicht interessiert? Wenn ich sie ablehne?
Eine Lebenssituation ist ganz einfach: Wenn ich von diesem großen Angebot nichts gehört habe, nichts begriffen habe, nichts verstanden habe, dann bin ich in der gleichen Situation wie Saulus, wie seine Adressaten in Rom, wie der „Ötzi“. In dieser Lebenssituation ist Christus auch für mich gestorben, als ich noch nichts von Gott wusste, als ich noch „Schwacher“ war. Und dies, obwohl ich erst lange nach seinem irdischen Leben geboren bin!
Aber wie ist es mit mir persönlich? Mit Euch hier in den Kirchenbänken in Český Těšín? Mit Ihnen an den Computerbildschirmen, die Sie diese Predigt lesen?
Vielleicht kann uns mein eigenes Leben einen Hinweis geben: Ich wurde im März geboren, musste dann sofort in eine Frühgeburtenklinik und konnte erst im Juni getauft werden. Vorher war ich für diese Feier tatsächlich zu schwach. Ich kann also bezogen auf mein persönliches Leben sagen: Christus ist für mich gestorben, als ich noch schwach war. Ich bringe keinerlei Voraussetzungen mit. Ich kann nur – und das ist ganz wichtig – dieses Opfer als reines Geschenk annehmen. Und ich versuche auch immer wieder ein solches voraussetzungsloses Annehmen dieses Opfers.
Das bleibt nämlich auch nach unserer Taufe. Hier müssen wir die Kategorie „Zeit“ verlassen. Jetzt haben wir uns der Kategorie „Wesen“ zu stellen. Dieses Opfer ist von einer Art, dass es keine Annäherung daran von unserer Seite aus geben kann. Keine hinführende Leistung. Keine Aktivitäten, die etwa so etwas wie eine Mitwirkung wären!
Deshalb beginnt Paulus unseren Briefabschnitt mit der grundlegenden Feststellung: „Als aus Glauben Gerechtfertigte haben wir Frieden mit Gott auf Grund des Opfers unseres Herrn Jesus Christus“ (Vers 1).
Deshalb ist es wichtig, sich auf Jesus Christus zu konzentrieren, sich auf ihn zu beziehen, ihn anzusprechen, ihm mit völlig leeren Händen zu vertrauen, um Hoffnung haben zu können in der Stunde des Todes.
Amen.
„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“
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Gott nimmt den Druck vom Herzen - Predigt zu "7 Wochen Ohne" von Susanne Breit-Keßler
"Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge"
Eröffnungsgottesdienst der evangelischen Fastenaktion in Nassig-Wertheim
Mit seiner unnachahmlichen Handschrift hat er mir einen Zettel geschrieben. Mein bester Freund, Martin. Es war kurz vor einer Flugreise. Und, liebe Gemeinde, ich fliege nicht gerne. Was alles passieren kann – meine Phantasie und die Realität haben leider keine Grenzen. Martin gab mir diesen Zettel hier. Darauf steht: "Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn." (Römer 8,38-39)
Ich habe den Zettel in meinen Geldbeutel gepackt – in ein extra Fach. Da liegt er seit Jahren. Damals hat mir dieses Bibelwort geholfen, getrost meine Reise anzutreten. Getrost, nicht furchtlos – denn natürlich habe ich mir immer noch meine Gedanken gemacht. Aber es war mir nicht mehr gar so eng ums Herz. Das Bibelwort, das mir mein Freund aufschrieb, dieser Denk-Zettel, hat alle meine Sinne, meinen Horizont geweitet: Nichts kann mich letztlich trennen von Gott. Dieses Vertrauen – das brauche ich. Dringend. Und täglich erinnere ich mich daran.
Ich erinnere mich daran – gerade weil dieses Vertrauen zutiefst erschüttert werden kann. Das schreckliche Zugunglück in meiner bayerischen Heimat, in Bad Aibling, erfüllt mich mit tiefer Trauer. Ich bitte Gott, dass er bei den Angehörigen ist, bei den Verletzten. Bei den Rettungskräften, bei Polizei und Feuerwehr, bei den Seelsorgenden, die alle mit den Bildern in ihrer Seele fertig werden müssen. Ja, gerade jetzt schaue ich wieder auf meinen Zettel und lese ihn mir vor: Ich bin gewiss, dass nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes.
Er ist da, wenn ich nicht zurechtkomme, wenn ich mich sorge um mich oder meine Liebsten, wenn es mit meinem oder ihrem Leben tatsächlich irgendwann zu Ende ist. Es gibt eben vieles, das einem Angst machen kann, wo einem richtig eng ums Herz wird... Die Liste der Kriege und Krisen, der gesellschaftlichen Herausforderungen und persönlichen Nöte ist lang. Das alles ist wahrlich nicht leicht zu ertragen. Ich weiß von mir und selbst vielen anderen Menschen, dass ihr Lebensgefühl derzeit aus gutem Grund nicht gerade gegen Himmel hoch jauchzend tendiert.
Was würde geschehen, wenn wir einen solchen Denk-Zettel wirklich im Herzen mit uns tragen? Wenn wir ihn in Trübsal, Angst, Verfolgung oder Gefahr mit Leib und Seele durchbuchstabieren? Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Das ist tiefes Vertrauen. Es verscheucht Enge. Es macht ein großes Herz, wie unsere Fastenaktion sagt.
Klar: Ich weiß schon, dass man Vertrauen manchmal nicht in großen Portionen hat und das Herz nur zögernd aufmacht. Vertrauen muss wachsen. Es ist manchmal nur leise, tastend. Kann nicht größer sein. Und dann wieder kommt es herzhaft oder trotzig daher: Nichts, nein nichts, null kann mich trennen von der Liebe Gottes. Das gibt die Kraft, schwere, leidvolle Situationen auszuhalten und irgendwann vielleicht zu bewältigen. Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes… So ein Versprechen macht das Herz groß und weit. Ahhh – und ich kann atmen…
Manchmal meint jemand: Es gibt keinen Ausweg in die Weite. Keine Chance für ein großes Herz. Doch! Es gibt eine Menge, was wir selbst tun können, damit unser Herz groß und weit wird. Denken wir daran, wie unser Land im letzten Jahr die Flüchtlinge willkommen geheißen hat. Das war grandios und kreativ. Anderes kriegen wir manchmal nicht so gut hin: Echtes Interesse zu haben für Partner und Kinder. Alten, langsam gewordenen Menschen mit Güte zu begegnen. Da ist unser Herz gelegentlich eng. Wir haben wenig Vertrauen ins Miteinander.
Auch dieses Vertrauen – dass unsere Liebe Bestand hat, aus Söhnen und Töchtern etwas wird und die, die alt sind, uns so viel bedeuten können – es muss wachsen. Auch dieses Vertrauen ist ein zartes Pflänzchen, darf mal zaghaft sein. Kann trotzig herausposaunt werden: So, wie mich nichts trennen kann von der Liebe Gottes, soll mich nichts trennen von meinen Liebsten, von denen, die mich brauchen. Auch nicht Angst, Enttäuschung, Sorge, Streit. Solches Vertrauen kann wirklich helfen, das Herz wieder groß und das Miteinander weiter zu machen.
Wer sich und anderen Zeit gönnt, wenn das Herz eng ist, der wird irgendwann den Umschwung spüren. Es braucht Geduld… und das in einer schnelllebigen Zeit, die ein zügiges Funktionieren verlangt. Da müssen wir hartnäckig Widerstand leisten. Im Alten Testament mit seinem Gespür für den Zusammenhang unseres Lebens mit allen inneren Organen wird das Herz als Sitz nicht allein von Gefühlen beschrieben. Wenn die Bibel vom Herzen spricht, dann meint sie auch alles, was wir mit Kopf und Hirn verbinden: Unsere Vernunft, den Verstand, die Fähigkeit zu erkennen.
Herz, das sind unsere Einsicht und unser Gedächtnis; das, was wir wissen und wollen, worüber wir nachdenken und urteilen, woran wir uns orientieren. Die Frage nach einem großen Herzen ist die Frage nach dem ganzen Mann, der ganzen Frau. Ein großes Herz: Das ist die Fähigkeit, zuzuhören, nachzudenken und anderen beizustehen, wenn sie leiden. Ein Mensch mit einem engen Herzen schottet sich ab, macht dicht. Einer mit großem Herzen ist hellwach für die Wirklichkeit. Er oder sie weiß um die Sorgen anderer, nimmt Anteil und kümmert sich darum.
So wie es jetzt - Gott sei Dank - Menschen gibt, die denen nahe sind, die bei dem Zugunglück einen Angehörigen verloren haben. Viele Menschen zeigen in diesen schweren Tagen ein großes, ein mitfühlendes Herz. Ein solches Herz – das ist auch vergnügtes Lachen und echte Lebensfreude. Ein großes Herz ist Neugier auf Mensch und Gott. Was denkt die andere? Was fühlt er? Was treibt sie um? Woran glaubt er? Jemand mit einem großen Herzen freut sich mit anderen mit und gönnt ihnen alles, was sie haben. Einer mit einem weiten Herzen ist attraktiv – anziehend. Mit so jemand mag man gerne beisammen sein.
Aber es ist uns nicht immer danach, für alles offen zu sein und Größe an den Tag zu legen. Dann, wenn das Herz eng ist, wenn wir hin und her gerissen sind zwischen Missmut, Ungeduld und erschöpfter Abwehr, dann hilft Gottvertrauen. Eines, in dem man nicht die Hände in den Schoß legt, sondern sie faltet und betet – so weitet sich das Herz ganz allmählich. Zuerst merkt man oft gar nicht, wie einem wieder kleine Flügelchen wachsen, die irgendwann, nach langer Zeit, große Schwingen sind, mit denen man sich neu in ungeahnte, lichte Höhen erheben kann.
Übrigens: Nicht nur wir haben ein Herz. Auch Gott. Und ausgerechnet Hiob, der wirklich ein elend schweres Leben hatte, dem alles genommen wird, dieser Hiob staunt: "Was ist der Mensch, Gott, dass du so groß ihn achtest, und gar dein Herz auf ihn setzt?" (Hiob, 7,17). Eine bewegende Einsicht: Gott hat ein Herz. Und noch dazu ein Herz für uns – ist das zu fassen? Er hat uns, er hat Sie, er hat Dich auserwählt und uns fest in sein Herz geschlossen. Da wird es einem gleich warm ums eigene - an diesem Valentinstag heute… Gott feiert ihn mit uns ewig – aus lauter Liebe.
Gott hat uns Leben und Zukunft versprochen, die mehr sind als alles, was wir selbst schaffen können. Sehen tun wir das nicht immer. Aber wir können daran glauben, dass Gott sich mitnichten von uns abbringen lässt – nicht im Leben. Nicht im Tod. Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr, Schwert – alles, was der Apostel Paulus an einengenden Erfahrungen aufzählt, ist nach wie vor beinharte Wirklichkeit. Wir wissen das - und das kann das Herz immer wieder beklommen machen. Aber unser Glaube, unsere Liebe und Hoffnung sind größer als alles das.
Wirklich groß und offen wird unser Herz, wenn Kreuz und Schatten nicht weggewischt werden. Schmerzliche Erlebnisse sind der Hintergrund für die Weite, die sich mit Gott Bahn bricht. Ja, wir wissen um unseren gefährdeten Lebensraum, um bittere Erlebnisse persönlicher und gemeinsamer Geschichte. Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten, Engpässe in unserem Leben, ein wüstes Gedränge von Gedanken in unserem Kopf und Gefühlen im Herzen, das alles gibt es – genauso wie Angst durch das, was an Schrecken um uns herum und in unserer Welt geschieht.
Und dennoch kann uns nichts scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Der leidenschaftlich lebt und liebt – bis ans Kreuz. Aus dem Glauben heraus ist es möglich, Enge und Angst hinter sich zu lassen und ein großes, hoffnungsvolles Herz zu bekommen. Verrückt? Ja, weil es die üblichen Maßstäbe verrückt. "Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein" hat Wolf Biermann in seinem Lied für Tochter Marie gedichtet. Und er singt: "Um deine Wiege drumherum / Wuchern die Waffenwälder / Du liegst im Schlachtfeld mittendrin…"
"Und trotzdem: "Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein / Marie, du dunkle Sonne / Dass wir dich warfen in diese Welt - / schlaf ein, du Dickmadonne / Schlaf ein mit einem hellen Traum / Von Milch und nassen Küssen / Du wirst noch bald genug aus deiner Wiege steigen müssen". Ja, wir müssen alle aus unseren engen Wiegen steigen – und dürfen in Gottes Namen vor Hoffnung verrückt sein, uns vom Fleck bewegen, uns mit Milch, mit Wein und Brot stärken und uns mit respektvoller Zärtlichkeit und liebevoller Fürsorge verwöhnen. Ein großes Herz…
Der Gott, der Steine von Gräbern wälzt, der kann den Druck von unseren Herzen nehmen und sie weit und groß machen. So, dass wir Luft zum Atmen haben und anderen den Raum zum Leben gönnen. Das Leben, die Weite haben einen Vorsprung bekommen. Sie laufen vorneweg, dem Tod und der Enge davon, lassen sich von ihnen nicht mehr überholen. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi. Das Leben eines jeden Menschen ist so viel wert, dass es niemals verloren gehen wird. Wer einer und eine ist, das ist aufgehoben bei Gott – für immer und ewig.
Amen.
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Hingabe an Gott – der dem Wort entspringende Gottesdienst - Predigt zu Römer 12,1-3 von Bogislav Burandt
Hingabe an Gott – der dem Wort entspringende Gottesdienst
Predigttext (in eigener Übersetzung):
Ich ermahne euch nun, Schwestern und Brüder, angetrieben durch die Barmherzigkeit Gottes: Bringt euch mit Leib und Seele als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dar. Das sei euer dem Wort entspringender Gottesdienst.
Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr ein sicheres Urteil darüber gewinnt, was der Wille Gottes ist: nämlich das Gute und ihm Wohlgefällige und das Vollkommene.
Aufgrund der Gnade, die mir gegeben ist, sage ich einem jeden unter euch: Denkt nicht höher von euch, als zu denken sich gebührt, sondern seid auf eine besonnene Selbsteinschätzung bedacht nach dem Maß des Glaubens, das Gott einem jeden zugeteilt hat.
Liebe Gemeinde,
Vor gut einer Woche haben wir die Menschen, die uns lieb und teuer sind, besonders gegrüßt. Gerade Weihnachten und der Jahreswechsel sind für uns in unserem Leben Einschnitte, an denen wir Kontakt suchen. Und so haben wir das unbekannte Gelände des neuen Jahres nicht betreten, ohne mit Familienangehörigen oder Freunden zusammen zu sein oder mit ihnen zu telefonieren. Auch E-Mails, Briefe und die gegenseitigen Geschenke dienen der gegenseitigen Wertschätzung und machen deutlich: Wir wollen miteinander verbunden bleiben.
Und wie steht es mit unserem Kontakt zu Gott? An Weihnachten haben wir von Gottes Gnade und Barmherzigkeit gehört, die uns in dem kleinen Kind in der Krippe zugute kommt. Und wie reagieren wir darauf? Der Apostel Paulus ruft uns folgendes zu: Ich ermahne euch nun, Schwestern und Brüder, angetrieben durch die Barmherzigkeit Gottes: Bringt euch mit Leib und Seele als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dar. Das sei euer dem Wort entspringender Gottesdienst.
In der Antike gehörte das Opfer ganz selbstverständlich zum Umgang mit den verehrten Gottheiten. Die Menschen suchten mit den heiligen Göttern in Kontakt zu treten, und sie taten dies, indem sie den Göttern Opfer darbrachten. Übrigens auch in Jerusalem, wo zur Zeit des Paulus im Tempel der Gott Israels verehrt und mit Opfern bedacht wurde. Wie gesagt: Opfern war normal. Die Opfergaben von Einzelnen und Gemeinschaften, sie dienten der Kontaktpflege zu den Göttern.
So gesehen haben die Christen in Rom, an die der Brief des Paulus geschickt wurde, sich über das Stichwort „Opfer“ nicht gewundert. Und sie hatten in den 11 Briefkapiteln vor unserem Text ja auch ausführlich dargelegt bekommen, was es mit der Barmherzigkeit Gottes durch Jesus Christus auf sich hatte:
Gott hat sich aller Geschöpfe erbarmt. Gott hat gegen die Dunkelheit von Bosheit, Sünde und Schuld seinen Sohn Jesus Christus in diese Welt gesandt. Er hat ihn gesandt, um Mensch und Kreatur von Angst und Todverfallenheit zu befreien. In Jesus Christus, in seinem Tod am Kreuz hat Gott sich selber als Opfer hingegeben für uns. Dadurch hat Gott neues Leben eröffnet, so dass nun gilt: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.
Von dieser Barmherzigkeit Gottes weiß Paulus sich angetrieben, so dass er seinerseits zu Opfern aufruft. Allerdings: Die Christen sollen sich selber als Opfer darbringen! Darüber freilich werden die Christen in Rom nicht wenig gestaunt haben. Und ihr Erstaunen reicht bis in unsere Zeit hinein! Statt eines toten Tieres sollen die Christen sich selber als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darbringen!
Was damit gemeint ist? Ich denke, Paulus geht es mit diesem Ausdruck um die menschliche Entsprechung zum Handeln Gottes. So wie Gott durch die Sendung seines Sohnes in diese Welt persönlichen Einsatz gezeigt hat, so sollen wir - auf menschliche Art und Weise - durch persönliche Hingabe an Gott unser Christsein bewähren. Das geht nur durch lebendiges Engagement von unserer Seite, darum das Stichwort „lebendig“.
Die persönliche Hingabe an den heiligen Gott verdient das Stichwort „heilig“. Damit schließt Paulus zugleich aus, dass irgendjemand, der nicht unser Gott ist, uns zu Opfern aufrufen darf. – Ich erspare Ihnen und mir die unerfreulich lange Geschichte vom Missbrauch des Begriffs „Opfer“...
Und schließlich soll unser Engagement Gott „wohlgefällig“ sein. Das Gute, das gefällt unserem Gott. Und „Wohlgefallen“ hat Gott an seinem Sohn, wie uns das Evangelium von der Taufe Jesu (Mt 3,17) erzählt. Das heißt: Wenn wir uns in unserem Tun an Jesu Worten und Taten orientieren, dann sind wir auf dem richtigen Weg; auf dem Weg, der Gott gefällt.
Persönliche Hingabe an Gott. Das sei euer dem Wort entspringender Gottesdienst, sagt Paulus. Gottesdienst ist eben nach christlichem Verständnis nicht das Opfern von Tieren oder gar Menschen. Sondern Gottesdienst hat es mit Wort und Antwort zu tun. Gottesdienst ist menschliche Antwort auf den Anruf Gottes, menschliche Antwort auf das Wort der Weihnachtsbotschaft, menschliche Antwort auf die mir von Gott zugesprochene Liebe. Gottesdienst ist nach christlichem Verständnis weder blinder Gehorsam oder das Ableisten von Ritualen oder Pflichten sondern menschliche Erwiderung des durch Gottes Barmherzigkeit eröffneten Gespräches.
Und diese Aussagen gelten übrigens sowohl für unseren Gottesdienst am Sonntag als auch für unseren Gottesdienst im Alltag der Welt. Die persönliche Hingabe gegenüber Gott, zu der Paulus aufruft, beschränkt sich nicht auf eine Stunde am Sonntagvormittag!
Möglicherweise wird jetzt der eine oder die andere ungeduldig und fragt, wie denn bitteschön die Aufforderung des Paulus umzusetzen ist: Bringt euch mit Leib und Seele als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dar. Diese Frage kann ich freilich nur an jeden von Ihnen zurückgeben. Denn in die persönliche Hingabe des einzelnen Christen gegenüber seinem Gott darf sich niemand von außen einmischen!
Immerhin. Als ein Beispiel, das mich vor einiger Zeit sehr beeindruckt hat, kann ich auf das Internationale Cafe in Winsen an der Luhe verweisen. Da sind engagierte evangelische Christen mit Unterstützung des Gemeindepastors und des Superintendenten 2013 auf die Idee gekommen, ihr Gemeindehaus an Samstagen für die Begegnung mit Flüchtlingen zu öffnen. Und so kommen fast 60 fremde Menschen jeden Samstag dorthin, um mit Einheimischen in Kontakt zu treten. Da gibt es Gelegenheit, die neue Sprache zu sprechen und voneinander zu erzählen. Und endlich trauen sich auch einige der älteren Deutschen, von ihren eigenen Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung zu erzählen...[i] Doch. Ich denke, die Ehrenamtlichen im Internationalen Cafe in Winsen leisten dort wie Paulus sagt einen dem Wort entspringenden Gottesdienst.
Natürlich. Das ist nur ein Beispiel. Das uns anrufende Wort Gottes, dem unser antwortender menschlicher Gottesdienst entspringt, stellt verschiedene Möglichkeiten bereit. Es gibt verschiedene Befähigungen, die uns nach dem Maß des Glaubens zugemessen werden. Davon handeln dann übrigens die an unseren Predigtext anschließenden Verse.
Immerhin können wir dem Apostel, was die vom ihm geforderte persönliche Hingabe an Gott angeht, noch drei grundsätzliche Überlegungen entnehmen: Er findet es notwendig, auf Abstand zu achten von den landläufigen Meinungen. Er empfiehlt ein den eigenen Sinn erneuerndes Nachdenken über Gottes Barmherzigkeit, um dadurch dem Willen Gottes auf die Spur zu kommen. Und er warnt vor Selbstüberschätzung im persönlichen Urteilsvermögen.
Abstand zu landläufigen Meinungen. Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an, sagt Paulus. In der Wortwahl des Apostels schwingt mit, was wir als Fremdwort aus dem Griechischen kennen: Schema. Haltet euch als Christen vom Schema F fern meint Paulus. Gerade zu Beginn dieses neuen Jahres empfinde ich das als einen christlichen Weckruf, damit wir Abstand von der Gehirnwäsche der allgegenwärtigen Werbung um uns herum bekommen und uns nicht von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten einlullen lassen. Und das Wörtchen „alternativlos“ ist aus einem christlichen Wortschatz zu streichen!
Guter Gott,
erneuere meinen Sinn, damit ich das Gute, das Du willst, erkenne,
gib mir die Kraft, das Gute auch zu tun,
bewahre mich vor falscher Anpassung an den Zeitgeist,
hilf mir zu besonnener Selbsteinschätzung
steh mir mit Deinem guten Geist bei in allem,
was ich rede oder tue.
Das bitte ich Dich in Jesu Namen.
AMEN
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Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag - Predigt zu Römer 12,1-3 von Dieter Splinter
Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag
1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder (und Schwestern), durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. 2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. 3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.
I.
Liebe Gemeinde!
Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Neu ist, dass Paulus diese Erkenntnis auf das richtige Verhalten im Leben bezieht. Kurz gesagt: Gottesdienst und Ethik gehören zusammen. Was das bedeutet, gilt es heute zu verstehen.
II.
Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern. Wohl gibt es Fernsehgottesdienste, die man zu Hause allein am Bildschirm verfolgen kann. Dabei gibt es sicherlich den einen oder anderen ergreifenden Moment. Letztlich bleibt man dabei aber immer nur Zuschauer oder Zuschauerin. Einer Predigt kann ich zwar auch am Bildschirm folgen, Gebete kann ich dort ebenso mitbeten. Doch zum Singen, bei der Taufe und im Abendmahl brauche ich leibhaftige Gemeinschaft mit anderen Menschen.
Um an dieser Gemeinschaft im Gottesdienst teilzuhaben, mache ich mich auf den Weg. Zur Teilhabe gehört Teilnahme. Dabei geschieht diese Gemeinschaft im Gottesdienst nicht nur unter Menschen. Gott ist gegenwärtig. Das Wort Gottes-Dienst macht es deutlich. Es meint: Gott dient uns – und wir dienen Gott. Es geht also um eine Begegnung, um ein Gespräch. Im Gespräch entfaltet sich Gemeinschaft. Der Reformator Martin Luther hat das bei der Einweihung der Torgauer Schlosskirche 1544 so auf den Punkt gebracht: Im Gottesdienst, so meint er, geht es darum, dass „nichts anderes darin geschehe, als dass unser lieber Herr mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“
Das Gespräch, die Begegnung, die Gemeinschaft im Gottesdienst geht dabei vonstatten wie wir es von einer Einladung her kennen. Der erste Schritt geht so: „Man begrüßt sich, macht sich bekannt, bedankt sich, entschuldigt sich für Vorfälle, die die Begegnung stören könnten, klärt bisherige Mißverständnisse, bittet um Verzeihung.“ (Frank Maibaum: Das Gottesdienstbuch. Ein Arbeitsbuch, Stuttgart/Kiel, S. 9) Und lässt sich diese zusprechen! So geschieht es im Eingangsteil des Gottesdienstes.
Im Gespräch geht es dann bei einer Einladung meist so weiter: Man bezieht sich „auf gemeinsame Grundlagen und Erfahrungen, berichtet, was man gehört, gesehen, gelesen hat. Man möchte etwas weitersagen, nimmt Stellung, gibt seine Überzeugung preis und verteidigt Standpunkte.“ (a.a.O., s. 10) Dieser zweite Schritt entspricht im Gottesdienst die Lesung, das Glaubensbekenntnis und die Predigt.
Als nächstes stärkt man sich bei einem gemeinsamen Essen. Dieses dient nicht bloß der Nahrungsaufnahme, sondern ist ein sinnliches Zeichen der Verbundenheit. Wer zusammen mit anderes isst, pflegt Gemeinschaft. Dabei denkt man vielleicht auch an jene, „die nicht (mehr) dabei sein können, und an Menschen, die Not leiden.“ Dabei wird man sich der eigenen Grenzen bewusst und empfindet Dankbarkeit, weil es einem selber gut geht. Dies entspricht dem Abendmahl und dem Dank- und Fürbittengebet.
Und schließlich trifft man bei einer Einladung Verabredungen für die Zukunft, überlegt, wem man wie helfen kann - „und verabschiedet sich mit guten Wünschen und Vorsätzen.“ Im Gottesdienst geschieht das in den Abkündigungen, im Wochenspruch und im Segen.
Das, was wir von einer Einladung her kennen, findet sich also auch im Gottesdienst wieder. Zugleich geht es dabei in der gottesdienstlichen Versammlung noch um mehr. Es geht um die Gegenwart Gottes. Es geht um eine Begegnung mit dem dreieinigen Gott, um das Gespräch mit ihm. Es geht darum deutlich zu machen, dass Gott uns dient – und wir ihm. Es geht darum, was uns über den Alltag hinaushebt, damit wir den Alltag bewältigen können. All das jedoch braucht Gemeinschaft. Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern.
III.
Diese Erkenntnis bezieht Paulus auf das Verhalten im Alltag. Da stehen wir immer wieder vor Fragen wie: Was sollen wir tun? Was ist richtig, was ist falsch? Der erste Hinweis, um solche Fragen zu beantworten, lautet bei Paulus: „...dass ihre eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.“
Teilhabe geschieht durch Teilnahme. Wer am Leben teilnimmt, tut das mit Seele und Leib. Leben braucht immer, neben allen Seelenkräften, Leibeskräfte. Woran wir uns vielleicht bei Paulus stören mögen – unsere Leiber hinzugeben als ein Opfer – bezeichnet das Gegebene. Ein katholischer Priester hat mir das einmal in einem Bild nahegebracht: „Das Leben gleicht“, so sagte er, „einer Kerze. Am Anfang ist sie lang und gerade. Der Docht brennt zögerlich. Dann wird sie heller und immer heller. Dabei brennt sie ab. Am Ende ist von der Kerze nicht mehr viel übrig. Aber ganz am Ende leuchtet sie besonders hell. Gerade im Alter“, so meinte der katholische Priester, „geht es darum, die Umgebung mit Weisheit und Erkenntnis heller zu machen.“ Wenn wir uns schon bei der Gestaltung des Lebens verzehren, so Paulus, und dabei herab brennen wie ein Kerze, dann sollen wir es für Gott tun.
Wie das geschehen kann, macht Paulus in einem zweiten Hinweis deutlich: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich...“. Genau das ist für Paulus vernünftig: Für den Gottesdienst im Alltag der Welt gilt das, was uns auch sonst im Gottesdienst verbindet: Gott dient uns – wie dienen wir ihm? Die Schritte eines Gottesdienstes können auch im Alltag dienlich sein. Fragen helfen dabei zu prüfen, was Gottes Wille ist: Was habe ich selber falsch gemacht? Was sagt mir die Heilige Schrift, wenn ich vor einem großen Problem stehe? Welche Gewissheit gibt mir mein christlicher Glaube? Wofür kann ich dankbar sein? Wie stärke ich Gemeinschaft? Wem kann ich helfen?
Entscheidend bei all dem ist, dass Paulus zunächst die christliche Gemeinde als ganze anspricht. Zunächst spricht er immer von „ihr“, „euch“, „euer“. Zum Dienst an Gott gehört immer die Gemeinschaft – am Sonntag und am Werktag.
IV.
Erst nachdem Paulus das festgestellt hat, kommt er darauf zu sprechen, welche Rolle der oder die einzelne im ganzen der christlichen Gemeinschaft hat. Er macht dabei eine hilfreiche Einschränkung: „... ich sage jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.“ In einer modernen Übersetzung hört sich das so an:
„Überfordert euch nicht bei dem, wofür ihr euch einsetzt, achtet auf eure Grenzen bei dem, was ihr vorhabt. Denn Gott hat jedem und jeder ein bestimmtes Maß an Kraft zugeteilt, Vertrauen zu leben.“ (Bibel in gerechter Sprache)
Dieses „Maß an Kraft“ zeigt sich in den Gaben, die Gott einem jeden und einer jeden gegeben hat, um zum Gelingen der Gemeinschaft beizutragen. Wie Paulus das meint, ist ohne Kommentar verständlich und findet sich im zweiten Teil des Predigttextes (Römer 12, 4-8; Bibel in gerechter Sprache):
„Denkt an unseren Körper. Er besteht aus vielen Gliedern, aber nicht jedes Teil hat dieselbe Funktion. So sind wir, obwohl wir viele sind, doch nur ein einziger Körper in der Gemeinschaft des Messias. Einzeln betrachtet sind wir Körperteile, die sich füreinander einsetzen. Wir haben jeweils unterschiedliche Befähigungen, die uns in göttlicher Zuwendung geschenkt wurden: Wer die Gabe hat, prophetisch zu reden, nutze sie, um deutlich zu machen, welches Handeln dem Vertrauen auf Gott entspricht: wer die Gabe hat, für andere zu sorgen, der nutze sie zum Wohle der Gemeinschaft. Wer die Gabe hat zu lehren, nutze sie, um andere am Wissen teilhaben zu lassen. Wer die Gabe hat zu trösten, nutze sie, um andere zu ermutigen. Wer mit anderen teilt, sei aufrichtig dabei. Wer eine Leitungsaufgabe übernimmt, fülle sie mit Begeisterung aus. Wer solidarisch mit anderen lebt, soll es heiter tun.“
V.
Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag. „Jesus Christus, als Gemeinde existierend“ - so hat das der Theologe Dietrich Bonhoeffer auf den Punkt gebracht. Man kann es auch mit den Worten einer bekannten Kantate von Johann Sebastian Bach sagen:
„Herz und Mund und Tat und Leben
Muss von Christo Zeugnis geben
Ohne Furcht und Heuchelei
Dass er Gott und Heiland sei.“ Amen
Hinweis: Wenn möglich, sollte der Organist/die Organistin statt des Predigtliedes die genannte Kantate (BWV 147) aufnehmen, besonders „Jesus bleibet meine Freude“.
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KONFI-IMPULS zu Römer 12,1-8 von Judith Reinmuth-Frauer
Konfi-Impuls zu Römer 12, 1-8
1. Annäherungen an den Text
Für die Konfirmandinnen und Konfirmanden klingt diese Bibelstelle – wie vielleicht für manch andere Gottesdienstbesucher– zunächst abstrakt und komplex.
Nach dem ersten Lesen wird noch nicht gleich klar, um was es geht. Zugleich stecken in diesen Versen einige kernige Aussagen, die eine nähere Betrachtung lohnen.
So lesen wir zunächst den ganzen Text reihum und schauen uns dann vier Sätze genauer an. Diese vier Sätze habe ich jeweils groß ausgedruckt und halte sie hoch.
2. „Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an.“
Die Hände, vor allem der Mädchen, gehen hoch:
+ Wir sollten nicht die Maßstäbe von Models übernehmen und meinen, wir müssten auch so aussehen.
+ Jeder Mensch hat ein anderes Leben. Zu denken, ich wäre gerne auch so wie die berühmte Person, bringt nichts. Denn auch wenn ich berühmt wäre, wäre es bei mir anders.
+ Manchmal ist es auch wichtig, sich anzupassen und nicht zu „zickig“ zu sein.
+ Wie weit sollen wir uns anpassen an Freunde?
3. „Lasst euch vielmehr von Gott umwandeln, damit euer ganzes Denken erneuert wird.“
+ Wir sollen uns mehr von Gott beeinflussen lassen und weniger von anderen Menschen.
+ Wenn man einen Fehler gemacht hat, kann man sich ändern mit Gottes Hilfe.
4. „Niemand soll sich über den anderen erheben und höher von sich denken, als es angemessen ist.“
+ Alle Menschen sind gleich wichtig und gleichberechtigt.
+ Wenn jemand reicher ist und sich teurerer Klamotten leisten kann, soll er / sie sich nicht anderen überlegen fühlen.
+ Bei uns fühlen sich die Klassensprecher als etwas Besseres. Sie meinen, über uns bestimmen zu können.
+ Was heißt „angemessen“? Z.B. Könige können schon höher von sich denken, das ist trotzdem angemessen.
5. „Als Menschen, die zu Christus gehören, bilden wir alle ein unteilbares Ganzes.“
+ Wir sind alle eine Gemeinschaft.
+ Wir sind alle wichtig.
+ Wie bei dem Leib und den Gliedern, die alle ihren Beitrag leisten.
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Predigt zu Röm 8,31b-39 von Johannes Block
"Das Letzte, was du auf dieser Welt sehen sollst, soll die Liebe sein." Mit diesen Worten fordert die Nonne Helen Prejean den Gefangenen Matthew Poncelet auf, ihren Blick zu suchen. Der Gefangene Matthew Poncelet ist zum Tode verurteilt. Seine letzte Stunde ist gekommen. Er wird in der Hinrichtungszelle festgeschnallt und an die Apparatur angeschlossen, die das tödliche Gift injeziert. Hinter einer Glaswand können die Eltern der ermordeten Opfer die letzten Worte des Täters hören und dessen Hinrichtung und Todeskampf verfolgen.
Mit dieser Szene endet der Kinofilm Dead Man Walking, der die in den Vereinigten Staaten umstrittene Todesstrafe auf die Leinwand bringt. "Dead man walking" - "Toter Mann kommt", lautet der Ruf der amerikanischen Justizbeamten, wenn ein zum Tode verurteilter Gefangener aus seiner Zelle in die Hinrichtungskammer geführt wird. Als sich die Giftampullen in den festgeschnallten Körper entleeren, sucht der Todeskandidat den Augenkontakt mit der Nonne Helen Prejean. "Das Letzte, was du auf dieser Welt sehen sollst, soll die Liebe sein", hatte sie geflüstert, als sie ihre Hand auf die Schultern des Gefangenen legte beim Gang in die Hinrichtungskammer.
Über Monate hinweg hat Helen Prejean bei den Justizbehörden versucht, das Todesurteil in eine lebenslange Haftstrafe umwandeln zu lassen. Zugleich spricht sie dem Verurteilten ins Gewissen und bewegt ihn in quälenden Gesprächen dazu, zur Wahrheit und zur Verantwortung seiner Tat zu stehen. In letzter Minute wendet sich der Todeskandidat an die Eltern der Opfer, spricht deren Leid und Schmerz an und bekundet Reue. Kurz darauf, Punkt Mitternacht, beginnt die Apparatur mit der Giftinjektion zu arbeiten. Die Augen des Verurteilten und die Augen der Nonne suchen den Blickkontakt und finden sich. "Das Letzte, was du auf dieser Welt sehen sollst, soll die Liebe sein."
Punkt Mitternacht, liebe Freunde am Altjahresabend, geht auch für uns etwas zu Ende. So Gott will, endet nicht unser Leben - aber doch in gewisser Weise ein Stück und ein Teil unseres Lebens: das durchlebte und ausklingende Jahr 2015. Aller Vermutung nach haben wir nicht einmal halb so viel auf dem Kerbholz wie der verurteilte Mörder Matthew Poncelet. Gleichwohl wird auch uns heute in den letzten Stunden des Jahres zugerufen: Das Letzte, was dir vor Augen und vor Ohren kommen soll, soll die Liebe sein. Paulus drückt es im Brief an seine Freunde in Rom mit folgenden Worten aus:
Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Übers Jahr kann es ja manchmal ganz schön dicke kommen: der anhaltende Erbschaftsstreit in der Familie, die Querelen in einer Kirchengemeinde, die schwierige Geschäftslage, die Belastungen im ehrenamtlichen Engagement, die drohende Entlassung, ein ernsthaft erkranktes Kind, das Platzen und Scheitern einer Partnerschaft, der unerfüllt gebliebene Kinderwunsch. Dann könnte man meinen, Gott habe einen vergessen und seine Liebe in ganz andere Ecken verteilt: bei den reichen Nachbarn, bei den glücklichen Verwandten, bei den erfolgreichen Kollegen oder einfach nur bei der gegnerischen Fußballmannschaft. Dann sitzt man wie in einer Gott verlassenen Ecke und grübelt: über den Gegenwind im Leben, über das fehlende Glück, über ein verranztes Jahr.
Leben im Freispruch (Römer 8, 31b-34)
Bilanz ziehen - das gehört zum menschlichen Leben. An bestimmten Wendepunkten und ganz besonders am letzten Tag des Jahres liegt es in der Luft - Rückschau halten:
Was ist gelungen und was ist mißlungen in den vergangenen 365 Tagen? Was hat sich im Leben der Familie und der Freunde ereignet? Wo bin ich vorangekommen und gereift? Wo bin ich stehengeblieben und bequem geworden? Zu welchen Neuanfängen ist es gekommen? Und zu welchen Abschieden? Wie hat sich in den letzten zwölf Monaten die Welt und Deutschland verändert?
Zeitungen und Fernsehsender bringen ausführliche Jahresrückblicke. Die Quoten sind hoch. Die Leser und Zuschauer lieben es scheinbar, in der Zeitung und im Fernsehen die markanten Jahresereignisse noch einmal vor Augen geführt zu bekommen:
die Flüchtlingskrise mit den Bildern von Bootskatastrophen im Mittelmeer; der Konklikt in der Ostukraine und um die Krim; der Krieg in Syrien; die Finanz- und Eurokrise in Griechenland und Europa; das Erbeben in Nepal; der tragische Absturz der Germanwings-Maschine in den Alpen; die Herausforderungen der Energiewende und des Klimawandels; die Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP; die offenen Grenzen und Flüchtlingsströme nach Deutschland; die Hilfsbereitschaft der Deutschen auf der einen Seite und die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte auf der anderen Seite; die Korruptionsaffäre im internationalen Fußballgeschäft; der Abschied von prominenten Persönlichkeiten, darunter Udo Jürgens, Richard von Weizsäcker oder Helmut Schmidt.
Das rege Interesse an Jahresrückblicken drückt eine menschliche Sehnsucht aus. Es ist die Sehnsucht nach einem Kompaß, nach einer Orientierung im fließenden Lauf der Jahre. Um einen eigenen Standpunkt finden zu können, muss man Bilanz ziehen, Dinge bewerten, Erfahrungen abwägen, Rechenschaft ablegen. Niemand kann sich davor drücken oder wegducken. Immer wieder steht man wie vor den unsichtbaren Schranken eines Gerichts - wenn ein Jahr vergeht, wenn die Uhr tickt, wenn man an einer Schwelle steht, wenn das Gewissen sich regt. Am Altjahresabend spürt man besonders, was das gesamte Jahr über im Raum steht: sich vergewissern, Dinge abschätzen, Rechenschaft ablegen. Der Altjahresabend spült eine entscheidende Frage des Lebens nach oben:
Wie stehe ich da, wenn ich vor mir selbst Rechenschaft ablege? Wie stehe ich da vor dem Angesicht Gottes?
Auf der alltäglichen Oberfläche des Lebens geht es um ganz andere Fragen: dass ich meine Haut gerettet habe, als es um Kopf und Kragen ging; dass ich meine Schäfchen ins Trockene gebracht habe, als die Krise ausbrach; dass ich es zu etwas gebracht habe, obwohl die Umstände hart waren. All das sind Fragen auf der Oberfläche des Lebens, auf der wir arbeiten, kämpfen, laufen, rennen und retten. Unter der betriebsamen Oberfläche jedoch schlummert die eigentliche Frage des Lebens, die der Altjahresabend nach oben spült:
Wie steht Gott in all dem zu mir? Sagt Gott Ja oder Nein? Macht sich Gott überhaupt etwas aus meinen schönen Erfolgen? Oder erwählt er sich gerade die, die auf der dunklen Seite des Lebens stehen?
Die Frage der Rechenschaft vor dem Angesicht Gottes - die Frage der Rechtfertigung -, das ist die schlummernde Grundfrage unter der geschäftigen Oberfläche des Lebens. Dann steht man wie vor den Schranken eines inneren Gerichtes. Dann denkt und bittet man:
"Hilf, Herr meines Lebens, dass ich nicht vergebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin." (EG 419)
Buchstäblich vor den Schranken der römischen Gerichte haben die frühen Christen gestanden. Der Apostel Paulus wird wegen seiner Missionstätigkeiten angeklagt. Er wird in Ephesus in das Gefängnis geworfen und muß mit wilden Tieren kämpfen (1. Kor 15,32). Es gab Situationen, in denen Paulus meint, sein letztes Stündlein habe geschlagen (2. Kor 1,8f.). Viele seiner Glaubensfreunde in Rom und an anderen Orten im Römischen Reich werden vor Gericht und vor den Richter gezogen und gestellt. Häufig wird kurzer Prozess gemacht. Eine Blutspur zieht sich nicht allein durch Rom, sondern durch viele andere römische Städte. Bis heute hat das Wort Christenverfolgung einen bitteren Nachgeschmack.
Aber was heißt schon Nach-Geschmack! Denkt man beispielsweise an den Völkermord an den Armeniern - genau vor einhundert Jahren - oder an die gegenwärtige Vertreibung der Christen im Irak oder in Syrien, dann kann man nur bitter feststellen: Christenverfolgungen gibt es nach wie vor, auch in der Moderne, auch in unserer Zeit und auch in dieser Stunde. Geschmäht, verfolgt, vertrieben: An Christen in Bedrängnis und auf der Flucht richten sich die Worte des Apostels. Gedemütigt, geschlagen, getötet: Geflüchtete Christen aus dem Irak oder aus Syrien erinnern an die Zeit der frühen Christenverfolgungen. Die frühen Christen haben die Worte des Apostels haben immer wieder abgeschrieben und vorgelesen, weil sie auf das ausrichten, was unter der Oberfläche des Lebens gilt und zählt:
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.
Immer wieder wurden diese Worte von verfolgten Christen abgeschrieben und vorgelesen. Im Kampf vor Gericht, im Kampf um das eigene Leben weisen die Worte des Paulus auf einen ganz besonderen Anwalt und Fürsprecher: ein Anwalt und Fürsprecher, der sich für uns hingibt; ein Anwalt und Fürsprecher, der seinen eigenen Sohn an Stelle anderer den Preis zahlen lässt; ein Anwalt und Fürsprecher, der für uns spricht, auch wenn vieles gegen uns spricht.
Vieles, liebe Freunde, spricht gegen uns - das ist wahr! Aller Wahrscheinlichkeit nach sind unter uns keine überführten Doppelmörder vom Kaliber eines Matthew Poncelet wie im Film "Dead Man Walking". Und doch hat jeder von uns so einiges auf dem Kerbholz - obwohl es uns weitaus besser geht als einem verwahrlosten und haltlosen jungen Mann aus einem amerikanischen Stadtghetto oder als in einem Flüchtlingslager oder als in irgendeiner unwirtlichen Gegend am Rande der Welt. Doch ob am Rande oder in der Mitte, ob armselig oder wohlhabend - am Ende sind wir alle Menschen auf der Oberfläche des Lebens. Auf der Oberfläche des Lebens geht es immer wieder um dieselben Fragen:
Wie rette ich meine Haut? Wie bringe ich meine Schäfchen ins Trockene? Wie bringe ich es zu etwas?
Auf der Oberfläche des Lebens laufen und rennen die Menschen und suchen mit vielen guten Gründen nach dem eigenen Vergnügen und Vorteil. Im Mittelpunkt steht immer wieder das eigene Ich, das sich manchmal auch hinter einem fleißigen Lieschen oder einem unermüdlichen Helfer versteckt. In einem maßlosen Helfersyndrom kann auch eine unbewußte Ich-Sehnsucht stecken. Doch gute Werke - so gut sie auch sein mögen - erlösen das eigene Ich nicht von der eigenen Ich-Sehnsucht.
Wer will hier bestehen, wenn man vor sich und vor Gott Rechenschaft ablegen muss? Wer hat den Mut und die Größe, sein eigenes süchtiges Ich offenzulegen wie es Matthew Poncelet tat in seiner letzten Stunde kurz vor Mitternacht?
"Das Letzte, was du auf dieser Welt sehen sollst, soll die Liebe sein." Vielleicht lag es am buchstäblichen Augen-Blick der Liebe, der Matthew Poncelet die Kraft schenkte, über den eigenen Schatten zu springen. Einen Augen-Blick der Liebe - den haben wir selbst kurz vor Mitternacht noch, schreibt der Apostel:
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.
Wir haben einen Anwalt und Fürsprecher, der uns nicht wegen eines verlockenden Honorares verteidigt. Unser Anwalt und Fürsprecher tritt buchstäblich für uns ein: Er nimmt auf sich, was uns vorgehalten und vorgeworfen wird; er bezahlt unseren Schuldschein, unsere Rechnung. Dieser wunderbare Tausch oder "fröhliche Wechsel", wie es Martin Luther formuliert, kommt in einem zeitgenössischen Gedicht zum Ausdruck. „Am Ende die Rechnung“ (Lothar Zenetti) heißt das Gedicht, das die blühende Fülle eines Jahres und eines Sommers noch einmal vor Augen führt:
Einmal wird uns gewiß
die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras
und die Schmetterlinge,
für die Luft,
die wir geatmet haben,
und den Blick auf die Sterne
und für alle die Tage,
die Abende und die Nächte.
Einmal wird es Zeit,
daß wir aufbrechen und
bezahlen.
Bitte die Rechnung.
Doch wir haben sie
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
soweit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!
Leben zwischen Anklage und Liebe (Römer 8,35-39)
Am Ende zahlt Gott die Rechnung und gibt sich für uns hin. Das letzte Wort hat die Liebe, selbst wenn man meint, dass alles schon verloren sei und die Zeiger unerbittlich auf die Mitternacht voranrücken - auf das letzte Stündlein. Das letzte Wort hat die Liebe - aber nicht als pastoraler Zuckerguß oder religiöse Dekoration des Alltags! Denn Gottes Liebe ist der Blut und Tränen getränkte Schmuck unserer Schmerzen, unserer Leiden, unserer harten Kanten. Gottes Liebe blüht denen, die sich verlaufen und verrannt haben, die im Gefängnishof des eigenen Ich sitzen, die ihre Rechenschaft und Rechtfertigung verloren haben. Gottes Liebe nimmt etwas auf sich - das Blut und die Tränen. Deshalb sind gerade die Schmerzen, die Leiden und die harten Kanten wie gemacht für Gottes Liebe. Gottes Liebe nimmt etwas auf sich und lässt sich auch von den größten Brocken nicht ablenken:
Denn ich bin gewiss, schreibt Paulus an seine Freunde, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Angst kann man haben in dieser Welt: vor der fließenden Zeit und Vergänglichkeit, vor den Herausforderungen der Flüchtlingsströme und des Klimawandels, vor der eigenen Frage nach Rechenschaft und Rechtfertigung, vor Bosheit und Gewalt auf allen Kontinenten. Angst kann man haben in dieser Welt. Doch eine ausgesprochene Heiden-Angst wäre fehl am Platz:
eine Heidenangst mit kruden Verschwörungs- oder Endzeittheorien; eine Heidenangst voller astrologischer Sternen- und Mondgläubigkeit; eine Heidenangst voller Monster, Kobolde und Fantasiefiguren, die durch die Fernsehkanäle und Kinofilme geistern; eine Heidenangst vor allem Fremden und vor anderen Hautfarben.
Eine buchstäbliche Heiden-Angst braucht niemand zu haben. Denn Gottes Liebe hat das letzte Wort. Die Liebe als das letzte Wort ist das große Plus vor der Klammer des Lebens. Das große Plus vor der Klammer entschärft die Kanten, stopft die Löcher und befreit das eigene Ich. Es sind nicht wir, die das alte Jahr runden. Es ist Gottes Plus vor der Klammer, das das Jahr rundet. Gottes Liebe zahlt die Rechnung.
Und mit einem Plus vor der Klammer des Lebens - mit Gottes großem Vorzeichen - können wir schon jetzt sagen: "Ende gut, alles gut!" Was für eine Aussicht! Obwohl das neue Jahr noch nicht begonnen hat, können wir schon jetzt sagen: "Ende gut, alles gut!" Denn das letzte Wort auch im neuen Jahr werden nicht wir oder andere haben. Das Letzte, was wir sehen und hören werden, wird die Liebe sein.
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Predigt zu Römer 8,31b-39 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
Liebe Gemeinde,
dies sind genau sie richtigen Worte für das in wenige Stunden zu Ende gehende Jahr 2015. Ich bin gewiss, ich bin mir ganz sicher, schreibt der Apostel Paulus, dass nichts und niemand uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. Das am Ende des Jahres zu hören macht Mut.
Denn schauen wir zurück auf 2015, dann könnte man es unter die Überschrift „Verunsicherungen“ stellen. Viele Gewissheiten sind uns im Laufe des Jahres zerbröckelt. Gewiss, so dachten wir bisher, es gibt ein Flüchtlingsproblem; und das schon seit Jahren. Ja, es gibt einen Strom von Menschen, die vor Gewalt, Verfolgung und schierer Not Richtung Europa ziehen. Aber, so waren wir uns sicher, das ist ein Problem an Europas Außengrenzen, auf der italienischen Insel Lampedusa oder in Griechenland. Das könnten wir uns mit etwas Geld und guten Worten schon vom Leibe halten. Gewiss würde Europa da funktionieren; würden die Staaten der EU gemeinsam und solidarisch eine Lösung für den Mittelmeerraum finden.
Diese Gewissheit gibt es seit diesem Jahr nicht mehr. Nicht die, die Flüchtlinge von uns fern halten zu können; und nicht die, dass Europa sich als Gemeinschaft würde beweisen können.
Gewiss, so dachten wir: es gibt da einen schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien und Konflikte im Irak mit unsäglicher Gewalt und furchtbarem Morden und völlig unverständlichem Fanatismus und Fundamentalismus und Terrorismus. Aber das geschieht alles im gefühlten fernen Orient, dessen Regeln und Funktionieren man sowieso nicht versteht. Gewiss würde sich das dort irgendwie regeln, wenn Assad erst einmal weg wäre oder sonst wie.
Aber dann sahen wir 2015 auf einmal die Menschen. Nicht als ferne und fremde, sondern als solche, deren Leiden uns nahe ging. Und ihre Schicksale konnten uns nicht mehr gleichgültig lassen. Wir erfuhren von Syrisch-Orthodoxen Christen, von Griechisch-Orthodoxen, Melkitisch-Katholischen, Assyrischen Christen, Armenisch-Apostolischen, Syrisch-katholische, von Chaldäischen, katholischen und protestantische syrischen Christen, von Jesiden und auch von Schiiten und Sunniten die verfolgt, ermordet und vertrieben wurden.
Hatten wir Christenmenschen in unserem Land uns vor 2015 wirklich ernsthaft gefragt, wie es ihnen ergeht? Hatten wir uns ihnen als Schwestern und Brüder im Glauben an Jesus Christus vorher wirklich verbunden gefühlt? Oder waren wir uns unserer eigenen westeuropäischen, ja deutschen und reformatorischen Tradition so gewiss, dass wir sie nicht weiter beachtet haben?
Auch das ist eine Gewissheit, die 2015 ins Wanken geraten ist: wir sind uns evangelische Kirchengemeinden in Deutschland selbst genug. Das ist jetzt vielleicht etwas überzogen und eine ungerechtfertigte Kritik. Viele Kirchengemeinde setzen sich weltweit ein, spenden an Hilfswerke oder halten partnerschaftliche Kontakte zu anderen Christengemeinden in der Welt (- an dieser Stelle der Predigt können Beispiele aus der eigenen Gemeinde genannt werden-). Viele Gemeinden und Christenmenschen verstehen sich durchaus als Teil der weltweiten Kirche, als Schwestern und Brüder im Herrn.
Und doch: wir müssen bekennen, dass wir viel zu wenig den Worten des Apostels Paulus nachempfinden: „Und wenn ein Glied der (weltweiten Kirche) leidet, leiden alle Glieder mit.“ 1. Kor. 12, 26. Das zu Ende gehende Jahr 2015 da hat einiges, hoffentlich, geändert.
Und unser Wort aus der Heiligen Schrift zum heutigen Altjahresabend ändert da einiges. Hören wir es mit den Ohren eines bedrängten Christenmenschen in Syrien, im Irak, in Ägypten; auch mit den Ohren eines von islamistisch-palästinensischen und israelischen Fundamentalisten bedrängten arabischen Christen in Israel-Palästina und mit denen bedrängter Christen weltweit. Dann hören wir sie ganz anders, diese Worte aus dem Römerbrief. Viel direkter. Viel gewisser, nach einem Jahr 2015, in dem so viele Gewissheiten ins Wanken geraten sind.
Paulus weiß, wovon er mit diesen Hinweisen schreibt. Er hat es erlebt: Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr, Schwert. Erschütternd und erschreckend sein Zitat aus Ps. 42: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag“.
Und doch: ich bin gewiss, ich bin mir sicher, schreibt Paulus. Bei aller Ungewissheit, bei aller Unsicherheit: nichts und niemand kann mich trennen von der Liebe Gottes. Keine politischen Mächte und Machtspiele, keine Gewalttaten, nicht meine gegenwärtige Lebenssituation oder das, was 2016 auf mich zu kommt, keine ups and downs im persönlichen Lebenslauf.
Und auch keine Engel, sagt Paulus. Das mag zuerst verwundern, dass Paulus hier Engel erwähnt. Engel sind doch eigentlich Boten Gottes. Und wir kommen vom Heiligen Abend her mit den vielen Engeln. Ja, aber gerade weil wir von Weihnachten her kommen, wird deutlich, was Paulus meint, wenn er ausgerechnet hier Engel als Wesen erwähnt, das uns von Gott trennen kann.
Engel sind Boten Gottes. Ja. Aber 2015 hörten wir von diesen grausamen Menschen, die sich selber als Boten Gottes verstehen. Die meinen, dem Willen ihres Gottes zu folgen, so wie sie ihn verstehen, wenn sie andere bedrängen, vertreiben oder ermorden. Diese perversen Engel meint Paulus hier. Sie können Menschen von Gott trennen. Diese selbstgegründeten Fanatiker und Fundamentalisten. Sie behaupten, im Namen ihres Gottes zu handeln. Haben ihn aber nicht verstanden oder verspürt.
Die Botschaft des Engels Gottes auf dem Hirtenfeld in Bethlehem lautete aber: „Friede auf Erden“. Allein von dieser Botschaft des Weihnachtsengels kommen wir her. Mit dieser Friedensbotschaft und Friedenshoffnung, mit diesem Friedensauftrag gehen wir in das neue Jahr 2016.
Und deshalb: „Ich bin gewiss, das nichts und niemand uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.“ Warum? Warum ist Paulus sich da so gewiss, so sicher? Was lässt ihn mutig weiter gehen, von Jahr zu Jahr?
Und da müssen wir wieder bei der Krippe in Stall zu Bethlehem anfangen. Gott wird Mensch feierten wir an Weihnachten. Und er will uns Menschen nicht uns selbst überlassen. Sonst wären wir wirklich von allen guten Geistern verlassen. Gott verschont seinen Sohn nicht, einer von uns Menschen zu werden. Einer von den Christenmenschen in Syrien, im Irak, in Ägypten oder anderswo auf der Welt. Ja, und wir müssen das wirklich so verstehen lernen, einer von den Jesiden, Kurden, Schiiten, Sunniten oder einer anderen Menschengemeinschaft. Gott wird Mensch und nimmt das Menschenschicksal der Geschundenen, Verfolgten und Gemordeten auf sich.
Und jetzt dürfen wir mit Paulus der ganzen Heilsgeschichte folgen, die er kurz und knapp hier im Römerbrief entfaltet: von Weihnachten über Karfreitag, „er hat ihn für uns alle dahingegeben“; „der gestorben ist“, zum Ostertag Jesu: „der auch auferweckt ist“; und bis zu seiner Himmelfahrt: „der zur rechten Gottes ist“. Und: und das ist das Ziel der Heilsgeschichte, wie Paulus sie hier anführt: „der uns vertritt“. Der für das Leben eintritt vor Gott. Dafür, dass es anders werden kann. Dafür, dass Menschen sich ändern können. Dafür, dass sie loswerden können, was sie belastet. Dafür, dass sie ihre Schuld ablegen können am Kreuz. Dafür, dass sie befreit und erlöst neu in die Zukunft gehen können.
Ich bin gewiss, da ist sich Paulus sicher; da sollte sich jeder Christenmensch sicher sein, von dieser Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, kann uns nichts und niemand trennen.
Dietrich Bonhoeffer, der von den Deutschen Nationalsozialisten verfolgte und ermordete evangelische Christ, hat diese Gewissheit: „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“ in dem eindrücklichen Gedicht so gefasst:
Von guten Mächten treu und still umgeben,
Behütet und getröstet wunderbar,
So will ich diese Tage mit euch leben
Und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
Noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach, Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
Das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Das Jahr 2015, das nun zu Ende geht, mag ein Jahr voller Verunsicherungen gewesen sein. Trotzdem: 2015 galt, was auch für 2016 gilt: Nichts und niemand kann uns trennen von der Liebe Gottes. Amen.