Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag - Predigt zu Römer 12,1-3 von Dieter Splinter

Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag - Predigt zu Römer 12,1-3 von Dieter Splinter
12,1-13

Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag

1 Ich ermahne euch nun, liebe Brüder (und Schwestern), durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. 2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. 3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

I.

Liebe Gemeinde!

Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Neu ist, dass Paulus diese Erkenntnis auf das richtige Verhalten im Leben bezieht. Kurz gesagt: Gottesdienst und Ethik gehören zusammen. Was das bedeutet, gilt es heute zu verstehen.

II.

Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern. Wohl gibt es Fernsehgottesdienste, die man zu Hause allein am Bildschirm verfolgen kann. Dabei gibt es sicherlich den einen oder anderen ergreifenden Moment. Letztlich bleibt man dabei aber immer nur Zuschauer oder Zuschauerin. Einer Predigt kann ich zwar auch am Bildschirm folgen, Gebete kann ich dort ebenso mitbeten. Doch zum Singen, bei der Taufe und im Abendmahl brauche ich leibhaftige Gemeinschaft mit anderen Menschen.

Um an dieser Gemeinschaft im Gottesdienst teilzuhaben, mache ich mich auf den Weg. Zur Teilhabe gehört Teilnahme. Dabei geschieht diese Gemeinschaft im Gottesdienst nicht nur unter Menschen. Gott ist gegenwärtig. Das Wort Gottes-Dienst macht es deutlich. Es meint: Gott dient uns – und wir dienen Gott. Es geht also um eine Begegnung, um ein Gespräch. Im Gespräch entfaltet sich Gemeinschaft. Der Reformator Martin Luther  hat das bei der Einweihung der Torgauer Schlosskirche 1544 so auf den Punkt gebracht: Im Gottesdienst, so meint er, geht es darum, dass „nichts anderes darin geschehe, als dass unser lieber Herr mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“

Das Gespräch, die Begegnung, die Gemeinschaft im Gottesdienst geht dabei vonstatten wie wir es von einer Einladung her kennen. Der erste Schritt geht so: „Man begrüßt sich, macht sich bekannt, bedankt sich, entschuldigt sich für Vorfälle, die die Begegnung stören könnten, klärt bisherige Mißverständnisse, bittet um Verzeihung.“ (Frank Maibaum: Das Gottesdienstbuch. Ein Arbeitsbuch, Stuttgart/Kiel, S. 9) Und lässt sich diese zusprechen! So geschieht es im Eingangsteil des Gottesdienstes.

Im Gespräch geht es dann bei einer Einladung meist so weiter: Man bezieht sich „auf gemeinsame Grundlagen und Erfahrungen, berichtet, was man gehört, gesehen, gelesen hat. Man möchte etwas weitersagen, nimmt Stellung, gibt seine Überzeugung preis und verteidigt Standpunkte.“ (a.a.O., s. 10) Dieser zweite Schritt entspricht im Gottesdienst die Lesung, das Glaubensbekenntnis und die Predigt.

Als nächstes stärkt man sich bei einem gemeinsamen Essen. Dieses dient nicht bloß der Nahrungsaufnahme, sondern ist ein sinnliches Zeichen der Verbundenheit. Wer zusammen mit anderes isst, pflegt Gemeinschaft. Dabei denkt man vielleicht auch an jene, „die nicht (mehr) dabei sein können, und an Menschen, die Not leiden.“  Dabei wird man sich der eigenen Grenzen bewusst und empfindet Dankbarkeit, weil es einem selber gut geht. Dies entspricht dem Abendmahl und dem Dank- und Fürbittengebet.

Und schließlich trifft man bei einer Einladung Verabredungen für die Zukunft, überlegt, wem man wie helfen kann - „und verabschiedet sich mit guten Wünschen und Vorsätzen.“ Im Gottesdienst  geschieht das in den Abkündigungen, im Wochenspruch und im Segen.

Das, was wir von einer Einladung her kennen, findet sich also auch im Gottesdienst wieder. Zugleich geht es dabei in der gottesdienstlichen Versammlung noch um mehr. Es geht um die Gegenwart Gottes. Es geht um eine Begegnung mit dem dreieinigen Gott, um das Gespräch mit ihm. Es geht darum deutlich zu machen, dass Gott uns dient – und wir ihm. Es geht darum, was uns über den Alltag hinaushebt, damit wir den Alltag bewältigen können. All das jedoch braucht Gemeinschaft. Gottesdienste kann man nur gemeinsam feiern.

III.

Diese Erkenntnis bezieht Paulus auf das Verhalten im Alltag. Da stehen wir immer wieder vor Fragen wie: Was sollen wir tun? Was ist richtig, was ist falsch? Der erste Hinweis, um solche Fragen zu beantworten, lautet bei Paulus: „...dass ihre eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.“

Teilhabe geschieht durch Teilnahme. Wer am Leben teilnimmt, tut das mit Seele und Leib. Leben braucht immer, neben allen Seelenkräften, Leibeskräfte. Woran wir uns vielleicht bei Paulus stören mögen – unsere Leiber hinzugeben als ein Opfer – bezeichnet das Gegebene. Ein katholischer Priester hat mir das einmal in einem Bild nahegebracht: „Das Leben gleicht“, so sagte er, „einer Kerze. Am Anfang ist sie lang und gerade. Der Docht brennt zögerlich. Dann wird sie heller und immer heller. Dabei brennt sie ab. Am Ende ist von der Kerze nicht mehr viel übrig. Aber ganz am Ende leuchtet sie besonders hell. Gerade im Alter“, so meinte der katholische Priester, „geht es darum, die Umgebung mit Weisheit und Erkenntnis heller zu machen.“ Wenn wir uns schon bei der Gestaltung des Lebens verzehren, so Paulus, und dabei herab brennen wie ein Kerze, dann sollen wir es für Gott tun.

Wie das geschehen kann, macht Paulus in einem zweiten Hinweis deutlich: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich...“. Genau das ist für Paulus vernünftig: Für den Gottesdienst im Alltag der Welt gilt das, was uns auch sonst im Gottesdienst verbindet: Gott dient uns – wie dienen wir ihm? Die Schritte eines Gottesdienstes können  auch im Alltag dienlich sein. Fragen helfen dabei zu prüfen, was Gottes Wille ist: Was habe ich selber falsch gemacht? Was sagt mir die Heilige Schrift, wenn ich vor einem großen Problem stehe? Welche Gewissheit gibt mir mein christlicher Glaube? Wofür kann ich dankbar sein? Wie stärke ich Gemeinschaft? Wem kann ich helfen?

Entscheidend bei all dem ist, dass Paulus zunächst  die christliche Gemeinde als ganze anspricht. Zunächst spricht er immer von „ihr“, „euch“, „euer“. Zum Dienst an Gott gehört immer die Gemeinschaft – am Sonntag und am Werktag.

IV.

Erst nachdem Paulus das festgestellt hat, kommt er darauf zu sprechen, welche Rolle der oder die einzelne im ganzen der christlichen Gemeinschaft hat. Er macht dabei eine hilfreiche Einschränkung: „... ich sage jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.“ In einer modernen Übersetzung hört sich das so an:

„Überfordert euch nicht bei dem, wofür ihr euch einsetzt, achtet auf eure Grenzen bei dem, was ihr vorhabt. Denn Gott hat jedem und jeder ein bestimmtes Maß an Kraft zugeteilt, Vertrauen zu leben.“ (Bibel in gerechter Sprache)

Dieses „Maß an Kraft“ zeigt sich in den Gaben, die Gott einem jeden und einer jeden gegeben hat, um zum Gelingen der Gemeinschaft beizutragen. Wie Paulus das meint, ist ohne Kommentar verständlich und findet sich im zweiten Teil des Predigttextes (Römer 12, 4-8; Bibel in gerechter Sprache):

„Denkt an unseren Körper. Er besteht aus vielen Gliedern, aber nicht jedes Teil hat dieselbe Funktion. So sind wir, obwohl wir viele sind, doch nur ein einziger Körper in der Gemeinschaft des Messias. Einzeln betrachtet sind wir Körperteile, die sich füreinander einsetzen. Wir haben jeweils unterschiedliche Befähigungen, die uns in göttlicher Zuwendung geschenkt wurden: Wer die Gabe hat, prophetisch zu reden, nutze sie, um deutlich zu machen, welches Handeln dem Vertrauen auf Gott entspricht: wer die Gabe hat, für andere zu sorgen, der nutze sie zum Wohle der Gemeinschaft. Wer die Gabe hat zu lehren, nutze sie, um andere am Wissen teilhaben zu lassen. Wer die Gabe hat zu trösten, nutze sie, um andere zu ermutigen. Wer mit anderen teilt, sei aufrichtig dabei. Wer eine Leitungsaufgabe übernimmt, fülle sie mit Begeisterung aus. Wer solidarisch mit anderen lebt, soll es heiter tun.“

V.

Zum Gottesdienst gehört Gemeinschaft – am Sonntag und im Alltag. „Jesus Christus, als Gemeinde existierend“ - so hat das der Theologe Dietrich Bonhoeffer auf den Punkt gebracht. Man kann es auch mit den Worten einer bekannten Kantate von Johann Sebastian Bach sagen:

„Herz und Mund und Tat und Leben
Muss von Christo Zeugnis geben
Ohne Furcht und Heuchelei
Dass er Gott und Heiland sei.“ Amen

Hinweis: Wenn möglich, sollte der Organist/die Organistin statt des Predigtliedes die genannte Kantate (BWV 147) aufnehmen, besonders „Jesus bleibet meine Freude“.

Perikope
10.01.2016
12,1-13

KONFI-IMPULS zu Römer 12,1-8 von Judith Reinmuth-Frauer

KONFI-IMPULS zu Römer 12,1-8 von Judith Reinmuth-Frauer
12,1-8

Konfi-Impuls zu Römer 12, 1-8 

1.      Annäherungen an den Text

Für die Konfirmandinnen und Konfirmanden klingt diese Bibelstelle – wie vielleicht für manch andere Gottesdienstbesucher– zunächst abstrakt und komplex.

Nach dem ersten Lesen wird noch nicht gleich klar, um was es geht. Zugleich stecken in diesen Versen einige kernige Aussagen, die eine nähere Betrachtung lohnen.

So lesen wir zunächst den ganzen Text reihum und schauen uns dann vier Sätze genauer an. Diese vier Sätze habe ich jeweils groß ausgedruckt und halte sie hoch.

2.      „Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an.“

Die Hände, vor allem der Mädchen, gehen hoch:

+ Wir sollten nicht die Maßstäbe von Models übernehmen und meinen, wir müssten auch so aussehen.

+ Jeder Mensch hat ein anderes Leben. Zu denken, ich wäre gerne auch so wie die berühmte Person, bringt nichts. Denn auch wenn ich berühmt wäre, wäre es bei mir anders.

+ Manchmal ist es auch wichtig, sich anzupassen und nicht zu „zickig“ zu sein.

+ Wie weit sollen wir uns anpassen an Freunde?

3.      „Lasst euch vielmehr von Gott umwandeln, damit euer ganzes Denken erneuert wird.“

+ Wir sollen uns mehr von Gott beeinflussen lassen und weniger von anderen Menschen.

+ Wenn man einen Fehler gemacht hat, kann man sich ändern mit Gottes Hilfe.

4.      „Niemand soll sich über den anderen erheben und höher von sich denken, als es angemessen ist.“

+ Alle Menschen sind gleich wichtig und gleichberechtigt.

+ Wenn jemand reicher ist und sich teurerer Klamotten leisten kann, soll er / sie sich nicht anderen überlegen fühlen.

+ Bei uns fühlen sich die Klassensprecher als etwas Besseres. Sie meinen, über uns bestimmen zu können.

+ Was heißt „angemessen“? Z.B. Könige können schon höher von sich denken, das ist trotzdem angemessen.

5.      „Als Menschen, die zu Christus gehören, bilden wir alle ein unteilbares Ganzes.“

+ Wir sind alle eine Gemeinschaft.

+ Wir sind alle wichtig.

+ Wie bei dem Leib und den Gliedern, die alle ihren Beitrag leisten.

 

Perikope
10.01.2016
12,1-8

Predigt zu Röm 8,31b-39 von Johannes Block

Predigt zu Röm 8,31b-39 von Johannes Block
8,31-39

"Das Letzte, was du auf dieser Welt sehen sollst, soll die Liebe sein." Mit diesen Worten fordert die Nonne Helen Prejean den Gefangenen Matthew Poncelet auf, ihren Blick zu suchen. Der Gefangene Matthew Poncelet ist zum Tode verurteilt. Seine letzte Stunde ist gekommen. Er wird in der Hinrichtungszelle festgeschnallt und an die Apparatur angeschlossen, die das tödliche Gift injeziert. Hinter einer Glaswand können die Eltern der ermordeten Opfer die letzten Worte des Täters hören und dessen Hinrichtung und Todeskampf verfolgen.

Mit dieser Szene endet der Kinofilm Dead Man Walking, der die in den Vereinigten Staaten umstrittene Todesstrafe auf die Leinwand bringt. "Dead man walking" - "Toter Mann kommt", lautet der Ruf der amerikanischen Justizbeamten, wenn ein zum Tode verurteilter Gefangener aus seiner Zelle in die Hinrichtungskammer geführt wird. Als sich die Giftampullen in den festgeschnallten Körper entleeren, sucht der Todeskandidat den Augenkontakt mit der Nonne Helen Prejean. "Das Letzte, was du auf dieser Welt sehen sollst, soll die Liebe sein", hatte sie geflüstert, als sie ihre Hand auf die Schultern des Gefangenen legte beim Gang in die Hinrichtungskammer.

Über Monate hinweg hat Helen Prejean bei den Justizbehörden versucht, das Todesurteil in eine lebenslange Haftstrafe umwandeln zu lassen. Zugleich spricht sie dem Verurteilten ins Gewissen und bewegt ihn in quälenden Gesprächen dazu, zur Wahrheit und zur Verantwortung seiner Tat zu stehen. In letzter Minute wendet sich der Todeskandidat an die Eltern der Opfer, spricht deren Leid und Schmerz an und bekundet Reue. Kurz darauf, Punkt Mitternacht, beginnt die Apparatur mit der Giftinjektion zu arbeiten. Die Augen des Verurteilten und die Augen der Nonne suchen den Blickkontakt und finden sich. "Das Letzte, was du auf dieser Welt sehen sollst, soll die Liebe sein."

Punkt Mitternacht, liebe Freunde am Altjahresabend, geht auch für uns etwas zu Ende. So Gott will, endet nicht unser Leben - aber doch in gewisser Weise ein Stück und ein Teil unseres Lebens: das durchlebte und ausklingende Jahr 2015. Aller Vermutung nach haben wir nicht einmal halb so viel auf dem Kerbholz wie der verurteilte Mörder Matthew Poncelet. Gleichwohl wird auch uns heute in den letzten Stunden des Jahres zugerufen: Das Letzte, was dir vor Augen und vor Ohren kommen soll, soll die Liebe sein. Paulus drückt es im Brief an seine Freunde in Rom mit folgenden Worten aus:

Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Übers Jahr kann es ja manchmal ganz schön dicke kommen: der anhaltende Erbschaftsstreit in der Familie, die Querelen in einer Kirchengemeinde, die schwierige Geschäftslage, die Belastungen im ehrenamtlichen Engagement, die drohende Entlassung, ein ernsthaft erkranktes Kind, das Platzen und Scheitern einer Partnerschaft, der unerfüllt gebliebene Kinderwunsch. Dann könnte man meinen, Gott habe einen vergessen und seine Liebe in ganz andere Ecken verteilt: bei den reichen Nachbarn, bei den glücklichen Verwandten, bei den erfolgreichen Kollegen oder einfach nur bei der gegnerischen Fußballmannschaft. Dann sitzt man wie in einer Gott verlassenen Ecke und grübelt: über den Gegenwind im Leben, über das fehlende Glück, über ein verranztes Jahr.

Leben im Freispruch (Römer 8, 31b-34)

Bilanz ziehen - das gehört zum menschlichen Leben. An bestimmten Wendepunkten und ganz besonders am letzten Tag des Jahres liegt es in der Luft - Rückschau halten:

Was ist gelungen und was ist mißlungen in den vergangenen 365 Tagen? Was hat sich im Leben der Familie und der Freunde ereignet? Wo bin ich vorangekommen und gereift? Wo bin ich stehengeblieben und bequem geworden? Zu welchen Neuanfängen ist es gekommen? Und zu welchen Abschieden? Wie hat sich in den letzten zwölf Monaten die Welt und Deutschland verändert?

Zeitungen und Fernsehsender bringen ausführliche Jahresrückblicke. Die Quoten sind hoch. Die Leser und Zuschauer lieben es scheinbar, in der Zeitung und im Fernsehen die markanten Jahresereignisse noch einmal vor Augen geführt zu bekommen:

die Flüchtlingskrise mit den Bildern von Bootskatastrophen im Mittelmeer; der Konklikt in der Ostukraine und um die Krim; der Krieg in Syrien; die Finanz- und Eurokrise in Griechenland und Europa; das Erbeben in Nepal; der tragische Absturz der Germanwings-Maschine in den Alpen; die Herausforderungen der Energiewende und des Klimawandels; die Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP; die offenen Grenzen und Flüchtlingsströme nach Deutschland; die Hilfsbereitschaft der Deutschen auf der einen Seite und die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte auf der anderen Seite; die Korruptionsaffäre im internationalen Fußballgeschäft; der Abschied von prominenten Persönlichkeiten, darunter Udo Jürgens, Richard von Weizsäcker oder Helmut Schmidt.

Das rege Interesse an Jahresrückblicken drückt eine menschliche Sehnsucht aus. Es ist die Sehnsucht nach einem Kompaß, nach einer Orientierung im fließenden Lauf der Jahre. Um einen eigenen Standpunkt finden zu können, muss man Bilanz ziehen, Dinge bewerten, Erfahrungen abwägen, Rechenschaft ablegen. Niemand kann sich davor drücken oder wegducken. Immer wieder steht man wie vor den unsichtbaren Schranken eines Gerichts - wenn ein Jahr vergeht, wenn die Uhr tickt, wenn man an einer Schwelle steht, wenn das Gewissen sich regt. Am Altjahresabend spürt man besonders, was das gesamte Jahr über im Raum steht: sich vergewissern, Dinge abschätzen, Rechenschaft ablegen. Der Altjahresabend spült eine entscheidende Frage des Lebens nach oben:

Wie stehe ich da, wenn ich vor mir selbst Rechenschaft ablege? Wie stehe ich da vor dem Angesicht Gottes?

Auf der alltäglichen Oberfläche des Lebens geht es um ganz andere Fragen: dass ich meine Haut gerettet habe, als es um Kopf und Kragen ging; dass ich meine Schäfchen ins Trockene gebracht habe, als die Krise ausbrach; dass ich es zu etwas gebracht habe, obwohl die Umstände hart waren. All das sind Fragen auf der Oberfläche des Lebens, auf der wir arbeiten, kämpfen, laufen, rennen und retten. Unter der betriebsamen Oberfläche jedoch schlummert die eigentliche Frage des Lebens, die der Altjahresabend nach oben spült:

Wie steht Gott in all dem zu mir? Sagt Gott Ja oder Nein? Macht sich Gott überhaupt etwas aus meinen schönen Erfolgen? Oder erwählt er sich gerade die, die auf der dunklen Seite des Lebens stehen?

Die Frage der Rechenschaft vor dem Angesicht Gottes - die Frage der Rechtfertigung -, das ist die schlummernde Grundfrage unter der geschäftigen Oberfläche des Lebens. Dann steht man wie vor den Schranken eines inneren Gerichtes. Dann denkt und bittet man:

"Hilf, Herr meines Lebens, dass ich nicht vergebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin." (EG 419)

Buchstäblich vor den Schranken der römischen Gerichte haben die frühen Christen gestanden. Der Apostel Paulus wird wegen seiner Missionstätigkeiten angeklagt. Er wird in Ephesus in das Gefängnis geworfen und muß mit wilden Tieren kämpfen (1. Kor 15,32). Es gab Situationen, in denen Paulus meint, sein letztes Stündlein habe geschlagen (2. Kor 1,8f.). Viele seiner Glaubensfreunde in Rom und an anderen Orten im Römischen Reich werden vor Gericht und vor den Richter gezogen und gestellt. Häufig wird kurzer Prozess gemacht. Eine Blutspur zieht sich nicht allein durch Rom, sondern durch viele andere römische Städte. Bis heute hat das Wort Christenverfolgung einen bitteren Nachgeschmack.

Aber was heißt schon Nach-Geschmack! Denkt man beispielsweise an den Völkermord an den Armeniern - genau vor einhundert Jahren - oder an die gegenwärtige Vertreibung der Christen im Irak oder in Syrien, dann kann man nur bitter feststellen: Christenverfolgungen gibt es nach wie vor, auch in der Moderne, auch in unserer Zeit und auch in dieser Stunde. Geschmäht, verfolgt, vertrieben: An Christen in Bedrängnis und auf der Flucht richten sich die Worte des Apostels. Gedemütigt, geschlagen, getötet: Geflüchtete Christen aus dem Irak oder aus Syrien erinnern an die Zeit der frühen Christenverfolgungen. Die frühen Christen haben die Worte des Apostels haben immer wieder abgeschrieben und vorgelesen, weil sie auf das ausrichten, was unter der Oberfläche des Lebens gilt und zählt:

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.

Immer wieder wurden diese Worte von verfolgten Christen abgeschrieben und vorgelesen. Im Kampf vor Gericht, im Kampf um das eigene Leben weisen die Worte des Paulus auf einen ganz besonderen Anwalt und Fürsprecher: ein Anwalt und Fürsprecher, der sich für uns hingibt; ein Anwalt und Fürsprecher, der seinen eigenen Sohn an Stelle anderer den Preis zahlen lässt; ein Anwalt und Fürsprecher, der für uns spricht, auch wenn vieles gegen uns spricht.

Vieles, liebe Freunde, spricht gegen uns - das ist wahr! Aller Wahrscheinlichkeit nach sind unter uns keine überführten Doppelmörder vom Kaliber eines Matthew Poncelet wie im Film "Dead Man Walking". Und doch hat jeder von uns so einiges auf dem Kerbholz - obwohl es uns weitaus besser geht als einem verwahrlosten und haltlosen jungen Mann aus einem amerikanischen Stadtghetto oder als in einem Flüchtlingslager oder als in irgendeiner unwirtlichen Gegend am Rande der Welt. Doch ob am Rande oder in der Mitte, ob armselig oder wohlhabend - am Ende sind wir alle Menschen auf der Oberfläche des Lebens. Auf der Oberfläche des Lebens geht es immer wieder um dieselben Fragen:

Wie rette ich meine Haut? Wie bringe ich meine Schäfchen ins Trockene? Wie bringe ich es zu etwas?

Auf der Oberfläche des Lebens laufen und rennen die Menschen und suchen mit vielen guten Gründen nach dem eigenen Vergnügen und Vorteil. Im Mittelpunkt steht immer wieder das eigene Ich, das sich manchmal auch hinter einem fleißigen Lieschen oder einem unermüdlichen Helfer versteckt. In einem maßlosen Helfersyndrom kann auch eine unbewußte Ich-Sehnsucht stecken. Doch gute Werke - so gut sie auch sein mögen - erlösen das eigene Ich nicht von der eigenen Ich-Sehnsucht.

Wer will hier bestehen, wenn man vor sich und vor Gott Rechenschaft ablegen muss? Wer hat den Mut und die Größe, sein eigenes süchtiges Ich offenzulegen wie es Matthew Poncelet tat in seiner letzten Stunde kurz vor Mitternacht?

"Das Letzte, was du auf dieser Welt sehen sollst, soll die Liebe sein." Vielleicht lag es am buchstäblichen Augen-Blick der Liebe, der Matthew Poncelet die Kraft schenkte, über den eigenen Schatten zu springen. Einen Augen-Blick der Liebe - den haben wir selbst kurz vor Mitternacht noch, schreibt der Apostel:

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.

Wir haben einen Anwalt und Fürsprecher, der uns nicht wegen eines verlockenden Honorares verteidigt. Unser Anwalt und Fürsprecher tritt buchstäblich für uns ein: Er nimmt auf sich, was uns vorgehalten und vorgeworfen wird; er bezahlt unseren Schuldschein, unsere Rechnung. Dieser wunderbare Tausch oder "fröhliche Wechsel", wie es Martin Luther formuliert, kommt in einem zeitgenössischen Gedicht zum Ausdruck. „Am Ende die Rechnung“ (Lothar Zenetti) heißt das Gedicht, das die blühende Fülle eines Jahres und eines Sommers noch einmal vor Augen führt:

Einmal wird uns gewiß
die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras
und die Schmetterlinge,
für die Luft,
die wir geatmet haben,
und den Blick auf die Sterne
und für alle die Tage,
die Abende und die Nächte.

Einmal wird es Zeit,
daß wir aufbrechen und
bezahlen.
Bitte die Rechnung.    
Doch wir haben sie
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
soweit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!

Leben zwischen Anklage und Liebe (Römer 8,35-39)

Am Ende zahlt Gott die Rechnung und gibt sich für uns hin. Das letzte Wort hat die Liebe, selbst wenn man meint, dass alles schon verloren sei und die Zeiger unerbittlich auf die Mitternacht voranrücken - auf das letzte Stündlein. Das letzte Wort hat die Liebe - aber nicht als pastoraler Zuckerguß oder religiöse Dekoration des Alltags! Denn Gottes Liebe ist der Blut und Tränen getränkte Schmuck unserer Schmerzen, unserer Leiden, unserer harten Kanten. Gottes Liebe blüht denen, die sich verlaufen und verrannt haben, die im Gefängnishof des eigenen Ich sitzen, die ihre Rechenschaft und Rechtfertigung verloren haben. Gottes Liebe nimmt etwas auf sich - das Blut und die Tränen. Deshalb sind gerade die Schmerzen, die Leiden und die harten Kanten wie gemacht für Gottes Liebe. Gottes Liebe nimmt etwas auf sich und lässt sich auch von den größten Brocken nicht ablenken:

Denn ich bin gewiss, schreibt Paulus an seine Freunde, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Angst kann man haben in dieser Welt: vor der fließenden Zeit und Vergänglichkeit, vor den Herausforderungen der Flüchtlingsströme und des Klimawandels, vor der eigenen Frage nach Rechenschaft und Rechtfertigung, vor Bosheit und Gewalt auf allen Kontinenten. Angst kann man haben in dieser Welt. Doch eine ausgesprochene Heiden-Angst wäre fehl am Platz:

eine Heidenangst mit kruden Verschwörungs- oder Endzeittheorien; eine Heidenangst voller astrologischer Sternen- und Mondgläubigkeit; eine Heidenangst voller Monster, Kobolde und Fantasiefiguren, die durch die Fernsehkanäle und Kinofilme geistern; eine Heidenangst vor allem Fremden und vor anderen Hautfarben.

Eine buchstäbliche Heiden-Angst braucht niemand zu haben. Denn Gottes Liebe hat das letzte Wort. Die Liebe als das letzte Wort ist das große Plus vor der Klammer des Lebens. Das große Plus vor der Klammer entschärft die Kanten, stopft die Löcher und befreit das eigene Ich. Es sind nicht wir, die das alte Jahr runden. Es ist Gottes Plus vor der Klammer, das das Jahr rundet. Gottes Liebe zahlt die Rechnung.

Und mit einem Plus vor der Klammer des Lebens - mit Gottes großem Vorzeichen - können wir schon jetzt sagen: "Ende gut, alles gut!" Was für eine Aussicht! Obwohl das neue Jahr noch nicht begonnen hat, können wir schon jetzt sagen: "Ende gut, alles gut!" Denn das letzte Wort auch im neuen Jahr werden nicht wir oder andere haben. Das Letzte, was wir sehen und hören werden, wird die Liebe sein.

Perikope
31.12.2015
8,31-39

Predigt zu Römer 8,31b-39 von Christoph Hildebrandt-Ayasse

Predigt zu Römer 8,31b-39 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
8,31-39

Liebe Gemeinde,

dies sind genau sie richtigen Worte für das in wenige Stunden zu Ende gehende Jahr 2015. Ich bin gewiss, ich bin mir ganz sicher, schreibt der Apostel Paulus, dass nichts und niemand uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. Das am Ende des Jahres zu hören macht Mut.

Denn schauen wir zurück auf 2015, dann könnte man es unter die Überschrift „Verunsicherungen“ stellen. Viele Gewissheiten sind uns im Laufe des Jahres zerbröckelt. Gewiss, so dachten wir bisher, es gibt ein Flüchtlingsproblem; und das schon seit Jahren. Ja, es gibt einen Strom von Menschen, die vor Gewalt, Verfolgung und schierer Not Richtung Europa ziehen. Aber, so waren wir uns sicher, das ist ein Problem an Europas Außengrenzen, auf der italienischen Insel Lampedusa oder in Griechenland. Das könnten wir uns mit etwas Geld und guten Worten schon vom Leibe halten. Gewiss würde Europa da funktionieren; würden die Staaten der EU gemeinsam und solidarisch eine Lösung für den Mittelmeerraum finden.

Diese Gewissheit gibt es seit diesem Jahr nicht mehr. Nicht die, die Flüchtlinge von uns fern halten zu können; und nicht die, dass Europa sich als Gemeinschaft würde beweisen können.

Gewiss, so dachten wir: es gibt da einen schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien und Konflikte im Irak mit unsäglicher Gewalt und furchtbarem Morden und völlig unverständlichem Fanatismus und Fundamentalismus und Terrorismus. Aber das geschieht alles im gefühlten fernen Orient, dessen Regeln und Funktionieren man sowieso nicht versteht. Gewiss würde sich das dort irgendwie regeln, wenn Assad erst einmal weg wäre oder sonst wie.

Aber dann sahen wir 2015 auf einmal die Menschen. Nicht als ferne und fremde, sondern als solche, deren Leiden uns nahe ging. Und ihre Schicksale konnten uns nicht mehr gleichgültig lassen. Wir erfuhren von Syrisch-Orthodoxen Christen, von Griechisch-Orthodoxen, Melkitisch-Katholischen, Assyrischen Christen, Armenisch-Apostolischen, Syrisch-katholische, von Chaldäischen, katholischen und protestantische syrischen Christen, von Jesiden und auch von Schiiten und Sunniten die verfolgt, ermordet und vertrieben wurden.

Hatten wir Christenmenschen in unserem Land uns vor 2015 wirklich ernsthaft gefragt, wie es ihnen ergeht? Hatten wir uns ihnen als Schwestern und Brüder im Glauben an Jesus Christus vorher wirklich verbunden gefühlt? Oder waren wir uns unserer eigenen westeuropäischen, ja deutschen und reformatorischen Tradition so gewiss, dass wir sie nicht weiter beachtet haben?

Auch das ist eine Gewissheit, die 2015 ins Wanken geraten ist: wir sind uns evangelische Kirchengemeinden in Deutschland selbst genug. Das ist jetzt vielleicht etwas überzogen und eine ungerechtfertigte Kritik. Viele Kirchengemeinde setzen sich weltweit ein, spenden an Hilfswerke oder halten partnerschaftliche Kontakte zu anderen Christengemeinden in der Welt (- an dieser Stelle der Predigt können Beispiele aus der eigenen Gemeinde genannt werden-). Viele Gemeinden und Christenmenschen verstehen sich durchaus als Teil der weltweiten Kirche, als Schwestern und Brüder im Herrn.

Und doch: wir müssen bekennen, dass wir viel zu wenig den Worten des Apostels Paulus nachempfinden: „Und wenn ein Glied der (weltweiten Kirche) leidet, leiden alle Glieder mit.“ 1. Kor. 12, 26. Das zu Ende gehende Jahr 2015 da hat einiges, hoffentlich, geändert.

Und unser Wort aus der Heiligen Schrift zum heutigen Altjahresabend ändert da einiges. Hören wir es mit den Ohren eines bedrängten Christenmenschen in Syrien, im Irak, in Ägypten; auch mit den Ohren eines von islamistisch-palästinensischen und israelischen Fundamentalisten bedrängten arabischen Christen in Israel-Palästina und mit denen bedrängter Christen weltweit. Dann hören wir sie ganz anders, diese Worte aus dem Römerbrief. Viel direkter. Viel gewisser, nach einem Jahr 2015, in dem so viele Gewissheiten ins Wanken geraten sind.

Paulus weiß, wovon er mit diesen Hinweisen schreibt. Er hat es erlebt: Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr, Schwert. Erschütternd und erschreckend sein Zitat aus Ps. 42: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag“.

Und doch: ich bin gewiss, ich bin mir sicher, schreibt Paulus. Bei aller Ungewissheit, bei aller Unsicherheit: nichts und niemand kann mich trennen von der Liebe Gottes. Keine politischen Mächte und Machtspiele, keine Gewalttaten, nicht meine gegenwärtige Lebenssituation oder das, was 2016 auf mich zu kommt, keine ups and downs im persönlichen Lebenslauf.

Und auch keine Engel, sagt Paulus. Das mag zuerst verwundern, dass Paulus hier Engel erwähnt. Engel sind doch eigentlich Boten Gottes. Und wir kommen vom Heiligen Abend her mit den vielen Engeln. Ja, aber gerade weil wir von Weihnachten her kommen, wird deutlich, was Paulus meint, wenn er ausgerechnet hier Engel als Wesen erwähnt, das uns von Gott trennen kann.

Engel sind Boten Gottes. Ja. Aber 2015 hörten wir von diesen grausamen Menschen, die sich selber als Boten Gottes verstehen. Die meinen, dem Willen ihres Gottes zu folgen, so wie sie ihn verstehen, wenn sie andere bedrängen, vertreiben oder ermorden. Diese perversen Engel meint Paulus hier. Sie können Menschen von Gott trennen. Diese selbstgegründeten Fanatiker und Fundamentalisten. Sie behaupten, im Namen ihres Gottes zu handeln. Haben ihn aber nicht verstanden oder verspürt.

Die Botschaft des Engels Gottes auf dem Hirtenfeld in Bethlehem lautete aber: „Friede auf Erden“. Allein von dieser Botschaft des Weihnachtsengels kommen wir her. Mit dieser Friedensbotschaft und Friedenshoffnung, mit diesem Friedensauftrag gehen wir in das neue Jahr 2016.

Und deshalb: „Ich bin gewiss, das nichts und niemand uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.“ Warum? Warum ist Paulus sich da so gewiss, so sicher? Was lässt ihn mutig weiter gehen, von Jahr zu Jahr?

Und da müssen wir wieder bei der Krippe in Stall zu Bethlehem anfangen. Gott wird Mensch feierten wir an Weihnachten. Und er will uns Menschen nicht uns selbst überlassen. Sonst wären wir wirklich von allen guten Geistern verlassen. Gott verschont seinen Sohn nicht, einer von uns Menschen zu werden. Einer von den Christenmenschen in Syrien, im Irak, in Ägypten oder anderswo auf der Welt. Ja, und wir müssen das wirklich so verstehen lernen, einer von den Jesiden, Kurden, Schiiten, Sunniten oder einer anderen Menschengemeinschaft. Gott wird Mensch und nimmt das Menschenschicksal der Geschundenen, Verfolgten und Gemordeten auf sich.

Und jetzt dürfen wir mit Paulus der ganzen Heilsgeschichte folgen, die er kurz und knapp hier im Römerbrief entfaltet: von Weihnachten über Karfreitag, „er hat ihn für uns alle dahingegeben“; „der gestorben ist“, zum Ostertag Jesu: „der auch auferweckt ist“; und bis zu seiner Himmelfahrt: „der zur rechten Gottes ist“. Und: und das ist das Ziel der Heilsgeschichte, wie Paulus sie hier anführt: „der uns vertritt“. Der für das Leben eintritt vor Gott. Dafür, dass es anders werden kann.  Dafür, dass Menschen sich ändern können. Dafür, dass sie loswerden können, was sie belastet. Dafür, dass sie ihre Schuld ablegen können am Kreuz. Dafür, dass sie befreit und erlöst neu in die Zukunft gehen können.

Ich bin gewiss, da ist sich Paulus sicher; da sollte sich jeder Christenmensch sicher sein, von dieser Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, kann uns nichts und niemand trennen.

Dietrich Bonhoeffer, der von den Deutschen Nationalsozialisten verfolgte und ermordete evangelische Christ, hat diese Gewissheit: „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“ in dem eindrücklichen Gedicht so gefasst:

Von guten Mächten treu und still umgeben,
Behütet und getröstet wunderbar,
So will ich diese Tage mit euch leben
Und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
Noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach, Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
Das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Das Jahr 2015, das nun zu Ende geht, mag ein Jahr voller Verunsicherungen gewesen sein. Trotzdem: 2015 galt, was auch für 2016 gilt: Nichts und niemand kann uns trennen von der Liebe Gottes. Amen.

Perikope
31.12.2015
8,31-39

Predigt zu Römer 8,31b-39 von Gerda Altpeter

Predigt zu Römer 8,31b-39 von Gerda Altpeter
8,31-39

 

 

 

31b. Wenn Gott für uns ist,
wer ist gegen uns?
32. Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont,
sondern ihn für uns alle gegeben.
Wie könnte er uns nicht alles geben?
33. Wer beschuldigt die Auserwählten Gottes?
Gott, der Gerechte, verureilt niemanden.
34. Jesus Christus, der gestorben ist,
er tritt eifrig für uns ein.
Er ist zur Rechten Gottes.
Er tritt bittend für uns ein.
35. Wer trennt uns von der Liebe Christi?
Schikane oder Bedrängnis oder Verfolgung
oder Hunger oder Nacktheit
oder Gefahr oder Schwert?
36. Wie geschrieben steht:
„Wegen dir sterben wir den ganzen Tag.
Wir werden zu den über alle Massen'
geopferten Schafen gerechnet.“
37. Aber in allem siegen wir
durch den, der uns liebt.
38. Denn wir sind überzeugt,
dass weder Tot noch Leben,
weder Engel noch Herrschaften,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
39. weder Höhe noch Tiefe,
noch irgendeine Kraft
uns trennen kann von der Liebe Gottes
in Christus unserem Herrn.

Bestimmt Gott alles, was auf der Erde geschieht? Sind wir Menschen Marionetten in seiner Hand?

Wer ist er? Wer sind wir? Immer wieder höre ich:“Wie kann Gott das zulassen?“ „Wo kommt das Böse her?“ Wir quälen uns mit diesen Fragen herum wie Paulus.

Die Christen in Rom, an die Paulus schreibt, sind nur eine kleine Minderheit. Sie werden von den Heiden verachtet und von den Juden verfolgt. Sie ertragen um ihres Glaubens willen Leid und Schmerzen. Dieser Gruppe sagt Paulus, dass Gott mit ihnen ist. Er habe sie ausgesucht und erwählt als seine Kinder.

Er hat uns als seine Partner geschaffen. Wir entscheiden frei, ob wir nach seinem Willen leben wollen oder nach unserem eigenen Willen.

In einer Gerichtsverhandlung erhebt der Staatsanwalt die Anklage. Er berichtet alles, was die Schuld des Angeklagten erhärtet. In der Gerichtsverhandlung vor Gott ist der Teufel der Staatsanwalt. Er kennt alle bösen Gedanken und Handlungen jedes Menschen. Was kann der Mensch antworten? Er ist schuldig.

Bei jeder Gerichtsverhandlung wird dem Angeklagten ein Rechtsanwalt beigegeben, der ihn verteidigt. Er trägt alles vor was ihn entschuldigt. Im himmlischen Gericht ist Jesus unser Rechtsanwalt. Er sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. So wird der Rechtsfall zu unseren Gunsten entschieden. Der Richter spricht uns frei.

Als ich mit Schülerinnen und Schülern diese Fragen besprach meinte einer:“Ich sehe den Sinn meines Lebens darin eine Familie zu gründen, eine gute Arbeit zu finden und glücklich zu werden. Mit dem ewigen Leben kann ich nichts anfangen.“

Da antwortete eine Schülerin:“Weil ich das ewige Leben vor mir habe kann ich heute und hier mein Leben geniessen. Ich brauche keine Angst zu haben. Ich darf mich freuen an dem, was mir gerade begegnet.“

Stärker als alles Böse, das uns begegnet, ist Gottes Gabe in Jesus. Er hilft uns aus allem schwierigen

Geschehen heraus. Wir dürfen uns heute freuen über seinen Schutz. Wir sind in seiner Hand. Wir gehören zu den Kindern Gottes. Wir sind gerettet.

Amen.

Perikope
31.12.2015
8,31-39

Predigt zu Römer 1,1-7 von Eugen Manser

Predigt zu Römer 1,1-7 von Eugen Manser
1,1-7

Liebe Gemeinde,

Als ich einen 14jährigen fragte, worüber er zuletzt gestaunt habe, sagte er: Das letzte Mal habe er gestaunt, als bei ihm plötzlich von einem Jahr auf das andere die Aufregung, vor Weihnachten weg war. Die großen Erwartungen vor dem Fest, die Zeit der Kerzen und Geheimnisse, der Zauber über allem. Alles weg. Weihnachten entzaubert.

Ich sagte mir im Stillen: Willkommen im Kreis der nüchternen Erwachsenen, schade, wieder ein Kind weniger. Wieder ein nüchterner Erwachsener mehr!

Dass man auch ohne Zauber das ganze volle Weihnachten erleben kann, entdeckte ich beim Lesen der Schriften des Paulus.

Wir hören in dieser Christnacht den Anfang eines Briefes, den der Apostel Paulus von Korinth aus an die Christengemeinde in Rom schreibt. Er stellt sich der ihm noch fremden Gemeinde vor und lässt anklingen, wie er selbst sein Weihnachten erlebt hat:

Paulus, ein Diener Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes,
das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der heiligen Schrift,
von seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn.
Er war von Geburt ein Nachkomme des Königs David;
Durch die Erweckung vom Tod aber hat Gott ihn als den Sohn bestätigt,
dem er seine Kraft übertragen hat.
Durch ihn, Jesus Christus, unseren Herrn hat Gott mich in seiner Gnade zum Apostel für alle Völker gemacht, damit sie das Evangelium annehmen und an Jesus glauben.
Darum gilt mein Auftrag auch euch in Rom, euch, die ihr von Jesus Christus berufen seid.
Ihr seid von Gott geliebt, ihr seid berufen und ihr gehört zu seinem heiligen Volk.
Euch allen wünsche ich Gnade und Frieden von Gott unserem Vater und von Jesus Christus, unserem Herrn.

Kein Stall, keine Krippe. Weder Joseph noch Maria werden erwähnt, noch die  Engel und Hirten auf dem Feld. Kein Wort von den Weisen aus dem Morgenland oder gar der Jungfrauengeburt. Weihnachten entzaubert?

Paulus hat Jesus von Nazareth nicht persönlich gekannt wie die anderen Apostel.  Er erzählt von sich selbst, dass er sogar die Jesusanhänger verfolgt habe als einer der Eifrigsten.

Doch dann berichtet er von sich: Denn eins müsst ihr wissen, Geschwister:

Das Evangelium, das ich verkünde, ist nicht menschlichen Ursprungs. Ich habe diese Botschaft ja auch nicht von einem Menschen empfangen und wurde auch nicht von einem Menschen darin unterwiesen; nein, Jesus Christus selbst hat sie mir offenbart.(Gal.1,12)

So also hat Paulus Weihnachten erlebt. Mitten in sein Leben hinein, als er am wenigsten damit rechnete, wurde Jesus, der Mensch Gottes, in ihm geboren und hat sein ganzes weiteres Leben erfüllt. Kreuz und quer zog er durch die römischen Provinzen um Menschen dazu zu verlocken, auch die Geburt Gottes in sich zuzulassen, damit sie ganze Menschen werden.

Hinter all den Bildern und Geschichten, die wir üblicherweise mit Weihnachten verbinden, dem Stall, der Krippe, dem Stern, den Hirten auf dem Felde, dem obdachlosen Paar Joseph und Maria, Bilder und Geschichten, die wir oft bis zur Unkenntlichkeit verkitscht haben, steht eine Wahrheit, die so einfach wie überwältigend ist: Die letzte Wirklichkeit, die Ewigkeit, die Quelle des Lebens geht mit uns Menschen eine LEBENSGEMEINSCHAFT ein.

Deshalb feiern wir Weihnachten: Gott wohnt mit uns zusammen. Er freut sich mit uns, er leidet mit uns. Er streitet sich mit uns, er versöhnt sich mit uns. Er trauert mit uns und er jubelt mit uns. Aber weil es Gott ist, der uns nicht nur besucht in kurzen heiligen Momenten, sondern mit uns zusammenlebt, bekommt unser Leben einen neuen Glanz. Oder wie es eine Weihnachtsliedstrophe singt: Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein’ neuen Schein, es leucht wohl mitten in der Nacht und uns des Lichters Kinder macht.

Zu manchen Zeiten ist uns diese Lebensgemeinschaft mit Gott ganz fremd. Wir kommen sozusagen aus der Gefangenschaft des Alleinlebens, des Single- Daseins nicht heraus. Müssen uns selbst durch Aktivität in Bewegung halten, um uns auf diese Weise vorzumachen, dass wir lebendig sind. Das Leben aber scheint  jenseits der Aktivität zu liegen. Denn alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher. Das Ziel ist etwas vom Leben zu haben. Haben wir aber das Gefühl, einen Fortschritt erreicht zu haben, dann suchen wir weiter. Offensichtlich sind wir auf einem Weg ohne erreichbares Ziel. Wir laufen, weil sie Angst vor der Ruhe haben. Stillstand ist angeblich Rückschritt. Es muss etwas los sein in unserem Leben, doch dieses „Los-sein“ verwechseln wir offensichtlich mit dem Leben. Denn es ist ein Leben, das nur in sich selbst kurvt und dazu noch von der Angst vor dem Ende beherrscht wird. Deshalb müssen wir  die Jahre, die ihnen gegeben sind, unter erheblichen Zeitdruck genießen. Denn die Ewigkeit, aus der wir gekommen sind und in die wir zurück gehen, scheint uns wenig attraktiv, leer und tot und deshalb eher bedrohlich.

C.G. Jung herrschte deshalb einmal eine Patientin an: „Was, Sie glauben nicht an Gott und die Ewigkeit?! Kein Wunder, dass Ihr Seelenleben so atrophisch (ausgezehrt, abgemagert) ist!“

Was können wir aber machen, dass das Ewige auch bei uns einzieht, damit es uns nicht geht wie dieser Frau mit ihrem abgemagerten Seelenleben?

Ich fürchte, machen können wir da gar nichts. Wir tun und machen uns ja jetzt schon zu Tode. Machen, Macher sein, das ist das alte Leben als Single ohne Lebensgemeinschaft mit Gott.

Es geht anders mit Weihnachten. Paul Gerhardt gibt einen guten Rat in seinem Adventslied Wie soll ich dich empfangen. Die siebente Strophe lautet: Ihr dürft euch nicht bemühen noch sorgen Tag und Nacht, wie ihr ihn wollet ziehen mit eures Armes Macht. Er kommt, er kommt mit Willen, ist voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die Euch an ihm bewusst.

Ihr dürft euch nicht bemühen…Das fällt uns so ziemlich am allerschwersten!

Mit unserem Machen, Tun, mit unseren Zerstreuungen und Genussphasen machen wir unser Leben dicht, unzugänglich aber eben auch unberührbar.

Wie geht das Nicht- bemühen?

In dem Buch Oskar und die Dame in Rosa empfiehlt eine alte Frau, die sich um Oskar, einen krebskranken Jungen kümmert diesem, doch Briefe an Gott zu schreiben, in denen er ihm alle seine Sorgen und Nöte mitteilt. Oskar ist empört: Jetzt fangen Sie nicht auch noch mit Gott an! Ich bin damals schon mit dem Weihnachtsmann reingefallen. Gott gibt es nicht! Ich glaube nicht an Gott! Darauf erwidert sie: Denke an ihn! Je mehr du an ihn denkst, umso mehr wird es ihn für dich geben. Und er wird dich besuchen.   

Oskar hat den Rat von Oma Rosa befolgt und Gott hat ihn besucht.

Er konnte in Frieden sterben, weil seine neu gewonnene Lebensgemeinschaft mit Gott blieb.

Weihnachten. Gott geht mit uns eine Lebensgemeinschaft ein. Für Oskar war es ein lebendiger Briefwechsel, für uns sind es vielleicht Gedanken, Gespräche mit ihm. Wir werden es spüren, er wohnt nah hinterm Zaun. Mit ihm ist gut Nachbarschaft halten. Es tut gut, wenn ich darauf vertrauen kann, dass der Ewige in der Nähe wohnt. Wir können uns austauschen, wir können uns auch streiten. Am Wichtigsten ist doch: Ich bin nicht mehr allein in meinem Menschen – Single – Schneckenhaus. Gott hat mit mir eine Lebensgemeinschaft gegründet.

Wie beendet Paulus seinen Gruß an die römische Gemeinde?

Ihr seid von Gott geliebt, ihr seid berufen und gehört zu seinem heiligen Volk.

Euch allen wünsche ich Gnade und Frieden von Gott unserem Vater und von Jesus Christus unserem Herrn!

Weihnachten ohne Zauber und doch zauberhaft. Gott besucht uns in unseren Gedanken und also auch in unseren Häusern.

Und wenn’s nach ihm geht, so möchte er auch wohnen bleiben.

 

Perikope
24.12.2015
1,1-7

Predigt zu Römer 1,1-7 von Jochen Riepe

‚Paulus , ein Sklave des Christus Jesus , berufen zum Apostel , ausgesondert das Evangelium zu predigen … an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom : Gnade sei mit euch und Friede von Gott , unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

I

‚… an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom…‘  Ja, manchmal reicht es , den Namen einer Stadt zu nennen , um sogleich mitten in der  Christnacht anzukommen. Rom. Ewige Stadt. Just zu dieser Stunde Mitternachtsmesse in St. Peter. Das Herz des Schülers schlug höher , als der Lehrer im Geschichtsunterricht  von der Kaiserkrönung Karls des Großen erzählte : im Jahre 800… zu Weihnachten in Rom . Ein Reisender unserer Zeit schreibt : ‚Welche Freude , als ich den Petersplatz und die Krippe sah. Als ich mich dann aber zum Petersdom drehte , standen mir die Tränen in den Augen.‘

II

Weihnachten in Rom. Kaiserlicher Glanz , ja, ein geradezu überirdisches Leuchten. Historisch wissen wir nicht viel über die römische Gemeinde zur Zeit des Apostels Paulus , auch nicht darüber , was Paulus selbst wußte oder von ihrem ‚Innenleben‘ , ihren Parteien oder Konflikten ,  erahnte. Auffällig am Eingang des Römerbriefes  ist aber schon : Paulus nennt sich gleich zu Anfang , also herausgehoben , dem Leser ins Auge springend , ein ‚Sklave Jesu Christi‘. Er stellt sich seinen Adressaten , den ‚berufenen Heiligen in Rom‘ ,  wohl demütig , aber gleichsam markant-demütig vor , und diese Selbstvorstellung  hat seine Leser gewiß aufhorchen , wenn nicht : aufschrecken lassen . ‚Sklave‘ – mit dem Wort allein ist ja schon die Kehrseite oder der ‚Untergrund‘ der Ewigen Stadt angedeutet.  Ein Briefeingang – das wissen wir , sofern wir noch Briefe schreiben – sollte höflich verfaßt sein , Nähe und Distanz  gekonnt auspendeln , aber so wahr Paulus dies weiß , er will auch ehrlich sein.

III

Paulus, ein Sklave Jesu Christi…‘  - Wie kommt der Apostel zu solcher ‚Selbsterniedrigung‘  – er, der doch selbst das römische Bürgerrecht besaß und das wohl auch nicht ohne Stolz. In dieser Stunde mögen wir schnell an das Bild vom Kind im Stall , das Urbild der Demut,  denken , an die arme Heilige Familie, die kein Obdach fand, aber Paulus geht einen anderen Weg. Er lobt dieses Kind , seinen ‚Herrn Jesus Christus‘ , geradezu in den Himmel . In den irdischen Himmel einer königlichen Herkunft : ‚geboren aus dem Geschlecht Davids‘ , und in den himmlischen Himmel : ‚nach dem Geist, der heiligt‘,  wurde der Christus durch die Auferstehung  ‚als Sohn Gottes in Kraft‘ eingesetzt . Paulus , der Knecht , der ‚Gefangene‘ (Phl 9) , hat einen sehr besonderen Herrn . ‚Sklave Jesu Christi‘ – ‚in diesen Worten liegt zugleich Hoheit und Demut‘.* Der Diener Jesu ist kein stummer Befehlsempfänger , sein Gehorsam gründet in einer Berufung und Erhebung. Selbstbewußt und offen darf er  den Gruß des Friedens entbieten .

IV

Man weiß nicht sicher, ob in Rom das erste Weihnachtsfest der Christenheit gefeiert wurde, aber : ‚Weihnachten in Rom‘, das ist mehr als ein Reiseslogan, das kann für Christen aller Konfessionen Hochgefühle wecken. Der Rom-Reisende,  von dessen Freudetränen in der Christnacht angesichts des überirdischen Glanzes der Ewigen Stadt   ich eben sprach,  er schildert allerdings auch ganz weltliche Eindrücke. Bevor er St. Peter betreten darf, muß er wie alle Gottesdienstbesucher sich kontrollieren lassen …auf mitgebrachte Waffen … Wo Licht ist , ist auch Schatten. Das ist ja soz. die Kehrseite des Kaiserlich-Königlichen : Die Gewalt. Die Angst. Wo Macht , auch die Macht , die sich von Gott herleitet, sich zeigt oder  demonstriert  und inszeniert wird , wo eine jahrtausendalte Geschichte der Verbindung von geistlicher und politischer Macht buchstäblich zelebriert wird, da rumort auch immer die  Gegenmacht , der Schrei der Unterdrückten : Rebellion, Haß , Wahn . Wie wir in diesen Tagen immer wieder hören : Keiner ist sicher vor dem Terror.

V

Was will Paulus, der Briefschreiber ,  mit seinem Brief ? Er , der Sklave Jesu Christi. Die Schriftausleger machen verschiedene Vorschläge : Paulus will sich den römischen Christen bekannt machen , um sie bald auf seiner Reise nach Spanien zu besuchen. Er will die Parteien in der Gemeinde aussöhnen. Er will die Christen dort an die bleibende Verbindung mit dem Gottesvolk Israel erinnern. Dies alles aber wird gleichsam grundiert  von dem Willen, den ‚Glanz des Sklaven‘ , so etwas Skandalöses und Wunderbares  wie den Titel ‚Sklave Jesu Christi‘ , das Ineinander von Hoheit und Demut  , von Gehorsam und Erhebung , nach Rom  zu bringen .  Eine Stadt, die nicht lebensfähig gewesen wäre ohne ein Heer von Arbeitssklaven , ohne ein System der Unterdrückung, das vielleicht eines der   ‚repressivsten … gewalttätigsten‘ der Geschichte (C .J. Martin ) war. In diese Welt  hinein verkündet einer : Wir sind die Sklaven des höchsten Herrn , des Herrn , der die ‚Barmherzigkeit Gottes‘ (Röm 12,1) in ‚brüderlicher Liebe‘ gelebt hat . Im Schlußteil des Römerbriefes (Röm 12,6) heißt es  entsprechend: ‚Trachtet nicht nach den hohen Dingen und haltet euch zu den geringen‘. Hatte sich die römische Gemeinde täuschen lassen  vom Glanz des Kaisers und war dem menschlich-allzumenschlichen Ehrgeiz erlegen , in die höheren Kreise aufzusteigen oder sich wenigstens an ihnen zu orientieren ?

VI

Das Kind im Stall  , das Geheimnis der Menschwerdung Gottes, wird damit vom Apostel auf eigenwillige Weise bezeugt. Er weiß vom hohen Christus , vom himmlischen Herrn, aber die, die diesem Herrn folgen, die Brüder und Schwestern des Sohnes , sind gleichsam ‚ausgesondert‘ , wörtlich :  ‚herausgeschnitten‘ aus den Spielen , Intrigen , Wertordnungen der Herrschenden . Den Römern war der Sklave – ein Objekt , bloßer Gegenstand eines herrschaftlichen Willens , seinen Befehlen und Verfügungen und Erlassen untertan … Befehl und Gehorsam. Ein Wille , der bestimmt. Ein Wille , der folgt. Schimmern hier nicht der Weg nach Bethlehem und der  armselige Stall durch , in den der höchste Herr , er , der Sohn , der ‚Bruder aller Versklavten‘(Phl 15f) sich begeben hat ? Sich begeben mußte?

VII

Brief nach Rom. Weihnachtsbrief ‚urbi et  - orbi‘. Mitternachtsmesse zu dieser Stunde. Hohe Liturgie. Prachtvolle Gewänder. Der Papst hat die Heilige Pforte  zum ‚Heiligen Jahr‘ geöffnet , der Zeit der Barmherzigkeit ist ausgerufen . Zeichen hat er  gegeben , daß auch er als Sklave seines Herrn und nicht als Sklave der Vatikan-Bank  oder anderer Machtansprüche , und seien es die der eigenen Eitelkeit , unterwegs sein will . Daß auch er nicht ‚wandelt in großen Dingen , die zu hoch sind‘ (Ps 131,1), sondern  -hoch erhoben durch das Kind -  sich zum Kinde herabbeugt , das Dank kaiserlich-römischen Erlasses in dieser Stunde in  - Bethlehem geboren wird.

‚Gnade sei mit euch und Friede von Gott , unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus‘. Eine frohe und gesegnete Christzeit.

*Martin Luther, Vorlesung über den Römerbrief 1515/16 (MA Ergänzungsreihe Bd. 2, 1965, S. 14)

 

Perikope
24.12.2015
1,1-7

Predigt zu Römer 1,1-7 von Gabriele Arnold

Liebe Gemeinde

An Weihnachten hat die Post Hochkonjunktur. Niemals sonst im Jahr  werden so viele Briefe geschrieben, verschickt und gelesen. Und dann steht man im Flur und macht all die viele Weihnachtspost auf. Der Klavierstimmer wünscht klingende Weihnachten, der Elektriker besinnliche Tage in mildem Licht, der Heizungsbauer wünscht wohlige Feiertage. Neben all den Grußkarten von Banken, Versicherungen und Hinz und Kunz gibt es immer wieder auch echte Briefe, in denen viel Liebe drin steckt. Persönliche Gefühle und Geschichten vom letzten Jahr und Wünsche, die zeigen, dass der Briefschreiber weiß, was ich brauche. Briefe mit Herzblut. Worte, die sagen: Ich denk an Dich, ich mag dich, ich hab dich lieb, du bist mir wichtig.

Mit dieser Weihnachtpost zeigen wir uns, wie gut es ist, dass wir einander haben. Und so gesehen sollte eigentlich immer Weihnachten sein. Aber es ist eben nur einmal im Jahr: das Fest des Liebhabens. Weil es um die Liebe geht, ist Weihnachten auch nicht tot zu kriegen. Weihnachten können wir nicht absagen und ausfallen lassen und selbst wer nach Dubai flüchtet wird auch dort Weihnachtsspuren finden. Man kann ja auch die Liebe nicht abschaffen und man kann auch vor der Liebe nicht davon laufen, wenn sie einen begegnet und das Leben verwandelt.

Wir haben heute alle auch einen Weihnachtsliebesbrief bekommen. Einen mit einer guten Nachricht. Auch wenn der Brief bald zweitausend Jahre alt ist und zuerst an ein paar Frauen und Männer in Rom geschrieben war, so gilt er doch auch uns. Paulus hat diesen Brief geschrieben.  Paulus, der zuerst ein glühender Verfolger derer war, die sich um Jesus scharten und dann sein eifrigster Bekenner, einer für den Jesus die Liebe, die Bestimmung seines Lebens wurde, der die Straßen  ablief, die Meere befuhr und sich aufmachte bis nach Rom, dem Zentrum der damaligen Welt.  Und das weil er aller Welt verkünden wollte, wer dieser Jesus ist, dessen Geburt wir heute feiern und was die Welt von ihm haben wird.

Römer 1,1-7 in der Übersetzung der Guten Nachricht

Diesen Brief schreibt Paulus, der Jesus Christus dient, zum Apostel berufen und dazu erwählt, Gottes Gute Nachricht bekannt zu machen.  Diese Gute Nachricht hat Gott durch seine Propheten in den Heiligen Schriften schon lange angekündigt.  Es ist die Botschaft von seinem Sohn, Jesus Christus, unserem Herrn. Als Mensch geboren, ist er ein Nachkomme des Königs David. Durch die Kraft des Heiligen Geistes als Erster vom Tod erweckt, ist ihm die Macht übertragen, die ihm als Sohn Gottes zusteht. Er hat mich bevollmächtigt, sein Apostel zu sein. Mein Auftrag ist es, zur Ehre seines Namens Menschen aus allen Völkern dafür zu gewinnen, dass sie sich Gott im Gehorsam unterstellen und ihm vertrauen. Zu ihnen gehört auch ihr. Denn Gott hat euch in die Gemeinschaft mit Jesus Christus berufen.

Dieser Brief ist für alle in Rom, die Gott liebt und dazu berufen hat, ihm als sein heiliges Volk zu gehören. Gnade und Frieden sei mit euch von Gott, unserem Vater, und von Jesus Christus, dem Herrn!

Da ist also alles zusammengefasst ist, was von Jesus, von Gott und damit von Weihnachten zu sagen ist. In diesen wenigen trockenen Briefzeilen ist alles eingepackt, was wir auspacken können, damit es in unseren Herzen wirklich Weihnachten wird, auch und gerade bei denen, die heute Abend gar nicht festlich gestimmt sind, sondern traurig, einsam oder verbittert. Hier ist alles eingepackt, was Gott uns zu schenken hat, was in unsere Herzenskrippe heute Abend hineingelegt gehört.

Es geht um eine gute Nachricht. Ja es geht um die zentrale gute Nachricht, um die einzig wirklich wichtige Nachricht. Gott kommt zu uns. Und das hat er schon immer vor gehabt. Immer schon hat er diesen Plan im Herzen getragen. Zu uns zu kommen. Und weil man nicht besser zu uns Menschen kommen kann denn als einer von uns, hat Gott den tollkühnen Plan gefasst selber Mensch zu werden. Und so wird er Mensch. Wird geboren wie wir alle auch. Legt sich in die Arme einer Mutter und eines Vaters. Und wird so von Gott als Sohn eingesetzt.

Paulus weiß nichts von einer wundersamen Geburt, aber er weiß das dieser Jesus Mensch ist ganz und gar und  zugleich Gottes Sohn. Gott hat eine ganz eigene besondere Beziehung zu diesem Jesus. Da passt  kein Blatt zwischen Gott und Jesus und so in diesem Sinne ist er Gottes Sohn, Gottes Kind.

Das ist die gute Nachricht. Gott kommt selber in seinem Sohn. Gott liegt in der Krippe. Gott geht in diesem Sohn durch die Welt. Wer den Sohn hört, hört den Vater. Und Gott kommt nicht in gute Zeiten, sondern in schlechte Zeiten. Damals wie heute. Das Leben von Jesus war kein Leben der Schönen und Reichen. Kein Jet Set, keine Bilder für Gala. Das Leben von Jesus, von Gott in ihm war das Leben an der Seite der normalen Leute. Das Leben von Menschen im Jammertal. Wenn wir Jesus sehen auf seinen Wegen im Jammertal zu den Menschen, dann sehen wir Gott. Dann sehen wir, wo Gott ist. Bei den Blinden und Lahmen, bei denen die nicht glauben können, bei denen, denen das Unrecht der Welt das Herz zerreißt.  Bei uns also. Bei uns zerrissenen fried - und freudlosen Gesellen, bei uns, die wir das Schöne nicht sehen und unser Füße nicht auf den Weg des Friedens richten können. Bei uns, die wir so leiden an dem Elend der Welt, dem Krieg, dem Hass, der Folter oder leiden  an unserem eigenen Elend ist Gott. Und uns, uns allen, allen, allen wird die gute Nachricht verkündigt, dass Gott nicht mehr fern ist.  Gott selbst ist es der von der Krippe, diesem Wiegenplatz armer Leute ans Kreuz geht, dem Hinrichtungsplatz für die Verdammten dieser Erde. Gott selbst gibt sich in den Tod. Und deshalb muss niemand mehr allein durch die dunkle Todesnacht, ist niemand mehr allein im Tal der Tränen. Selbst die tiefste Angst und die bitterste Schuld kann Gott nicht schrecken. Er ist durch alles hindurch gegangen, durch alles, was uns armen Menschenkindern begegnen kann. Er ist hindurch gegangen und deshalb an unserer Seite, ja uns stets einen Schritt voraus. Immer schon wartet er auf uns, immer schon ist er da und fängt uns auf. Alles ist ihm vertraut, alles ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Ja,  er hat das Dunkel schon besiegt. Die Auferstehung des Kindleins, dessen Geburt wir feiern und um dessen Tod wir wissen kündet davon, wer nun in Wahrheit der Herrscher der Welt ist. Nicht der Tod, nicht das Dunkel, sondern Gott, das Leben, das Licht. Das ist die gute Nachricht. Das ist, was uns trägt nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen.

Und was bleibt uns dann zu tun?

Nicht viel, liebe Gemeinde. Nur das eine: Gott zu vertrauen, Gott zu glauben. Und deswegen ist Paulus unterwegs. Deswegen lesen wir bis heute seinen Brief auch in dieser Nacht. Damit wir glauben. Nehmt den Glauben an, darum bittet uns Paulus. Vertraut Gott.

Glauben. Glauben das meint nicht für wahr halten. Wir glauben nicht an die Bibel und nicht an das Glaubensbekenntnis. Wir müssen nichts bekennen als nur, dass wir Gott vertrauen. Das Leben der Welt, das Lieben, das Geboren werden und das Sterben, es liegt nicht in unserer Hand. Das alles ist in Gottes Hand. Und auch unser Leben liegt in Gottes Hand. In seiner Hand liegen all die vielen und kleinen Entscheidungen, die Sorgen und das Glück, das Weinen und das Lieben, das Lachen und das Fluchen. Wir haben die Wahl. Entweder wir meinen alles hängt an uns oder wir glauben, dass alles an Gott hängt, dass wir an Gott hängen. Wenn wir so vermessen sind zu glauben, dass unser Leben an uns hängt, dass wir unseres Glückes Schmied sind, dann sind wir belastete und gedrückte Menschen. Wenn wir aber Gott vertrauen, ihm unser Leben überlassen, dann kann unser Leben frei und wundersam leicht werden.

Dann können wir leben und lieben, lachen und weinen, können scheitern und fallen und wieder aufstehen und sind wunderbar getröstet und seltsam von uns entlastet. Denn ich muss mich nicht selber halten und tragen. Gott hält mich. Und in dieser Gewissheit wagen wir das Leben und versuchen das Richtige zu tun und in den Spuren des Kindes aus Bethlehem zu leben. Denn das freilich gehört zum Glauben, sich darauf zu verlassen, dass das was das Kind bringt gut ist für die Welt. Wer das Kind in der Krippe im Herzen trägt, muss sich empören über Terror und Gewalt. Wer das Kind im Herzen trägt, muss kämpfen gegen Hunger und soziale Kälte. Wer das Kind im Herzen trägt, muss sich kümmern um Flüchtlinge und Arme und denen die Stirn bieten, die Deutschland den Deutschen skandieren. Und damit meinen sie seien das Volk. Wer das Kind im Herzen trägt, kann nicht immer mehr wollen und alles nur für sich. Das Kind im Herzen öffnet unser Herz für die am Rand, die im Dunkeln, die im Schatten des Todes. Und das kann und muss zuweilen sehr politisch und sehr handfest sein. Aber das wissen Sie ja selbst am besten, denn sonst wären Sie  heute Abend nicht hier, sondern würden sich  mit „süßer die Glocken nie klingen“ unter dem Christbaum begnügen und mit den Lebkuchen, der Gans und dem Champagner und auf die nächsten Brigitte Diät warten.

Aber es geht um mehr. Es geht um die Gute Nachricht. Um die Gute Nachricht dass Gott hier ist. Dass er uns und diese Welt nicht vergessen hat und sie nicht denen überlässt, die nur an sich selber denken oder gar nichts anderes im Sinn haben als Terror, Haß und Gewalt. Und deswegen ist Gnade  mit uns und Frieden von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus. Was für ein passender Schluss für den Weihnachtsbrief.

 

Perikope
24.12.2015
1,1-7

Predigt zu Römer 13,8-14 von Stefan Henrich

Predigt zu Römer 13,8-14 von Stefan Henrich
13,8-14

8 Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«

10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. 11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. 13 Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; 14 sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.

Liebe Gemeinde,

als ich die Worte des Paulus vor Tagen im kleinen Kreis vorlas und sagte, dass das nun der Predigttext für den ersten Adventssonntag sei, da war erst einmal verblüfftes Schweigen im Raum.

Die Worte klangen gewaltig nach in der Stille, vor allem die vom Fressen und Saufen, die von der Unzucht und der Eifersucht. Der gegenläufige Appell „Zieht an den Herrn Jesus Christus, dass ihr nicht den Begierden verfallt“ und die Worte von der Liebe hatten es schwer dagegen anzukommen. Nach der Verblüffung dann eine erste Reaktion, eine aus der Runde sagte: „Ist Paulus ein Spaßverderber oder hätte er heute vielleicht was zur Terrorangst auf Weihnachtsmärkten gesagt?“

Was als Kern dieser Äußerung auch rüberkam, war im nachfolgenden Gespräch dann das: Paulus vermag in seinen Worten die Wirklichkeit der Welt ungeheuer scharf zu treffen und gleichzeitig stellt er diese Welt in das Licht einer besseren Möglichkeit. „Nein“, sagte eine, „Paulus schürt keine Angst, Paulus entfacht Liebe. Er weiß aber auch um die Fallstricke derselben und deshalb redet er nicht vordergründigem Spaß das Wort sondern wirbt für tiefe Freude.“ Paulus spricht die Menschen dabei direkt an, er erinnert sie an ihre Verantwortung für ein wohlgefälliges Leben und weitet dabei den Blick über die eigene Verantwortung hinaus zum Grund unseres Heils. Das hat er in Jesus Christus gefunden, daran lässt er uns teilhaben. Überaus konkret und anschaulich geht Paulus dabei vor. Ich werde gleich versuchen mich seinen Worten zu nähern.

Zuvor aber dies: Wir feiern heute den ersten Advent, ein neues Kirchenjahr hat begonnen. Das Dunkel der Zeit wird durchbrochen vom Licht der ersten Kerze am Adventskranz. Draußen sind Märkte und Gassen vielfach erleuchtet von Tannenbaumgirlanden, Schwibbögen und blinkenden Weihnachtsmannmützen. Die Sehnsucht nach Licht und unbeschwerter Freude ist groß, Schnupfennasen wittern Zimtsterndüfte. Wir in den Kirchen lassen es ruhig angehen, im Zeittakt der vier Adventssonntage mit ihren je eigenen Texten und Liedern bereiten wir uns vor. Langsam, stetig sich steigernd dringt die Nacht vor, die Erwartung kommt wartend, Gott kommt nicht laut zur Welt sondern leise. Für dieses neue Kirchenjahr sind uns Texte aus den Briefen des Neuen Testamentes als Predigtaufgabe gestellt. Da ist manch harte Nuss dabei, die zu knacken sich überaus lohnt, weil unter der harten Schale auch des intellektuellen Zugangs sich nahrhafte Frucht für das ganze Leben verbirgt. Also, auch wenn zuweilen schon das Zuhören schwieriger ist als bei den vertrauten Jesusgeschichten aus den Evangelien des letzten Predigtjahres, lohnt sich die Mühe und wenn ich wirklich nichts verstehe, darf ich auch aufstöhnen und sagen, dass das so ist.

Heute legt der Text eine verwirrend schöne Spur ins neue christliche Jahr hinein. Grundsätzlich, fast wie mit einem guten Neujahrsvorsatz hebt Paulus an mit dem Aufruf zur Liebe als des Gesetzes Erfüllung, er legt guten Grund ehe er konkretisierend im offensichtlichen Alltag der Gemeinde landet. Ich fange mit dem letzten an, zäume das Pferd vom Schwanz her auf:

Laßt uns ehrbar leben, sorgt für den Leib, haltet an euch beim Fressen und Saufen (er sagt wirklich Fressen und Saufen...), dazu dann: Enthaltet euch der Unzucht und Ausschweifung, hadert nicht und seid nicht eifersüchtig.

Paulus scheint mit diesen drastischen Worten für ein Fitness- und Wellnessprogramm zu werben, das Körper und Seele gleichermaßen  im Blick behält. Das verblüffende ist, dass Paulus zu seiner Zeit offensichtlich wirklich nächtliche Exzesse vor Augen hat, die keinem gut tun. Man könnte fast meinen, Paulus sei auf einer heutigen Weihnachtsfeier gewesen, die völlig aus den Fugen geriet. Erst fettes Essen und dann zuviel süßer Punsch, was dann passierte, weiß keiner mehr so genau, nur der Ärger zuhaus und die Kopfschmerzen sind real.

Paulus gibt angesichts solcher oder ähnlicher Auswüchse gute Tipps:  Mach alles so, dass es das aufdeckende Licht des Tages vertragen kann, und mit einem uns eher fremden Bild fährt er dann fort: „Zieh an den Herrn Jesus Christus.“ Paulus meint damit doch, dass wir allezeit Jesu Geist in unserem Leben Raum geben, damit wir in seiner Nachfolge das Heilvolle vom Unheilvollen unterscheiden lernen und uns nach dem Heilvollen ausrichten. Das Urdatum eines jeden Christenlebens blitzt auf: die Taufe und dass da früher die Erwachsenen in dunkler Nacht reingekrochen sind in tiefe Wasserbecken, nachdem sie die Grundbegriffe des Glaubens durchbuchstabiert hatten. Und dann tauchten sie aus dem Wasser wie neugeboren auf, legten weiße Gewänder an, zeigten nach außen hin, ich bin Christ, Lichtgestalt, weil geliebt. Die Werke der Finsternis will ich nicht tun, das Dunkle soll keine Macht an mir haben. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. Während hier noch Dunkelheit und Nachtschatten sind, leuchten dort schon Licht und Herrlichkeit. Die Sonne geht auf, raus geht es ins Leben des anbrechenden Tages, jeden Morgen neu darfst du Lebenskräfte schöpfen, wenn du aufstehst vom Schlaf.

Liebe Gemeinde, Paulus schlägt einen weiteren Bogen, er stellt in all seinen Gedanken und Konkretionen die Liebe als das Maß einer menschenfreundlichen Christenheit vor Augen. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Bösen, wer in der Liebe lebt, hat die Gebote erfüllt, wer aus der Liebe heraus handelt, macht nichts falsch. Schöne Worte und gute Handlungsanweisungen sind das und doch erleben und erleiden so viele dann doch, dass sie an der Liebe scheitern. Blitzschnell schieben sich Egoismen und Aggressionen darein, blitzschnell erleben wir, was Paulus wortwörtlich benennt, dass Streit etwa oder  Eifersucht auf die Liebe eindreschen und sie kaputt machen. Seid niemanden etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt. So einfach gesagt, so schwer erfüllt; Liebe, ein einfaches Wort und eine schön-schwierige Tat.

Zum Schluss: Der Dichter Kurt Marti hat die Schwierigkeit des „ Niemandem etwas schuldig zu sein, außer dass ihr euch untereinander liebt“ umgedreht in einem kleinen meisterhaften Gedicht, indem er einen weiten Horizont jenseits des je eigenen Versagens öffnet  Kurt Marti sagt, fragt und dichtet:

Manchen bin ich einiges,
einigen bin ich vieles schuldig geblieben.
Und die Zeit läuft davon.

 
Wessen Liebe kann das noch gut machen?
Die meine nicht.
Nein, die meine nicht.

Und der Friede Gottes, der höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsere Herze und Sinne in Christus Jesus. Amen

Perikope
29.11.2015
13,8-14

Predigt zu Römer 13,8-12 von Michael Rambow

Predigt zu Römer 13,8-12 von Michael Rambow
13,8-12

Liebe Gemeinde!

„Von ihnen als Christ hätte ich so etwas überhaupt nicht erwartet“. Der Satz markiert gewissermaßen den Super-Gau jedes Christenlebens. Schließlich kommt es doch darauf an, grenzenlose Liebe zu demonstrieren gerade als Christen.
„Von ihnen als Christ hätte ich so etwas überhaupt nicht erwartet“. Da tritt der Störfall im Selbstbild ein. Da zuckt man innerlich zusammen. Wenn schon die Nächsten so enttäuscht sind, was mag erst der liebe Gott von mir denken?
Haben sie so etwas noch nie erlebt?

Mit diesem Störfall im Christenleben hat es Paulus heute zu tun. Seht bloß zu, dass ihr niemandem etwas schuldig bleibt, vor allem nicht die nötige Liebe. Enttäuscht um Himmels willen nicht eure Nächsten. Werdet den Ansprüchen gerecht, die Gottes Gesetz fordert.
Denn eine neue Zeit steht bevor und sie stellt neue Anforderungen an das Leben. Nicht mehr lange, dann erfüllt sich die Hoffnung auf eine ganz neue Zeit. Das ist die Botschaft zum 1. Advent. Willkommen also im Warteraum auf Gottes Zukunft.

Im Advent packt Menschen mehr als sonst im Jahr eine sehnsüchtige Stimmung. Uns Deutschen bescheinigte ein französischer Philosoph eine Harmoniesehnsucht. Und irgendwo las ich sogar vom ‚klebrigen Einlullen in scheinbaren Frieden‘.
Liebe als Gegengewicht in schwierigen Zeiten. Wärmende Herzlichkeit gegen soziale Spannungen. Ehrenamtlicher Einsatz gegen das Böse, das auch 2015 entgegen allen Schwüren viel stärker geworden ist. Schaffen wir das?
Advent ist ohne Frage eine schwierige und schöne Zeit. Ich freue mich jedes Jahr auf Lichter, Stimmung, Besinnung. Sie ist notwändig für das Leben. Die Seele stellt sich dem eigenen inneren Bedürfnis: Hinter allem Gerenne und Aktionismus hast du insgeheim dauernd innere Einkehr und Seelenfrieden gesucht.
Advent ist Vorschau und Widerspiegelung unauslöschbarer Erwartungen, wie sie keiner sich selbst schaffen kann. Aber wir sind auf der beständigen Suche danach.

Das Heil ist jetzt näher als jemals zuvor, sagt Paulus. Steht auf! Wacht auf aus den trügerischen Träumen! ‚Der Stern der Gotteshuld‘ erstrahlt über der geschundenen und durcheinander gewirbelten Menschheit und Welt.
Die erste Kerze brennt wieder in diesem Jahr. Ein neues Zeitalter beginnt mit dem neuen Kirchenjahr. Ein erster Schein der Hoffnung auf eine neue Zeit. Er weist hin auf den, der im Dunkel der Welt mit der Botschaft kam, dass das Leben sich an Gott ausrichten muss, wenn es sich erfüllen soll.
Es wäre der Super-Gau, wenn Christen aufhörten, darauf immer wieder hinzuweisen ungeachtet, wie viele es hören wollen oder können. Es wäre der Super-Gau, hörten Christen auf, darauf hinzuweisen, weil heute doch alle gleich sind mit ihrem Glauben und ihren individuellen Lebensentwürfen. Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnen, die nicht in Parlamenten beschlossen oder von sozialen Einsätzen garantiert werden. Ich kann nicht verstehen, wieso sich Menschen diese herrliche Zeit oft mit billigem Rummel und inhaltsleerem Konsum zumüllen lassen. Oder ist die Botschaft mittlerweile zu leise geworden hinter Aktionismus?

Natürlich ist diese göttliche Verheißung problematisch. Es hat in der Welt- und Kirchengeschichte nicht an heillosen Versuchen gefehlt, wenigstens stückweise diese Verheißung unmittelbar spürbar umzusetzen. Ein bisschen mehr Nächstenliebe und die böse Welt wird schon merken, dass wir auf der richtigen Seite sind und umkehren. Aus Ungeduld und weil die Zeitläufe manchmal unerträglich sind, wollten Menschen nicht nur reden und glauben an die neue Zeit, sondern sie heute und spätestens morgen erleben. Es endete jedes Mal im Chaos und Terror und bittersten Enttäuschungen. Nicht zuletzt Aufrufe und Appelle zur gegenseitigen Liebe leisten solchen Erwartungen Vorschub.

Natürlich kann die Welt nicht sich selbst überlassen werden-gerade wegen der Verheißung Gottes. Die mangelhafte Verantwortung für angemessene Erziehung in manchen Familien kann nicht nur mit Geld erfüllt werden. Das Leben werden alle verfehlen, welche den eigenen Lebensentwurf mehr verfolgen als das Gemeinsame zu erstreben. Großangelegte Betrügereien bei Abgasen, Korruption bei großen Sportereignissen, die vielen großen und kleinen Tricksereien und dunklen Stellen unter den schönen weißen Westen des Erfolges bereiten nicht wirklich Freude oder ein besseres Leben.

Es ist Zeit aufzuwachen, weil eine neue Zeit bevorsteht. Vor 2000 Jahren schreibt der Apostel Paulus an die Christen nach Rom, wie Christen sich untereinander und als Bürger des Staates verhalten. Es muss sich unterscheiden, ob da Menschen leben, die ihre tägliche Kraft aus einer anderen Hoffnung nehmen als immer schneller, immer mehr, immer höher hinaus zu streben. Paulus begründet das mit diesem Lichtschein aus Gott, mit Jesus Christus. Niemandem etwas schuldig zu bleiben ist der Unterscheidungsbegriff der Christen. Bleibt niemand etwas schuldig außer, dass ihr euch unterscheidet im Handeln, Hoffen, Denken. Die Leute haben Recht, wenn sie klagen: Gerade von ihnen als Christ hätte ich anderes erwartet. Darum tut das so weh, weil es stimmt und man sich mal wieder erwischt sieht.
Wir haben aber den Menschen auch entgegen zu halten: Ja, aber das gilt nach unserem Verständnis allen. Es kann sich niemand aus dieser Hoffnung ausklinken, weil er ‚nicht religiös ist‘ wie das heute gerne schwammig heißt. Im Advent teilen wir die gemeinsame Hoffnung durch Jesus Christus auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Menschen lassen sich anstecken von dem, was mit dem Kind in der Krippe in einigen Wochen erwartet wird und dass es nicht bloß ‚klebrige Harmonie‘ bleibt. Es wäre der schlimmste anzunehmende Störfall weiter zu träumen, dass Begehren stärker als Gottes- und Nächstenliebe sein darf.
Die Hoffnung erfüllt sich nicht dadurch, dass soziale Appelle ausgesendet werden zusammen zu rücken. Es erfüllt sich alles durch Christus. Das muss im Blick bleiben. Advent darf nicht zum Liebes-Endspurt am Jahresende werden. Wer wach ist mit aufgewecktem Herz und Sinnen, lässt sich nicht so leicht hinters Licht führen. Wer sich von diesem ersten, vorsichtigen Strahl des Lichtes anscheinen lässt, der von der noch fernen Krippe aufleuchtet, weiß, dass es heller wird und die Erfüllung näher rückt.

So ruft Gott uns als Wartende auf und stellt vor die Aufgabe, die Zeit zu füllen:
‚Komm, o mein Heiland, Jesu Christ
meins Herzens Tür dir offen ist.
Ach zieh mit deiner Gnade ein;
dein Freundlichkeit auch uns erschein.
Dein Heilger Geist uns führ und leit
den Weg zur ewgen Seligkeit.
Dem Namen dein, o Herr,
sei ewig Preis und Ehr‘ (EG 1, 5)
Wer so lebt und dann nachsieht, wie das praktisch auszusehen hat, erwartet nach jedem Dunkel einen neuen Morgen, nach jedem Leid neue Freude, nach dem Tod das Leben durch Gottes Gnade. A m e n.

Perikope
29.11.2015
13,8-12