Das allerliebste Wort - Predigt zu Römer 3, 21-28 von Kathrin Oxen am Reformationstag 2016 in der Schlosskirche zu Wittenberg

Das allerliebste Wort - Predigt zu Römer 3, 21-28 von Kathrin Oxen am Reformationstag 2016 in der Schlosskirche zu Wittenberg
3,21-28

„Es waren Anliegen von einer noch vorkonfessionellen, ‚vorlutherischen‘ evangelischen Offenheit,
wie sie die ersten Jahre der Reformation kennzeichneten:
die Berufung auf die Bibel allein, die zentrale Stellung des Glaubens, der geistliche Rang der Laien,
die Ablehnung der diesen Anliegen widersprechenden römischen Kirche. (…)
Für den neuzeitlichen Protestantismus bildet die Reformation den identitätsstiftenden Referenzpunkt wegen des ‚Zaubers‘, der von jenem offenen vorkonfessionellen und vorstaatlichen Anfang ausgeht.“

(Dorothea Wendebourg, FAZ vom 28. Oktober 2016)

 

Das allerliebste Wort

Wenn ich ihm etwas mitbringen wollte, heute, am Reformationstag, zu Beginn des Reformationsjubiläums, wenn da unter mir, an seinem Grab nicht schon Blumen stünden, wie immer am Reformationstag, zwei artige Blumensträuße, einer für Martin und einer für Philipp - wenn ich ihm etwas mitbringen wollte, aus Dankbarkeit darüber, dass es ihn gab: Ich brächte ihm meine Bibeln.

Eine Kinderbibel mit den Bildern und Geschichten, die meine Seele genährt haben, als ich noch ein Kind war. Geschichten, die mich abends im Bett sehnlich wünschen ließen, es spräche einmal Gott direkt auch zu mir, so wie er zu den Menschen in der Bibel sprach, sie rief, alles hinter sich zu lassen und ihm nachzufolgen.

Ich brächte ihm die kleine rote Bibel, die in jeden Rucksack passt und aus der ich mühelos noch ohne Brille lesen konnte, damals vor vielen Jahren, am Lagerfeuer bei der Andacht.

Ich trüge das dicke Alte Testament auf Hebräisch herbei und das kleine blaue Neue Testament auf Griechisch. Und ich würde mich bei der Gelegenheit auch gleich nochmal bedanken bei ihm, dass er mir zwei Jahre Vokabeln lernen eingebrockt hat im Studium. Weil er meinte, dass ich die Sprachen kennen müsste, in denen die Bibel geschrieben wurde.

Ich würde ihm meine Bibel zeigen, die jetzt auseinanderfällt, weil ich sie so oft schnell in die Tasche gesteckt oder mit dem Rücken nach oben auf dem Schreibtisch liegen gelassen habe. Was man ja nie, nie machen soll, aber was ich oft tue. Weil ich mit ihr umgehe wie ein Handwerker mit einem Werkzeug umgeht, das er jeden Tag braucht. Und das er deswegen auch nicht immer ordentlich an seinen Platz zurückräumt.

Und ich brächte ihm eine neue Lutherbibel 2017, schön gestaltet und frisch gedruckt, mit dem unwiderstehlichen Geruch eines neuen Buches. Gestern erst haben sie diese neue Bibel feierlich eingeführt in einem Gottesdienst in Eisenach, am Fuße der Wartburg, dort wo alles begonnen hat im Herbst 1522. Als er wie ein Gefangener da oben auf der Burg bei den Krähen saß und die Zeit herumbringen musste. Und das tat, was ihm in dieser Lage das Sinnvollste erschien: Die Bibel übersetzen, damit alle Menschen sie auf Deutsch lesen können.

Ich brächte ihm diese neue Bibel. Und ich schlüge sie auf, weiter hinten, bei Paulus‘ Brief an die Christen in Rom, bei seinem Lieblingsbrief. Der kann, sagt er, „nie zu viel und zu sehr gelesen oder betrachtet werden“ (Vorrede zum Römerbrief) und deswegen ist es gut, dass wir es heute auch tun.

Und ich wäre so nett und schlüge ihm die Bibel auf bei seiner Lieblingsstelle und läse die ihm vor, obwohl er ja tot ist. Aber vielleicht hört er es ja doch. Seine Lieblingsstelle. Sein „allerliebstes Wort“:

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.um nun, in dieser Zeit, seine Gerechtigkeit zu erweisen. So halten wir nun dafür,dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. (Röm 3,21f.28)

Und dann stünde ich da, an seinem Grab, mit all meinen Bibeln, dankbar dafür, dass es ihn gab. Und ich könnte hören, was er selbst zu dieser Stelle einmal gesagt hat und zu dem Wort von der Gerechtigkeit Gottes:

„Tag und Nacht dachte ich unablässig darüber nach, bis Gott sich meiner erbarmte. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als die Gerechtigkeit zu verstehen, durch die der Gerechte als durch Gottes Geschenk lebt, nämlich aus dem Glauben.

Da fühlte ich, dass ich geradezu neugeboren und durch die geöffneten Pforten in das Paradies selbst eingetreten war. Und mit welchem Hass ich vorher das Wort 'Gerechtigkeit Gottes' hasste, mit solcher Liebe schätzte ich es nun als allerliebstes Wort. So wurde mir jene Stelle bei Paulus wahrhaft Pforte des Paradieses.“

(Vorrede zu der Gesamtausgabe der lateinischen Schriften, 1545)

Diesen Brief und auch andere Bücher der Bibel hatte er vorher ja schon so sorgfältig gelesen, wie man sie überhaupt nur lesen kann. Er hatte sie in Vorlesungen ausgelegt für die Studenten in Wittenberg. Er hatte die Bibel jeden Tag aufgeschlagen, mehrmals, ihre Seiten immer wieder umgeblättert. Aber erst jetzt öffnete sich dieses Buch für ihn.

Als könnte er mit einem Mal Gott sehen, den doch kein Mensch sehen kann. So wie man einen Schatten sehen kann hinter einer Wand aus dünnem Papier, so dünn wie die Seiten in einer Bibel. Gott, auch hierin verborgen, verhüllt, nur wie im Umriss zu sehen. Aber ganz nah, mit den leisen Geräuschen seiner Anwesenheit, wie der Atem eines anderen.

Und einmal schlug er das Buch wieder auf und blätterte die Seite um und las: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde, allein durch den Glauben.“ Und das Buch öffnete sich. Und gleich hinter diesen Worten war Gott, nicht ganz genau zu sehen, aber ganz nah. Und er begriff: Das ist die Tür. Das ist die Pforte, um dorthin zurück zu kommen, wo wir am Anfang waren als Menschen. Im Paradies, ganz nahe bei Gott.

Und er stellte fest: Es ist anders, als ich all die Jahre gedacht habe. Gott ist anders. Seine Gerechtigkeit ist anders. Gott liebt uns. Und ich muss nichts dafür tun, gar nichts. Die Angst, die ihm bis dahin jeden Tag im Nacken gesessen hatte, war verschwunden. Die Angst, für Gott nicht genug getan zu haben und deswegen nicht geliebt zu werden.

Manche sagen ja, das sei alles lange her und hätte mit uns gar nichts mehr zu tun. Ich glaube das nicht. Denn die Angst, dass ich nicht gut genug bin, so wie ich bin, die kenne ich. Auch die Versuche, etwas dafür zu tun, dass ich geliebt werde und angesehen bin. Und ich glaube, ich bin damit nicht alleine auf der Welt. Es gibt diese Angst, nicht geliebt zu sein und nicht gesehen zu werden. Irgendjemand soll doch da sein für mich, jemand, der mich sieht und liebt, ohne dafür etwas zu verlangen. Bei den meisten Menschen ist das eine leise Angst, wie eine kleine graue Ecke im Herzen.

Aber manchmal, wenn sie zu groß wird, dann wird sie heraus geschrieen auf den Straßen, jeden Montagabend in Dresden zum Beispiel und vor den Flüchtlingsheimen überall in unserem Land. Die große Angst, nicht geliebt zu sein, zu kurz zu kommen. Sie macht, dass sie gegen die anderen schreien. Gegen die Politiker, die angeblich alle nichts tun und sich um niemanden kümmern. Gegen die Flüchtlinge, die angeblich alles bekommen und einem alles, was man überhaupt noch hat, wegnehmen werden.

Und das ist auch ein fester Glaube, denn es geht, wie wir wissen, nicht um Argumente dabei. Es geht um das Gefühl tief im Herzen, nicht gesehen und nicht geliebt zu werden. Ein grauer, trauriger Glaube, dem viele Menschen anhängen. Wie ein Schatten liegt über unserem ganzen Land.

Aber Glaube ist etwas anderes. Das weiß ich von dir, Martin. Du hast das neu entdeckt und es hat dir die Angst genommen und dich frei gemacht. Du sagst:

„Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal drüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und voller Lust gegen Gott und alle Kreaturen. Daher wird der Mensch ohne Zwang willig und voller Lust, jedermann Gutes zu tun, jedermann zu dienen, allerlei zu leiden, Gott zu Liebe und zu Lob, der einem solche Gnade erzeigt hat.“ (Vorrede zum Römerbrief)

Ich stehe hier, an deinem Grab, mit all meinen Bibeln. Ich habe sie dir mitgebracht, weil ich sie genauso brauche, wie du sie gebraucht hast. Gott war für mich immer zu sehen, in all diesen Bibeln, auch ohne Bilder, hinter dem dünnen Papier ihrer Seiten, in Umrissen, aber nahe. In der Kinderbibel, in der kleinen roten, der dicken hebräischen, der schmalen griechischen, in der, die jetzt auseinanderfällt und in der, die noch ganz neu riecht.

Gott war mir immer nahe: Dem Kind, das sich wünscht, dass es einen Platz findet in der Welt und eine Aufgabe für sein Leben. Der Jugendlichen auf der Suche nach Gemeinschaft und Orientierung. Der Studentin auf der Suche nach Erkenntnis und der Pfarrerin, für die die Bibel ein Werkzeug und Arbeitsmittel ist, mit Gebrauchsspuren und gleichzeitig die Mitte und die Quelle für alle meine Arbeit. Gott ist mir nahe in diesem Buch. Es ist mein allerliebstes Buch. Mein allerliebstes Wort.

Und wenn ich dankbar bin für dein Leben, Martin, dann bin ich dir dankbar für deine Liebe zu diesem Buch und dein Vertrauen in die Kraft von Worten, bloß von Worten auf dünnem Papier. Und ich bin dankbar für die Mühe und die Arbeit, die du dir mit diesem Buch gemacht hast, auf der Burg bei den Krähen und später in Wittenberg zusammen mit den anderen, als ihr um die richtigen Worte gerungen habt für eure Übersetzung.

Ach Martin, und ich wünschte mir, du hättest nicht aufgehört damit, dieses Buch so genau zu lesen wie am Anfang. Du hättest doch gelesen, dass die selig sind, die Frieden stiften und die für die bitten, die sie verfolgen. Du hättest den Krieg nicht gutheißen können und die Gewalt. Und du hättest doch niemals diese schrecklichen Worte sagen können über die Juden, von denen wir doch das Gesetz haben und die Propheten und von dem Juden Paulus diesen Brief, mit deinem allerliebsten Wort darin.

Ich stehe hier, mit all meinen Bibeln, und heute ist Reformationstag und morgen beginnt das große Jubiläumsjahr. Das schönste Geschenk zum Reformationsjubiläum habe ich schon bekommen. Das ist die neue Lutherbibel.

Aber ich habe trotzdem noch Wünsche. Dass wir diesen grauen, traurigen Glauben loswerden, der über unserem Land liegt und die Angst, zu kurz zu kommen. Dass uns klar wird: Wir Christen werden gebraucht in dieser Welt. Wir haben eine Aufgabe für unser Leben, wir haben Gemeinschaft, wir wissen, was gut und was böse ist. Und unser Glaube soll fröhlich sein und trotzig und voller verwegener Zuversicht auf Gott. Dass wir Lust bekommen, jedermann Gutes zu tun. Es ist doch leicht, die anderen zu lieben. Weil Gott uns so liebt.
Amen.

Perikope
31.10.2016
3,21-28

Zart wie Papier. Stark wie die Liebe - Predigt zu Römer 3,21-28 von Michael Greßler

Zart wie Papier. Stark wie die Liebe - Predigt zu Römer 3,21-28 von Michael Greßler
3,21-28

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit der Geduld Gottes, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, auf dass er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. (Röm 3,21-28)

                      

I. Eine neue Bibel (ist mit auf der Kanzel)

Es ist nur Papier.
Papier und Farbe darauf.
Buchstaben. Worte. Sätze. Gedanken.

Ich streichle darüber.
Ganz dünn und durchscheinend. Wie Morgenlicht.
Ganz zart. Wie Seide.
Glatt. Wie Samt.
Man kann das leicht zerknittern. Zerreißen.

Wie meine Seele.

Es ist eine ganz neue Bibel.
Ich habe sie kaum zwei Wochen.
Luthers Bibel, wieder einmal überarbeitet.

Das hat er selbst ja gemacht, solange er lebte.
Immer wieder.
Geforscht. Gefragt. Geändert. Verbessert.
Wegen der Worte.    

Auf der Wartburg hatte er sich hingesetzt,
im kleinen Stübchen mit der Schlafkammer nebenan.
Draußen riefen die Krähen im Sturm.

Da saß er und hat Worte gesucht.
Auf dem alten Papier, Griechisch und Latein.
Gedruckt auf raue Seiten.
»So spricht der Herr.«
Gott ins Herz gehört.

Und draußen gehört bei den Menschen.
Auf den Straßen und Gassen.
»Dem Volk aufs Maul geschaut«.

Und nun schreibt er selber.
Tinte auf Papier.
Die Gänsefeder kratzt bei jedem Buchstaben.

Angefangen hatte es mit Thesen.
Fünfundneunzig waren es geworden.
Schwarze Tinte auf bräunlichem Papier.
Dann gedruckt mit bleiernen Lettern.
Mit Briefen verschickt an die Kardinäle.
Und angepinnt an der Schlosskirchentür zu Wittenberg.

Viel ist passiert seitdem.
Nun: Wieder schreiben.
Wort um Wort.
Nicht sein Wort.
Worte von Paulus – von Lukas – von Johannes.
Worte von Gott.
Heilige Worte.

Papier ist dünn.
Aber Worte sind stark.
Worte, von denen man lebt.

»So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke,
allein durch den Glauben.« (Röm 3,28)

 

II. Vergilbt, blutig, verbrannt

Und es könnte so schön sein auf der Welt.
»Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert,
nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben
und demütig sein vor deinem Gott.« (Mi 6,8)

Es könnte so schön sein mit diesem Worten.
Die Herrlichkeit Gottes könnte durchscheinen.
Durch alles:
Durch Menschenworte und Menschentaten.
Dann würde die Liebe leuchten auf der Welt.
Wie Licht durch dünnes Papier.

Aber wir haben’s verloren.

Irgendwann wurde das Papier gelblich,
von all dem Schweiß und den Tränen.
Blut wurde vergossen.
Jeder Tropfen einer zu viel.
Das Papier färbte sich rot.
Und dann bräunlich wie die Erde auf all den Gräbern.
Und am Ende war es schwarz wie die Brandstätten dieser Welt.

Und die Herrlichkeit war dahin.

»Denn es ist hier kein Unterschied:
Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.« (Röm 3,22f)

Und ich ja auch!
Ich wäre so gerne perfekt.
Oder wenigstens richtig.
Und gut.
Und immer so, wie Gott will.
Ich weiß ja, wie es geht.

»Du sollst den Herrn, deinen Gott,
lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seeleund mit all deiner Kraft
und deinen Nächsten wie dich selbst.« (Dtn 6,5)

Und manchmal gelingt es mir ja sogar.
Und euch auch.

Aber manchmal schaffe ich es auch nicht.

Manchmal zerknittere ich die Seelen der anderen wie dünnes Papier.
Und ich reiße Seiten aus Lebensbüchern heraus.
Streiche Worte durch, die doch so wichtig waren.
Oder ich schreibe anderen Worte ins Stammbuch, die weh tun und traurig machen.

Und dann tut es mir leid, aber es ist geschehen.

Das steht ja auch schon auf den dünnen Seiten in meinem Bibelbuch,
aufgeschrieben von einen ganz verzagten Paulus:

»Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
Ich elender Mensch. Wer wird mich erlösen?« (Röm 7,19)

 

III. Ins Herz geschrieben       

Und dann lese ich wieder die Worte.
Starke Worte auf zartem Papier.

»Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung,
die durch Christus Jesus geschehen ist.« (Röm 3,23)

Da ist einer, der sieht, was ich nicht alleine kann.
All das, was ich sollte.
All das, was ich will.
Alles, was ich so gern würde.
Richtig sein.

Und Gott schreibt mir ins Herz:
Schau auf Jesus.
Und höre. Und lies.
Was du nicht selber schaffst, das mache ich.
Es ist alles getan. Von Jesus.
Glaub´ es mir.

»Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit der Geduld Gottes, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, auf dass er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.« (Röm 3,25f)

Und auf einmal wird es gut.

Ich lese die Worte, zart wie Papier.
Stark wie die Liebe.
Diesen Worten will ich glauben.

»So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke,
allein durch den Glauben.« (Röm 3,28)

 

IV. Bis ans Ende

Das glaube ich.
Diese Worte reichen.
Für ein ganzes Leben.
Für eine ganze Welt.

Sie trösten mich, wenn ich es nicht schaffe.
Wenn ich wieder einmal nicht richtig bin, dann geben die Worte mir Mut.
»Sei getrost, geh hin, dein Glaube hat dir geholfen.« (Lk 17,19)

Und dann gehe ich hin und lebe.
Mit Gott. Mit Jesus. Mit den anderen.

Und einmal, am Ende, ist alles klar.
»Herrlichkeit der Kinder Gottes«.

Dann wird das Papier durchsichtig wie Glas.
Auch das schmutzige Lebenspapier.
Die Blutflecken.
Und die schwarzverbrannte Weltgeschichte.

Dann, am Ende, scheint die Herrlichkeit nicht nur durch.
Dann sehen wir sie.
Und Gott von Angesicht zu Angesicht.

Und alles ist gut.
Gott in uns. Wir in ihm.
Und »Gott alles in allem«. (1.Kor 15,28)

Amen.

Perikope
31.10.2016
3,21-28

Ein protestantisches Manifest - Predigtmeditation zu Römer 3,21-28 von Ralf Hoburg

Ein protestantisches Manifest - Predigtmeditation zu Römer 3,21-28 von Ralf Hoburg
3,21-28

Die Gerechtigkeit steht hoch im Kurs. Zwar wird die Gesellschaft, in der wir leben, immer ungerechter, aber umso größer wird die Forderung nach mehr Gerechtigkeit, nach Teilhabe und Integration sowie dem Wunsch nach Ausgleich. Teilweise bezieht sich dieser Eindruck größer werdender Ungerechtigkeit auf das diffuse Gefühl einer Ungleichbehandlung, wenn die „großen Gauner“ aus Wirtschaft, Showgeschäft und Medien mit ihren Skandalen vor Gericht vermeintlich glimpflich wegkommen. Die „kleinen Gaunereien“ – angefangen bei Verkehrsübertretungen und Bagatell-Sünden – im gleichen Atemzuge aber durch Behörden und Gerichte härter bestraft werden. Und gleichzeitig fehlt es an Schuldbewusstsein sowohl dem persönlichen wie dem öffentlichen.

Helmut Schmidt brandmarkte auf seine unnachahmliche Weise schon in den neunziger Jahren den Verlust der Moral in den politischen und wirtschaftlichen Eliten. Stattdessen „rühmen“ sich die Helden der Welt ihrer Taten. Hoeneß wird wieder Bayern-Chef, Ackermann hat mit seiner Geldgier-Politik die Deutsche Bank an den Rand des Ruins geführt und steckte ohne Zaudern die Abfindung ein. Und manch anderer Prominenter beruhigt in jüngster Zeit das schlechte Gewissen, für eine kurze Zeit einen Flüchtling bei sich beherbergt zu haben. Die Beispiele stehen hier stellvertretend für die großen und kleinen „Ruhmes“-Sünden der Vielen. Alle handeln richtig und keiner ist’s gewesen.

Letztlich ist es aber die soziale Gerechtigkeit, die die Politik und die Menschen im Land schon seit etlichen Jahren umtreibt. Verbunden wird dieses zentrale Thema der eigenen sozialen Sicherheit mit der Empfindung eines größer werdenden Abstandes von arm und reich. Der Gefahr des sozialen Abstieges, der Perspektive der Renten und ein gesunkenes Lohnniveau trotz Mindestlöhnen auf der einen Seite steht die Entwicklung des Reichtums auf der anderen Seite gegenüber. Die Zahl der Einkommensmillionäre steigt ebenso stetig wie die Mietpreise in den Großstädten. Fast scheint es so, als wenn sich in dem einen Wort „Gerechtigkeit“ die ganze Krise vereinigen ließe und sich eine Spaltung durch das Land zieht.

Wenn es um die Gerechtigkeit geht, so hat die christliche Theologie im Austausch der modernen Gedanken und Reflexionen inmitten aller säkularen Pluralität auch noch ein Wörtchen zu sagen. Zwar stehen die Kirche und ihre Theologie heute eher am Rande der Gesellschaft und können nicht die großen politischen Diskurse zur sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit zentral mit bestimmen. Aber in der Mitte des Christentums steht das Wissen um eine Gerechtigkeit, die die Welt bewegen kann. Der Bibeltext zum diesjährigen Reformationstag 2016 aus dem Römerbrief (Röm 3,21-28) stellt den Gedanken der Gerechtigkeit geradezu in die Mitte. Sie bildet die Achse, um die sich der Apostel in seinem Brief an die Gemeinde in Rom dreht. Der Reformator Martin Luther selbst beschrieb in eigenen Rückblicken immer wieder, dass dieser Text neben der zentralen Stelle aus Röm 1,16f[1] für seine reformatorische Grunderkenntnis fundamental sei. Dieser Text enthält die Mitte der reformatorischen Theologie und stellt geradezu ein protestantisches Manifest dar.

Um aber die Tragweite zu verstehen, die sich in dieser Passage aus dem Römerbrief verbirgt, ist es wichtig, sich ein Stück weit von der Vorstellung der Gerechtigkeit zu verabschieden, die ich eingangs mit dem Verständnis der sozialen Gerechtigkeit eingeführt habe.

Der Gerechtigkeit, die der Apostel Paulus meint und die Martin Luther fasziniert hat, kommt man dann nahe, wenn man sich darauf einlässt über Gott selbst nachzudenken. Ein Nachdenken über Gott führt unmittelbar zu einem Nachdenken über Gerechtigkeit. Der Theologe Karl Barth hat dies in seiner berühmten Auslegung des Römerbriefes aus dem Jahr 1922 mit folgenden Worten beschrieben: „Gott spricht, dass er ist, der er ist. Er rechtfertigt sich selbst vor sich selbst, indem er sich zum Menschen und seiner Welt bekennt, indem er nicht aufhört, sich seiner anzunehmen.“ (Römerbrief, S.67)

 

I. Offenbarung und Glaube
Wer die kleine Textpassage in Röm 3,21-28 liest, ist zunächst von der Dichte der Worte beeindruckt. Paulus zeigt sich als ein wortgewandter Theologe, der es gelernt hat zu argumentieren.Es prägt den gesamten Gedankengang des Römerbriefes, dass Paulus sein Evangeliumsverständnis argumentierend darlegt und dieses in der theologischen Auseinandersetzung mit dem Judentum seiner Zeit tut. So ist es notwendig, die Passage von Röm 3,21-28 in den Gesamtduktus des Römerbriefes einzuordnen, um zu verstehen, was der zentrale Bibelvers in Röm 3,28 dann geradezu als Summe seiner Theologie bedeutet: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“

Wer sich mit der Gerechtigkeit im theologischen Sinn auseinandersetzen will, sollte also zunächst dem nachgehen, was das Gesetz im jüdischen Verständnis bedeutet. Vielleicht lässt sich das Geheimnis dieser inneren Dialektik von Gesetz und Gerechtigkeit von einer anderen Stelle des komplexen Gedankengebäudes des Römerbriefes aus erläutern und entschlüsseln. Der Vers Röm 10,4 gehört wohl zu den Texten, die in der Auslegungsgeschichte biblischer Texte unendlich oft interpretiert worden sind: „Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“ Es sei nun dahingestellt, ob mit Christus das Gesetz überholt wurde oder wie auch immer das Wort „Ende“ (telos) zu interpretieren ist, sicher ist aber: Beide – Gesetz und Gerechtigkeit – sollen für den Apostel Paulus in Bezug auf Jesus Christus verstanden werden.

Was ist nun aber das Gesetz und woher wissen die Menschen sowohl von dem einen, nämlich dem Gesetz und dem anderen, Jesus Christus? Genau um diesen inneren Zusammenhang geht es in dem zentralen Kapitel des Römerbriefes.

Der Predigttext Röm 3,21-28 ist somit eingebunden in eine Interpretation des Apostel Paulus des jüdischen Glaubens, um von dort aus einerseits die Gemeinsamkeit mit dem Judentum und andererseits das radikal Neue des christlichen Glaubens der Gemeinde vor Augen zu führen. Die Mitte des Judentums bildet bis auf den heutigen Tag die Tora, also die fünf Bücher Mose. Diese Tora bildet im Judentum die innere Achse des Glaubens, denn die Gesetzestafeln wurden Mose auf dem Berg Sinai übergeben. Das zweite Buch Mose spricht hierbei deutlich von einer Offenbarung. Will man das Judentum verstehen, so ist es notwendig, dem Verhältnis eines gläubigen Juden zur Tora nachzuspüren. In der Observanz gegenüber den Heiligen Schriften besteht im Übrigen eine durchaus innere Verwandtschaft zwischen dem Judentum, dem Islam und dem Christentum. Auch für den Islam zählt die Befolgung der Regeln des Koran zur Mitte des Glaubens, während im Christentum durch Aufklärung und Säkularisierung die Strenge einer Bibelfrömmigkeit, wie sie etwa noch dem Pietismus zu eigen ist, teilweise verloren gegangen ist.

Der Apostel Paulus stellt nun im Zusammenhang des Römerbriefes die kühne These auf, dass das Judentum durch die Tora und die Beschneidung gegenüber dem christlichen Glauben keinerlei Vorzug hat (Röm 3,1). Offensichtlich bildet dies den Kern des Vorwurfes, der von Seiten jüdischer Kreise dem Apostel vorgehalten wurde. Gemeinsam ist vielmehr beiden, „dass alle, Juden wie Griechen, unter der Sünde sind“ (Röm 3,9) und Paulus ergänzt im Nachsatz mit Verweis auf Hiob 4,17: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.“ (Röm 3,10) Und am Ende des Abschnittes Röm 3,9-20 holt er dann zu der zusammenfassenden Erkenntnis aus: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ (Röm 3,20)

Jetzt erst lässt sich der Übergang zu der kleinen Passage in Röm 3,21-28 herstellen, wenn den Lesern des Briefes ganz klar vor Augen steht: Die Gerechtigkeit wird jenseits des Gesetzes offenbar. Das Neue, das Paulus betont, liegt in der Offenbarung und in dem, wie der Begriff der Gerechtigkeit gefasst wird. Diese beiden Begriffe von Gerechtigkeit und der Offenbarung haben sowohl Martin Luther wie dann auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Theologen Karl Barth nachhaltig beschäftigt. Luther geht dem Wort Gerechtigkeit in seiner Auslegung des Römerbriefes von 1515/16 intensiver nach. Er schreibt: „Die ‚Gerechtigkeit ohne das Gesetz‘ ist vielmehr die, welche Gott dem Gläubigen durch den Geist der Gnade verleiht ohne Zutun des Gesetzes.“ Karl Barth hingegen betont an dieser Stelle den Charakter der Offenbarung. Und die Offenbarung umkreist er in immer neuen Bildern: „Wir können das Nein, unter dem wir stehen, nicht mehr anders hören, als aus dem göttlichen Ja heraus […] Gewiß, sofern wir glauben, was offenbart ist, nicht mehr anders.“

Somit hängen die drei zentralen Begriffe „Gerechtigkeit“, „Offenbarung“ und „Glaube“ innerlich wie in einem Kreis zusammen. Diesen Zusammenhang spricht Paulus in Röm 3,22 an. Aus der Perspektive des Glaubens erkennt der Mensch, dass es im Wesen des Menschen keinen Unterschied gibt. Und dieses Wesen des Menschen liegt in der Tatsache der Sterblichkeit. Im Glauben gründet für ihn die Erkenntnis der Sünde und damit ist im tiefsten die Trennung von Gott und Mensch gemeint. Aber diese Erkenntnis führt zugleich auch zu der Erkenntnis der Gerechtigkeit und dem „fröhlichen Wechsel“ den Jesus Christus erwirkt hat – so beschreibt es Luther in einem seiner Lieder. Damit ist die Theologie bei ihrer Mitte angekommen. Indem Martin Luther im Bibelstudium der Texte des Apostels Paulus auf diesen Zusammenhang aufmerksam wurde, schuf er die theologische Grundlage der Reformation.

 

II. „Gerecht aus Gnade“ - das Herzstück protestantischer Theologie
Wenn nun klar ist: Gott offenbart sich und im Glauben erfasst der Mensch die Gerechtigkeit Gottes, die in der Offenbarung begründet liegt, dann ist Jesus Christus selbst die Mitte der Gerechtigkeit Gottes. Karl Barth bringt es in seiner Textauslegung genau auf den Punkt: „Christus ist der Inhalt dieser Erkenntnis: die Gerechtigkeit Gottes selbst.“ Nun stellt sich aber die Frage, woher der Mensch die Gewissheit dieser Erkenntnis nehmen kann?

Der archimedische Punkt in dieser Hinsicht und damit die absolute Voraussetzung bildet der Glaube. Wie der Glaube an Jesus Christus die Erkenntnis der eigenen Sünde als Getrenntsein von Gott bedingt, so eröffnet der Glaube das Verstehen des Zusammenhanges von Jesus Christus als der Gerechtigkeit Gottes. Der Glaube ist dann auch das Durchbrechen des „Rühmens“, von dem Paulus am Anfang des Textes sprach. Der Glaube ist also der Türöffner der Erkenntnis. An dieser Stelle macht sich das Christentum bis heute angreifbar, denn in der Welt der Zahlen und Fakten besteht ja ein Vorbehalt vor der Welt des Glaubens, die eher als „nicht-wissen“, „mutmaßen“ oder empirischer Ungenauigkeit verstanden wird. Das Glauben der Bibel ist aber indes ein „vertrauen auf“ als individueller Gewissheit und Lebensgrundlage. Glauben und Wissen können und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. In diese Richtung zielt der unnachahmlich treffende Satz Albert Einsteins: „Gott würfelt nicht.“ Das Wissen von Gott trennt Einstein vom Wissen über die Realität.

Aus dem Glauben heraus erwächst für Paulus die entscheidende Erkenntnis im Römerbrief: Gottes Gnade war es, die ihn aus der Treue heraus handeln ließ. Diese Gnade ist ein Attribut Gottes. Sie „ist und bleibt immer Gottes Kraft“, schreibt Karl Barth. Gott selbst ist der Akteur in seiner Offenbarung. Die Gnade aber bliebe leer, wenn sie nicht gefüllt würde durch eine inhaltliche Mitte. Und so führt der Apostel Paulus in Röm 3,24 seine Argumentation auf einen einzigen Punkt zu: „Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“

Die Aufgabe und das Werk Jesu Christi liegen in der Erlösung des Menschen. Wenn man so will, ist in der Tat darin der Weg der jüdischen Tora überholt. Und somit ist das eigentlich Trennende zwischen Judentum und Christentum diese Interpretation von Erlösung, die nach dem christlichen Verständnis in und durch die Person Jesu Christi erwirkt worden ist. Und um der Erlösung gewiss zu werden bedarf es auch keiner „Mittelsmänner“ oder „Zwischeninstanzen“, wie sie etwa die katholische Kirche durch die Mariengläubigkeit, durch Buß- und Beichtwesen oder die Stellung von Papst und Priestertum als notwendig erachtet. Das Herzstück der protestantischen Theologie liegt in dem „sola fide“ (allein aus Glauben), das dem „sola gratia“ (allein durch Gnade) und dem „sola scriptura“ (allein durch die Schrift) unverrückbar zur Seite gestellt ist. Diese evangelische Mitte hat Martin Luther in seinen Liedern auf immer wieder kreative Art und Weise beschrieben und vertont wie etwa in dem Lied: „Komm, Heiliger Gesit, Herre Gott“:

„O Herr, behüt uns vor fremder Lehr,
dass wir nicht suchen Meister mehr,
denn Jesum mit rechtem Glauben
und ihm aus ganzer Macht vertrauen.“ (eg 125)

 

III. Gerechtigkeit und Freiheit – des Protestanten Stand in der Welt
Diese Gedanken von einer Gerechtigkeit, die die Erlösung des Menschen bewirkt, kämen einer Spiegelfechterei von Argumenten und Worten gleich, wenn sie in der abstrakten Höhe blieben und nicht in die Niederungen des Lebens hinein konkretisiert werden könnten. Diese Konkretion des Alltags möchte ich zum Abschluss mit den Worten Martin Luthers versuchen. In seiner Schrift aus dem Jahr 1520 „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ beginnt der Reformator seine Ausführungen mit einer widersprüchlichen Aussage: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr und über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Das Wissen, dass das Leben des Menschen ein Geschenk aus der Gnade Gottes ist und zugleich durch die Erlösung im Kreuzestod Christi unter einer österlichen Verheißung von Hoffnung und Auferstehung steht, führt zu einer Lebenshaltung, in der die Freiheit eine ganz neue Bedeutung erhält. Aber es führt auch zu einer Lebenshaltung, die die Widersprüche aushält und nicht stehen lässt. Ganz und gar nicht sind in der gegenwärtigen Welt und Gesellschaft „Ruhmsucht“ und „Sünde“ vergangen und der protestantische Glaube weiß sehr wohl von der Knechtschaft der Welt, von sozialer Not, Armut, Ungerechtigkeit, Hunger, Leid und den sozialen Problemen. Im evangelischen Verständnis führt der Glaube dann aber nicht zu Passivität oder Nichtstun, sondern in die Aufgabe der konkreten sozialen Gestaltung der Welt geradezu hinein. Der Glaube an die Erlösung in Jesus Christus führt zum „Dienst“ an der Welt, wie er sich etwa durch das diakonische Engagement zeigt. Im diakonischen Verständnis werden Rechtfertigung und Versöhnung konkret.

Gleichzeitig zeigt sich aber auch das „Protestantische“ im Widerstehen, in der Kritik und dem Aufdecken der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das hat uns die Reformation um Luther, Zwingli und Calvin mit auf den Weg gegeben. Die Gerechtigkeit, die von Gott selbst durch die Erlösung in Jesus Christus bewirkt wurde, stiftet Unruhe und kann zum gesellschaftlichen Protest führen. Dieser Motor des Glaubens bewegt dazu, dass Menschen um der Gerechtigkeit und Freiheit willen Stellung beziehen. Die Laienbewegung des Evangelischen Kirchentages ist ein äußeres Zeichen dieses Verständnisses von Gerechtigkeit und Freiheit wie auch viele Stellungnahmen und Denkschriften der Evangelischen Kirche deutlich machen, dass das protestantische Glaubensverständnis eine Stimme inmitten der gesellschaftlichen Vielfalt ist. Von diesem Wissen der Gerechtigkeit Gottes lässt sich dann auch für die soziale Gerechtigkeit in der Welt streiten. In nicht viel weniger als diesem Anspruch besteht das protestantische Manifest, das auch noch gilt, wenn die Scheinwerfer nach dem 31. Oktober 2017 und den Feierlichkeiten um das Reformationsjubiläum erloschen sind.

 

 

[1] „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso den Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: `Der Gerechte wird aus Glauben leben.`“

Perikope
31.10.2016
3,21-28

Ein protestantisches Manifest - Predigtmeditation zu Römer 3,21-28 von Ralf Hoburg

Ein protestantisches Manifest - Predigtmeditation zu Römer 3,21-28 von Ralf Hoburg
3,21-28

Die Gerechtigkeit steht hoch im Kurs. Zwar wird die Gesellschaft, in der wir leben, immer ungerechter, aber umso größer wird die Forderung nach mehr Gerechtigkeit, nach Teilhabe und Integration sowie dem Wunsch nach Ausgleich. Teilweise bezieht sich dieser Eindruck größer werdender Ungerechtigkeit auf das diffuse Gefühl einer Ungleichbehandlung, wenn die „großen Gauner“ aus Wirtschaft, Showgeschäft und Medien mit ihren Skandalen vor Gericht vermeintlich glimpflich wegkommen. Die „kleinen Gaunereien“ – angefangen bei Verkehrsübertretungen und Bagatell-Sünden – im gleichen Atemzuge aber durch Behörden und Gerichte härter bestraft werden. Und gleichzeitig fehlt es an Schuldbewusstsein sowohl dem persönlichen wie dem öffentlichen.

Helmut Schmidt brandmarkte auf seine unnachahmliche Weise schon in den neunziger Jahren den Verlust der Moral in den politischen und wirtschaftlichen Eliten. Stattdessen „rühmen“ sich die Helden der Welt ihrer Taten. Hoeneß wird wieder Bayern-Chef, Ackermann hat mit seiner Geldgier-Politik die Deutsche Bank an den Rand des Ruins geführt und steckte ohne Zaudern die Abfindung ein. Und manch anderer Prominenter beruhigt in jüngster Zeit das schlechte Gewissen, für eine kurze Zeit einen Flüchtling bei sich beherbergt zu haben. Die Beispiele stehen hier stellvertretend für die großen und kleinen „Ruhmes“-Sünden der Vielen. Alle handeln richtig und keiner ist’s gewesen.

Letztlich ist es aber die soziale Gerechtigkeit, die die Politik und die Menschen im Land schon seit etlichen Jahren umtreibt. Verbunden wird dieses zentrale Thema der eigenen sozialen Sicherheit mit der Empfindung eines größer werdenden Abstandes von arm und reich. Der Gefahr des sozialen Abstieges, der Perspektive der Renten und ein gesunkenes Lohnniveau trotz Mindestlöhnen auf der einen Seite steht die Entwicklung des Reichtums auf der anderen Seite gegenüber. Die Zahl der Einkommensmillionäre steigt ebenso stetig wie die Mietpreise in den Großstädten. Fast scheint es so, als wenn sich in dem einen Wort „Gerechtigkeit“ die ganze Krise vereinigen ließe und sich eine Spaltung durch das Land zieht.

Wenn es um die Gerechtigkeit geht, so hat die christliche Theologie im Austausch der modernen Gedanken und Reflexionen inmitten aller säkularen Pluralität auch noch ein Wörtchen zu sagen. Zwar stehen die Kirche und ihre Theologie heute eher am Rande der Gesellschaft und können nicht die großen politischen Diskurse zur sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit zentral mit bestimmen. Aber in der Mitte des Christentums steht das Wissen um eine Gerechtigkeit, die die Welt bewegen kann. Der Bibeltext zum diesjährigen Reformationstag 2016 aus dem Römerbrief (Röm 3,21-28) stellt den Gedanken der Gerechtigkeit geradezu in die Mitte. Sie bildet die Achse, um die sich der Apostel in seinem Brief an die Gemeinde in Rom dreht. Der Reformator Martin Luther selbst beschrieb in eigenen Rückblicken immer wieder, dass dieser Text neben der zentralen Stelle aus Röm 1,16f[1] für seine reformatorische Grunderkenntnis fundamental sei. Dieser Text enthält die Mitte der reformatorischen Theologie und stellt geradezu ein protestantisches Manifest dar.

Um aber die Tragweite zu verstehen, die sich in dieser Passage aus dem Römerbrief verbirgt, ist es wichtig, sich ein Stück weit von der Vorstellung der Gerechtigkeit zu verabschieden, die ich eingangs mit dem Verständnis der sozialen Gerechtigkeit eingeführt habe.

Der Gerechtigkeit, die der Apostel Paulus meint und die Martin Luther fasziniert hat, kommt man dann nahe, wenn man sich darauf einlässt über Gott selbst nachzudenken. Ein Nachdenken über Gott führt unmittelbar zu einem Nachdenken über Gerechtigkeit. Der Theologe Karl Barth hat dies in seiner berühmten Auslegung des Römerbriefes aus dem Jahr 1922 mit folgenden Worten beschrieben: „Gott spricht, dass er ist, der er ist. Er rechtfertigt sich selbst vor sich selbst, indem er sich zum Menschen und seiner Welt bekennt, indem er nicht aufhört, sich seiner anzunehmen.“ (Römerbrief, S.67)

 

I. Offenbarung und Glaube
Wer die kleine Textpassage in Röm 3,21-28 liest, ist zunächst von der Dichte der Worte beeindruckt. Paulus zeigt sich als ein wortgewandter Theologe, der es gelernt hat zu argumentieren.Es prägt den gesamten Gedankengang des Römerbriefes, dass Paulus sein Evangeliumsverständnis argumentierend darlegt und dieses in der theologischen Auseinandersetzung mit dem Judentum seiner Zeit tut. So ist es notwendig, die Passage von Röm 3,21-28 in den Gesamtduktus des Römerbriefes einzuordnen, um zu verstehen, was der zentrale Bibelvers in Röm 3,28 dann geradezu als Summe seiner Theologie bedeutet: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“

Wer sich mit der Gerechtigkeit im theologischen Sinn auseinandersetzen will, sollte also zunächst dem nachgehen, was das Gesetz im jüdischen Verständnis bedeutet. Vielleicht lässt sich das Geheimnis dieser inneren Dialektik von Gesetz und Gerechtigkeit von einer anderen Stelle des komplexen Gedankengebäudes des Römerbriefes aus erläutern und entschlüsseln. Der Vers Röm 10,4 gehört wohl zu den Texten, die in der Auslegungsgeschichte biblischer Texte unendlich oft interpretiert worden sind: „Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“ Es sei nun dahingestellt, ob mit Christus das Gesetz überholt wurde oder wie auch immer das Wort „Ende“ (telos) zu interpretieren ist, sicher ist aber: Beide – Gesetz und Gerechtigkeit – sollen für den Apostel Paulus in Bezug auf Jesus Christus verstanden werden.

Was ist nun aber das Gesetz und woher wissen die Menschen sowohl von dem einen, nämlich dem Gesetz und dem anderen, Jesus Christus? Genau um diesen inneren Zusammenhang geht es in dem zentralen Kapitel des Römerbriefes.

Der Predigttext Röm 3,21-28 ist somit eingebunden in eine Interpretation des Apostel Paulus des jüdischen Glaubens, um von dort aus einerseits die Gemeinsamkeit mit dem Judentum und andererseits das radikal Neue des christlichen Glaubens der Gemeinde vor Augen zu führen. Die Mitte des Judentums bildet bis auf den heutigen Tag die Tora, also die fünf Bücher Mose. Diese Tora bildet im Judentum die innere Achse des Glaubens, denn die Gesetzestafeln wurden Mose auf dem Berg Sinai übergeben. Das zweite Buch Mose spricht hierbei deutlich von einer Offenbarung. Will man das Judentum verstehen, so ist es notwendig, dem Verhältnis eines gläubigen Juden zur Tora nachzuspüren. In der Observanz gegenüber den Heiligen Schriften besteht im Übrigen eine durchaus innere Verwandtschaft zwischen dem Judentum, dem Islam und dem Christentum. Auch für den Islam zählt die Befolgung der Regeln des Koran zur Mitte des Glaubens, während im Christentum durch Aufklärung und Säkularisierung die Strenge einer Bibelfrömmigkeit, wie sie etwa noch dem Pietismus zu eigen ist, teilweise verloren gegangen ist.

Der Apostel Paulus stellt nun im Zusammenhang des Römerbriefes die kühne These auf, dass das Judentum durch die Tora und die Beschneidung gegenüber dem christlichen Glauben keinerlei Vorzug hat (Röm 3,1). Offensichtlich bildet dies den Kern des Vorwurfes, der von Seiten jüdischer Kreise dem Apostel vorgehalten wurde. Gemeinsam ist vielmehr beiden, „dass alle, Juden wie Griechen, unter der Sünde sind“ (Röm 3,9) und Paulus ergänzt im Nachsatz mit Verweis auf Hiob 4,17: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.“ (Röm 3,10) Und am Ende des Abschnittes Röm 3,9-20 holt er dann zu der zusammenfassenden Erkenntnis aus: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ (Röm 3,20)

Jetzt erst lässt sich der Übergang zu der kleinen Passage in Röm 3,21-28 herstellen, wenn den Lesern des Briefes ganz klar vor Augen steht: Die Gerechtigkeit wird jenseits des Gesetzes offenbar. Das Neue, das Paulus betont, liegt in der Offenbarung und in dem, wie der Begriff der Gerechtigkeit gefasst wird. Diese beiden Begriffe von Gerechtigkeit und der Offenbarung haben sowohl Martin Luther wie dann auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Theologen Karl Barth nachhaltig beschäftigt. Luther geht dem Wort Gerechtigkeit in seiner Auslegung des Römerbriefes von 1515/16 intensiver nach. Er schreibt: „Die ‚Gerechtigkeit ohne das Gesetz‘ ist vielmehr die, welche Gott dem Gläubigen durch den Geist der Gnade verleiht ohne Zutun des Gesetzes.“ Karl Barth hingegen betont an dieser Stelle den Charakter der Offenbarung. Und die Offenbarung umkreist er in immer neuen Bildern: „Wir können das Nein, unter dem wir stehen, nicht mehr anders hören, als aus dem göttlichen Ja heraus […] Gewiß, sofern wir glauben, was offenbart ist, nicht mehr anders.“

Somit hängen die drei zentralen Begriffe „Gerechtigkeit“, „Offenbarung“ und „Glaube“ innerlich wie in einem Kreis zusammen. Diesen Zusammenhang spricht Paulus in Röm 3,22 an. Aus der Perspektive des Glaubens erkennt der Mensch, dass es im Wesen des Menschen keinen Unterschied gibt. Und dieses Wesen des Menschen liegt in der Tatsache der Sterblichkeit. Im Glauben gründet für ihn die Erkenntnis der Sünde und damit ist im tiefsten die Trennung von Gott und Mensch gemeint. Aber diese Erkenntnis führt zugleich auch zu der Erkenntnis der Gerechtigkeit und dem „fröhlichen Wechsel“ den Jesus Christus erwirkt hat – so beschreibt es Luther in einem seiner Lieder. Damit ist die Theologie bei ihrer Mitte angekommen. Indem Martin Luther im Bibelstudium der Texte des Apostels Paulus auf diesen Zusammenhang aufmerksam wurde, schuf er die theologische Grundlage der Reformation.

 

II. „Gerecht aus Gnade“ - das Herzstück protestantischer Theologie
Wenn nun klar ist: Gott offenbart sich und im Glauben erfasst der Mensch die Gerechtigkeit Gottes, die in der Offenbarung begründet liegt, dann ist Jesus Christus selbst die Mitte der Gerechtigkeit Gottes. Karl Barth bringt es in seiner Textauslegung genau auf den Punkt: „Christus ist der Inhalt dieser Erkenntnis: die Gerechtigkeit Gottes selbst.“ Nun stellt sich aber die Frage, woher der Mensch die Gewissheit dieser Erkenntnis nehmen kann?

Der archimedische Punkt in dieser Hinsicht und damit die absolute Voraussetzung bildet der Glaube. Wie der Glaube an Jesus Christus die Erkenntnis der eigenen Sünde als Getrenntsein von Gott bedingt, so eröffnet der Glaube das Verstehen des Zusammenhanges von Jesus Christus als der Gerechtigkeit Gottes. Der Glaube ist dann auch das Durchbrechen des „Rühmens“, von dem Paulus am Anfang des Textes sprach. Der Glaube ist also der Türöffner der Erkenntnis. An dieser Stelle macht sich das Christentum bis heute angreifbar, denn in der Welt der Zahlen und Fakten besteht ja ein Vorbehalt vor der Welt des Glaubens, die eher als „nicht-wissen“, „mutmaßen“ oder empirischer Ungenauigkeit verstanden wird. Das Glauben der Bibel ist aber indes ein „vertrauen auf“ als individueller Gewissheit und Lebensgrundlage. Glauben und Wissen können und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. In diese Richtung zielt der unnachahmlich treffende Satz Albert Einsteins: „Gott würfelt nicht.“ Das Wissen von Gott trennt Einstein vom Wissen über die Realität.

Aus dem Glauben heraus erwächst für Paulus die entscheidende Erkenntnis im Römerbrief: Gottes Gnade war es, die ihn aus der Treue heraus handeln ließ. Diese Gnade ist ein Attribut Gottes. Sie „ist und bleibt immer Gottes Kraft“, schreibt Karl Barth. Gott selbst ist der Akteur in seiner Offenbarung. Die Gnade aber bliebe leer, wenn sie nicht gefüllt würde durch eine inhaltliche Mitte. Und so führt der Apostel Paulus in Röm 3,24 seine Argumentation auf einen einzigen Punkt zu: „Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“

Die Aufgabe und das Werk Jesu Christi liegen in der Erlösung des Menschen. Wenn man so will, ist in der Tat darin der Weg der jüdischen Tora überholt. Und somit ist das eigentlich Trennende zwischen Judentum und Christentum diese Interpretation von Erlösung, die nach dem christlichen Verständnis in und durch die Person Jesu Christi erwirkt worden ist. Und um der Erlösung gewiss zu werden bedarf es auch keiner „Mittelsmänner“ oder „Zwischeninstanzen“, wie sie etwa die katholische Kirche durch die Mariengläubigkeit, durch Buß- und Beichtwesen oder die Stellung von Papst und Priestertum als notwendig erachtet. Das Herzstück der protestantischen Theologie liegt in dem „sola fide“ (allein aus Glauben), das dem „sola gratia“ (allein durch Gnade) und dem „sola scriptura“ (allein durch die Schrift) unverrückbar zur Seite gestellt ist. Diese evangelische Mitte hat Martin Luther in seinen Liedern auf immer wieder kreative Art und Weise beschrieben und vertont wie etwa in dem Lied: „Komm, Heiliger Gesit, Herre Gott“:

„O Herr, behüt uns vor fremder Lehr,
dass wir nicht suchen Meister mehr,
denn Jesum mit rechtem Glauben
und ihm aus ganzer Macht vertrauen.“ (eg 125)

 

III. Gerechtigkeit und Freiheit – des Protestanten Stand in der Welt
Diese Gedanken von einer Gerechtigkeit, die die Erlösung des Menschen bewirkt, kämen einer Spiegelfechterei von Argumenten und Worten gleich, wenn sie in der abstrakten Höhe blieben und nicht in die Niederungen des Lebens hinein konkretisiert werden könnten. Diese Konkretion des Alltags möchte ich zum Abschluss mit den Worten Martin Luthers versuchen. In seiner Schrift aus dem Jahr 1520 „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ beginnt der Reformator seine Ausführungen mit einer widersprüchlichen Aussage: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr und über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Das Wissen, dass das Leben des Menschen ein Geschenk aus der Gnade Gottes ist und zugleich durch die Erlösung im Kreuzestod Christi unter einer österlichen Verheißung von Hoffnung und Auferstehung steht, führt zu einer Lebenshaltung, in der die Freiheit eine ganz neue Bedeutung erhält. Aber es führt auch zu einer Lebenshaltung, die die Widersprüche aushält und nicht stehen lässt. Ganz und gar nicht sind in der gegenwärtigen Welt und Gesellschaft „Ruhmsucht“ und „Sünde“ vergangen und der protestantische Glaube weiß sehr wohl von der Knechtschaft der Welt, von sozialer Not, Armut, Ungerechtigkeit, Hunger, Leid und den sozialen Problemen. Im evangelischen Verständnis führt der Glaube dann aber nicht zu Passivität oder Nichtstun, sondern in die Aufgabe der konkreten sozialen Gestaltung der Welt geradezu hinein. Der Glaube an die Erlösung in Jesus Christus führt zum „Dienst“ an der Welt, wie er sich etwa durch das diakonische Engagement zeigt. Im diakonischen Verständnis werden Rechtfertigung und Versöhnung konkret.

Gleichzeitig zeigt sich aber auch das „Protestantische“ im Widerstehen, in der Kritik und dem Aufdecken der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das hat uns die Reformation um Luther, Zwingli und Calvin mit auf den Weg gegeben. Die Gerechtigkeit, die von Gott selbst durch die Erlösung in Jesus Christus bewirkt wurde, stiftet Unruhe und kann zum gesellschaftlichen Protest führen. Dieser Motor des Glaubens bewegt dazu, dass Menschen um der Gerechtigkeit und Freiheit willen Stellung beziehen. Die Laienbewegung des Evangelischen Kirchentages ist ein äußeres Zeichen dieses Verständnisses von Gerechtigkeit und Freiheit wie auch viele Stellungnahmen und Denkschriften der Evangelischen Kirche deutlich machen, dass das protestantische Glaubensverständnis eine Stimme inmitten der gesellschaftlichen Vielfalt ist. Von diesem Wissen der Gerechtigkeit Gottes lässt sich dann auch für die soziale Gerechtigkeit in der Welt streiten. In nicht viel weniger als diesem Anspruch besteht das protestantische Manifest, das auch noch gilt, wenn die Scheinwerfer nach dem 31. Oktober 2017 und den Feierlichkeiten um das Reformationsjubiläum erloschen sind.

 

 

[1] „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso den Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: `Der Gerechte wird aus Glauben leben.`“

Ein protestantisches Manifest - Predigtmeditation zu Römer 3,21-28

Ein protestantisches Manifest - Predigtmeditation zu Römer 3,21-28
3,21-28

Die Gerechtigkeit steht hoch im Kurs. Zwar wird die Gesellschaft, in der wir leben, immer ungerechter, aber umso größer wird die Forderung nach mehr Gerechtigkeit, nach Teilhabe und Integration sowie dem Wunsch nach Ausgleich. Teilweise bezieht sich dieser Eindruck größer werdender Ungerechtigkeit auf das diffuse Gefühl einer Ungleichbehandlung, wenn die „großen Gauner“ aus Wirtschaft, Showgeschäft und Medien mit ihren Skandalen vor Gericht vermeintlich glimpflich wegkommen. Die „kleinen Gaunereien“ – angefangen bei Verkehrsübertretungen und Bagatell-Sünden – im gleichen Atemzuge aber durch Behörden und Gerichte härter bestraft werden. Und gleichzeitig fehlt es an Schuldbewusstsein sowohl dem persönlichen wie dem öffentlichen.

Helmut Schmidt brandmarkte auf seine unnachahmliche Weise schon in den neunziger Jahren den Verlust der Moral in den politischen und wirtschaftlichen Eliten. Stattdessen „rühmen“ sich die Helden der Welt ihrer Taten. Hoeneß wird wieder Bayern-Chef, Ackermann hat mit seiner Geldgier-Politik die Deutsche Bank an den Rand des Ruins geführt und steckte ohne Zaudern die Abfindung ein. Und manch anderer Prominenter beruhigt in jüngster Zeit das schlechte Gewissen, für eine kurze Zeit einen Flüchtling bei sich beherbergt zu haben. Die Beispiele stehen hier stellvertretend für die großen und kleinen „Ruhmes“-Sünden der Vielen. Alle handeln richtig und keiner ist’s gewesen.

Letztlich ist es aber die soziale Gerechtigkeit, die die Politik und die Menschen im Land schon seit etlichen Jahren umtreibt. Verbunden wird dieses zentrale Thema der eigenen sozialen Sicherheit mit der Empfindung eines größer werdenden Abstandes von arm und reich. Der Gefahr des sozialen Abstieges, der Perspektive der Renten und ein gesunkenes Lohnniveau trotz Mindestlöhnen auf der einen Seite steht die Entwicklung des Reichtums auf der anderen Seite gegenüber. Die Zahl der Einkommensmillionäre steigt ebenso stetig wie die Mietpreise in den Großstädten. Fast scheint es so, als wenn sich in dem einen Wort „Gerechtigkeit“ die ganze Krise vereinigen ließe und sich eine Spaltung durch das Land zieht.

Wenn es um die Gerechtigkeit geht, so hat die christliche Theologie im Austausch der modernen Gedanken und Reflexionen inmitten aller säkularen Pluralität auch noch ein Wörtchen zu sagen. Zwar stehen die Kirche und ihre Theologie heute eher am Rande der Gesellschaft und können nicht die großen politischen Diskurse zur sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit zentral mit bestimmen. Aber in der Mitte des Christentums steht das Wissen um eine Gerechtigkeit, die die Welt bewegen kann. Der Bibeltext zum diesjährigen Reformationstag 2016 aus dem Römerbrief (Röm 3,21-28) stellt den Gedanken der Gerechtigkeit geradezu in die Mitte. Sie bildet die Achse, um die sich der Apostel in seinem Brief an die Gemeinde in Rom dreht. Der Reformator Martin Luther selbst beschrieb in eigenen Rückblicken immer wieder, dass dieser Text neben der zentralen Stelle aus Röm 1,16f[1] für seine reformatorische Grunderkenntnis fundamental sei. Dieser Text enthält die Mitte der reformatorischen Theologie und stellt geradezu ein protestantisches Manifest dar.

Um aber die Tragweite zu verstehen, die sich in dieser Passage aus dem Römerbrief verbirgt, ist es wichtig, sich ein Stück weit von der Vorstellung der Gerechtigkeit zu verabschieden, die ich eingangs mit dem Verständnis der sozialen Gerechtigkeit eingeführt habe.

Der Gerechtigkeit, die der Apostel Paulus meint und die Martin Luther fasziniert hat, kommt man dann nahe, wenn man sich darauf einlässt über Gott selbst nachzudenken. Ein Nachdenken über Gott führt unmittelbar zu einem Nachdenken über Gerechtigkeit. Der Theologe Karl Barth hat dies in seiner berühmten Auslegung des Römerbriefes aus dem Jahr 1922 mit folgenden Worten beschrieben: „Gott spricht, dass er ist, der er ist. Er rechtfertigt sich selbst vor sich selbst, indem er sich zum Menschen und seiner Welt bekennt, indem er nicht aufhört, sich seiner anzunehmen.“ (Römerbrief, S.67)

 

I. Offenbarung und Glaube
Wer die kleine Textpassage in Röm 3,21-28 liest, ist zunächst von der Dichte der Worte beeindruckt. Paulus zeigt sich als ein wortgewandter Theologe, der es gelernt hat zu argumentieren.Es prägt den gesamten Gedankengang des Römerbriefes, dass Paulus sein Evangeliumsverständnis argumentierend darlegt und dieses in der theologischen Auseinandersetzung mit dem Judentum seiner Zeit tut. So ist es notwendig, die Passage von Röm 3,21-28 in den Gesamtduktus des Römerbriefes einzuordnen, um zu verstehen, was der zentrale Bibelvers in Röm 3,28 dann geradezu als Summe seiner Theologie bedeutet: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“

Wer sich mit der Gerechtigkeit im theologischen Sinn auseinandersetzen will, sollte also zunächst dem nachgehen, was das Gesetz im jüdischen Verständnis bedeutet. Vielleicht lässt sich das Geheimnis dieser inneren Dialektik von Gesetz und Gerechtigkeit von einer anderen Stelle des komplexen Gedankengebäudes des Römerbriefes aus erläutern und entschlüsseln. Der Vers Röm 10,4 gehört wohl zu den Texten, die in der Auslegungsgeschichte biblischer Texte unendlich oft interpretiert worden sind: „Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“ Es sei nun dahingestellt, ob mit Christus das Gesetz überholt wurde oder wie auch immer das Wort „Ende“ (telos) zu interpretieren ist, sicher ist aber: Beide – Gesetz und Gerechtigkeit – sollen für den Apostel Paulus in Bezug auf Jesus Christus verstanden werden.

Was ist nun aber das Gesetz und woher wissen die Menschen sowohl von dem einen, nämlich dem Gesetz und dem anderen, Jesus Christus? Genau um diesen inneren Zusammenhang geht es in dem zentralen Kapitel des Römerbriefes.

Der Predigttext Röm 3,21-28 ist somit eingebunden in eine Interpretation des Apostel Paulus des jüdischen Glaubens, um von dort aus einerseits die Gemeinsamkeit mit dem Judentum und andererseits das radikal Neue des christlichen Glaubens der Gemeinde vor Augen zu führen. Die Mitte des Judentums bildet bis auf den heutigen Tag die Tora, also die fünf Bücher Mose. Diese Tora bildet im Judentum die innere Achse des Glaubens, denn die Gesetzestafeln wurden Mose auf dem Berg Sinai übergeben. Das zweite Buch Mose spricht hierbei deutlich von einer Offenbarung. Will man das Judentum verstehen, so ist es notwendig, dem Verhältnis eines gläubigen Juden zur Tora nachzuspüren. In der Observanz gegenüber den Heiligen Schriften besteht im Übrigen eine durchaus innere Verwandtschaft zwischen dem Judentum, dem Islam und dem Christentum. Auch für den Islam zählt die Befolgung der Regeln des Koran zur Mitte des Glaubens, während im Christentum durch Aufklärung und Säkularisierung die Strenge einer Bibelfrömmigkeit, wie sie etwa noch dem Pietismus zu eigen ist, teilweise verloren gegangen ist.

Der Apostel Paulus stellt nun im Zusammenhang des Römerbriefes die kühne These auf, dass das Judentum durch die Tora und die Beschneidung gegenüber dem christlichen Glauben keinerlei Vorzug hat (Röm 3,1). Offensichtlich bildet dies den Kern des Vorwurfes, der von Seiten jüdischer Kreise dem Apostel vorgehalten wurde. Gemeinsam ist vielmehr beiden, „dass alle, Juden wie Griechen, unter der Sünde sind“ (Röm 3,9) und Paulus ergänzt im Nachsatz mit Verweis auf Hiob 4,17: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.“ (Röm 3,10) Und am Ende des Abschnittes Röm 3,9-20 holt er dann zu der zusammenfassenden Erkenntnis aus: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ (Röm 3,20)

Jetzt erst lässt sich der Übergang zu der kleinen Passage in Röm 3,21-28 herstellen, wenn den Lesern des Briefes ganz klar vor Augen steht: Die Gerechtigkeit wird jenseits des Gesetzes offenbar. Das Neue, das Paulus betont, liegt in der Offenbarung und in dem, wie der Begriff der Gerechtigkeit gefasst wird. Diese beiden Begriffe von Gerechtigkeit und der Offenbarung haben sowohl Martin Luther wie dann auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Theologen Karl Barth nachhaltig beschäftigt. Luther geht dem Wort Gerechtigkeit in seiner Auslegung des Römerbriefes von 1515/16 intensiver nach. Er schreibt: „Die ‚Gerechtigkeit ohne das Gesetz‘ ist vielmehr die, welche Gott dem Gläubigen durch den Geist der Gnade verleiht ohne Zutun des Gesetzes.“ Karl Barth hingegen betont an dieser Stelle den Charakter der Offenbarung. Und die Offenbarung umkreist er in immer neuen Bildern: „Wir können das Nein, unter dem wir stehen, nicht mehr anders hören, als aus dem göttlichen Ja heraus […] Gewiß, sofern wir glauben, was offenbart ist, nicht mehr anders.“

Somit hängen die drei zentralen Begriffe „Gerechtigkeit“, „Offenbarung“ und „Glaube“ innerlich wie in einem Kreis zusammen. Diesen Zusammenhang spricht Paulus in Röm 3,22 an. Aus der Perspektive des Glaubens erkennt der Mensch, dass es im Wesen des Menschen keinen Unterschied gibt. Und dieses Wesen des Menschen liegt in der Tatsache der Sterblichkeit. Im Glauben gründet für ihn die Erkenntnis der Sünde und damit ist im tiefsten die Trennung von Gott und Mensch gemeint. Aber diese Erkenntnis führt zugleich auch zu der Erkenntnis der Gerechtigkeit und dem „fröhlichen Wechsel“ den Jesus Christus erwirkt hat – so beschreibt es Luther in einem seiner Lieder. Damit ist die Theologie bei ihrer Mitte angekommen. Indem Martin Luther im Bibelstudium der Texte des Apostels Paulus auf diesen Zusammenhang aufmerksam wurde, schuf er die theologische Grundlage der Reformation.

 

II. „Gerecht aus Gnade“ - das Herzstück protestantischer Theologie
Wenn nun klar ist: Gott offenbart sich und im Glauben erfasst der Mensch die Gerechtigkeit Gottes, die in der Offenbarung begründet liegt, dann ist Jesus Christus selbst die Mitte der Gerechtigkeit Gottes. Karl Barth bringt es in seiner Textauslegung genau auf den Punkt: „Christus ist der Inhalt dieser Erkenntnis: die Gerechtigkeit Gottes selbst.“ Nun stellt sich aber die Frage, woher der Mensch die Gewissheit dieser Erkenntnis nehmen kann?

Der archimedische Punkt in dieser Hinsicht und damit die absolute Voraussetzung bildet der Glaube. Wie der Glaube an Jesus Christus die Erkenntnis der eigenen Sünde als Getrenntsein von Gott bedingt, so eröffnet der Glaube das Verstehen des Zusammenhanges von Jesus Christus als der Gerechtigkeit Gottes. Der Glaube ist dann auch das Durchbrechen des „Rühmens“, von dem Paulus am Anfang des Textes sprach. Der Glaube ist also der Türöffner der Erkenntnis. An dieser Stelle macht sich das Christentum bis heute angreifbar, denn in der Welt der Zahlen und Fakten besteht ja ein Vorbehalt vor der Welt des Glaubens, die eher als „nicht-wissen“, „mutmaßen“ oder empirischer Ungenauigkeit verstanden wird. Das Glauben der Bibel ist aber indes ein „vertrauen auf“ als individueller Gewissheit und Lebensgrundlage. Glauben und Wissen können und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. In diese Richtung zielt der unnachahmlich treffende Satz Albert Einsteins: „Gott würfelt nicht.“ Das Wissen von Gott trennt Einstein vom Wissen über die Realität.

Aus dem Glauben heraus erwächst für Paulus die entscheidende Erkenntnis im Römerbrief: Gottes Gnade war es, die ihn aus der Treue heraus handeln ließ. Diese Gnade ist ein Attribut Gottes. Sie „ist und bleibt immer Gottes Kraft“, schreibt Karl Barth. Gott selbst ist der Akteur in seiner Offenbarung. Die Gnade aber bliebe leer, wenn sie nicht gefüllt würde durch eine inhaltliche Mitte. Und so führt der Apostel Paulus in Röm 3,24 seine Argumentation auf einen einzigen Punkt zu: „Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“

Die Aufgabe und das Werk Jesu Christi liegen in der Erlösung des Menschen. Wenn man so will, ist in der Tat darin der Weg der jüdischen Tora überholt. Und somit ist das eigentlich Trennende zwischen Judentum und Christentum diese Interpretation von Erlösung, die nach dem christlichen Verständnis in und durch die Person Jesu Christi erwirkt worden ist. Und um der Erlösung gewiss zu werden bedarf es auch keiner „Mittelsmänner“ oder „Zwischeninstanzen“, wie sie etwa die katholische Kirche durch die Mariengläubigkeit, durch Buß- und Beichtwesen oder die Stellung von Papst und Priestertum als notwendig erachtet. Das Herzstück der protestantischen Theologie liegt in dem „sola fide“ (allein aus Glauben), das dem „sola gratia“ (allein durch Gnade) und dem „sola scriptura“ (allein durch die Schrift) unverrückbar zur Seite gestellt ist. Diese evangelische Mitte hat Martin Luther in seinen Liedern auf immer wieder kreative Art und Weise beschrieben und vertont wie etwa in dem Lied: „Komm, Heiliger Gesit, Herre Gott“:

„O Herr, behüt uns vor fremder Lehr,
dass wir nicht suchen Meister mehr,
denn Jesum mit rechtem Glauben
und ihm aus ganzer Macht vertrauen.“ (eg 125)

 

III. Gerechtigkeit und Freiheit – des Protestanten Stand in der Welt
Diese Gedanken von einer Gerechtigkeit, die die Erlösung des Menschen bewirkt, kämen einer Spiegelfechterei von Argumenten und Worten gleich, wenn sie in der abstrakten Höhe blieben und nicht in die Niederungen des Lebens hinein konkretisiert werden könnten. Diese Konkretion des Alltags möchte ich zum Abschluss mit den Worten Martin Luthers versuchen. In seiner Schrift aus dem Jahr 1520 „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ beginnt der Reformator seine Ausführungen mit einer widersprüchlichen Aussage: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr und über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Das Wissen, dass das Leben des Menschen ein Geschenk aus der Gnade Gottes ist und zugleich durch die Erlösung im Kreuzestod Christi unter einer österlichen Verheißung von Hoffnung und Auferstehung steht, führt zu einer Lebenshaltung, in der die Freiheit eine ganz neue Bedeutung erhält. Aber es führt auch zu einer Lebenshaltung, die die Widersprüche aushält und nicht stehen lässt. Ganz und gar nicht sind in der gegenwärtigen Welt und Gesellschaft „Ruhmsucht“ und „Sünde“ vergangen und der protestantische Glaube weiß sehr wohl von der Knechtschaft der Welt, von sozialer Not, Armut, Ungerechtigkeit, Hunger, Leid und den sozialen Problemen. Im evangelischen Verständnis führt der Glaube dann aber nicht zu Passivität oder Nichtstun, sondern in die Aufgabe der konkreten sozialen Gestaltung der Welt geradezu hinein. Der Glaube an die Erlösung in Jesus Christus führt zum „Dienst“ an der Welt, wie er sich etwa durch das diakonische Engagement zeigt. Im diakonischen Verständnis werden Rechtfertigung und Versöhnung konkret.

Gleichzeitig zeigt sich aber auch das „Protestantische“ im Widerstehen, in der Kritik und dem Aufdecken der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das hat uns die Reformation um Luther, Zwingli und Calvin mit auf den Weg gegeben. Die Gerechtigkeit, die von Gott selbst durch die Erlösung in Jesus Christus bewirkt wurde, stiftet Unruhe und kann zum gesellschaftlichen Protest führen. Dieser Motor des Glaubens bewegt dazu, dass Menschen um der Gerechtigkeit und Freiheit willen Stellung beziehen. Die Laienbewegung des Evangelischen Kirchentages ist ein äußeres Zeichen dieses Verständnisses von Gerechtigkeit und Freiheit wie auch viele Stellungnahmen und Denkschriften der Evangelischen Kirche deutlich machen, dass das protestantische Glaubensverständnis eine Stimme inmitten der gesellschaftlichen Vielfalt ist. Von diesem Wissen der Gerechtigkeit Gottes lässt sich dann auch für die soziale Gerechtigkeit in der Welt streiten. In nicht viel weniger als diesem Anspruch besteht das protestantische Manifest, das auch noch gilt, wenn die Scheinwerfer nach dem 31. Oktober 2017 und den Feierlichkeiten um das Reformationsjubiläum erloschen sind.

 

 

 

[1] „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso den Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: `Der Gerechte wird aus Glauben leben.`“

Die neue Welt - Predigt zu Römer 14,17-19 von Johannes Neukirch

Die neue Welt - Predigt zu Römer 14,17-19 von Johannes Neukirch
14,17-19

Liebe Gemeinde,

das „Reich Gottes“ – ja, wie steht es eigentlich damit? Wie weit ist es voran geschritten, wie weit verwirklicht, wann ist es endgültig da?

Diese zwei Wörter „Reich Gottes“ traut man sich ja kaum außerhalb der kirchlichen Räume in den Mund zu nehmen. Seitdem es bei uns das so genannte „Dritte Reich“ gegeben hat, ist das Wort „Reich“ vergiftet. „Reich Gottes“ klingt so, als wollte das Christentum die Herrschaft übernehmen. Oder es markiert eine strikte Trennung: das Reich Gottes gegen das Reich der Welt. Dabei spielt diese Formulierung in der Bibel eine große Rolle. Jesus hat das Reich Gottes gepredigt heißt es in den Evangelien immer wieder und Sie kennen sicherlich Verse wie „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes“ oder „Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer“ oder Jesus „sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften“. In den Evangelien ist klar: Wo Jesus spricht und handelt ist das Reich Gottes präsent, da ist Gott voll und ganz bei den Menschen. Es gibt schönere Übersetzungen für das Wort „Reich“, zum  Beispiel „neue Welt“. Das klingt dann so: "Lasst die Kinder zu mir kommen, und haltet sie nicht zurück, denn für Menschen wie sie ist Gottes neue Welt bestimmt.“ (Hoffnung für alle, Mk 10,14) und „Freut euch, ihr Armen! Ihr werdet mit Gott leben in seiner neuen Welt.“ (Gute Nachricht, Lk 6,20).

Es gibt nun allerdings ein Problem mit dem Reich Gottes bzw. der neuen Welt Gottes: Es ist uns versprochen worden, aber noch nicht ganz da! Dabei hat Jesus gesagt: „Ich sage euch aber wahrlich: Einige von denen, die hier stehen, werden den Tod nicht schmecken, bis sie das Reich Gottes sehen.“ (Lk 9,27). Die Christen vor 2000 Jahren haben in der Tat damit gerechnet, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis Gottes neue Welt kommt – eine Welt, in der es nur noch Liebe und keinen Hass mehr gibt, die gerecht und friedlich ist – was für eine schöne Vorstellung! Bis heute gibt es übrigens immer wieder Menschen, die meinen, dass es nun so weit ist und sie bald kommt. Der amerikanische Evangelist Billy Graham zum Beispiel hat vor kurzem gesagt, dass wir nun in der Endzeit leben würden. Immerhin gibt er aber zu, dass es in der Bibel keine genaue Angabe gibt, wann es denn so weit und der letzte Tag, der Jüngste Tag, kommt und wir in Gottes neuer Welt sind.

Deshalb bleibt es dabei: Jesus hat uns die neue Welt Gottes gezeigt, mit ihm hat sie angefangen, aber sie ist noch nicht ganz da. Und es bleibt seit dem Anfang des Christentums dabei, dass diese neue Welt Gottes in der Gemeinschaft der Christinnen und Christen sichtbar werden soll. Da sind wir dann wieder bei Paulus: „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist.“

Was war da los in der Gemeinde in Rom, was meint das „Essen und Trinken“?

Die Mitglieder der römischen Gemeinde waren bunt gemischt. Es gab Judenchristen, die die Vorschriften des Alten Testaments über richtiges Essen und Trinken noch eingehalten haben. Also das Verbot, unreine Tiere zu essen oder reine Tiere, die nicht geschächtet worden sind. Die Christen nichtjüdischer Herkunft dagegen hielten die Reinheitsvorschriften der Bibel für überholt. Deshalb kam es zwischen den Christinnen und Christen zu Konflikten. Paulus versucht, den Streit zu schlichten, indem er sagt, dass sich die Gemeindeglieder nicht gegenseitig verurteilen sollen. Niemand solle verächtlich auf die herabschauen, die bestimmte Speisen meiden. „Wegen irgendwelcher Speisen“, so schreibt er, „dürft ihr auf keinen Fall den Glauben eines anderen gefährden, für den doch Christus auch gestorben ist.“

Mit anderen Worten: Paulus stellt klar, worauf es wirklich in der christlichen Gemeinschaft ankommt und was Nebensächlichkeiten sind. Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist – daran erkennen wir das Reich Gottes, die neue Welt. Lasst uns dem nachstreben, so fleht er seine Glaubensgeschwister an, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Diese Klarstellung, liebe Gemeinde, ist immer wieder nötig. Denn auch heute streiten Christinnen und Christen heftig darüber, was man tun darf und was nicht. Denken Sie nur an die Auseinandersetzung über die Segnung und Trauung von schwulen und lesbischen Paaren. Auch hier berufen sich die Gegner bei ihrer Ablehnung auf die Bibel und eine lange Tradition. Die Befürworter weisen darauf hin, dass sich Traditionen ändern können und sich im Laufe der Geschichte auch immer wieder geändert haben. Dabei ist wichtig, dass Paulus seine Meinung niemandem aufgezwungen hat. Christen sollen einander annehmen, wie Christus sie angenommen hat, sagt er. Deshalb werden in den Landeskirchen, in denen eine Segnung oder Trauung von schwulen und lesbischen Paaren möglich ist, keine Pastorin und kein Pastor dazu gezwungen zu segnen oder zu trauen.

In der frühen Christenheit hat sich im Laufe der Zeit die Auffassung derjenigen Gemeindeglieder durchgesetzt, die die Reinheitsvorschriften beim Essen und Trinken für überholt gehalten haben. Woher wissen wir, wie wir uns entwickeln und wie es bei uns in zwanzig oder fünfzig Jahren aussehen wird?

Wenn wir an Martin Luther denken, dann ist schnell klar, dass er sich an Paulus und der christlichen Freiheit orientiert hat. Er hat sein Keuschheitsgelübde gebrochen, eine Nonne geheiratet und die erste Pfarrfamilie gegründet. Was für ein Skandal! Luther hat auch den besonderen Stand der Priester aufgehoben und gesagt, dass es keinen Unterschied gibt zwischen einem Gläubigen, einem Priester und einem Bischof – das hat die damalige kirchliche Ordnung und Tradition auf den Kopf gestellt. Alle Christinnen und Christen sind gleich wert. Und alle Christinnen und Christen sollen in der Bibel lesen können und die Möglichkeit haben, selbst über den Glauben nachzudenken. Deshalb hat er nicht nur die Bibel ins Deutsche übersetzt, sondern sich auch dafür eingesetzt, dass alle Kinder Lesen und Schreiben lernen und auch Mädchen die Schule besuchen dürfen – das war geradezu revolutionär!

Es ist eine gute evangelische Tradition, liebe Gemeinde, dass wir evangelische Christinnen und Christen viele verschiedene Meinungen haben und darüber auch ordentlich streiten können. Das ist auch gut so! Es gibt nun mal unterschiedliche Auffassungen darüber, wie wir die Bibel verstehen können, was moralisch richtig und falsch ist, wie Christen leben sollen, ob wir gegen die Atomkraft  oder TTIP auf die Straße gehen und demonstrieren sollen, ob es richtig ist, schwule und lesbische Paare in der Kirche zu trauen, ob AfD-Mitglieder im Kirchenvorstand sein dürfen oder nicht. Bei all diesen Debatten ist es gut, im Auge zu behalten, wie sensibel damals Paulus mit seinen Glaubensgeschwistern umgegangen ist. Er hatte eine klare Meinung, was die Essenvorschriften betraf und sagt aber, dass keiner durch sein Verhalten den anderen in Gewissensnot bringen oder in seinem Glauben verunsichern soll: „zerstöre nicht um der Speise willen Gottes Werk“.

Der Grund dafür ist das gemeinsame Ziel: die neue Welt Gottes sichtbar werden zu lassen. Sie ist sichtbar, wenn es in der Gemeinde um Gerechtigkeit, Frieden und Freude in dem Heiligen Geist geht. Das ist die Richtschnur, die wir bei aller christlichen Freiheit auf gar keinen Fall aus dem Auge verlieren dürfen. Dagegen ist alles andere unwichtig. Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Perikope
25.09.2016
14,17-19

Ausdrücklich selber denken - Predigt zu Römer 14,17-19 von Julia Neuschwander

Ausdrücklich selber denken - Predigt zu Römer 14,17-19 von Julia Neuschwander
14,17-19

Liebe Schwestern und Brüder,

ein Vater zog mit seinem Sohn und einem Esel in der Mittagsglut durch die staubigen Gassen von Keshan. Der Vater saß auf dem Esel, den der Junge führte. „Der arme Junge“, sagte da ein Vorübergehender. „Seine kurzen Beinchen versuchen, mit dem Tempo des Esels Schritt zu halten. Wie kann man so faul auf dem Esel herumsitzen, wenn man sieht, dass das kleine Kind sich müde läuft.“ Der Vater nahm sich dies zu Herzen, stieg hinter der nächsten Ecke ab und ließ den Jungen aufsitzen. Gar nicht lange dauerte es, da erhob schon wieder ein Vorübergehender seine Stimme: „ So eine Unverschämtheit. Sitzt doch der kleine Bengel wie ein Sultan auf dem Esel, während sein armer, alter Vater nebenherläuft.“ Dies schmerzte den Jungen und er bat den Vater, sich hinter ihn auf den Esel zu setzen. „Hat man so etwas schon gesehen?“ keifte eine schleierverhangene Frau, „solche Tierquälerei? Dem armen Esel hängt der Rücken durch, und der alte und der junge Nichtsnutz ruhen sich auf ihm aus, als wäre er ein Diwan, die arme Kreatur!“ Die Gescholtenen schauten sich an und stiegen beide, ohne ein Wort zu sagen, vom Esel herunter. Kaum waren sie wenige Schritte neben dem Tier hergegangen, machte sich ein Fremder über sie lustig: „So dumm möchte ich einmal sein! Wozu führt ihr denn den Esel spazieren, wenn er nichts leistet, euch keinen Nutzen bringt und noch nicht einmal einen von euch trägt?“ Der Vater schob dem Esel eine Hand voll Stroh ins Maul und legte seine Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Gleichgültig, was wir machen“, sagte er, „es findet sich doch jemand, der damit nicht einverstanden ist. Ich glaube, wir müssen selbst wissen, was wir für richtig halten.“

(Quelle: Nossrat Peseschkian, Der Kaufmann und der Papagei Frankfurt a.M., 1979 – 2001)

Die Geschichte von Nossrat Peseschkian macht Mut zum Selberdenken! Es nicht allen recht machen wollen, denn gleich kommt wieder einer um die Ecke, der eine andere Meinung hat.

Aber wie machen wir es denn nun, fragten die Gemeindeglieder der römischen Gemeinde Paulus. Weiter die jüdischen Reinheitsgebote halten oder nicht? Weiter die jüdischen Feiertage einhalten oder nicht? Frei sein von Geboten und Vorschriften oder sich besser weiter um Gottes Willen daran halten?
Die einen sagten: Das ist das Richtige, das will Gott von uns!
Und die anderen sagten: Nein, Gott will es genau anders herum!
Es gab keinen, der eindeutig sagen konnte, was denn nun genau das Richtige sei. Nicht einmal Paulus.

Paulus plädiert in all den Debatten der aufgeregten Römerinnen und Römer für den jeweils eigenen Weg. Er stellt die jeweils eigene Entscheidung aus Glauben nicht in Frage. Die einen halten sich an die Feiertage, die anderen nicht. Die einen essen (Götzenopfer-)Fleisch, die anderen nicht. Das ist in Ordnung so, sagt er, und macht Mut zum eigenen Standpunkt im Glauben. Zum Selber-Denken und Entscheiden. Denn Grund aller ist der Glaube.
Und er betont: dass jeder und jede nur das tun darf und kann, was er oder sie mit seinem Gewissen und vor Gott vereinbaren kann. Und dann erst, in einem zweiten Schritt, schauen soll, dass er oder sie es dem Bruder oder den Schwestern nicht allzu schwer macht. Indem man zum Beispiel nicht all zu demonstrativ das Fleisch im Beisein des anderen isst, auf das der andere aus Glauben verzichten möchte. Aber dass auch die nicht plötzlich Fleisch isst, weil die anderen das tun, wenn es ihr selbst eigentlich völlig widerstrebt.
Die Christinnen und Christen in Rom waren insgesamt in Aufbruchsstimmung. Gott ist nahe, bald sind die Bedingungen dieser Welt außer Kraft gesetzt, so ihre Überzeugung. Und Gottes Königsherrschaft setzt sich durch. Freiheit von Fremdbestimmung, Freiheit von militärischer Fremdbesatzung, Freiheit von politischen Zwängen ist nahe! Freiheit auch im Glauben und im Leben eines jeden Christenmenschen durch den Heiligen Geist.

Wichtig ist jetzt, sagt Paulus, dass jeder und jede das, was er oder sie tut, ganz bewusst tut und erstmal bei sich bleibt. Und alles aus gutem Gewissen tut. Sagt er und macht damit ausdrücklich Mut zum Bei-Sich-Bleiben, zum Selberdenken im Glauben und zum Selbständig sein. Ausdrücklich!

Heute gibt es immer noch fast genau die gleichen Konflikte wie damals in Rom – bei uns heute in Deutschland in unserem Zusammenleben von evangelischen und katholischen Christinnen und Christen, zwischen Reformierten und Lutheranern, zwischen Muslimen und Christen. Es ist schon verblüffend: Manche Konflikte sind seit zweitausend Jahren sogar genau dieselben geblieben, wie sie Paulus in seinen Briefen beschreibt.

Zum Beispiel die Frage der Verschleierung von Frauen. Die einen Frauen bedecken ihr Haupt aus Ehrfurcht vor Gott. Die anderen Frauen halten eine Verschleierung für ein Sakrileg, weil Gott Männer und Frauen gleich geschaffen hat und die Frauen sich dadurch aus ihrer Sicht freiwillig klein machen.

Wer hat denn jetzt Recht? Wie soll jede weiter ihren Esel gelassen und zufrieden führen können?

Oder welche Vorstellungen wir Christen haben, wie es gottgefällig ist vor Gott zu leben. Die einen glauben, dass ehelos zu leben die richtige Entscheidung ist, angemessen vor Gott zu leben. Die anderen wieder glauben, dass die Ehe die einzige Lebensform ist, die Gott, dem Schöpfergott, wirklich gefällt. Und die Dritten wiederum halten die Frage der eigenen Lebensform für überhaupt gar nicht mehr wichtig, wenn man auf das beginnende Reich Gottes schaut.

Sollen besser beide auf dem Esel reiten, soll der Junge den Esel führen und der Vater reitet, oder sollen sie besser beide nicht auf dem Esel reiten? Was ist am besten?

Die einen glauben, dass man Gott gerade dann die Ehre erweist, wenn man im Gotteshaus in eine Richtung schaut, wenn Frauen und Männer sich nicht ansehen und so nicht von Gott ablenken lassen. Wenn man sich vor Ehrfurcht vor dem Heiligen die Schuhe auszieht und sich vor Gott ehrfürchtig zu Boden wirft.

Wieder andere glauben, dass genau das Sich-gegenseitig-Ansehen im Gotteshaus die einzig richtige Art ist, Gott die Ehre zu erweisen. Sie sitzen im Gottesdienst bewusst gegenüber. Sie sagen: Wenn man sich gegenseitig ansieht, werde deutlich, dass Gott die Menschen als Mann und Frau geschaffen hat und dass man im Angesicht des anderen und der anderen Gott selbst erkennen kann.

Was ist denn nun richtig? Den Esel alleine führen, zu zweit auf dem Esel reiten oder der Jüngere führt den Älteren oder der Ältere führt den Jüngeren? Oder läuft der Esel lieber allein?

Die einen glauben, dass Musizieren mit lauten Instrumenten und mehrstimmiges Singen und schöne Bilder und Stoffe Gott am besten die Ehre erweisen. Die andern glauben, dass nur die menschliche Stimme, Schriftzeichen und ein leerer, klarer Raum Gottes Heiligkeit angemessen ist.

Die einen glauben, dass es Gottes Heiligkeit entspricht, wenn wir im Gotteshaus selbst nicht essen. Andere glauben, dass es Gottes Heiligkeit dann entspricht, wenn wir im Gotteshaus feines, dünnes Oblatenbrot beim Abendmahl essen. Dritte wieder glauben, dass es gerade Gottes Heiligkeit mitten unter uns in unserem irdischen Leben entspricht, wenn wir frisches Brot miteinander brechen und Wein beim Abendmahl zu uns nehmen.

Auf dem Esel, neben dem Esel, alleine oder zu zweit? Wie essen und trinken wir denn am besten, damit es Gott gefällt?

Ist das Reich Gottes nicht mehr als Essen und Trinken? Was bedeutet es, dass das Gottesreich Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist ist?

Wir merken: wir sind immer noch wie die Römer kurz davor. Das Reich Gottes ist nahe, aber es ist noch nicht ganz da. Wir ahnen, wie es gehen könnte, aber wir wissen es nicht wirklich. Wir springen und springen immer wieder über unseren Schatten – mal mehr, mal weniger gerne – immer um des anderen, um der anderen willen. Verschleierung oder nicht Verschleierung, sich im Gottesdienst ansehen oder sich nicht ansehen – vieles ist vielleicht völlig egal angesichts des anbrechenden Reiches Gottes und ich kann meinen Esel so oder so führen. Gleichzeitig versuche ich aber auch, in allem mich selbst und meinen eigenen Glauben nicht zu verlieren.

Der Glaube, von dem Paulus spricht, ist ein Glaube, der erst einmal danach fragt, was ich mir selbst schulde. Was ich persönlich denn glaube, wie ich persönlich meinen Glauben zum Ausdruck bringe und welche Konsequenzen dies für mein Leben hat. Das gilt es erst einmal heraus zu finden. Denn bei aller Liebe für den anderen, bei allem Verständnis für den Fremden, bei aller Neugier, bei allem Interesse für den anderen, bei allem Einfühlungsvermögen für die andere und bei aller Geduld geht es darum, dass ich mir erst einmal selbst treu bleiben kann. Dass ich als Christin meinen Glauben, den ich habe, bei mir selbst und vor Gott behalten kann. Dass ich mich auf mich selbst und meine Überzeugungen und Werten als Christin konzentriere.

Und dass ich mich damit dann aber auch als nächsten Schritt frage, was ich dem anderen schulde. Wie ich meinen Mitmenschen mit meinem Glauben und meinen Überzeugungen angemessen begegne. Wie das genau in den Zehn Geboten gemeint ist und wie das gemeint ist, dass wir Gott lieben sollen und unseren Mitmenschen genauso wie uns selbst.

Für mich gibt es tatsächlich ein paar Überzeugungen, die ich – egal, in welcher Situation ich mich befinde – niemals aufgeben möchte.
Mir ist wirklich absolut wichtig: die Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Mädchen und Jungen, egal, aus welchem Kulturkreis sie stammen.
Wenn ich irgendwo mit bekomme, dass Mädchen abgewertet werden und schlechtere Chancen als Jungen haben, bin ich sofort alarmiert. Ich rege mich sofort auf und spreche das direkt an.
Außerdem bin ich absolut kompromisslos gegen Gewalt, gegen Gewalt in der Partnerschaft oder gegenüber Kindern. Das kann und möchte ich nicht dulden. Diese Überzeugung werde ich niemals aufgeben, egal, mit wem ich in welcher Gemeinschaft zusammen leben werde. In welcher Lebensgemeinschaft auch immer ich leben werde, in welcher christlichen Gemeinde, in welcher Stadt, in welchem Bundesland oder in welchem Land auch immer.

Gibt es für Euch auch so etwas, was für Euch unaufgebbar ist aus Überzeugung? Was mit Eurem Glauben an Gott zu tun hat? Etwas, das Euch richtig an die Substanz geht, wenn hier Eure Überzeugungen verletzt werden? Dann solltet Ihr hier auch deutlich den Mund aufmachen, finde ich.
Wenn Gewalt und Missachtung um sich greifen, sollten wir laut und deutlich sagen, was hier nicht in Ordnung ist. Dann ist das die angemessene Form, dem eigenen Mitmenschen in Liebe zu begegnen. Dann sollten wir nicht mehr länger verständnisvoll, neugierig, interessiert und voller Einfühlungsvermögen für den anderen sein, sondern als Christen und Christinnen laut und deutlich unsere Meinung sagen. Laut und deutlich. Ausdrücklich. Egal, wer da uns da gegenüber steht.

Wenn wir nicht nur diese Stunde heute morgen am Sonntag als Gottesdienst verstehen, sondern unser ganzes Leben, dann hört die Suche nach Gottes Willen auf der Kirchenschwelle nicht auf. Dann suchen wir nicht nur sonntags nach Gottes Willen, sondern jeden Tag. In dem Umfeld, in dem wir uns bewegen. Als Radfahrer, als Bahnfahrerin, als Schnellrestaurantgast, als Konzertbesucherin, als Spaziergängerin und als Festbesucher. Dann führen wir unseren Esel gelassen und sicher durchs Leben, ganz bei uns – einzeln oder zu zweit. Dann bleiben wir bei unseren Überzeugungen auf dem Weg und auf die Weise, für die wir uns selbst entschieden haben. Im eigenen Tempo und voller Zuversicht und Klarheit. Und auch in aller Deutlichkeit. Was immer auch andere dazu sagen. Mein Glaube ist: Gott ist nicht fern, sondern nahe. Bald sind die Bedingungen dieser Welt außer Kraft gesetzt und Gottes Königsherrschaft setzt sich durch. Freiheit von Fremdbestimmung, Freiheit von Gewalt, Freiheit auch im Glauben und im ganz persönlichen Leben eines jeden Christenmenschen durch den Heiligen Geist!

In der Geschichte von Nossrat Peseschkian legt der Vater am Schluss seine Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Gleichgültig, was wir machten.“ Sagte er zu seinem Sohn, „es findet sich doch jemand, der nicht damit einverstanden ist. Ich glaube, wir müssen selbst wissen, was wir für richtig halten.“ Und damit schob der Vater dem Esel eine Hand voll Stroh ins Maul.
Amen.

 

Perikope
25.09.2016
14,17-19

Im Reich Gottes mit rosa Decke - Predigt zu Römer 14,17-19 von Juliane Rumpel

Im Reich Gottes mit rosa Decke - Predigt zu Römer 14,17-19 von Juliane Rumpel
14,17-19

Auf dem Sofa, eingekuschelt in die rosa Decke, da liegt sie und schläft.
Sie ist zehn Jahre alt und am allerallerliebsten hört sie Geschichten, am allerallerliebsten Geschichten von Prinzessinnen.
Eingekuschelt in die rosa Decke, liegt sie auf dem Sofa und schläft.
Sie lächelt…

…lächelnd steht sie auf dem Balkon: ein rosa Traum von einem Kleid, ganz neu. Sie hat es eben von ihrem Vater, dem König, geschenkt bekommen. Die Haare, ihre blonden Locken wallen über ihre schmalen Schultern. Sie hebt den Arm, winkt dem Volk, das unter dem Balkon steht. Sie winkt und singt, singt ihr Lieblingslied und alle auf dem Schlosshof stimmen ein. Ihr Vater, der König, lächelt still in sich hinein und die kleine Prinzessin lächelt zurück…

Eines Tages, wieder war sie kurz eingenickt auf dem Sofa, eingekuschelt in die rosa Decke, da stellt sie fest: „Mama, ich will doch keine Prinzessin sein! Weil…“, sie holt kurz Luft, „weil, wenn dann der König stirbt, muss ich ja die ganze Arbeit machen!“
Ein weises Kind. Irgendwann, eingekuschelt in die rosa Decke auf dem Sofa, kam die Erkenntnis, dass so ein Königreich nicht nur Tüllkleider und Singen, Tanzen und Friede, Freude und Eierkuchen ist. Sondern, dass so ein Königreich richtig Arbeit macht. Und fortan waren die Prinzessinnengeschichten Geschichte…

Auf dem Sofa, eingekuschelt in die karierte Decke, da liegt sie und schläft.
Sie ist achtzig Jahre alt und am allerallerliebsten hört sie Geschichten. Geschichten, die ihr die kleinen Prinzessinnen erzählen - ihre beiden Urenkel sind gerade drei geworden und sie erzählen viel, wenn die Ur-Oma mal wach ist.
Eingekuschelt in die karierte Decke liegt sie auf dem Sofa und schläft.
Sie schläft viel in letzter Zeit. Lebensmüde ist sie, so sagt sie das selber. Auf ein langes Leben blickt sie zurück. Sie hat Regierungen kommen und gehen sehen, sie hat Währungen kommen und gehen sehen, sie hat Reiche kommen und gehen sehen. Sie ist noch immer da. Und wenn die kleinen Mädchen sie wieder lange wach gehalten haben und sie einfach nur schlafen will, dann beginnt sie zu beten und die kleinen Mädchen beginnen zu schweigen um zu hören, wenn die Ur-Oma betet: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme…“
In letzter Zeit nickt sie schon bei diesen Worten ein, „dein Reich komme“, die Mädchen murmeln mit.
Als sie später im Sterben liegt, stehen die Mädchen an ihrem Bett, zupfen die Ecken der karierten Decke gerade und beten für sie: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme…“ Und auch als sie nichts mehr sagen kann und nichts mehr reden will, als die Müdigkeit zu groß geworden ist, murmelt sie die alten Worte mit „… dein Reich komme, Herr, dein Reich komme.“

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist. 18 Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. 19 Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Geschichte - das ist das Große, das entsteht, wenn viele kleine Geschichten aufeinandertreffen. Geschichte ist Geschehenes, aber Geschichte ist vor allem gelebtes Leben in und auf dieser Welt.
Geschichte gibt es nicht ohne Geschichten. Und ich mag Geschichten – Sie auch?

Wir durchleben Geschichten, wenn wir sie erleben. Und auch, wenn wir uns erzählen, was wir erlebten.
Geschichten, die wieder und wieder erzählt werden, die werden zu unserer Geschichte.
Erst meine (kleine) Geschichte, dann Ihre, dann unsere (gemeinsame) – schon nicht mehr so klein und irgendwann die große Weltgeschichte.Die großen Geschichten werden aufgeschrieben, damit sie noch mehr Leute erfahren.
Es gibt auch eine Kirchengeschichte und es gibt meine und deine Glaubensgeschichte.
Wir glauben, dass geschehen ist, wovon wir lesen.
Wir glauben, dass gelebt wurde, was wir hören.
Wir glauben den Geschichten derer, die vor uns waren und die erzählten von dem, der die Erde und die Welt geschaffen hat und den die Menschheit nicht ertragen hat bei sich und der gekreuzigt wurde auf dem Berg und der dann doch nicht in dem Reich der Toten blieb. Der auferstanden ist, weil er noch mehr Geschichten mit uns leben will, die zu Geschichte werden.

Die Geschichte, die Geschichten, die uns heute hierher führten, die werden seit Jahrhunderten schon erzählt. Und immer wieder taucht das eine darin auf. Das eine, das so wunderbar und sonderbar, so unverständlich oft beschrieben wird, dass wir als Menschen da so unsere Schwierigkeiten haben zu sagen: „Aha, ja, jetzt hab ich das verstanden. Ich weiß genau, was du mir sagen willst!“

So wunderbar, so sonderbar ist es beschrieben, dass damals schon die Menschen, ja Gott selbst, uns immer wieder Bilder malte davon und versuchte, es in Gleichnisse zu packen, wenn er davon sprach:
Mal ist es eine Perle, die ein Bauer auf dem Acker fand, ein kostbarer Schatz.
Mal ist es ein Sauerteig, den jemand nahm und der mit diesem kleinen bisschen einen großen Teig säuern konnte.Mal ist es ein Senfkorn, das kleinste unter den Samenkörnern, das später dann ein großer Baum werden wird.
Kleine Geschichten über das große Reich.
Kleine Geschichten über das große Reich Gottes.
Verschiedene Bilder für ein und dasselbe. Jesus hat sie erzählt, hat viel erzählt von diesem Reich, das in der Zukunft liegen wird und dennoch schon heute mitten unter uns ist.
Und Jahre später spricht dann wieder einer davon, erzählt keine Geschichte und malt kein Bild. Nein, Paulus erzählt trocken, realistisch und konkret:

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist. 18 Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. 19 Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Konkret und realistisch. Es erinnert mich daran, dass ich die Predigt ja begann mit zwei Geschichten über Frauen: eine junge, kleine und eine alte, sterbende. Beides Geschichten, aber realistisch und konkret und mitten aus dem Alltag, denn wer von uns hat nicht ein Sofa und darauf eine Lieblingsdecke!?

Gerechtigkeit - spielte in meinen Geschichten keine direkte Rolle.
Ich glaube, gerecht zu sein, das ist so ziemlich das schwerste im Leben und ich bin froh, dass es Gottes Gerechtigkeit gibt. Die Gerechtigkeit, die ich von ihm erfahre, weil er mich gnädig ansieht und mir vergibt, was ich mir selbst nicht verzeihe. Und die Gerechtigkeit, nach der alle rufen, beten und flehen, weil es in der Weltgeschichte so ungerecht zugeht.

Frieden - der kam in meinen friedlichen Geschichten vor, er war rosa und kariert und umhüllte die Menschen wie eine Decke.
Frieden ist, wenn jeder schlafen kann, da wo er zu Hause ist und dann schlafen kann, wenn er müde ist.
Frieden ist, wenn jeder sterben darf, da wo er zu Hause ist und dann, wenn es an der Zeit ist.

Und die Freude - die hat jeder wieder erkannt und erhört, der selbst einmal davon träumte, Prinzessin zu sein oder Prinz.
Und jeder wird sie wieder erfahren, wenn er denen zuhört, die er liebt. Wenn diese ihre Geschichten erzählen über eine Welt, in der Friede sein könnte. Über ein Reich, in dem Gerechtigkeit herrschen könnte und im Glauben an den, bei dem das möglich ist.

Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Frieden und Freude.

Doch weil es noch zu viele Kinder gibt, die nicht träumen können, weil sie arbeiten müssen oder aus Furcht gar nicht schlafen und weil es noch zu viele Menschen gibt, die nicht alt werden und nicht erst sterben, wenn es an der Zeit ist - darum werden sie und wir nicht müde zu beten:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Namen, dein Reich komme, ja, dein Reich komme Herr!

Amen.

 

Perikope
25.09.2016
14,17-19

Sucht das Verbindende! - Predigt zu Römer 14,17-19 von Hanna Hartmann

Sucht das Verbindende! - Predigt zu Römer 14,17-19 von Hanna Hartmann
14,17-19

Liebe Gemeinde,

„Miteinander essen, das kann schön sein. Froh zu Tische sitzen, lieben wir. Gaben lasst uns teilen und auch noch verweilen, schön, dass wir beisammen sind!“ Es ist ein Kinder-Tischlied.

Miteinander essen und trinken. Gemeinsam am Tisch sitzen und außer dem Essen auch Zeit, Worte und Gedanken teilen, auf‘s gemeinsame Wohl anstoßen, miteinander lachen – das ist etwas Schönes und verbindet. Auch Ihr als Tauffamilie werdet nach dem Gottedienst sicher irgendwo miteinander sitzen, essen und feiern. Und auch im Martinssaal unten wird es nachher für uns alle noch etwas zu essen und zu trinken geben.
Oder ich denke an die Vesperkirche im Winter, wenn unsere ganze Kirche für ein paar Wochen zum Gasthaus wird und sich die unterschiedlichsten Menschen bei Tisch treffen, gemeinsam essen und miteinander ins Gespräch kommen.
Wie oft lesen wir auch in den Evangelien von Jesus, wie er Gast bei jemandem war und mit den Leuten zu Tisch saß. Miteinander essen, ja, das kann echt schön sein!

Aber es kann – leider – auch ganz schwierig sein. Denn am Essen scheiden sich nicht selten die Geister und Gemüter. Essen ist nämlich weit mehr als nur Geschmackssache. Essen ist auch Einstellungssache: Ob mit oder ohne Fleisch oder gar vegan. Ob bio oder konventionell. Ob frisch zubereitet oder aus der Packung. Ob koscher oder halal oder weder noch. Ob slowfood oder fastfood.

Wir sehen also: So sehr Essen Menschen verbinden kann, so sehr kann es auch trennen. Was wurde und wird über das Essen nicht überall diskutiert und gestritten! Von solchen Tisch- oder Kühlschrankgesprächen wüsste sicher jede und jeder von uns zu erzählen.

Heute, am Sonntag vor Erntedank, hören als Text für die Predigt einen Abschnitt aus dem Römerbrief, Kapitel 14. Dort schreibt der Apostel Paulus:

Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. 18 Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. 19 Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Streit ums Essen, ums richtige Essen, das gab es auch schon damals vor zweitausend Jahren. Auch wenn die Hintergründe andere waren als heute. Damals ging es darum, dass es Fleisch ausschließlich als „den Götzen oder dem Kaiser geopfertes Fleisch“ gab. Darf man das als Christ essen oder nicht? Die einen sagten: „Götzen – was gehen mich die Götzen an? Die gibt es doch sowieso nicht! Oder der Kaiser, der sich als Gott aufspielt? Ha! Ich kenne nur einen Gott, den Unsichtbaren und Lebendigen!“ – und aßen munter drauf los.

Die anderen aber machten sich einen Kopf, ob ja oder nein, und entschieden sich dann dagegen. Das hieß: ab jetzt lebten sie vegetarisch. Sie fanden es falsch, Fleisch zu essen, das jemandem geopfert worden war. Deshalb verzichteten sie lieber darauf.

Dass diese unterschiedlichen Einschätzungen zu heißen Diskussionen in der Gemeinde führten, das kann man sich lebhaft vorstellen. Denn beide hatten ja einleuchtende Argumente und triftige Gründe für ihr Essen bzw. nicht-Essen. Und beide fühlten sich aus ihrer Sicht „zurecht im Recht“. Und wenn sich zwei „zurecht im Recht“ fühlen, dann fliegen einfach die Fetzten. Das war damals nicht anders als heute.

Und in diesen Streit hinein schreibt der Apostel seinen Brief und erinnert die Gemeindeglieder von Rom: He, liebe Leute, das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken!

Essen und Trinken, ja, das braucht der Mensch. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Und es kann auch Menschen zusammenführen. Aber das Reich Gottes ist es deshalb noch lange nicht! Denn das ist mehr. Das ist Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Große Worte sind das. Doch was bedeuten sie?

Dazu hilft es, wenn wir uns ein Bild vor das innere Auge malen, das auch dem Apostel vorschwebte. Nein, nicht ein Bild aus der Küche, sondern ein Bild vom Bau. Im Griechischen ist es das Wort „Oiko-domä“, zu Deutsch: „Hausbau“, also der Bau eines Hauses.
Jede und jeder von uns kennt die Kinderbilder, wo ein Haus zu sehen ist: ein Viereck unten, ein rotes Dreieck-Dach oben, eine Tür und ein Fenster. Gerne noch ein Baum oder eine Blume davor und ein Kamin, aus dem Rauch steigt. Fertig. Es ist ein Haus, in dem eine Familie wohnt - am besten die eigene. Das Haus als eine Art „Nest“, wo es sich aufwachsen und groß werden lässt. Wo Gäste ein- und ausgehen. Wo auch Tiere mit leben dürfen. Wo man zuhause ist. Wie es im Trausegen heißt, wenn zwei sich das Ja-Wort gegeben haben: „Gottes Segen komme reichlich über euer Haus!“ Das Haus und die Familie als Keimzelle der Gesellschaft, als Wurzelgrund für das Wachsen jedes einzelnen.

Hier geschieht „Aufbau“ (Erbauung) im ganz Kleinen: Beim gemeinsamen Essen, beim Lesen einer Gute-Nacht-Geschichte, beim Schlichten von Streit, beim gerechten Verteilen von Süßigkeiten, beim Setzen eines klaren Ja oder Nein, beim Suchen nach Kompromissen.
Schon in einer so kleinen Einheit wie einer Ehe oder Familie ist es immer wieder eine Herausforderung zusammenzuhalten und das Verbindende zu stärken. Sonst kann es auch da schnell passieren, dass man nebeneinander oder gar gegeneinander agiert.
An einem Haus, wenn es Bestand haben soll, muss weitergebaut und etwas investiert werden. Sonst fängt es an zu bröseln.
Das Bild des Hauses reicht aber noch weiter. Es weist über den kindlichen Horizont hinaus steht auch für eine größere Gemeinschaft. So spricht die Bibel zum Beispiel vom „Haus Israel“ als dem Volk Gottes. Da ist jeder Einzelne wichtig und trägt dazu bei, das Ganze der Gemeinschaft zu bauen und zu erhalten. Auch als eine Art „Haus“, wo die Schwächeren Hilfe bekommen und Fremdlinge Zuflucht und einen gastlichen Tisch finden.

Auch die christliche Gemeinde ist so etwas wie ein Haus. Gebaut aus vielen einzelnen – lebendigen – Steinen: aus uns, den Christen-Menschen. Sie beziehen sich aufeinander. Sie tragen andere mit und werden selbst auch getragen. Und der Grundstein, der ganz unten – als Fundament – uns alle trägt: das ist Jesus Christus!

Der Apostel lenkt also den Blick weg vom Essen und dem Konflikt darum, hin auf etwas Größeres: auf das Haus als Sinnbild der Gemeinschaft.
Er schreibt: Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zum Bau des Hauses beiträgt!

Und so entsteht ein Raum, der viel Offenheit lässt für das, was dann tatsächlich geschieht: Wo gelacht und gespielt werden kann, geschlafen und gestritten, aber auch gegessen und gefeiert.
Zuerst und immer gilt also: Sucht das, was Euch untereinander verbindet! Schaut nach dem, wo Ihr zusammengehört, wo Ihr Euch gegenseitig tragen und stärken könnt. Helft Euch gegenseitig, als Gemeinschaft zu leben: als Gemeinschaft von Christen und auch als Gemeinschaft aller Menschen.
Sucht das Euch Verbindende! Immer neu und immer wieder.

Das Trennende, das entdecken wir ja meistens ganz leicht und total schnell: die andere Hautfarbe, das ungewohnte Verhalten, die fremde Sprache, das andere Essen. Und unbewusst geht man dann auch auf Distanz, ist kritisch und skeptisch: Das sieht aber komisch aus - ob das schmeckt?
Leicht passiert es, dass man das Fremde abwertet und eine andere Meinung als die eigene nur mühsam gelten lässt. Ob es nun ums Essen geht oder ums Auto oder um anderes. Sich distanzieren, voneinander abrücken, wegschauen oder sich aus dem Weg gehen: das sind Verhaltensweisen, die oft unser Leben prägen, im Umgang miteinander und auch in unserem Konsumverhalten.

Sucht das Euch Verbindende! Daran erinnert uns die Bibel: Denkt an den Bau eines Hauses und verbindet Euch untereinander. Sucht und versucht das Verbindende!
Das, was einen mit dem anderen verbindet, das liegt nicht immer auf der Hand. Da muss man genauer hinschauen. Und nachfragen und zuhören. Da hat man nicht von vorneherein immer nur recht.
Doch das uns Verbindende zu suchen, das brauchen wir dringender denn je in unserer Zeit, wo der Bau von Mauern und Zäunen wieder so normal geworden ist. Und wo die Zahl der Kinder, die in armen Verhältnissen aufwachsen, auch hier bei uns von Jahr zu Jahr zunimmt. Darum ist es heute vielleicht aktueller denn je, was der Apostel damals sagte: Tut, was zum Frieden dient und euch untereinander verbindet und aufbaut.
Wir brauchen es in unseren Familien und Häusern, damit wir miteinander und nicht nur nebeneinander her leben. Wir brauchen es in unserer Gemeinde, damit wir auch wirklich Gemeinde sind. Wir brauchen es als Menschheitsfamilie, wenn wir mit- und füreinander Menschen bleiben wollen. Und auch mit der Erde, auf der wir leben und von der wir leben, müssen wir uns neu in Achtung und Liebe verbinden. Mit den Pflanzen und den Tieren, die uns Nahrung geben oder Nahrung sind. Und mit den Generationen, die nach uns kommen werden - auch sie sollen ja noch im Haus dieser Erde leben und wohnen können.

Auf einmal merkt man, wie eng doch alles und alle miteinander zusammenhängen. Und dass es durchaus gute Gründe gibt, über das Essen, das auf unserem Tisch steht, genauer nachzudenken: Woher es kommt und ob ich beim Essen auch gerne und dankbar an die denken mag, die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass es jetzt vor mir steht. Denn in der Tiefe unseres Herzens wünschen wir uns alle, dass sich auf unseren Tellern etwas widerspiegelt von Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.

Und dann können wir nächsten Sonntag auch von ganzem Herzen Erntedank feiern und Gott danken! Amen.

Perikope
25.09.2016
14,17-19

An den Tischen vom Café Himmelreich - Predigt zu Römer 14,17-19 von Christiane Quincke

An den Tischen vom Café Himmelreich - Predigt zu Römer 14,17-19 von Christiane Quincke
14,17-19

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

I.
Im Café Himmelreich ist was los. Eine Gemeinde in Pforzheim macht das seit einem Jahr.
Der Kuchen sieht richtig lecker aus. Kaffeegeruch strömt durch die Kirche. Leider kann man heute nicht draußen sitzen. Es wird langsam zu kalt. Aber im Raum neben der Kirche ist ja auch Platz. Die Mitarbeiterinnen haben die Tische liebevoll gedeckt. Diesmal kommen wieder ein paar mehr als letzte Woche. Ob auch die alte Dame von der Straße dahinten kommen wird? Bisher hat sie sich noch nicht so richtig getraut, jedenfalls nicht alleine. Vielleicht müsste man sie mal abholen? Und hoffentlich kommt auch wieder die Familie mit den drei Kindern. Kinderlachen tut den alten Menschen gut. Und schön, wenn auch zwei oder drei von dem Behindertenwohnheim gegenüber da sind. Wenn es warm ist, stoppen auch mal Radfahrer und trinken einen Kaffee. Sie schauen dann in die Kirche hinein. Locker geht es dann zu - fast wie im Urlaub. Dabei haben einige ihr „Päckle“ zu tragen. Ob es die Familie ist, wo der Vater immer noch arbeitslos ist, oder die alte Dame, die sich nicht mehr aus dem Haus traut. Oder der alte Mann, der sich Sorgen um seine Tochter macht.

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

II.
Wenn die Vesperkiche im Januar los geht, ist die Stadtkirche rappelvoll. Kohl und Kartoffeln, Nudeln und Hackfleisch, Reis und Geschnetzeltes, Kaffee und Apfelkuchen. Tische mit Schach und Mensch-ärgere-dich-nicht und Malstiften. In der Sakristei wartet ein Arzt auf Besucher und ab und zu kommt auch eine Friseurin. Jeden Mittag kommen sie: die alten Frauen, die einsamen Männer, die jungen Familien - Menschen, deren Heizung zuhause abgedreht wurde, weil sie die Rechnung nicht mehr bezahlten können. Menschen, die nicht alleine essen mögen. Menschen, die wissen, dass sie hier akzeptiert werden, auch wenn ihr Mantel etwas schäbig aussieht oder sie immer noch fremd sind.

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist.

III.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken. Also machen wir das Café Himmelreich wieder zu? Und die Vesperkirche brauchen wir auch nicht?
Paulus, vielleicht kennst du noch nicht die Erzählung von Jesus, wie er Zachäus vom Baum herunter holt und mit ihm isst und trinkt. Und am Ende sagt er: „Diesem Haus ist Heil widerfahren.“
Oder wie er vom zurückkehrenden Sohn erzählt: Der bekommt erst einmal ein richtiges Festmahl serviert. „Lasst uns essen und fröhlich sein!“ ruft der Vater und nimmt seinen Sohn in den Arm.
5000 Menschen hören Jesus nicht nur zu, sondern werden auch satt. „Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reiche Gottes“ (Lk 13,29).
Und selbst wenn du die Worte von Jesus noch nicht kennst, so kennst du doch Jesaja. Und der verspricht ein Freudenmahl, das Gott mit allen Völkern halten wird. Ein fettes Mahl wird es geben! Und du, Paulus, sagst: Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken!

Schau genau hin, sagt Paulus. In der Gemeinde von Rom gibt es Streit. Da gibt es nämlich Gemeindeglieder, die auf „Nummer sicher“ gehen wollen und sich an die jüdischen Speisevorschriften halte. Fleisch, das aus dubiosen Quellen kommt, wollen sie lieber nicht anrühren. Und es gibt andere Gemeindeglieder, die diese „Nummer sicher“ nicht mehr brauchen. Wir können alles essen, sagen sie. Natürlich ist der Ärger vorprogrammiert, wenn es ans gemeinsame Essen geht. Die einen wollen sich von den anderen nicht bevormunden lassen. Sie finden das lächerlich, dass die anderen es so genau nehmen. Die anderen ärgern sich über die Laschen und halten sie für ungläubig.

IV.
Mich erinnert das an die immer wiederkehrende Kopftuchdebatte. Den einen ist es wichtig, dass sie ihren Glauben ernstnehmen. Sie sind überzeugt, dass das Kopftuchtragen dazu gehört. Die anderen finden das lächerlich. Und sie wundern sich über solche strengen Vorschriften und dass Frauen sie auch noch freiwillig befolgen.

Oder der Streit beim Abendmahl: Wein oder Traubensaft? Für die einen geht das gar nicht, dass ein Abendmahl ohne Wein stattfindet. Die anderen verstehen das nicht. Weil es in ihren Augen doch viel wichtiger ist, dass möglichst alle teilnehmen können.

Kopftuch oder kein Kopftuch? Wein oder Saft? Korrektes Fleisch oder egal?
Allzu leicht bleiben wir bei solchen Fragen hängen. Allzu leicht verlieren wir das Eigentliche aus dem Blick. Nämlich, dass wir gemeinsam unterwegs sind. Dass wir gemeinsam die Welt gestalten. Dass wir zusammenleben, zusammenfeiern, zusammen essen wollen. Und keiner sollte das Gefühl haben, nicht mehr dazuzugehören, nur weil er anders tickt. Oder weil er anders aussieht, anders spricht, anders glaubt.

V.
Mag sein, dass du Recht hast, sagt Paulus. Es ist nicht egal, was du isst. Aber der, dem es egal ist, ist trotzdem dein Bruder. Was sagt denn die Liebe dazu? Die ist wichtiger, also verurteile ihn nicht, sondern überlasse das Gott.
Mag sein, dass du Recht hast. Es ist egal, was du isst. Weil Christus dich frei gemacht hat. Aber die, der es nicht egal ist, ist deine Schwester. Was sagt denn die Liebe dazu? Die ist wichtiger, also mach dich nicht lächerlich über deine Schwester.
Mag sein, dass du Recht hast und ganz korrekt glaubst. Aber die Liebe ist wichtiger, als deine Rechthaberei. Es ist wichtiger, dass du im anderen, in der anderen die Schwester, den Bruder siehst. Es geht nicht um dich, sondern um euch beide.

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.

Achtung! Das ist nicht Friede, Freude, ohne Eierkuchen. Sondern harte Arbeit. Denn keiner soll seine eigene Sichtweise verleugnen. Und dann muss auch mal gestritten werden: Auf wen muss am meisten Rücksicht genommen werden? Wer kann sich am wenigsten wehren? Und wer spielt die Rolle des Benachteiligten besonders perfekt? Das bleibt dir nicht erspart. Doch verzichte darauf, unbedingt gewinnen zu müssen. Schau vielmehr darauf, was gut ist für alle. Dann hast du das Reich Gottes im Blick.

VI.
Und am Ende steht dann wirklich eine Festtafel und an der können alle sitzen. Der Heilige Geist hat sie schließlich doch zusammengebracht. Die Safttrinker und die Weintrinker, die Fleischesser und die Vegetarier, die Kopftuchträgerinnen und die mit den offenen Haaren. Auch die, die Angst vor Flüchtlingen haben oder Veränderung. Und die, die Grenzen dicht machen wollen. Und alle merken sie, dass es nicht darauf ankommt, wer Recht hat und was auf dem Tisch steht und was den Kopf bedeckt. Jeder ist willkommen. Denn es kommt auf den an, der sie an den Tisch gebracht hat. Es kommt auf Gott an.Der Gott, der mit seinem Volk durch die Wüste zieht und ins Exil geht.
Der Gott, der die Rechthaber stolpern lässt und selbst sogar einen Stall nicht scheut.
Der Gott, der die Bettler und Zukurzgekommenen von den Straßen und Zäunen in sein Haus lädt.
Der Gott, der über Gute und Böse die Sonne aufgehen lässt. Auch über Fromme und Nicht-so-fromme und über Christen und Muslime.

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist.

Das Café Himmelreich darf seine Tore öffnen. Kaffee und leckere Kuchen, schön gedeckte Tische. Einladende Kirche.
Aber so wichtig es ist, dass alles schön und lecker ist – das Reich Gottes ist mehr. Es fängt da an, wo die Mitarbeiterinnen sich mit an den Tisch setzen.
Es fängt da an, wo der alte Mann mit den Sorgen um seine Tochter nicht mehr allein ist. Und wo man darüber nachdenkt, wie der Vater eine neue Arbeit bekommt. Und die Kopftuchträgerin vom Flüchtlingsheim darf das Kopftuch aufbehalten, wenn ihr danach ist. Keiner wird draußen gelassen. Türen auf!

Ja, da fängt das Reich Gottes an.
Da sitzt man zusammen, hört sich zu. Man streitet sich und tröstet und stärkt. Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, aber am gemeinsamen Tisch fangen wir an, das Reich Gottes zu bauen - miteinander und so, wie es gerade geht. Und der Heilige Geist weht über die Tische.
Amen.

(mit Anregungen aus Predigtstudien 2015/16 Band II, und GPM 70.4 (2016))

Perikope
25.09.2016
14,17-19