Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Eugen Manser

Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Eugen Manser
15,21-28

Liebe Gemeinde,

eine verstörende Geschichte. Ihr gutes Ende lässt einen nicht ihren empörenden Anfang vergessen. Jesus verschließt sich den Hilferufen einer  Notleidenden, weil sie Ausländerin ist, nicht zum Volk der Erwählten gehört!

Dreimal bleibt die Bitte um die Heilung der Tochter unerhört und schon beim ersten Mal möchte man dazuwischen gehen, dem Jesus die Leviten lesen: „Dann lässt du es eben bleiben, Jesus! Lieber bleibe ich mit meiner Not allein, als dass du mich hier anschweigst und demütigst!“

So geht manche Anfangsgeschichte des Glaubens in die Brüche - bis heute:

Ein Mensch ist in Not. Er hat gehört, das Gebet zu Gott kann helfen. Aber er hat noch nie gebetet. Schließlich überwindet die Not seinen Stolz und er wendet sich das erste Mal mit rauer Stimme und ungelenken Worten an Gott. Die Antwort ist Schweigen.

Der Mensch macht sich vielleicht in seiner Not sogar auf den Weg in die Gemeinde, weil er vermutet, dort seien geübte Beter. Aber er wird wieder enttäuscht, weil er in der Gemeinde allem Möglichen begegnet, nur nicht dem Gott, der seine Not wendet.

Unser Evangelium erzählt, wie dieses Schweigen Gottes schließlich nach unfasslicher Beharrlichkeit doch noch durchbrochen wird. Deshalb ist dieses Evangelium eine wertvolle Geschichte für alle Enttäuschten und Abgewiesenen.

Eine Frau kommt zu Jesus mit dem Notschrei Kyrie eleison!, Herr, erbarme dich!

Wie kommt sie dazu, in Jesus Gott zu sehen, der helfen kann? Denn Jesus mit seinen Jüngern war damals für den Augenschein auch nicht attraktiver als eine Kirchgemeinde von heute.

Markus erzählt in seiner Version der Geschichte, die Frau habe von Jesus ein gutes „Gerücht“ gehört. Aus diesem Gerücht, das sie gehört hat, kommt ihr unerschütterliches Zutrauen zu ihm.

Immer sind es Worte anderer Menschen, die uns auf Gott hinweisen, uns von guten Erfahrungen mit ihm berichten. Der Glaube an die Kraft Gottes entsteht also nicht durch Nachdenken und Grübeln – er entsteht durch das gute Gerücht, das mich trifft, durch Worte von anderen Menschen, die so oft ohne ihr Wissen zu Wegweisern auf Gott hin werden. In mir entsteht dann der Wunsch: ich will auch so glauben können!

Warum aber macht sich gerade diese einzelne ausländische Frau auf den Weg und andere, die das gute Gerücht auch gehört haben, nicht?

Die Antwort gibt Jesus selbst, wenn er bei einer anderen Gelegenheit sagt: „Die Kranken bedürfen das Arztes, nicht die Gesunden.“ Die Frau fühlt ihre Not. Sie ist eine von denen, die Maria im Magnifikat besingt: „Er füllt die Hungrigen mit Gutem – die Reichen lässt er leer.“

Die gute Botschaft geht an mir vorbei, solange ich glaube, bessere Botschaften zu haben, nach Brot verlangt es nur den Hungrigen und Kyrie eleison schreit nur einer, der die Erbarmungslosigkeit erlebt.

Die Frau fühlt das. Sie sucht das Wort, das Heilung bringt in ihre Familie: „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.“
Jesus schweigt zu ihrem Hilfeschrei! Was wird sie gedacht haben? ‚Ist das wirklich der Retter, der gütige Mann, von dem ich gehört habe? Es kann doch nicht wahr sein, er schweigt!’ 
Das ist hart, wenn sich Gott so tief verbirgt, dass wir denken, er wolle uns gar nicht. Wenn wir zum Beispiel in den Gottesdienst kommen in Erwartung von Trost, Hilfe und Ermutigung – und hören dann doch nur seichtes Menschenwort. Oder wenn wir beten und nur Schweigen kommt zurück.

Aber die Frau lässt sich nicht beirren. Sie bleibt bei dem guten Gerücht, dass sie von Jesus gehört hat. Sie bleibt dabei, obwohl sie gar nichts von Güte und Zuwendung spürt. Das tut unserer Vernunft, unserem Stolz, unserer Würde weh, wenn Gott uns so ignoriert! Da fallen die Hüllen und der Mensch steht nackt und bloß vor Gott. Diese Erfahrung erschüttert den Glauben der Frau so stark – dass er darüber fest wird! Doch Jesus schweigt weiter.

Nun bitten die Jünger für die Frau: „Stelle sie doch zufrieden!“ Sie treten mit ihrem Glauben bei Jesus für sie ein. Aber auch ihr Gebet schlägt er ab: „Ich bin nur für Israel da, nicht für diese Fremde.“

Manchmal nehmen sich andere unserer Not an. Sie hören uns an, verstehen uns, sehen auch manches schärfer, klarer als wir es vorher sahen – das hilft und tröstet auch. Aber auch sie werden nicht immer von Gott erhört. Wieder fällt eine Schutzhülle: Auch die Fürsprache (Fürbitte) anderer Menschen für uns ist keine Garantie, Gott aus seiner Verborgenheit herauszulocken. Schroff weist Jesus die Jünger ab: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Doch die Frau geht noch immer nicht traurig davon wie der reiche Jüngling. Immer noch glaubt sie, dass seine Güte unter seiner Abwehr verborgen ist. Sie will noch immer kein negatives Urteil über Gott fällen – das heißt Festhalten am Glauben!    

Sie läuft ihm nach, wirft sich ihm in den Weg: „Herr, hilf mir!“

Endlich bricht er sein Schweigen. Und was bekommt sie nun zu hören?

Sie sei ein Hund, nicht Wert seines Wortes, sie gehöre zu den Unbeachteten. Die Frau lässt die letzte Schutzhülle fallen – sie gibt ihm recht!

„Ja, ich bin eine Hündin, aber nun sei du auch ihr Herr! Denn auch die Hunde bekommen Brosamen von ihrer Herren Tische.“

Das heißt doch: ‚Gott, du Verborgener, du tust alles, um mich von dir wegzubringen – aber dein Segen reicht weiter, als du es mich jetzt erfahren lässt. Du kannst ja deinen Segen gar nicht halten – er fällt dir vom Tisch und ist auch noch für mich da.’

So fängt sie ihn mit seinen eigenen Worten. Jesus ist überwältigt: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst.“

Liebe Gemeinde, diese Geschichte macht eindringlich deutlich, wie schnell wir die Chance unseres Lebens vergeben können, wenn wir nur nach unserem gegenwärtigen Gefühl über Gott urteilen. Hätte die Frau ihrem Schmerz und ihrem verletzten Stolz über die fortwährende Ablehnung nachgegeben, sie wäre wahrscheinlich für immer traurig davongegangen.

Sie aber hielt daran fest, dass auch Gottes Nein ein kräftiges Ja birgt.

Gottes Segen wächst immer wieder über sich hinaus. Sogar Jesus lernt Neues über dieses uneingrenzbare Heil. Nicht die religiöse Herkunft, nicht einmal persönliche Not, sondern einzig der Glaube schreit erfolgreich zum Himmel.

Entscheidend ist also nicht, woher ein Mensch kommt. Entscheidend ist, wohin er unterwegs ist. Das hat Jesus bei dieser Begegnung gelernt. Er hat dazugelernt und sich umstimmen lassen.

Mögen auch wir angesichts der fremden Flüchtlingsströme in diesen Strom der Barmherzigkeit gezogen werden!

  

Perikope
27.09.2015
15,21-28

Vom Sorgen - Predigt zum Thema Flüchtlinge zu Matthäus 6, 25-34 von Christoph Dinkel

Vom Sorgen - Predigt zum Thema Flüchtlinge zu Matthäus 6, 25-34 von Christoph Dinkel
6,25-34

Vom Sorgen

Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist ein Abschnitt aus der Bergpredigt Jesu. Ich lese Matthäus 6,25-34:

Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Liebe Gemeinde!

1. Der Mensch ist das Tier, das sich Sorgen macht

Der Mensch ist das Tier, das sich Sorgen macht. Wir Menschen können Erinnerungen pflegen und eine Zukunft entwerfen. Unser Gedächtnis, unsere Sprache und die Medien Schrift, Ton und Bild halten die Vergangenheit präsent und ermöglichen es uns, detaillierte Pläne für Künftiges zu entwickeln. Wir können vergangenes Glück und vergangenes Unglück erinnern, wir können Erwartungen entwickeln, womit wir künftig zu rechnen haben und worauf wir uns einstellen müssen. Wir Menschen können unsere Zukunft selbst gestalten. Wir können Pläne entwerfen für unser Leben, für unsere Familie, für die Menschheit. All das können Tiere nicht. Tiere können nicht planen. Selbst wenn sie Nester bauen wie die Vögel, tun sie das nicht aus freiem Entschluss einem selbstentworfenen Plan folgend, sondern aus Instinkt, weil es ihr biologisches Programm so vorgibt. Wir Menschen haben gegenüber den Tieren eine viel größere Freiheit, was unsere Entscheidungen angehen. Doch der Preis für die Freiheit, der Preis für die Fähigkeit zur Gestaltung einer eigenen Zukunft sind die Sorgen. Der Mensch ist eben das Tier, das sich Sorgen macht.

2. Sorgen können krank machen

Das Sorgen gehört also zum Menschsein. Es ist der Preis für unsere Gestaltungsmöglichkeiten. Aus dem Sorgen werden wir nicht herauskommen, man kann es nicht abschaffen. Das Sorgen ist auch gar nicht das Problem. Das Problem ist das Maß. Das Problem ist, wenn man sich um zu vieles sorgt, wenn sich Unwichtiges als wichtig aufdrängt, wenn die Sorgenlast überhandnimmt, wenn die Zukunft von Sorgen verdunkelt wird und man sich alles mögliche Unheil ausmalt. Sorgen können krankmachen. Viele Menschen leiden unter der Last ihrer Sorgen. Sie gehen gebückt. Sie blicken finster in den Tag und fürchten hinter jeder Ecke neues Unglück. An jene, die vor lauter Sorgen den Mut zum Leben zu verlieren drohen, richtet sich Jesus mit seinem Wort: Sorget nicht! Ganz praktisch, im Stil eines Weisheitslehrers wendet er sich ihnen zu und sagt das lösende Wort: Lass jeden Tag seine eigene Sorge haben. Der morgige Tag wird für das seine sorgen. Wenn man aus den selbstgemachten Sorgen nicht mehr herausschauen kann, genügt es manchmal, dass einem einer das sagt, was man sich selbst nicht mehr sagen kann: Lebe Tag für Tag. Du musst nicht heute die Probleme für morgen lösen. Sorge dich nicht.

3. Sorgenmaschinen

Frühere Generationen mussten mit der Sorge um Nahrung und Kleidung leben. Die meisten Mitteleuropäer sind diese Sorge los. Wie gut es uns geht merken wir ganz besonders deutlich angesichts der Flüchtlinge, die in diesen Tagen in unser Land strömen. Ihr Schicksal bewegt uns. Sie haben echte Sorgen: Sorge um das Leben, um Gesundheit, um Angehörige. Sie haben viel riskiert, um dem Unglück in ihrer Heimat zu entfliehen. Sie hoffen auf eine bessere Zukunft. Sie setzen auf den Wohlstand und die Hilfsbereitschaft dieses Landes und darauf, dass sie hier gebraucht werden und neue Lebenschancen finden.

Im Vergleich zu den Sorgen der Flüchtlinge kommen einem die Alltagssorgen ganz unwirklich vor. Und dennoch vergällen einem die eigenen Sorgen oft genug das Leben. Zwei moderne Erscheinungen erzeugen besonders viele Sorgen. Es handelt sich um echte Sorgenmaschinen.

Die erste Sorgenmaschine ist unsere ständige Erreichbarkeit. Früher musste man Menschen physisch aufsuchen, um mit ihnen in Kontakt zu treten. Mindestens ein Brief musste versandt werden. Seit Graham Bell das Telefon erfand, ist der Mitmensch sehr viel leichter zu erreichen. Die ultimative Erreichbarkeit hat schließlich das Smartphone mit sich gebracht. Wir sind telefonisch, per Mail oder Messanger unablässig erreichbar. Das ist in ganz vieler Hinsicht ungemein nützlich und praktisch. Die Erreichbarkeit rettet Leben, bei einem Unfall ist der Notarzt viel schneller alarmiert als früher. Vermisste oder verschüttete Personen können per Mobilfunk geortet werden. Familien können über große Distanzen eng zusammenhalten, weil sie sich über Skype hören und sehen und lebendige Eindrücke austauschen können. Ich finde die mobile Erreichbarkeit einen Riesengewinn und möchte sie nicht mehr missen.

Aber die Erreichbarkeit hat auch ihren Preis. Wie oft wird man gestört, wenn es gar nicht passt. Wie oft verfolgen einen die Probleme der Arbeit bis in die Nacht und bis in den Schlaf. Und wie schwer ist es abzuschalten, wenn man immer online ist! Das Leben online kann zur Belastung werden, zu einer Lebensweise, der die Pause und die Einsamkeit fehlen. Im Urlaub war ich volle sechs Tage offline, nicht zu erreichen. Was für eine Erholung war das! Keine Erreichbarkeit, keine Sorgen mehr! Ich habe mir geschworen, auch zu Hause öfters offline zu sein.

Die andere Sorgenmaschine sind die Massenmedien, die uns unablässig mit neuen Sorgenmeldungen bestürmen. Massenmedien leben von unserer Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit heißt Auflage, heißt Quote. Aufmerksamkeit heißt Geldverdienen. Man darf das den Massenmedien nicht übel nehmen. Wir selbst als Kunden und Nutzer erzeugen den Druck auf die Medien, unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Wir selbst sorgen dafür, dass wir zu den Gejagten der Aufmerksamkeitsindustrie werden. Ständig werden uns Eilmeldungen präsentiert. Dreimal am Tag erreichen uns Breaking News. Jede große und kleine Katastrophe auf der Welt wird uns direkt aufs Smartphone geliefert. Wir sind ans Unglück der Welt per Live-Ticker angeschlossen. Unablässig wird uns ein Übermaß an Problemen, Konflikten und Katastrophen präsentiert. Unablässig wird suggeriert, es gäbe zu wenig Lösungen, zu wenig Kompetenz, zu wenig funktionierende Abläufe, weil solche Meldungen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dabei läuft das allermeiste in unserem Land doch ziemlich brauchbar und stabil. Wir haben solide Verhältnisse, werden gut regiert und verwaltet. Im globalen Vergleich ist Deutschland ein Hort der Stabilität. Doch unter dem Dauerbeschuss der Krisenmeldungen erscheint die eigene Umwelt immer weniger stabil. Wahrscheinlich, so beginnt man zu fürchten, ist der Boden unter unseren Füßen nur scheinbar sicher. Darunter könnte das Grauen lauern. Wir haben es bloß noch nicht gemerkt. Das ist die Suggestion der massenmedialen Aufmerksamkeitsindustrie. Sie ist eine Sorgenmaschine allererster Ordnung. Auch hier hilft in erster Linie der Entzug, das gezielte Abschalten, um die Sorgen nicht überhandnehmen zu lassen.

4. Entlastungsmöglichkeiten

Der moderne sorgengeplagte, dauerreichbare und daueralarmierte Mensch sucht nach Entlastung. Wir sind da gar nicht anders als die Menschen zur Zeit Jesu. Aus der Sicht Jesu waren auch seine Mitmenschen von einem Zuviel an Sorgen geplagt. Ihnen bietet Jesus Bilder der Entlastung an: Schaut euch die Vögel am Himmel an. Sie säen nicht, sie ernten nicht und doch finden sie genug zu essen. Schaut euch die Lilien auf dem Felde an. Auch wenn ihr euch noch so viel Mühe gebt. So schön wie sie werdet ihr nicht. Ihr macht euch zu viele Sorgen. Ihr macht euch die falschen Sorgen. Entspannt euch, lasst locker. Dem Sorgen seiner Mitmenschen stellt Jesus sein Gottvertrauen gegenüber. Gott schenkt den Vögeln Nahrung, Gott schenkt den Lilien Schönheit – auch ohne ständiges Sorgen werdet ihr Menschen genug bekommen.

Wenn wir nach Entlastung suchen, dann können wir wie Jesus auf die Vögel und auf die Lilien schauen – und ich glaube das wird auch uns helfen. Wir brauchen überzeugende Bilder der Entlastung. Für mich war der Blick an den Sternenhimmel diesen Sommer eine wichtige Entlastung. In den Tagen besonderer Sternschnuppenaktivität Anfang August habe ich jeden Abend eine halbe oder eine ganze Stunde den Himmel beobachtet. Wir waren auf der Schwäbischen Alb, wo es viel dunkler war als hier in Stuttgart. Wenn man länger schaut, nimmt man wahr, dass es am Himmel abertausende Sterne gibt. Plötzlich sieht man, was die Alten das Himmelszelt nannten: die gewölbte Kuppe des Firmaments. Und dann sieht man die Sternschnuppen: winzige, kurze Lichtereignisse. Besonders schön ist es, wenn man sie gemeinsam sieht und sich mit anderen an diesen Lichtern freuen kann. Den Vögeln und den Lilien möchte ich deshalb die Sternschnuppen an die Seite stellen. Auch sie lehren einen Leichtigkeit, lehren einen den Abstand von den eigenen Sorgen, lehren einen das Vertrauen, dass die Wirklichkeit größer ist als unser Sorgen, dass wir einen stabilen Ort im All haben und in der Welt zu Hause sind.

5. Echte Sorgen und die Sorge ums Reich Gottes

Unsere Sorgen lasten manchmal schwer auf uns. Wie viel schwerer aber wiegen die Sorgen, die die Flüchtlinge plagen, die derzeit nach Deutschland kommen! Sie haben ihre Heimat verloren. Sie sind in der Fremde, hören eine unbekannte Sprache, wissen nicht wie es weitergeht. Ihnen zu helfen ist derzeit eine zentrale Aufgabe der Politik. Ihnen zu helfen ist auch eine zentrale Aufgabe für uns als Christenmenschen. Vom Landesbischof kam die Frage, ob es in den Gemeinden nicht Wohnungen gibt, die leer stehen und die für Flüchtlinge geeignet wären. Unsere Gemeinde selbst hat keine Wohnung. Ich gebe die Frage aber an Sie weiter: Wenn Sie etwas anzubieten haben oder wissen, melden Sie sich bitte. Heute werden wir beim Opfer, der Kollekte am Ausgang für die Flüchtlingshilfe des Diakonischen Werkes sammeln. Auch auf diesem Weg können sie helfen, die Sorgen der Flüchtlinge zu lindern.

Jesus sagt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“, so wird euch das andere alles zufallen. Wer Flüchtlingen hilft, der sorgt sich um das, was aus der Sicht Jesu wirklich wichtig ist. Die Sorge um den Nächsten ist für Jesus die angemessene Form der Sorge. Sie rückt das Sorgen und Kreisen um sich selbst in den Hintergrund. Wer anderen hilft, hilft sich also auch selbst, indem er Abstand gewinnt von den falschen Sorgen, die einem sonst das Leben vergällen.

6. Sorget nicht – das Ethos des Wanderradikalen

Sorget nicht, empfiehlt Jesus seinen Anhängern. Und seine Empfehlung war dabei ursprünglich sehr umfassend und radikal gemeint. Jesus spricht zu seinen Jüngern, die mit ihm unterwegs sind, die nicht wissen, wo sie abends ihr Haupt hinlegen sollen, die ihr Leben riskieren für das Reich Gottes. Das Maß an Gottvertrauen, das Jesus vorlebt und seinen Jüngern abverlangt, ist für uns gutsituierte Wohlstandsbürger provozierend groß. Nur wenige Menschen können so radikal leben wie Jesus. Kein Wunder, dass die Menschen von ihm erzählten er gehe über Wasser. Jesus fand Sicherheit, wo andere nur Abgründe sahen. Aus Jesu Sicht sind wir alle Kleingläubige, wir müssen es mit Beschämung eingestehen.

Wo kann man Gottvertrauen lernen? Jesus stellt uns die Kinder vor Augen. Wer vertraut wie ein Kind, der ist auf dem Weg zum Himmel, sagt er. Im Urlaub habe ich nach Jahrzehnten wieder einmal „Tom Sawyer“ von Mark Twain gelesen. Tom ist ein Musterbeispiel für Gottvertrauen. Tom wächst bei seiner Tante Polly auf. Seine Mutter ist gestorben. Die Tante liebt Tom und Tom liebt die Tante, doch ständig macht sich die Tante Sorgen um ihn. Tom jedoch ist ohne Sorge. Er lebt in den Tag hinein, sieht überall Abenteuer und neue Herausforderungen. Ständig kommt er in Konflikte mit seinem Bruder, mit den Lehrern und mit seiner Tante. Oft genug bezieht er Prügel. Doch Tom nimmt solche Konflikte nicht schwer. Twain schreibt: „Zwei Minuten später, oder in noch kürzerer Zeit, hatte Tom alle seine Sorgen vergessen. Nicht, dass sie weniger schwer waren oder weniger auf ihm lasteten, wie eines Mannes Sorgen auf eines Mannes Schultern, nein durchaus nicht, aber ein neues mächtiges Interesse zog seine Gedanken ab […]. Dieses starke und mächtige Interesse war eine eben errungene, neue Methode im Pfeifen, die ihm ein Freund kürzlich beigebracht hatte.“

Tom Sawyer ist ein Meister in der Bewältigung von Sorgen. So vieles erregt seine Aufmerksamkeit, dass er sich mit Sorgen nicht lange aufhält. Tom Sawyer sieht überall Chancen. Bei einem Ausflug verirrt er sich mit seiner Freundin in einer tiefen Höhle. Die Kerzen gehen aus, sie sind tagelang in der Finsternis verschollen. Das Dorf trauert schon um sie, da entdeckt Tom ganz am Ende eines Stollens Licht. Er rettet seiner Freundin und sich das Leben. Alle sind glücklich. Doch Tom zieht es zurück in die Höhle. Noch mitten in der Todesgefahr hat er die Spur eines großen Goldschatzes entdeckt. Diesen Schatz hebt er zusammen mit seinem Freund Huckleberry Finn.

Ausgestattet mit einem Übermaß an Gottvertrauen weiß Tom aus allen Lagen etwas zu machen. Als seine Tante ihn damit bestraft, dass er statt zu spielen den Gartenzaun streichen muss, deutet Tom die Situation so um, dass aus der Strafe Belohnung wird. Seine Freunde, die über ihn spotten wollen, gaukelt er vor, dass er den Zaun gerne streiche, dass es niemand so könne wie er. Er gibt sich ganz dem Streichen des Zauns hin, bis die Freunde ebenfalls den Zaun streichen wollen. Doch Tom erlaubt es nicht. Schließlich lässt er es sich die Erlaubnis durch Geschenke abhandeln. Die anderen streichen für ihn den Zaun. Er selbst hat fast nichts gearbeitet und zugleich reiche Schätze gesammelt. Aus einer Last hat Tom Gewinn gezogen. Seine Sorgen hat er in ein Vergnügen verwandelt. Jesus sagt: Wer Gott vertraut wie es die Kinder tun, der ist auf dem Weg zum Himmel. – Amen.

Perikope
20.09.2015
6,25-34

KONFI-IMPULS zu Matthäus 6,25-34 von Christina Hirt

KONFI-IMPULS zu Matthäus 6,25-34 von Christina Hirt
6,25-34

Konfi-Impuls zu Matthäus 6,25-34

Sorgen …

25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet.

Worüber machen sich Teenager Sorgen? Hier einige Spontanantworten:
„Über gar nichts.“ „Dass ich den Stoff in der neuen Schule nicht schaffe.“ „Dass ich nicht genügend Geld habe.“ „Dass das Internet nicht geht.“

Die Fürsorge des himmlischen Vaters:

Jesus hebt die Fürsorge des himmlischen Vaters hervor. Sie ist in seiner Liebe gegründet.
Jugendliche erleben an vielen Stellen, dass für sie gesorgt wird (Ich bekomme zu essen, Taschengeld, meine Eltern machen Fahrdienste …). Eine weiterführende Frage wäre: Warum kümmern sich diese Menschen um mich?

Hier kann aber auch die Spannung zwischen Fürsorge und eigener Verantwortung aufgegriffen werden. Das Verhältnis von beidem zueinander ist gerade in der Pubertät oft ein schwieriger Balanceakt. So beschweren sich Jugendliche öfter über die Überbesorgtheit der Eltern. Und Eltern regen sich teilweise über die gechillte Haltung ihrer Kinder auf, die so sorglos (und planlos) in den Tag leben. Vielleicht bedingt sich ja auch beides gegenseitig?

Ich bin gefragt

Im Predigttext tauchen immer wieder Fragen auf. Methodisch könnte man die im Gottesdienst einbauen. Als Interviewfragen oder als roter Faden durch die einzelnen Predigtschritte. (Eine Vorbereitung im Unterricht wird wegen der Ferien nicht möglich sein).
Hier einige Antworten von Jugendlichen:
26 Meint ihr nicht, dass ihr ihm (Gott) viel wichtiger seid? „Doch, ich glaube, ich bin ihm wichtig!“ „Ich vertraue Gott bei allem, was ich mache. Das tun aber nicht alle.“
28 Weshalb macht ihr euch so viele Sorgen um eure Kleidung? „Weil manche Leute denken, dass Aussehen alles ist. Die Leuten schauen nicht auf die inneren Werte, sondern nur, ob man Markenkleidung hat oder schön aussieht.“ „Man sollte nicht so viel Kleidung kaufen, die man im Grund gar nicht braucht.“ „Menschen wollen immer mehr haben.“
30 Vertraut ihr Gott so wenig? „Man sollte Gott vertrauen, weil er begleitet uns auf unserem Weg und beschützt uns in brenzligen Situationen.“ „Ich vertraue ihm wenig.“

Die wichtigste Sorge

33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

Eine mögliche Übung für den Konfirmandenunterricht (vielleicht in etwas abgewandelter Form sogar für den Gottesdienst):
Die Jugendlichen müssen mit einem mit Wasser gefüllten Becher einen Parcours durchlaufen. Es darf möglichst kein Wasser verloren gehen. Wer hat am Ende das meiste Wasser übrig? Für eine zweite Runde wird die Aufgabenstellung verändert: Wieder müssen sie den Parcours mit dem Wasserbecher durchlaufen, aber jetzt zählt zusätzlich, wer das am schnellsten schafft. Die Beobachtung wird sein, dass die Aufmerksamkeit und Sorge anders gewichtet ist. Die „gerettete“ Wassermenge ist nicht mehr so entscheidend.
Daran kann sich ein Gespräch über Vers 33 anschließen. Jesus rückt die Alltagssorgen in einen größeren Zusammenhang. Sie werden für Christen kleiner, weil sich ihre Aufmerksamkeit und Energie auf etwas anderes richten soll: Das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit.
Darin haben Christen auch eine Fürsorgeaufgabe für diese Welt.

Perikope
13.09.2015
6,25-34

Predigt zu Matthäus 6,25-34 von Gabriele Arnold

Predigt zu Matthäus 6,25-34 von Gabriele Arnold
6,25-34

Liebe Gemeinde

Das war wohl der blumigste Sommer seit der Flower-Power-Bewegung in den 70er Jahren. Überall erblühten leuchtende Blumen. Auf T-Shirts und auf Röcken, auf Flip-Flops und Bikinis, auf Jeans und Handtaschen. Sogar vor Männerhemden machten die Blumen nicht halt. Blumen wohin das Auge auch sah. Die Mode hat entdeckt was wir brauchen: Blumen.

Erinnern Sie sich noch an die ersten warmen Stunden im Februar? Wie wir voller Freude an den Zäunen stehen geblieben sind und die Schneeglöckchen und Winterlinge in Nachbars Garten bestaunten - und vielleicht auch in unserem eigenen Garten? Und die langen warmen Sommerabende liegen gerade erst hinter uns. Wenn wir die Augen schließen, riechen wir vielleicht den Duft der Lilien und erinnern uns an die leuchtenden Nachtkerzen. Und auch jetzt im September sind unsere Gärten und Felder noch voller Sonnenblumen. Und die Astern verschwenden ihr rot und lila an uns. Soviel Schönheit und Farbe überall im Alltagseinerlei und grau. Ein Strauß Moosröschen auf dem Schreibtisch oder ein paar Wiesenblumen vom letzten Spaziergang auf dem Küchentisch oder eine Rose auf dem Nachttisch im Krankenhaus. All das tut uns gut. Und es ist so als wollten uns die Blumen eine Botschaft bringen. Leise und doch unüberhörbar.

Jesus verstand die Sprache der Blumen so wie er die Kinder verstand und die Einfaltspinsel dieser Welt. Im Predigttext haben wir es gehört: „Schaut die Lilien auf dem Feld an. Sie säen nicht, sie ernten nicht und unser himmlischer Vater versorgt sie doch.“

Na, mein lieber Herr Jesus, da machst du es dir aber einfach: Schau dir die Blumen an - mache ich ja. Nur ich habe Kinder die wollen studieren und brauchen dafür mein Geld.  Und für das Haus in dem ich lebe, zahle ich noch viel Geld an die Bank. Außerdem habe ich eine alte Mutter, die andauernd auf Besuch wartet. Und einen Chef der Leistung sehen will. Dem sind die Moosröschen auf meinem Schreibtisch herzlich egal.

Tja, liebe Gemeinde, wie ist das nun? Mit den Blumen und den Sorgen? Wie naiv ist Jesus? Oder wie unverständig sind wir? Was meint Jesus mit dem Satz: "sorget nicht“? Weiß er nicht wie groß die Sorgen sein können? Weiß er nicht wie schlimm es ist, nachts nicht schlafen zu können aus lauter Angst vor der Mathe-Arbeit? Weiß er nicht wie bedrückend es ist, wieder und wieder nachzurechnen und zu merken das Geld wird nicht bis zum Monatsende reichen? Weiß er nicht wie lange eine Nacht ist wenn man spürt, dass einem die Liebe entgleitet? Und fällt ihm dann nichts Besseres ein als zu sagen „sorge dich nicht, schau auf die Blumen, die leben doch auch?“ Wie banal ist das denn?

Gott sei Dank ist Jesus nicht so banal – behaupte ich jedenfalls. Jesus ist nicht der, der singt „trink, trink Brüderlein trink, lass doch die Sorgen zu Hause“. Mit seinen Worten bezweifelt Jesus ja überhaupt nicht, dass wir Sorgen haben. Und er ist doch den Menschen nachgegangen und hat sie gefragt: Was brauchst du? Was soll ich für dich tun? Warum weinst du? Jesus sieht ganz genau wie wir dran sind und redet das nicht klein und lächerlich. Und er tadelt uns auch nicht oder bombardiert uns mit klugen Ratschlägen und Selbstverbesserungs-anweisungen nach dem zeitgenössischen Motto: In hundert Tagen sorgenfrei! Oder: Fit und gesund ohne Sorgen! Jesus lenkt unseren Blick auf einen anderen Zusammenhang. Vorsichtig und behutsam. Er zeigt uns etwas dass wir alle kennen: Groß und klein, klug oder dumm, alt oder jung. Jesus zeigt uns die Blumen und die Vögel und erinnert uns daran, dass diese Mitgeschöpfe aus Gottes Güte leben. Gott sorgt für sie – ganz einfach aber nicht banal. Von ergreifender Schlichtheit die jeder verstehen kann. Gott sorgt sich. Und wenn er für Blumen und Vögel sorgt, wieso sollte er dann nicht erst recht für uns sorgen? Das meint Jesus. Jesus meint, wir dürfen uns einfach ein paar Sorgen weniger machen weil Gott für uns sorgt. Immer wieder begegnen wir Menschen die allen Grund haben, sich zu sorgen. Im Moment denke ich da vor allem an die vielen, vielen Flüchtlinge die zu uns kommen. Gott will auch für sie sorgen und dazu braucht er unsere Hilfe. Ganz einfach. Menschen haben Angst, Menschen haben Hunger und Durst, Menschen brauchen ein Dach über den Kopf, eine Arbeit und eine Chance für ihre Kinder. Lassen Sie uns alles tun, damit Gott durch uns für diese Menschen sorgen kann. Ich weiß wohl, manchmal reicht unsere Hilfe nicht und es ist erbärmlich wenig, was wir tun können. Ja, wir können keine Berge versetzen. Aber das ist wirklich kein Grund nicht da anzufangen, wo wir etwas tun können. Und dann sind wir ganz nah bei Jesus, dann stehen wir neben ihm und dann beherzigen wir was er sagt: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes. Packt das an, was euch vor die Hände und vor die Füße fällt. Lasst euer Herz berühren. Und dann wir euch der Rest zufallen. Dann werden eure eigenen Sorgen sich nicht zu Scheinriesen ausbauen, sondern sie werden auf das richtige Maß eingedampft. Es gibt nämlich nicht nur mich. Es gibt auch die rechts und links von mir und die brauchen jetzt vielleicht gerade mich. Und ihre Sorgen werden kleiner durch mich. Und mir hilft ein anderer. Ein Nachbar, ein Engel, der liebe Gott oder die Moosröschen auf dem Schreibtisch oder vielleicht sogar die bunten Blumen auf den letzten Sommer T-Shirts, die mir augenzwinkernd zuflüstern: Gott sorgt für dich – hab keine Angst.

Amen

Perikope
13.09.2015
6,25-34

Glück des Glaubens und falsches Sorgen - Predigt zu Matthäus 6,25-34 von Michael Plathow

Glück des Glaubens und falsches Sorgen - Predigt zu Matthäus 6,25-34 von Michael Plathow
6,25-34

Glück des Glaubens und falsches Sorgen

1. Die Provokation

Liebe Gemeinde, Jesu Bergpredigt - und dieser Teil aus ihr - erweist sich immer wieder als Provokation für unser Zukunft-Planen und Zukunft-Verantworten. Mag dieser Predigtabschnitt aussteigenden Blumenkindern und naiver Schäferidylle genügen - dem nüchternen Alltag der Sorge um finanzielles Auskommen der eigenen Familie und des kommunalen Haushalts, des Ausbaus der regionalen Infrastruktur, der Vorsorge gegen eigenes Krankwerden, gegen Altersarmut für soziales Gesundheitswesen und Generationengerechtigkeit, auch für Nachhaltigkeitsstandarts, die allen gutes Leben in der einen Welt sichern und eigene Verhaltensänderung anzeigen wollen - all dem ist die Bergpredigt schlicht inakzeptabel: eine Provokation.

Auch die Beispiele der “Vögel unter dem Himmel”, der “Lilien” in ihrer Blütenpracht und des “Grases” mit seinem frischen Grün überzeugen nicht. Wir wissen, dass Eichhörnchen Nüsse und Hamster Getreidekörner sammeln zum Überleben, dass die “unverdrossne Bienenschar” mit Wachs verdeckelt die Honigzellen der Waben für die kalte Jahreszeit, dass Amseln und hier überwinternde Vögel vorsorgen, wie ja auch die Menschen Obst und Gemüse einwecken, Kartoffeln keltern, in Kühltruhen Fleisch und Fisch einfrieren, in Silos Getreide und in Tanks Benzin sammeln, dass wir zum Schutz bei Krankheiten und Unfälle Versicherungen eingehen. Das alles schliesst Vorausdenken und Vorausplanen für zukünftige Situationen und Lebensphasen ein.

Ja, dieser Abschnitt aus Jesu Bergpredigt erweist sich als Provokation für unser notwendiges, Not wendendes und verantwortliches Vorsorgen. Verbunden ist damit der hier von Jesus gegebene Hinweis auf die Grenze und Vergänglichkeit des In-der-Welt-seins, auf Nichtung und Tod alles Lebendigen: das Gras, das heute wächst und morgen verdorrt und weggeworfen oder entsorgt wird, woran die biblische Botschaft immer wieder als Beispiel verweist. “Wer vermag seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen?” Auch uns fragt Jesus: “Seid ihr denn nicht mehr als sie?” Das fordert unsere Antwort zum Mehrwert unseres Lebens heraus.

2. Richtiges und falsches Sorgen

Liebe Gemeinde, erinnern Sie sich? Goethe, Faust II, Szene “Mitternacht”: vier graue Weiber wollen Eingang in Faust´s Haus; sie repräsentieren Mangel, Schuld, Not und Sorge. Mangel, Schuld und Not vermögen nicht die Tür aufzusperren. Die Sorge spricht: “Ihr Schwestern, ihr könnt nicht, ihr dürft nicht hinein. Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein”. Ja, die Sorge und das Sorgen - als Verfassung menschlichen Daseins in der Welt hat M. Heidegger sie mit dem alten Mythos der cura-Fabel verdeutlicht und analysiert (M. Heidegger, Sein und Zeit, § 42). Sorge und Sorgen, das sind die am häufigsten vorkommenden Worte hier in diesem Teil der Bergpredigt. D. Bonhoeffer schrieb einmal. “Wir wollen durch Sorge sorglos werden und vermehren durch unsere Sorgen nur die Sorgen”.

Betrachten wir daraufhin unseren Alltag, einen Tageslauf etwa, so scheint das irgendwie zuzutreffen:

Da ist zum einen die verantwortliche Sorge um Krankheit und Gesundheit, um Arbeit und Auskommen. Bisweilen halten wir in der Hektik der Besorgungen inne und fragen auch: “Was wird werden?, Werden wir bei der Beschleunigung technischer, gesellschaftlicher, politischer und globaler Veränderungen behalten können, was wir erreicht haben? Was ist wichtig, das wir tun müssen privat und gesellschaftlich? Dieses sorgsame Sorgen mit all den Besorgungen gehört irgendwie wie der Sauerstoff der Luft zum Dasein in der Welt. Und - wie Jesus sagt - auch Gott weiß, was wir als seine Mitarbeiter zur Erhaltung des Lebens in seiner Schöpfung brauchen. Nicht naiver Sorglosigkeit oder dummem Laissez-faire wird das Wort geredet. Nein, gewiss nicht.

Zum andern widerspricht Jesus der Sorge - wie es da heisst - “um den kommenden Tag”, die zukünftige Zeit, der Angst um das möglicher Weise Zukommende. Es ist ein Sorgen, das bindet, fesselt, gefangen hält mit Jammern und Klagen bis in Schlaf und Träume. Bisweilen sind es Sorgen, die hervorgerufen werden vom Wunsch nach Mehr, Mehr-haben-wollen, das jetzt gelebte Leben vergessend. Da treibt die Sorge um die Finanzierung des Hausbaus beengend die Eheleute in gegenseitige Vorwürfe und Beschuldigungen. Da verstrickt die Sorge um ehrgeizige Benotung den Schüler in die Korrumpierung seiner Freundschaft. Da droht die Sorge um Sicherheit die Allgegenwart geheimdienstlicher Datenspeicherung Privatheit und Freiheit zu verletzen und zu beeinträchtigen. Da wird in Lebenssorge als Zukunftsangst vor dem Aus und dem Nichts “all inclusive” versichert und abgesichert. So ergreift die Sache, um die wir sorgend fürchten, Macht über uns. Sie verfügt wie die Drogensucht über Kopf und Herz, bestimmt unser Leben ganz und das eigene Selbst total.

Diese Angst um die Möglichkeit des eigenen Selbst, eben das verzweifelte Sichselberwollen, lässt die Bestimmung menschlichen Lebens, meines Lebens, verfehlen. Verweisend, weil erwiesen, entdeckend, weil entdeckt, erfahren, weil widerfahren ist das die Beziehung zu und mit Gott und seinem Reich. Denn “woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott”, wie M. Luther sagt in der Auslegung des 1. Gebots im Großen Katechismus: “Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst nicht andere Götter haben neben mir” mit der Erklärung. “Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen”.

Verwiesen und bestimmt ist der Mensch - darin liegt sein Mehrwert über den “Vögeln unter dem Himmel”, den “Lilien” und dem “Gras auf dem Felde” - verwiesen und bestimmt sind wir zur Gemeinschaft mit Gott: ein Vertrauens- und Treueverhältnis in Zeit und Ewigkeit. Als Gottes- und Lebensgewissheit wird sie von uns entdeckt, weil schon entdeckt. Als Fürsorge konkret, jetzt an einem “jeglichen Tag” durch Gottes Zukommen wird sie erfahren, weil widerfahren, wie Jesus in der Predigt vom Reich Gottes vollmächtig verheißt.

3. Glück des Glaubens

Liebe Gemeinde, Jesus ruft - nach den Glückwünschen der Seligpreisungen - hier in diesem Abschnitt seiner Bergpredigt: “Sorget nicht!” Alles, was lebt ist doch von Gottes Fürsorge getragen und begleitet. Vielmehr “trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit; so wird euch solches alles zufallen”. Das Trachten, Suchen, wird hier dem Sorgen entgegen gesetzt. Jesus kontrastiert dem alles bezwingenden und total beherrschenden Ängsten und Sorgen des möglichen Morgen das Trachten nach der sich schenkenden Gegenwart des Reiches Gottes jetzt, hier und heute. Er meint die Wirklichkeit des Zukommens Gottes, wie sie in seiner Person, in seinem Predigen und Heilen, in seinem Leiden und Kreuz angebrochen ist befremdlich und anstössig, in seiner Auferstehung da ist und sich zukommend erschließt und vollendet - nicht selbstverständlich, provokant. Wende der Zeit, die sich uns zuwendet und der wir uns hinwenden - Kehre in unserem Leben, das neue Wirklichkeitsverständnis. Gegen unser Vergessen des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit wendet sich Jesus in der Bergpredigt, indem er vollmächtig den adventlichen Anbruch verkündigt. Dabei stellt Jesus die Frage nach dem Stellenwert, den die Dinge, um die wir uns sorgen und die wir besorgen, wie überhaupt das Trachten und das Sorgen, bei uns haben in unserm Denken und Tun. Was hat Priorität? Was gilt letztlich?

Jesus verheisst mit der Gegenwart des sich ereignenden Reiches Gottes hier und heute, die Gewissheit und das Glück des Glaubens, und zugleich will er gelingendes Leben in der Gemeinschaft mit Gott entdecken lassen und eröffnen: im Vertrauen auf Gottes liebende Fürsorge leben und aus dieser Liebe Gottes in besorgender Sorgfalt “für andere” Liebe üben hier und heute. Wo immer diese Liebe unser Denken, Planen und Tun motiviert, wo Gottes Liebe unser Lebensprojekt bestimmt - Glaube und Leben gehören zusammen - , da bricht das Reich Gottes wie eine Knospe auf, da wird Gerechtigkeit Gottes konkret, da wird nach dem Reich Gottes getrachtet und da ist es gegenwärtig konkret. Und da gründet unser Selbst durchsichtig in Gott, weil wir etwas sind zur Herrlichkeit des Reiches Gottes; denn das Glück des Glaubens wird zukommend unser.

In Segensbildern des Alltags verkündigt Jesus nach den Glücksrufen der Seligpreisungen das angebrochene und anbrechende Reich Gottes. “Glück” ist heute ein Sehnsuchts- und auch Containerbegriff in der Fülle der Glücksrezepte. Dem weltlichen Ausdruck “Glück” entspricht der biblische “Segen”.

Erinnern wir Jesu Gleichnispredigten vom Reich Gottes; das Reich Gottes erschließt sich und wird von den Glaubenden erfahren:

wo gegen Umweltzerstörung und das “Stirb und Werde” die Schönheit der Lilien, das frisch-duftende Gras “auf dem Felde”, eben die Pracht der Schöpfung Gottes heute erlebt wird (Mt 6, 28f.);

wo widerständig gegen Seuche, Katastrophe, Not und Krieg das Wort des Trostes und die konkrete Hilfe des “Samariters” heute weitergegeben und erfahren wird (Lk 10, 29ff);

wo in “dürftiger Zeit” der Same der Evangeliumspredigt heute aufgeht (Mt 13, 24ff.) und extravagant Gemeinde wie ein Senfbaum wächst (Mt 13, 31f);

wo gegen Selbstgenügsamkeit, “Fischen allerlei Art” gleich, auf unwahrscheinliche Weise sich ökumenische Gemeinschaft unterschiedlicher Christen und Kirchen sammelt (Mt 13, 47f), wo heute gegen wechselseitige Schuldzuweisungen der Schuldschein als “Reinigung des Gedächtnisses” wider alle Erfahrung getilgt wird (Lk 16, 1ff.);

wo über Kreuz mit der Skepsis das drängende Gebet “um Mitternacht” erhört wird (Lk 11, 5ff.);

wo, die vorgezeichneten Pflugspuren durchkreuzend, nicht selbstverständlich und unerwartet der “Schatz” zufällt, das Glücks des Glaubens heute (Mt 13, 44f).

So wird uns das Glück erfüllten Lebens von Jesus verheißen und zugesagt: die Gemeinschaft mit Gott, die des Heils in Jesus Christus jetzt und zur ewigen Seligkeit gewiss ist, die Gemeinschaft der Vertrauens- und Liebesgemeinschaft Gottes, zu der wir durch den Glauben bestimmt sind. Eine Provokation? Gewiss! Eine Provokation wie Christi Predigen und Heilen, Christi Kreuz und Auferstehung.

Darum, liebe Gemeinde, “trachten wir am ersten nach dem Reich Gottes  und seiner Gerechtigkeit. Die künstliche Lebenssorge im zwanghaften Sich-selber-wollen angesichts vom möglichen Nichts und nichtendem Tod wird genommen, weil Gott für uns gesorgt hat und weiter sorgt, uns das “Glück des Glaubens” an unseren auferstandenen Herr zuteil geworden ist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als Unsere Vernunft, der bewahre euer Herz und Vernunft, euer Wollen und Tun im Glauben an Jesus Christus, unserm auferstandenen Herrn. Amen

Gebet

“Gott, wir leben in dir und du in uns.
Und doch haben wir die Neigung,
in ängstlichem Egoismus um uns selbst zu kreisen,
sodass wir die Geborgenheit und Gelassenheit nicht finden,
die uns deine Nähe schenken könnte.
Vergib uns dieses Misstrauen.
In deiner Nähe erleben wir Heil und Heilung”.(Christoph von Löwtzow)

 

Perikope
13.09.2015
6,25-34

Hoher Norden - tiefer Himmel

Hoher Norden - tiefer Himmel
Mt 16,13ff

Was muss das für ein überwältigendes Gefühl für Petrus gewesen sein, als Jesus ihm die Schlüssel für das Himmelreich versprach! Vielleicht können Sie sich das ein wenig vorstellen, wenn Sie sich an Situationen aus dem eigenen Leben erinnern, wo jemand Ihnen mal einen besonderen Schlüssel anvertraut hat. Zwei Menschen aus unserer Gemeinde können von solchen "Schlüsselerlebnissen" berichten. Ronja, wie war das für dich, als dir mal ein besonderer Schlüssel anvertraut wurde?

Ronja Holtappels, Statement: "Eine gute Freundin hat mir mal den Schlüssel zu ihrer Wohnung anvertraut. Sie wollte in Urlaub fahren und bat mich darum, ihre Blumen zu gießen und hin und wieder den Briefkasten zu leeren. Ich weiß noch genau, was das für ein schönes Gefühl war, als sie mir ihre Schlüssel gab. Das ist ja ein echter Freundschaftsbeweis, dachte ich. Auf der anderen Seite war ich aber auch etwas aufgeregt. Was, wenn ich den Schlüssel irgendwie verliere? Zum Glück ist aber alles gutgegangen."

Auch Harm Otten aus unserer Gemeinde hatte mal ein besonderes "Schlüsselerlebnis". Bei dir, lieber Harm, ging es aber nicht um einen Wohnungsschlüssel, wenn ich mich recht entsinne.

Harm Otten, Statement: "Richtig, bei mir drehte es sich um den Autoschlüssel meiner Eltern. Nachdem ich als 18- jähriger den Führerschein in der Tasche hatte, war es mir natürlich wichtig, Fahrpraxis zu sammeln. Meine Eltern nach der "Familienkutsche" zu fragen fiel mir dabei gar nicht so leicht, denn ich wusste, dass sie diesen Wagen nicht gerne aus der Hand geben.

Umso größer war da meine Überraschung ,als meine Mutter am Abend der bestandenen praktischen Prüfung des Führerscheins die Autoschlüssel überreichte, damit ich mich an unser Auto gewöhne. Es ging mir der ganzen Familie ins 35 Kilometer entfernte Bremen, also fast einer "Millionenstadt". Mir ging es da ähnlich wie Ronja: Das Vertrauen zu spüren war fantastisch! Gleichzeitig spürte ich aber auch die Verantwortung, die mit diesen Autoschlüsseln verbunden war."

Was für ein Vertrauen, was für eine Verantwortung! So hat sich vielleicht auch Petrus gefühlt, als er die Himmelsschlüssel überreicht bekam. Wir evangelischen Christen glauben, dass Petrus in dieser Geschichte für alle Christen steht, Jesus also auch uns diese Schlüssel überreicht.

Die Oberstufenschüler unserer St. Petri Schule haben darum den Schlüssel ganz groß gemalt. Hier auf diesem Altartuch. Er hat etwas von einem Kraftfeld, das uns Menschen in Bewegung bringt und uns manchmal mitten im Leben himmlische Erfahrungen beschert: Erfahrungen, die uns jetzt schon etwas von dem Himmel erschließen.

Gott macht ihn für alle Menschen ganz weit auf. Unser Gott, der uns mit freundlichen Augen anschaut. "There’s a kindness in his justice". Die Liebe unseres Gottes geht weit über unsere menschlichen Maßstäbe hinaus: "For the love of god is broader than the measures of man’s mind".

There's a wideness in God's mercy like the wideness of the sea. Da ist eine Weite in der Gnade Gottes, so weit wie die See. Das klingt schön, was unser Kinderchor gerade gesungen hat. Wie aber kann man sie merken, diese Weite? Und wo lassen sie sich machen, die Erfahrungen, die uns den Himmel Gottes näher bringen?  Das Altartuch zeigt es im hellen Farbton: Da sehe ich die Sonnenseite des Lebens; wo es uns gut geht und wo wir das Leben aus vollen Zügen genießen können. In diesem Sinne hat auch die dänische Hygge tatsächlich etwas Heiliges. Und wir können Gott von ganzem Herzen für diese guten Zeiten dankbar sein. Denn wenn wir mit Freunden beisammen sind und feiern und lachen ist das schon ein kleiner Vorgeschmack auf das Fest des Lebens, zu dem Gott einmal alle Menschen an seinen Tisch laden wird.

Die dunkelblaue Farbe erinnert mich demgegenüber an himmlische Erfahrungen in der Tiefe des Lebens. In unserer Kirche kann man das am eigenen Leibe erfahren: Bei Kirchenführungen laden wir gerne Kinder zu einer Körperübung ein. Wir bitten die Kinder, sich einmal auf den Boden unserer Kirche zu legen, sich einfach mal gerade auszustrecken und nach oben zum Gewölbe zu schauen.

Wenn ich die Kinder eine Minute später frage, was Ihnen aufgefallen ist, dann erzählen viele das gleiche: Sie hatten den Eindruck, das gotische Gewölbe komme ihnen von oben her entgegen. "Das sieht ja von unten viel näher aus als von hier." hat vor Kurzem mal ein Junge gesagt, als er nach dieser Übung wieder aufgestanden war.

Die Decke der Kirche, der sogenannte "Kirchenhimmel" kommt einem näher vor, wenn man unten ist. Diesen optischen Effekt kann man in allen Kirchen mit einem gotischen Gewölbe erleben. Wie dieser Effekt genau funktioniert, weiß ich nicht. Aber ich deute diese visuelle  Erfahrung als Sinnbild für den Himmel Gottes.

Sein Reich kommt uns näher, je tiefer wir gehen. Hinein in die Tiefe des Lebens. Bei Trauergesprächen zum Beispiel erzählen mir Angehörige oft mit Tränen in den Augen und einem Lächeln im Gesicht, dass ihr Abschied noch mal eine ganz besondere Zeit der Nähe gewesen ist. "Wir konnten uns noch mal aussprechen. Wir haben uns noch mal sagen können, was wir einander bedeuten. Und was wir uns vergeben. Da hat sich etwas gelöst, was jahrelang gebunden war. Das war wichtig und das fühlte sich wunderbar an." Die Sterbezeit war von tiefer Liebe erfüllt.

Wo Menschen so miteinander in die Tiefe des Lebens gehen, dürfen sie manchmal diese Erfahrung machen. Je tiefer man geht, desto näher kommt einem der Himmel.

Den Himmel Gottes können wir also schon jetzt in den Höhen und manchmal auch den Tiefen dieses Lebens spüren. Haben sie dann also Recht? Die Menschen hier in Dänemark, die voll und ganz auf das Diesseits setzen und sich vom Glauben an ein Jenseits verabschiedet haben?

In unserer Kirche gibt es ein altes Bild, das diese Frage mit einem entschiedenen "Nein" beantwortet. Es ist unser "Himmelfahrtsbild", das der königliche Hofmaler Hinrich Krock 1732  für unsere Kirche gemalt hat. Jesus zieht auf diesem Bild die Blicke auf sich.

Er  schwebt nach oben, während seine Jünger ihm von unten erstaunt hinterherschauen. Jesus hat den Tod hinter sich gelassen und macht sich jetzt auf zu seinem himmlischen Vater. Bereits das ist erstaunlich genug.

Petrus und "Co" wundern sich aber vielleicht auch über das, was sie hinter Jesus sehen. Da tut sich der blaue Himmel auf und hinter seinen Wolken sieht man auf einmal ein goldenes Glänzen, einen anderen Himmel. Es ist das Reich Gottes.

Unsere Himmelserfahrungen im hier und jetzt sind eine Vorahnung von  diesem Reich. Da ist noch mehr Himmel hinter dem Horizont unseres Denkens, viel mehr als wir uns jetzt vorstellen können.

Immer wieder erzählt die Bibel von diesem himmlischen "Mehrwert". Die Propheten im alten und neuen Testament malen mit ihren großartigen Visionen diesen anderen Himmel aus. Der Prophet  Jesaja erzählt zum Beispiel, wie die Menschen im Einklang mit einander, mit den Tieren und mit der ganzen Schöpfung leben.

Der  Seher Johannes sieht den Himmel als eine Stadt ohne Leid, Schmerz und Tod. Viel tiefer, weiter und goldener als  in den "himmlischsten" Momenten unseres Lebens heute. Wir nehmen den  Mund ganz schön voll, wenn wir Christen  an diesen anderen Himmel  erinnern. Vielleicht halten uns  unsere Zeitgenossen dann für naive Träumer.

Trotzdem: Es ist es unsere Aufgabe, vom neuen Himmel Gottes  zu erzählen. Denn Gottes Himmel mit seinen überwältigenden Visionen von Frieden und Gerechtigkeit erinnert uns daran, dass unsere Träume nicht in den zuckersüßen Versprechungen der Werbung aufgehen. Wir dürfen auf mehr hoffen und uns mehr von Gott erwarten.

Seien wir also seine guten Bevollmächtigten. Nehmen wir die Himmelsschlüssel in die Hand. Gehen wir bis zum Horizont und öffnen der Hoffnung Tür und Tor. Amen.

Perikope
30.08.2015
Mt 16,13ff

Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Ralph Hochschild

Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Ralph Hochschild
25,14-30

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei dem Evangelisten Matthäus im 25. Kapitel der Verse 14 bis 30. Ich lese heute nach der Übersetzung aus der Basis-Bibel.

14»Es ist wie bei einem Mann, der verreisen wollte. Vorher rief er seine Diener zusammen und vertraute ihnen sein Vermögen an. 15Dem einen gab er fünf Talente, einem anderen zwei Talente und dem dritten ein Talent – jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste der Mann ab.

16Der Diener, der fünf Talente bekommen hatte, fing sofort an, mit dem Geld zu wirtschaften. Dabei gewann er noch einmal fünf Talente dazu. 17Genauso machte es der mit den zwei Talenten. Er gewann noch einmal zwei Talente dazu. 18Aber der Diener, der das eine Talent bekommen hatte, ging hin und grub ein Loch in die Erde. Dort versteckte er das Geld seines Herrn.

19Nach langer Zeit kam der Herr der drei Diener zurück und wollte mit ihnen abrechnen. 20Zuerst kam der Diener, der fünf Talente bekommen hatte. Er brachte die zusätzlichen fünf Talente mit und sagte: ›Herr, fünf Talente hast du mir gegeben. Sieh doch, ich habe noch einmal fünf dazugewonnen.‹ 21Sein Herr sagte zu ihm: ›Gut gemacht! Du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich bei dem Wenigen als zuverlässig erwiesen. Darum werde ich dir viel anvertrauen. Komm herein! Du sollst beim Freudenfest deines Herrn dabei sein!‹ 22Dann kam der Diener, der zwei Talente bekommen hatte. Er sagte: ›Herr, zwei Talente hast du mir gegeben. Sieh doch, ich habe noch einmal zwei dazugewonnen.‹ 23Da sagte sein Herr zu ihm: ›Gut gemacht! Du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich bei dem Wenigen als zuverlässig erwiesen. Darum werde ich dir viel anvertrauen. Komm herein! Du sollst beim Freudenfest deines Herrn dabei sein.‹ 24Zum Schluss kam auch der Diener, der ein Talent bekommen hatte. Er sagte:›Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und du sammelst ein, wo du nichts ausgeteilt hast. 25Deshalb hatte ich Angst. Ich ging mit dem Geld weg und versteckte dein Talent in der Erde. Sieh doch, hier hast du dein Geld zurück!‹ 26Sein Herr antwortete ihm: ›Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du wusstest, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nichts ausgeteilt habe! 27Dann hättest du mein Geld zur Bank bringen sollen. So hätte ich es bei meiner Rückkehr wenigstens mit Zinsen zurückbekommen. 28Nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! 29Denn wer etwas hat, dem wird noch viel mehr gegeben – er wird mehr als genug bekommen. Doch wer nichts hat, dem wird auch das noch weggenommen, was er hat. 30Werft diesen nichtsnützigen Diener hinaus in die Finsternis draußen. Dort gibt es nur Heulen und Zähneklappern!‹«

Herr, segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde,

wie würde unsere Geschichte wohl ausgehen, käme der erste Diener zur Abrechnung und sagte: “In einem instabilen Marktumfeld bin ich mit meinem Investment in schwierige Fahrwasser geraten. Durch gravierende Abweichungen von den erwarteten Rahmenbedingungen kam es zu einem globalen Versagen der Märkte. Die gebotene Gewinnwarnung konnte aufgrund deiner Abwesenheit nicht rechtzeitig kommuniziert werden. Inzwischen hat es sogar einen Totalverlust gegeben. Von deinem Kapital wirst du nichts mehr zurückerhalten.”

Und jetzt käme der zweite: “Die konjunkturelle Vollbremsung im letzten Quartal gab mir nur limitierte Korrekturchancen. Sie zwang mich nicht nur zu einer Kappung meiner Gewinnerwartungen, sondern auch zu einer Restrukturierung deines Vermögens. Ein halbes Talent von deinen beiden Talenten konnte ich retten. Es hätte schlimmer kommen können. Hier hast du dein halbes Talent.”

Und der dritte: “Ich wusste, dass du ein harter Herr bist. Deshalb hatte ich Angst und versteckte dein Talent in der Erde. Hier hast du dein gesamtes Geld zurück.”

Ein Talent Silber erhalten, dieses Talent vollständig zurückgegeben. Nicht so wie die andern! Wäre er jetzt der Gewinner, der alles nimmt. Wäre er jetzt der gute und getreue und vor allem: der erfolgreiche Knecht? Hätte er jetzt die Intentionen seines Herrn besser getroffen als in der Erzählung des Matthäus?

Ich glaube kaum, denn so kann dieses Gleichnis nicht funktionieren. Es ist eben kein Lehrstück von der kapitalistischen Gier. Die Ebene der Geschäftsbeziehungen ist nur ein alltägliches Bild für die Ebene, um die es wirklich geht: die persönliche Beziehung zwischen dem Herrn und seinen Dienern, zwischen uns und unserem Gott.

So ist es nicht geringes finanzielles Geschick, nicht sein Drang, auf keinen Fall einen Fehler zu begehen, was den dritten Knecht von den anderen trennt. Es ist seine Angst vor dem Herrn, die ihn isoliert. Deshalb geht er nicht “sogleich” mit den anderen los, sondern huscht spät in die Nacht hinaus. Deshalb sucht er keine Partner, sondern die Einsamkeit seines Verstecks. Deshalb schleicht er mit seinem Talent in der Finsternis davon, begräbt, was die anderen zum Wachsen und Blühen bringen werden. Es ist seine Angst vor dem Herrn, die ihn isoliert und ironischerweise steht er am Ende da, wo er schon vorher war: In der Finsternis, mit klappernden Zähnen und tränenden Augen bleibt er gefangen in den Symptomen seiner Angst, blind für das wahre Wesen seines Herrn. Er kommt mir vor wie ein Kind, das verängstigt in einer Ecke kauert und sich die Augen zuhält, um das Grauen nicht zu sehen, das es fürchtet. So wenig dieses Kind den Menschen sehen kann, der es liebt, der es in den Arm nehmen und trösten wird, so wenig erkennt der dritte Knecht, wie sein Herr wirklich ist: wie er nicht alle über einen Kamm schert, wie er keinen überfordert, wie er Rücksicht auf den weniger Dynamischen nimmt, jedem nach seinen Fähigkeiten seine Aufgabe gibt, wie seine Liebe auch ihn würdigen und als tüchtigen und treuen Diener ansprechen möchte.

Es ist eine ganz alltägliche Situation, die uns Matthäus erzählt. Menschen erhalten den Auftrag, mit anderer Leute Geld zu arbeiten. Das tun unsere Sparkassen und Banken, unsere Lebensversicherungen und das tut auch der Gemeinderücklagenfond, bei dem die Rücklagen unserer Kirchengemeinde liegen. Es ist normal, dass diese Institutionen mit großen Summen wirtschaften. Es ist ganz alltäglich in der Welt Jesu, dass Diener und Sklaven den Auftrag bekommen, mit dem Geld ihrer Herren zu wirtschaften. Wir geben heute unser Geld, die Herren gaben damals ihr Geld, der Herr in unserer Geschichte gibt sein Geld und einen Vorschuss dazu - einen Vertrauensvorschuss: Dass seine Diener mit dem Geld nicht türmen, dass sie ihn nicht betrügen, dass sie das Richtige mit ihren Talenten tun. Der Herr traut ihnen etwas zu. Auch heute geht es nicht ohne einen solchen Vertrauensvorschuss an die “Bank ihres Vertrauens” heute, ohne ihn wäre dieses so alltägliche Arbeiten und Wirtschaften damals noch weniger möglich gewesen. Und die übergroße Summe, die Matthäus nennt - sie illustriert die Größe des Vertrauens, das die Diener genießen.

Vor ihren erfolgreichen Geschäften steht das große Vertrauen des Herrn. Die beiden ersten erspüren seine Kraft, sie lassen es in ihrem Leben wirken. Es macht sie frei, das Richtige zu tun, es lässt sie selbstbewusst werden, es lässt sie an ihrer Aufgabe wachsen. Dieser Vertrauensvorschuss gibt ihnen einen inneren Kompass, dem sie folgen, ihre Zeit nutzen und der sie schließlich an ihr Ziel führt: “Gut gemacht! Du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich bei dem Wenigen als zuverlässig erwiesen. Darum werde ich dir viel anvertrauen. Komm herein! Du sollst beim Freudenfest deines Herrn dabei sein.”

Das Wort “treu”, griechisch “pistos”, ist hier wichtig. Im Griechischen klingt in diesem “treu”, das Wort für “glauben”, für “vertrauen” an. “Glaube” und “Vertrauen” - es sind so etwas wie die Code-Worte, mit denen Christen ihr Verhältnis zu Gott bezeichnen. Zur Zeit des Matthäus ist das durchaus ein Unterschied zu den allgemein gültigen Vorstellungen. Denn die Anhänger des biblischen Gottes zeichnen sich gegenüber ihren andersgläubigen Mitbürgern dadurch aus: Sie haben keine Angst vor dem Neid ihres Gottes und sie wissen auch: “Dieser Gott gibt mehr als wir ihm je zurückgeben können.” Diese innere Gewissheit stärkt und nimmt Angst. “Die Liebe, sie kennt keine Angst vor dem Risiko” - das gilt wohl vor allem für die Liebe Gottes.

Wir haben es längst bemerkt. Natürlich geht es Matthäus in dieser Geschichte von den anvertrauten Talenten nicht um die Geldgeschäfte irgendeines Menschen. Weil im Deutschen ein “Talent” eine “Begabung” ist, verstanden wir schon beim Hören des Gleichnisses: Es geht eigentlich nicht um Talente aus Silber, sondern um Talente für das Leben.

Im Griechischen ist ein “Talent” eine Waage, etwas, das ins Gleichgewicht kommen soll, auch etwas, das man in die Waagschale werfen kann, etwas, das gewichtig, bedeutsam für unser Leben und unsere Identität ist. Wir alle haben die Erfahrung gemacht: Menschen schätzen uns auch wegen unserer Talente. Denn unsere Talente sind ja nicht nur für uns allein. Wir machen vielen Menschen mit ihnen eine Freude. Wenn sie sich entfalten, sind sie sind für viele Menschen, auch für uns selbst ein Gewinn. Ich erinnere mich an den Kirchendiener meiner Heimatstadt. Er hatte nicht nur das Talent, den Gartenbesitzern die schönsten Blumen für die Kirche abschwatzen. Als gelernter Gärtner hatte er das große Talent, den Altarraum wunderschön zu schmücken. So hat er jeden Sonntag die Schönheit des Gottesdienstes für uns floristisch inszeniert. Menschen, die das Talent haben zuzuhören und unsere Sorgen zu spüren, tun uns allen gut. Wie hilfreich sind Menschen, die auch in schwierigen Momenten die richtigen Worte finden. Wie die ersten beiden Diener spüren wir, wie Leben gut wird, gelingt, wenn wir unsere Talente als Geschenk und Gabe einbringen können.

Allerdings: Ein “Talent” kann auch ein zu schweres Gewicht sein, zur drückenden Last und Belastung werden, die man abschütteln möchte. Wer ein Talent für unsere Sprache hat, den quält die Sprache unserer E-Mails. Wer ein Talent für logisches Denken hat, leidet oft unter der wenig stringenten Alltagslogik seiner Mitmenschen, wer ein Talent zum effizienten Arbeiten hat, gerät oft in erbitterte Konflikte mit den verhaltensoriginellen Mitgliedern seines Teams. Wer das Talent hat, die Folgen von Handlungen und Entscheidungen abzuschätzen, der spürt oft Widerstände und leidet unter dem Unverständnis der anderen. Das Schicksal der Propheten spricht dafür Bände. Ist es nicht besser, sein Talent eben doch zu vergraben? Sich abzufinden? Sich zurückzuziehen? Vielleicht neigen wir ja nicht nur als einzelne dazu, bisweilen unsere Talente zu verstecken und vergraben, sondern auch unsere Kirche. Dabei haben wir doch so große Talente: eine gewichtige theologische Tradition, die es verstanden hat, unseren Vertrauensglauben vernünftig zu denken, ein großes Herz und ein großes Wissen darum, wie man Menschen in Not helfen kann. Viele engagierte Ehrenamtliche. Und: Haben wir nicht das Talent deutlich und verständlich genug mit denen über unseren Glauben zu sprechen, die ihn noch nicht kennen oder nur aus zweiter Hand von ihm wissen?

Uns sind viele Talente mit auf den Weg gegeben. Wie die Diener in der Geschichte haben auch wir unseren Vertrauensvorschuss von Gott für unseren Lebensweg bekommen. Er traut uns etwas zu. Sein Vertrauen kann uns heute motivieren, unsere vergrabenen Talente wie eine Schatzkiste neu zu entdecken, sie zu heben, uns an unseren Funden zu freuen und sie uns anzueignen. Und damit zu rechnen, dass wir an unserem Ort mit den bekannten und den wiederentdeckten Talenten das Richtige tun werden. Vertrauen wir darauf, dass es Gottes Wertschätzung finden und er uns zu sich laden wird. Amen.

 

Perikope
02.08.2015
25,14-30

Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Winfried Klotz

Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Winfried Klotz
25,14-30

Das Gleichnis vom anvertrauten Geld                                 (Neue Genfer Übersetzung)

14 »Es ist wie bei einem Mann, der vorhatte, in ein anderes Land zu reisen. Er rief seine Diener zu sich und vertraute ihnen sein Vermögen an.
15 Einem gab er fünf Talente, einem anderen zwei und wieder einem anderen eines – jedem seinen Fähigkeiten entsprechend. Dann reiste er ab.
16 Der Diener, der fünf Talente bekommen hatte, begann sofort, mit dem Geld zu arbeiten, und gewann fünf weitere dazu.
17 Ebenso gewann der, der zwei Talente bekommen hatte, zwei weitere dazu.
18 Der aber, der nur ein Talent bekommen hatte, grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn.
19 Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück und forderte seine Diener auf, mit ihm abzurechnen.
20 ´Zuerst` kam der, der fünf Talente erhalten hatte. Er brachte die anderen fünf Talente mit und sagte: ›Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; diese fünf hier habe ich dazugewonnen.‹ -
21 ›Sehr gut‹, erwiderte der Herr, ›du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist mit dem wenigen treu umgegangen, darum will ich dir viel anvertrauen. Komm herein zum Freudenfest deines Herrn!‹
22 ´Dann` kam der, der zwei Talente erhalten hatte. ›Herr‹, sagte er, ›zwei Talente hast du mir gegeben; hier sind die zwei, die ich dazugewonnen habe.‹ -
23 ›Sehr gut‹, erwiderte der Herr, ›du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist mit dem wenigen treu umgegangen, darum will ich dir viel anvertrauen. Komm herein zum Freudenfest deines Herrn!‹
24 ´Zuletzt` kam auch der, der ein Talent bekommen hatte. ›Herr‹, sagte er, ›ich wusste, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast.
25 Deshalb hatte ich Angst und vergrub dein Talent in der Erde. Hier hast du zurück, was dir gehört.‹
26 Da gab ihm sein Herr zur Antwort: ›Du böser und fauler Mensch! Du hast also gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe.
27 Da hättest du mein Geld doch wenigstens zur Bank bringen können; dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückbekommen.‹
28 ›Nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat!
29 Denn jedem, der hat, wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.
30 Doch diesen unnützen Diener werft in die Finsternis hinaus, dorthin, wo es nichts gibt als lautes Jammern und angstvolles Zittern und Beben.‹«

Liebe Gemeinde!

Unser Gleichnis aus dem Matthäusevangelium gehört zu den ärgerlichen Gleichnissen! Angefangen dabei, dass hier manche das kapitalistische Prinzip des Wuchers verherrlicht sehen, bis hin zum Urteil über den dritten Diener. Brecht schreibt z. B. in seiner "Ballade vom Pfund":

„Als unser Herr auf Erden
In Sprüchen sich erging
Da hieß er uns bewerten
Den Wucher nicht gering.

Er riet all den Besuchern
Die er bei sich empfing
Mit ihrem Pfund zu wuchern
So gut es irgend ging. ….

Können sich nicht Hedge Fonds Manager, Investmentbanker, können sich nicht die, die Firmen aufkaufen, zerschlagen, die brauchbaren Teile mit Gewinn veräußern, den Rest in die Wüste schicken, wunderbar auf dieses Gleichnis berufen. Seht Jesus fordert eine unbedingte Gewinnorientierung! Und dann, ist das Urteil über den dritten Diener, den dritten Geschäftsführer oder Teilhaber, nicht brutal und gnadenlos und widerspricht der Botschaft vom gnädigen Gott?!

Man kann in der Tat vieles aus der Bibel heraus – oder hineinlesen! Wie verstehen wir dieses Gleichnis richtig? Matthäus und Lukas haben es in etwas unterschiedlicher Ausführung überliefert, es steht also im Evangelium und es redet vom Reich Gottes. Es redet davon, wie Gott sich durch uns verwirklichen will in dieser Welt, von unserer Aufgabe und Verantwortung. Gottes die Welt veränderndes Handeln soll mit und durch uns geschehen; das wird schon darin sichtbar, dass Jesus uns gelehrt hat zu beten: Dein Reich komme! Unser Gleichnis ist also nicht einfach eine Handlungsanweisung in Richtung Geldvermehrung, sondern es geht um die Gemeinde Jesu in Zeiten der Abwesenheit ihres Herrn!

Zuerst: Jesus – ich rede vom auferstandenen Herrn - hat für die Zeit seiner Abwesenheit seine Gemeinde nicht arm, handlungsunfähig, kraft- und saftlos zurückgelassen. Er hat ihr vielmehr anvertraut, was Gott IHM selbst gegeben hat. Die Diener im Gleichnis macht ihr Herr zu Teilhabern mit umfassender Handlungsvollmacht!

Ich verstehe das im Sinn der Aussage in Johannes 14, 12-13; Jesus sagt:

‚Ich versichere euch: Wer an mich glaubt, wird die Dinge, die ich tue, auch tun; ja er wird sogar noch größere Dinge tun. Denn ich gehe zum Vater, und alles, worum ihr dann in meinem Namen bittet, werde ich tun, damit durch den Sohn die Herrlichkeit des Vaters offenbart wird.‘

Die Gemeinde Jesu hat nicht nur einen Auftrag in dieser Welt, sie soll nicht nur Gottes Frieden, seine Gerechtigkeit, seine Barmherzigkeit predigen und lehren, sondern durch Jesu Tod und Auferstehung sind ihr diese Gaben Gottes geschenkt, damit sie darin lebt! Jesus hat seine Gemeinde zu Teilhabern an Gottes Reich gemacht durch die Gabe des Heiligen Geistes und die Gewissheit, dass er tut, was sie von ihm erbitten.

Noch einmal: Wir leben oft in einem scheinbar gut christlichen Defizitgefühl. Jesus ist weit weg; die tolle Zeit seines Wirkens auf der Erde ist Vergangenheit oder auch nur von den ersten Christen erfunden. Wir sind bettelarm und können der gottlosen Welt nur noch ein paar christliche Werte und Weisheiten anbieten.

Das Zeugnis der Bibel widerspricht uns hier ganz heftig: Jesus hat seiner Gemeinde nicht nur eine christliche Lehre hinterlassen, sondern seinen Geist gegeben, damit sie tut, was er getan hat! Ja, er selbst tut es da, wo seine Gemeinde darum bittet. Hören wir also auf mit dem „wir haben nichts und wir können nichts“! Hören wir auf mit der Reduktion des Glaubens auf christliche Grundüberzeugungen und Werte. Wir sind nicht vor allem eine lehrende und lernende Kirche, sondern eine in Jesus Christus lebende Kirche, die tut, was er getan hat. Die betet und das Erbetene empfängt. All unser Tun fängt mit dem Gebet an!

Jesu Gemeinde wuchert mit dem, was ihr anvertraut ist. Sie feiert fröhlich Gottesdienst, singt und lobt Gott, vergewissert sich des Evangeliums, pflegt die Gemeinschaft, im Abendmahl, beim Essen und Trinken und achtet darauf, dass niemand ausgegrenzt wird; und vor allem: sie betet, betet, betet. Da werden keine Gebete vorgelesen, sondern die wirklichen Anliegen gemeinsam und von vielen vor Gott gebracht. Aus all dem erwächst der Mut, in der Spur von Jesus zu gehen, unangepasst, frei. Die Not der Menschen kommt in den Blick, ihre Verlorenheit und Hoffnungslosigkeit, ihre Sehnsucht nach Leben, die nicht zum Frieden kommt durch die Befriedigung der Wünsche. Die aber Frieden findet in Jesus Christus in seiner Gemeinde.

Uns ist so viel anvertraut! Und wenn wir es jetzt nicht sehen, es uns jetzt fremd ist, so lasst uns Jesu Wort trauen und um seine Gaben bitten.

Ich habe nun sehr breit diesen ersten Teil des Gleichnisses ausgelegt. Jesu Gemeinde hat Teil an seinem Reich, an seinen Gaben. Viel mehr Raum nimmt aber im Gleichnis ein Zweites ein: Jesus, unser Herr, fragt danach, was wir als seine Teilhaber aus dem Anvertrauten gemacht haben.

Sie erinnern sich: von den drei Dienern haben zwei jeweils das Vermögen verdoppelt. Sie werden nicht nur gelobt, sondern ihr Herr vertraut ihnen umso mehr an und gibt ihnen noch größere Verantwortung. Er lädt sie ein, mit ihm ein Freudenfest zu feiern und macht sie damit zu seinen Freunden. Im Gleichnis heißt es:

‚Sehr gut‘, erwiderte der Herr, ‚du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist mit dem wenigen treu umgegangen, darum will ich dir viel anvertrauen. Komm herein zum Freudenfest deines Herrn!‘

Hier geht es nicht nur um ein Urteil am Ende der Zeit, wenn Gott richtet; vielmehr, wo Gemeinde Jesu lebt, was ihr gegeben ist, wächst Gutes und manchmal ist da ein Stück Himmel auf Erden zu finden. Himmel auf Erden, Gegenwart Jesu inmitten seiner Gemeinde; da strahlt Licht aus, da ist Ermutigung zum Leben. Das bedeutet nicht „Wachsen gegen den Trend“ durch ein hohes Qualitätsniveau, das zu einer hohen Beteiligung führt, wie es im EKD-Reformpapier „Kirche der Freiheit“ heißt. Das bedeutet „Wachsen in die Tiefe des Lebens mit Christus“; das ist auch gegen den Trend, das ist das, was uns wirklich Not tut! Gemeinde lebt, wo sie ernst nimmt und praktiziert, was ihr versprochen und aufgetragen ist, angefangen bei dem Ruf zur Umkehr bis hin zur Salbung für Kranke, Jakobus 5.

 

(Zitat: Diese anspruchsvollen Ziele signalisieren den Willen der evangelischen Kirche, gegen den Trend zu wachsen und die eigenen Mitglieder wie Menschen, die noch außerhalb der evangelischen Kirche stehen, durch die Qualität ihrer Kernangebote zu überzeugen. S. 52)

Wir kommen zum dritten Diener; der hat verweigert, schwer zu verstehen:

‚Herr‘, sagte er, ‚ich wusste, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast. Deshalb hatte ich Angst und vergrub dein Talent in der Erde. Hier hast du zurück, was dir gehört‘.

Das kann doch gar nicht sein, möchten wir sagen! Was treibt einen Mitarbeiter, dem viel anvertraut wird, zu solchem Aufbegehren?

Auf diese Frage gibt es keine Antwort, im Gleichnis wird nur ein Tatbestand geschildert. Einer hat sich verweigert, einer hat das anvertraute Kapital vergraben und gibt es bei der Abrechnung zornig zurück. Ich hatte Angst vor dir, sagt er noch entschuldigend. Angst vor was? Vor dem Verlust des Kapitals? Klar ist: die Beziehung des dritten Dieners zu seinem Herrn ist tief gestört. Da ist kein Vertrauen des Dieners; er versteht auch nicht, welches Vertrauen sein Herr in ihn setzt, wenn er ihm diese große Summe anvertraut. Dieser Diener ist beziehungslos gegenüber seinem Herrn, die aber führt in die endgültige Trennung.

Ich habe das Gleichnis immer im Horizont der Gemeinde Jesu verstanden. Ihr ist viel anvertraut, aber nicht, um viel oder wenig oder nichts zu machen, sondern damit etwas von Gottes Erbarmen in dieser Welt sichtbar wird. Menschen sollen die Augen geöffnet werden für den Gott, der weit über alle Weisung, alles Gesetz hinaus Erlösung schafft in Jesus Christus. Kann christliche Gemeinde, können Christen sich diesem Auftrag verweigern? Können sie ihr eigenes Ding machen, je nach Zeitgeist und gesellschaftlicher Lage? Können sie sich Auftrag und Begabung verweigern?

Leider ist das möglich! Es gibt die schöne Geschichte von der Rettungsstation an einer gefährlichen Küste, die erfolgreich arbeitend reichlich mit Spenden versorgt wird und so irgendwann zum gemütlichen Clubhaus mutiert. Von hier fährt keiner mehr raus, um Schiffbrüchige zu bergen. Hier ist es nur noch gemütlich, hier trifft man sich nur noch, um stolz die Geschichten von früher zu erzählen.

Was hilft gegen die Gemütlichkeit? Was hilft gegen die Belanglosigkeit und Fadheit? Die Beliebigkeit von Glauben und Leben in der Gemeinde? Was hilft gegen den Ungehorsam gegenüber dem Auftrag? Bessere Performance, wie man heute sagt, mehr Qualität, mehr Lebensbezug, mehr Veranstaltungen mit Eventcharakter?

Gewiss nicht! Es hilft nur, dass wir in der Gemeinde und als Einzelne darum ringen zu verstehen, wer Jesus Christus ist, den die Bibel „Retter“ nennt. Es hilft nur, gegen den Trend in der Schrift zu graben und sie ernst zu nehmen gerade da, wo sie ärgerlich, widerständig und überholt scheint. Es hilft nur, demütig zu beten, „Herr, hilf mir Dein Wort zu verstehen“. Und leg Deinen Finger auf das, was Dich an mir/ an uns ärgert. Amen.

Perikope
02.08.2015
25,14-30

Was hast Du gemacht mit Deinem Leben? - Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Karin Latour

Was hast Du gemacht mit Deinem Leben? - Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Karin Latour
25,14-30

„Was hast Du gemacht mit Deinem Leben?"

Liebe Gemeinde,

ob die Jugendlichen heute noch Carl Zuckmayer lesen?
Sie wissen schon, den Hauptmann zu Köpenick,
der irgendwann mit Heinz Rühmann verfilmt wurde- die ergreifende Geschichte des Willem Voigt.
Nein, auch als Film ist diese Geschichte den Jüngeren wohl kaum noch bekannt. Von uns werden sich aber die meisten noch erinnern.
Erinnern vielleicht auch an die Worte des Willhelm Voigt, oder auch Willem, wie der Berliner sagt:

Und denn stehste vor Gott dem Vater und der fragt dir ins Jesichte:
Willem Voigt, wat haste jemacht mit deim Leben?
Und da muss ick sagen- Fußmatte, muss ick sagen. Die hab ick jeflochten im Jefängnis und denn sind se alle druff rumjetrampelt.
Muss ick sagen.

Und zum Schluss haste jeröchelt und jewürcht um det bisschen Luft, und denn wars aus.

Det sagste vor Gott.
Mensch.
Aber der sagt zu dir: Jeh wech! sagt er. Ausweisung, sagt er!
Dafür hab ick dir det Leben nich jeschenkt, sagt er.
Det biste mir schuldig! Wo is et? Wat haste mit jemacht?


Eine Gerichtsszene ist das. Eine Gerichtsszene vor Gott:
Was hast du mit deinem Leben gemacht, das ich dir geschenkt habe!

Eine Gerichtsszene, die nicht wenige im Laufe ihres Lebens irgendwann einmal vor sich selber halten.
Mit 30, mit 50, wenn man alles erreicht hat, oder auch nicht-
in Krankheit, im Alter, oder wenn man dazu kommt nachzudenken im Urlaub, wenn das Rad des Alltags für einen Moment stehen zu bleiben scheint.

Wo ist es, dein Leben?
Was hast du damit gemacht, mit den Jahren, den Tagen, den Stunden, die dir geschenkt waren?
Was hast du gemacht mit deinen Talenten, den Gaben, deinen Wünschen und Träumen?

Und vielleicht beschleicht den einen oder anderen das bittere und traurige Gefühl:
Du bist dir etwas schuldig geblieben, oder deiner Familie, oder der Welt, in die hinein du geboren bist, oder deinem Gott, der dir das Leben geschenkt hat.

Das kann es doch nicht gewesen sein!
Das kann doch nicht alles sein!
Und dann das Gefühl: zu spät, nicht mehr rückgängig zu machen, verspielt.

„In der Todesstunde drückt uns nicht das gelebte und geliebte Leben, sondern das ungelebte Leben und seine versäumten Möglichkeiten“ - hat ein erfahrener Theologe und Seelsorger einmal gesagt.
Und es ist wahr. Eine der traurigen Wahrheiten in wie vielen Trauergesprächen immer und immer wieder das Thema.

In Carl Zuckmayers Szene ist es Gott, der sagt: Geh weg, sagt er.
Keine Chance noch etwas nachzuholen- Ausweisung, sagt er.
Dafür hab ich dir das Leben nicht geschenkt. Wo ist es?
Du bist es mir schuldig!

Eine andere Gerichtsszene wird uns heute vorgestellt.
In der Schule wird sie kaum gelesen und besprochen und dabei gäbe es auch aus ihr so unendlich viel zu hören, zu lernen, zu verstehen für unser Leben:

Predigttext: Matthäus 25, 14-30

Nein, auch hier kein Happy End.
Auch hier ist der Ausgang der Szene nicht besser als im Hauptmann von Köpenick, zumindest für den 3. Knecht.
Und würden wir die Geschichte nicht vielleicht seit Kindertagen kennen-
wir wären irritiert, oder sind es ja vielleicht noch.

Jesus verurteilt den Mann.
Er verurteilt einen Menschen, ja- der doch eigentlich nichts Böses getan hat.
Ein Talent, einen Zentner hatte er erhalten. Einen.
Und dieses ihm anvertraute, er hat es nicht verjubelt,
er hat es nicht verprasst.
Er hat es lediglich vergraben, gesichert und gibt es wohlbehalten auf Heller und Pfennig zurück.

Er hatte Angst ein Risiko einzugehen, weil er die Reaktion seines Herrn voraussah.
Er hatte Angst das Wenige, das er erhalten hatte, zu verlieren und nachher mit leeren Händen dazustehen.
Selbst das Geld auf einer Bank anzulegen war ihm zu unsicher.
Er setzt auf Numero Sicher.

Und verspielt alles.
Seine Chancen,
seine Möglichkeiten,
die Gunst und das Wohlwollen seines Herrn.
Er verliert das Anvertraute, zuletzt die Zukunft:
„Denn wer da hat, dem wird gegeben und er wird die Fülle haben; Und wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Werft den unnützen Knecht hinaus in die Finsternis, da wird sein Heulen und Zähneklappern.“

Eine Geschichte, die schockiert und trifft, vielleicht weil wir geneigt sind mit dem 3. Knecht mitzufühlen, ihn uns vorzustellen. Mir jeden falls geht es so.

Stellen wir uns vor- Vielleicht gehört er zu den Menschen, die still und zurückgezogen leben,
die man leicht übersieht,
die sich nicht in den Vordergrund drängen und nicht verstehen sich interessant zu machen.
Die insgeheim andere bewundern,
denen niemand etwas zutraut,
die ihren eigenen Fähigkeiten misstrauen und Angst haben man könnte negativ auffallen.

Woher hätte so ein Mensch den Mut nehmen sollen einmal etwas zu riskieren
Sich bloß nicht zu weit aus dem Fenster hängen, das geht nicht gut.
Nicht zu viel riskieren- das kann Kopf und Kragen kosten.

Wer hätte nicht Verständnis für dieses ängstliche Gemüt, das uns erzählt: Mein Herr, das ist ein harter Mann, der erntet, wo er nicht gesät hat, der sammelt ein wo er nicht ausgestreut hat.

Und gibt ihm am Ende nicht der Ausgang der Geschichte Recht?
Ein harter unerbittlicher Mann, der sich an die Spielregeln dieser Welt hält.
Wo etwas ist, da kommt immer noch etwas hinzu!
So sind eben die Gesetzmäßigkeiten im wirtschaftlichen Bereich:
Bringst du was, dann bekommst du mehr,
bringst du nichts, dann fliegst du raus!

Ausweisung, Jeh wech! Lässt Zuckmayer Gott sagen.
Den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus. Lässt Jesus den Herrn sagen.

Ein ganz weltliches Ende. So ist es eben in dieser Welt. Könnte man sagen.

Man könnte aber auch fragen: Aber diese Geschichte ist doch nicht von dieser Welt?
Sie wird von Jesus erzählt vom Reich Gottes.
Sie erzählt von einem Herrn, der schließlich kein anderer ist als der Menschensohn selbst, Jesus Christus.

Auch hier sollen Leistung und Zuwachsraten und Mehrwert die bestimmenden Kriterien sein für das Leben und Zusammenleben von Menschen?
Auch hier soll zählen allein was du bringst, leistest, unterm Strich raus kommt aus deinem Leben?

Müsste es bei Jesus Christus nicht andere Kriterien geben als am Schuljahresende?
Oder einem Betrieb, der ums Überleben kämpft und angewiesen ist auf die Leistung jeden einzelnen Mitarbeiters- ich versuche es mal so zu sehen und zu verstehen.

Nein.
Es will nicht passen zu dem, was wir sonst von Jesus wissen.
In wie vielen Geschichten steht er auf der Seite der Schwachen, der Zukurzgekommenen.

Was also steckt hinter dieser Geschichte und was mag es sein, das er damals seinen Hörern auf den Weg gab.

- Den Pharisäern und Schriftgelehrten, denen Gottes Gesetz und Verheißung anvertraut waren.
Warnt er sie, den Menschen die ihnen anvertraute Gabe vorzuenthalten?

Oder den Jüngern, die um ihn waren.
Wollte er sie davor bewahren nur für sich selber zu leben, ihren Glauben für sich zu behalten und sich mit dem Bewahren des Empfangenen zu begnügen?

- Den ersten Gemeinden, sollen sie angehalten werden sich einzurichten auf eine längere Zeit, in der der Herr außer Landes geht, eine Zeit der Bewährung, des Einsatzes für die Sache Jesu Christi.

- Und uns heute?

Diese Geschichte ist eine Parabel.
Eine Parabel hat einen einzigen Vergleichspunkt, von woher sie sich erschließt.

Im Mittelpunkt steht hier jener unglückselige Knecht.
Und sein Unglück beginnt- nein, nicht im Moment, in dem er die Gabe, das Talent, das Anvertraute empfängt, sondern wo er beginnt zu rechnen:
Mein Herr ist ein harter Mann.
Was wird am Ende dabei herauskommen für mich?

Sein Unglück beginnt, wo er die Angst sein Handeln bestimmen lässt:
Ein harter Mann, oh Weh. Wenn ich zu viel riskiere.
Weh mir, wenn ich verliere!
Weh mir, wenn ich mich einlasse und versage.
Sein Unglück beginnt, wo er versucht sich schadlos zu halten.

„Wir streben nach einem Leben ohne Leiden, nach einer Freude ohne Schmerzen, nach Gemeinschaft ohne Konflikte,“ hat Jürgen Moltmann einmal gesagt. Hat er Recht?
Ein Leben ohne Leiden und nennen es Glück.
Leben ohne Risiko, ohne Engagement, Empathie. Ist das Glück?

Zumindest scheint es Ruhe, scheint es Sicherheit zu sein.
Wenn ich mich jederzeit in mein privates, persönliches Schneckenhaus zurückziehen kann,
wenn ich mich raushalten kann,
wenn ich soweit Distanz bewahre, dass mich die Probleme der anderen nicht zu sehr tangieren, wenn ich mich gar nicht zu sehr einlasse auf andere, dann kann ich auch nicht enttäuscht werden.
Wenn ich mir sage, ich kann an den Problemen der Welt und der Gesellschaft sowieso nichts ändern, dann muss ich mich nicht berühren lassen,  dann sehe ich das Elend nicht und muss nicht fertig werden mit der eigenen Ohnmacht.

„Nicht das gelebte und geliebte Leben drückt uns in der Todesstunde sondern das ungelebte Leben und seine versäumten Möglichkeiten“

Wo Menschen nicht wagen sich auf die Liebe eines anderen einzulassen aus Angst verletzbar oder enttäuscht zu werden.
Wo Menschen nicht wagen ihre Meinung zu vertreten aus Angst angreifbar zu werden.
Wo Menschen nicht wagen sich einzusetzen für eine Sache oder einen Anderen aus Angst selbst dabei etwas zu verlieren.

Mit dieser Parabel von den 3 Knechten- nein, ich glaube es nicht, dass unser Leben unter den Druck von Leistungen gesetzt werden soll.

Durch diese Geschichte vom ängstlichen, vielleicht auch ein Stück trägen Knecht, der sichern und bewahren wollte um nur nichts zu verlieren,
da schimmert das Geheimnis des Lebens: Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren. Wer es aber einsetzt, hingibt, der wird es gewinnen.

Sein Leben behalten, das heißt sich selbst festhalten aus lauter Angst vor dem Tod, vor dem Verlust, vor dem Leiden das Leben nicht wagen, aus Furcht vor Enttäuschung nicht zu lieben wagen.
Wer auf diese Weise sein Leben behalten will, der lebt am Leben vorbei. Vergräbt sich, seine Gaben, Fähigkeiten, seine Verantwortung, sein Leben.

Dies mag für unser ganz persönliches Leben gelten in seinen kleinen überschaubaren Kreisen, in denen es sich bewegt.
Erst recht mag es gelten für unser Leben vor Gott, meines, ihres, das unserer Gemeinden, das unserer Kirche.

Jesus, so glaube ich, verurteilt mit dieser Geschichte keinen Menschen.
Er verurteilt die Angst, die uns das Leben und unserer Verantwortung nicht wagen lässt.

Nicht Angst, nicht Sicherheit, nicht Bequemlichkeit, nicht sich vergraben sondern Mut, Courage, Mitdenken und Leiden sind gefordert. Dazu lädt Jesus ein.
Eine Kirche, die nicht für andere da ist ist keine Kirche, hatte Bonhoeffer gesagt, damals im Blick auf die unterdrückten und verfolgten Juden im Dritten Reich.
Und sein Wort hat im Blick auf Menschen, die auf unsere Hilfe und Engagement warten nicht an Bedeutung verloren.
Kritisch müssen auch wir uns fragen:
Wie oft bilden wir mit unseren Gottesdiensten, Kreisen, Gruppen, Festen, eine geschlossene Gesellschaft, Pflegen unsere Traditionen, bewahren das uns anvertraute. Das ist nicht nichts und es ist auch nicht unwichtig-  aber wie viel setzen wir nach außen für die am Rand, weit entfernt von uns, ein.

Die Geschichte mahnt auch uns in den Gemeinden uns nicht in unserem Gemeindealltag zu vergraben, zu verstecken, es gut sein lassen mit der Pflege unserer Traditionen allein und ein bisschen Geselligkeit.
Und uns dabei vor den Problemen unserer Zeit und der Menschen in den Strassen, gerade auch derer, die nicht mehr kommen, zu verschließen.

Jesu Gleichnis lädt ein zum Mut. Zu klaren Worten. Zu deutlichen Zeichen. Nicht zaghaft, sondern sicher und umgehend, wie jene zwei Knechte, die Einsatz und Engagement zeigen mit dem, was ihnen anvertraut ist.

Wem viel anvertraut ist, von dem wird man viel fordern.

Was aber ist uns anvertraut?

Den Knechten, der Kirche, unserer Gemeinde, Ihnen, mir?

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Die Mühe nimmt uns keiner ab dies selbst herauszufinden.

Aber ich bin sicher, es würde sich lohnen aus dieser Geschichte dann nämlich zu hören:
Nicht Ausweisung, nicht „Geh weg“ wie bei Zuckmayer, wohl aber:

Komm und grab es aus und entdecke und wuchere und hause mit dem, was ich dir anvertraut habe und versuch es noch einmal, es ist ja noch nicht zu spät.

Dann, dann wäre für uns noch alles offen.

Perikope
02.08.2015
25,14-30

Ihr seid das Salz der Erde - Predigt zu Matthäus 5,13-16 von Wilhelm v. der Recke

Ihr seid das Salz der Erde - Predigt zu Matthäus 5,13-16 von Wilhelm v. der Recke
5,13-16

Ihr seid das Salz der Erde

I.         Ihr seid das Salz. Ihr seid das Licht, sagt Jesus.  I h r , ihr hier in der Kirche! — Wir? — Ja, Ihr! … Sie gucken ein bisschen verwirrt und erschrocken. —
Wir hier? Wir alle? Also auch ich?! … Das kann nicht sein. So fühle ich mich nicht. Jetzt nicht, eigentlich überhaupt nicht … So hat es Jesus wohl nicht gemeint. —
Und wenn doch? Wenn das nicht nur eine alte Geschichte ist? Wenn es sich nicht nur um ein Zitat handelt, um etwas, was Jesus vor langer Zeit einmal gesagt hat? Wenn er heute tatsächlich  u n s  damit meint: Wir - das Salz der Erde, wir das Licht der Welt?

Wir sind hier im Gottesdienst. Alle wissen, das ist nicht irgendeine kulturelle, literarisch musikalische Veranstaltung. Sie hat es mit uns zu tun. Wir sprechen zwar gerne von Gottesdienst-Besuchern und halten damit einen gewissen Abstand. Tatsächlich sind wir nicht Gäste, sondern Teilnehmer, Menschen die mitsingen, mitbeten, die auch zum Abendmahl gehen und die sich ziemlich direkt anreden lassen: Du oder Ihr oder Sie, die Sie hier alle versammelt sind und mitmachen.

Wollen wir das – so nah? Wir ahnen, dass man uns vereinnahmen will. Deshalb fragen wir: Wozu ist das gut? Was bringt mir das? Und die Frage ist berechtigt, auch wenn es häufig nur um die augen­blickliche Lust oder Unlust geht. Jesus dreht den Spieß um: Nicht wir fragen, was wir wollen – er stellt einfach fest: Ihr seid das Salz, ihr seid das Licht. Es geht nicht darum, ob wir Gott brauchen – Gott braucht uns!

II.        An was für Menschen richtet sich Jesus damals, als er die Bergpredigt hält? – An die, die sich von ihm angezogen fühlen. Die aufgewühlt sind von dem, was sie sehen und hören. Die merken: Das hat etwas mit uns zu tun. Das könnte unser ganzes Leben verändern. – Sie gehören keinem Verein an, sie haben nichts unterschrieben. Es sind einfache Leute, die hart arbeiten müssen. Nirgends steht, dass sie besonders fromm sind.

Ihr, sagt Jesus zu ihnen, Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Doch damit beginnt er nicht seine Rede, das kommt erst später. Er beginnt mit dem Wort selig. Selig sind die geistlich arm sind, sagt er. Selig sind die Leid tragen; selig sind alle, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten; die Sanftmütigen; die Barmherzigen, die Friedfertigen. Gerade für sie hat Gott eine Vorliebe. – Alles Menschen, die benachteiligt sind und die am Zustand dieser Welt leiden. Die sich wünschen, dass es gerechter und freundlicher zugeht. Und es sind Menschen, die mit ihren begrenzten Möglichkeiten selbst etwas dafür tun. Diese Frauen und Männer, diese Kinder und Alten, diese Kranken und Gebrechlichen, diese Bereitwilligen und Unermüdlichen nennt Jesus selig.

Selig ist nicht dasselbe wie glücklich. Es bedeutet mehr. Jesus nennt sie selig, weil sie recht haben und recht bekommen sollen. Sie liegen völlig richtig, auch wenn sie das selbst gar nicht glauben können. Wenn Jesus das behauptet, ist es nicht seine Privatmeinung. Er beruft sich auf Gott, also auf die letzte, die höchste Autorität. Gott gibt ihnen recht. Und er wird dafür sorgen, dass sie auch recht bekommen.

III.      Hat Jesus recht, wenn er gerade die Kleinen, die Schwachen, die ewigen Verlierer als selig bezeichnet und ebenso die Gutwilligen und Freundlichen, die sich durch nichts entmutigen lassen? – Wenn wir uns umsehen, wie es in unserer nächsten Umgebung und wie es in der großen weiten Welt zugeht, wohl eher nicht. Denken wir nur an unsere eigenen Gefühle, die oft spontan von uns Besitz ergreifen. Denken wir an die Erfolgsgeschichten, die wir uns so gerne ausgemalt haben als wir noch jünger waren: wir als die Helden und Supermänner. Schauen wir uns doch um, wer zählt und was zählt. Es sind die Starken, die Reichen, die Gesunden, die Schlauen, die Skrupellosen. Alle, die die richtigen Leute kennen. Die wissen, wie man es anstellt. – Wenn wir uns an den Augenschein halten, können wir nur feststellen: Jesus hat sich geirrt. Und er hat sich schon damals geirrt, denn auch zu seiner Zeit waren die Menschen keinen Deut anders als heute.

Wenn wir aber in tief in uns hineinhorchen, wenn wir unser Herz sprechen lassen, dann sieht es anders aus. Dann wissen wir es besser. Dann ahnen wir, wie es zugehen müsste, wenn alles mit rechten Dingen zuginge. Richtig bewusst wird es uns, wenn wir plötzlich selbst zu den Verlierern gehören. Wenn alles schief läuft – mit der Ausbildung und dem Beruf, mit der Ehe und den Kindern. Oder wenn wir gesundheitlich angeschlagen sind, wenn unsere Kräfte nachlassen und es aufs Ende zugeht. Spätestens dann wissen wir, dass das nicht das gute Leben ist, was in Lifestyle-Illustrierten oder in der Fernseh-Werbung uns vorgegaukelt wird. Das allein schafft noch kein erfüllendes, sinnvolles Leben. Wir wissen das im Grunde, aber wir lassen uns ungern daran erinnern.

Diejenigen, die Jesus selig nennt, sind nicht die Miesepeter, die alles schlecht reden. Es sind auch nicht die Schwächlinge, die aus ihrer Unfähigkeit eine Tugend machen. Sondern es sind alle jene, die wirklich ehrlich mit sich sind. Die sich keine Illusionen machen – nicht über sich selbst und nicht über die allgemein geltenden Spielregeln in unserem Zusammenleben. Sie machen sich nichts vor, deshalb haben sie ein offenes Ohr für das, was Jesus sagt. Sie wissen, dass er recht hat. Tief in ihrem Inneren wissen sie es und vertrauen ihm, dass er auch einlöst, was er verspricht.

IV.      Ihr seid das Salz der Erde, Ihr seid das Licht der Welt. Ihr habt verstanden, was Jesus damit meint. Ihr habt verstanden, dass er davon nicht nur geredet, sondern es auch getan hat. Dass er den Weg gebahnt hat. Dass er selbst der Weg ist – der Weg zu einem besseren, einem lebenswerten Leben. Ein Leben, das nicht immer einfacher ist, aber das auf Dauer mehr befriedigt.

Jesus sagt von sich selbst, dass er das das Licht der Welt ist. Wenn wir uns von diesem Licht anziehen lassen, wenn wir in seinen Lichtkegel treten, dann werden auch wir hell, dann strahlen wir sein Licht ab. Wir geben es weiter – selbst wenn es nur ein schwacher Abglanz seines Lichtes ist. Die Welt wird nicht plötzlich taghell. Wir sind eher wie Straßenlaternen, die im Dunkeln gerade einmal den Pfad vor unseren Füssen erleuchten. Aber das ist doch schon etwas!

Ihr seid das Salz der Erde, sagt Jesus. Er  m a c h t  uns dazu, von uns aus bringen wir das nicht fertig. – Wozu ist Salz gut? Zum Würzen, damit das Essen nach etwas schmeckt. Salz reinigt, es macht Nahrungsmittel haltbar und bekömmlich – wie eingelegten Fisch und gepökeltes Fleisch. Mehr noch: Salz ist lebensnotwendig. Ohne den Zugang zu Salz kommen Menschen und Tiere um. Es ist mehr wert als Gold, auch wenn Salz heute weit weniger kostet. Jesus verheißt kein kurzes Glück, sondern ein sinnvolles, menschenwürdiges Leben. Ein gewürztes/würziges Leben, das nach etwas schmeckt, das nicht fad und schal bleibt.

Wenn man nicht aufpasst, kann man das Essen schnell versalzen. Ist das auch bei dem Salz möglich, von dem Jesus spricht? Kann man des Guten zu viel tun, kann man den Glauben übertreiben? Manche Menschen haben ihre christliche Erziehung als eher finster und abschreckend in Erinnerung. Vieles war verboten, weniges erlaubt. Aber das ist nicht die Schuld von Jesus. Im Gegenteil – er ist aus dem Weg geräumt worden, gerade weil er sich gegen die frommen Zwänge gewehrt hat. Gegen alle Widerstände hat er seine Vision vom wahren Leben in die Tat umgesetzt und dafür einen hohen Preis bezahlt.

V.        Ihm blieb nur wenig Zeit. Doch das, was er in dieser Zeit gesagt und getan hat, das hat zahllose Menschen mit Bewunderung erfüllt. Sein Vorbild hat sie angesteckt, sie haben es ihm nachgemacht – so gut sie konnten und soweit es ihnen ihre begrenzten Möglichkeiten erlaubten. Die einen sind über sich hinaus gewachsen, sie sind ihm tatsächlich gefolgt – mit allen Konsequenzen. Sie haben ihre bürgerliche Existenz und alle damit verbundenen Sicherheiten riskiert, manche haben dabei ihr Leben verloren. Das Beispiel, das sie gegeben haben, beeindruckt uns noch nach Jahrhunderten. Sie sind zu hellen Planeten am Nachthimmel geworden. Die meisten anderen Christen sind Jesus nur zaudernd und unsicheren Schrittes gefolgt – auf zwei Schritte vorwärts kam ein Schritt zurück. Doch Jesus ist nicht der Mann, der sie deswegen verurteilt. Er anerkennt, dass sie an ihrem Ort im Leben ihr Fähnlein hoch gehalten haben, dass sie immer wieder versucht haben, gegen den Strom zu schwimmen. Dass sie ein hoffnungsvolles, wenn auch kleines Licht auf dem Wege und ein Prise Salz in der Suppe waren. Sie alle – wir alle haben sicher nicht genug getan, und trotzdem haben wir zusammen die Welt ein bisschen heller und menschenfreundlicher gemacht.

Der Schriftsteller Heinrich Böll hat die Frage gestellt, wie traurig es wohl in unserer Welt aussähe, wenn sich nicht Christen immer wieder für mehr Gerechtigkeit und Barmherzigkeit eingesetzt hätten. Und weiter fragte er: Doch wie wäre es, wenn wir wirklich Jesus konsequent Jesus folgten – als Salz der Erde und Licht der Welt. Wir könnten das Antlitz der Welt verändern.

Perikope
26.07.2015
5,13-16