So lieb wie das Salz - Predigt zu Mattthäus 5,13-16 von Inke Raabe
So lieb wie das Salz
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde, ich möchte mit einem Märchen beginnen – möglich, dass Sie es nicht kennen. Es stammt aus der Slowakei, es ist das Märchen von der Salzprinzessin.
Es war einmal ein König, der hatte drei bildschöne Töchter, die er über die Maßen liebte. Als er nun alt wurde und seine Zeit gekommen war, rief er die drei zu sich und sagte: „Meine Lieben, ich bin alt geworden, und ich muss eine von euch als Nachfolgerin bestimmen. Es soll diejenige Königin werden, die mich am meisten liebt, so habe ich es beschlossen.“
Da trat die älteste Tochter zu ihm und sagte: Lieber Vater, ich liebe dich mehr als alles Gold der Welt.“
Und die mittlere Tochter trat zu ihm und sagte: Lieber Vater, ihr seid mir wert als meine kostbaren Geschmeide.“
Und der Vater nickte zufrieden und nachdenklich.
Aber da trat die Jüngste auf ihn zu, nahm seine Hand und sah zu ihm auf: „Lieber Vater, ihr seid mir mehr wert als das Salz.“
Soweit, liebe Gemeinde, der Einstieg in das Märchen der Salzprinzessin. Sie können sich denken, dass der alte König not amused war. Salz, das ist doch nun wirklich schäbig. Ich würde wohl auch sparsam gucken, wenn mein Mann mich statt Rosen mit einem Salzstreuer zum Hochzeitstag beglücken wollte. Ein Paket kostet bei Aldi 19 Cent, im Winter wird es tonnenweise auf die Straßen und Wege geworfen, und wer beim Würzen zu tief in den Salztopf guckt, wird gerne lächelnd als „frisch verliebt“ verdächtigt. Salz – was soll daran schon Besonderes sein?
Hören Sie mit mir den Predigttext aus der Bergpredigt, Kapitel 5. Da sagt Jesus:
Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.
Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Ihr seid das Salz der Erde. Christinnen und Christen sind die Würze in der Weltensuppe, geben dem Einheitsbrei des Weltenwandels einen feinen Geschmack, und, ja, sie können auch mal den Mächtigen und ihren bösen Plänen die Suppe versalzen. Ich hab diese Worte als Jugendliche sehr gemocht: Ich gehörte zu denen, die gegen den Strom schwimmen wollten. Wir demonstrierten für Nicaragua und gegen Pershing II, wir entwarfen Konzepte für ein Zusammenleben in Frieden und Gerechtigkeit. Wir fühlten uns berufen, auch im Namen Jesu Christi Salz der Erde zu sein, Widerstand zu zeigen und unsere Finger in die Wunden der Welt zu legen. Aber: Wer mit Salz würzt – und davon spricht Jesus ja - braucht Fingerspitzengefühl – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein versalzenes Essen ist verdorben und ungenießbar – da fehlte uns doch manchmal das rechte Maß.
In der Antike war Salz ein Produkt, das in großer Menge gebraucht wurde. Man benötigte es zum Konservieren von Fleisch, Fisch und Gemüse. Es war kostbar, man spricht bis heute vom „weißen Gold“. Städte wie Lübeck, die Umschlagplätze für den Salzhandel waren, wurden reich und bedeutend. Als Würzmittel – und Jesus spricht ja vom Salz, das würzt – war es in jedem Haushalt vorhanden und galt von jeher als unverzichtbar.
Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid die feine Würze des Lebens.
Wie wichtig das Salz ist, versteht der alte König aus unserem Märchen erst, als es fast zu spät ist. Er jagt seine jüngste Tochter enttäuscht aus dem Haus.
Aber bald kommt es, wie es kommen muss: Das Salz im Königreich wird knapp. Nichts schmeckt mehr, die festlichen Bankette, die früher das Schloss mit Leben gefüllt haben, müssen ausfallen. Das Gold und die Edelsteine der beiden älteren Töchter sind zu nichts nutze – es kommen keine jungen Prinzen, sie zu bewundern. Allmählich wurden Mensch und Tier krank an Leib und an Seele. Das Salz wurde so wertvoll, dass die Menschen eine einzige Prise mit dem Kostbarsten, das sie besaßen, bezahlt hätten. Da erkannte der König, was für eine köstliche Gottesgabe das Salz ist, das ihm wertlos erschienen war. Und er hatte Gewissensbisse, weil er seiner jüngsten Tochter Unrecht getan hatte.
Ihr seid das Salz der Erde. Ohne Salz schmeckt das Leben nicht. Ohne euch ist die Erdensuppe eine fade Brühe. Ihr seid die Würze im Wandel der Welt. Die Welt braucht Salz, sagt Jesus. Die Welt braucht euch.
Ich kann mir vorstellen, wie sie gestaunt haben, die Menschen, die sich auf dem Berg um Jesus versammelt hatten. Sie hörten seine Worte: Selig sind, die geistlich arm sind. Ihnen gehört das Himmelreich. Selig sind, die Leid tragen, sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen, sie werden das Erdreich besitzen.
Ich kann mir denken, dass sie zweifelnd die Stirn runzelten, die Fischer und Zimmerleute, die ungelernten Arbeitskräfte, die Hausfrauen und Kinder, die Mägde und Konkubinen. Wie, er spricht von uns? Wir sind die Gesegneten des Herrn, wir sind die, die Gott selig spricht? Wir sind das Salz der Erde? Kann nicht sein.
Doch, sagt Jesus. Ihr seid das Salz der Erde. Mehr noch. Ihr seid das Licht der Welt. Und dann legt er aus, was das bedeutet: Liebt eure Feinde, und bittet für die, die euch verfolgen. Wenn dir jemand den Rock nehmen will, gib ihm den Mantel. Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. Und: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.
Wir sind das Salz der Erde. Wir sind das Licht der Welt. Das war für die Menschen damals eine unerhörte Botschaft.
Aber ich kann mir vorstellen, dass der ein oder andere hier auch eher zweifelnd die Stirn runzelt. Ich zum Beispiel. Himmel, ich bin über 50! Und meine Zeit der politischen Großeinsätze ist längst vorüber und ist einer gewissen Weitsicht und einem demokratischem Verantwortungsbewusstsein gewichen. Oder Ihr jungen Leute, ihr Konfis: Ihr müsst so vieles bewältigen, Ihr müsst so vieles lernen, man verlangt eh schon so viel von euch. Das Leben ist so komplex geworden – Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, ist das nicht eine Überforderung? Wie sollt ihr das denn auch noch wuppen? Helferinnen, Kirchengemeinderäte, Ehrenamtliche, Küster und Musiker – Sie alle engagieren sich in Ihrer Kirchengemeinde, Sie bemühen sich, das Leben in diesem Ort bekömmlich und wohlschmeckend zu gestalten – aber mehr geht doch wirklich nicht, oder?
Ich glaube, es muss nicht mehr sein. Eher weniger. Ihr seid das Salz der Erde, so steht es geschrieben. Nicht: Ihr müsst es noch werden. Ihr seid das Salz der Erde. Das sieht man daran, wie ihr miteinander umgeht. Das sieht man, wenn ihr jungen Leute euch gegenseitig in der Schule helft und eure Freunde für euch das Wichtigste auf der Welt werden. Das sieht man in der Gemeinde an dem großen Engagement von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Das sieht man, wenn wir Christenmenschen einander von Herzen vergeben. Das sieht man immer da, wo wir einander mit Liebe begegnen. Ihr seid das Salz. Nicht: Ihr müsst es werden. Ihr seid wunderbar gemacht, jedes einzelne von euch. Gott hat euch lieb.
Ihr seid das Salz der Erde. Ihr hier in diesem Gottesdienst seid das Licht der Welt. Worte des Höchsten – gesprochen zu Ihnen, zu Euch und zu mir. Wer, wenn nicht ihr?, sagt Jesus. Und: Man nimmt doch nicht ein Licht, und stülpt darüber einen Scheffel oder einen Eimer, nein man stellt es hoch, damit es den Raum erleuchte.
Dass wir Christinnen und Christen sind, das kann der Welt nicht verborgen bleiben, das wird die Welt schmecken und sehen, sagt Jesus. Und er selbst spricht uns selig, rüstet uns zu, gibt uns die Kraft und die Liebe, die wir brauchen.
Schmecken und sehen muss auch der alte König, bevor er Einsicht hat. Jahrelang bleibt das Mädchen, seine Jüngste, fort und verdingt sich in den Wäldern bei einer gutmütigen, alten Dame, die ihr bald zur Familie und zur Großmutter wird. Als Abschiedsgeschenk und Lohn für ihre Dienste erbittet sie nichts weiter als eine Handvoll Salz und kehrt damit zurück in ihr Elternhaus.
„Ich bringe dem König ein Geschenk, das kostbarer ist als Silber und Gold und das ihn sicher gesund machen wird“ – mit diesen Worten bittet das junge Mädchen um Einlass und gibt sich nicht zu erkennen, als der König sie vorlädt. Brot und Salz – damit hatte er all die Jahre seine Gäste begrüßt. Bekümmert lässt er dem Mädchen zum Willkommen ein Stück trockenes Brot reichen. „Salz haben wir leider nicht“, sagt er traurig.
„Aber, ich habe Salz!“ sagt das Mädchen, streut Salz auf das Brot und übergibt es samt dem Beutel dem König. „Salz!“ ruft dieser erfreut aus. „Ach, Mädchen, das ist eine köstliche Gabe! Sag mir, wie kann ich dich dafür belohnen?“
„Ich verlange nichts, lieber Vater, nur dass du mich lieb hast wie das Salz!“ erwidert das Mädchen und nimmt ihr Kopftuch ab.
Das Salz im Beutel aber wurde niemals leer, das Darben im Königreich hatte ein Ende.
Salz ist wertvoller als Gold und Edelsteine, das hatte der alte König erkannt. Salz ist mehr als es scheint. Salz ist kostbar, wertvoll und unverzichtbar.
Ihr seid das Salz der Erde - wir sind Gott so lieb wie das Salz. Wir sind ihm die feine Würze im manchmal faden Alltag der Menschheitsgeschichte. Durch uns leuchtet die Liebe Jesu Christi in die Welt. So sei es. Das bedeutet: Amen.
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Predigt zu Matthäus 5,13-16 von Dieter Koch
In der Liebe erblühte Menschen, sie sieht Jesus als das Salz der Erde, das Licht der Welt
Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt,
Liebe Gemeinde, einst war Salz so wertvoll und so unverzichtbar wie heute das Erdöl. Erdöl: Benzin, Diesel und Kerosin werden daraus gewonnen. Sie sind die Antriebsmittel, ohne die unsere hochmotorisierte Welt nicht im Fließen wäre. Nur dank dieser Treibstoffe können im weltumspannenden Handelsaustausch Güter hin und her, von Pol zu Pol transportiert werden, nur dank ihrer floriert unsere Wirtschaft und decken Brot und Butter, Wohlstand aller Art unseren Tisch.
Liebe Gemeinde, einst war Salz so wertvoll und so unverzichtbar wie heute das Erdöl. Es ist die Basis für viele Kunststoffe, Plastik aller Art und es ist auch eine der Basissubstanzen für Parfüms und Kosmetika, ohne die manches Gesicht nicht in Schönheit aufglühte. Öl ist so grundlegend und so wertvoll, dass nicht zuletzt Kriege um das Öl unseren Globus überziehen.
Einst war Salz so wertvoll und so unverzichtbar wie heute das Erdöl. Bedeutend die Salzstädte in Mitteleuropa, Hallstatt, Salzburg, Bad Reichenhall, Schwäbisch Hall und andere mehr. Orte der Salzgewinnung, Orte des Handelsumschlags von Salzgütern, Orte, die reich wurden, Orte, die es zu sichern galt. Kriege waren Kriege um Salz. Ohne Salz kein Leben. Salz macht Lebensmittel haltbar. Salz dient zum Pökeln, Salz wurde eine reinigende und konservierende Kraft zugesprochen und Salz macht Fades genießbar. Wir wissen um das Salz in der Suppe. Und wir wissen, wie sehr unsere Körper Salz und Mineralstoffe aller Art brauchen, um zu überleben. Salz ist unverzichtbar für den Fortbestand der Welt.
Salz war einst zu biblischer Zeit eine Gabe des Toten Meeres. Nicht nur hat dieser Wasserspeicher, Endpunkt des Jordanflusses, einen extrem hohen Salzgehalt. Man konnte im Salzwasser baden und von Hautkrankheiten genesen. Man konnte auch Salz als Wirtschaftsgut daraus gewinnen. In großen Platten wurde es den Verdunstungsflächen entnommen, in Platten gebrochen und in den Handel gebracht. In Platten wurde es gebraucht, um die Backöfen damals auszukleiden. Kein Brot, kein gutes Brot, kein haltbares, kein genießbares Brot ohne Salz des Toten Meeres. Wenn die Salzplatten dann im steten Feuer eines Backofens schließlich verbraucht waren, dann wurden sie entfernt, auf die Müllhalden geworfen. Nutzloses Gut. „Denn wenn das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen! Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten“(Mt5,13). Wertlos, nutzlos, nichts als Abfall, Salz, das seine Funktion verloren hat.
Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt,
kann die Christengemeinde so wertvoll, so unverzichtbar sein für das Fortbestehen der Welt? Jesus meint es, Jesus denkt so. Was nur bewegt ihn, dass er so die, die sein Wort hören und annehmen, bezeichnet: Ihr seid das Salz der Erde. Wertvoll und unverzichtbar, gleich dem Salz, mag man denken, wäre für einen Juden einst die Treue zur Thora gewesen. Und genau so dachte man in der Welt der Schriftgelehrten und Pharisäer. Das Überleben hängt an der Einhaltung der Weisungen Israels. Die Thora ist das Weltprinzip, Gehorsam die Überlebenskraft. Seine Satzungen zu verinnerlichen war die Devise Israels, Gerechtigkeit und Bundestreue, Gerechtigkeit und Bundestreue auch und gerade im Widerstand zur thorafernen, thoraarmen Welt der Heiden und Zöllner, der gottlosen Haufen der Sünder, der Masse der Verlorenen, wie man all die sah, die sich nicht dem Gotteswort unterwarfen.
Doch in Jesu Sicht ist nicht die geschlossene Welt der Thora das Fundament des Kosmos, sondern der offene Kreis der zur Gottesliebe erweckten Menschen. In der Liebe erblühte Menschen, sie sieht Jesus als das Salz der Erde, das Licht der Welt. Es ist der offene Kreis derer, die am Berg der Seligpreisungen sein Wort vernehmen und es sich zu Herzen nehmen. Keine Thora, keine Unterwerfung, kein Gehorsam einem Gottesgesetz gegenüber. Keine Vision eines Gottesstaates, sondern der offene Kreis derer, deren Hoffnung aufgeht, die ihre Hoffnung auf ein Stück Sinn, ein Stück Anerkennung, ein Stück Wertschätzung, ein Stück Frieden wiedergefunden haben und im Geist der Hoffnung, Reich-Gottes-Hoffnung anders miteinander umzugehen beginnen.
Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt,
Menschen werden angesprochen, die gerade keinen geschlossenen Konventikel bilden, keine sektiererische Gruppe jedweder Flagge. Solche Gruppen meinen immer, sie hätten weil sie die Wahren, Erleuchteten, Reinen, Unbefleckten wären, ein Recht auf den Besitz der Welt. Man kann sich als Salz der Welt dünken, und dabei so engstirnig, so hohl, so fern der Wahrheit leben, solange man im überzogenen Selbstbild sich als Salz der Erde, Licht der Welt feiert. Keine Religion, keine Kirche dieser Welt, keine christliche Gruppe, welcher Couleur auch immer, ist per se das Salz der Erde, das Licht der Welt. Es ist im Wort Jesu allein der offene Kreis derer, die sich nicht aufgeben, der offene Kreis derer, die sich auf den Anbruch des Friedens einlassen, der offene Kreis derer, die annehmen, dass Menschen nur als Brüder und Schwester füreinander leben können, der offene Kreis derer, die aus den immer gleichen Legitimationszirkeln der Feindschaft austreten und die nichts, nichts als ihrer Menschlichkeit Raum lassen, weil sie erspüren, dass nur offene Herzen einander annehmen und füreinander einstehen können.
Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt,
Angesprochen ist nicht eine Institution, ein fester Verband, eine Gemeinde. Angesprochen ist nicht die Gruppe derer, die miteinander das Abendmahl feiern. Angesprochen ist nicht die Gemeinschaft der Getauften. Angesprochen ist nicht ein christliches Zentrum, angesprochen sind, die geistlich arm sind. Angesprochen sind, die da Leid tragen. Angesprochen sind die Sanftmütigen. Angesprochen sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Angesprochen sind die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Frieden stiften, Übles ertragen. Seid fröhlich und getrost. Gott ist euer (siehe Mt 5,3-12). Aber welcher Glanz, welche Zuversicht, welche Hoffnung liegt darin, dass genau wir, die geistlich Armen, wir, die Leid tragen, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, wir, die Barmherzigen, die Sanftmütigen, die für den Frieden Wirkenden, die Gemeinde Jesu bilden, die Schar derer, die seinem Wort trauen und in seine Nachfolge treten, miteinander das Brot brechen und aus seiner Hingabe leben, wir, die wir das Siegel des Glaubens empfangen haben und als Getaufte um einen guten Herrn wissen. „Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter. Menschen, die aus der Liebe leben, sehen tiefer. Menschen, die aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht“(Lothar Zenetti, siehe EGWü, S.905)), sie sind das Salz der Erde, sie sind das Licht der Welt.
Braucht es Beispiele? Menschen wie Marianne Schwegler, eine Frau aus meiner Pfarrgemeinde. Barmherzigkeit hat ein Gesicht. Sie lebt ein bescheidenes Leben, sie hat früh ihren Mann verloren, allein 7 halbwüchsige Kinder ins Leben geleitet. Sie steht fest in den Losungen und im Gebet, ohne irgendein Aufhebens davon zu machen. Ihr Gesicht ist voller Wärme und Anteilnahme. Sie bäckt Kuchen für das Gemeindefest Jahr um Jahr. Wer ein Bett braucht, findet bei ihr eine offene Tür. Sie kann kein Englisch und doch sind über die Jahre so viele Gäste aus den Überseekirchen bei ihr gewesen. Es gibt eine Sprache der Liebe. Frieden entsteht, wo stille, einfache Menschlichkeit sich entfaltet.
Braucht es Beispiele? Menschen wie Gottlieb Duttweiler, ein Kaufmann von hohem sozialem Gewissen. Er baute die Migros in der Schweiz auf, heute eine der größten Handelsgesellschaften. Die Migros ist ein Genossenschaftsverband, mit dem Ziel Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs bei höchstmöglicher Qualität zu ehrlichen und erschwinglichen Preisen für jedermann anzubieten. Gottlieb Duttweiler war zudem einer, der im Namen einer Menschen zugewandten Wirtschaft, sozial, frei und liberal zugleich, sich mit hohem politischem Engagement und experimentellem Denken, nicht ohne Widerstand zu finden, für die Schweizer Bevölkerung einsetzte und immer auch einen festen Teil des Firmengewinns kulturellen Zwecken und der Volksbildung zueignete ,wie die Migros es bis heute tut.
Braucht es Beispiele? Menschen wie Roger Schutz, der einst an der Demarkationslinie zwischen dem Frankreich Petains und dem von Nazi-Deutschland besetzten Frankreich sein Versöhnungswerk begann, Durchgangsort für Flüchtlinge und Ort des Gebets - Taizé, heute weltbekannt. „Tief im Menschen liegt die Erwartung einer Gegenwart, das stille Verlangen nach Gemeinschaft. Vergessen wir nie: das schlichte Verlangen nach Gott ist schon der Anfang des Glaubens…das Vertrauen auf Gott ist etwas ganz Einfaches. .. Der Glaube ist wie ein Schritt, den wir tausendfach von neuem tun, ein Lang lang, bis zum letzten Atemzug“(siehe unter www.taize.fr/de_article 127 html. ), das trug ihn und der feste Wille, jungen Menschen aus aller Welt Türen zu öffnen in eine geschwisterliche, offenherzige Menschlichkeit, gelebte Liebe. Braucht es mehr zum Fortbestand der Welt als Menschen wie Marianne Schwegler, Gottlieb Duttweiler, Roger Schutz? Braucht es mehr zum Fortbestand als sich wagende, freie, schöpferische Liebe?
Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt,
„Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter. Menschen, die aus der Liebe leben, sehen tiefer. Menschen, die aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht“(Lothar Zenetti), sie sind das Salz der Erde, sie sind das Licht der Welt. Wir sind das Salz der Erde, das Licht der Welt, wir müssen keine Helden sein, nur Menschen. In Jesu Sicht ist nicht die geschlossene Welt der Thora das Fundament des Kosmos, sondern der offene Kreis der zur Gottesliebe erweckten Menschen. In der Liebe erblühte Menschen, sie sieht Jesus als das Salz der Erde, das Licht der Welt. Es ist der offene Kreis derer, die am Berg der Seligpreisungen sein Wort vernehmen und es sich zu Herzen nehmen. Keine Thora, keine Unterwerfung, Kein Gehorsam einem Gottesgesetz gegenüber. Keine Vision eines Gottesstaates, sondern der offene Kreis derer, deren Hoffnung aufgeht, die ihre Hoffnung auf ein Stück Sinn, ein Stück Anerkennung, ein Stück Wertschätzung, ein Stück Frieden wiedergefunden haben und im Geist der Hoffnung, Reich-Gottes-Hoffnung anders miteinander umzugehen beginnen. So sind wir das Salz der Erde, das Licht der Welt.
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Predigt zu Matthäus 28,16–20 von Karin Klement
Liebe Jugendliche und Erwachsene, liebe Gemeinde!
Wie viele Krisengipfel mögen wohl in der letzten Zeit erklommen, immer wieder neu aufgebaut und mühsam erstiegen worden sein? Ukraine-Konflikt. Griechenland-Misere. Die Berge von Toten, die durch Anschläge der Terrormiliz des Islamischen Staates oder von Boko Haram ums Leben kamen, und vieles mehr. Während wir uns hier im Zentrum von Europa auf entspannte, sonnige Sommerferienzeit freuen, hecheln die Politiker unserer Länder von einem Sondergipfel zum anderen. Normale Alltagspolitik sieht anders aus.
Der BERG-Gipfel – in der Bibel ursprünglicher Ort der Gottesoffenbarung – beschreibt zu unserer Zeit eher äußerst makabre Höhepunkte und fast verzweifelte Rettungsversuche. MOSE brachte die 10 Gebote aus allerhöchster Gottesnähe in die Niederungen menschlicher Kleinheit und Schuld. Bei uns proben die Großen in Europa, wie sie mit den Kleinen und manchmal recht unverschämten Regierungschefs umgehen sollen, die sich keiner eigenen Schuld bewusst scheinen.
JESUS selbst spürte und wiederstand der Versuchung zu unbegrenzter Machtausübung, als ihm der Teufel die Reichtümer der Welt zur Füßen legen wollte. Stattdessen lehrte er in seiner Bergpredigt, dass selig ist, wer sich selbst gerade nicht auf dem Gipfel der Glückseligkeit wähnt: Leidtragende, Sanftmütige und Barmherzige, Menschen mit reinen Herzen, Friedfertige und jene, die gerecht bleiben, auch wenn sie Unrecht erfahren.
Auf den Gipfeln weitet sich der Blick; die Aussicht bringt auch ferne, noch unerreichbare Ziele ein Stück näher. Und es eröffnen sich neue Perspektiven, der Ausblick auf weit mehr als uns normalerweise vor Augen liegt. Machen wir also einen Gipfelwanderung mit JESUS! Genießen wir eine ungewohnte Perspektive, den Weitblick über unseren normalen Alltag hinaus. Ein ruhiges Auge ist dafür ganz hilfreich, ein konzentrierter Blick. Und zwei aufmerksame Ohren. Hören wir, was am Ende des Matthäus-Evangelium geschrieben steht:
(16) Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. (17) Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
(18) Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. (19) Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (20) und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Eine beeindruckende Szene hoch auf dem Gipfel der Ereignisse – nach Kreuzigung und der wundersamen Auferstehung Jesu. Von jenen Frauen geschickt, die dem Auferstandenen an seinem Grab begegnet waren, kommen die Jünger auf einen Berg in Galiläa. Im Norden Israels, in der Region Galiläa war Jesus aufgewachsen; dort hatte er seine Freunde und Anhänger gefunden. Nun kehren sie dorthin zurück, weil ihnen die Frauen so etwas Unglaubliches erzählten; weil sie behaupteten, den Toten lebendig gesehen zu haben. Und ER, der Auferstandene, habe ihnen, den Jüngern, mitteilen lassen, sie sollen ihn auf dem Berg in Galiläa treffen.
Eigentlich kein Wunder, wenn ihnen Zweifel kommen. Eher ein Wunder, dass sie sich trotzdem auf den Weg machen. Dass sie es trotzdem ausprobieren, ob sich ihre Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit ihrem geliebten Freund, dem Menschenbruder und Gottessohn erfüllen wird. Und, als sie ihn tatsächlich vor sich sehen, fallen sie auf ihre Knie.
In der Politik in die Knie zu gehen bedeutet Macht- und Ansehensverluste. Mühevoll werden im Streit Kompromisse gesucht. Man kommt sich gegenseitig entgegen, bis alle das Ergebnis der Unterredungen so einigermaßen als ihren Erfolg verbuchen können. Die Formulierung der Worte deutet an, welche Gefühle im Spiel sind; je derber die Ausdrücke, desto heftiger die Emotionen. Niemand will sein Gesicht verlieren, selbst wenn er kaum noch Chancen hat seinen politischen Willen durchzusetzen. Ungewohnt, wenn dann ein offensichtlicher Bittsteller, wie der griechische Premier, mit einem selbstbewussten, fast provozierenden Lächeln auftritt. Auf den Höhen der Macht tanzt er scheinbar unerschrocken über die strengen Mienen der meisten seiner Gesprächspartner ihnen auf der Nase herum. Zumindest wirkt es so. Aber seine Lässigkeit gewinnt auch Anerkennung, Respekt gegenüber dem Mutigen in seiner schier aussichtslosen Position. Und anstatt in scharfe Konfrontation und resolute Abwehr zu gehen, nehmen kluge, führende Politiker den Regierungschef mit seinen leeren Händen sehr freundlich in Empfang. Eine Geste der Würdigung, die dem Einzelkämpfer ermöglicht auf Augenhöhe zu sprechen. Vorbildlich, wenn es gelingt, in der Politik wie im zwischenmenschlichen Bereich die Verbindung nicht abreißen zu lassen.
Die Jünger fallen auf die Knie vor ihrem HERRN; ihre Demutsgeste hängt vielleicht auch damit zusammen, dass sie plötzlich ihre eigene Schwäche spüren. Ihre verdrängte Angst, ihren unterdrückten Schmerz. Die grausame Kreuzigung Jesu hatte sie in die Flucht geschlagen. Tagelang widerstanden sie ihrem Gefühl der Verlassenheit, des Versagens und Scheiterns einer großartigen Idee. Sie ertrugen die unmenschliche Entwürdigung und den elenden Tod jenes Mannes, den sie verehrt und geliebt hatten. Und nun stand ER wieder vor ihnen. Eine lichte, sanftmütige Gestalt. Einer, der mit Worten so viel mehr bewegen und erreichen konnte, als die Mächtigen mit ihren anmaßenden Gesten oder ausgeborgter Gewalt. Die Freunde JESU fallen auf die Knie, vielleicht auch, weil sie nicht fassen können, dass es wahr ist, was sie da vor sich sehen.
Doch auch der Zweifel lässt sich nicht weg-„knien“; er bleibt ein Stachel im Wiedererkennen. Der Verstand lässt sich nicht ausschalten, das selbständige Nachdenken nicht ignorieren; der verzagende Kleinglaube nicht beiseiteschieben. Die Angst vor einer erneuten Enttäuschung sucht nach Schutz im Zweifel. Das Zweifeln gehört mit zum Erkenntnisprozess. Auch die Angst, sich fallenzulassen in das, was sie zu sehen glauben. Solange sie sich an der Wirklichkeit des Todes festhalten konnten, hielten sie etwas in ihren Händen. Die Realität des Todes preiszugeben, macht sie ohnmächtig, machtlos und lässt ihnen die Beine einknicken.
JESUS aber geht auf sie zu und sagt die entscheidenden Worte. ER gibt den Verunsicherten eine Wegweisung, erteilt den Fragenden einen klaren Auftrag, schenkt den Zweifelnden eine neue Aussicht. Und jenen, deren Herzen sowieso schon brennen, die vielleicht nichts mehr glauben müssen, weil sie einfach nur glücklich sind und voller Liebe in JESU Gegenwart – ihnen wärmt er das Herz mit Seinem Zutrauen. Mit allen Jüngern gleichermaßen teilt er seine Vollmacht, gibt ihnen Kraft und Stärke mit seinem Auftrag, Menschen im Namen Gottes zu taufen und zu lehren.
Aufstehen und hineingehen in diese Welt. Mit der TAUFE – Symbol für Gottes Gegenwart im Leben wie im Sterben – die Menschen an Körper, Geist und Seele berühren. Und sie unterrichten, ihnen vom Glauben erzählen, von einem Gott, der ihnen hautnahe begegnet, egal in welcher Situation sie gerade leben, was sie belastet, ablenkt oder in Zweifel zieht.
Die Jünger sollen ihre Mitmenschen zu Jüngern und Jüngerinnen machen. Die Lehrlinge in Sachen GLAUBE sollen alle Völker in die Lehre bringen. Niemand soll ausgeschlossen werden. Allen gilt die gute Botschaft, der Friede, die Liebe. Und der Beistand, die Gegenwart Gottes bis ans Ende aller Tage – und sogar darüber hinaus.
Oben auf dem Berg des Geschehens, auf dem Gipfel zwischen Zweifel und Hoffnung, zwischen kritischem Glauben und blindem Vertrauen werden die Jünger aufgefordert, nicht stehen zu bleiben. Sie sollen weder weitentfernte, einsame Gipfelkreuze aufrichten, noch versteckte Hütten bauen für einzelne Gipfelstürmer. Sie sollen das ihnen zugesprochene Wort, das Vertrauen, das Jesus in sie setzt, und den Glauben weitertragen. Hinunter in die Täler und Tiefen des Alltags. Sie sollen erzählen von dem, was sie erlebt, erfahren, durchdacht und immer wieder bezweifelt haben, und was das alles in ihnen auslöste. JESUS teilt ihnen sein Testament zu, seine letzten Worte: Ein Anschubs zum Weitergehen und Nicht-Stehenbleiben. Hin zu ihren Mitmenschen in aller Welt. Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Eine Lern-Aufgabe für uns selbst und ein Lehr-Auftrag gegenüber unseren Mitmenschen. Und Christus ist mittendrin dabei, wenn wir als getaufte Christen und Christinnen vom Glauben reden und Nächstenliebe praktizieren. Wir sind Beauftragte für den jeweiligen Ort, an dem wir zuhause sind: als Eltern, die ihren Kindern ein Vorbild für Vertrauen geben. Als Jugendliche, die oftmals an sich selbst zweifeln und doch wissen sollen: So, wie ich bin, bin ich ok. Denn kein Mensch ist jemals zu Ende mit seinem Lernen.
Auch als gegenseitig Liebende, die beispielhaft Vertrauen praktizieren und ihre Liebe unter Gottes Segen stellen. Als Nachbarn oder als Fremde, die einander helfen und darin diakonisch handeln, also praktische Nächstenliebe üben. Überall und jederzeit lernen wir Gottvertrauen von einander kennen und üben es selbständig ein. Unsere Gemeinde, unsere KIRCHE ist eine lernende und eine lehrende Gemeinschaft in Sachen Gottvertrauen. Wir leben auf dem Gipfel – Gott schenkt uns einen weiten Ausblick und die Freiheit mit Gelassenheit auf andere zuzugehen. So kann und soll das Zusammenleben in dieser Welt zum Segen für alle werden. Gott sei Dank!
AMEN
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Predigt zu Matthäus 28,16-20 von Sven Keppler
I. Lin Aili will keine Angst mehr haben. In ihrem Glauben sucht sie Halt. Katja Eichhorn aus dem ZDF-Studio in Peking erzählt ihre Geschichte.1 Lin kniet vor einer Holzbank in der dritten Etage eines einfachen Hauses. Die Wände sind kahl. Die weiße Farbe blättert ab.
Mit anderen Gläubigen singt sie Kirchenlieder. Inbrünstig, die Finger ineinander verkrampft. Dann betet sie. Vor allem dafür, dass ihr Ehemann Huang Yizi, der Pfarrer der Gemeinde, bald aus dem Gefängnis entlassen wird.
Sie bewahrt sich einen Hauch von Hoffnung, obwohl Huang erst vor ein paar Tagen zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Er wollte kein Schuldeingeständnis unterschreiben wie viele andere.
Was war passiert? Die Behörden in China gehen immer stärker gegen Christen und ihre Kirchenhäuser vor: Sie entfernen Kreuze, zerstören Kirchentreppen, reißen Kirchen sogar komplett ein – und sie verurteilen Pfarrer und Gläubige, die sich dagegen wehren, zu Haftstrafen.
Auch Huang Yizi hatte zusammen mit anderen Gläubigen gegen den Abriss einer Kirche protestiert. „Er hatte vorgeschlagen, dass alle zusammen ein Lied singen“, sagt Lin Aili. „Nach diesem Gebet wollte er, dass sich die Menge auflöst. Trotzdem wurde er wegen Störung der öffentlichen Ordnung verurteilt.“
„Das ist ein Konflikt zwischen den Ideologien“, sagt Huang Yizis Anwalt. „China wird autoritär regiert, das wissen wir alle. In der Gesellschaft wird alles monopolisiert. Sowohl das Materielle als auch das Geistliche und daher eben auch der Glauben. Die Kirche fordert das Glaubensmonopol heraus. Das ist eine Form von Ungehorsam.“
II. Die Verfolgung von Christen ist so alt wie das Christentum selbst. Heute zum Beispiel ist der Gedenktag von 3 Männern, die im Jahr 304 getötet wurden: Felix und Nabor aus Nordafrika und Hermagoras, ein Bischof aus Norditalien.
Sie wurden ermordet, als Kaiser Diocletian die Christen verfolgen ließ. Dieser römische Kaiser hatte versucht, das römische Reich zu reformieren und zu stärken. Das Christentum sah er dabei als Gegner. Als Konkurrenten. Und so startete er die vielleicht brutalste römische Gewaltwelle gegen die Anhänger unseres Glaubens.
Wie kommt es, dass autoritäre Systeme von Rom bis China immer wieder Christen verfolgen? Was ist an unserer friedlichen Religion so gefährlich? Was macht Diktatoren aller Zeiten so unruhig, wenn sie mit Christen zu tun haben? Steht nicht der Friede im Zentrum unseres Glaubens? Und eine gewaltlose Herzensfrömmigkeit?
Wir kommen einer Antwort auf die Spur, wenn wir den heutigen Predigttext lesen. Es ist der berühmte Schluss des Matthäusevangeliums [lesen: Mt 28,16-20].
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Das ist unmissverständlich. Eine klare Ansage. Machet zu Jüngern alle Völker. Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Kein Wunder, dass Machthaber bei solchen Worten unruhig werden. Sie müssen das als eine unerhörte Konkurrenz empfinden. Ihr eigenes Gewaltmonopol trifft auf ein anderes, das überlegene Ansprüche anmeldet. Ihre eigene Forderung nach Gehorsam wird von einer anderen noch überboten.
Es ist also ganz deutlich: Bei den Diktatoren liegt kein Missverständnis vor. Sie schätzen das Christentum nicht falsch ein, wenn sie eine Konkurrenz empfinden. Sondern sie fühlen sich zu Recht infrage gestellt. Je absoluter ihr eigener Anspruch auf Herrschaft ist, umso konsequenter geraten sie mit den Worten des Auferstandenen in Konflikt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
III. Erstaunliche Worte für einen, der kurz zuvor hingerichtet worden war. Für einen Rabbi, der übers Land gezogen war und Kranke geheilt hatte. Der versucht hatte, Ausgegrenzte wieder in die Gesellschaft einzugliedern.
Jesus hatte sich damals kritisch gegenüber Macht und Herrschaft geäußert: Die Könige üben Macht über ihre Völker aus, und die Tyrannen lassen sich sogar noch ‚Wohltäter des Volkes‘ nennen. Bei euch muss es anders sein! Der Größte unter euch muss wie der Geringste werden und der Führende wie einer, der dient. Wer ist denn größer: der am Tisch sitzt oder der bedient? Natürlich der am Tisch! Aber ich bin unter euch wie der Diener. [Lk 22,25-27, Gute Nachricht]
Vom Sozialarbeiter zum Weltenherrscher. Innerhalb von einer Woche. So erlebten es seine Anhänger, kurz nach dem Osterfest. Jesus war nun der „Herr“. Mit einem Herrschaftsanspruch, der in dieser Welt keine Grenze kennt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Wie konnte es zu diesem Umschwung kommen?
Der Tod Jesu hatte alles verändert. Aber nicht eigentlich sein Tod. Sondern dass seine Anhänger überzeugt wurden: Er lebt! Er ist nicht tot geblieben. Deshalb ist es kein Zufall, dass uns der Predigttext als Rede des Auferstandenen begegnet.
Die Mächtigen, die ihn beseitigen wollten, haben ihr Ziel nicht erreicht. Ihre Macht war nicht stark genug für ihn. Sie haben sich an ihm die Zähne ausgebissen. Ja sogar der Allermächtigste konnte ihn nicht bezwingen: der Tod. Der sonst noch jeden Tyrannen und Diktator klein gekriegt hat.
Der Tod ist der grausamste Herrscher von allen. Mit ihm verbünden sich die Gewalthaber, um ihre Schreckensherrschaften auszuüben. Mit dem Tod im Bunde schicken die Juntas ihre Todesschwadronen ins Land. Aber selbst der Tod war machtlos gegenüber Jesus.
Folgte daraus nicht sonnenklar: Jesus, der zarte Prediger, ist in Wahrheit der Mächtigste von allen?! Der sanfte Heiler ist der stärkste Herrscher! Nicht aus sich heraus. Sondern die Gewalt ist ihm gegeben. Von dem, der allein wahre Macht verleihen kann – von Gott. Vom Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat.
IV. Wir dürfen das Thema ‚Macht‘ nicht verharmlosen. Nicht klein reden. Es geht nicht bloß um eine irgendwie geistige Macht. Nicht nur um eine Herrschaft über die Gedanken und Seelen. Jesus ist nicht bloß König der Herzen. Ihm ist wirklich alle Gewalt gegeben. Auf Golgatha habe wir gesehen, dass es um einen ganz realen Machtkampf geht.
Auch im nationalsozialistischen Deutschland wurde deutlich, dass das ein ganz realer Machtkampf sein kann. Die Bekenntnisschrift, die mitten in diesem Machtkampf vor 81 Jahren entstand, ist die Barmer Theologische Erklärung. Dort heißt es unzweideutig: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären.“
Sobald ein Staat über den ganzen Menschen herrschen will, gerät er in Konkurrenz zum christlichen Glauben, ja zu Christus selbst. Sobald er einfordert, dass Menschen ihren Glauben in bestimmten Lebensbereichen ausklammern. Sobald er nicht anerkennt, dass es eine Macht gibt, die größer ist als er. Der „Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Diese berühmt gewordene Einsicht des früheren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde bringt es auf den Punkt.
V. Was heißt das für uns? Ich möchte das in einigen kurzen Sätzen auf den Punkt bringen:
• Wir dürfen uns täglich daran erinnern, wer letztlich die Macht über unser Leben hat. Nicht die Zwänge des Alltags. Nicht die Polizei. Auch nicht unsere Krankheiten. Sondern Jesus, der Auferstandene.
• Wir dürfen für unseren freiheitlichen Staat eintreten, wenn er um seine Grenzen weiß. Wenn auf die Erwähnung Gottes in der Verfassung verzichtet wird, wie zuletzt in Schleswig Holstein, ist das der falsche Weg.
• Wir dürfen unsere Geschwister wie Lin Aili und Huang Yizi nicht vergessen. In China und vielen anderen Ländern der Welt. Nie gab es so viele Christenverfolgungen wie heute. Diese Menschen brauchen unsere Solidarität und unser Gebet.
• Wir dürfen uns aber auch nicht verleiten lassen, Glaubenskämpfe mit den falschen Mitteln zu führen. Hassprediger und islamische Fundamentalisten spüren natürlich, dass der Anspruch Christi auch ihnen entgegentritt. In jeder Auseinandersetzung sollen wir uns erinnern, was die angemessenen ‚Waffen‘ des Glaubens sind: Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede und Vertrauen [Eph 6,14-16]. Wenn Jesus sagt, dass wir lehren und leben sollen, was er uns befohlen hat – dann meint er genau dies.
• Und vor allem: Wir dürfen darauf vertrauen, dass Jesus bei uns ist. Dass seine liebevolle, menschenfreundliche Macht uns trägt. Alle Tage. Bis an das Ende der Welt. Amen.
1 Quelle: http://www.heute.de/christenverfolgung-wie-christen-in-china-drangsalie…
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05.07.2015, Karlsruhe: "Was setzt sich durch?"
Liebe Gemeinde,
da wird nicht lange gefackelt in der Motette von Heinrich Schütz. Das Unkraut wird gebündelt und verbrannt. Der Weizen bleibt übrig. Fertig.
Will Gott am Ende aller Tage wirklich kurzen Prozess machen? Hat Jesus das gemeint? Da kann einem ja richtig unheimlich werden!
Hören wir darum erstmal, in welchem Zusammenhang Jesus davon sprach:
Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf den Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon.
Als nun die Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut.
Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut?
Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan.
Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten?
Er sprach: Nein! Damit ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune!
Matthäus 13, 24-39 Lutherübersetzung 1984
Liebe Schwestern und Brüder, man muss kein Bauer sein und kein großes Feld besitzen. Auch wenn Sie einen Garten haben, vielleicht nur einen Balkon oder eine Fensterbank:
Da können Sie genauso liebevoll vor ihren Pflanzen stehen wie dieser Hausvater. Es ist doch überall das gleiche Wunder: Ein guter Same geht auf. Einfach so. Ohne mein Zutun.
Und genau so ist es mit Gottes Reich, sagt Jesus: Gott sät es aus und es wächst und wächst und wächst. Manchmal an Stellen, wo man es gar nicht erwartet hätte.
Auf dem Schulhof, wenn Streithähne lernen, sich zu tolerieren, wie Robin vorhin erzählt hat. In der Ehe, wenn sich Paare wieder versöhnen, bevor die Sonne unter geht, wie Frau Hock sagte.
Und es wächst in unserer Stadt:
Hier in Karlsruhe kommen fremde junge Männer, ganze Familien bei uns an und hoffen, hier in Sicherheit zu sein.
Manche Einheimische fühlen sich von ihnen bedroht, weil sie Angst haben, dass auch gewaltbereite Islamisten unter ihnen sind.
Da kommen manche an die Grenze ihrer Toleranz und würden sie am liebsten zurück schicken.
Andere Karlsruher gehen mutig auf die Fremden zu: Familien nehmen minderjährige Waisen aus Afrika auf und lernen mit ihnen Deutsch. Junge Syrer stehen im Staatstheater auf der Bühne und zeigen, was ihn nach allen Schicksalsschlägen Kraft und Hoffnung gibt.
Als ich sie gesehen habe, habe ich mich gefragt: Schickt Gott uns die Flüchtlinge vielleicht, um uns die Augen zu öffnen, was im Leben wirklich zählt? Ja, mit einem Mal wächst Gottes Reich mitten unter uns.
Solche Begegnungen haben in unserer Stadt eine Vorgeschichte: Karlsruhe wurde vor genau 300 Jahren gegründet. Und weil der Landesherr wollte, dass seine Stadt wächst, hat er Menschen aus Nah und Fern mit seinem sogenannten „Privilegienbrief “ angelockt und ihnen die freie Ausübung ihrer Religion versprochen: Auch hier ging gute Saat auf. Denn sie sind gekommen: Die Juden mit ihrer Tora und fremde Christen mit ihren Bibeln. Vom Landesherrn als freie Bürger anerkannt und darauf verpflichtet, in Frieden zusammenzuleben. Und diese gute Saat gedeiht bis heute bei uns.
Und trotzdem reicht es nicht, einfach alles wachsen zu lassen und sich daran zu freuen.
Denn das Unkraut wächst mit und kann dem Weizen gefährlich werden. In Jesu Gleichnis. Und in unserm Leben. Manche meinen deshalb, sie müssten das vermeintliche Unkraut vernichten:
In Thailand treiben Buddhisten Angehörige der muslimischen Minderheit gnadenlos aufs offene Meer.
Im Irak sprengen Muslime Kirchen in die Luft.
In Nordirland die Älteren werden sich daran erinnern haben sich evangelische und katholische Christen bis auf´s Blut bekämpft.
In unserem Land werden immer wieder jüdische Friedhöfe geschändet.
In unserer Stadt werden engagierte Christen angegriffen, wenn sie sich für den Dialog mit anderen Religionen einsetzen.
Das alles wäre sicher nicht im Sinne des Hausvaters, von dem Jesus im Gleichnis erzählt. Der schaute sich nämlich in aller Ruhe an, was da auf seinem Feld wuchs.
Als guter Landwirt wusste er, dass er auch den Weizen gefährdet, wenn er das Unkraut herausreißt. Denn beide sind durch ihre Wurzeln im Boden verbunden.
Geduldig wachsen lassen ein naiver Rat? Keineswegs. Denn das heißt nicht, die Augen verschließen, sondern sich an dem weisen Hausvater zu orientieren. Ich stelle mir vor, dass er immer wieder mal durch sein Feld ging und nach dem Rechten sah. Für Wasser, Luft und Dünger sorgte, damit es am Ende eine gute Ernte gibt. Er hat sich gekümmert, ohne das Unkraut radikal zu vernichten.
Und so könnte auch unsere Aufgabe sein, den Acker zu pflegen. Vielleicht lässt Gott ja seine gute Saat gerade da aufgehen, wo wir uns um seine Pflanzen kümmern. In unserer Kirche. Und im Gespräch der Religionen.
Das passiert hier in Karlsruhe bald ganz praktisch:
Alle Religionsgemeinschaften laden im September in einen gemeinsamen Garten der Religionen ein. Dazu gab es einen Architektenwettbewerb.
Jede Religion hat dann dort ein Beet. Da wachsen die Früchte ihres Glaubens und locken zu einem Blick über das eigene Beet in das Beet des Nachbarn. Erstaunlich, was da alles so wächst.
Was dem einen Kraut ist, mag dem anderen Unkraut sein. Besonders unter Gärtnern ist die Versuchung groß, im Beet des anderen auszureißen, damit sich das vermeintliche Unkraut nicht auch noch im eigenen Beet breitmacht. Der klassische Konflikt in allen Schrebergärten!
Statt jedoch einfach handgreiflich zu werden, gehört es dort zum guten Umgang, dass man sich über den Gartenzaun hinweg austauscht. So stelle ich mir auch die Gespräche im Garten der Religionen vor: Jeder informiert den anderen über seine Religion und ist offen für den Austausch.
Da kommen dann durchaus auch kritische Fragen auf: Zum Beispiel: Warum ist das Kopftuch bei euch im Islam so wichtig? Und: Wie seht ihr die Gewalt der Islamisten und was sagt ihr euren Kindern dazu?
Als Christen müssen wir uns umgekehrt fragen lassen, warum unser christlicher Glaube so viel Kraft in unseren Familien und in unserer Stadt verloren hat? Das alles geht über den Privilegienbrief unseres Stadtgründers weit hinaus: Weil wir uns nicht einfach gegenseitig in Ruhe lassen wollen, sondern durchaus auch danach fragen, darüber diskutieren, wie Gott in unserer Stadt wirkt und wie jeder in seiner Religion und wir alle zusammen dem Frieden dienen können. Das heißt ganz konkret: Wie junge Frauen und Männer bei uns glücklich werden können, anstatt auf Propaganda von Extremisten herein zu fallen. Jeder einzelne Mensch soll Freiheit, Respekt und Schutz erfahren, damit sein Leben wie auf einem guten Ackerboden gedeiht.
Bleibt die Frage, warum der Hausvater so geduldig war und einfach alles wachsen ließ, statt wie ein emsiger Kleingärtner einzugreifen. Die verwachsenen Wurzeln von Unkraut und Weizen waren es wohl nicht allein. Er hatte auch eine große Zuversicht: Am Ende wird der gute Weizen übrig bleiben. Gottes Reich wird sich durchsetzen.
Darum sei tolerant!
Nicht gleichgültig: Schau aufs Unkraut, sprich deutlich an, was dich beschwert, aber reiß es nicht vorzeitig aus.
Wer sagt denn, dass du der gute Weizen bist?
Was zum Unkraut gehört und was zu Weizen, erweist sich erst am Ende.
Dann wird Gott seine Schnitter schicken und das Unkraut jäten und verbrennen. Das darf keiner von uns tun.
Bis dahin halten wir aus, was um uns herum wächst und vertrauen darauf, dass Gottes Reich mitwächst und alles überlebt.
Amen.
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Doping für Christenmenschen - Predigt über Matthäus 28,16-20 von Hans Uwe Hüllweg
Doping für Christenmenschen
Die Reedersgattin holt aus und schleudert die Sektflasche in Richtung Bug; sie zerschellt am Stahl des Schiffes. Die Verantwortlichen atmen auf: Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen: Das Schiff ist getauft. Die „Christliche Seefahrt“ hält an ihren Traditionen fest. Da schwimmt nun ein modernes Containerschiff, mit allen technischen Neuheiten, nach höchsten Sicherheitsstandards ausgerüstet. Es trägt fortan den Namen „München“ und verkehrt auf der Nordatlantikroute von Bremerhaven nach Savannah in den USA.
Nur wenige Jahre später geht es in einem schrecklichen Sturm unter; vergeblich die tagelange Suchaktion, keiner wird gerettet, nichts vom Schiff wird wiedergefunden außer ein paar unbenutzten Rettungsinseln, einer Notfunkbake und Trümmerteilen eines Rettungsbootes - eine furchtbare Katastrophe, so geschehen 1978.
Dass wir Flugzeuge, Schiffe und manches andere zu taufen pflegen, das ist irgendwie ein selbstverständlicher Brauch. Man macht es halt so seit Menschengedenken. Und doch weiß jeder oder könnte es eigentlich wissen, dass die Taufe Unglücke, Abstürze, Zusammenstöße, also Leid und Tod nicht verhindern kann.
Ob dessen ungeachtet viele Menschen heute insgeheim auch noch so denken? Ob die Taufe nicht vielleicht doch eine Art übernatürlichen Schutz verleiht gegen alles Böse, das uns passieren kann? Von vielen Eltern wird die Taufe ihrer neugeborenen Kinder trotz aller Säkularisierung der Gesellschaft gewünscht. Auch Eltern, die sonst nicht weiter erkennbar kirchlich interessiert oder gar engagiert sind, lassen ihre Kinder taufen. Kürzlich haben wir hier an der Algarve ein Kind getauft, dessen Eltern aus der Kirche ausgetreten sind, aber nachdrücklich diese Taufe gewünscht haben. Weil zwei christliche Paten gefunden wurden, war das dann möglich.
Ich vermute, dass Sie alle, unsere Gottesdienstbesucher und –besucherinnen heute Abend hier in der Kapelle auf den Klippen, getauft sind. Grund genug, sich wieder einmal an den Ursprung der Taufe und damit auch an ihre Bedeutung erinnern zu lassen.
Jesus selbst trägt, wie wir gehört haben, seinen Jüngern auf, Menschen zu taufen. Aber bevor er das tut, spricht er einen befremdlich klingenden Satz:
„Mir ist gegeben alle Gewalt...“
So hat die urchristliche Gemeinde ihren Herrn verstanden, so hat sie ihn geglaubt und gepredigt, und das gegen allen Augenschein. „Mir ist gegeben alle Gewalt“, das durfte eigentlich nur der Kaiser in Rom sagen. „Mir ist gegeben alle Gewalt“ - das stand so oder ähnlich über kaiserlichen Verlautbarungen und Erlassen. So wie es später in Preußen hieß: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen, verordnen dieses oder jenes…“
„Mir ist gegeben alle Gewalt“ im Munde Jesu - das bestreitet dem Kaiser in Rom seine Macht, ihm und allen anderen kleinen und großen Mächtigen auf der Erde, auch den Wilhelms „von Gottes Gnaden“ und Möchtegernpotentaten, den Diktatoren und Gotteskriegern.
Darum, weil sonst niemand Macht über die Christen hat, als Jesus Christus allein, weil sie sich darum auch nicht einschüchtern lassen müssen von dem selbstherrlichen und gottlosen Augustus ebenso wenig wie von allen anderen selbsternannten Herren dieser Welt, darum bekommen sie in der Taufe seinen Stempel aufgedrückt.
Das rückt die menschlichen Machtverhältnisse zurecht, das schiebt dem unausrottbaren Streben des Menschen nach eigner Macht über sich selbst und über seinesgleichen einen Riegel vor.
„Darum geht hin in alle Welt...“ Es ist eine großartige Ermutigung zum Aufbruch, weil sie mit der Entmachtung der Mächte einhergeht. Wenn Jesus Christus allein die Macht hat, steht der Kaiser nackt da.
Das ist ein gewaltiger Start ins Christenleben! Von der „Gewalt“, dem Machtpotential Jesu Christi zu hören, die sich freilich nicht auf Waffen gründet, sondern auf die Menschenliebe Gottes!
„Darum geht hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker!“ Start einer Bewegung: „gehet“, „machet“, „taufet“, „lehret“ - Worte, die allesamt ein Tun ausdrücken. Kein Wort von frommem Brauchtum, kein Missverständnis im Blick auf eine Unfallverhütung, keine Zusicherung, dass den Getauften kein Leid widerfahren werde. Unglücke geschehen, Flugzeuge stürzen ab, Schiffe gehen unter – Gott sei’s geklagt! - und manchmal geschehen bedauerlicherweise auch Unfälle im Kinderzimmer und auf der Straße, und sie treffen Getaufte und Ungetaufte. Die Taufe kann eben keine Unfallversicherung Gottes sein. Sondern sie ist etwas ganz anderes, eben der Start einer Bewegung zu Gott und den Menschen, oder noch besser: der Bewegung Gottes zu uns.
„Machet zu Jüngern alle Völker...“, so heißt es bei Matthäus. Das Wort „Jünger“ ist heute aus der Mode gekommen. Man gebraucht es allenfalls noch als leise ironische Bezeichnung von Hobbies wie etwa der „Petrijünger“. Es bedeutet eigentlich „Schüler“ und bezeichnet das besondere Vertrauensverhältnis der Schüler zu ihrem Meister. Ihm, dem Menschen Jesus, ein Mensch wie du und ich, aber auch wieder anders, weil der Sohn Gottes, vertrauen die Jünger, von ihm lernen sie, er gibt ihnen Leben.
Das war kein besonders geschütztes Leben - im Gegenteil. Das Leben Jesu selbst war riskant und gefährlich: In der Wüste setzten ihm Hunger, Durst und stechende Sonne zu; feindlich gesonnene Menschen trachteten ihm nach dem Leben; die wankelmütige Zuneigung der Menge setzte ihn matt; der Teufel versuchte ihn; manche vermeintliche Anhänger erwarteten Unmögliches von ihm und wandten sich dann ab; Petrus verleugnete, Judas verriet ihn. Wir wissen, wo das hinführte: ans Kreuz von Golgatha.
Vor einem wagnisreichen, lebensgefährlichen Leben schützte auch ihn seine Taufe nicht und schützt uns unsere Taufe nicht. Und für manche Menschen in der Kirchengeschichte war die Taufe der Startschuss zu einem unsicheren, niederlagengesäumten und sogar gewaltsam beendeten Lebenslauf. In jedem Falle und trotz und alledem aber ist die Taufe Einzug in das Kraftfeld Gottes.
Vielleicht kann uns die anfangs erwähnte Praxis der Schiffstaufen doch noch als ein Bild dienen. Auch sie ist ja Startschuss zu einer nicht ungefährlichen Fahrt über die Meere, durch ruhige Gewässer, zu fernen Küsten und fremden Häfen, aber auch über Untiefen, durch drohende Klippen und heftige Stürme. Und eine Schiffstaufe ist ferner, mal abgesehen von dem Brimborium darum herum, schlicht die Indienststellung eines Verkehrsmittels.
So muss doch wohl auch die Taufe im Sinne unseres biblischen Textes zu verstehen sein: Indienststellung durch Gott! Nicht zufällig häufen sich, wie schon gesagt, Worte mit Aufforderungscharakter: „Gehet... machet... taufet... lehret...“ Räkelt euch nicht in einem christlichen Lehnsessel, bleibt nicht sitzen auf einem religiösen Kissen, sondern setzt euch in Bewegung!
Manch einer mag jetzt tief Luft holen. Das alles lässt sich sicherlich gut von der Kanzel herab sagen; aber wie schwer es tatsächlich ist! Weil unsere Lebenserfahrungen eine andere Sprache sprechen: Wer sich bewegt, muss aus dem Haus; wer sich bewegt, gerät in Wind und Wetter; wer sich bewegt, kann stürzen. Ohnmachtserfahrungen kennzeichnen unser Christsein:
- Die Gesellschaft entchristlicht sich immer mehr.
- Die Völker, die sich nicht haben zu Jüngern machen lassen, wachsen statistisch viel schneller als die Christen.
- Die Bibel ist für viele ein fremdes Buch geworden.
- Viele wissen nicht mehr, warum wir Weihnachten, Ostern und Pfingsten feiern
- In Deutschland werden nur noch ungefähr 25 % aller Neugeborenen katholisch oder evangelisch getauft.
Aber dies war ja, bei genauerem Hinsehen, auch schon die Situation der Urchristen. Doch hätten sie damals die Flinte ins Korn geworfen, gäbe es uns heute als Christen nicht. Weil sie diese Worte Jesu als Missionsbefehl verstanden haben, darum gingen sie tatsächlich und buchstäblich in alle Welt und standen mit ihren Worten, ihrem Helfen, ihrem ganzen Leben für Jesus Christus ein, der sie in das Kraftfeld Gottes gezogen hatte. Darum ließen sie sich von ihm in Dienst stellen.
Und das gilt auch noch heute, das ist keineswegs verfallen. Wir Getauften leben im Kraftfeld Gottes, der uns in seinen Dienst nimmt. Mission heißt Fortbewegung auf dem Wege Gottes, der mit meiner Taufe begonnen hat.
Hier sind, was die Taufkinder heute betrifft, zu allererst Eltern und Paten gefragt, wie sie ihre Kindern sozusagen stellvertretend die Menschenliebe Gottes spüren lassen, wie sie das Kraftfeld Gottes in tägliches Leben, in Erziehung umsetzen wollen. Aber auch alle anderen Getauften sind immer wieder gefragt, wo wir uns immer von neuem von Jesus Christus und für Jesus Christus in Bewegung setzen lassen.
„Ich bin bei euch“, sagt Jesus zum Schluss, weil er weiß, wie leicht seine Jünger immer wieder ermatten, wie sie von Rückschlägen geschüttelt und von Müdigkeit gelähmt werden. Und das alles sicherlich nicht immer nur aus Bequemlichkeit oder gar Boshaftigkeit, sondern auch gerade dann, wenn sie voller guten Willens die Bewegung Gottes mitmachen möchten. „Ich bin bei euch“ - das ist das Vitamin, das uns die Müdigkeit verscheuchen, das uns kräftigen und aus Rückschlägen neue Antriebe machen will. So eine gute Art „Doping“ für Christenmenschen.
„Ich bin bei euch alle Tage“, sagt Jesus –
- überall bis an die Enden der Erde, wo ihr auch seid;
- immer, solange ihr lebt, bis an euer Ende;
- und solange die Erde steht, nämlich bis an das Ende der Welt.
Amen.
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In alle Welt - Predigt zu Matthäus 28,16-20 von Gabriele Wulz
In alle Welt
Haben Christen eine Mission? So wurde ich vor kurzem gefragt.
Und wenn ja, wie sieht sie aus? Und wie ist sie zu leben?
Die Antwort auf diese einfache Frage ist keine ganz leichte Aufgabe. Denn bei dem Wort „Mission“ bekommen die einen leuchtende Augen und die anderen Gänsehaut. Es gibt kaum ein Wort, das so geeignet ist, Menschen in Rage zu bringen - oder in Leidenschaft. Je nach dem.
Aber mein Gegenüber war hartnäckig, hat nicht losgelassen. Wie ist es nun: Haben Christen eine Mission?
Und: Ist Christentum ohne Mission überhaupt denkbar?
Liebe Gemeinde,
beim Nachdenken über diese Frage, die ich mir nicht selbst gesucht habe, wurde mir klar:
Evangelium heißt nicht umsonst gute Botschaft. Das heißt: Das Evangelium will verkündigt werden, will sich Gehör verschaffen, will Öffentlichkeit erreichen.
Das Evangelium ist „gute Mär“ ,vom Himmel hoch, und es kommt auf die Erde, um auf die Welt zu verändern und die Menschenherzen zu bewegen.
Und eine Kirche, die davon nichts mehr weiß und sich damit begnügt ganz auf sich bezogen zu bleiben, ist steril, ist tot.
Und eine Gemeinde, die nur sich selbst genügt, - wir wissen es alle - ist verhockt. Wenig anziehend. Wenig einladend.
Anders herum gesagt: Das Evangelium braucht Bewegung. Es ist ja eine Kraft Gottes, wie es der Apostel Paulus sagt.
Und deshalb braucht auch die Kirche Bewegung nach außen. Und lebt davon, dass sie über sich selbst hinausgeht.
Deshalb: Ja.
Ja. Christen haben eine Mission.
Denn Kirche hat eine Mission. Hat einen Auftrag. In der Welt und für die Welt. Nicht mit Feuer und Schwert. Nicht dränglerisch und im schlechten Sinn missionarisch.
Und der Predigttext für den 6. Sonntag nach Trinitatis, bestätigt und bekräftigt das. Denn Jesus selbst gibt uns den Auftrag an alle Welt.
Auch wenn dieser Auftrag oft missverstanden worden ist. Auch missbraucht wurde.
Es gibt ihn trotzdem, und wir haben uns mit ihm auseinanderzusetzen.
So hören wir, was uns der Herr zu sagen hat.
Ich lese aus Matthäus 28, die Verse 16-20:
…
Der Lebendige ist nicht mehr bei den Toten. Das, liebe Gemeinde, war die verstörende Botschaft des Ostermorgens. Das Grab war leer. Und die Botschaft der Frauen unglaublich und dennoch ganz klar: Die Jünger sollen nach Galiläa.
Dorthin, wo alles angefangen hat.
Die Jünger hält nichts mehr in Jerusalem. Sie gehen zurück an den Anfang, wie ihnen befohlen wurde. Dort zeigt sich ihnen der Auferstandene.
Auf dem Berg – und sendet sie in die Welt. Zu den Völkern.
Nicht zu den Juden. Nicht zu Israel. Das erscheint mir eine erste wichtige Botschaft. Zu den Völkern hin geht der Weg.
Und damit schließt sich der Kreis. Denn so hat es ja begonnen, dass die Völker nach Israel gekommen sind, um das Kind zu sehen. Den neugeborenen König. Sie erinnern sich: Die drei Magier aus dem Osten, Vertreter der Völkerwelt, sind für das Matthäusevangelium ganz wichtige Personen in der Geburts- und Weihnachtsgeschichte.
Und nun – am Ende des Evangeliums – die entgegengesetzte Bewegung: Von Israel zu den Völkern. In alle Welt werden die Jünger gesandt. „Gehet hin!“ Das ist der Auftrag, den sie erhalten.
Und dabei begleitet sie die Verheißung und das Versprechen Jesu: Ich bin bei euch. Ganz egal, wo ihr seid. Es gibt keinen Ort und keinen Augenblick ohne meine Gegenwart.
Liebe Gemeinde,
das meint Jesus, wenn er sagt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden …
Das ist nicht gewalttätig gemeint. Sondern das heißt: Ich habe Vollmacht. Im Himmel und auf Erden. Raum und Zeit stellen keine Grenzen mehr für mich dar.
Denn ich stehe jetzt über Raum und Zeit, und bin deshalb zu allen Zeiten und an allen Orten derselbe.
Immer und überall bin ich der, den ihr kennengelernt habt, der mit euch umhergezogen ist, der euch gelehrt hat und der Menschen gesund gemacht hat.
„Mir ist gegeben alle Gewalt“, sagt Jesus – das heißt: Ich bin souverän – zu allen Zeiten und an allen Orten. Keine Macht der Welt hat Macht über mich. Ich habe Macht über alle Mächte und Gewalten. Selbst über den Tod.
Wer von dieser Macht etwas spürt, wer von dieser Kraft angerührt ist, der muss sich nicht verstecken. Der kann sich auf den Weg machen. Der kann von Jesus erzählen. Und vom Reich Gottes.
Und davon, wie dieses Reich manchmal schon hier Gestalt annimmt. In kleinen Gesten:
Im Feiern, im Grüßen, im Lachen und Tanzen und Singen, im gemeinsamen Essen und Trinken. Wenn wieder etwas heil geworden ist, ein Mensch wieder zu sich gefunden hat oder nach langem Streit Frieden geworden ist.
Machet zu Jüngern alle Völker – sagt Jesus.
Das heißt im Sprachgebrauch des Matthäus:
Erzählt von mir und schickt die Menschen bei mir in die Schule. Lehrt sie, was ich euch gelehrt habe:
Das Beten zum Vater, das Bitten, weil ihr doch bedürftige Menschenkinder seid und euch nichts vormachen müsst.
Lehrt sie, dass es nichts Wichtigeres gibt als Gott zu lieben mit seinem ganzen Herzen, seiner ganzen Seele, seiner ganzen Lebenskraft und mit seinem Vermögen. Das heißt auch: zu überlegen, wie gehe ich mit meinem Geld um? Wen kann ich mit meinen Mitteln unterstützen, und was brauchen andere zum Leben?
Lehrt sie – die Menschen aus den Völkern, dass es nichts Besonderes ist, nett zu seinen Freunden zu sein. Das kriegen alle hin. Aber dass es wichtig ist, auch seine Feinde zu segnen. Ihnen nicht mit Flüchen entgegenzutreten, sondern zu versuchen, aus ihrer Sicht die Welt zu sehen und sie zu verstehen suchen. Jesus sagt sogar: sie zu lieben, sie anzunehmen, wie sie sind.
Das meint „Lehrt sie!“ Und das ist gemeint, wenn wir bei Jesus in die Schule gehen.
Liebe Gemeinde,
das Lehren und das Lernen und das Taufen gehören zusammen.
Diese drei bilden eine untrennbare Einheit.
Die Taufe besiegelt die Lebens- und Lerngemeinschaft.
In der Taufe wird öffentlich gezeigt: Dieses Menschenkind gehört in die Geschichte des Lehrens und Lernens von Jesus hinein.
Getauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, zeigt an, wem unser Leben gehört.
Als Getaufte gehören wir zu Gott, den Jesus Vater genannt hat. Als Getaufte sind wir hineingenommen in die Kirche, in die Gemeinschaft der Glaubenden. Als Getaufte sind wir bei Jesus in der Lehre und mit ihm auf dem Weg, inspiriert vom heiligen Geist.
Die Taufe ist wie ein Siegel und zugleich wie ein Wink vom Himmel, der uns sagt:
Du bist gezeichnet mit dem Kreuz, und mit dem Namen des dreieinigen Gottes. Durch den Tod hindurch bist du mit dem Leben und mit Gott verbunden.
Dafür stehst du in der Welt ein. Das verkündigst du mit deinem Leben. Mit allem, was du sagst und tust.
Liebe Gemeinde,
Sie merken: das ist nicht unbedingt ein Weg, der mehrheitsfähig ist.
Und deshalb ist es meines Erachtens kein Zufall, dass Jesus der kleinen Schar die Verheißung gibt.
Den berühmten zwei oder drei …
Wir sollten uns also nicht grämen, wenn wir nicht viele sind. Aber wir sollten uns auch nicht selbstzufrieden zurücklehnen.
Denn die kleine Zahl ist kein Selbstzweck.
Wir haben ja einen Auftrag. Und wir sollen etwas sein.
Nämlich Salz und Licht.
Und das heißt: wir sollen Würze bringen und wir sollen leuchten.
Wir sollen wahrnehmbar sein, weil wir etwas zu sagen haben. Etwas, das die Menschen brauchen. Und zwar ganz notwendig brauchen.
Deshalb: Ja, Christen haben eine Mission.
Als Lernende sind wir in die Welt gesandt. Als Hörende. Als Empfangende.
So werden wir, was wir sein sollen: Salz der Erde und Licht der Welt.
Amen
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Predigt zu Matthäus 16,13-19 von Bert Hitzegrad
13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?
14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
15 Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.
18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.
19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
Liebe Gemeinde!
Manchmal möchte man ja einfach so abtauchen, den Kopf einziehen, so als wäre man gar nicht anwesend. Dann z.B., wenn aus einem seichten Gespräch im Freundeskreis eine politische Debatte wird. Gerade noch wurde geschwärmt vom Vier-Sterne-Hotel mit Pool auf Mallorca, da kommt die scharfe Nachfrage von Monika: „Und die CO²-Bilanz? Ihr seid zu zweit geflogen, da habt Ihr eine CO²-Emission von 1,37t verursacht und einen mächtigen ökologischen Fußabdruck hinterlassen …“ Monika und ihr Mann Heiner nehmen meistens das Fahrrad, um in den Urlaub zu fahren. Mit ihrem Einwurf verblasst sofort das tiefe Blau des Mittelmeeres und die Sonne, die uns eine gesunde Urlaubsbräune bescherte, bekommt einen Schleier. Und Monika setzt noch einen drauf: „Meint das die Bibel mit ‚Macht euch die Erde untertan‘? Was sagt denn Deine Kirche dazu!?“ Monika kennt natürlich meinen Beruf und meine christliche Einstellung. Sie fordert mich mal wieder heraus – und ich hätte doch so gern einfach nur von unserem Urlaub erzählt, ein Gläschen Bier dazu wie jeden Abend auf der Urlaubsinsel,und wollte nicht wieder die ganze Welt retten. Aber Monika fordert mich immer wieder heraus: „Was sagt denn die Kirche zu dem Flüchtlingselend auf dem Mittelmeer. ‚Kommt her alle, die mühselig und beladen seid ….‘, gilt das auch für Menschen, die in die wackeligen Boote in Nordafrika steigen? Und was sagt die Kirche zur Massentierhaltung?“ Monika sei gerade vor kurzem auf einer Demo gegen eine neue Großschlachterei in der Region gewesen. Dort haben Pastoren auch eine Andacht gehalten. Wie denn meine Meinung dazu wäre … Oder ob ich immer noch das billige Fleisch von gequälten Schweinen aus dem Supermarkt esse …
Manchmal möchte man einfach abtauchen und den Kopf einziehen. Ich hätte so gern einen gemütlichen Abend verbracht. Doch Monika fordert ein klares Bekenntnis.
Und das ist manchmal mühsam.
Und ich gestehe – manchmal fühle ich mich auch hoffnungslos überfordert, auf jedes unserer großen Weltprobleme eine Antwort zu haben. Und auch meine Kirche hat – Gott sei Dank – keine Patentlösungen. Die gibt es nur am Stammtisch – aber dort bleiben sie auch und helfen niemandem.
Nein, es geht nicht um einfache, schnelle Antworten. Es ist ein Ringen mit den Herausforderungen unserer Zeit, mit den Geboten Gottes und mit meinem Gewissen. Es ist ein immer wieder ein neues Fragen nach dem Willen Gottes. Und es ist ein ständiges Bitten um seinen Geist, der Christus, den lebendigen Sohn Gottes, gegenwärtig sein lässt. Und das ist mühsam, das ist mit Fragen und Zweifeln verbunden. Wo es aber gelingt, Antworten zu finden, einen Weg zu gehen, Kirche in Bewegung zu bringen – dort geschieht Pfingsten, dort weht der Geist und gibt Kraft und Hilfe für ein klares Bekenntnis.
„Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Dieses Bekenntnis bringt Simon Petrus über seine Lippen und wird damit zum Vorbild und Fundament der bekennenden Gemeinde. Aber wie kommt er zu dieser Aussage? Er nimmt wahr, was die Zeitgenossen über Jesus sagen. Sie vergleichen ihn mit Menschen, die vor ihm Bedeutendes taten, doch sie erkennen in ihm noch nicht die neue Welt die anbricht.
Johannes, der Prediger in der Wüste, hat Menschen zu einem Neuanfang in der Taufe bewegen können. Doch er scheiterte mit seiner Bußpredigt an den Mächtigen seiner Zeit und musste sterben.
Jeremia hat wie alle Propheten Gottes Gegenwart verkündigt – im Heil oder Unheil. Bei Jeremia haben sich die Unheilsprophezeihungen als richtig erwiesen. Er musste den Untergang der Stadt ankündigen, die er liebte. Seine Hoffnung, dass doch alle anderes kommen würde, war vergebens.
Und Elia hat tatkräftig in die Geschichte Israels eingegriffen und eigenhändig die Priester fremder Religionen getötet. Doch seine „Säuberungs-Aktion“ hinterlässt keinen wirklichen Erfolg, denn die Mächtigen im Lande änderten sich nicht. Trotzdem lagen auf ihm viele Hoffnungen, weil es heißt, er würde einmal wiederkommen, um sein Volk zu befreien …
Also, wer ist dieser Jesus? Ein Prophet aus Vorzeiten? Ein Jünger des Johannes, der seine verzweifelte Bußpredigt fortsetzt.
Jesus fordert ein Bekenntnis – und es scheint gar nicht mühsam für Petrus zu sein. Denn er ist diesem Mann aus Nazareth gefolgt und hat es erlebt: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt!“ (Mt 11, 5). Er hat es erlebt, dass eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Er bringt den Menschen Heil und Heilung, sogar am Sabbat, gegen die religiösen Vorschriften. Er kümmert sich nicht um die Mächtigen, sondern fängt bei den kleinen, verachteten an – und ein Zöllner namens Zachäus kann ein neues Leben beginnen. Und er predigt nicht nur von der Umkehr zu Gott und reinigt mit dem Wasser der Taufe – er schenkt seinen Heiligen Geist, der wie ein Feuer Menschen entfacht, entflammt, begeistert für die neue Zeit, die beginnt. Nichts ist mehr mühsam, nichts muss so bleiben wie es war. Das ist die Erkenntnis des Petrus – und es wird zu einem Bekenntnis, weil dieser Geist ihm die Augen geöffnet hat. Eine Sternstunde in seinem Leben. Eine Sternstunde für die Zukunft derjenigen, die sich zu Christus bekennen. Ein Fundament ist gelegt – wie ein Felsen, auf dem etwas Bleibendes gebaut werden kann. Im Grunde ist dies der Geburtsort der Kirche – und nicht erst das Pfingstfest. Denn hier wird der Grund bereitet, auf dem später gebaut wird. Hier geht schon der Blick weit in die Zukunft, denn dieser Christus, der sterben wird am Kreuz, wird der auferstandene Herr und Bruder an der Seite seiner Gemeinde sein – eine Gemeinschaft, die in seinem Geist lebt und handelt und bekennt.
Doch diese Gemeinschaft ist zerrissen, ist brüchig, sie ist nie am Ziel, ist immer unterwegs.
Was ist das auch für ein Felsen, der die Gemeinden trägt? Was ist das für ein Schlüsselträger, der sich selbst gefangen setzt, weil er nicht frei bekennt, weil er zum Verräter wird! Ein Fels, der nicht fest und sicher steht. Ein Mensch, voller Selbstzweifel und Selbstanklage, der die Nähe Jesu gar nicht aushält: „Herr, geh weg, ich bin ein sündiger Mensch!“ (Lk 5,8). Und der ein anderes Mal seine Glaubenskraft völlig überschätzt und verspricht: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen!“ (Mt 26, 35). Nur er findet die Worte für das große Bekenntnis: „Du bist Christus, Gottes Sohn.“ Doch sein starker Glaube ist brüchig. Kein Felsen, der in der Brandung standhält, sondern feiner Sand, der mit den Ängsten fortgespült wird. Nicht einmal eine Stunde hält er es bei seinem geliebten Meister aus, als der im Garten Gethsemane betet, um sich auf das vorzubereiten, was kommen wird: Gefangennahme, Kreuzigung, Tod. Jesus bittet seine Freunde, zu wachen, zu beten, doch sie schlafen ein. War es doch nur ein Lippenbekenntnis? Ganz deutlich wird dies bei der so bekannten Szene im Hof des hohenpriesterlichen Palastes. Als das Bekenntnis zum geschundenen und leidenden Gottessohn zu gefährlich wird, kneift Petrus und sagt: „Ich kenne ihn nicht!“ Und der Hahn auf dem Kirchturm erinnert bis heute an diesen Tiefpunkt der menschlichen Nachfolge. „Das war keine Sternstunde, lieber Petrus, das hätte eigentlich das Aus deiner kirchlichen Karriere sein müssen!“
Bekennen ist mühsam. Ich weiß das von meinen Gesprächen mit einer Freundin Monika. „Du bist doch ein Vertreter der Kirche! Müsste die nicht auf der Seite der Armen stehen? Aber Pastoren, die Beamtengehälter beziehen, Bischöfe, die Luxusautos als Dienstwagen fahren und Erzieherinnen, auch in den kirchlichen KiTas, die nicht angemessen bezahlt werden …?“ Monika legt gern ihre Finger in die Wunden und fordert mich heraus. „Ach, und wie ist das mit Schwulen und Lesben in der Kirche? Es gibt Gemeinden, die sie verteufeln und ihre Lebensweise als sündhaft hinstellen?“ Der Abend könnte so schön sein mit Monika und den anderen. Was soll ich sagen? Was würde Jesus sagen? Aber jetzt bin ich gefordert!
Ich fühle mich oft selbst so brüchig wie Petrus, der angeblich so starke Felsen. Kann man mit solchen Mitarbeitern den Weinberg bestellen? Ist das eine geeignete Mannschaft im Schiff, das sich Gemeinde nennt, wenn sie sich auf die Fahrt durch das Meer der großen Herausforderungen wagt? Kompetent, fachlich versiert und qualifiziert sieht in einem modernen Unternehmen anders aus. Und trotzdem hält das Management an diesen Mitarbeitern fest, weil es keine anderen gibt oder weil es keine besseren gibt. Menschen mit Fehlern und Schwächen. Menschen mit Sternstunden des Glaubens und schrecklichen Ausreißern. Menschen, die nachfolgen und Menschen, die selbstherrlich herrschen wollen. Diesen Menschen traut Gott es zu, die Botschaft seiner Liebe zu verkündigen. Und seine Liebe schließt auch die Vergebung mit ein. Die Vergebung durch Christus, den lebendigen Gottessohn, der uns in unserer Schwachheit aufhilft, der uns den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit schenkt. „Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel!“, sagt Jesus und betont damit, dass es Gott selbst ist, der in uns und durch uns und mit uns das Verstehen und Bekennen bewirkt, damit wir als seine Gemeinde leben und in dieser Welt handeln.
Das werden Sternstunden, wo wir das zulassen.
Das werden lebendige Gemeinden, wo der Geist von Pfingsten weht und wo miteinander gerungen wird um die Herausforderungen der Gegenwart. Welchen ökologischen Fingerabdruck hinterlassen wir – allein durch unsere Gebäude, wenn wir so unverantwortlich mit den Ressourcen umgehen? Ist energetisch alles bedacht? Kann die Gemeinde im Winter nicht in das Gemeindehaus umziehen, damit die riesige Kirche nicht geheizt werden muss? Und wir achten bei Gemeindefesten auf Nahrungsmitteln aus der Region und nehmen das zum Anlass, eine Diskussion um unsere Ernährung zu beginnen … Bis zum Erntedankfest sammeln wir Ideen und gestalten damit den Gottesdienst. Menschen warten auf dieses klare Bekenntnis. Und Gott selbst. Er will, dass etwas in Bewegung kommt. Denn wir feiern Pfingsten, das Fest der feurigen Flammen, das Fest seines bewegenden Geistes. Und das bedeutet: Dass auch bei uns etwas in Bewegung kommt, dass sich seine Kirche zu ihm bekennt und handelt. In der Gewissheit seiner Gegenwart können wir mutige Schritte mit ihm gehen. Nicht um eine Super-Gemeinde zu werden – dafür ist der Felsen auf dem wir stehen zu brüchig, aber um Heil und Heilung in diese Welt zu bringen. So wie er es tat, Jesus.
Was würde er heute tun?
Meine Freundin Monika würde sagen: „Ihr müsst Position beziehen, ihr müsst klarer und deutlicher sagen, was gut und was schlecht ist. Ihr müsst Euch zu denen bekennen, die benachteiligt sind – Menschen auf der Schattenseite des Lebens, Tiere, die gequält werden, Gottes ganze Schöpfung, die ausgebeutet wird.“
Es gab schon einmal eine Zeit, in der ein klareres Bekenntnis von Nöten gewesen wäre. Im Rückblick auf diese nationalsozialistische Zeit haben Christen deshalb im Herbst 1945 ein Schuldbekenntnis formuliert – das Stuttgarter Schuldbekenntnis:
„Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
Mutiger bekennen, treuer beten, fröhlicher glauben und brennender lieben, damit wir uns später nicht anklagen müssen. Christus, der lebendige Sohn Gottes, gebe uns klare Worte und Mut zum Handeln. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.
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Predigt zu Matthäus 16,13-16 von Heiko Naß
13Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?
14Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
15Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
16Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
Liebe Schwestern und Brüder,
Eine Meinungsumfrage führt uns in den Predigtabschnitt ein: Was sagen die Leute, wer ich bin? Was ist ihre Meinung?
Für die Bestimmung von Trends und Zielen starten Firmen, Politik, Kirche und Diakonie Umfragen. Sie bestimmen ihre Bedeutung, sie richten daran ihre Strategie aus, sie überprüfen ihre Ziele.
„Sind Sie einverstanden, dass ihre Daten zur Verwendung von Beratung und Meinungsumfragen verwenden werden kann?“ Kaum ein Vertag, ein Bahnticket, eine Versicherungspolice kommt ohne eine solche Aufforderung aus.
Die Evangelische Kirche hat bereits ihre 5. Untersuchung zur Kirchenmitgliedschaft aufgelegt. Erstaunliche und verunsichernde Ergebnisses stehen darin: „Engagement und Indifferenz“, schon die Überschrift zeigt die Spannbreite der Herausforderungen, in denen sich die Evangelische Kirche von heute bewegt.
Da gibt es hoch engagierte und identifizierte Menschen, die sich aus tiefer Überzeugung ihres christlichen Glaubens in der Kirche für andere einsetzen. Auf der anderen Seite wird die Erkennbarkeit der Kirche in der Gesellschaft immer indifferenter. Viele bleiben völlig unberührt von der christlichen Botschaft, leben neben der Kirche, als gäbe es sie nicht.
Was die Leute sagen? Für Jesus ist das keine Nebensache. Er geht nicht durch seine Welt mit einem dicken Panzer des Selbstschutzes um sich herum. Er setzt sich selbst der Meinung anderer aus. Er zeigt, dass er selbst berührbar, verletzbar ist durch die Meinung, die andere, die Leute, hegen, pflegen, kolportieren.
Nach der Stimmenlage des Volkes sieht sich Jesus mit hohen Ansprüchen konfrontiert. Nicht weniger als die bedeutendsten Propheten der biblischen Überlieferung werden für den Vergleich herangezogen. „Er ist Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder wie einer der Propheten“, sind die Antworten, die unter den Leuten kursieren. Das sind anspruchsvolle Vorbilder aus biblischer Tradition und Zeitgeschichte. Sie stehen für kraftvolle Worte und einen glaubwürdigen Einsatz für sozial Benachteiligte, sie verkörpern auch das persönliche Ringen mit Gott, den Zweifeln und das Leiden für die Sache.
Kann Jesus demgegenüber deutlich machen, wofür er mit seiner eigenen Rolle, mit seinem eigenen Profil steht? In dieser Vielfalt der Deutungen spitzt Jesus seine Frage noch einmal zu. Was sagen die Jünger selbst? Wie stellen sie sich zu ihm, zu seinen Worten, zu seinem Wirken, zu seiner Person? „Und ihr?“ wendet er sich an seine Jünger, „was sagt ihr?“.
In diesem Augenblick ist es Petrus, der erfasst, dass mit einem Vergleich zu anderen großen Gestalten das Wirken Jesu nicht richtig erklärt werden kann. Alles, was vorher war und gesagt wurde, ist nicht falsch, aber es reicht nicht, um ausdrücken, was sie in Jesus erfahren: Leben, Gegenwärtigkeit, eine Bestärkung, die von ihm ausgeht und sich auf andere überträgt, die in seine Nähe kommen. Deshalb findet Petrus Worte, die neu sind, die weit ausgreifen, nach vorne weisen und mit nichts vergleichbar sind: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn“. In diesem Menschen, der ihm gegenüber steht, ist der lebendige Gott gegenwärtig.
Jesus, der Christus. Das eine ist ein Eigenname, das andere ein Titel. Wir haben uns daran gewöhnt, beides miteinander so zu verbinden, als wäre es der Vor- und Nachname. Aber Christus bedeutet: der Gesalbte. Und mit dem Titel „Gesalbter“ verbindet sich der Erlöser, der sich der Welt zeigt. Deshalb ist der Zusatz aus dem Mund des Petrus folgerichtig: des lebendigen Gottes Sohn. Genau das ist der Erlöser, der Gesalbte, der Christus: des lebendigen Gottes Sohn.
In der religiös hoch aufgeladenen Welt vor 2000 Jahren war es keine Frage, ob es einen Gott gibt. Es war auch keine Frage, dass es eine lebendige, virulente Sehnsucht nach Erlösung und dem Erlöser gibt. Die Verbindung des Christus mit einer konkreten geschichtlichen Person aber, die ganz und gar nicht herrschaftlich, nicht machtvoll, sondern mitmenschlich auftritt, heilt, tröstet, diese Verbindung ist etwas Aufregendes, auch etwas Provokantes, auch Gefährliches. Am ersten sehen wir das in der Person des Petrus selbst. Er wird in der Gefahr, bei seinem Bekenntnis behaftet zu werden, Jesus dreimal verleugnen.
Wie herausfordernd diese Botschaft sein kann, hat vor 70 Jahren mit großer Intensität auch Dietrich Bonhoeffer gespürt und gelebt. Er schreibt schon aus der Haft in Tegel heraus: „Wir sind nicht Christus, aber wenn wir Christen sein wollen, so bedeutet das, daß (sic) wir an der Weite des Herzens Christi teilbekommen sollen in verantwortlicher Tat, die in Freiheit die Stunde ergreift und sich der Gefahr stellt, und in echtem Mitleiden, das nicht aus der Angst, sondern aus der befreienden und erlösenden Liebe Christi zu allen Leidenden quillt. Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen.“ (zitiert nach: Christian Gremmels/Heinrich W. Grosse, Dietrich Bonhoeffer. Der Weg in den Widerstand, Gütersloh 20042, S. 20f).
Für Bonhoeffer bedeutet dies insbesondere eine Solidarität mit allen Jüdinnen und Juden und eine Scham darüber, dass die Kirche, die sich auf Christus beruft, zu den Verfolgungen und Ermordungen geschwiegen hat. Die Menschlichkeit Christi hatte ihn sensibilisiert gegen die um sich greifende, Menschen verachtender Gewalt und ihn selbst zum persönlichen Glaubenszeugnis in Wort und Tat geführt.
In unserer Welt heute haben viele Menschen Schwierigkeiten, sich festzulegen, wenn es um Glaubensinhalte und eine eigene christliche Überzeugung geht. Das Gespräch über den Sinn des Lebens gehört nicht in die Öffentlichkeit. Andere erfahren wenig davon. Das geschieht auch zum eigenen Schutz. Hier geht es um etwas sehr empfindsames. Hier geht es um einen Rest von Sehnsucht, etwas, wo ich ganz bei mir bin und daher nicht möchte, dass es von der Rede andere beschädigt wird.
Ich habe noch das mutige Gespräch mit einer jungen Frau vor Augen, die öffentlich erzählte, wie sehr ihr die Meinung anderen zugesetzt hatte. Sie konnte nicht erklären, dass sie in ihrer Psyche krank und verwundet war. Sie erlebte dadurch Aus- und Abgrenzungen, Verwundungen, Isolation und Scheitern. Es war ein Weg durch ein dunkles Tal, bis sie auf Menschen stieß, die sie auffangen und ihr helfen konnte. Jetzt ist sie durch neues Vertrauen so gestärkt, dass sie offen über ihre Gefährdung sprechen kann und sich verantwortungsvoll für andere junge Menschen mit Beeinträchtigung einsetzt.
Was die Leute sagen, hatte sie krank gemacht. Mir begegnen in den vergangenen Wochen immer wieder Menschen, die von ihren Ausgrenzungserfahrungen mitten in unserer Gesellschaft erzählen. Bei einem Besuch einer Obdachlosenunterkunft sind es erschreckend viele junge Gesichter, die mir dort bei einem gemeinsamen Essen begegnen. Zu Hause waren sie nicht mehr willkommen, jetzt sind sie mit der Volljährigkeit aus den Hilfestellungen der Jugendhilfe herausgefallen. Kein Schulabschluss, keine Arbeit, kein Geld, einen bezahlbaren eigenen Wohnraum zu unterhalten. Wir hielten dort am Gründonnerstag ein gemeinsames Festessen. Angelehnt an das Passamahl ist der Tisch reichlich gedeckt. Vor dem Essen zündete ich eine Kerze an, brach ein Brot und legte eine Bibel auf den Tisch. In diesem Buch, sagte ich, sind die Geschichten Gottes mit den Menschen aufgeschrieben. In diesen Geschichten werden auch unsere Geschichten erzählt. Unsere Geschichten werden Gottes Geschichte mit uns. Ich hatte manches erwartet, was kommen könnte, aber nicht dieses: Applaus. Ein Amen mit Herz und Hand.
Auf Christus sich zu gründen, hilft zu erkennen, wo Menschen von der Weite seines Herzens berührt sein können. Es hilft uns selbst, im Beten und Tun immer wieder klar zu werden, was es bedeutet, sich auf Christus zu berufen. Es sind Antworten, auf die Menschen immer noch warten. Ich wünsche uns, dass wir davon nicht lassen.
Amen.
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Predigt zu Matthäus 16,13-19 von Peter Schuchardt
Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir feiern Pfingsten, und wie jedes große kirchliche Fest feiern wir es mit gleich zwei Feiertagen. Und das ist wunderbar, denn Pfingsten ist ein so fröhliches Lebensfest! Wenn aber jemand fragt: „Was feiert ihr denn da?“, dann kommt meistens ein Achselzucken und ein „Also, so genau weiß ich das auch nicht!“ Wie schade! Ich weiß: In allen Umfragen zur Bedeutung der kirchlichen Feste landet Pfingsten abgeschlagen auf dem letzten Platz. Das nimmt aber nichts von der Wahrheit: Pfingsten ist ein fröhliches Fest des Lebens!
Pfingsten: vielleicht gibt uns der Name Auskunft, einen Hinweis, was wir feiern. Ein kleines bisschen schon: denn „Pfingsten“ kommt von dem griechischen „pentekoste“, und das bedeutet „50“. Das klingt zuerst ein bisschen seltsam. Aber wenn wir zurückrechnen, kommen wir auf Ostern. Denn genau 50 Tage nach dem Osterfest wird unser Pfingstfest gefeiert. Sieben Wochen und ein Tag ist es nun her, da haben wir fröhlich die Auferstehung Jesu gefeiert. Die Zahl 50 steht in der Bibel für Erfüllung und dafür, dass Gott nun etwas Neues beginnt. Also: Nun ist die österliche Freudenzeit zu Ende. Nun schenkt Gott uns Neues. Was das Neue ist, davon erzählen die Geschichten, die zum Pfingstfest dazu gehören. In Jerusalem kommen die Jünger und Jüngerinnen heraus auf die Straße und erzählen den Menschen von Gott und seiner Liebe. Die Stadt ist voll von Menschen aus aller Herren Länder. Und das Wunderbare ist: Jeder kann sie verstehen. Denn Gott hat vom Himmel seinen Geist geschickt. Der erfüllt die Jünger. Sie reden begeistert von Gott. Und die Menschen, die sie hören, erkennen die Wahrheit und den Weg zum Leben. Sie möchten auch zu Christus gehören und lassen sich taufen. Der Himmel hat sich geöffnet. Immer wenn das geschieht, sehen wir die Wahrheit. Wir erkennen: das ist der Grund des Lebens. Das geschieht, als Jesus getauft wird. Gottes Stimme sagt: Das ist mein lieber Sohn! Das geschieht in Jerusalem, als Gott seinen Geist ausgießt.
Und das geschieht in Cäsarea Philippi, wohin unser heutiger Predigttext uns führt. Cäsarea Philippi, das ist ein besonderer Ort – und ein besonderer Name: Kaiserstadt, könnte man es übersetzen. Hier, an dem Ort, an dem ein weltlicher Herrscher sich ein Denkmal gebaut hat als Zeichen seiner Stärke und Macht, hier hören wir von dem, dessen Macht stärker ist als alle Kaiser und Herrscher zusammen. Hier hören wir von seiner Macht, die alle andern Mächte bezwingen und überwältigen wird. Jesus ist mit seinen Jüngern nun schon lange durch das Land gezogen. Sie haben gesehen, wie er Menschen geheilt hat. Sie haben gehört, dass er auf so andere und wunderbare Weise von Gott erzählt. Sie haben gespürt, dass in ihm Gott selbst nahe ist. Bei ihm ist es so, als wenn der Himmel offen steht. Hier in der Kaiserstadt ist nun ein besonderer Ort für eine besondere Frage. Jesus fragt: „Für wen halten die Leute mich? Haben sie schon die Wahrheit und den Weg ins Leben erkannt?“ Die Jünger erzählen: „Manche halten dich für Johannes den Täufer, der wiedergekommen ist, andere für Elia, den großen Propheten aus dem Alten Testament oder für Jeremia, den Prediger.“ Das alles sind beeindruckende Namen – aber es sind Namen aus der Vergangenheit. Es sind Gestalten, die schon mal da waren. In diesen Namen schwingt die Ahnung mit: Jesus ist ein großer, eine besonderer Mensch. Aber sie sehen noch nicht das Einzigartige, das Besondere, das Neue, das mit Jesus gekommen ist. Sie sprechen noch nicht die Wahrheit aus. Darum fragt Jesus jetzt seine Jünger: „Und ihr – für wen haltet ihr mich? Ihr habt doch schon so viel gesehen, gehört und erlebt mit mir. Für wen haltet ihr mich? Wer bin ich für euch?“ Da antwortet Petrus: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Du bist weit mehr als all die großen Gestalten, an die wir uns erinnern. Du bist der, auf den wir so lange voller Sehnsucht gewartet haben. Du machst uns frei. Du bringst uns Gottes Liebe. Auf dich wollen wir vertrauen jetzt und auf unserem Weg in die Zukunft.“ Als Petrus das sagt, ist etwas Besonderes geschehen: Der Himmel hat sich geöffnet.
Immer, wenn der Himmel sich öffnet, sehen wir die Wahrheit. Das sagt Jesus nun zu Petrus: „Du darfst dich glücklich preisen, Simon, denn das hat dir kein Menschen gesagt. Du bist auch nicht von alleine durch langes Nachdenken darauf gekommen. Nein, das zu erkennen , das hat dir mein Vater im Himmel gegeben. Das hat dir Gottes Geist eingegeben.“ Und nun bekommt Petrus noch ein Wort mit auf seinen Weg. „Du Simon, du bist Petrus, der Fels. Und auf diesen Felsen werde ich, Christus, meine Gemeinde bauen. Ich nehme dich in meinen Dienst. Du sollst, gemeinsam mit den anderen Jüngern, den Menschen diese Wahrheit weitersagen: Jesus ist der Christus, der Retter, der Befreier. Die Menschen, die dieses Wort hören und darauf vertrauen, die sind meine Gemeinde, sind meine Kirche. Und ich werde meine Gemeinde beschützen. Weder die Hölle noch die anderen Todesmächte werden meine Gemeinde überwältigen. Denn sie vertraut auf mich, auf den Christus und auf die Liebe, die stärker ist als der Tod.“ Das ist der Grund des Lebens. Das ist der Grund unserer Kirche. Viele von euch wissen: Für die katholische Kirche ist das Wort Jesu an Petrus die Begründung für das Papstamt in Rom. Richtig ist: Petrus hat eine herausragende Stellung als Hauptjünger. Und er ist von Gott dazu erwählt, dieses Bekenntnis zu sagen: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Er ist der erste Stein, auf dem die Kirche aufgebaut ist. Es folgen dann noch viele andere Steine: Martin Luther etwa und Dietrich Bonhoeffer, viele Frauen und Männer, die mit ihrer Liebe und ihrem Glauben auf dem Grund der Kirche leben bis heute. Menschen, die sich zu Christus bekennen. Menschen, die sein Wort in die Welt bringen. Menschen, die sich aus ihrem Glauben heraus einsetzen für Frieden, für Gerechtigkeit. Das Wichtigste jedoch ist der Grund, auf dem diese Steine und Felsen liegen: Und das ist Christus allein. Petrus gebührt der Dank, das als erster ausgesprochen zu haben.
Immer, wenn der Himmel aufgeht, sehen wir die Wahrheit. Wir erkennen den Grund des Lebens. Wann hat sich für euch der Himmel aufgetan, liebe Schwestern und Brüder? Wann habt ihr die Wahrheit erkannt? Wann habt ihr den richtigen Weg ins Leben vor euren Augen gesehen? Als ihr den Menschen getroffen habt, mit dem ihr eure Leben teilen wollt. Als ihr eurer Kind das erste Mal auf dem Arm gehalten habt. Als du nach schwerer Krankheit wieder genesen bist. Als du Trost erfahren hast. Als dir jemand eine schwere Schuld vergeben hat. Als du im Fallen in den Abgrund gespürt hast: selbst jetzt hält Gottes Hand mich.
Manchmal öffnet sich unser Blick in die Tiefe des Lebens. Manchmal erkennen wir die Wahrheit und den Weg, den wir gehen sollen. Das können wir nicht erzwingen. Das wird uns geschenkt. Gott ist es, der uns diesen Blick in die Wahrheit schenkt. Sein Geist ist es, der uns die Augen und das Herz öffnet. Aber wir können Gott darum bitten, um seinen Geist und darum, dass wir ihn erkennen. Dass wir hören und verstehen, was er uns sagt. Heute am Pfingstmontag feiern wir diesen Geist Gottes. Der Himmel ist offen. Gott schenkt uns seinen Geist. Auch uns fragt Christus heute: Wer bin ich für dich? Wir dürfen mit Petrus erkennen und bekennen: Du, Jesus, bist der Christus. Du bist Gottes Sohn. Du bist mit deiner Liebe mächtiger als alle Mächte und Herrscher, wie gewaltig sie sich auch aufplustern, wie grausam sie auch sein mögen. Du tröstest mich. Du schenkst mir Kraft. Du öffnest mir neue Wege.
Darum feiern wir Pfingsten. Wir feiern den Grund der Kirche, den Grund unserer Gemeinschaft, den Grund unserer Erlösung. Darum lasst uns fröhlich dieses Lebensfest feiern. Denn Gott schenkt uns seinen Geist. Nichts müssen wir dafür tun. Nichts können wir dafür tun. Aber wir dürfen Gott bitten, immer wieder, um seinen Geist. Wenn wir die Wahrheit erkennen wie Petrus, wenn wir mit Gottes Hilfe Grenzen überwinden, wenn wir voller Freude von den großen Taten Gottes erzählen wie die Jünger in Jerusalem: dann erleben wir Pfingsten. Dann sind wir offen für Gottes Geist. Dann erkennen wir die Wahrheit und den Grund des Lebens. Dann öffnet Gott für uns den Himmel. Heute möge Gott uns das wieder schenken. Ich wünsche euch fröhliche und gesegnete Pfingsten! Amen