Doping für Christenmenschen - Predigt über Matthäus 28,16-20 von Hans Uwe Hüllweg
Doping für Christenmenschen
Die Reedersgattin holt aus und schleudert die Sektflasche in Richtung Bug; sie zerschellt am Stahl des Schiffes. Die Verantwortlichen atmen auf: Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen: Das Schiff ist getauft. Die „Christliche Seefahrt“ hält an ihren Traditionen fest. Da schwimmt nun ein modernes Containerschiff, mit allen technischen Neuheiten, nach höchsten Sicherheitsstandards ausgerüstet. Es trägt fortan den Namen „München“ und verkehrt auf der Nordatlantikroute von Bremerhaven nach Savannah in den USA.
Nur wenige Jahre später geht es in einem schrecklichen Sturm unter; vergeblich die tagelange Suchaktion, keiner wird gerettet, nichts vom Schiff wird wiedergefunden außer ein paar unbenutzten Rettungsinseln, einer Notfunkbake und Trümmerteilen eines Rettungsbootes - eine furchtbare Katastrophe, so geschehen 1978.
Dass wir Flugzeuge, Schiffe und manches andere zu taufen pflegen, das ist irgendwie ein selbstverständlicher Brauch. Man macht es halt so seit Menschengedenken. Und doch weiß jeder oder könnte es eigentlich wissen, dass die Taufe Unglücke, Abstürze, Zusammenstöße, also Leid und Tod nicht verhindern kann.
Ob dessen ungeachtet viele Menschen heute insgeheim auch noch so denken? Ob die Taufe nicht vielleicht doch eine Art übernatürlichen Schutz verleiht gegen alles Böse, das uns passieren kann? Von vielen Eltern wird die Taufe ihrer neugeborenen Kinder trotz aller Säkularisierung der Gesellschaft gewünscht. Auch Eltern, die sonst nicht weiter erkennbar kirchlich interessiert oder gar engagiert sind, lassen ihre Kinder taufen. Kürzlich haben wir hier an der Algarve ein Kind getauft, dessen Eltern aus der Kirche ausgetreten sind, aber nachdrücklich diese Taufe gewünscht haben. Weil zwei christliche Paten gefunden wurden, war das dann möglich.
Ich vermute, dass Sie alle, unsere Gottesdienstbesucher und –besucherinnen heute Abend hier in der Kapelle auf den Klippen, getauft sind. Grund genug, sich wieder einmal an den Ursprung der Taufe und damit auch an ihre Bedeutung erinnern zu lassen.
Jesus selbst trägt, wie wir gehört haben, seinen Jüngern auf, Menschen zu taufen. Aber bevor er das tut, spricht er einen befremdlich klingenden Satz:
„Mir ist gegeben alle Gewalt...“
So hat die urchristliche Gemeinde ihren Herrn verstanden, so hat sie ihn geglaubt und gepredigt, und das gegen allen Augenschein. „Mir ist gegeben alle Gewalt“, das durfte eigentlich nur der Kaiser in Rom sagen. „Mir ist gegeben alle Gewalt“ - das stand so oder ähnlich über kaiserlichen Verlautbarungen und Erlassen. So wie es später in Preußen hieß: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen, verordnen dieses oder jenes…“
„Mir ist gegeben alle Gewalt“ im Munde Jesu - das bestreitet dem Kaiser in Rom seine Macht, ihm und allen anderen kleinen und großen Mächtigen auf der Erde, auch den Wilhelms „von Gottes Gnaden“ und Möchtegernpotentaten, den Diktatoren und Gotteskriegern.
Darum, weil sonst niemand Macht über die Christen hat, als Jesus Christus allein, weil sie sich darum auch nicht einschüchtern lassen müssen von dem selbstherrlichen und gottlosen Augustus ebenso wenig wie von allen anderen selbsternannten Herren dieser Welt, darum bekommen sie in der Taufe seinen Stempel aufgedrückt.
Das rückt die menschlichen Machtverhältnisse zurecht, das schiebt dem unausrottbaren Streben des Menschen nach eigner Macht über sich selbst und über seinesgleichen einen Riegel vor.
„Darum geht hin in alle Welt...“ Es ist eine großartige Ermutigung zum Aufbruch, weil sie mit der Entmachtung der Mächte einhergeht. Wenn Jesus Christus allein die Macht hat, steht der Kaiser nackt da.
Das ist ein gewaltiger Start ins Christenleben! Von der „Gewalt“, dem Machtpotential Jesu Christi zu hören, die sich freilich nicht auf Waffen gründet, sondern auf die Menschenliebe Gottes!
„Darum geht hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker!“ Start einer Bewegung: „gehet“, „machet“, „taufet“, „lehret“ - Worte, die allesamt ein Tun ausdrücken. Kein Wort von frommem Brauchtum, kein Missverständnis im Blick auf eine Unfallverhütung, keine Zusicherung, dass den Getauften kein Leid widerfahren werde. Unglücke geschehen, Flugzeuge stürzen ab, Schiffe gehen unter – Gott sei’s geklagt! - und manchmal geschehen bedauerlicherweise auch Unfälle im Kinderzimmer und auf der Straße, und sie treffen Getaufte und Ungetaufte. Die Taufe kann eben keine Unfallversicherung Gottes sein. Sondern sie ist etwas ganz anderes, eben der Start einer Bewegung zu Gott und den Menschen, oder noch besser: der Bewegung Gottes zu uns.
„Machet zu Jüngern alle Völker...“, so heißt es bei Matthäus. Das Wort „Jünger“ ist heute aus der Mode gekommen. Man gebraucht es allenfalls noch als leise ironische Bezeichnung von Hobbies wie etwa der „Petrijünger“. Es bedeutet eigentlich „Schüler“ und bezeichnet das besondere Vertrauensverhältnis der Schüler zu ihrem Meister. Ihm, dem Menschen Jesus, ein Mensch wie du und ich, aber auch wieder anders, weil der Sohn Gottes, vertrauen die Jünger, von ihm lernen sie, er gibt ihnen Leben.
Das war kein besonders geschütztes Leben - im Gegenteil. Das Leben Jesu selbst war riskant und gefährlich: In der Wüste setzten ihm Hunger, Durst und stechende Sonne zu; feindlich gesonnene Menschen trachteten ihm nach dem Leben; die wankelmütige Zuneigung der Menge setzte ihn matt; der Teufel versuchte ihn; manche vermeintliche Anhänger erwarteten Unmögliches von ihm und wandten sich dann ab; Petrus verleugnete, Judas verriet ihn. Wir wissen, wo das hinführte: ans Kreuz von Golgatha.
Vor einem wagnisreichen, lebensgefährlichen Leben schützte auch ihn seine Taufe nicht und schützt uns unsere Taufe nicht. Und für manche Menschen in der Kirchengeschichte war die Taufe der Startschuss zu einem unsicheren, niederlagengesäumten und sogar gewaltsam beendeten Lebenslauf. In jedem Falle und trotz und alledem aber ist die Taufe Einzug in das Kraftfeld Gottes.
Vielleicht kann uns die anfangs erwähnte Praxis der Schiffstaufen doch noch als ein Bild dienen. Auch sie ist ja Startschuss zu einer nicht ungefährlichen Fahrt über die Meere, durch ruhige Gewässer, zu fernen Küsten und fremden Häfen, aber auch über Untiefen, durch drohende Klippen und heftige Stürme. Und eine Schiffstaufe ist ferner, mal abgesehen von dem Brimborium darum herum, schlicht die Indienststellung eines Verkehrsmittels.
So muss doch wohl auch die Taufe im Sinne unseres biblischen Textes zu verstehen sein: Indienststellung durch Gott! Nicht zufällig häufen sich, wie schon gesagt, Worte mit Aufforderungscharakter: „Gehet... machet... taufet... lehret...“ Räkelt euch nicht in einem christlichen Lehnsessel, bleibt nicht sitzen auf einem religiösen Kissen, sondern setzt euch in Bewegung!
Manch einer mag jetzt tief Luft holen. Das alles lässt sich sicherlich gut von der Kanzel herab sagen; aber wie schwer es tatsächlich ist! Weil unsere Lebenserfahrungen eine andere Sprache sprechen: Wer sich bewegt, muss aus dem Haus; wer sich bewegt, gerät in Wind und Wetter; wer sich bewegt, kann stürzen. Ohnmachtserfahrungen kennzeichnen unser Christsein:
- Die Gesellschaft entchristlicht sich immer mehr.
- Die Völker, die sich nicht haben zu Jüngern machen lassen, wachsen statistisch viel schneller als die Christen.
- Die Bibel ist für viele ein fremdes Buch geworden.
- Viele wissen nicht mehr, warum wir Weihnachten, Ostern und Pfingsten feiern
- In Deutschland werden nur noch ungefähr 25 % aller Neugeborenen katholisch oder evangelisch getauft.
Aber dies war ja, bei genauerem Hinsehen, auch schon die Situation der Urchristen. Doch hätten sie damals die Flinte ins Korn geworfen, gäbe es uns heute als Christen nicht. Weil sie diese Worte Jesu als Missionsbefehl verstanden haben, darum gingen sie tatsächlich und buchstäblich in alle Welt und standen mit ihren Worten, ihrem Helfen, ihrem ganzen Leben für Jesus Christus ein, der sie in das Kraftfeld Gottes gezogen hatte. Darum ließen sie sich von ihm in Dienst stellen.
Und das gilt auch noch heute, das ist keineswegs verfallen. Wir Getauften leben im Kraftfeld Gottes, der uns in seinen Dienst nimmt. Mission heißt Fortbewegung auf dem Wege Gottes, der mit meiner Taufe begonnen hat.
Hier sind, was die Taufkinder heute betrifft, zu allererst Eltern und Paten gefragt, wie sie ihre Kindern sozusagen stellvertretend die Menschenliebe Gottes spüren lassen, wie sie das Kraftfeld Gottes in tägliches Leben, in Erziehung umsetzen wollen. Aber auch alle anderen Getauften sind immer wieder gefragt, wo wir uns immer von neuem von Jesus Christus und für Jesus Christus in Bewegung setzen lassen.
„Ich bin bei euch“, sagt Jesus zum Schluss, weil er weiß, wie leicht seine Jünger immer wieder ermatten, wie sie von Rückschlägen geschüttelt und von Müdigkeit gelähmt werden. Und das alles sicherlich nicht immer nur aus Bequemlichkeit oder gar Boshaftigkeit, sondern auch gerade dann, wenn sie voller guten Willens die Bewegung Gottes mitmachen möchten. „Ich bin bei euch“ - das ist das Vitamin, das uns die Müdigkeit verscheuchen, das uns kräftigen und aus Rückschlägen neue Antriebe machen will. So eine gute Art „Doping“ für Christenmenschen.
„Ich bin bei euch alle Tage“, sagt Jesus –
- überall bis an die Enden der Erde, wo ihr auch seid;
- immer, solange ihr lebt, bis an euer Ende;
- und solange die Erde steht, nämlich bis an das Ende der Welt.
Amen.
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In alle Welt - Predigt zu Matthäus 28,16-20 von Gabriele Wulz
In alle Welt
Haben Christen eine Mission? So wurde ich vor kurzem gefragt.
Und wenn ja, wie sieht sie aus? Und wie ist sie zu leben?
Die Antwort auf diese einfache Frage ist keine ganz leichte Aufgabe. Denn bei dem Wort „Mission“ bekommen die einen leuchtende Augen und die anderen Gänsehaut. Es gibt kaum ein Wort, das so geeignet ist, Menschen in Rage zu bringen - oder in Leidenschaft. Je nach dem.
Aber mein Gegenüber war hartnäckig, hat nicht losgelassen. Wie ist es nun: Haben Christen eine Mission?
Und: Ist Christentum ohne Mission überhaupt denkbar?
Liebe Gemeinde,
beim Nachdenken über diese Frage, die ich mir nicht selbst gesucht habe, wurde mir klar:
Evangelium heißt nicht umsonst gute Botschaft. Das heißt: Das Evangelium will verkündigt werden, will sich Gehör verschaffen, will Öffentlichkeit erreichen.
Das Evangelium ist „gute Mär“ ,vom Himmel hoch, und es kommt auf die Erde, um auf die Welt zu verändern und die Menschenherzen zu bewegen.
Und eine Kirche, die davon nichts mehr weiß und sich damit begnügt ganz auf sich bezogen zu bleiben, ist steril, ist tot.
Und eine Gemeinde, die nur sich selbst genügt, - wir wissen es alle - ist verhockt. Wenig anziehend. Wenig einladend.
Anders herum gesagt: Das Evangelium braucht Bewegung. Es ist ja eine Kraft Gottes, wie es der Apostel Paulus sagt.
Und deshalb braucht auch die Kirche Bewegung nach außen. Und lebt davon, dass sie über sich selbst hinausgeht.
Deshalb: Ja.
Ja. Christen haben eine Mission.
Denn Kirche hat eine Mission. Hat einen Auftrag. In der Welt und für die Welt. Nicht mit Feuer und Schwert. Nicht dränglerisch und im schlechten Sinn missionarisch.
Und der Predigttext für den 6. Sonntag nach Trinitatis, bestätigt und bekräftigt das. Denn Jesus selbst gibt uns den Auftrag an alle Welt.
Auch wenn dieser Auftrag oft missverstanden worden ist. Auch missbraucht wurde.
Es gibt ihn trotzdem, und wir haben uns mit ihm auseinanderzusetzen.
So hören wir, was uns der Herr zu sagen hat.
Ich lese aus Matthäus 28, die Verse 16-20:
…
Der Lebendige ist nicht mehr bei den Toten. Das, liebe Gemeinde, war die verstörende Botschaft des Ostermorgens. Das Grab war leer. Und die Botschaft der Frauen unglaublich und dennoch ganz klar: Die Jünger sollen nach Galiläa.
Dorthin, wo alles angefangen hat.
Die Jünger hält nichts mehr in Jerusalem. Sie gehen zurück an den Anfang, wie ihnen befohlen wurde. Dort zeigt sich ihnen der Auferstandene.
Auf dem Berg – und sendet sie in die Welt. Zu den Völkern.
Nicht zu den Juden. Nicht zu Israel. Das erscheint mir eine erste wichtige Botschaft. Zu den Völkern hin geht der Weg.
Und damit schließt sich der Kreis. Denn so hat es ja begonnen, dass die Völker nach Israel gekommen sind, um das Kind zu sehen. Den neugeborenen König. Sie erinnern sich: Die drei Magier aus dem Osten, Vertreter der Völkerwelt, sind für das Matthäusevangelium ganz wichtige Personen in der Geburts- und Weihnachtsgeschichte.
Und nun – am Ende des Evangeliums – die entgegengesetzte Bewegung: Von Israel zu den Völkern. In alle Welt werden die Jünger gesandt. „Gehet hin!“ Das ist der Auftrag, den sie erhalten.
Und dabei begleitet sie die Verheißung und das Versprechen Jesu: Ich bin bei euch. Ganz egal, wo ihr seid. Es gibt keinen Ort und keinen Augenblick ohne meine Gegenwart.
Liebe Gemeinde,
das meint Jesus, wenn er sagt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden …
Das ist nicht gewalttätig gemeint. Sondern das heißt: Ich habe Vollmacht. Im Himmel und auf Erden. Raum und Zeit stellen keine Grenzen mehr für mich dar.
Denn ich stehe jetzt über Raum und Zeit, und bin deshalb zu allen Zeiten und an allen Orten derselbe.
Immer und überall bin ich der, den ihr kennengelernt habt, der mit euch umhergezogen ist, der euch gelehrt hat und der Menschen gesund gemacht hat.
„Mir ist gegeben alle Gewalt“, sagt Jesus – das heißt: Ich bin souverän – zu allen Zeiten und an allen Orten. Keine Macht der Welt hat Macht über mich. Ich habe Macht über alle Mächte und Gewalten. Selbst über den Tod.
Wer von dieser Macht etwas spürt, wer von dieser Kraft angerührt ist, der muss sich nicht verstecken. Der kann sich auf den Weg machen. Der kann von Jesus erzählen. Und vom Reich Gottes.
Und davon, wie dieses Reich manchmal schon hier Gestalt annimmt. In kleinen Gesten:
Im Feiern, im Grüßen, im Lachen und Tanzen und Singen, im gemeinsamen Essen und Trinken. Wenn wieder etwas heil geworden ist, ein Mensch wieder zu sich gefunden hat oder nach langem Streit Frieden geworden ist.
Machet zu Jüngern alle Völker – sagt Jesus.
Das heißt im Sprachgebrauch des Matthäus:
Erzählt von mir und schickt die Menschen bei mir in die Schule. Lehrt sie, was ich euch gelehrt habe:
Das Beten zum Vater, das Bitten, weil ihr doch bedürftige Menschenkinder seid und euch nichts vormachen müsst.
Lehrt sie, dass es nichts Wichtigeres gibt als Gott zu lieben mit seinem ganzen Herzen, seiner ganzen Seele, seiner ganzen Lebenskraft und mit seinem Vermögen. Das heißt auch: zu überlegen, wie gehe ich mit meinem Geld um? Wen kann ich mit meinen Mitteln unterstützen, und was brauchen andere zum Leben?
Lehrt sie – die Menschen aus den Völkern, dass es nichts Besonderes ist, nett zu seinen Freunden zu sein. Das kriegen alle hin. Aber dass es wichtig ist, auch seine Feinde zu segnen. Ihnen nicht mit Flüchen entgegenzutreten, sondern zu versuchen, aus ihrer Sicht die Welt zu sehen und sie zu verstehen suchen. Jesus sagt sogar: sie zu lieben, sie anzunehmen, wie sie sind.
Das meint „Lehrt sie!“ Und das ist gemeint, wenn wir bei Jesus in die Schule gehen.
Liebe Gemeinde,
das Lehren und das Lernen und das Taufen gehören zusammen.
Diese drei bilden eine untrennbare Einheit.
Die Taufe besiegelt die Lebens- und Lerngemeinschaft.
In der Taufe wird öffentlich gezeigt: Dieses Menschenkind gehört in die Geschichte des Lehrens und Lernens von Jesus hinein.
Getauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, zeigt an, wem unser Leben gehört.
Als Getaufte gehören wir zu Gott, den Jesus Vater genannt hat. Als Getaufte sind wir hineingenommen in die Kirche, in die Gemeinschaft der Glaubenden. Als Getaufte sind wir bei Jesus in der Lehre und mit ihm auf dem Weg, inspiriert vom heiligen Geist.
Die Taufe ist wie ein Siegel und zugleich wie ein Wink vom Himmel, der uns sagt:
Du bist gezeichnet mit dem Kreuz, und mit dem Namen des dreieinigen Gottes. Durch den Tod hindurch bist du mit dem Leben und mit Gott verbunden.
Dafür stehst du in der Welt ein. Das verkündigst du mit deinem Leben. Mit allem, was du sagst und tust.
Liebe Gemeinde,
Sie merken: das ist nicht unbedingt ein Weg, der mehrheitsfähig ist.
Und deshalb ist es meines Erachtens kein Zufall, dass Jesus der kleinen Schar die Verheißung gibt.
Den berühmten zwei oder drei …
Wir sollten uns also nicht grämen, wenn wir nicht viele sind. Aber wir sollten uns auch nicht selbstzufrieden zurücklehnen.
Denn die kleine Zahl ist kein Selbstzweck.
Wir haben ja einen Auftrag. Und wir sollen etwas sein.
Nämlich Salz und Licht.
Und das heißt: wir sollen Würze bringen und wir sollen leuchten.
Wir sollen wahrnehmbar sein, weil wir etwas zu sagen haben. Etwas, das die Menschen brauchen. Und zwar ganz notwendig brauchen.
Deshalb: Ja, Christen haben eine Mission.
Als Lernende sind wir in die Welt gesandt. Als Hörende. Als Empfangende.
So werden wir, was wir sein sollen: Salz der Erde und Licht der Welt.
Amen
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Predigt zu Matthäus 16,13-19 von Bert Hitzegrad
13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?
14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
15 Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel.
18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.
19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
Liebe Gemeinde!
Manchmal möchte man ja einfach so abtauchen, den Kopf einziehen, so als wäre man gar nicht anwesend. Dann z.B., wenn aus einem seichten Gespräch im Freundeskreis eine politische Debatte wird. Gerade noch wurde geschwärmt vom Vier-Sterne-Hotel mit Pool auf Mallorca, da kommt die scharfe Nachfrage von Monika: „Und die CO²-Bilanz? Ihr seid zu zweit geflogen, da habt Ihr eine CO²-Emission von 1,37t verursacht und einen mächtigen ökologischen Fußabdruck hinterlassen …“ Monika und ihr Mann Heiner nehmen meistens das Fahrrad, um in den Urlaub zu fahren. Mit ihrem Einwurf verblasst sofort das tiefe Blau des Mittelmeeres und die Sonne, die uns eine gesunde Urlaubsbräune bescherte, bekommt einen Schleier. Und Monika setzt noch einen drauf: „Meint das die Bibel mit ‚Macht euch die Erde untertan‘? Was sagt denn Deine Kirche dazu!?“ Monika kennt natürlich meinen Beruf und meine christliche Einstellung. Sie fordert mich mal wieder heraus – und ich hätte doch so gern einfach nur von unserem Urlaub erzählt, ein Gläschen Bier dazu wie jeden Abend auf der Urlaubsinsel,und wollte nicht wieder die ganze Welt retten. Aber Monika fordert mich immer wieder heraus: „Was sagt denn die Kirche zu dem Flüchtlingselend auf dem Mittelmeer. ‚Kommt her alle, die mühselig und beladen seid ….‘, gilt das auch für Menschen, die in die wackeligen Boote in Nordafrika steigen? Und was sagt die Kirche zur Massentierhaltung?“ Monika sei gerade vor kurzem auf einer Demo gegen eine neue Großschlachterei in der Region gewesen. Dort haben Pastoren auch eine Andacht gehalten. Wie denn meine Meinung dazu wäre … Oder ob ich immer noch das billige Fleisch von gequälten Schweinen aus dem Supermarkt esse …
Manchmal möchte man einfach abtauchen und den Kopf einziehen. Ich hätte so gern einen gemütlichen Abend verbracht. Doch Monika fordert ein klares Bekenntnis.
Und das ist manchmal mühsam.
Und ich gestehe – manchmal fühle ich mich auch hoffnungslos überfordert, auf jedes unserer großen Weltprobleme eine Antwort zu haben. Und auch meine Kirche hat – Gott sei Dank – keine Patentlösungen. Die gibt es nur am Stammtisch – aber dort bleiben sie auch und helfen niemandem.
Nein, es geht nicht um einfache, schnelle Antworten. Es ist ein Ringen mit den Herausforderungen unserer Zeit, mit den Geboten Gottes und mit meinem Gewissen. Es ist ein immer wieder ein neues Fragen nach dem Willen Gottes. Und es ist ein ständiges Bitten um seinen Geist, der Christus, den lebendigen Sohn Gottes, gegenwärtig sein lässt. Und das ist mühsam, das ist mit Fragen und Zweifeln verbunden. Wo es aber gelingt, Antworten zu finden, einen Weg zu gehen, Kirche in Bewegung zu bringen – dort geschieht Pfingsten, dort weht der Geist und gibt Kraft und Hilfe für ein klares Bekenntnis.
„Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Dieses Bekenntnis bringt Simon Petrus über seine Lippen und wird damit zum Vorbild und Fundament der bekennenden Gemeinde. Aber wie kommt er zu dieser Aussage? Er nimmt wahr, was die Zeitgenossen über Jesus sagen. Sie vergleichen ihn mit Menschen, die vor ihm Bedeutendes taten, doch sie erkennen in ihm noch nicht die neue Welt die anbricht.
Johannes, der Prediger in der Wüste, hat Menschen zu einem Neuanfang in der Taufe bewegen können. Doch er scheiterte mit seiner Bußpredigt an den Mächtigen seiner Zeit und musste sterben.
Jeremia hat wie alle Propheten Gottes Gegenwart verkündigt – im Heil oder Unheil. Bei Jeremia haben sich die Unheilsprophezeihungen als richtig erwiesen. Er musste den Untergang der Stadt ankündigen, die er liebte. Seine Hoffnung, dass doch alle anderes kommen würde, war vergebens.
Und Elia hat tatkräftig in die Geschichte Israels eingegriffen und eigenhändig die Priester fremder Religionen getötet. Doch seine „Säuberungs-Aktion“ hinterlässt keinen wirklichen Erfolg, denn die Mächtigen im Lande änderten sich nicht. Trotzdem lagen auf ihm viele Hoffnungen, weil es heißt, er würde einmal wiederkommen, um sein Volk zu befreien …
Also, wer ist dieser Jesus? Ein Prophet aus Vorzeiten? Ein Jünger des Johannes, der seine verzweifelte Bußpredigt fortsetzt.
Jesus fordert ein Bekenntnis – und es scheint gar nicht mühsam für Petrus zu sein. Denn er ist diesem Mann aus Nazareth gefolgt und hat es erlebt: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt!“ (Mt 11, 5). Er hat es erlebt, dass eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Er bringt den Menschen Heil und Heilung, sogar am Sabbat, gegen die religiösen Vorschriften. Er kümmert sich nicht um die Mächtigen, sondern fängt bei den kleinen, verachteten an – und ein Zöllner namens Zachäus kann ein neues Leben beginnen. Und er predigt nicht nur von der Umkehr zu Gott und reinigt mit dem Wasser der Taufe – er schenkt seinen Heiligen Geist, der wie ein Feuer Menschen entfacht, entflammt, begeistert für die neue Zeit, die beginnt. Nichts ist mehr mühsam, nichts muss so bleiben wie es war. Das ist die Erkenntnis des Petrus – und es wird zu einem Bekenntnis, weil dieser Geist ihm die Augen geöffnet hat. Eine Sternstunde in seinem Leben. Eine Sternstunde für die Zukunft derjenigen, die sich zu Christus bekennen. Ein Fundament ist gelegt – wie ein Felsen, auf dem etwas Bleibendes gebaut werden kann. Im Grunde ist dies der Geburtsort der Kirche – und nicht erst das Pfingstfest. Denn hier wird der Grund bereitet, auf dem später gebaut wird. Hier geht schon der Blick weit in die Zukunft, denn dieser Christus, der sterben wird am Kreuz, wird der auferstandene Herr und Bruder an der Seite seiner Gemeinde sein – eine Gemeinschaft, die in seinem Geist lebt und handelt und bekennt.
Doch diese Gemeinschaft ist zerrissen, ist brüchig, sie ist nie am Ziel, ist immer unterwegs.
Was ist das auch für ein Felsen, der die Gemeinden trägt? Was ist das für ein Schlüsselträger, der sich selbst gefangen setzt, weil er nicht frei bekennt, weil er zum Verräter wird! Ein Fels, der nicht fest und sicher steht. Ein Mensch, voller Selbstzweifel und Selbstanklage, der die Nähe Jesu gar nicht aushält: „Herr, geh weg, ich bin ein sündiger Mensch!“ (Lk 5,8). Und der ein anderes Mal seine Glaubenskraft völlig überschätzt und verspricht: „Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen!“ (Mt 26, 35). Nur er findet die Worte für das große Bekenntnis: „Du bist Christus, Gottes Sohn.“ Doch sein starker Glaube ist brüchig. Kein Felsen, der in der Brandung standhält, sondern feiner Sand, der mit den Ängsten fortgespült wird. Nicht einmal eine Stunde hält er es bei seinem geliebten Meister aus, als der im Garten Gethsemane betet, um sich auf das vorzubereiten, was kommen wird: Gefangennahme, Kreuzigung, Tod. Jesus bittet seine Freunde, zu wachen, zu beten, doch sie schlafen ein. War es doch nur ein Lippenbekenntnis? Ganz deutlich wird dies bei der so bekannten Szene im Hof des hohenpriesterlichen Palastes. Als das Bekenntnis zum geschundenen und leidenden Gottessohn zu gefährlich wird, kneift Petrus und sagt: „Ich kenne ihn nicht!“ Und der Hahn auf dem Kirchturm erinnert bis heute an diesen Tiefpunkt der menschlichen Nachfolge. „Das war keine Sternstunde, lieber Petrus, das hätte eigentlich das Aus deiner kirchlichen Karriere sein müssen!“
Bekennen ist mühsam. Ich weiß das von meinen Gesprächen mit einer Freundin Monika. „Du bist doch ein Vertreter der Kirche! Müsste die nicht auf der Seite der Armen stehen? Aber Pastoren, die Beamtengehälter beziehen, Bischöfe, die Luxusautos als Dienstwagen fahren und Erzieherinnen, auch in den kirchlichen KiTas, die nicht angemessen bezahlt werden …?“ Monika legt gern ihre Finger in die Wunden und fordert mich heraus. „Ach, und wie ist das mit Schwulen und Lesben in der Kirche? Es gibt Gemeinden, die sie verteufeln und ihre Lebensweise als sündhaft hinstellen?“ Der Abend könnte so schön sein mit Monika und den anderen. Was soll ich sagen? Was würde Jesus sagen? Aber jetzt bin ich gefordert!
Ich fühle mich oft selbst so brüchig wie Petrus, der angeblich so starke Felsen. Kann man mit solchen Mitarbeitern den Weinberg bestellen? Ist das eine geeignete Mannschaft im Schiff, das sich Gemeinde nennt, wenn sie sich auf die Fahrt durch das Meer der großen Herausforderungen wagt? Kompetent, fachlich versiert und qualifiziert sieht in einem modernen Unternehmen anders aus. Und trotzdem hält das Management an diesen Mitarbeitern fest, weil es keine anderen gibt oder weil es keine besseren gibt. Menschen mit Fehlern und Schwächen. Menschen mit Sternstunden des Glaubens und schrecklichen Ausreißern. Menschen, die nachfolgen und Menschen, die selbstherrlich herrschen wollen. Diesen Menschen traut Gott es zu, die Botschaft seiner Liebe zu verkündigen. Und seine Liebe schließt auch die Vergebung mit ein. Die Vergebung durch Christus, den lebendigen Gottessohn, der uns in unserer Schwachheit aufhilft, der uns den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit schenkt. „Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel!“, sagt Jesus und betont damit, dass es Gott selbst ist, der in uns und durch uns und mit uns das Verstehen und Bekennen bewirkt, damit wir als seine Gemeinde leben und in dieser Welt handeln.
Das werden Sternstunden, wo wir das zulassen.
Das werden lebendige Gemeinden, wo der Geist von Pfingsten weht und wo miteinander gerungen wird um die Herausforderungen der Gegenwart. Welchen ökologischen Fingerabdruck hinterlassen wir – allein durch unsere Gebäude, wenn wir so unverantwortlich mit den Ressourcen umgehen? Ist energetisch alles bedacht? Kann die Gemeinde im Winter nicht in das Gemeindehaus umziehen, damit die riesige Kirche nicht geheizt werden muss? Und wir achten bei Gemeindefesten auf Nahrungsmitteln aus der Region und nehmen das zum Anlass, eine Diskussion um unsere Ernährung zu beginnen … Bis zum Erntedankfest sammeln wir Ideen und gestalten damit den Gottesdienst. Menschen warten auf dieses klare Bekenntnis. Und Gott selbst. Er will, dass etwas in Bewegung kommt. Denn wir feiern Pfingsten, das Fest der feurigen Flammen, das Fest seines bewegenden Geistes. Und das bedeutet: Dass auch bei uns etwas in Bewegung kommt, dass sich seine Kirche zu ihm bekennt und handelt. In der Gewissheit seiner Gegenwart können wir mutige Schritte mit ihm gehen. Nicht um eine Super-Gemeinde zu werden – dafür ist der Felsen auf dem wir stehen zu brüchig, aber um Heil und Heilung in diese Welt zu bringen. So wie er es tat, Jesus.
Was würde er heute tun?
Meine Freundin Monika würde sagen: „Ihr müsst Position beziehen, ihr müsst klarer und deutlicher sagen, was gut und was schlecht ist. Ihr müsst Euch zu denen bekennen, die benachteiligt sind – Menschen auf der Schattenseite des Lebens, Tiere, die gequält werden, Gottes ganze Schöpfung, die ausgebeutet wird.“
Es gab schon einmal eine Zeit, in der ein klareres Bekenntnis von Nöten gewesen wäre. Im Rückblick auf diese nationalsozialistische Zeit haben Christen deshalb im Herbst 1945 ein Schuldbekenntnis formuliert – das Stuttgarter Schuldbekenntnis:
„Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
Mutiger bekennen, treuer beten, fröhlicher glauben und brennender lieben, damit wir uns später nicht anklagen müssen. Christus, der lebendige Sohn Gottes, gebe uns klare Worte und Mut zum Handeln. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.
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Predigt zu Matthäus 16,13-16 von Heiko Naß
13Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?
14Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
15Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
16Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
Liebe Schwestern und Brüder,
Eine Meinungsumfrage führt uns in den Predigtabschnitt ein: Was sagen die Leute, wer ich bin? Was ist ihre Meinung?
Für die Bestimmung von Trends und Zielen starten Firmen, Politik, Kirche und Diakonie Umfragen. Sie bestimmen ihre Bedeutung, sie richten daran ihre Strategie aus, sie überprüfen ihre Ziele.
„Sind Sie einverstanden, dass ihre Daten zur Verwendung von Beratung und Meinungsumfragen verwenden werden kann?“ Kaum ein Vertag, ein Bahnticket, eine Versicherungspolice kommt ohne eine solche Aufforderung aus.
Die Evangelische Kirche hat bereits ihre 5. Untersuchung zur Kirchenmitgliedschaft aufgelegt. Erstaunliche und verunsichernde Ergebnisses stehen darin: „Engagement und Indifferenz“, schon die Überschrift zeigt die Spannbreite der Herausforderungen, in denen sich die Evangelische Kirche von heute bewegt.
Da gibt es hoch engagierte und identifizierte Menschen, die sich aus tiefer Überzeugung ihres christlichen Glaubens in der Kirche für andere einsetzen. Auf der anderen Seite wird die Erkennbarkeit der Kirche in der Gesellschaft immer indifferenter. Viele bleiben völlig unberührt von der christlichen Botschaft, leben neben der Kirche, als gäbe es sie nicht.
Was die Leute sagen? Für Jesus ist das keine Nebensache. Er geht nicht durch seine Welt mit einem dicken Panzer des Selbstschutzes um sich herum. Er setzt sich selbst der Meinung anderer aus. Er zeigt, dass er selbst berührbar, verletzbar ist durch die Meinung, die andere, die Leute, hegen, pflegen, kolportieren.
Nach der Stimmenlage des Volkes sieht sich Jesus mit hohen Ansprüchen konfrontiert. Nicht weniger als die bedeutendsten Propheten der biblischen Überlieferung werden für den Vergleich herangezogen. „Er ist Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder wie einer der Propheten“, sind die Antworten, die unter den Leuten kursieren. Das sind anspruchsvolle Vorbilder aus biblischer Tradition und Zeitgeschichte. Sie stehen für kraftvolle Worte und einen glaubwürdigen Einsatz für sozial Benachteiligte, sie verkörpern auch das persönliche Ringen mit Gott, den Zweifeln und das Leiden für die Sache.
Kann Jesus demgegenüber deutlich machen, wofür er mit seiner eigenen Rolle, mit seinem eigenen Profil steht? In dieser Vielfalt der Deutungen spitzt Jesus seine Frage noch einmal zu. Was sagen die Jünger selbst? Wie stellen sie sich zu ihm, zu seinen Worten, zu seinem Wirken, zu seiner Person? „Und ihr?“ wendet er sich an seine Jünger, „was sagt ihr?“.
In diesem Augenblick ist es Petrus, der erfasst, dass mit einem Vergleich zu anderen großen Gestalten das Wirken Jesu nicht richtig erklärt werden kann. Alles, was vorher war und gesagt wurde, ist nicht falsch, aber es reicht nicht, um ausdrücken, was sie in Jesus erfahren: Leben, Gegenwärtigkeit, eine Bestärkung, die von ihm ausgeht und sich auf andere überträgt, die in seine Nähe kommen. Deshalb findet Petrus Worte, die neu sind, die weit ausgreifen, nach vorne weisen und mit nichts vergleichbar sind: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn“. In diesem Menschen, der ihm gegenüber steht, ist der lebendige Gott gegenwärtig.
Jesus, der Christus. Das eine ist ein Eigenname, das andere ein Titel. Wir haben uns daran gewöhnt, beides miteinander so zu verbinden, als wäre es der Vor- und Nachname. Aber Christus bedeutet: der Gesalbte. Und mit dem Titel „Gesalbter“ verbindet sich der Erlöser, der sich der Welt zeigt. Deshalb ist der Zusatz aus dem Mund des Petrus folgerichtig: des lebendigen Gottes Sohn. Genau das ist der Erlöser, der Gesalbte, der Christus: des lebendigen Gottes Sohn.
In der religiös hoch aufgeladenen Welt vor 2000 Jahren war es keine Frage, ob es einen Gott gibt. Es war auch keine Frage, dass es eine lebendige, virulente Sehnsucht nach Erlösung und dem Erlöser gibt. Die Verbindung des Christus mit einer konkreten geschichtlichen Person aber, die ganz und gar nicht herrschaftlich, nicht machtvoll, sondern mitmenschlich auftritt, heilt, tröstet, diese Verbindung ist etwas Aufregendes, auch etwas Provokantes, auch Gefährliches. Am ersten sehen wir das in der Person des Petrus selbst. Er wird in der Gefahr, bei seinem Bekenntnis behaftet zu werden, Jesus dreimal verleugnen.
Wie herausfordernd diese Botschaft sein kann, hat vor 70 Jahren mit großer Intensität auch Dietrich Bonhoeffer gespürt und gelebt. Er schreibt schon aus der Haft in Tegel heraus: „Wir sind nicht Christus, aber wenn wir Christen sein wollen, so bedeutet das, daß (sic) wir an der Weite des Herzens Christi teilbekommen sollen in verantwortlicher Tat, die in Freiheit die Stunde ergreift und sich der Gefahr stellt, und in echtem Mitleiden, das nicht aus der Angst, sondern aus der befreienden und erlösenden Liebe Christi zu allen Leidenden quillt. Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen.“ (zitiert nach: Christian Gremmels/Heinrich W. Grosse, Dietrich Bonhoeffer. Der Weg in den Widerstand, Gütersloh 20042, S. 20f).
Für Bonhoeffer bedeutet dies insbesondere eine Solidarität mit allen Jüdinnen und Juden und eine Scham darüber, dass die Kirche, die sich auf Christus beruft, zu den Verfolgungen und Ermordungen geschwiegen hat. Die Menschlichkeit Christi hatte ihn sensibilisiert gegen die um sich greifende, Menschen verachtender Gewalt und ihn selbst zum persönlichen Glaubenszeugnis in Wort und Tat geführt.
In unserer Welt heute haben viele Menschen Schwierigkeiten, sich festzulegen, wenn es um Glaubensinhalte und eine eigene christliche Überzeugung geht. Das Gespräch über den Sinn des Lebens gehört nicht in die Öffentlichkeit. Andere erfahren wenig davon. Das geschieht auch zum eigenen Schutz. Hier geht es um etwas sehr empfindsames. Hier geht es um einen Rest von Sehnsucht, etwas, wo ich ganz bei mir bin und daher nicht möchte, dass es von der Rede andere beschädigt wird.
Ich habe noch das mutige Gespräch mit einer jungen Frau vor Augen, die öffentlich erzählte, wie sehr ihr die Meinung anderen zugesetzt hatte. Sie konnte nicht erklären, dass sie in ihrer Psyche krank und verwundet war. Sie erlebte dadurch Aus- und Abgrenzungen, Verwundungen, Isolation und Scheitern. Es war ein Weg durch ein dunkles Tal, bis sie auf Menschen stieß, die sie auffangen und ihr helfen konnte. Jetzt ist sie durch neues Vertrauen so gestärkt, dass sie offen über ihre Gefährdung sprechen kann und sich verantwortungsvoll für andere junge Menschen mit Beeinträchtigung einsetzt.
Was die Leute sagen, hatte sie krank gemacht. Mir begegnen in den vergangenen Wochen immer wieder Menschen, die von ihren Ausgrenzungserfahrungen mitten in unserer Gesellschaft erzählen. Bei einem Besuch einer Obdachlosenunterkunft sind es erschreckend viele junge Gesichter, die mir dort bei einem gemeinsamen Essen begegnen. Zu Hause waren sie nicht mehr willkommen, jetzt sind sie mit der Volljährigkeit aus den Hilfestellungen der Jugendhilfe herausgefallen. Kein Schulabschluss, keine Arbeit, kein Geld, einen bezahlbaren eigenen Wohnraum zu unterhalten. Wir hielten dort am Gründonnerstag ein gemeinsames Festessen. Angelehnt an das Passamahl ist der Tisch reichlich gedeckt. Vor dem Essen zündete ich eine Kerze an, brach ein Brot und legte eine Bibel auf den Tisch. In diesem Buch, sagte ich, sind die Geschichten Gottes mit den Menschen aufgeschrieben. In diesen Geschichten werden auch unsere Geschichten erzählt. Unsere Geschichten werden Gottes Geschichte mit uns. Ich hatte manches erwartet, was kommen könnte, aber nicht dieses: Applaus. Ein Amen mit Herz und Hand.
Auf Christus sich zu gründen, hilft zu erkennen, wo Menschen von der Weite seines Herzens berührt sein können. Es hilft uns selbst, im Beten und Tun immer wieder klar zu werden, was es bedeutet, sich auf Christus zu berufen. Es sind Antworten, auf die Menschen immer noch warten. Ich wünsche uns, dass wir davon nicht lassen.
Amen.
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Predigt zu Matthäus 16,13-19 von Peter Schuchardt
Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir feiern Pfingsten, und wie jedes große kirchliche Fest feiern wir es mit gleich zwei Feiertagen. Und das ist wunderbar, denn Pfingsten ist ein so fröhliches Lebensfest! Wenn aber jemand fragt: „Was feiert ihr denn da?“, dann kommt meistens ein Achselzucken und ein „Also, so genau weiß ich das auch nicht!“ Wie schade! Ich weiß: In allen Umfragen zur Bedeutung der kirchlichen Feste landet Pfingsten abgeschlagen auf dem letzten Platz. Das nimmt aber nichts von der Wahrheit: Pfingsten ist ein fröhliches Fest des Lebens!
Pfingsten: vielleicht gibt uns der Name Auskunft, einen Hinweis, was wir feiern. Ein kleines bisschen schon: denn „Pfingsten“ kommt von dem griechischen „pentekoste“, und das bedeutet „50“. Das klingt zuerst ein bisschen seltsam. Aber wenn wir zurückrechnen, kommen wir auf Ostern. Denn genau 50 Tage nach dem Osterfest wird unser Pfingstfest gefeiert. Sieben Wochen und ein Tag ist es nun her, da haben wir fröhlich die Auferstehung Jesu gefeiert. Die Zahl 50 steht in der Bibel für Erfüllung und dafür, dass Gott nun etwas Neues beginnt. Also: Nun ist die österliche Freudenzeit zu Ende. Nun schenkt Gott uns Neues. Was das Neue ist, davon erzählen die Geschichten, die zum Pfingstfest dazu gehören. In Jerusalem kommen die Jünger und Jüngerinnen heraus auf die Straße und erzählen den Menschen von Gott und seiner Liebe. Die Stadt ist voll von Menschen aus aller Herren Länder. Und das Wunderbare ist: Jeder kann sie verstehen. Denn Gott hat vom Himmel seinen Geist geschickt. Der erfüllt die Jünger. Sie reden begeistert von Gott. Und die Menschen, die sie hören, erkennen die Wahrheit und den Weg zum Leben. Sie möchten auch zu Christus gehören und lassen sich taufen. Der Himmel hat sich geöffnet. Immer wenn das geschieht, sehen wir die Wahrheit. Wir erkennen: das ist der Grund des Lebens. Das geschieht, als Jesus getauft wird. Gottes Stimme sagt: Das ist mein lieber Sohn! Das geschieht in Jerusalem, als Gott seinen Geist ausgießt.
Und das geschieht in Cäsarea Philippi, wohin unser heutiger Predigttext uns führt. Cäsarea Philippi, das ist ein besonderer Ort – und ein besonderer Name: Kaiserstadt, könnte man es übersetzen. Hier, an dem Ort, an dem ein weltlicher Herrscher sich ein Denkmal gebaut hat als Zeichen seiner Stärke und Macht, hier hören wir von dem, dessen Macht stärker ist als alle Kaiser und Herrscher zusammen. Hier hören wir von seiner Macht, die alle andern Mächte bezwingen und überwältigen wird. Jesus ist mit seinen Jüngern nun schon lange durch das Land gezogen. Sie haben gesehen, wie er Menschen geheilt hat. Sie haben gehört, dass er auf so andere und wunderbare Weise von Gott erzählt. Sie haben gespürt, dass in ihm Gott selbst nahe ist. Bei ihm ist es so, als wenn der Himmel offen steht. Hier in der Kaiserstadt ist nun ein besonderer Ort für eine besondere Frage. Jesus fragt: „Für wen halten die Leute mich? Haben sie schon die Wahrheit und den Weg ins Leben erkannt?“ Die Jünger erzählen: „Manche halten dich für Johannes den Täufer, der wiedergekommen ist, andere für Elia, den großen Propheten aus dem Alten Testament oder für Jeremia, den Prediger.“ Das alles sind beeindruckende Namen – aber es sind Namen aus der Vergangenheit. Es sind Gestalten, die schon mal da waren. In diesen Namen schwingt die Ahnung mit: Jesus ist ein großer, eine besonderer Mensch. Aber sie sehen noch nicht das Einzigartige, das Besondere, das Neue, das mit Jesus gekommen ist. Sie sprechen noch nicht die Wahrheit aus. Darum fragt Jesus jetzt seine Jünger: „Und ihr – für wen haltet ihr mich? Ihr habt doch schon so viel gesehen, gehört und erlebt mit mir. Für wen haltet ihr mich? Wer bin ich für euch?“ Da antwortet Petrus: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Du bist weit mehr als all die großen Gestalten, an die wir uns erinnern. Du bist der, auf den wir so lange voller Sehnsucht gewartet haben. Du machst uns frei. Du bringst uns Gottes Liebe. Auf dich wollen wir vertrauen jetzt und auf unserem Weg in die Zukunft.“ Als Petrus das sagt, ist etwas Besonderes geschehen: Der Himmel hat sich geöffnet.
Immer, wenn der Himmel sich öffnet, sehen wir die Wahrheit. Das sagt Jesus nun zu Petrus: „Du darfst dich glücklich preisen, Simon, denn das hat dir kein Menschen gesagt. Du bist auch nicht von alleine durch langes Nachdenken darauf gekommen. Nein, das zu erkennen , das hat dir mein Vater im Himmel gegeben. Das hat dir Gottes Geist eingegeben.“ Und nun bekommt Petrus noch ein Wort mit auf seinen Weg. „Du Simon, du bist Petrus, der Fels. Und auf diesen Felsen werde ich, Christus, meine Gemeinde bauen. Ich nehme dich in meinen Dienst. Du sollst, gemeinsam mit den anderen Jüngern, den Menschen diese Wahrheit weitersagen: Jesus ist der Christus, der Retter, der Befreier. Die Menschen, die dieses Wort hören und darauf vertrauen, die sind meine Gemeinde, sind meine Kirche. Und ich werde meine Gemeinde beschützen. Weder die Hölle noch die anderen Todesmächte werden meine Gemeinde überwältigen. Denn sie vertraut auf mich, auf den Christus und auf die Liebe, die stärker ist als der Tod.“ Das ist der Grund des Lebens. Das ist der Grund unserer Kirche. Viele von euch wissen: Für die katholische Kirche ist das Wort Jesu an Petrus die Begründung für das Papstamt in Rom. Richtig ist: Petrus hat eine herausragende Stellung als Hauptjünger. Und er ist von Gott dazu erwählt, dieses Bekenntnis zu sagen: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Er ist der erste Stein, auf dem die Kirche aufgebaut ist. Es folgen dann noch viele andere Steine: Martin Luther etwa und Dietrich Bonhoeffer, viele Frauen und Männer, die mit ihrer Liebe und ihrem Glauben auf dem Grund der Kirche leben bis heute. Menschen, die sich zu Christus bekennen. Menschen, die sein Wort in die Welt bringen. Menschen, die sich aus ihrem Glauben heraus einsetzen für Frieden, für Gerechtigkeit. Das Wichtigste jedoch ist der Grund, auf dem diese Steine und Felsen liegen: Und das ist Christus allein. Petrus gebührt der Dank, das als erster ausgesprochen zu haben.
Immer, wenn der Himmel aufgeht, sehen wir die Wahrheit. Wir erkennen den Grund des Lebens. Wann hat sich für euch der Himmel aufgetan, liebe Schwestern und Brüder? Wann habt ihr die Wahrheit erkannt? Wann habt ihr den richtigen Weg ins Leben vor euren Augen gesehen? Als ihr den Menschen getroffen habt, mit dem ihr eure Leben teilen wollt. Als ihr eurer Kind das erste Mal auf dem Arm gehalten habt. Als du nach schwerer Krankheit wieder genesen bist. Als du Trost erfahren hast. Als dir jemand eine schwere Schuld vergeben hat. Als du im Fallen in den Abgrund gespürt hast: selbst jetzt hält Gottes Hand mich.
Manchmal öffnet sich unser Blick in die Tiefe des Lebens. Manchmal erkennen wir die Wahrheit und den Weg, den wir gehen sollen. Das können wir nicht erzwingen. Das wird uns geschenkt. Gott ist es, der uns diesen Blick in die Wahrheit schenkt. Sein Geist ist es, der uns die Augen und das Herz öffnet. Aber wir können Gott darum bitten, um seinen Geist und darum, dass wir ihn erkennen. Dass wir hören und verstehen, was er uns sagt. Heute am Pfingstmontag feiern wir diesen Geist Gottes. Der Himmel ist offen. Gott schenkt uns seinen Geist. Auch uns fragt Christus heute: Wer bin ich für dich? Wir dürfen mit Petrus erkennen und bekennen: Du, Jesus, bist der Christus. Du bist Gottes Sohn. Du bist mit deiner Liebe mächtiger als alle Mächte und Herrscher, wie gewaltig sie sich auch aufplustern, wie grausam sie auch sein mögen. Du tröstest mich. Du schenkst mir Kraft. Du öffnest mir neue Wege.
Darum feiern wir Pfingsten. Wir feiern den Grund der Kirche, den Grund unserer Gemeinschaft, den Grund unserer Erlösung. Darum lasst uns fröhlich dieses Lebensfest feiern. Denn Gott schenkt uns seinen Geist. Nichts müssen wir dafür tun. Nichts können wir dafür tun. Aber wir dürfen Gott bitten, immer wieder, um seinen Geist. Wenn wir die Wahrheit erkennen wie Petrus, wenn wir mit Gottes Hilfe Grenzen überwinden, wenn wir voller Freude von den großen Taten Gottes erzählen wie die Jünger in Jerusalem: dann erleben wir Pfingsten. Dann sind wir offen für Gottes Geist. Dann erkennen wir die Wahrheit und den Grund des Lebens. Dann öffnet Gott für uns den Himmel. Heute möge Gott uns das wieder schenken. Ich wünsche euch fröhliche und gesegnete Pfingsten! Amen
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Predigt zu Matthäus 16,13-19 von Bernd Vogel
Als Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte er seine Jünger und sprach: Wer sagen die Menschen, dass der Menschensohn sei?
Sie aber sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.
Er fragte sie: Ihr aber, wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!
Jesus antwortete aber und sprach zu ihm: Glücklich bist du, Simon Barjona (Jonas Sohn); denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater in den Himmeln.
Und ich sage dir: Du bist ‚Stein‘ (Petrus), und auf diesem Gestein[1] werde ich meine Kirche bauen, und die Tore der Totenwelt werden sie nicht überwältigen.
Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du auf Erden binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein. (Matthäus 16,13-19 )
„Die Menschen“ - Luther übersetzte „die Leute“ – haben schon damals nicht kapiert, wer „der Menschensohn“ ist. So erzählt es der Evangelist Matthäus. Die Jünger aber sollen kapieren. Das befähigt sie zu einem immens bedeutungsvollen Auftrag. So schrieb es Matthäus in sein Evangelium. Und das ist lange her.
Wenn wir heute auf die Straßen gehen würden mit dergleichen Frage – was käme wohl heraus? Wer ist Jesus für Sie? Wer ist Jesus für dich?
Ein guter Mensch. Ein Religionsgründer. Einer, der von einer Jungfrau geboren wurde? Einer, der tot war und von der dann aus seinem Grab stieg? Kultobjekt der „Christen“? …
Und ‚wir‘ hier im Gottesdienst zu Pfingsten? Haben wir es kapiert? „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Aus vollem Mund und vollem Herzen. Pathos pur. Und warum auch nicht? Tut doch gut. Gesungen wird heute auch vollmundig. Da ist nichts dagegen zu sagen. Doch was heißt das bloß, was wir da singen? Könnten Sie mit wenigen Worten einem guten Bekannten deutlich machen, wer für Sie Jesus Christus im Heiligen Geist ist und was wir da Pfingsten feiern? Können Sie das, ohne eine Formel mit einer anderen Formel zu ersetzen?
Es wäre zu viel gefordert, dass Ihr Gesprächspartner leuchtende Augen bekäme und sagte: Ich kann das jetzt auch so sehen wie du! Aber meinen Sie, es bestünde die Chance, dass Ihr Gesprächspartner (Ihre Gesprächspartnerin) zumindest kurzzeitig wirklich interessiert ist, vielleicht sogar angerührt, vielleicht sogar provoziert zu einer Frage, einer Bemerkung oder einem gehaltvollen Schweigen? Trauen Sie das Ihren eigenen Worten vom „Christus“, dem „Sohn des lebendigen Gottes“ zu? Dann wäre Pfingsten schon Realität. Nicht nur Historie.
Da aber den meisten von uns es eher so gehen mag wie mir, dass das eigene Bekenntnis z. B. im Schulunterricht bestenfalls Respekt, nur selten aber vernehmliches Interesse findet, müssen wir wohl noch etwas auf den Geist warten und gehen zunächst einmal in den Brunnen der Geschichte. Eine gedankliche Bußübung sozusagen.
1. Der Konflikt zwischen Petrus (Kephas) und Paulus in Antiochia (um 50).
Um das Jahr 50 herum hatte der Völkerapostel Paulus seine zwischenzeitliche Heimat Antiochia im Streit verlassen. Seitdem galt Simon Petrus = (aramäisch) Kephas als der Apostel Syriens. In seiner Tradition steht der Evangelist Matthäus.
Was war geschehen? Simon, den schon Paulus im aramäischen Idiom „Kephas“ nennt, den „Stein“, war von Jerusalem nach Antiochia gekommen. Vielleicht, um einen Streit zu schlichten. Es ging um die Tischgemeinschaft von Christen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft. Das war der Leitung der rein judenchristlichen Urgemeinde in Jerusalem ungeheuerlich. Wie konnte der Unterschied zwischen Israel und den Völkern so ignoriert werden? Machte nicht die bloße Anwesenheit der Nichtjuden das jüdische Mahl wertlos? Und umgekehrt gedacht: Bestand nicht für die Nichtjuden, wenn sie denn mit Juden Mahlzeiten halten wollten nach jüdischen Regeln, die Verpflichtung, dann auch den ganzen Weg zu gehen und sich – wenn sie Männer waren – beschneiden zu lassen?
Vielleicht war Kephas gekommen um den Streit zu schlichten. Gelöst hat er ihn nicht. Genauso wenig wie Paulus, sein theologischer Gegner. Der Streit eskalierte. Paulus stellte den Kephas zur Rede, warf ihm gar Heuchelei vor und verließ Antiochia auf immer (s. Gal 1 und 2, vgl. zur Sache im Ton anders die Apg). Was hatte gelöst werden sollen, wurde gebunden.
Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du auf Erden binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein.
2. Matthäus möchte in der Tradition des Petrus die Gemeinde stabilisieren und ihr einen Auftrag weitergeben (um 80).
Die Geschehnisse in Antiochia liegen im Jahre 80 nun 30 Jahre – eine Generation – zurück. Paulus und Petrus sind tot, ermordet als Glaubenszeugen in Rom. Kein Augenzeuge Jesu von Nazareth lebt mehr, kann mehr befragt werden, wie es war damals mit Jesus, als er noch unter ihnen war, mit ihnen aß, wanderte, predigte und heilte.
Niemand war mehr da. Aber es gab die christlichen Gemeinden. Und diese waren jetzt auf sich gestellt. Und das war unheimlich. Es fehlte ihnen der Boden unter den Füßen. Ausgerissen war die Wurzel, die sie trug. Zwar hatten sich Judenchristen und Völkerchristen gestritten von Anfang an. Doch war es für Paulus und Petrus (Kephas) und auch für den Herrenbruder Jakobus und andere keine Frage, dass die Christusanhänger aus Juden und Völkern verbunden blieben mit der Wurzel, mit Israel, mit dem von Gott erwählten und beauftragten Volk des Bundes. Für sie war das keine Frage. Kein Zweifel daran!
Nun aber die Katastrophe. Im Jahre 50 gehen die Wege des Paulus und des Kephas aus einander. 20 Jahre später dann gehen die Wege der Kirche und Israels aus einander. Die römischen Feldherren Titus und Vespasian besiegen Israel im jüdischen Krieg 66-70, erobern Jerusalem vollständig und entweihen und zerstören den Tempel mit dem Allerheiligsten in ihm. Von nun an kämpften die Rabbis und verbliebenen Führer ihres besiegten Volkes um das Überleben. In Synagogen sammelte man sich zu Gebet und Schriftlesung. Die Trennung von der Versammlung des Herrn (= Kirche) war unausweichlich und scharf. Es gab wechselseitige Abgrenzung, Ausstoß und Verdammung. Die mittlerweile bis nach Rom gewanderte Kirche verstand sich schon früh als Gottes neues Heilsvolk. Als mit Kaiser Konstantin die kirchliche Macht kam, waren die Mittel da, um sich gegen die jüdische Gemeinde zu profilieren. Mit furchtbaren Folgen bis 1945.
Das muss die pfingstliche Gemeinde im 21. Jahrhundert wissen, um Matthäus 16 für heute auslegen zu können.
3. Von Petrus und dem Papstamt (vergangene Schlachten)
„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ steht auf Goldgrund in der Kuppel des Petersdomes. Kirchliches Selbstbewusstsein der katholischen Kirche in der Zeit der Gegenreformation.
Längst wissen auch römisch-katholische Bibelausleger, dass das Wort „Du bist ‚Stein‘ (Petrus), und auf diesem Gestein[2] werde ich meine Kirche bauen, und die Tore der Totenwelt werden sie nicht überwältigen“ niemals vom historischen Jesus gesprochen sein können (weil er nirgends sonst von „meiner Kirche“ spricht) und erst Recht nicht das mit allen Kirchenrechten ausgestattete Papstamt legitimieren.
Matthäus erinnert vielmehr in einer Zeit großer Unsicherheit unter den Christen an die für ihr Gebiet Syrien maßgebliche Apostelgestalt. Er zeichnet den Simon, der wahrscheinlich von Jesus selbst den Beinamen ‚der Stein‘ erhielt (was eigentlich einen runden Stein, einen Stein wie ein Diamant denn einen „Felsen“ meint), als den beispielhaften Apostel, der das tun soll, was alle Apostel tun sollen: der Kirche Stabilität zu geben wie ein ‚Felsen‘ und zu binden und zu lösen.
4. Und wir heute?
Was soll die Kirche heute tun? Was ist ihr Christusbekenntnis - und was bedeutet es heute zu binden und zu lösen?
Matthäus denkt (wahrscheinlich) an die Autorität der Apostel als der Lehrer ihrer Kirchen, Jesu Willen und Gebot auszulegen. Das soll nach ihm (trotz der Vorbildfigur des Petrus) nicht hierarchisch geschehen, schon gar nicht von einem Monarchen von oben nach unten, sondern in der Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu. Das sind nach lutherischem Verständnis alle, die sich um Jesus scharen und seinen Willen herauszufinden und zu tun suchen.
Sie sollen im Unterschied zu den von Matthäus[3] scharf angegriffenen „Schriftgelehrten und Pharisäern“ (Mt 23,13) das Reich der Himmel offen halten für die, die Mühe haben und die sich bemühen um Gottes Willen in der Welt (Mt 11,28 ff.: Die das ‚Joch‘ tragen = die Gottes Gebot zu kennen und auszuführen suchen).
Binden und lösen … und der lebendige Gott, der Vater des Christus wird sich daran halten. Was für eine Verantwortung hat diese „Kirche“!
Haben wir als Kirche diesen Auftrag – was bedeutet das heute? Nur noch in wenigen Gemeinden wird man spontan an Beichte und Absolution denken. Luther hat beides hoch geschätzt. Dietrich Bonhoeffer auch. In der Michaelsbruderschaft spielt beides eine Rolle. Und in der Abendmahlsliturgie sind Schuldbekenntnis und Absolution möglich. Nicht als Priester, als Mittler, sondern als von der Gemeinde beauftragte und von Gott berufene Person könnten die Liturgen und Liturginnen „binden und lösen“.
Ist das übrig geblieben: Die Schar der bekennenden Christusglaubenden, die zum Abendmahl geht und in der es Beichte und Gnadenzuspruch gibt? - Wohl zu kleine Münze für eine pfingstliche Auslegung dieses gewaltigen Textes.
„[…] der Tag wird kommen-, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, daß sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt“ (Dietrich Bonhoeffer, Gedanken zum Tauftag, Mai 1944, DBW 8, 436).
Das sind pfingstliche Worte! Doch ist die Zeit nicht gekommen. Noch nicht? Jedenfalls nicht hier in Deutschland, nicht im Westen der Weltgesellschaft. Zu stark sind die Mächte der Gier, der Ökonomie, des Kapitals. Und insgesamt kommen wir nicht zurecht mit der Erhaltung unseres Wohlstandes einerseits, dem Zwang zum Immer besser, immer mehr, immer voraus technologisch und strategisch, und der inneren Leere, die sich in vielen auftut. Der Druck ist groß und innen drin brennt es nicht. Solange das Leben noch leicht ist und man sich Spaß kaufen kann, geht es ja noch. Aber dann? Und die Verlierer? Betrifft das alles die Kirche nicht? Oh doch. Vielleicht ist es hier sogar am spürbarsten: Die zerreißende Spannung zwischen der Sehnsucht nach des lebendigen Gottes Gerechtigkeit im Welthandeln und jener Realität, deren 1000 Bilder wir uns täglich aussetzen und die uns innerlich aushöhlen, ehe wir es merken.
Die Kirche ist geistig krank. Depressiv. Zwanghaft. Manchmal schizoid oder hysterisch. Es fehlt die Ausstrahlung, innere Kraft, Überzeugung, Klarheit in den Worten, Kompromisslosigkeit im Streit gegen Unrecht. Man tut was. Manche tun sogar zu viel, überfordern sich und andere. Es fehlt an echtem Miteinander, an wechselseitiger Teilhabe von Schmerz und Ratlosigkeit, an Lust auf Bibelstudium und neue geistige Entdeckungen, Veränderung, Transformation. Die Institution zu retten ist nachrangig. Wo ist in den Gemeinden die Lust zu Experimenten, zu Wagnissen? Fehlt die geistige Stabilität, um etwas riskieren zu können?
Vielleicht beginnen wir zu ahnen, warum Matthäus nach der Katastrophe der Untergangs Jerusalems sich dieses Simon Petrus erinnert. Urgestein. Was Wertvolles wie ein Diamant. Bodenständiges wie auf Felsen gegründet. Stabilität. Und das Selbstbewusstsein, vom lebendigen Gott (!) einen klaren Auftrag zu haben: Binden und lösen. Sagen, was Sache ist. Wo es lang gehen kann. Was Jesus gewollt hätte, jetzt und hier will.
Stabilität und Auftrag. Fest stehen und Dynamik. Beides. Nicht nur Stabilität der Volkskirche, nicht hektische Experimente. Gegründet in ewiger Beziehung ganz konkret hier und jetzt leben. Völlig menschlich.
Bonhoeffer hat sich nach dem „konkreten Gebot“ Gottes gesehnt. Er meinte mehr damit als Handlungsanweisung. Das Gebot war ihm Erlaubnis zum Leben und Schutz durch wunderbare Mächte, die einem täglich Winke geben. Probiere doch dies, geh doch dort. Nicht im Befehlston, sondern ein Leben aus innerer Anleitung. Und niemals ist dort nur Leere. Einer ist da, hört dich, spricht zu dir.
Ein Gespräch wie einst zwischen Jesus und seinen Jüngern. Ginge es weiter! Komm, Heiliger Geist und öffne uns für deine Gegenwart. Erfülle unsere Leere mit Dir. Entfache in uns das Feuer, das niemals verlischt (nach einem Gebet aus Taizé).
Amen.
[1] Im Griechischen ein Wortspiel (petros-petra), das sich im Deutschen nur behelfsmäßig nachmachen lässt.
[2] Im Griechischen ein Wortspiel (petros-petra), das sich im Deutschen nur behelfsmäßig nachmachen lässt.
[3] In der Situation der Trennung von Synagoge und Kirche in Folge der Katastrophe im Jahr 70
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Predigt zu Matthäus 11,25-30 von Frank Hiddemann
Gnade und Friede von dem,
der da ist und
der da war und
der da kommt,
sei mit euch allen.
Liebe Gemeinde,
hat Jesus eigentlich gesungen?
Wenn er mit der Schar seiner Jünger
die staubigen Straßen Palästinas entlang ging,
haben sie dann auf dem Wege ein Lied angestimmt?
Etwas wie:
„Diesen Weg auf den Höh'n bin ich oft gegangen
Vögel sangen Lieder“.
[Thüringer Version. Bitte regional anpassen!]
Oder wenn sie auf dem See Genezaret mit dem Boot unterwegs waren,
haben sie dann gesungen:
„Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen
der eiskalten Winde rauhes Gesicht.“
Oder etwas in der Art.
Ich nehme mal an, es geht Ihnen wie mir.
Ich kann es mir nicht vorstellen.
Irgendwie liegt Ruhe über den Evangelien.
Jesus spricht, die Menge macht Geräusche,
manchmal schabt ein Fischernetz über eine Bordwand
oder es kräht ein Hahn.
Es gibt Diskussionen mit den Schriftgelehrten
und dann mal eine plötzliche Stille
...
Und dann wird wieder geredet.
Dabei haben wir heute einen Psalm gebetet.
Und Psalm heißt „Lied“ -
und in unserem Wochenpsalm heißt es sogar:
„Singt dem Herrn ein neues Lied!“
Und überall in den Psalmen hebt der Sänger an:
„Lobe den Herrn meine Seele!“
Aber auch „Gott erhör' mein Flehen“
Oder: „Ich will den Herrn allzeit preisen,
sein Lob sei immerdar in meinem Munde!“
Die ganze Bibel ist voller Gesang.
Sogar im Bauch des Fisches wird gesungen,
als Jona dort hockt und gerettet ist.
...
Aber es gibt nur eine Stelle in der Bibel, wo Jesus singt
oder doch wenigstens anhebt
- wie ein Sänger anhebt zu singen -,
Gott zu loben.
Sie haben es bestimmt schon erraten!
Es ist das Evangelium des heutigen Sonntags Kantate.
Ich lese ihnen die Stelle noch einmal vor.
Und passen Sie mal auf,
welche Erfahrung es ist,
die Jesus zum Singen bringt:
Zu der Zeit hob Jesus an und sprach:
Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde,
dass du solches den Weisen und Klugen verborgen hast
und hast es den Unmündigen offenbart.
Ja, Vater; denn es ist also wohlgefällig gewesen vor dir.
…
Alle Dinge sind mir übergeben von meinem Vater;
und niemand kennt den Sohn, denn nur der Vater;
und niemand kennt den Vater, denn nur der Sohn;
und wem es der Sohn will offenbaren.
…
Kommt her zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.
Nehmt auf euch mein Joch und lernet von mir;
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Denn mein Joch ist sanft,
und meine Last ist leicht.
…
Kommt her zu mir!
Wenn Jesus anfängt zu singen,
kommt eine Einladung für uns heraus.
...
Aber was lässt ihn singen?
Es ist die Erfahrung,
dass Gott bei den Schwachen besser ankommt.
Die Klugen und Verständigen verstehen nicht so gut,
worum es geht.
Sie mögen viel verstehen,
aber oft verstehen sie das Entscheidende nicht.
Woran liegt das?
Es liegt daran, dass die Unmündigen,
so nennt sie Jesus in seinem Lied,
dass die Unmündigen tagtäglich eine Erfahrung machen,
die auch eine Gotteserfahrung ist.
Das griechische Wort, das an dieser Stelle steht,
bezeichnet die Kinder, die noch Milch bekommen,
also noch keine feste Nahrung zu sich nehmen.
Säuglinge also und auch Kleinkinder.
Sie trinken oder schreien.
Sie sind zufrieden oder schauen neugierig in die Welt,
und bei alle dem zweifeln sie nicht.
Dass sie in der Liebe der Mutter sicher geborgen sind …
Dass Milch kommt, wenn sie hungrig sind …
Dass die Stimme da ist, wenn sie einsam sind …
Dass sie jemand hochhebt, wenn sie in die Welt schauen mögen…
Kleinkinder sind voller Vertrauen,
weil sie die Erfahrung nicht kennen,
auf eigenen Beinen zu stehen.
weil sie nicht aus eigener Kraft leben.
Die Weisen und Klugen jedoch wissen Bescheid in der Welt.
Sie sind immer in der Gefahr,
sich auf ihre Kenntnisse und Erfahrungen zu verlassen.
Die Starken verlassen sich gern auf sich selbst.
…
Jesus singt: Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde,
dass du solches den Weisen und Klugen verborgen hast
und hast es den Unmündigen offenbart.
Die Unmündigen verstehen sehr viel leichter,
dass der Gott des Himmels und der Erde,
der Gott, den Jesus Vater nennt,
sie trägt und hält.
Es ist ja ihre tägliche Erfahrung,
gehalten und getragen zu werden.
Das haben die Kleinen den Klugen voraus.
Darüber freut sich Jesus.
Eigentlich denkt man:
Nur die Klügsten sind klug genug,
um Gott zu verstehen.
Und es hat auch etwas für sich,
die alten Sprachen zu kennen und die Schriften.
Gott nicht nur im Augenblick zu erleben,
sondern auch seine Geschichte
und die Geschichte seines Volkes zu kennen.
Nichts gegen Kluge und Weise,
auch Jesus singt ja sehr wenig,
wie wir gehört haben,
meistens lehrt er,
auf einem Berg stehend,
in der Ebene beim Wandern,
meistens spricht Jesus.
und die ihm zuhören, fühlen sich Gott nahe.
„Er lehrte sie.“
Das ist die Tätigkeit, die von Jesus am meisten berichtet wird.
Jesus ist selbst ein Schriftgelehrter.
Aber es ist ihm eben nicht passiert,
was so vielen anderen Schriftgelehrten passiert.
Sie meinen sich so gut in der Geschichte und den Schriften auszukennen,
dass sie mehr über Gott sagen können als er selbst.
Sie nageln ihn an einer Selle fest.
Ein grausamer Satz,
der sich in Jesu Leben wortwörtlich erfüllt hat.
Gott festnageln,
ist genau das, was Jesus an den Schriftgelehrten kritisiert.
Sein Gott ist der Gott des Himmels und der Erde,
des ganzen Kosmos, der alles in seinen Händen hält
und er ist gleichzeitig der Gott,
der wie ein Vater
mein eigenes Leben in den Händen hält.
Der alles trägt,
ist mir täglich nah.
Der Herr der Kosmos
kümmert sich um mich wie der Vater um ein Kind.
Das ist Jesu Predigt, Jesu Lied.
Wer das verstanden hat, hat das Entscheidende verstanden.
Solange wir uns auf uns selbst verlassen
und Gott strategisch in unser Leben einbauen,
solange lassen wir ihn nicht ein,
sondern behandeln ihn wie ein Bauelement,
das wir hier oder da unterbringen können.
Aber wer das Fundament nicht da lässt,
wo es hingehört, der baut kein Haus.
Der wird nicht sicher wohnen.
…
Jesus freut sich,
dass die Kleinen das verstanden haben
oder gar nicht verstehen müssen,
weil die Erfahrung, getragen zu werden, für sie so frisch ist.
…
Und dann gibt es noch eine andere Gruppe,
die Jesus besonders anspricht.
es sind die denen ihr Leben Mühe bereitet,
so dass sie meist müde sind
und die, die viel tragen müssen,
so dass sie schnell müde werden.
Jesus scheint mitten unter ihnen zu stehen,
denn er spricht sie direkt an:
…
Kommt her zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.
Nehmt auf euch mein Joch und lernet von mir;
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
…
Wer unter uns müde ist,
der sehnt sich nach Ruhe.
Wer zu viel um die Ohren hat,
sagt leicht: „Lass mich in Ruhe!“
Aber es ist gar nicht so einfach, seine Ruhe zu finden.
Kaum ist man allein,
beginnen die Stimmen im Kopf zu reden.
Die Vergangenheit zieht die Gedanken auf sich,
die Szenen und Sätze, die uns nachgehen;
die Sorgen, die wir uns um die Zukunft machen, sind da.
Und die Gegenwart ist verschwunden.
Es reicht nicht, allein zu sein,
wenn einer Ruhe finden will.
Es reicht auch nicht,
wenn äußerlich alles still ist.
Wie finden wir Ruhe für unsere Seelen?
Nicht einfach so,
indem wir alles andere eine Weile liegen lassen.
Jesus sagt:
Nehmt auf euch mein Joch und lernet von mir;
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Es ist ein offenbar Druck nötig,
um Ruhe zu finden.
Das Joch mag leicht sein,
aber es liegt doch auf den Schultern,
und es ist spürbar.
Und wir müssen lernen.
Mitten im Lied ist wieder der Jesus da,
von dem es heißt: Er lehrte sie.
Was ist zu lernen?
Die richtige Haltung des Geistes
und auch: der richtige Weg.
In der Formulierung:
„So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“,
steckt ein Vers des Propheten Jeremia.
Er lautet:
Fragt, wo der Weg zum Guten liegt; geht auf ihm,
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.
Dass wir uns über den Weg,
den wir gehen wollen,
viele Gedanken machen, ist klar.
Das ist ja das Problem.
Das sind die Stimmen, die kommen,
wenn wir die Augen schließen.
Das sind die Sorgen, die kommen
und mit denen wir die Zukunft vorweg nehmen.
Kurz gesagt, wir versuchen uns selber zu tragen.
So wie die Klugen und Weisen Gott einbauen
in ihr Denken und Streben,
und ihm am Ende keinen Platz lassen,
um selbst zu handeln,
so versuchen wir Gottes Aufgabe
selbst in die Hand zu nehmen
und selbst zu lösen.
Wir versuchen uns selbst in die Hand zu nehmen,
uns zu tragen und unseren Weg zu finden.
...
Ich will nicht sagen,
dass das nicht geht.
Sowohl ein Denken
als auch ein Leben ohne Gott funktioniert ofenbar.
Die Mehrheit der Menschen um uns herum versucht es.
Aber wir haben eine Botschaft,
die Ihnen,
aber vor allem immer wieder uns selbst gilt:
Kommt her zu mir alle,
die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.
Nehmt auf euch mein Joch und lernet von mir;
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
...
Jesus Christus,
der unsere Sorgen geteilt hat,
der weiß, wie sich unser Leben anfühlt,
der will es in die Hand nehmen und tragen.
Das geschieht nicht von selbst.
Wir müssen uns tragen lassen.
Wir müssen sein sanftes Joch auf unseren Schultern spüren,
damit wir nicht abheben.
Dann wendet sich unser Weg zum Guten.
Es ist manchmal ein Weg,
der auch durchs Leiden führt.
Jesus selbst hat das erlebt.
Aber es ist ein Weg,
der uns auf der Erde hält,
und von dem wir hinterher sagen:
Er ist gut gewesen:
Wo es schlimm war, sind wir getragen worden.
Wo es schwer war, haben wir doch die Ruhe gespürt.
Und wo es leicht war,
hat das Glück sich nicht angefühlt wie ein Triumph,
sondern wie der Himmel,
der über uns offen steht.
Amen.
Und der Friede Gottes,
der höher und weiter ist als unsere menschliche Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
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Aufatmen - Predigt zu Matthäus 11,25-30 von Matthias Loerbroks
Aufatmen
In jener Situation hob Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor den Weisen und Klugen verborgen hast, und dies enthüllt hast den Unmündigen. Ja, Vater, denn so geschah Wohlgefälliges vor dir. Alles ist mir überliefert von meinem Vater, und niemand erkennt den Sohn denn nur der Vater; und niemand erkennt den Vater, denn nur der Sohn, und wem der Sohn es will enthüllen. Her zu mir alle sich Mühenden und Überlasteten – ich werde euch aufatmen lassen. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanft und von Herzen niedrig, und ihr werdet Aufatmen finden für eure Seelen. Mein Joch ist nämlich gut, und meine Last ist leicht.
In jener Situation, so beginnt Matthäus diesen Abschnitt, in jenem prall gefüllten Augenblick voller Möglichkeiten: in jenem Kairos – und wir blättern zurück, wollen herausfinden, was das für eine Situation ist, in der Jesus zum einen seinen jubelnden Lobpreis des Vaters ausspricht, zum andern seine berührende Einladung an alle Mühseligen und Beladenen, und entdecken: es ist eine polemische Situation. Jesus hatte über Johannes den Täufer gesprochen und beklagt, dass kaum jemand auf ihn hören wollte und auf Jesus selbst auch nicht; hatte seine Zuhörer, weil sie ihrerseits einen Kairos, die Möglichkeiten eines Augenblicks verpassten, mit Spielverderbern verglichen: ihr seid wie Kinder, über die sich andere Kinder beklagen: wir haben euch aufgespielt, und ihr wolltet nicht tanzen; wir haben euch Klagelieder gesungen, und ihr wolltet nicht trauern. Dies Bedauern darüber, dass die Leute nicht mitspielen, mag selbst noch ein Klagelied sein, doch dann verschärft Jesus den Ton, stellt sich vor: wenn in Tyros und Sidon, in zwei großen Städten außerhalb des Landes Israel, im heutigen Libanon, solche Taten geschehen wären – die Leute dort wären massenweise umgekehrt. Und, noch polemischer: selbst die Leute von Sodom wären umgekehrt, Sodom würde heute noch stehen.
Es mag sein, dass bei dieser jedenfalls hier äußerst hypothetischen Behauptung für den Erzähler Matthäus bereits die überraschende Erfahrung mitschwingt, dass Jesus, dass das Evangelium in der Tat seine große Wirkung außerhalb Israels hatte, bei Menschen also, die zuvor keine Ahnung vom Gott Israels und seiner Beziehungsgeschichte mit seinem Volk hatten – es ist jedenfalls überraschend, dass Jesus in dieser Situation von grimmiger Polemik zu diesem Jubelruf übergeht: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Unmündigen aber enthüllt hast. Das ist nicht nur überraschend, das ist auch irritierend. Haben denn nur Unmündige Jesus erkannt und das, was er bringt? Hat der Gott Israels, der Vater Jesu Christi, etwas gegen Weisheit und Klugheit? Teilt er womöglich die Ängstlichkeit engstirniger und engherziger Frommer, die befürchten, dass allzu viel Aufklärung und Wissen den Glauben gefährden könnte? Und bestätigt er damit wie sie die Überzeugung vieler aufgeklärter Ungläubiger, dass Glaube in der Tat nur was für noch Unmündige ist und auch nur solange, bis auch sie aufgeklärt und klug geworden sind, eines Besseren belehrt? Ist Jesus womöglich vernunftfeindlich? Hätte er es gern, wäre es ihm lieber, wir verblieben und verharrten in unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit? Und was ist mit den vielen biblischen Stimmen, die uns gerade Weisheit empfehlen, dringend anraten und vor Torheit warnen? Karl Barth, der große Theologe des 20. Jahrhunderts, hatte erkannt und das auch kühn vertreten, dass es sich bei der Dummheit um eine Grundform der menschlichen Sünde handelt, und dazu hatte er gerade im 20. Jahrhundert ja auch ernste Gründe. Will Jesus uns von dieser Sünde nicht befreien und erlösen? Hat er nicht selbst das Evangelium immer wieder als seinerseits augenöffnend und aufklärend angepriesen, als Licht also nicht nur in unseren seelischen Finsternissen, sondern als Licht auch im Verstand? Schließlich versuchen wir, wenn auch nicht immer glänzend erfolgreich, Konfirmanden zu unterrichten in der Hoffnung, dass sie dadurch Gott und sich selbst und auch einander etwas besser verstehen. In unserer Gemeinde gibt es zudem jede Woche auch biblische Erwachsenenbildung, damit wir verstehen, was wir lesen, wenn wir Bibel lesen.
Es gibt offenbar verschieden Arten von Vernunft, Klugheit, Weisheit, und der polemische Kontext dieses Jubelrufs zeigt, dass Jesus hier von der herrschenden Weisheit und Klugheit spricht, der Klugheit der Herrschenden, von einem Wissen, das Macht ist, einer Vernunft, die dazu da ist, nicht nur Wissensgebiete, sondern auch Menschen zu beherrschen, von einer, wie es bezeichnend heißt, zwingenden Logik. Es geht um Herrschende und Besitzende, die gar nicht wirklich aufgeklärt werden wollen, weil sie längst Bescheid wissen, die – Spielverderber, die nicht mitspielen – gar nichts neues erfahren wollen. Wieviel Spott und Hohn hatten Banker und Unternehmer jahrelang über den Staat ausgeschüttet, über Politiker, diese ahnungslosen Stümper, die sie dann um Staatsknete anflehten. Inzwischen glaubt man doch, bei dem Wort Wirtschaftsweiser immer einen kräftigen Schuss Ironie mitzuhören. Es gibt eine nicht wirklich freie und schon gar nicht reine, sondern interessegeleitete, eine nur für ihre Profiteure wirklich praktische Vernunft. In dem Stück „Ingeborg“ von Curt Goetz, es ist wie alle seine Stücke nicht nur sehens- und hörens-, sondern auch lesenswert, appelliert ein Mann beschwörend an seine Frau: Denk doch mal logisch!, und sie antwortet entrüstet: Das könnte dir so passen. Der Apostel Paulus hat in seinem 1. Korintherbrief den Zusammenhang zwischen herrschender Weisheit und Macht deutlich gemacht und dabei auf die soziologische Zusammensetzung der Gemeinde in Korinth verwiesen: nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle. Gott hat die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht. Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott nicht erkannte, gefiel es Gott, durch törichte Predigt zu befreien, die daran glauben. Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwäche ist stärker, als die Menschen sind. Der Dichter Christan Fürchtegott Gellert, deutlich vom Zeitalter der Aufklärung geprägt, hat sich darauf seinen eigenen Reim gemacht: Seh´ ich dein Kreuz den Klugen dieser Erden ein Ärgernis und eine Torheit werden, so sei´s doch mir trotz allen frechen Spottes die Weisheit Gottes. Im Psalm 8, auf den Jesus hier anspielt, den er später auch wörtlich zitiert, heißt es: aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge – also der Schwächsten – hast du dir eine Macht errichtet gegen deine Feinde.
Doch rasch wird deutlich, dass es für alle, ob mündig oder unmündig, klug oder dumm, nicht leicht ist, Gott und Jesus zu erkennen, dass es sogar unmöglich ist: niemand erkennt den Sohn, denn nur der Vater, und niemand erkennt den Vater, denn nur der Sohn. Das ist beunruhigend und macht uns klar, dass wir viel zu harmlos und selbstverständlich damit rechnen, Gott und Jesus erkennen zu können, als wäre Gott nur einer unter den vielen Gegenständen, die wir zu erkennen versuchen, wenn auch vielleicht ein besonders wichtiger. Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht, so hat der Berliner Theologe Dietrich Bonhoeffer in seiner schroffen Art diese Haltung kritisiert. Umgekehrt wird aber auch deutlich: wenn wir modernen Menschen in pathetischer Selbstgewissheit behaupten, Glaube sei früher die natürlichste und selbstverständlichste Sache von der Welt gewesen, nur für uns heute, nach der Aufklärung und nach all den Schrecknissen des 20. Jahrhunderts, schwer erschwinglich, dann reden wir jedenfalls nicht vom biblischen Glauben.
Jesus bleibt nicht bei dieser schroffen Abweisung unseres vielleicht allzu vertraulichen Umgangs mit Gott: niemand kennt den Vater, denn nur der Sohn, sondern fügt hinzu: und wem der Sohn es will offenbaren, enthüllen. Und das tut er, er spricht eine Einladung aus an alle Mühseligen und Beladenen, macht damit deutlich, dass er schon bei den Unmündigen nicht an intellektuelle, sondern gesellschaftliche Beschränkungen dachte. Den physisch und geistig, auch religiös sich mühenden, allen seelisch und gesellschaftlich niedergedrückten verheißt er, in Luthers schöner Übersetzung: ich will euch erquicken. Ein altmodisches, aber schönes Wort. Inzwischen ist über das englische Wort quick für schnell ein etwas seltsames Lehnwort in unsere Sprache geraten, das Luther nicht kennen konnte; er denkt nicht an ein Quickie, sondern daran, dass Mühselige und Beladene wieder quicklebendig werden, und zwar nicht durch theoretische Erkenntnisse, sondern durch Praxis: nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir. Wer von Jesus lernt, wer das, was er lehrt, praktisch tut, macht Erfahrungen, entdeckt, dass das nicht eine weitere Last für ohnehin Überlastete ist, sondern leicht; kein weiterer Druck auf ohnehin Unterjochte; entdeckt auch, dass Jesus selbst niedrig ist und so anderen Erniedrigten hilft: so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Beim Berliner Streit um den Religions- und den Ethikunterricht waren sich ja beide Seiten einig darin, dass Kindern Werte vermittelt werden müssen, damit sie daraufhin auch richtig handeln, keine Ehrenmorde und möglichst auch sonst keine Morde mehr begehen: die richtige Theorie führe zu erwünschter Praxis. Jesus wie die übrige Bibel denkt umgekehrt: unser praktisches Tun bringt Erkenntnis, führt so auch zur Erquickung, zur Ruhe für unsere Seelen.
Was hat das alles mit dem heutigen Thema Cantate, was hat das mit Singen zu tun? Da müssen wir hinter Luther zurück und wörtlich übersetzen: her zu mir, alle ihr Bemühten und Überlasteten – ich werde euch aufatmen lassen. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, und ihr werdet Aufatmen finden für eure Seelen. Singen ist ein gutes Beispiel für den Vorrang der Praxis vor aller Erkenntnis und Theorie. Wer singt, ob im Gottesdienst, im Chor oder zuhause, atmet tief ein. Und wer tief einatmet, ist glücklich. Und wer glücklich ist, singt. Und wer singt, atmet tief ein ...
Singt darum kräftig mit in unseren Gottesdiensten, all ihr Mühseligen; kommt in unseren Chor, all ihr Überlasteten. Das wird euch erquicken.
Amen.
Lieder
Als erstes Lied nach der Begrüßung mit dem Wochenspruch aus Psalm 98: 286 oder 328,1-3 oder 327; nach der Epistel: 349 oder 449,3-6; da das Evangelium Predigttext ist, könnte an seiner Stelle die alttestamentliche Lesung Jesaja 12 stehen; danach könnte 318,9+8 oder 279,4 oder 325,1.2.6.7 gesungen werden; wenn Mt 11 gelesen wird: 363,1.2.5.6. Nach der Predigt: 271,1-2 oder 217,4. Zwischen Abkündigungen und Gebet: 322,1-5 oder 324,1.2.13-15 oder 148,5.6.9. Als Schlussstrophe zwischen Gebet und Segen: 100,4; 294,2; 318,9; 351,13; 369,7.
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Predigt zu Matthäus 28,1-10 von Rainer Kopisch
Liebe Gemeinde,
„Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Diese Bitte aus Psalm 90 Vers 12 gewinnt für uns Menschen seit Jesu Tod am Kreuz eine neue Bedeutung. Die neue Bedeutung folgt aus dem Osterereignis.
Wir Menschen haben unser Leben lang mit der Tatsache zu tun, dass unser irdisches Leben begrenzt ist.
Wir sind in unserm tiefsten Inneren auf die Möglichkeit der Abwehr einer Todesbedrohung eingerichtet. Wir spüren sie auf verschiedene Weise, wenn uns Nachrichten über Tod oder Todesbedrohung in unserer Umgebung erreichen oder wir in akuter Bedrohung stehen.
In Panik können Menschen erstarren oder fliehen.
Der Evangelist MARKUS berichtet es von den Frauen, die am Morgen nach dem Sabbat den Leichnam Jesu salben wollen. Sie waren ganz auf die Umstände des Todes Jesu eingestellt, auf beruhigende Rituale zur Trauerbewältigung.
Die waren ihnen aber plötzlich nicht mehr möglich, weil der Leichnam nicht im Grab war.
Sie fliehen in Todesangst vor der unfassbaren Wahrheit, die ihnen ihre scheinbare Sicherheit nimmt.
Nicht so im Matthäus-Evangelium. MATTHÄUS berichtet uns die wichtigen Ereignisse in Ruhe.
Maria Magdalena und Maria waren bei der Grablegung des Leichnams Jesu dabei, als der Reiche Mann aus Arimatäa den Leichnam Jesu in seinem eigenen Felsengrab bestattete und den großen Stein vor den Eingang rollte.
Außerdem schreibt er, dass die die Hohenpriester und Pharisäer Wachen aufstellten, die Pilatus ihnen zur Verfügung stellte, damit die Jünger nicht den Leichnam stehlen und dann behaupten können, Jesus sei auferstanden. Als zusätzliche Sicherheit wird das Grab auch versiegelt.
Gerade durch diese Vorsichtsmaßnahmen werden die Hohenpriester und Pharisäer später in Erklärungsnöte kommen.
Unserer Predigttext schließt an:
„1Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.
2Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.
3Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.
4Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.
5Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
6Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat;
7und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.
8Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
9Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.
10Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.“
Die Wachen erschrecken sich aus Furcht und fallen in Schockstarre.
Den Frauen nimmt der Engel die Furcht und redet sie so an, dass die beiden Vertrauen gewinnen.
„Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat.“ Einer nüchtern klaren Erinnerung an Jesu Ankündigung seiner Auferstehung folgt die Einladung, einen Blick in das leere Grab zu tun. Dann die Ankündigung, dass der auferstandene Jesus nach Galiläa vorauf gehen wird, um seine Jünger zu treffen.
Als der Engel seine Rede beendet hat, machen sich die Frauen mit Furcht und Freude eilig auf den Weg, um den Jüngern die Auferstehung zu verkündigen.
Sich begegnen Jesus, der sie grüßt. Sie fallen ihm zu Füßen. Er nimmt ihnen ihre Furcht und gibt ihnen den Auftrag mit, seinen Brüdern zu verkündigen, dass sie nach Galiläa gehen sollen, um ihn dort zu sehen.
Matthäus berichtet danach noch, wie die Hohenpriester und Pharisäer dank ihrer eigenen Sicherheitsmaßnahmen in Erklärungsnöte kommen. Sie müssen jetzt die glasklaren Beweise für die vorher angekündigte Auferstehung Jesus aus der Welt schaffen.
Sie bestechen die Soldaten mit viel Geld, damit die das Gerücht verbreiten, die Jünger wären nachts gekommen und hätten den Leichnam Jesus aus dem Grab gestohlen, während die Wachen schliefen. Falls Pilatus das Gerücht zu Ohren kommen sollte, wollten sie ihn beschwichtigen und dafür sorgen, dass sie sicher davon kommen.
Matthäus schreibt, dass sich das Gerücht unter den Juden bis zur Zeit der Niederschrift seines Evangeliums gehalten habe.
Um die Begegnung der Frauen mit dem Engel und mit Jesus nachfühlbar lebendig werden zu lassen, möchte ich aus einer kleinen Bibliodrama-Gruppe berichtet, die als Textvorlage unsern Predigttext gewählt hatte.
Das Bibliodrama ist eine besondere Art, sich Bibeltexten anzunähern, um sie schließlich in einer szenischen Darstellung zu spielen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer suchen sich die Rolle aus, die sie am meisten anspricht und in der sie Erfahrungen machen wollen.
In einer abschließenden Runde nach Ablegen der Rollen tauschen sie ihre Erfahrungen aus.
Ich möchte mich auf die Erfahrungen der Frauen und des Engels beschränken.
Die Erfahrung der Frau aus der Rolle des Engels war:
Der Engel kam mit großer Energie vom Himmel. Es war schwer, die himmlische Botschaft den Frauen zu verkündigen ohne sie zu erschrecken, dass sie sich auf menschlicher Ebene verstanden und angesprochen fühlen.
Die Frauen waren anfangs aufgeregt und gespannt, konnten aber die Botschaft von der Auferstehung annehmen, sie verspürten Erleichterung und Auferstehungs-Gewissheit und waren freudig bereit, die Botschaft den Jüngern zu überbringen.
Maria hat sich schnell erinnert, dass Jesus seine Auferstehung vorhergesagt hatte wie der Engel es sagte.
Maria Magdalena hat die Botschaft zwar auch schnell aufgenommen, war aber weiterhin noch angespannt, da sie ein besonderes Verhältnis zum gestorbenen Jeus hatte.
Als sie Jesus begegnet sind, und er mit ihnen geredet hatte, fällt ihre Anspannung von ihr ab es kommt bei Maria Magdalena zu einem Ausbruch von Freude- und Glücksgefühlen.
Sie fällt der anderen Maria um den Hals und sie hüpfen gemeinsam umher.
Das war Osterfreude, wie ich sie ihnen allen wünsche.
Amen
Pfarrer i. R. Rainer Kopisch, Braunschweig - rainer.kopisch@gmx.de
Link zur Online-Bibel
Vom Schweigen zum Hören - Predigt zu Matthäus 28,1–10 von Christine Hubka
Vom Schweigen zum Hören
Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria um nach dem Grab zu sehen.
Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.
Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.
Die Wächter aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.
Aber der Engel sprach zu den Frauen;
Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat;
Und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Sieh, ich habe es euch gesagt.
Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.
Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen; dort werden sie mich sehen.
Der Samstag,, der dem Karfreitag folgt,
ist ein Tag, von dem kaum die Rede ist.
Es ist ein Tag, von dem auch die Bibel nur sagt:
Als aber der Sabbat vorüber war...
Mehr nicht.
Bevor wir uns dem Tag danach, dem Sonntag, zuwenden,
schauen wir uns diesen verschwiegenen Samstag an:
Es ist der Tag, an dem Gott schweigt:
Weiter schweigt.
Denn auch am Karfreitag hat Gott geschwiegen.
Gott hat dem Urteil des Pilatus nicht widersprochen.
Gott hat der Stimmung des Pöbels nichts entgegengesetzt.
Auch heutzutage verhindert Gott nichts von dem,
was Menschen einander antun.
Nicht die kleinen Gemeinheiten.
Nicht die großen Verbrechen an der Menschlichkeit.
Und als das alles vorüber ist, am Sabbat, am Samstag,
schweigt Gott weiter.
Kann es sein,
dass es Gott zuweilen die Sprache verschlägt,
angesichts dessen, was unter uns geschieht?
Ihm, der nur ein Wort spricht – und die Welt,
Sonne, Mond, Sterne kommen ins Leben,
Auch uns fehlen bei manchen Ereignissen die Worte.
Wohl dem, der sich dann nicht in Phrasen flüchtet
und mit Floskeln diese Stille durchbricht.
Was sollen wir dazu sagen,
was unter uns an Grauslichkeiten geschieht?
Zuerst einmal nichts.
Jedes Wort, das erklärt, beschwichtigt, vertröstet
ist ein Wort zu viel.
Die Stille aushalten, die Ohnmacht spüren,
ohne das alles mit einem Schulterzucken abzuschütteln
und zur Tagesordnung überzugehen,
weil – so heißt es ja – das Leben weiter gehen muss.
Das Schweigen des Karsamstags
ist ein gnädiges Schweigen.
Du musst nicht gleich wieder funktionieren,
sagt es mir.
Du musst nicht einmal deinen Glauben
an den guten und gnädigen Gott verteidigen,
sollte er dir gerade abhandengekommen sein,
angesichts des Geschehens.
Du kannst verweilen.
Dich hinunterlassen in die Tiefen deiner Empfindungen -
und musst dich dafür nicht schämen.
Du darfst deine Tränen laufen lassen,
musst dich nicht dafür entschuldigen.
Ich glaube nicht,
dass auf dieser Erde jemand lebt,
der nicht schon so einen Karsamstag erlebt hat.
Das kann auch im August gewesen sein –
oder im Dezember.
Wenn ich mich an solche Tage in meinem Leben erinnere,
dann war das stärkste Gefühl dabei:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das je wieder besser werden kann.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je wieder lachen und unbeschwert leben kann.
Ich kann mir nicht vorstellen …
Ich habe häufig mit Menschen zu tun,
die das empfinden und irgendwann zu dem Schluss kommen: so will ich nicht mehr weiter leben.
Manche sprechen dann davon,
dass sie ihrem Leben ein Ende setzen wollen.
Auch hier bin ich machtlos, ohnmächtig.
Denn wer es wirklich will, wird es auch tun.
Und dann kommt also dieser Tag,
von dem die Bibel sagt: „Als der Sabbat vergangen war.“
Ein herrlicher Satz ist das für mich.
Er erzählt, ohne zu drücken und zu drängen:
Der Sabbat vergeht.
Der Tag – die Woche – die Jahre des Schweigens,
auch des Schweigens Gottes,
haben ein Ende.
Als der Sabbat vergangen war …
Da gehen die Trauernden
die ersten Schritte ins Leben zurück.
Sie wollen „das Grab sehen“.
Die Straßenkreuzung.
Den Unfallort.
Die Absturzstelle.
„Er ist nicht hier“ – die Botschaft.
Die Erkenntnis.
Nein, er ist nicht hier an der Straßenkreuzung,
wo der Unfall sich ereignet hat.
Sie sind nicht hier an der Absturzstelle.
Sie sind nicht bei uns.
Aber auch nicht hier.
Wo aber dann?
Die Botschaft des Engels ist eine Zumutung:
„Er ist auferstanden.“
Was sollen wir dazu sagen?
Mir scheint, dass dieser Satz,
dass diese Botschaft nicht zu diskutieren ist.
Auch hier ist schweigen angesagt.
Dieses Schweigen spürt den Worten nach.
Dieses Schweigen
hat den Klang der Botschaft in den Ohren:
Er ist nicht hier, er ist auferstanden.
Und so gingen sie eilends weg vom Grab
mit Furcht und großer Freude.
Wohin gehe ich mit diesem Satz im Ohr:
„Er ist auferstanden?“
Ich nehme ihn mit ins Leben, in meine Begegnungen.
Ich bin nicht sicher, ob ihm zu trauen ist.
Wenn ja, ist die Freude groß.
Aber immer wird wohl auch die Furcht da sein,
betrogen zu werden.
Und dennoch ist diese Botschaft wohl das Einzige,
was uns Hilft im Leben und im Sterben.
Und dafür sei Gott Lob und Preis in Ewigkeit.