Predigt zu Matthäus 5,1-12 von Rainer Stahl
Liebe Schwestern und Brüder!
1.
Diese Predigt muss ich mit einem Eingeständnis beginnen: Bis heute habe ich nicht wirklich verstanden, wieso die Seligpreisungen, wie sie Matthäus in seinem Evangelium bietet, fast 500 Jahre nach der Reformation Evangeliumstext und auch Predigttext zum Reformationsfest sind. Hier werden doch gerade diejenige für „selig“ erklärt, also der besonderen Nähe Gottes versichert, die irdisch gesehen auf der Verlierer-Seite stehen –
„die da Leid tragen“,
„die Sanftmütigen“,
„die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit“,
„die Barmherzigen“,
„die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“!
Hätten Menschen solcher Schicksale erfolgreich die Reformation durchsetzen können? Ich denke, nicht. Da bedurfte es bedeutender Schicksalswendungen und Machtwendungen:
Erinnert Ihr Euch noch an den Film „Luther“ aus dem Jahr 2003, in dem Joseph Fiennes Martin Luther verkörperte, Sir Peter Ustinov Kurfürst Friedrich den Weisen und Uwe Ochsenknecht Papst Leo X.?
Eine der Schlussszenen zeigt Luther 1530 auf einer Wiese unterhalb der Veste Coburg, auf die Boten vom Reichstag von Augsburg wartend. Dann kommen diese Boten und berichten vom Ergebnis und dem öffentlichen und lauten Verlesen des Augsburger Bekenntnisses der evangelischen Reichsländer und Stadt-Territorien. Der erste Reiter hält in seiner Hand eine lange Stange, verankert in einer Tasche unterhalb seines Sattels, und an dieser Stange weht das große, bunte Tuch der Staatsfahne des Kurfürstentums Sachsen. Ohne staatlichen Schutz und staatliche Indienstnahme hätte die Reformation irdisch gesehen keine Zukunft gehabt…
Da fällt mir eine Situation aus meiner Zeit als Konfirmand ein. Ich stamme aus Meiningen in Südthüringen und bin dort groß geworden. Einmal habe ich meinen Pfarrer in der Konfirmandenstunde gefragt: „Warum sind die Menschen in Wolfmannshausen [einem kleinen Dorf südlich von Meiningen] mehrheitlich römisch-katholisch geblieben?“ Mein Pfarrer hat geantwortet: „Sie haben sich der Reformation nicht geöffnet.“ Das war natürlich nicht völlig falsch. Aber diese Antwort hat verdeckt, dass es, wenn ich recht informiert bin, handfeste und politische Gründe gab – genauso wie dafür, dass alle Menschen im Herzogtum Sachsen-Meiningen lutherisch waren: Wolfmannshausen gehörte eine lange Zeit zum Bistum Würzburg. Sein Landesherr war der Bischof von Würzburg und Herzog von Franken. Und dessen Untertanen mussten römisch-katholisch sein, wie eben die Untertanen der Meininger Herzöge evangelisch-lutherisch!
2.
Also: Unser Predigttext hält die Anfänge der refomatorischen Bewegungen wach – als noch kaum staatliche Förderung gegriffen hat, als das persönliche Risiko im Vordergrund stand. Diese Gegebenheit können wir gebündelt sehen in der Bekenntnissituation Luthers vor dem Reichstag in Worms am Abend des 18. April 1521. Die entscheidenden Sätze gebe ich nach einer Übersetzung ins Deutsche durch den kurfürstlich-sächsischen Sekretär Georg Spalatin, die heute im Staatsarchiv Weimar liegt:
„Weil denn Euer Kaiserliche Majestät und Gnaden eine schlichte Antwort begehren, so will ich diesermaßen eine unanstößige […] Antwort geben: Es sei denn, dass ich durch das Zeugnis der Schrift überwunden werde, oder aber durch helle Ursachen […] überwunden werde. Ich bin überwunden durch die Schriften, so von mir angeführt werden, und bin gefangen im Gewissen an dem Wort Gottes. Deshalb ich nichts widerrufen kann noch will, weil gegen das Gewissen zu handeln beschwerlich, unheilvoll und gefährlich ist. Gott helfe mir! Amen.“[1]
Diese Situation zeigt einen, der darauf vertraute, dass die „Sanftmütigen“ „selig“ sein und „das Erdreich besitzen“ werden, und zugleich, dass diejenigen, „die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden“, „das Himmelreich“ geschenkt bekommen werden.
Also: Unser Predigttext führt uns in die Spannung, dass wir wünschen, dass die von uns erkannte Wahrheit durchgesetzt werden kann, und dass wir zugleich auf alle äußeren Machtmittel verzichten und „nur“ – was heißt hier: „nur“? – auf die innere Kraft dieser Wahrheit setzen. So, und nur so, können wir der Reformation gedenken!
3.
Liebe Schwestern und Brüder!
Zwei Seligpreisungen greife ich noch besonders auf und versuche, Dimensionen dieser tiefen Wahrheit durchzubuchstabieren:
3.1.
Erst seit der deutschen Einheit habe ich Besuchsreisen nach Israel organisiert und geleitet. Von der DDR aus war das nicht möglich gewesen. Immer, wenn meine Gruppen auf dem „Berg der Seligpreisungen“ über dem See Genezareth waren – das ist ein Erinnerungsort, der aber sicher mit dem tatsächlichen Berg, auf dem Jesus eine Bergpredigt gehalten hat, nichts zu tun hat –, habe ich trotz dieser historischen Unsicherheit die Seligpreisungen verlesen. In einem Jahr bewusst die letzte betont zitiert:
„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.“
Denn damals war der frühere Thüringer Landesbischof Dr. Ingo Braecklein stark in die Kritik geraten, weil er während seiner Dienstzeit mit einem Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit kontinuierlich Gespräche geführt und über diese nicht berichtet hat. Das muss ich jetzt nicht deuten und bewerten. Interessant war aber, dass er seinen Nachfolger, Werner Leich, in diese Gesprächskontakte eingeführt hat. Werner Leich aber ist fundamental anders mit ihnen umgegangen: Er hat von jedem Gespräch eine Niederschrift angefertigt und diese auf dem normalen Dienstweg in die Sitzung des Landeskirchenrates geschickt. 1996 haben Uwe-Peter Heidingsfeld und Ulrich Schröter diese Gesprächsniederschriften und die entsprechenden Niederschriften des MfS-Mannes ediert und gemeinsam herausgegeben.[2] Ich hatte ihnen zum Beispiel bei einem Detail geholfen: Zweimal gibt es das Kürzel „not. Zw.“[3] Das bedeutete, dass der Verwaltungsdiakon Gerd Zweigle diese Niederschrift in Vorbereitung der Sitzung des Landeskirchenrates in der Hand und den Tagesordnungspunkt notiert hatte – zum Beispiel Anfang September 1981.
Hier haben Bruder Leich und Bruder Zweigle und andere Schwestern und Brüder damals in der Hoffnung gehandelt und sich verhalten, dass ihnen die Selig-Verheißung für „Friedfertige“ nicht vorenthalten werde und sie „Gottes Kinder heißen“ können.
3.2.
Und noch eine Seligpreisung: In meiner Kindheit in Meiningen sind wir häufig auf den Friedhof gegangen. Dort gab es das Grab einer meiner beiden Großmütter, der Mutter meines Vaters, die schon im Oktober 1945 gestorben war, und das Grab einer meiner Urgroßeltern, der Großeltern meiner Mutter, das ich oft als kleiner Junge behackt und begossen habe. Dieser Urgroßvater war Anfang 1908 gestorben, und meine Urgroßmutter hatte auf den Stein in goldenen Buchstaben einmeißeln lassen:
„Selig sind die reines Herzens sind.“
Den zweiten Teil dieser Seligpreisung – „denn sie werden Gott schauen“ – muss man kennen, um ihn ergänzen zu können. Mein Urgroßvater war königlich-preußischer Offizier, zuletzt Oberst, und Adjutant des Meininger Herzogs, übrigens des so berühmten Georg II., der im 19. Jahrhundert eine bedeutende Theaterreform organisiert hatte. Meine Großmutter, die Tochter des in Meiningen Beerdigten, hat einmal erzählt, dass sie 1902 zusammen mit ihren Eltern an der Hochzeit des Bruders ihrer Mutter in Essen teilgenommen und auf dem Weg eine Straße entlang Aggressivität seitens einiger Männer gegen ihren Vater erlebt hat, weil dieser in preußischer Gala-Uniform mit roten Generalsstreifen an der Hose entlang ging, die ihm als Adjutanten eines Reichsfürsten zustanden. – „… die reines Herzens sind“?
Der Bruder meiner Großmutter hat in seiner Familienchronik über seinen Vater geschrieben: „Dank seiner fröhlichen Natur war [er …] ein beliebter Gesellschafter, sein Weinkeller, mit Kennerschaft gepflegt und ergänzt, war einigermaßen bekannt. Umgekehrt, wie in seinem Elternhause, war bei uns der Vater das belebende Element in der Ehe und hat es immer verstanden, die oft ernste und sorgenvolle Mutter mit seinem angeborenen Frohsinn wieder heiter zu stimmen.“[4]
Ob diese Erfahrung für seine Witwe, meine Urgroßmutter, so prägend war, dass sie mit dazu geführt hat, dass sie unsere Seligpreisung ausgewählt hat?
4.
Hier sind wir im Zentrum des Reformationsgedenkens! Jetzt verstehen wir und verstehe ich, warum die Seligpreisungen ein guter Bibeltext zum Reformationsfest sind:
Damit wir – wie meine Urgroßmutter – die tiefe und vielleicht gar nicht so theologisch durchdachte Glaubenshoffnung aufbringen, dass sich uns Gott positiv zuwenden wird, sich uns positiv zuwendet!
Für Euch alle:
„Selig seid Ihr, die Ihr Euch ein reines Herz bewahrt habt, denn Ihr werdet Gott schauen.“
Und auch für mich:
„Selig bist Du, der Du Dir ein reines Herz bewahrt hast, denn Du wirst Gott schauen.“
Amen.
„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“
[1] Vgl.: Die Reformation in Dokumenten, hrg. von Hans Eberhardt und Horst Schlechte, Weimar 1967, S. 30 und 31. Der Text wurde bei Zuhilfenahme von Oskar Thulin: Martin Luther. Sein Leben in Bildern und Zeitdokumenten, Berlin 1963, S. 55, modernisiert. Das Autograph Spalatins scheint auf den ursprünglichen Wortlaut hinzuweisen: Also ohne: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“
[2] Uwe-Peter Heidingsfeld und Ulrich Schröter: „Meister“. Die MfS-Vorlaufakte des Thüringer Landesbischofs Werner Leich im Spiegel seiner Vermerke, idea-Dokumentation 15/96.
[3] A.a.O., S. 169 und 184.
[4] Georg von Kutzleben: Die von Kutzleben, Coburg 1954, S. 77.
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Georg Freuling
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich das erste Mal auf diese Worte Jesu gestoßen bin – oder genauer gesagt: gestoßen wurde. Das war vor 30 Jahren und kam so:
Ich besuchte im ersten Jahr den Konfirmandenunterricht. Es war im Winter. Der Schnee lag ziemlich hoch. Als ich nichts Böses ahnend auf den Platz vor dem Gemeindezentrum ankam, bekam ich als erstes einen Schneeball an den Kopf. Das war Dirk. Einer meiner Mitkonfirmanden. Ich kannte ihn von der Grundschule. Dirk war ein ganzes Stück kleiner und auch schwächer als ich, hatte aber trotzdem viel Mut und ein ziemlich großes Mundwerk. „Na warte,“ dachte ich mir, verfolgte Dirk, kriegte ihn zu packen und beförderte ihn erst einmal in einen Schneehaufen, wo ich mich auf ihn setze und ihm eine ordentliche Ladung Schnee in den Kragen stopfte.
Lange kann es nicht gedauert haben. Bald schon zog mich jemand unsanft am Kragen und zerrte mich von Dirk herunter. Das war unser Pfarrer. Und dann setzte es eine Standpauke: „Was fällt dir ein? Was machst du mit Dirk, der kleiner und schwächer ist als du?“ Natürlich habe ich mich verteidigt. „Dirk hat angefangen. Er hat mir einen Schneeball an den Kopf geworfen,“ habe ich unserem Pfarrer erklärt. Das konnte ich mir doch nicht gefallen lassen!? Dirk stand daneben, schüttelte sich den Schnee aus den Klamotten und sagte dann: „Na und? Jesus hat doch gesagt: 'Wenn Dir jemand auf die linke Backe schlägt, dem sollst du auch die rechte hin halten!'“ Unser Pfarrer war begeistert: „Das hast du dir aber gut gemerkt, Dirk. Du hast etwas im Konfirmandenunterricht gelernt. Und du, Georg, solltest dir das zum Vorbild nehmen!“
Mir hat es damals die Sprache verschlagen. Ich habe gar nichts gesagt, war aber nicht einsichtig, sondern stinksauer. Das können Sie, das könnt Ihr Euch bestimmt gut vorstellen.
Muss man sich etwa alles gefallen lassen? Darf ich mich nicht wehren? Und: Ist das nicht ungerecht? Diese Fragen haben mich noch eine ganze Zeit lang beschäftigt. Jesus und diese Geschichte mit der linken und der rechten Wange kamen mir ganz schön weltfremd vor.
Wahrscheinlich denken das viele, wenn sie diese Worte Jesu aus der Bergpredigt hören:
Ich kann doch nicht dem, der mich schlägt, auch noch die andere Wange hinhalten. Das bringt doch einen Schläger nicht dazu, dass er aufhört!? Ich kann doch nicht einfach auf mein gutes Recht verzichten und fünf gerade sein lassen. Wo komme ich dann hin!? Und meinen Feind lieben – geht das überhaupt? Vielleicht reicht schon Zurückhaltung, Mäßigung, ein Waffenstillstand. Das klingt vernünftig. Aber Liebe – das ist doch wohl etwas zu viel verlangt!?
Nein, sie passen auf den ersten Blick nicht in unsere Welt, diese Vorschläge Jesu. Und wahrscheinlich haben Menschen zu allen Zeiten das schon gedacht. Schon vor 2000 Jahren in der Zeit, in der Jesus lebte. Hinter den Worten stecken konkrete Erfahrungen: „Wenn jemand dich zwingt, eine Meile mit dir zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“ - Damals konnten römische Soldaten als Besatzer jeden harmlosen Passanten zwingen, sie zu begleiten, wenn sie zum Beispiel Unterstützung bei Transporten brauchten. Das mussten sich die Menschen gefallen lassen – oft mit der geballten Faust in der Tasche. Und Jesus? Er empfiehlt, freiwillig noch eine weitere Meile mitzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass sich damals schon einige seiner Zuhörerinnen und Zuhörer gehörig gewundert haben, dass sie gedacht haben: „Das meinst du doch nicht ernst!“
Sie klingen auch nicht vernünftig, diese Vorschläge der Bergpredigt: Ist es etwa richtig, dem Bösen nicht zu widerstehen? Darauf läuft ja alles hinaus. Und das wird manchmal übersehen:
Manche sehen hier eine Anleitung zum gewaltlosen Widerstand. Es gibt Situationen, in denen bringt es nichts, sich offen zu wehren und zu widersetzen. Dann ist Gewaltlosigkeit und Erdulden des Bösen die bessere Option. Das kann dazu führen, dass der andere sich ändert. Das hilft uns Menschen, diese Welt zum Besseren zu verändern.
Diese Form von Widerstand kann tatsächlich vernünftig sein. Aber ist es das, worauf Jesus hier hinaus will? Ich denke: Nein, denn hier ist nicht davon die Rede, dass ein Schläger sich beschämt abwendet und ändert, wenn er nach einer Ohrfeige direkt die andere Wange hingehalten bekommt. Keine Rede auch davon, dass ein Mensch, der auf sein gutes Recht verzichtet, diese Welt zum Besseren verändert. Im Gegenteil: „Ihr sollte dem Bösen nicht widerstehen!“ Aber: Wo kommen wir dahin, wenn wir Menschen uns nicht wehren, wenn es drauf ankommt? Wo kommen wir hin, wenn sich niemand mehr dem Bösen in den Weg stellt?
Aber was mache ich dann mit diesen Worten Jesu?
Auf den ersten Blick passen diese Vorschläge nicht in unsere Welt. Bei genauerem Hinsehen sind sie aber schon Realität, Teil dieser Welt. Auch wenn ich nicht so lebe, auch wenn ich es gar nicht schaffe, einer hat so gelebt: Jesus selbst.
Ich muss dabei an unseren Konfirmandenunterricht in diesem Jahr vor den Herbstferien denken. Jesus war das Thema der letzten Wochen. Wir haben dazu einen Film über das Leben Jesu gesehen. Eine Frage, die uns danach beschäftigt hat, war diese: Jesus wusste, was ihn in Jerusalem erwartete. - Warum hat er sich dem ausgesetzt? Warum hat er sich vor Pilatus nicht verteidigt? Warum hat er nicht auf seine Unschuld bestanden? Warum hat er sich schlagen lassen? All das hat Jesus nicht getan. Er hat sich dem Bösen nicht widersetzt, sondern sich ihm ganz und gar ausgeliefert.
Der Jesus der Bergpredigt erduldet später in Jerusalem selbst das Böse: Er hat sich nicht gewehrt. Er hat seinen Jüngern befohlen, nicht zum Schwert zu greifen, als man ihn verhaftete. Er hat für seine Henker gebetet. Und er hat damit gezeigt, wie Gott selbst zu dieser Welt steht: Gott erträgt uns Menschen mit dem, was wir Böses tun. „Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Gott steht dieser Welt nicht ohnmächtig oder hilflos gegenüber. Er ist auch nicht gleichgültig angesichts von Bosheit und Ungerechtigkeit. Es gibt nur einen Grund, warum er dieser Welt so begegnet: Liebe. Es ist Liebe, in der Gott diese Welt erträgt. Und diese Liebe ist so abgrundtief, dass sie unsere menschlichen Abgründe fassen kann. Sie hält selbst Bosheit und Ungerechtigkeit stand, lässt sich nicht dadurch beirren.
Ich glaube: So begegnet Gott seiner Welt. So begegnet er uns Menschen, die ihn links liegen lassen und ihn einen guten Mann sein lassen, die wir seine Schöpfung zu Grunde richten und vor allem an uns selbst denken. Und ich glaube: Ohne diese abgrundtiefe Liebe Gottes hätten wir Menschen diese Welt und uns selbst längst schon zugrunde gerichtet.
Jesus gibt dieser Liebe Gottes ein Gesicht, indem er sich ganz in diese Welt hineingibt, sich ihr ausliefert. Er tritt selbst dafür ein. Und wenn das so ist, dann ist das die stärkste Realität, die es geben kann: Gott selbst!
Trotzdem ist da auch die Forderung: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“
Ich weiß: Das bin ich nicht. So lebe ich nicht. Ich schaffe es nicht, meine Feinde zu lieben. Und oft genug sehe ich es auch gar nicht ein! Wenn mir jemand dumm kommt, kann der doch keine Freundlichkeit meinerseits erwarten!? Da bin ich heute noch oft genug so wie damals als Konfirmand. - Ich muss mir schließlich nicht alles gefallen lassen. Und wo komme ich denn da auch hin? Und genau diese Frage kann ich auch anders stellen: Wo kommen wir Menschen hin, wenn wir nur auf unser gutes Recht bestehen und trotzdem die meisten auf dieser Welt zu kurz kommen? Wo kommen wir hin, wenn die Schubladen gut und böse, Freund und Feind gut sortiert und fest geschlossen bleiben? Wo kommen wir hin, wenn wir Menschen Gewalt gegen Gewalt setzen?
Ich bin überzeugt: Menschen, die an Gottes Liebe glauben, lässt diese Liebe nicht kalt. Die eifern dem nach, wollen zeigen, dass sie zu diesem Gott gehören, seines Geistes Kinder sind. Die lassen sich vom Unzumutbaren irritieren. Die lassen sich zum Unzumutbaren provozieren. Und ob es dann letzten Endes wirklich so unvernünftig ist?
Einfach ist es nicht, einmal nicht vom Gegebenen auszugehen, die eigenen Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Doch bei näherem Hinsehen denke ich: Genau das brauchen wir! Amen.
Link zur Online-Bibel
Jesus und die „Urabsicht Gottes“ - Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Kathrin Nothacker
Jesus und die „Urabsicht Gottes“
Liebe Gemeinde,
die bedrängenden Fragen unserer Zeit haben wir heute morgen nicht zuhause gelassen. Die Bilder der in unser Land strömenden Flüchtlinge haben sich in unseren Köpfen eingebrannt. Und die Ratlosigkeit der Politik, wie mit diesem Problem umzugehen sei, wird uns jeden Tag neu vor Augen geführt. Wir wissen nicht, wie es weitergeht und wir fragen uns, wie unsere Gesellschaft diese vielen Menschen integrieren kann und uns ist bange, ob die Aufnahmebereitschaft sich nicht bald in Ratlosigkeit und Hilflosigkeit wandelt und hinüber kippt in offene Feindschaft.
Wir suchen nach Orientierung und hoffen heute morgen vielleicht auf ein Wort, das uns weiterhilft.
Es sind Worte aus der Bergpredigt, auf die wir heute in unseren Kirchen und Gottesdiensten treffen. Markante und bekannte Worte Jesu von der Feindesliebe.
(Mt 05, 38-48)
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um
Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt
dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe
schlägt, dem biete die andere auch dar.
Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock
nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand
nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem,
der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas
von dir borgen will.
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten
lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt
eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr
Kinder seid eures Vaters im Himmel.
Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und
lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn
haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr
nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?
Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr
vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Markante und bekannte Worte. Und irgendwie so fern von allen Regeln dieser Welt, dass einem auch gleich das Wort eines ehemaligen Bundeskanzlers einfällt, dass mit der Bergpredigt keine Politik zu machen sei. Wie sollte uns diese radikale Friedensethik denn auch weiterhelfen bei all den Problemen dieser Welt: In Syrien wird seit Jahren Krieg geführt, mittlerweile weiß niemand mehr, wofür oder wogegen. Es ist einfach nur noch ein brutaler Vernichtungsfeldzug gegen Menschen – meist gegen die, die sich nicht wehren können und dieser Maschinerie, selbst wenn sie es wollten, nichts entgegen setzen können.
Nur fliehen können sie, das Weite suchen, sich und ihre Kinder irgendwie in Sicherheit bringen. Und auf der Flucht werden sie wieder bedroht, ausgenutzt, ausgebeutet und gedemütigt. Das vermeintlich sichere Europa empfängt sie mit Zäunen und geplanten Internierungslagern.
Ich versuche, mich in diese Menschen hinein zu versetzen. Und stoße mit den Worten Jesu an Grenzen. Schon geschlagen und gedemütigt soll ich mich nicht widersetzen, sondern geduldig die Schläge ertragen. Schon fast bis aufs letzte Hemd ausgezogen, soll ich auch noch auf das allerletzte verzichten, was mir geblieben ist – bei vielen der Flüchtlingen ist es vielleicht das Handy mit den Bildern der Zurückgebliebenen und der letzten Möglichkeit mit ihnen in Kontakt zu treten.
Wie geht es diesen Menschen, die das hören: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen? Ist in diesen Worten auch nur ein Hauch von Realität? Und wer könnte das schaffen?
Liebe Gemeinde, diese Worte sind eine Zumutung. Und nur mühsam gelingt es, sie an sich heranzulassen und das unbedingte Liebesgebot freizulegen.
Versuchen wir uns ein wenig dem Text zu nähern. Vielleicht wird dann das allzu Bekannte ein wenig fremd und hilft uns beim Nachdenken und Weiterdenken. Über lange Zeit wurde die Bergpredigt so verstanden, als würde Jesus etwas völlig Neues lehren, etwas das sich radikal abgrenzt von den Überlieferungen der Hebräischen Bibel. Etwas ganz und gar Neues, das das Alte ersetze. Dem ist nicht so. Denn Jesus setzt mit seinem „Ich aber sage euch“ das Alte nur richtig in Kraft, er bestätigt es, ja, er radikalisiert und verschärft es. Deshalb ist es auch nicht richtig, von Antithesen zu sprechen, vielmehr muss man sagen, es handelt sich um „Superthesen“ – so hat sie jedenfalls der jüdische Religionswissenschaftlicher Pinchas Lapide genannt. Denn alles Überlieferte ist gutes Gebot Gottes und soll den Menschen helfen, miteinander in Frieden zu leben.
So ist das biblische Prinzip des „Auge und Auge, Zahn um Zahn“ nicht etwas, das der Rachsucht Raum gibt. Sondern genau das Gegenteil ist damit gemeint. Das rechte Maßhalten. Die Verhältnismäßigkeit soll gewahrt werden. Aus einem Streit zwischen den Volksgruppen soll sich kein Krieg entwickeln. Die Gewalt soll nicht eskalieren, sondern soll eingedämmt werden. Das hat viel mit einer vernünftigen Sicht auf den Menschen und auf die Realitäten dieser Welt zu tun. Das „Auge um Auge“ sagt nichts anderes, als dass Gewalt nicht zur Katastrophe werden und zum Untergang führen darf.
Und was Jesus dann „draufsetzt“, ist tatsächlich schwer zu verstehen. Seine „Superthesen“ rufen mehr Fragen als Antworten hervor. Denn was sollte mich veranlassen, dem, der mich auf die rechte Backe schlägt, auch die linke hinzuhalten? Und warum sollte ich jemanden, der mich ausbeutet oder schon ausgebeutet hat auch noch etwas freiwillig dazu geben?
Jesus radikalisiert und provoziert. Und gibt erst einmal gar keine klaren Handlungsanweisungen; denn wie sollte das funktionieren, was er verlangt?
„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ – so hat es einmal der englische Philosoph Thomas Hobbes gesagt. Man frisst sich gegenseitig auf, wenn nicht irgendein vernünftiges Gesetz eine Grenze setzt – so wie eben das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.
Und doch: es gibt einen Traum von einer anderen Welt, einer besseren Welt, einer friedlichen Welt. In der jeder in seinem Haus, unter seinem Weinstock in Frieden wohnen kann. In der man seinen Garten bepflanzt und die Früchte, die darin reifen, essen darf. In der Menschen sich lieben dürfen und Kinder groß werden. In einer Stadt, in der Frieden und Gerechtigkeit wohnen und alle genug haben. Einer Welt, in der das Leid und das Leiden der Menschen ein Ende hat, in der die Tränen abgewischt und die Klagen verstummt sind. Eine Welt wie Gott sie für seine Kinder will.
Diese Vision nimmt Jesus auf. Diese Welt malt er den Menschen, die ihm zuhören und Orientierung für ihr Leben suchen, vor Augen. Um uns herum tobt eine Welt, die von Krieg und Tyrannei, von Hass und Elend gezeichnet ist. Aber wir wollen eine andere Welt. Wir wissen, dass Gott uns eine andere Welt bereit hält. Und dazu brauchen wir die prophetischen Worte Jesu. Und sie sollen uns in Herz fallen, nicht dass wir sie sofort umsetzen und zu Handlungsmaximen machen. Aber dass sie in uns den Traum wach halten von einer besseren einer friedvollen Welt, in der Feinde zu Freunden werden.
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat einmal, mit alten biblischen Bildern über Jesus sprechend, gesagt: „Der Sinai genügt ihm nicht. Er will in die Wolke über dem Berg, aus der die Stimme schallt, in die Urabsicht Gottes will er dringen..., um die Tora zu erfüllen, das heißt, ihre Fülle anrufen und wirklich machen.“
In die „Urabsicht Gottes“ will er dringen. Das vorstellbar machen, was Gott für seine Welt will.
Wenn wir heute aus den Worten der Bergpredigt etwas mitnehmen wollen, dann vielleicht dies: Die Bergpredigt ist nicht vernünftig, folgt nicht den Regeln der menschlichen Vernunft. Sie übersteigt das Vorstellbare und wahrscheinlich für die meisten Menschen auch das Lebbare. Und dennoch hat sie Kraft. Und sie gibt Kraft den Menschen, die Jesus nachfolgen wollen und immer wieder darum ringen, wie sie das können.
Die Bergpredigt und ganz besonders die Worte von der radikalen Feindesliebe; sie haben einen Ankerpunkt – und das ist das Leben und Sterben Jesu selbst. An ihm sehen wir, dass er mit seiner bedingungslosen Hingabe an die Welt und ihre Realitäten die Urabsicht Gottes für uns Menschen zur Vollendung gebracht hat.
Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Gut, dass einer vollkommen ist. Gut, dass sein Bild uns vor Augen ist, wenn wir die kleinen Schritte tun und uns für den Frieden in unseren Herzen, unseren Häusern und unserer Welt einsetzen. Nur das macht Hoffnung und lässt uns nicht verzagen.
Amen.
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Andreas Pawlas
Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will. Ihr habt gehört, dass gesagt ist (3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Liebe Gemeinde!
Nun haben wir gerade so schön gesungen und sind still und andächtig zum Gebet geworden, und das hat unserer Seele gut getan. Da kann wirklich noch gut etwas davon nachklingen, was da in diesem Bibelwort für diesen Sonntag von einer Vollkommenheit gesagt ist, in der sich die Vollkommenheit unseres Vaters im Himmel irgendwie spiegelt.
Trotzdem will uns dieses Bibelwort mit einem Male aus dieser Beschaulichkeit herausreissen und in eine ganz andere Welt hinein nehmen. Denn da ist von so hässlichen Dingen wie Schlagen und Hassen, und von Feinden und vom Bösen die Rede. Aber eigentlich kann das doch alles nichts mit uns zu tun haben. Denn wir wollen doch wirklich immer nur freundlich und umgänglich sein.
Oder reichen solche guten Vorsätze nicht für uns und die ganze christliche Gemeinde? Und warum soll das nun nicht reichen? Weil faktisch unser Leben doch nicht immer Friede, Freude Eierkuchen ist? Weil wir doch nicht in einem Wolkenkuckucksheim leben? Sondern weil wir als Christenmenschen doch mitten in dieser unvollkommenen und schmerzhaft fehlerhaften Welt leben? Und weil wir in diesem Gottesdienst nicht mit irgendwelchen rosaroten Phantasien zu tun haben wollen und sollen, sondern mit Gottes tatsächlichem Wirken in dieser Welt, so wie sie ist? Nein, deshalb dürfen wir unsere Augen und Ohren jetzt bei diesem Predigttext nicht verschließen. Und wie oft hören wir da einfach in dieser unserer Welt die Parole: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ - und wir als Christenmenschen erschauern.
Oder reicht das noch gar nicht, und unsere Welt ist vielleicht sogar noch schlimmer? Sie können sich das nicht vorstellen? Ich bitte Sie! Denn wie ist das allein auf den Schulhöfen in unserem Land? Wehe, da sollte einmal dem Schwächsten aus der Klasse das Missgeschick geschiehen, aus Versehen den Stärksten der Klasse anzurempeln! Was dann passiert? Nein, da kann kein Wort der Entschuldigung oder ähnliches helfen! Sondern da wird nicht nur wieder gerempelt, natürlich kräftiger als vorher, und dann gibt es noch eine Ohrfeige und einen Knuff dazu. So müssen es viele Kinder leider Gottes so oft erleben.
Aber bitte schauen wir doch nicht zu mitleidig nur auf unsere Kleinen. Denn ist es nicht unter uns Erwachsenen ziemlich ähnlich? Wenn der kleine Bodo mit seinem Auto den großen Max aus Versehen abdrängt oder nötigt, dann kann es schon passieren, dass der große Max den kleine Bodo aus Rache nicht nur genauso nötigt, sondern am besten sogar noch anhält und beschimpft oder gar schlägt. Und vor einiger Zeit soll hier in Schleswig-Holstein deshalb einer sogar erschossen worden sein. Ja, so etwas kann passieren, wenn einer dem anderen zufällig oder unbeabsichtigt in die Quere kommt.
Aber wehe denen, die das absichtlich tun, weil sie unsere Feinde sind. Ja, wir dürfen uns nichts vormachen. Es gibt Feinde auf dieser Welt. Lassen wir uns nicht täuschen durch liebe Willenserklärungen. Es gibt Feinde auf dieser Welt, unter Nachbarn oder in der Familie, in der Politik oder in der Wirtschaft, national und international. Und es ist ja gerade zur Zeit das Elend, dass so viele Flüchtlinge unsere Gastfreundschaft suchen müssen, weil ihre Feinde sie nicht leben lassen wollen.
Ja, so macht man das mit Feinden üblicherweise: man hasst sie, man sucht ihnen zu schaden, wo es nur geht, koste es, was es wolle. Da kann manchmal sogar das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, in einem gewissen Sinne ganz human sein.
Übrigens, weil das so ist in unserer Welt, deshalb ist es auch ganz selbstverständlich, dass man einen Freund, eine Freundin, einen Verbündeten liebt und sympathisch findet, ihm natürlich auch borgt, ihm hilft und ihn begleitet. Und den Feind, den hasst man eben und meidet ihn und stellt ihm Fallen innerhalb und außerhalb des Gerichtes. Ja, so selbstzerstörerisch ist das in dieser Welt und vielleicht sogar noch schlimmer.
Aber genau das weiß Jesus alles und das spricht er auch aus. Und damit wird auch eindeutig klar, dass das nach Gottes Willen nicht so sein soll. Denn Christen, die sollen ganz anders sein: Denn Christen, die sollen vollkommen sein. Christen sollen demjenigen, der sie auf die eine Wange geschlagen hat, auch noch die andere Wange darbieten. Christen sollen helfen, borgen, schützen. Sie sollen den Feind lieben. und bitten für die, die sie verfolgen, damit sie Kinder des Vaters im Himmel sind.
Aber da runzelt mancher schnell die Stirn. Denn wie sollte das denn gehen, hier, mitten in unserer Welt, wie wir sie uns gerade in ihrer Unfriedlichkeit vor Augen geführt haben? Und wenn es nicht geht, wie sollten wir dann Kinder des Vaters im Himmel sein? Und überhaupt, wie sollte denn da z.B. der Polizist, der Anwalt, der Soldat seinen Beruf ausüben können? Das kann doch alles so nicht richtig sein.
Aber jetzt bitte nichts verwechseln: Jesus gibt hier überhaupt keinen Ratschlag zur Ausübung öffentlicher Ämter. Der Polizist soll ja um Gottes willen zum Schutze aller dem Bösen widerstehen, genauso wie der Anwalt oder der Soldat. Nein, Jesus spricht uns hier ganz persönlich, ganz privat an. Mich und Dich, so wie wir uns hier und heute an diesem Sonntagmorgen zusammgefunden haben.
Aber einen Moment mal! Und da soll tatsächlich gelten, dass man die linke Wange darbietet, wenn man auf die rechte geschlagen worden ist? Und da soll tatsächlich gelten, dass man seine Feinde liebt? Noch einmal: Wie sollte das denn gehen? Oder ist das nur etwas, was bestenfalls Pastoren hoch oben von der Kanzel heruntersagen können, was aber nichts mehr mit unserem normalen Leben zu tun hat?
Halt, liebe Gemeinde, bitte jetzt nicht gleich abschalten. Denn wie wäre es, wenn der Schlag auf die rechte Backe, so wie es damals im alten Palästina üblich war, einen nicht niederstrecken sollte, sondern allein Verachtung und Erniedrigung ausdrücken sollte? Wenn uns so allein Verachtung und Erniedrigung auf eine bestimmte Weise entgegengebracht werden sollte, wie wäre das denn? Natürlich wäre das nicht schön und wir wünschen uns das nicht. Aber eine Frage ist jetzt ganz entscheidend: nämlich, könnte einen eigentlich eine solche Geste wirklich tief in der Seele treffen, wenn man seine Seele durch Christus ganz nahe bei Gott, ganz wohl umhüllt und beschützt durch seine Güte weiß? Wie sollte einen da die Verachtung eines Mitbürgers wirklich kränken können?
Ja, wir wissen, und es ist noch nicht so lange her, dass hier im Lande eine solche Kränkung der Ehre blutige Rache erforderte. Und in manchen Kulturen ist das auch heute noch so. Aber wer sich wirklich und ganz deutlich von Gottes gutem Geist erfüllt fühlt, warum, um Gottes willen, sollte der denn einen anderen wiederschlagen oder wiederhassen? Nein, das braucht er nicht. Er kann nach dem ersten Schrecken - und den können wir ihm wirklich zugestehen - er kann nach dem ersten Schrecken vollkommen gelassen sein. Er kann sogar Mitgefühl haben mit dem Anderen, den offenbar schlechte Gefühle so sehr übermannt hatten, dass er seine Fassung verlieren musste. Und ganz gewiss, ein solches Mitgefühl steht auf dem Weg zur Vollkommenheit.
Jetzt aber kommt eine bohrende Frage an unsere unvollkommene Alltagswirklichkeit: Fühlen wir uns tatsächlich eigentlich immer so sicher von Gottes gutem Geist geleitet und erfüllt? Fühlen wir uns denn immer von Christus täglich so geführt und bewahrt? Wie ist das, wenn sich unsereiner nur noch leer und ausgebrannt, zu kurz gekommen und traurig fühlt? Dann stimmt das doch alles nicht.
Diese Logik ist tatsächlich richtig und dennoch ist alles ganz anders. Denn in diesem Gotteswort redet zu uns eben kein unbarmherziger Gesetzgeber, der nur darauf lauert, dass wir Fehler machen, um uns dann gefälligst zu vergelten nach dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Sondern gerade weil er um unsere Fehler und Schwächen, um unsere Ängste und Traurigkeiten, um unsere Gefühlsschwankungen und Probleme weiß, deshalb hat sich doch der lebendige Sohn Gottes, Jesus Christus, für einen jeden von uns verbürgt, verbürgt durch seinen Tod am Kreuz, verbürgt zu neuem ewigen Leben für uns.
Gerade weil er uns an Leib und Seele genau kennt, will er bei uns sein, will er, dass wir ihn bitten. Er will, dass wir unsere Not, Schuld und Unvollkommenheit ihm klagen und er, er will tatsächlich alles zum Guten wenden, durch alles Leben und Sterben hindurch. Wir müssen uns nur endlich darauf verlassen. Er will und kann uns Kraft schenken, dass wir wieder lieben können, so wie wir von ihm geliebt sind. Wir müssen ihm das nur endlich zutrauen.
Und gerade wenn wir Christus eben noch um solche Gewissheit und um solches Zutrauen bitten, dann könnte bereits etwas mit uns und tief in unserem Herzen geschehen. Dann könnte bereits in dieser tiefen Sehnsucht eine Ahnung davon wachsen, wie Gottes Liebe und Kraft unsere ganze Seele ergreifen will. Und wenn sich dann so unsere Seele durch Gottes Liebe und Kraft zu weiten beginnt, und wir wieder froh und frei durchatmen können, wie belanglos wird dann mit einem Male die Frage, ob wir unsere Feinde lieben können oder nicht.
Denn natürlich können wir dann doch ganz von selbst auch in unserem Feinde ein geliebtes Kind Gottes entdecken mit seinen Schwächen und Ängsten. Und warum sollten wir also dann nicht unseren Feind lieben können? Warum sollten wir also dann nicht von Herzen großzügig sein können und borgen und helfen, so wie es eben nötig ist? Wenn wir merken, wie uns Gottes Liebe und Kraft anrührt, warum sollten wir dann nicht alle Menschen und alle Kreatur mit einschließen in den Dank, der allein Gott gebührt und den wir an seine Geschöpfe weitergeben dürfen? Ja, was für ein erfülltes Leben ist es, sich derart vom Vertrauen auf Gottes Liebe tragen und führen zu lassen jetzt und bis in Ewigkeit. Amen.
Link zur Online-Bibel
KONFI-IMPULS zu Matthäus 5,38-48 von Ulrich Erhardt
Konfi-Impuls zu Matthäus 5,38-48
Der Text und die Konfis
Dieser Abschnitt gehört zu den bekanntesten Texten der Bibel und zugleich zu den – nicht nur von Konfirmandinnen und Konfirmanden – am meisten missverstandenen. Es geht nicht – wie beim ersten Lesen Jugendliche vermuten – darum, sich alles gefallen zu lassen, sondern um die Großzügigkeit, auf sein Recht zu verzichten und damit den Gegner zum Umdenken zu bringen (vgl. Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium, S. 146). Um es mit Rabbi Chama ben Chanina zu sagen: „Wer ist ein Held? … Wer die Feinde zu Liebenden macht“ (zitiert nach: Fiedler, S.153).
Im Unterrichtsgespräch sollte dieser Hintergrund des Textes ausgeleuchtet werden. Wie gelingt es, sich so zu wehren, dass Gewalt nicht eskaliert, sondern Verständigung erreicht wird? Jugendliche kennen vermutlich aus dem schulischen Kontext solche Beispiele – nicht nur die großen von Mahatma Gandhi oder Martin Luther King, sondern auch Streitschlichter-Modelle oder das Projekt „Schritte gegen Tritte“ (http://www.schuelerarbeit.de/arbeitsfelder/schritte-gegen-tritte oder http://www.schrittegegentritte.de ).
Zur Umsetzung im Gottesdienst
„Ich hasse dich“ sagen Jugendliche relativ schnell, ohne das in allen Konsequenzen zu bedenken. Man sammelt im Konfirmandenunterricht, welche Menschen für die Jugendlichen solche „Hassobjekte“ sind. Im Gespräch muss dann herausgearbeitet werden, dass das Umdenken dort beginnt, wo ich im anderen nicht mehr das „Objekt“ meines Hasses sehe, sondern einen Menschen mit seinen Bedürfnissen. Dazu liest man gemeinsam die Verse 44 und 45: Was bedeutet das, dass Gott allen ihre Lebensgrundlagen schenkt?
Für den Gottesdienst werden dann die „Hassobjekte“ durch Karikaturen dargestellt (entweder gibt es graphisch begabte Konfis bzw. Mitarbeitende oder man wird im Internet fündig) und mein „Hass“ beschrieben. Danach liest jemand die beiden Verse der Perikope vor und für jedes Bild wird anschließend beschrieben, wie es sich verändert, wenn das Objekt als ein von Gott geliebtes Geschöpf wahrgenommen wird. Bei Menschen, die gehasst werden, weil sie Gewalt anwenden, sollte dargestellt werden, wie man zur Deeskalation beitragen kann (beispielweise durch die oben genannten Projekte). Um Missverständnisse zu vermeiden, muss in der Predigt allerdings darauf hingewiesen werden, dass Gefühle wie Hass, Wut und Aggression per se nichts Negatives sind, die nur verdrängt werden sollen. Es sind vielmehr Gefühle, die ich mir bewusst machen muss, um wirklich damit umgehen zu können.
Link zur Online-Bibel
27.09.2015, Meldorf: "Ernte gut – alles gut?"
Hier in Dithmarschen leben viele Bauernfamilien. Wenn ich sie besuche, lassen sie mich an ihrem Leben teilhaben. Besonders was Sie, liebe Landfrauen, mir erzählt haben, gab mir die Idee, Sie mit Luise bekannt zu machen:
Der Kohl war reif, und Luise saß auf ihrer Bank mit dem Blick übers Feld.
Da kam Hannah vorbei gehüpft. Sie war fünf. Ihre Eltern hatten vor kurzem den Resthof nebenan gekauft. Mit einer großen Vision: Sie wollten eine Marmeladenmanufaktur aufmachen. Nach langen Jahren in der Großstadt jetzt endlich wunderbar authentisch leben.
Luises Hände kneteten die Kittelschürze. Der Kohl war reif, und sie sollte nicht mehr. Du hast genug gearbeitet, hieß es. Aber ihre Hände vertrugen keinen Müßiggang. Durchwittert und lebendig waren sie. Kräftig und faltig. Hannahs kleine Finger erkundeten vorsichtig die Schwielen. Hannah fand Luises Hände schön.
Mit 22 hatte es Luise nach Dithmarschen verschlagen. Aus dem Land der dunklen Wälder. Hinter die Deiche. Seither war sie hier. Jahr ein, Jahr aus helfen, Setzlinge zu pflanzen. Furchen ziehen. Kohl hacken. Kohl schichten. Weißkohl. Rotkohl. Alle Sorten. Acker um Acker. Hektar nach Hektar. Ihre Hände wirkten, als ob sie ganz Dithmarschen umgegraben hätten. Inzwischen gab es Fabrik große Maschinen dafür. Ob man die noch Traktoren nennen konnte? Ihre Hände jedenfalls wurden nicht mehr gebraucht.
Hannahs Füße steckten in Gummistiefeln. Im Spätsommer! Dabei regnete es nicht einmal.
Ob dieses Kind wohl schon mal Marschboden zwischen seinen Zehen gespürt hatte?
Ganz in Gedanken hing Hannah über einer Pfütze. Staute Wasser. Knetete Klumpen. Blies erdigen Staub darüber. Sie schöpfte und schuf sich eine kleine Welt aus der Erde vor Luises Haus. Was für ein besonderes Kinderglück war das heutzutage. Wie bei mir früher, erinnerte Luise. Sie fand Hannahs kleine, erd geschwärzte Hände schön. So unverfälscht und ursprünglich. Erdenlust pur.
„Hannah!“ „Alles okay, Mama. Hannahs Mutter kam um die Ecke geschossen. „Du darfst hier nicht spielen.“ Die junge Frau bebte. War mitten in Hannas Erdklumpen-Buddelmatsch-Reich getrampelt.
„Wie du wieder aussiehst! Wie soll ich denn jetzt diesen Dreck wieder von deinen Händen runter bekommen?!“ Hannahs und Luises Blicke verbündeten sich. Hannah wurde ins Haus gezerrt. Luise vergrub ihre Hände in den Taschen und versuchte sich zu entsinnen, ob ihre Mutter jemals das Wort ‚Dreck’ in den Mund genommen hatte.
Dreck. Wie geringschätzig das klang. Als ob Erde ohne Wert sei. Wenig nützlich. Dieser biologische Kleinstkosmos. Zwanzig Zentimeter tief. Aus Nährstoffen und Mikroorganismen.
Das sind genau die zwanzig Zentimeter, von denen du und ich satt werden, Madam! So, so. Ich habe also mein Leben lang in Dreck gewühlt. Luises Lippen wurden ganz schmal.
Ob ihr Nachbar, Dithmarscher Landwirt in sechster Generation, wohl auch der Meinung war, er verdiene sein Brot mit Dreckarbeit?
Warum denkt so mancher nur, wer in der Landwirtschaft arbeite, sei der Depp mit der Hacke in der Hand. Warum begriffen viele nicht, dass es inzwischen ein diplomierter Agrarwissenschaftler war, der mit moderner Landtechnik einen Kohlhof oder andernorts einen Obsthof, eine Milchwirtschaft oder ein Weingut bewirtschaftete, der sich über Schädlingsbekämpfung, Fruchtfolgen und Futtermittel Gedanken machte, machen musste, damit die Äcker, die Bäume, die Weiden auch weiterhin trugen. Wahrscheinlich passte das nicht ins Bild. Es störte offenbar die Bauernromantik, war wohl für so manchen wie eine vierspurige Autobahn quer durch den persönlichen Heimatfilm.
Luise wusste, wer ertragreich ernten wollte, war abhängig. Von der Beschaffenheit des Bodens. Von der Qualität der Saat. Zu viel Regen war genauso schädlich wie zu wenig wie diesen Sommer. Erde, Wasser, Luft. Hieraus wuchs alles, was den Menschen ernährt.
Heute nicht anders als gestern, vorgestern und vorvorgestern.
Aber Luise sah mit großem Stirnrunzeln, dass die Sinnkrisen des Ackerbauern nebenan und der übrigen Landwirte heutzutage von ganz anderer Natur waren. Wer von der Land- oder Viehwirtschaft leben wollte, war eingezwängt zwischen Normanforderungen und Abnahmequoten, zwischen tariflichen Arbeitszeiten und Mindestlöhnen für Erntehelfer. Brauchte große Maschinen, um die riesengroßen Ackerflächen zu bearbeiten. Brauchte die Banken, um die Maschinen zu finanzieren. Brauchte zigtausend Hektar um zig Tonnen Kohl Jahr für Jahr zu ernten, um die Jahre lang laufenden Kredite abzubezahlen. Wer sich diesem Kreislauf stellte, kam mit der Hacke in der Hand nicht mehr weit.
Was würde aus denen, die nach ihr kamen? Wer wollte sie ernähren? Es schien Luise wie ein Fluch. Leute wie Hannahs Mutter wollten unbedingt zurück zur Natur, aber wie in ein Freilichtmuseum. War ihnen bewusst, was Werden und Vergehen bedeutete?
Ihr Landwirtsnachbar musste bis spät in die Nacht rechnen und war kaum noch fähig von seinen Erträgen zu leben. Seine Möhren mussten nach einem wunderbaren Sommer auf dem Acker bleiben, weil sie zu gut gewachsen waren.
Zu groß für die Weiterverarbeitung der Nahrungsmittelindustrie. Kein Absatz möglich. Selbst Verschenken war noch zu teuer. Unterpflügen war das günstigste Minus. Welch ein Hohn. Welch eine Schmach angesichts Hungernder überall auf der Welt. Luise wusste, dass es den Nachbarn innerlich umtrieb.
Wohin sollte dieser Wahnsinn zwischen fröhlicher Landpartie und Überökonomisierung bloß führen? Wovon würde sich Hannah eines Tages ernähren müssen, wenn sie erwachsen war? Von Synthetiknahrung ?
Luise mit ihren über achtzig Jahren dachte an Hannahs Schöpferhände und ihr fiel ein, was ihre Großmutter abends beim Zubettgehen oft vorgelesen hatte:
Lesung Susanne Thießen
Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.
Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
Genesis 2, 4b.7.15 in der
Übersetzung von Martin Luther
in der revidierten Fassung von 1984,
© Dt. Bibelgesellschaft Stuttgart 1985
Pastorin Ina Brinkmann
Auch auf Platt hatte ihr die Großmutter diese Geschichte vorgelesen: Denn so klang sie noch viel wundersamer:
Lesung Susanne Thießen
Eendaags möök Gott, de Herr, Eerd un Heben. Do möök Gott, de Herr, den Minschen ut Stoff vun dat Eerdriek he blaas em lebennigen Aten in sien Nääs. Un so warr de Minsch en lebennig Wesen. Do nehm Gott, de Herr, den Minschen un bröch em nah den Gaarn Eden, den schull he bearbeiden un bewahren.
Dat Ole Testament,
översett ut den Uurtext vun Karl-Emil Schade,
rutgebe vun den Arbeidskrink
„Plattdüütsch in de Kark“ in Nordelbien,
3. Auflage 1996,
Wachholtz Verlag Neumünster 1995
Ja! dachte Luise und schaute auf ihre schwieligen Hände. Ut Stoff vun dat Eerdriek. Wir sind aus Erde gemacht. Aus diesem Stoff. Jeder. Ich auch. Und die Madam, Hannahs Mama, genauso wie mein Landwirtsnachbar. Wenn ich mal nicht mehr bin, dann bin ich immer noch da, nur anders. So.
Von Erde bist du genommen, zu Erde wirst du werden. So klang das neulich auf dem Friedhof, als das ganze Dorf Karl zu Grabe trug. Da hatte Luise diese Sätze traurig gefunden. Aber eigentlich waren sie doch tröstlich.
Denn wir sind nichts anderes als die Krume, die wir bebauen. Das verbindet uns mit allem, was wächst und gedeiht und auch wieder vergeht. Es verbindet uns mit denen vor uns und die nach uns kommen. Ob nun Landmensch oder Stadtmensch, wir alle gehören in den Kreislauf der Natur. Wir sind ein Teil von Gottes Schöpfung. Daraus entsteht, was wir wissen und wissen können.
Eine Handvoll Erde und der Atem Gottes. Welche Lust darin steckt. Und welche Verantwortung. Erschaffen. Schaffen. Forschen und Erfahren. Die kleine Hannah hatte auch solch eine Lust gehabt als ihre Hände das Buddelmatsch-Erden-Reich schufen. Sie war davon beseelt und baute und bewahrte, weil sie es liebte, womit sie umging.
In jedem von uns steckt doch ein bisschen der Geist Gottes.
Luise stand auf und sog die Luft tief in ihre alten Lungen. Ihr Blick ging weit über den Acker hinweg. Ihr war als ob die Weite der Zukunft sie streifte. Der Kohl war reif, und sie empfand just jetzt tiefe Liebe.
D A N K E. Aus tiefstem Herzen entfuhr es ihr.
Ob Hannah wohl schon Gottes Geschichte mit dem Erdreich kannte? Wenn wir uns hier auf meiner Bank treffen, erzähle ich sie ihr. Amen
Link zur Online-Bibel
Predigt in leichter Sprache zu Matthäus 15,21-28 von Frank Hiddemann
(Predigt in leichter Sprache)
Gott ist mit euch.
Er war immer mit uns.
Auch heute ist er da.
Was auch kommt,
er wird mit uns sein.
Amen.
Liebe Gemeinde,
ich erzähle heute eine Geschichte von Jesus.
Die wird euch überraschen.
Denn Jesu ist "hässig" in dieser Geschichte.
Das ist ein Wort aus der Schweiz.
Mein Freundin Cornelia hat es benutzt.
Ich saß in ihrem Gottesdienst.
Und ich staunte über diese Geschichte.
Ich hatte sie schon oft gehört.
Aber so hatte ich sie noch nicht verstanden.
Aber Cornelia hatte Recht.
Jesu war hässig.
Das heißt genervt.
...
Matthäus hat die Geschichte aufgeschrieben.
Ich lese sie euch vor.
...
Einmal war Jesus müde.
Jesus wollte alleine sein.
Darum ging Jesus in ein fremdes Land.
In dem fremden Land wussten die meisten Leute nicht,
dass Jesus von Gott kommt.
In dem fremden Land wohnte eine Frau.
Die Frau hatte eine kleine Tochter.
Die kleine Tochter war krank.
Die Frau ging zu Jesus.
Die Frau vertraute darauf,
dass Jesus der kleinen Tochter helfen kann.
Die Frau rief laut:
Ich weiß, dass Du von Gott kommst.
Bitte, mach meine kleine Tochter wieder gesund.
Meine kleine Tochter ist krank.
Zuerst kümmerte sich Jesus nicht um die Frau.
Da schrie die Frau immer lauter.
Die Jünger sagten zu Jesus:
Bitte, mach die kleine Tochter gesund.
Die Frau schreit fürchterlich.
Die Frau nervt.
Jesus sagte:
Gott hat mich zu den armen und kranken Menschen
in meinem Land geschickt.
Ich mache die Kranken in meinem Land gesund.
Diese Frau gehört zu einem fremden Land.
Die Frau sagte zu Jesus:
Bitte, hilf mir trotzdem.
Mach meine kleine Tochter gesund.
Jesus sagte:
Das ist nicht richtig, wenn ich deine kleine Tochter gesund mache.
Das ist so ähnlich wie bei einer Familie mit einem Hund.
Beim Essen sitzt die Familie am Tisch.
Die Familie isst das Essen vom Tisch.
Der Hund sitzt auf dem Boden.
Der Hund bekommt kein Essen vom Tisch.
Das ist nämlich nicht richtig, wenn der Hund am Tisch sitzt.
Und wenn der Hund das Essen von den Menschen bekommt.
Die Frau sagte zu Jesus:
Ja, das stimmt.
Aber manchmal fällt etwas vom Essen auf den Boden.
Dann hat der Hund auch etwas zum Fressen.
Jesus staunte über die Frau.
Jesus sagte:
Frau, du hast etwas sehr Gutes gesagt.
Du glaubst wirklich, dass ich von Gott komme.
Darum soll deine kleine Tochter gesund werden.
Von da an war die kleine Tochter von der Frau wieder gesund.
Mt 15, 21-28
...
Gott sieht einen Fehler ein.
Übertreiben wir nicht!
Jesus sieht einen Fehler ein.
Er sagte: Die Frau ist fremd.
Sie kann nicht zu Gott kommen.
Aber alle Menschen können zu Gott kommen.
Warum macht Jesus diesen Fehler?
...
Am Anfang war Gottes Liebe zu seinem Volk.
Gott liebte sein Volk.
Sein Volk liebte Gott.
Sie haben viel miteinander gemacht.
Einmal geriet sein Volk in Sklaverei.
Da rettete Gott sein Volk.
Er teilte ein Meer für sie.
Un sie konnten hindurch ziehen.
Er führte sie durch die Wüste.
Er ließ Brot für sie vom Himmel regnen.
Er gab ihnen ein Land.
Eine Zeit lang gab es nur Gott und das Volk.
...
Aber es gab auch andere Völker.
War Gott auch der Gott der anderen Völker?
Himmel und Erde hatte er gemacht.
Alles Leben hatte er geschaffen.
Und so sagte das Volk Israel:
"Eines Tages werden alle Völker zusammen kommen.
Und Gott wird ihr Gott sein.
Und alle Völker werden zu ihm gehören."
...
Aber Jesus war müde.
Alle Menschen kamen zu ihm.
Er wollte ihnen helfen.
Er wollte ihnen von Gott erzählen.
Aber eines Tages hatte er genug.
Er ging über die Grenze.
Er wollte allein sein.
Keiner kannte ihn hier.
Keiner störte ihn hier.
Das dachte er jedenfalls.
Aber dann kam diese Frau.
Sie schrie ihm nach.
Sie nannte ihn "Sohn Davids".
Sie wusste, dass er von Gott kam.
...
Sie hatte alles ausprobiert.
Ihre Tochter sollte gesund werden.
Keiner konnte helfen.
Sie hatte an ihrem Bett gesessen.
Ihre kleine Hand war ganz heiß.
Sie hatte Fieber.
Sie hatte Tücher in Wasser getaucht.
Damit kühlte sie die Stirn des Mädchens.
Sie hatte ihr Kräuter gegeben.
Sie hatte für sie gebetet.
Aber nichts hatte geholfen.
Da hatte sie von Jesus gehört.
...
Die Jünger schoben sie fort.
Aber sie fing an zu schreien.
"Lasst mich ihn sehen!"
Und schließlich sagten selbst die Jüner:
"Herr, mach ihre Tochter gesund!
Wir können das Geschrei nicht mehr hören."
...
Da drehte sich Jesus um.
Er sagte nicht:
"Du nervst mich!"
oder: "Ich bin müde!"
Sondern:
Gott hat mich zu den armen und kranken Menschen
in meinem Land geschickt.
Das stimmte.
Er wollte die Menschen aus dem Volk Israel zurück gewinnen.
Er kam zu dem Volk, das Gott liebte.
Er kam selbst aus diesem Volk.
Heute sollte er etwas lernen.
...
Die Frau gab keine Ruhe.
Sie liebte ihre Tochter.
Sie denkt:
"Jesus muss sie gesund machen!"
Sie hörte nicht auf zu bitten.
...
Da erzählte Jesus die Geschichte mit dem Hund.
Ich bin zu den Kindern Israel geschickt.
Ihnen bringe ich das Brot.
Und nicht den Hunden.
...
Alle sind etwas geschockt.
So redet Jesus sonst nicht.
Die Frau schluckt.
Dann sagt sie:
Die Kinder sitzen am Tisch und essen.
Und immer fällt etwas unter den Tisch.
Auch die Hunde essen von dem Brot.
...
Jesus ist verblüfft.
Er sagt: "Du hast Recht!
Das war eine schlaue Antwort!
Du glaubst wirklich,
dass ich von Gott komme.
Geh nach Hause!
Deine Tochter ist eben gesund geworden."
...
Ich mag Jesus so.
So ist er manchmal.
Er vertut sich.
Er wird zornig.
Er findet die falschen Worte.
Er ist nicht immer cool.
Hier ist er hässig.
So nannte es meine Feundin Cornelia.
...
Einen Moment lang ist er zu.
Keiner kommt durch.
Aber dann hört er die Frau.
Jesus denkt über ihre Worte nach.
Er freut sich.
Das war gut geantwortet.
Er dekt:
"Die Frau hat mich auf's Kreuz gelegt."
Sie hat Recht.
Er nickt.
Sofort ist der Kontakt da.
Er ist online.
Die Verbindung steht.
Und dann ist er wieder der Alte.
...
Manchmal muss man Jesus zu sich rufen.
Hätnäckig an der Tür klopfen.
Seinen Blick suchen.
...
Manchmal denken wir:
Er hört nicht.
Aber dann ist er plötzlich da.
Wir wollen schon aufgeben.
Dann passiert es.
Er hört.
Er sieht uns an.
...
Alle Menschen können zu Jesus kommen.
Sarah wurde heute getauft.
Sie ist jetzt sein Kind.
Wir alle sind getauft.
Wir gehören zu ihm.
Und Jesu kommt auch zu den Fremden.
In unserer Geschichte hat er die Grenze überschritten.
Er hat etwas gelernt.
Die Frau ist kein Hund.
Die Fremden sind keine Hunde.
Sie dringen zu ihm durch.
Jesus weiß:
Sie kommen zu mir.
Sie sind schlau.
Sie sind langsam.
Sie sind nett.
Sie sind nervig.
Egal.
Alle gehören zu mir.
...
Unsere Geschichte erzählt es.
Jesus hat es gelernt.
Alle Völker kommen zu Gott.
Menschen aller Völker kommen zu ihm.
Er freut sich.
Er nimmt sie alle auf.
Sie gehören zu ihm.
Amen.
...
Gottes Friede ist mit euch.
Er ist größer als wir.
Und alle finden in ihm Platz.
Amen.
Link zur Online-Bibel
Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Esther Kuhn-Luz
Liebe Gemeinde,
unser Predigttext steht im Matthäusevangelium im Kapitel 15, Verse 21—28.
Die kanaanäische Frau ist der Text überschrieben. (Lesung – nach Luther)
Eine seltsame Geschichte.
Jedes Mal, wenn ich mich mit ihr beschäftige, fällt es mir schwer, Jesus zu verstehen in seiner ablehnenden Haltung. Eine Geschichte mit so vielen Dimensionen – voller Fremdheiten.
Da ist eine Frau, sie ist wohl alleinerziehend. Ihre Tochter ist krank. Schwerkrank. Die Mutter muss schon vieles versucht haben, war bei Ärzten, Heilern. Nichts hat geholfen – sie ist verzweifelt.
„ Sie wird von einem bösen Geist geplagt.“ So benennt sie die Krankheit ihrer Tochter.
Diese Frau lebt in der Nähe von Tyrus und Sidon – dem heutigen Libanon. Ihr Name wird nicht genannt. Als kanaanäische Frau wird sie bezeichnet. Damit schwingt gleich ihre Zugehörigkeit zu einer anderen Religion mit – und eine Erinnerung an das Land Kanaan, als Israel nach der langen Wüstenwanderung ins Land Kanaan einwanderte und es viele Konflikte gab zwischen den Religionen. Die jüdischen Menschen brachten ihren Glauben mit an den einen Gott, der Himmel und Erde und alle Menschen geschaffen hat , dem sie ihre Freiheit, ihre Befreiung aus der Sklaverei verdankten – und der ihnen auch in dieser schweren Wüstenzeit Lebenswege gezeigt hatte. Im Land Kanaan dagegen gab es sehr viele Gottheiten, die bedient werden mussten, denen es um Fruchtbarkeit und Wachstum ging und um Reichtum und Macht. Ihnen musste viel geopfert werden. Lebenszeit und Geld.
Wenn Matthäus diese Frau als kanaanäische Frau einführt, dann hat er bei seinen Lesern damals einen Widerstand ausgelöst. Was will diese Frau, diese Vertreterin eines Volkes, die es damals dem jüdischen Volk so schwer gemacht hat?
Aber ist das ist unser Thema? Kanaan und Israel…. das ist schon lange her…. Wir lassen uns eher ansprechen von der Not einer Frau, die Angst um ihr Kind hat. Als Eltern miterleben zu müssen, dass das eigene Kind krank ist – unheilbar krank, die eigene Hilflosigkeit, Ohnmacht aus halten zu müssen – was können wir noch tun? Und ständig auf der Suche zu sein, ob es nicht doch noch eine Heilungsmöglichkeit gibt – auch wenn sie ganz außergewöhnlich ist.
Diese Frau sieht in Jesus eine letzte Chance. Auch wenn sie keine Jüdin ist. Sie muss von Jesus erfahren haben. „ Sohn Davids“ nennt sie ihn, sie erkennt an, dass er von Gott gesandt ist, von Gott begabt mit großer Kraft. Sie ist sehr verzweifelt – als sie Jesus sieht und erkennt schreit sie mit aller Verzweiflung, weil sie es nicht mehr aushalten kann, dass ihre Tochter so leiden muss und niemand ihr helfen kann. „ Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“
Und dann beschreibt sie ihre Verzweiflung. Ihre Tochter muss so sehr leiden, sie wird von einem bösen Geist geplagt. Was das bedeutet? Eine psychische Erkrankung? Eine Epilepsie? Das wird nicht ausgeführt. Das spielt auch keine Rolle – für eine Mutter und auch ein Vater ist es immer schrecklich, das eigene Kind leiden zu sehen und selber nicht helfen zu können. Jesus hört das verzweifelt Schreien der Frau. „ Und er antwortete ihr….“ Und wir können uns aus anderen Geschichten die Antworten vorstellen: Was willst du, das ich dir tun soll? Oder: Bring sie her, ich will sie heilen. Oder irgendetwas in dieser Richtung.
Aber es heißt hier: „ Und er antwortete ihr- kein Wort.“ Kein Wort.
Das schmerzt mich richtig beim Lesen. Wieso verweigert sich Jesus? Wie kann das sein, dass ihn das Leid dieser Frau nicht anrührt? Warum reagiert er gar nicht? Er sagt kein Wort! Dieses Verstummen und Schweigen angesichts der Not dieser Frau - kaum aus zu halten! Es ist schon sonst schwer, Menschen zu erleben, die so dicht machen, die den Schmerz , die Not von anderen so garnicht an sich ran lassen nach dem Motto: „ Was geht mich das an?“.
Aber Jesus! Jesus ist doch als Sohn Gottes derjenige, der in seinen Worten, in seinem Handeln die Liebe Gottes vergegenwärtigt. Die heilende Nähe Gottes wird doch so oft spürbar, wenn Jesus mit Menschen spricht.
Und hier? Er verweigert ihr zunächst sogar das Gespräch.
Warum? Dieses Verhalten von Jesus kratzt an unseren Jesusbildern. Und es gibt verschiedene Versuche, das Verhalten von Jesus zu entschuldigen – um unser Jesusbild des zugewandten heilenden Jesus zu bewahren.
Soll gezeigt werden, dass Jesus auch ganz Mensch war? Am Anfang der Geschichte heißt es : Jesus zog sich zurück. Und wir kennen das alle, dass es auch und gerade für sehr engagierte Menschen immer wieder Zeit braucht, um sich zurück zu ziehen, eine Auszeit zu haben. Auch für Jesus. Jesus zog sich zurück. Er ging weg aus Galiläa, über die Grenze von Israel in den Libanon, ins heidnische Land. Gut, wenn man sich zurück zieht, dann will man mal seine Ruhe haben, mal nicht angefragt, mal nicht gestört werden, mal seine Kräfte sammeln. Aber wenn ein Mensch mich anspricht mit seiner ganzen Verzweiflung und mich anspricht, weil sie von mir Hilfe erwartet – kann ich dann sagen: tut mir leid, ich bin gerade im Urlaub?
Diese menschliche Seite von Jesus hier an dieser Stelle angesichts des Schreiens der Frau das ist schwer aus zu halten.
Und wir können uns das auch nicht vorstellen, dass das der Grund für das ablehnende Verhalten von Jesus gewesen sein soll, der Grund, warum Matthäus uns diese Geschichte aufgeschrieben hat.
Die Freunde Jesu, seine Jünger – sie halten das auch kaum aus. Die Frau schreit in ihrer Verzweiflung weiter - und dieses verzweifelte Rufen bringt die Jünger dazu, ein zu greifen. „ Lass sie doch gehen, stell sie doch zufrieden, denn sie schreit uns nach.“ Es geht den Jüngern mehr um ihre Ruhe, nicht um die Frau. Sie selbst halten dieses verzweifelte Schreien nicht mehr aus.
Der kanaan. Frau verweigert Jesus das Gespräch. Mit seinen Jüngern redet Jesus.
Eine seltsame Situation, weil er über den Kopf der Frau hinweg redet. Jesus begründet sein Verhalten. „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt." Es beginnt eine theologische Diskussion, die ziemlich fehl am Platz erscheint. Kann man theologisch diskutieren, wenn es ganz konkret darum geht, einem Menschen in seiner Not zu helfen? Ist es richtig, erst mal über strukturelle Fragen zu reden? Aber – sagen andere – erleben wir das nicht gerade auch, dass man bei aller spontanen Hilfe aus dem Blick verliert, wie man die Hilfe gestalten kann ? Muss man nicht politisch klären, was man will in der Flüchtlingsfrage, bevor man alle Flüchtlinge aufnimmt?
„ Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“
Während wir uns gerade ein wenig Zeit genommen haben, uns Gedanken zu machen, ist die Frau in ihrer Verzweiflung direkt zu Jesus gelaufen. Sie wirft sich vor ihm nieder – da liegt sie vor ihm verzweifelt: „ Herr, hilf mir!“
Jetzt muss Jesus doch helfen! Wir machen das doch auch – die Not der Flüchtlinge, der Menschen, die zu uns aus zerstörten Häusern, aus traumatischen und gewaltvollen Situationen mit ihren verstörten Kindern zu uns geflohen sind – wir lassen uns doch auch anrühren und versuchen, zu helfen – und fragen uns, welche Aufgabe wir konkret haben. Und Jesus?
Jesus spricht jetzt wenigstens mit ihr. „ Tut mir leid, ich kann dir nicht helfen.“ Das wäre ein Satz, der zwar auch schwer aus zu halten wäre – aber trotzdem wäre da eine Beziehung, eine Begegnung geschehen. Es ist nicht immer möglich, so zu helfen, wie der oder die andere sich das wünscht. Aber zumindest zu signalisieren: ich sehe deine Not – es tut mir leid, ich kann trotzdem gerade nichts für dich tun.
Jesus sagt das aber so nicht. Er führt nun mit der Frau seine theologischen Gedanken weiter aus.
„ Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“
Was ist das denn jetzt für ein Bild? Jesus spricht von Kindern – und die Frau von ihrer Tochter. Und doch meinen beide so etwas Verschiedenes. Jesus nennt die Menschen aus Israel „ Kinder“ - und meint damit, sie sind „ Kinder Gottes“.
Ist denn das junge Mädchen und die Mutter, sind das nicht auch Kinder Gottes? Hat Gott nicht alle Menschen geschaffen? Ist nicht jeder Mensch nur wenig niedriger gemacht als Gott, wie es im Psalm 8 heißt? Wenn Gott in Jesus Mensch geworden ist – ist er das dann nicht für alle Mensch geworden, um die Menschlichkeit Gottes konkret spürbar werden zu lassen?
„ Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels.“
So deutlich wird das gleich von Anfang an im Matthäusevangelium gesagt:
"Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams", so beginnt es, und stellt die Generationen von Abraham bis Jesus dar – seine jüdische Verwurzelung, sein Auftrag für die Menschen in Israel. Soweit ist theologisch alles korrekt. Aber trotzdem jetzt liegt diese verzweifelte Mutter vor ihm und bittet ihn: „Herr, hilf mir!" Jetzt endlich redet er mit ihr – aber in unseren Ohren klingt das so demütigend. Es fällt das respektlose Wort von den Hunden: "Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde."
Alle Kinder dieser Welt brauchen Brot!!!, würde ich gerne einwerfen. Brot als die Grundlage, leben zu können!!! Und – hast du nicht bei der Speisung der 5000 ein paar Tage vorher alle satt gemacht?
Wir brauchen noch einmal einen andern Anlauf, um dieses ablehnende schroffe Verhalten von Jesus verstehen zu können.
„ Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“
Welchen Kindern wird denn das Brot weggenommen? Was ist denn damit gemeint? Spielt die Herkunft der Frau eine Rolle? Um diese Frage zu klären muss man einen Blick in die damalige Zeitgeschichte werfen. Biblisch gesehen haben die Städte Sidon und Tyrus traditionell einen schlechten Ruf. Jesaja, Joel und Sacharja fassen dieses schwierige Verhältnis in Worte. Der Hintergrund ist ein wirtschaftlicher Konflikt: Sidon und Tyrus gehören zu den reichsten Handelsstädten am Mittelmeer. Neben eigener Arbeit - in Tyrus wird Metall verarbeitet und Purpur gewonnen - ist es vor allem der Handel, der die Städte reich macht.
Galiläa, die Heimat Jesu und das Gebiet, in dem er sich vor allem aufgehalten hat, ist zur Zeit Jesu weitgehend verarmt und aus judäisch-jerusalemischer Sicht das Ende der Welt: "Was kann aus Nazareth, aus Galiläa, schon Gutes kommen?" (Johannes 1, 18). Besonders schlecht geht es der bäuerlichen Bevölkerung. Zwar sind sowohl Galiläa wie auch Sidon und Tyrus alle unter der Herrschaft des römischen Imperiums. Aber im direkten Vergleich stehen Sidon und Tyrus gut da.
Dazu kommt eine weitere wirtschaftliche Beziehung: Galiläa ist die Kornkammer für Sidon und Tyrus. Die Hafenstädte liegen im schmalen Küstenstreifen vor den Bergen des Libanon. Das umliegende Agrarland reicht für die Versorgung der Bevölkerung nicht aus. Deshalb beziehen die Bewohner ihre Lebensmittel aus Galiläa.
Anstatt dass also die landwirtschaftlichen Produkte Galiläas die eigene, hungerleidende Bevölkerung ernähren, exportiert die herrschende Schicht Galiläa die Nahrungsmittel in die Hafenstädte Sidon und Tyrus. Denn mit den Preisen, die Sidon und Tyrus bezahlen, kann die galiläische Landbevölkerung nicht Schritt halten; mit dem Geld aus Sidon und Tyrus lässt sich einfach mehr Gewinn machen.
Sidon und Tyrus stehen also auch innerhalb der römischen Kolonialherrschaft für die Ausbeutung Galiläas Hand in Hand mit der eigenen, galiläischen Herrscherschicht. - Wenn Jesus nun davon spricht, dass es "nicht recht ist, dass man den Kindern ihr Brot wegnimmt", dann solidarisiert er sich zunächst einmal auch mit der notleidenden galiläischen Landbevölkerung: Sie soll das Brot bekommen, und nicht die reiche tyrisch-sidonesische Stadtbevölkerung, die schon und auch jetzt wieder unter der Herrschaft Roms ihre Gewinne macht und die die kanaanäische Frau repräsentiert.
Eine spannende Sicht der Dinge. Ein wichtiger Beitrag. Aber spielt denn die Politik und Ökonomie eine Rolle, wenn doch jetzt die Frau einfach Hilfe sucht bei Jesus, Hilfe für ihre kranke Tochter?
„ Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde!“
Wie reagiert die kanaan. Frau auf die Worte von Jesus? Ist das nicht demütigend, so eine Zurückweisung zu erfahren? Wäre es nicht verständlich, wenn sie voller Enttäuschung resigniert? Es muss eine sehr kluge, weise Frau gewesen sein – lebensklug und herzensweise…. Sie kann es sich nicht leisten, jetzt aufzugeben. Sie ist nicht da, um für sich nach Anerkennung zu suchen. Sie will Hilfe für ihr Kind – und dass auf jeden Fall! Das gibt ihr Mut, weiter beharrlich zu bleiben!!! Sie will weiter kämpfen! Es muss einen Weg geben! Sie hat Jesus verstanden, versteht, dass er als Jude zu ihr als Heidin spricht aber sie lässt sich nicht abspeisen – sie bleibt beharrlich und jetzt schreit sie nicht mehr – jetzt argumentiert sie. „ Ja, Herr, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“
Sehr beindruckend, wie sie reagiert! Sie benutzt das Bild, das Jesus gebraucht und hält es ihm wie einen Spiegel vor. Als wollte sie sagen: Du denkst viel zu klein von Gott. Es fällt doch immer etwas ab, wo ER den Tisch deckt. Es reicht doch für alle.
Ja, Herr, aber doch… : ihr Glaube an den barmherzigen Gott ist groß, größer als die Ablehnung von Jesus. Ihre Hoffnung besteht darin, dass Gottes Liebe sich nicht von Grenzen abhalten lässt. Auch nicht von nationalen oder von religiösen Grenzen.
Es genügt nicht nur für die, die am Tisch sitzen. Auch die, die eigentlich nicht dazu gehören, können satt werden. „ Ja, Herr, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Jetzt endlich, jetzt reagiert Jesus. Er lässt sich ein auf die theologische Argumentation der Frau. Sie hat ihn in ihrem Gottvertrauen überzeugt. Und nun verändert sich auch sein Verhältnis, nun verändert sich die Begegnung zwischen beiden. Jesus spricht zu ihr – nun doch innerlich berührt: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst.“. Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.
Mit der Geschichte von dem beharrlichen Bitten der kanaan. Frau verändert sich etwas – auch im Selbstverständnis von Jesus. Jesus verändert seine Einstellung. Deutlich wird das daran, dass nach dieser Begegnung später in Galiläa noch einmal eine Speisung vieler Menschen statt finden wird. Die Speisung der Viertausend – nicht mehr die Speisung der 5000. Ein Teil der nach Gottes Wort Hungrigen ist nun außerhalb von Israel. Und bei dieser Speisung bleiben nicht – wie vorher – 12 Körbe übrig als Zeichen für die 12 Stämme Israels, sondern 7 Körbe – die Zahl für das umfassende Wirken Gottes in der ganzen Schöpfung. Und am Ende des Matthäus-Evangeliums sendet Jesus seine Jünger hinaus in die Welt: "Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie... und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe."
Diese Frau, die Mutter des Glaubens, wie Martin Luther sie später genannt hat, hat mit ihrer grenzenlosen Liebe zu ihrer Tochter und mit ihrer grenzenlosen Erwartung Gott gegenüber die Stärke ihrer Hoffnung gezeigt. Gebe Gott uns, dass unsere Hoffnung in Gott größer ist als unsere Ängstlichkeit, nicht genügen zu können, in unserer Ohnmacht nichts erreichen zu können. Lassen wir uns von dieser Mutter des Glaubens zeigen, wie wir uns ins Ringen mit Gott einlassen können – und wie wir fähig werden, in unserem Glauben und in unserer Hilfe für andere Menschen Grenzen überwinden zu können.
Amen
Literatur:
Predigt von Manfred Kock am 07. Oktober 2001 im Berliner Dom
Predigt von Andreas Pangritz am 20. September 1997 im Coligny-Kirchensaal der Französischen Kirche zu Berlin
Link zur Online-Bibel
Hunde sind dem Herrn ein Gräuel - ein Beitrag zur Debatte in Sachsen / Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Christoph Maier
Hunde sind dem Herrn ein Gräuel - ein Beitrag zur Debatte in Sachsen.[i]
Ja, die lieben Tiere. Sie müssen immer dann herhalten, wenn uns Menschen nichts mehr Besseres einfällt.
Da gibt es Gegenden, die sind durch nichts trefflicher zu beschreiben, als dass sich dort Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Es gibt kluge Füchse, listige Schlangen, arme Schweine und Nachteulen.
Die Tiernamen bringen es auf den Punkt. Tiernamen bringen Dinge zum Ausdruck, die darunter liegen, die mitschwingen und dann gar nicht mehr gesagt werden müssen. Wenn ich jemanden „zur Schnecke“ mache, ist das eben prägnanter gesagt, als wenn ich sage: „Durch meine überzeugende Argumentation musste sich mein Diskutant Stück für Stück zurückziehen, ja meine Wortgewalt war so groß, dass mein Mitdiskutant unter meinem Redeschwall gar nicht mehr sichtbar war und bestenfalls nur noch leer Worthülsen von sich gab.“
In unserem Predigttext begegnen uns heute Hunde und Schafe. Jesus nutzt die beiden Tiernamen, um etwas zu verdeutlichen, was aus biblischer Sicht hinter Hund und Schaf steckt. Dabei lernen wir von unseren Tieren gleich zu Beginn etwas ganz Wesentliches: „Es gibt im Grunde nur zwei Arten des Umganges mit der Bibel: Man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie ernst.“ (Pinchas Lapide)
Nehmen wir sie wörtlich dann lesen wir: Ein Schaf ist ein Schaf und ein Hund ist ein Hund.
Was ist für Sie in diesen Bezeichnungen hinterlegt?
Der Hund; der treuste Freund der Menschen. Ein knuddeliger Spielgefährte, gar nicht mal so selten der Ersatz für Kinder. Als Wachhund, Jagdhund oder Hofhund zudem extrem nützlich.
Haben sie schon mal mit einem Schaf gekuschelt? Wir schätzen zwar die Wolle, aber dieses fettige Gezottel, das auch noch sehr stark riecht, lassen wir uns dann doch lieber gewaschen und auf Knäulen gewickelt nach Hause liefern. Schafe haben einen extremen Herdentrieb, der bei unsereins eher verdächtig ist. Hirn ausschalten und den anderen folgen, ein Hirte eine Herde, das sind Parolen, die heutzutage nun wirklich nicht angebracht sind. Als Schaf würde ich mich nicht gerne bezeichnen lassen wollen.
Ein Schaf ist ein Schaf und ein Hund ist ein Hund. Steht doch so da, oder?
Nehmen wir die Bibel an dieser Stelle lieber ernst. Schnell müssen wir dann einsehen, dass es offensichtlich einen Unterschied gibt, zwischen dem was wir unter „Hund“ verstehen und dem, was Jesus hier sagen möchte. Wir können den Zeitgeist, der kulturell bedingt Begriffe füllt und wertet, nicht einfach außen vor lassen, wenn wir die Bibel ernst nehmen wollen. Denn offensichtlich ist die Bewertung unserer beiden Tiere ja genau umgekehrt, wie bei uns heute. Das Schaf ist positiv besetzt und der Hund negativ.
Jesus sieht sich selbst zu den verlorenen Schafen Israels gesandt. Da hören wir den Psalm 23 im Hintergrund, diesen großartigen Vertrauenspsalm. Nehmen wir das Schaf in der Bibel ernst, dann müssen wir wissen, dass eine Kleintierherde im alten Israel als Zeichen großen Reichtums galt. Wer Ziegen oder Schafe hatte, war ein gesegneter Mensch. Und in diesem Sinne gebraucht die Bibel die Beziehung zwischen Hirte und Herde, zwischen verlorenem Schaf und führsorglichem Gott ganz häufig als positives Bildpaar, und meint damit etwas, das sehr wertvoll ist.
Ganz anders die Hunde. Wir sollten wahrscheinlich lieber mit „Köter“ übersetzen, um das ernst zu nehmen, was die Bibel hier meint. Der Hund gilt der Bibel als unreines und wertloses Tier. Wen die „Hunde fressen“, der wurde aufs Elendste gedemütigt (1.Kön 21,19; 22,38; 2.Kön 9,36).
Jesus benutzt also diese beiden Tiernamen, um dieser lästigen Person, dieser kanaanäischen Frau, die ihm und seinen Jüngern nun schon seit einiger Zeit mit ihrem Gepläge (Geschrei) auf die Nerven geht, ganz deutlich zu machen, was sein Auftrag ist und was er von ihr hält:
Eine Frau, zumal eine Frau, die den Hunden zuzuordnen ist, die ist eigentlich noch nicht einmal einer Antwort würdig. Und hätten die Jünger nicht noch einmal nachgefragt, es wäre wahrscheinlich auch dabei geblieben: „Und er antwortete ihr kein Wort.“ (V 23)
Schließlich kennt Jesus seine Bibel und da steht es nun mal schwarz auf weiß: Hunde sind dem Herrn ein Gräuel. Nicht einmal das Geld von einem verkauften Straßenköter war rein, so verhasst waren dem HERRN die Hunde. „Du sollst keinen Hurenlohn noch Hundegeld in das Haus des HERRN, deines Gottes, bringen aus irgendeinem Gelübde; denn das ist dem HERRN, deinem Gott, beides ein Gräuel. (5. Mose 23,19)
Also, um das noch einmal klarzustellen: Jesus ist nur für die verlorenen Schafe da!
Wäre da nicht diese unglaublich ABERgläubische Frau, die Geschichte hätte ein ordentliches Ende gefunden.
ABER –immer wieder dieses ABER:
„ABER, Kyrie eleison! Herr, hilf mir doch!
„ABER, ich habe es doch gerade gesagt. Es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot wegnimmt und es an die Hunde verfüttert“
„ABER trotzdem essen die Hundchen von dem, was ihnen die Herren zuteilen. Kyrie eleison“
Der Evangelist Matthäus, der diese Episode erzählt, versteht es meisterhaft, das in den Vordergrund zu stellen, auf was es ankommt. 5x benutzt er in diesem kurzen Dialog, das Wort „Aber“, wie im Pingpong Spiel fliegen die Entgegnungen hin und her – die deutsche Sprache ist zu sperrig, um das angemessen wieder zu geben. So gesehen ist der Glaube dieser Frau tatsächlich ein ABER-Glaube. Ein ABER gegen die geltende Ordnung. Ein ABER gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Die kanaanäische Frau nimmt den Heil bringenden Christus für sich und ihre Nachkommen in Anspruch. Sie ist ABERgläubig. Erstaunlich gläubig, unbeirrbar, sie glaubt gegen manchen Widerstand.
Wie schon gesagt, die Geschichte hätte ein ganz ordentliches Ende haben können, wäre da nicht die ABER-witzige Frau gewesen.
Von einem „ordentlichen“ Ende kann allerdings nur dann geredet werden, wenn man den Kontext der damaligen Zeit im Blick hat. Ordentlich in dem Sinn, dass Volk bei Volk bleibt, dass klar bleibt, was sich gehört, nämlich dass Männer, zumal wenn sie etwas auf sich halten, nun mal nicht mit Frauen reden und dass Hunde dem Herrn ein Gräuel sind, dass alles seine Ordnung behält und Religion sich nicht im Zeitgeist der ewigen Vermischung der Völker und in der Auflösung aller Moral verliert, sondern klare Kante und klares Profil zeigen. So wie Jesus zu Anfang der Geschichte.
Hunde sind nun mal Hunde und Schafe sind Schafe, das geht nicht zusammen. Und das Brot der Kinder darf nun mal nicht vor die Hunde gehen. Ist das jetzt klar!
Damals war das Konsens. Wir Heutigen sind da ja eher entsetzt. Entsetzt darüber, dass Jesus dieser Frau nicht helfen will. Dass Jesus sich so radikal abgrenzt. Dass Jesus diese Frau so ausgrenzt. Wir kennen Jesus anders. Wir, das sind die „Kirchensäusler“, wir das sind die „gutbessermenschliche Toleranzbesoffene dauer-empörte Oberschönredner, anbiederungsdemütige Willkommes-Kreischer.“[ii] Wenn wir so weiter machen, dann gehen wir noch alle vor die Hunde!
Aber mit uns heutigen ist eben auch kein Staat mehr zu machen. Der Untergang des Abendlandes – ich weiß, die Sorgen und Nöte der Menschen, mann muss sie ernst nehmen. Da braucht es eben auch Leute, die klare Kante zeigen, die „für unsere Kultur und Werte, für den Schutz der Familie und für die Ächtung von Extremismus“ unter dem Banner von Schwarz, Rot, Gold „für die Schaffung einer souveränen Nation“[iii] auf die Straßen gehen.
Eine christliche Kultur befördert man so freilich nicht. Und die wirklichen Probleme löst man so übrigens auch nicht. Für offene Grenzen braucht es eine klare Identität. Die finden wir nicht im Nationalen, sondern in Christus. Jesus bleibt klar in seiner Sendung, Jesus bleibt klar in seiner Identität, und gerade so hat die Kraft, sich weit von dem zu entfernen, was Andere ängstlich festhalten müssten. So hat Jesus die Macht Grenzen zu überschreiten und schlicht weg, die Person zu sehen, die ihm gegenübersteht.
Diese ganze Geschichte ist eine einzige Grenzüberschreitung. Jesus im Gebiet um Tyrus. Das muss man sich mal auf der Karte anschauen. So weit weg von seinem normalen Wirkungskreis! Was will der da drüben? Was hat der da zu suchen?
Vielleicht will er Brosamen von den Brocken an die Hunde verteilen. Von den Brocken der Fülle Gottes, die Grenzen überwindet. Grenzen zwischen Kulturen und Ethnien, Grenzen zwischen Männer und Frauen, zwischen Althergebrachtem und Neuem. In der Fülle Gottes, in Christus, dem Brot des Lebens, sind Grenzen überwunden. Da sind nicht Hunde und Schafe, „nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Slave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau“ (Gal 3,28), hier ist nicht Homo noch Hetero und sei es dem HERRN noch so sehr ein Gräuel (3. Mose 3,20).
Jesus überschreitet Grenzen. Jesus geht nach Tyrus um von den Brocken zu verteilen an die, die dem HERRN ein Gräuel sind. Jesus verteilt etwas von den Brocken aus den Körben, die übrig geblieben waren. Die überreiche Fülle Gottes teilt er aus. Unsere Grenzüberschreitungsgeschichte ist eingerahmt von der wunderbaren Brotvermehrung. Zuerst die Speisung der 5000. 5000 Mann streiten für Israel. Für Israel 5 Bücher Mose und 5 Brote, 12 Stämme und 12 Körbe mit Brocken. Brocken, die übrig bleiben aus der wunderbaren Fülle Gottes. Brocken deren Brosamen genug wären für die Hunde.
Dann, nach unserem Predigttext, wieder eine Brotvermehrung. Jetzt die Speisung der 4000. Aus jeder Himmelsrichtung 1000. 7 Brote und 7 Körbe vollkommene Fülle übrig mit Brocken. Brocken für alle Welt, grenzenlos, und es wurden alle satt!
Statt eines Nachwortes.
Pinchas Lapide (jüdischer Religionsphilosoph) zitiert aus seinem Buch: „Ist die Bibel richtig übersetzt“:
„Es gibt im Grunde nur zwei Arten des Umganges mit der Bibel: man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie ernst. Beides zusammen verträgt sich nur schlecht.
Die Wörtlich-Nehmer, die das Motto »Es steht geschrieben« auf ihre Fahnen geschrieben haben, reduzieren die Schrift zum »papierenen Papst«, der auf eine leblose Dimension beschränkt bleibt. Die Ernst-Nehmer hingegen, die den Mut aufbringen, ihren Text zu hinterfragen, ihn kritisch zu erörtern, um zu seiner ursprünglichen Aussagekraft vorzustoßen, werden einen Hauch jenes Geistes erspüren, der zwar weht, wohin er will, aber stetig neu belebt, zu neuen Einsichten verhilft und eine Spur vom lebendigen, unverfügbaren und immer vorwärts treibenden Gott erahnen lässt.“
(Pinchas Lapide: “Ist die Bibel richtig übersetzt” 2. Auflage, Gütersloh 2008, S. 18)
Amen
[i] Die in der Predigt anklingende Themen, die aktuell in unser Kirchgemeinde diskutiert werden (Homosexualität und deutschnationale Bestrebungen), haben nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Zur Diskussion um die rechte Schriftauslegung vgl. die Debatte auf www.openpetition.de/petition/online/ja-zur-amtseinfuehrung-aber
[ii] Zitat aus einer E-Mail an den Verfasser, mit der zu einer „Offensive für Deutschland“ am 26.09.2015 in Leipzig eingeladen werden soll.
[iii] Zitat aus oben benannter Einladung zur Demonstration für ein „souveräne Nation“.
Link zur Online-Bibel
Mut zum Glauben! - Predigt zu Matthäus 15,21-28 von C. Bogislav Burandt
Mut zum Glauben!
Rückzugsgebiete, liebe Gemeinde, braucht jeder. Kein Mensch hält es aus, ständig zu arbeiten oder im Rampenlicht zu stehen. Pausen und die Möglichkeit, sich zurück zu ziehen, sind lebensnotwendig, damit Leib, Seele und Geist wieder aufatmen können. Am beliebtesten sind dabei das Meer und die Berge, zumindest wenn wir auf die Urlaubssaison zurückschauen. Die hohen Berge, die an den Himmel rühren, die Küsten, die ans Meer grenzen, sie üben ihren besonderen Reiz aus. Sie bieten „Grenzerfahrungen“, die uns gut tun.
Rückzugsgebiete braucht jeder. Auch Jesus von Nazareth. Wer genau in den Evangelien liest, wird dies beobachtet haben. Einmal steigt Jesus auf einen Berg, ein andermal geht er allein in die Wüste um zu beten, und noch ein anderes Mal bleibt er allein am Ufer des Sees Genezareth zurück. – Im Evangelium, das wir gehört haben, weicht Jesus mit seinen Jüngern in die Gegend von Tyros und Sidon aus: ein Rückzugsgebiet im Vergleich zu Galiläa, wo schon alle auf den Wanderprediger aus Nazareth aufmerksam geworden sind. Von dort her stammen ja auch alle seine Jünger. In der Gegend von Tyros und Sidon gibt es jüdische Dörfer, aber im Bewusstsein der Israeliten damals ist das Zonen-Randgebiet.
Der Tag ist entspannt und friedlich, aber plötzlich werden Jesus und die Seinen empfindlich gestört. Eine Frau beginnt zu schreien. Geradezu hysterisch. Schon auf den ersten Blick ist sie an ihrer Kleidung als Kanaanäerin zu erkennen und ihre harte Aussprache bestätigt voll und ganz: Das ist keine Jüdin! Die Frau ruft: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.
Durchaus bemerkenswert: Da im Zonenrand-Gebiet gibt es eine Heidin, die sich mit der Gebetssprache der Psalmen auskennt. Gedenke meiner nach deiner Barmherzigkeit, HERR, um deiner Güte willen, heißt es etwa in Psalm 25. So wie es die Frau hier tut, rufen die frommen Juden in ihren Gebeten zu Gott. Und dass diese Frau Jesus als „Sohn Davids“ bezeichnet, ist noch bemerkenswerter! Denn „Sohn Davids“, das ist der verheißene Messias und Erretter Israels. Diese wildfremde Frau traut also Jesus zu, dass er der kommende Erlöser ist! Sie traut ihm damit jene besondere Nähe zu Gott zu, die die meisten Israeliten in Galiläa gerade nicht mit Jesus in Verbindung bringen wollen!
Die Tochter der Frau wird von einem bösen Geist geplagt, von einem Dämon. Auch heutzutage bilden bestimmte Abhängigkeiten oder Suchtverflechtungen Teufelskreise aus... Über die Medizin der Antike sollten wir nicht zu gering denken. Aber die Wortwahl der Kanaanäerin macht deutlich: Normale Ärzte können bei der Tochter nicht weiterhelfen - für Dämonen sind sie nicht zuständig. Die Frau schreit das Leid der Tochter hinaus; Erbarmen mit der Mutter bedeutet Heilung für die Tochter.
Jesus ist im Urlaub; außerdem ist er nicht zuständig, darum schweigt er. Seinen Jüngern wird die Angelegenheit allerdings peinlich. Mit einer schreienden Frau auf den Fersen ist Entspannung unmöglich. Sie bitten Jesus die Frau wegzuschicken. Eine Begegnung mit ihr wird so unausweichlich. Jesus dreht sich also um und gibt eine ablehnende Antwort: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
Da an der Grenze des jüdischen Landes, da besinnt Jesus sich auf seine Sendung. Das ist die Chance eines Rückzugsgebietes: Klarheit darüber zu gewinnen, was der eigene Auftrag ist und was nicht.
Die Kanaanäerin lässt sich durch diese Grenzziehung nicht abhalten. Sie wirft sich Jesus zu Füßen mit dem Ruf: Herr, hilf mir! Durch ihr Verhalten zeigt die Frau, dass sie die Anrede an Jesus mit „Sohn Davids“ ernst meint. Denn wenn Jesus der verheißene Messias und Erlöser ist, dann gebührt ihm alle Verehrung, die sonst die Herrscher für sich einfordern. Zugleich ist der Hilferuf ein Zeichen für die Verzweiflung, die die Frau umtreibt.
Grenzen sind dazu da, respektiert zu werden. Jesus denkt an die Begebenheit, wie er vor kurzem ganz viele Menschen gesättigt hat, und formuliert dann seine Abfuhr an die Frau: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
Jesus hat nichts gegen Hunde. Und die Israeliten seiner Zeit haben wie viele Menschen der Antike Haushunde geschätzt. Jesus geht es hier vielmehr um den Unterschied und die Grenze zwischen Kindern und Hunden, zwischen Juden und Heiden. Basta.
Die Kanaanäerin gibt Jesus Recht. Sie respektiert den Unterschied zwischen Kindern und Hunden, zwischen Juden und Heiden. Sie sagt: Ja, Herr, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Ganz genau hat sie aufgepasst die Frau. Bei aller Angst und Verzweiflung im Blick auf die Tochter - ihren Kopf hat sie nicht verloren. Keine Sekunde denkt sie darüber nach, wie nachteilig der Tiervergleich für sie persönlich ausfällt. Wenn die Worte Schaf, Schwein, Esel, Kuh oder Hund als Bezeichnung für Menschen fallen, ist normalerweise das Gespräch zu Ende: Entweder es entsteht eisiges Schweigen oder es fallen stärkere Schimpfwörter als Vorboten für eine Schlägerei. Hier nicht. Die Frau nimmt Jesus ganz ernst und sie nimmt ihn beim Wort: Die Haushunde bekommen nicht das Brot der Kinder, aber doch die Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Und darum kann die Frau ihre Bitte aufrecht halten.
Und da gibt Jesus nach: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Das bedeutet dann für die Frau, dass ihre Tochter zur selben Stunde geheilt wird.
Jesus hat eine Grenzerfahrung der besonderen Art gemacht: Erkennt Jesus in dem Willen der Frau den Willen seines Vaters im Himmel im Sinne von „Dein Wille geschehe“? Geht der Heilswille des göttlichen Vaters über das Volk Israel hinaus? Oder will der gnädige Gott eben nicht, dass Mitmenschlichkeit und Erbarmen Urlaub machen?
Eine starke Geschichte, liebe Gemeinde, erzählt uns der Evangelist Matthäus, eine Geschichte, mit der er uns in Bewegung setzen möchte. So beeindruckend das Auftreten der Kanaanäerin ist, sie trägt keinen Namen. Und das hat, so denke ich, seinen guten Grund. Denn wir, liebe Gemeinde, wir sollen uns mit dieser Frau identifizieren; wir sollen uns bemühen ihrem Glauben nachzueifern. Jesu Wort vom großen Glauben der Frau leuchtet uns einladend aus der Geschichte entgegen. Schauen wir deshalb noch einmal genauer hin, was uns die Geschichte über den Glauben erzählt.
Die Kanaanäerin muss zunächst irgendwie von Jesus gehört haben.
Martin Luther meinte „ohne Zweifel ein gutes Gerücht und gutes Geschrei, dass Christus ein frommer Mann wäre, der gerne hülfe. Solches Gerücht von Gott ist ein rechtes Evangelium und Wort der Gnade“.[i] Der Glaube kommt aus dem Hören (Röm 10,17). Zuerst muss jemand etwas von Jesus Christus gehört haben, damit es zum Glauben kommen kann. Und dies Gehörte muss als ermutigend, erhellend und hilfreich empfunden werden, damit es festgehalten wird und nicht vorbeirauscht. Ja, die Kanaanäerin muss sich selber auch noch weiter informiert haben.
Johannes Calvin meinte: Die Frau hatte „doch schon einen gewissen Geschmack von Frömmigkeit aufgesogen. Denn wenn sie die Verheißungen gar nicht gekannt hätte, hätte sie Christus nicht Sohn Davids nennen können.“[ii]
Und schließlich muss die Frau zu der Überzeugung gekommen sein: Ich vertraue auf das Gehörte. Glaube hilft im Ernstfall. Wer glaubt, darf bitten. Und darum geht sie los. Glaube setzt in Bewegung und vertraut auf Jesus Christus als auf den Sohn Davids. Vertrauen auf ihn, als auf die Liebe Gottes in Person lässt sich nicht begrenzen.
Natürlich. Wer glaubt hat mit Widerständen zu tun. Oft genug meinen wir, Gott hört uns nicht, er berücksichtigt nicht, was wir wollen. Die Kanaanäerin lehrt uns da nicht aufzugeben. Auch wenn wir die Welt nicht mehr verstehen, wenn wir nur auf Ablehnung stoßen und uns ohnmächtig fühlen, wir dürfen auf das gehörte Evangelium vertrauen: darauf, dass Gott durch Jesus Christus uns liebt und uns Heil verheißt.
Aber: Wenn wir Gott um etwas bitten, dann kommt es nicht darauf an, dass wir über besondere religiöse Kräfte verfügen oder dass wir groß dastehen oder dass wir gegenüber irgendjemandem Recht bekommen. Nein. In der Bitte können und dürfen wir wie die Kanaanäerin ganz von uns selber absehen und auf Gottes Güte vertrauen, gerade auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint.
Eine verstorbene Frau aus der Gemeinde kommt mir in den Sinn. Sehr anschaulich konnte sie erzählen, wie sie - schwanger und als Mutter von drei Kindern - in den schlechten Jahren nach dem Krieg plötzlich Witwe wurde. Sie betete viel, wusste nicht, wie sie ihre Familie ernähren sollte. Aber Menschen halfen ihr, brachten ihr Lebensmittel, auch die damalige Pfarrsekretärin der Lukasgemeinde beteiligte sich.
‚Grundlage unseres Glaubens ist der Zuspruch Gottes. Verlassen können wir uns – gerade auch gegen alle Erfahrung – ausschließlich auf sein Wort, dass er unbedingt zu uns steht und dass er das vollenden will, was er in uns begonnen hat.’[iii]
[i] Texte zum Neuen Testament Bd. 3, Auslegungen der Reformatoren, gemeinsam mit Ulrich Asendorf, Samuel Lutz und Wilhelm Neuser hg von Gerhard Friedrich, Göttingen 1984, S.80.
[ii] s.o. S.82/83.
[iii] Du liebst mich also bin ich. Gedanken, Gebete Meditationen. Hans-Joachim Eckstein, 7. Auflage Stuttgart 1994, S.42 erweitert durch den Zusatz „gerade auch gegen alle Erfahrung“.
Hilfen bei der Vorbereitung:
GPM 69, H. 4, 2015, Der Himmel auf Erden und die Rettung eines einzigen Lebens. Die kanaanäische Frau und das Gottvertrauen der Völker, Marlene Crüsemann, S.436-441.
EKK I/2, Das Evangelium nach Matthäus 2. Teilband Mt 8-17, Ulrich Luz, Zürich 1990, S.429-438.