Jesus und die „Urabsicht Gottes“ - Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Kathrin Nothacker

Jesus und die „Urabsicht Gottes“ - Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Kathrin Nothacker
5,38-48

Jesus und die „Urabsicht Gottes“

Liebe Gemeinde,

die bedrängenden Fragen unserer Zeit haben wir heute morgen nicht zuhause gelassen. Die Bilder der in unser Land strömenden Flüchtlinge haben sich in unseren Köpfen eingebrannt. Und die Ratlosigkeit der Politik, wie mit diesem Problem umzugehen sei, wird uns jeden Tag neu vor Augen geführt. Wir wissen nicht, wie es weitergeht und wir fragen uns, wie unsere Gesellschaft diese vielen Menschen integrieren kann und uns ist bange, ob die Aufnahmebereitschaft sich nicht bald in Ratlosigkeit und Hilflosigkeit wandelt und hinüber kippt in offene Feindschaft.

Wir suchen nach Orientierung und hoffen heute morgen vielleicht auf ein Wort, das uns weiterhilft.

Es sind Worte aus der Bergpredigt, auf die wir heute in unseren Kirchen und Gottesdiensten treffen. Markante und bekannte Worte Jesu von der Feindesliebe.

(Mt 05, 38-48)                                     

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um
Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt
dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe
schlägt, dem biete die andere auch dar.
Und  wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock
nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand
nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem,
der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas
von dir borgen will.
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten
lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch:  Liebt
eure Feinde und  bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr
Kinder seid eures Vaters im Himmel.
Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und
lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn
haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr
nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?
Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr 
vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Markante und bekannte Worte. Und irgendwie so fern von allen Regeln dieser Welt, dass einem auch gleich das Wort eines ehemaligen Bundeskanzlers einfällt, dass mit der Bergpredigt keine Politik zu machen sei. Wie sollte uns diese radikale Friedensethik denn auch weiterhelfen bei all den Problemen dieser Welt: In Syrien wird seit Jahren Krieg geführt, mittlerweile weiß niemand mehr, wofür oder wogegen. Es ist einfach nur noch ein brutaler Vernichtungsfeldzug gegen Menschen – meist gegen die, die sich nicht wehren können und dieser Maschinerie, selbst wenn sie es wollten, nichts entgegen setzen können.

Nur fliehen können sie, das Weite suchen, sich und ihre Kinder irgendwie in Sicherheit bringen. Und auf der Flucht werden sie wieder bedroht, ausgenutzt, ausgebeutet und gedemütigt. Das vermeintlich sichere Europa empfängt sie mit Zäunen und geplanten Internierungslagern.

Ich versuche, mich in diese Menschen hinein zu versetzen. Und stoße mit den Worten Jesu an Grenzen. Schon geschlagen und gedemütigt soll ich mich nicht widersetzen, sondern geduldig die Schläge ertragen. Schon fast bis aufs letzte Hemd ausgezogen, soll ich auch noch auf das allerletzte verzichten, was mir geblieben ist – bei vielen der Flüchtlingen ist es vielleicht das Handy mit den Bildern der Zurückgebliebenen und der letzten Möglichkeit mit ihnen in Kontakt zu treten.

Wie geht es diesen Menschen, die das hören: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen? Ist in diesen Worten auch nur ein Hauch von Realität? Und wer könnte das schaffen?

Liebe Gemeinde, diese Worte sind eine Zumutung. Und nur mühsam gelingt es, sie an sich heranzulassen und das unbedingte Liebesgebot freizulegen.

Versuchen wir uns ein wenig dem Text zu nähern. Vielleicht wird dann das allzu Bekannte ein wenig fremd und hilft uns beim Nachdenken und Weiterdenken. Über lange Zeit wurde die Bergpredigt so verstanden, als würde Jesus etwas völlig Neues lehren, etwas das sich radikal abgrenzt von den Überlieferungen der Hebräischen Bibel. Etwas ganz und gar Neues, das das Alte ersetze.  Dem ist nicht so. Denn Jesus setzt mit seinem „Ich aber sage euch“ das Alte nur richtig in Kraft, er bestätigt es, ja, er radikalisiert und verschärft es. Deshalb ist es auch nicht richtig, von Antithesen zu sprechen, vielmehr muss man sagen, es handelt sich um „Superthesen“ – so hat sie jedenfalls der jüdische Religionswissenschaftlicher Pinchas Lapide genannt. Denn alles Überlieferte ist gutes Gebot Gottes und soll den Menschen helfen, miteinander in Frieden zu leben.

So ist das biblische Prinzip des „Auge und Auge, Zahn um Zahn“ nicht etwas, das der Rachsucht Raum gibt. Sondern genau das Gegenteil ist damit gemeint. Das rechte Maßhalten. Die Verhältnismäßigkeit soll gewahrt werden. Aus einem Streit zwischen den Volksgruppen soll sich kein Krieg entwickeln. Die Gewalt soll nicht eskalieren, sondern soll eingedämmt werden. Das hat viel mit einer vernünftigen Sicht auf den Menschen und auf die Realitäten dieser Welt zu tun. Das „Auge um Auge“ sagt nichts anderes, als dass Gewalt nicht zur Katastrophe werden und zum Untergang führen darf.

Und was Jesus dann „draufsetzt“, ist tatsächlich schwer zu verstehen. Seine „Superthesen“ rufen mehr Fragen als Antworten hervor. Denn was sollte mich veranlassen, dem, der mich auf die rechte Backe schlägt, auch die linke hinzuhalten? Und warum sollte ich jemanden, der mich ausbeutet oder schon ausgebeutet hat auch noch etwas freiwillig dazu geben?

Jesus radikalisiert und provoziert. Und gibt erst einmal gar keine klaren Handlungsanweisungen; denn wie sollte das funktionieren, was er verlangt?

„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ – so hat es einmal der englische Philosoph Thomas Hobbes gesagt. Man frisst sich gegenseitig auf, wenn nicht irgendein vernünftiges Gesetz eine Grenze setzt – so wie eben das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Und doch: es gibt einen Traum von einer anderen Welt, einer besseren Welt, einer friedlichen Welt. In der jeder in seinem Haus, unter seinem Weinstock in Frieden wohnen kann. In der man seinen Garten bepflanzt und die Früchte, die darin reifen, essen darf. In der Menschen sich lieben dürfen und Kinder groß werden. In einer Stadt, in der Frieden und Gerechtigkeit wohnen und alle genug haben. Einer Welt, in der das Leid und das Leiden der Menschen ein Ende hat, in der die Tränen abgewischt und die Klagen verstummt sind. Eine Welt wie Gott sie für seine Kinder will.

Diese Vision nimmt Jesus auf. Diese Welt malt er den Menschen, die ihm zuhören und Orientierung für ihr Leben suchen, vor Augen. Um uns herum tobt eine Welt, die von Krieg und Tyrannei, von Hass und Elend gezeichnet ist. Aber wir wollen eine andere Welt. Wir wissen, dass Gott uns eine andere Welt bereit hält. Und dazu brauchen wir die prophetischen Worte Jesu. Und sie sollen uns in Herz fallen, nicht dass wir sie sofort umsetzen und zu Handlungsmaximen machen. Aber dass sie in uns den Traum wach halten von einer besseren einer friedvollen Welt, in der Feinde zu Freunden werden.

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat einmal, mit alten biblischen Bildern über Jesus sprechend, gesagt: „Der Sinai genügt ihm nicht. Er will in die Wolke über dem Berg, aus der die Stimme schallt, in die Urabsicht Gottes will er dringen..., um die Tora zu erfüllen, das heißt, ihre Fülle anrufen und wirklich machen.“

In die „Urabsicht Gottes“ will er dringen. Das vorstellbar machen, was Gott für seine Welt will.

Wenn wir heute aus den Worten der Bergpredigt etwas mitnehmen wollen, dann vielleicht dies: Die Bergpredigt ist nicht vernünftig, folgt nicht den Regeln der menschlichen Vernunft. Sie übersteigt das Vorstellbare und wahrscheinlich für die meisten Menschen auch das Lebbare. Und dennoch hat sie Kraft. Und sie gibt Kraft den Menschen, die Jesus nachfolgen wollen und immer wieder darum ringen, wie sie das können.

Die Bergpredigt und ganz besonders die Worte von der radikalen Feindesliebe; sie haben einen Ankerpunkt – und das ist das Leben und Sterben Jesu selbst. An ihm sehen wir, dass er mit seiner bedingungslosen Hingabe an die Welt und ihre Realitäten die Urabsicht Gottes für uns Menschen zur Vollendung gebracht hat.

Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Gut, dass einer vollkommen ist. Gut, dass sein Bild uns vor Augen ist, wenn wir die kleinen Schritte tun und uns für den Frieden in unseren Herzen, unseren Häusern und unserer Welt einsetzen. Nur das macht Hoffnung und lässt uns nicht verzagen.

Amen.                                                                                                      

Perikope
25.10.2015
5,38-48

Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Andreas Pawlas

Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Andreas Pawlas
5,38-48

Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.  Ihr habt gehört, dass gesagt ist (3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.  Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?  Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. 

Liebe Gemeinde!

Nun haben wir gerade  so schön gesungen und sind still und andächtig zum Gebet geworden, und das hat unserer Seele gut getan. Da kann wirklich noch gut etwas davon nachklingen, was da in diesem Bibelwort für diesen Sonntag von einer Vollkommenheit gesagt ist, in der sich die Vollkommenheit unseres Vaters im Himmel irgendwie spiegelt. 

Trotzdem will uns dieses Bibelwort mit einem Male aus dieser Beschaulichkeit herausreissen und in eine ganz andere Welt hinein nehmen. Denn da ist von so hässlichen Dingen wie Schlagen und Hassen, und von Feinden und vom Bösen die Rede. Aber eigentlich kann das doch alles  nichts mit uns zu tun haben. Denn wir wollen doch wirklich immer nur freundlich und umgänglich sein.

Oder reichen solche guten Vorsätze nicht für uns und die ganze christliche Gemeinde? Und warum soll das nun nicht reichen? Weil faktisch unser Leben doch nicht immer Friede, Freude Eierkuchen ist? Weil wir doch nicht in einem Wolkenkuckucksheim leben? Sondern weil wir als Christenmenschen doch  mitten in dieser unvollkommenen und schmerzhaft fehlerhaften Welt leben? Und weil wir in diesem Gottesdienst nicht mit irgendwelchen rosaroten Phantasien zu tun haben wollen und sollen, sondern mit Gottes tatsächlichem Wirken  in dieser Welt, so wie sie ist? Nein, deshalb dürfen wir  unsere Augen und Ohren jetzt bei diesem Predigttext nicht verschließen. Und wie oft hören wir da einfach in dieser unserer Welt die Parole: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ - und wir als Christenmenschen erschauern.

Oder reicht das noch gar nicht, und unsere Welt  ist vielleicht sogar noch schlimmer? Sie können sich das nicht vorstellen? Ich bitte Sie! Denn wie ist das allein  auf den Schulhöfen in unserem Land? Wehe, da sollte einmal  dem Schwächsten aus der Klasse das Missgeschick geschiehen, aus Versehen  den Stärksten der Klasse anzurempeln! Was dann passiert? Nein, da kann kein Wort der Entschuldigung  oder ähnliches helfen! Sondern da wird nicht nur wieder gerempelt, natürlich kräftiger als vorher, und dann gibt es noch eine Ohrfeige  und einen Knuff dazu. So müssen es viele Kinder leider Gottes so oft erleben.

Aber bitte schauen wir doch nicht zu mitleidig nur auf unsere Kleinen. Denn ist es nicht unter uns Erwachsenen ziemlich ähnlich? Wenn der kleine Bodo mit seinem Auto  den großen Max aus Versehen abdrängt oder nötigt, dann kann es schon passieren, dass der große Max den kleine Bodo aus Rache nicht nur genauso nötigt, sondern am besten sogar noch anhält und beschimpft oder gar schlägt. Und vor einiger Zeit soll hier in Schleswig-Holstein deshalb einer sogar erschossen worden sein. Ja, so etwas kann passieren, wenn einer dem anderen zufällig  oder unbeabsichtigt in die Quere kommt.

Aber wehe denen, die das absichtlich tun, weil sie unsere Feinde sind. Ja, wir dürfen uns nichts vormachen. Es gibt Feinde auf dieser Welt. Lassen wir uns nicht täuschen durch liebe Willenserklärungen. Es gibt Feinde auf dieser Welt, unter Nachbarn oder in der Familie, in der Politik oder in der Wirtschaft, national und international. Und es ist ja gerade zur Zeit das Elend, dass so viele Flüchtlinge  unsere Gastfreundschaft suchen müssen, weil ihre Feinde sie nicht leben lassen wollen.

Ja, so macht man das mit Feinden üblicherweise: man hasst sie, man sucht ihnen zu schaden, wo es nur geht, koste es, was es wolle. Da kann manchmal sogar das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, in einem gewissen Sinne ganz human sein.

Übrigens, weil das so ist in unserer Welt, deshalb ist es auch ganz selbstverständlich, dass man einen Freund, eine Freundin, einen Verbündeten  liebt und sympathisch findet, ihm natürlich auch borgt, ihm hilft und ihn begleitet. Und den Feind, den hasst man eben und meidet ihn und stellt ihm Fallen innerhalb und außerhalb des Gerichtes. Ja, so selbstzerstörerisch ist das in dieser Welt und vielleicht sogar noch schlimmer.

Aber genau das weiß Jesus alles und das spricht er auch aus. Und damit wird auch eindeutig klar,  dass das nach Gottes Willen nicht so sein soll. Denn Christen,  die sollen ganz anders sein:  Denn Christen,  die sollen vollkommen sein. Christen sollen demjenigen, der sie auf die eine Wange geschlagen hat, auch noch die andere Wange darbieten. Christen sollen helfen, borgen, schützen. Sie sollen den Feind lieben. und bitten für die, die sie verfolgen,  damit sie Kinder des Vaters im Himmel sind.

Aber da runzelt mancher schnell die Stirn. Denn wie sollte das denn gehen, hier, mitten in unserer Welt, wie wir sie uns gerade in ihrer Unfriedlichkeit vor Augen geführt haben? Und wenn es nicht geht, wie sollten wir dann Kinder des Vaters im Himmel sein? Und überhaupt, wie sollte denn da z.B. der Polizist, der Anwalt, der Soldat seinen Beruf ausüben können?  Das kann doch alles so nicht richtig sein.

Aber jetzt bitte nichts verwechseln: Jesus gibt hier überhaupt keinen Ratschlag zur Ausübung öffentlicher Ämter. Der Polizist soll ja um Gottes willen zum Schutze aller dem Bösen widerstehen, genauso wie der Anwalt oder der Soldat. Nein, Jesus spricht uns hier ganz persönlich, ganz privat an. Mich und Dich, so wie wir uns hier und heute an diesem Sonntagmorgen zusammgefunden haben.

Aber einen Moment mal! Und da soll tatsächlich gelten, dass man die linke Wange darbietet, wenn man auf die rechte  geschlagen worden ist? Und da soll tatsächlich gelten, dass man seine Feinde liebt? Noch einmal: Wie sollte das denn gehen? Oder ist das nur etwas, was bestenfalls Pastoren hoch oben von der Kanzel  heruntersagen können, was aber nichts mehr  mit unserem normalen Leben zu tun hat?

Halt, liebe Gemeinde, bitte jetzt nicht gleich abschalten. Denn wie wäre es, wenn der Schlag auf die rechte Backe, so wie es damals im alten Palästina üblich war, einen nicht niederstrecken sollte, sondern allein Verachtung und Erniedrigung  ausdrücken sollte? Wenn uns so allein Verachtung  und Erniedrigung auf eine bestimmte Weise entgegengebracht werden sollte, wie wäre das denn? Natürlich wäre das nicht schön und wir wünschen uns das nicht. Aber eine Frage ist jetzt ganz entscheidend: nämlich, könnte einen eigentlich eine solche Geste wirklich tief in der Seele treffen, wenn man seine Seele durch Christus ganz nahe bei Gott, ganz wohl umhüllt und beschützt  durch seine Güte weiß? Wie sollte einen da die Verachtung  eines Mitbürgers wirklich kränken können?

Ja, wir wissen, und es ist noch nicht so lange her, dass hier im Lande eine solche Kränkung der Ehre  blutige Rache erforderte. Und in manchen Kulturen  ist das auch heute noch so. Aber wer sich wirklich und ganz deutlich von Gottes gutem Geist erfüllt fühlt, warum, um Gottes willen, sollte der denn einen anderen wiederschlagen  oder wiederhassen? Nein, das braucht er nicht. Er kann nach dem ersten Schrecken - und den können wir ihm wirklich zugestehen - er kann nach dem ersten Schrecken vollkommen gelassen sein. Er kann sogar Mitgefühl haben mit dem Anderen,  den offenbar schlechte Gefühle  so sehr übermannt hatten,  dass er seine Fassung verlieren musste. Und ganz gewiss, ein solches Mitgefühl steht auf dem Weg zur Vollkommenheit.

Jetzt aber kommt eine bohrende Frage an unsere unvollkommene Alltagswirklichkeit: Fühlen wir uns tatsächlich eigentlich immer so sicher von Gottes gutem Geist  geleitet und erfüllt? Fühlen wir uns denn immer von Christus täglich so geführt und bewahrt? Wie ist das, wenn sich unsereiner  nur noch leer und ausgebrannt, zu kurz gekommen und traurig fühlt? Dann stimmt das doch alles nicht.

Diese Logik ist tatsächlich richtig und dennoch ist alles ganz anders. Denn in diesem Gotteswort redet zu uns eben  kein unbarmherziger Gesetzgeber, der nur darauf lauert, dass wir Fehler machen, um uns dann gefälligst zu vergelten nach dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Sondern gerade weil er  um unsere Fehler und Schwächen, um unsere Ängste und Traurigkeiten, um unsere Gefühlsschwankungen und Probleme weiß, deshalb hat sich doch  der lebendige Sohn Gottes, Jesus Christus, für einen jeden von uns verbürgt, verbürgt durch seinen Tod am Kreuz, verbürgt zu neuem ewigen Leben für uns.

Gerade weil er uns an Leib und Seele genau kennt, will er bei uns sein, will er, dass wir ihn bitten. Er will, dass wir unsere Not, Schuld und Unvollkommenheit ihm klagen und er, er will tatsächlich alles zum Guten wenden, durch alles Leben und Sterben hindurch. Wir müssen uns nur endlich darauf verlassen. Er will und kann uns Kraft schenken, dass wir wieder lieben können, so wie wir von ihm geliebt sind. Wir müssen ihm das nur endlich zutrauen.

Und gerade wenn wir Christus eben noch um solche Gewissheit  und um solches Zutrauen bitten, dann könnte bereits etwas mit uns und tief in unserem Herzen geschehen. Dann könnte bereits in dieser tiefen Sehnsucht eine Ahnung davon wachsen, wie Gottes Liebe und Kraft  unsere ganze Seele ergreifen will. Und wenn sich dann so unsere Seele  durch Gottes Liebe und Kraft zu weiten beginnt, und wir wieder froh und frei  durchatmen können, wie belanglos wird dann mit einem Male die Frage, ob wir unsere Feinde lieben können oder nicht.

Denn natürlich können wir dann doch  ganz von selbst auch in unserem Feinde ein geliebtes Kind Gottes entdecken mit seinen Schwächen und Ängsten. Und warum sollten wir also dann nicht unseren Feind lieben können? Warum sollten wir also dann nicht von Herzen großzügig sein können und borgen und helfen, so wie es eben nötig ist? Wenn wir merken, wie uns Gottes Liebe und Kraft anrührt, warum sollten wir dann nicht  alle Menschen und alle Kreatur mit einschließen  in den Dank, der allein Gott gebührt und den wir an seine Geschöpfe weitergeben dürfen? Ja, was für ein erfülltes Leben ist es, sich derart vom Vertrauen auf Gottes Liebe tragen und führen zu lassen jetzt und bis in Ewigkeit. Amen.  

Perikope
25.10.2015
5,38-48

KONFI-IMPULS zu Matthäus 5,38-48 von Ulrich Erhardt

KONFI-IMPULS zu Matthäus 5,38-48 von Ulrich Erhardt
5,38-48

Konfi-Impuls zu Matthäus 5,38-48 

Der Text und die Konfis

Dieser Abschnitt gehört zu den bekanntesten Texten der Bibel und zugleich zu den – nicht nur von Konfirmandinnen und Konfirmanden – am meisten missverstandenen. Es geht nicht – wie beim ersten Lesen Jugendliche vermuten – darum, sich alles gefallen zu lassen, sondern um die Großzügigkeit, auf sein Recht zu verzichten und damit den Gegner zum Umdenken zu bringen (vgl. Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium, S. 146). Um es mit Rabbi Chama ben Chanina zu sagen: „Wer ist ein Held? … Wer die Feinde zu Liebenden macht“ (zitiert nach: Fiedler, S.153).

Im Unterrichtsgespräch sollte dieser Hintergrund des Textes ausgeleuchtet werden. Wie gelingt es, sich so zu wehren, dass Gewalt nicht eskaliert, sondern Verständigung erreicht wird? Jugendliche kennen vermutlich aus dem schulischen Kontext solche Beispiele – nicht nur die großen von Mahatma Gandhi oder Martin Luther King, sondern auch Streitschlichter-Modelle oder das Projekt „Schritte gegen Tritte“ (http://www.schuelerarbeit.de/arbeitsfelder/schritte-gegen-tritte oder http://www.schrittegegentritte.de ).

Zur Umsetzung im Gottesdienst

„Ich hasse dich“ sagen Jugendliche relativ schnell, ohne das in allen Konsequenzen zu bedenken. Man sammelt im Konfirmandenunterricht, welche Menschen für die Jugendlichen solche „Hassobjekte“ sind. Im Gespräch muss dann herausgearbeitet werden, dass das Umdenken dort beginnt, wo ich im anderen nicht mehr das „Objekt“ meines Hasses sehe, sondern einen Menschen mit seinen Bedürfnissen. Dazu liest man gemeinsam die Verse 44 und 45: Was bedeutet das, dass Gott allen ihre Lebensgrundlagen schenkt?

Für den Gottesdienst werden dann die „Hassobjekte“ durch Karikaturen dargestellt (entweder gibt es graphisch begabte Konfis bzw. Mitarbeitende oder man wird im Internet fündig) und mein „Hass“ beschrieben. Danach liest jemand die beiden Verse der Perikope vor und für jedes Bild wird anschließend beschrieben, wie es sich verändert, wenn das Objekt als ein von Gott geliebtes Geschöpf wahrgenommen wird. Bei Menschen, die gehasst werden, weil sie Gewalt anwenden, sollte dargestellt werden, wie man zur Deeskalation beitragen kann (beispielweise durch die oben genannten Projekte). Um Missverständnisse zu vermeiden, muss in der Predigt allerdings darauf hingewiesen werden, dass Gefühle wie Hass, Wut und Aggression per se nichts Negatives sind, die nur verdrängt werden sollen. Es sind vielmehr Gefühle, die ich mir bewusst machen muss, um wirklich damit umgehen zu können.

 

Perikope
25.10.2015
5,38-48

27.09.2015, Meldorf: "Ernte gut – alles gut?"

27.09.2015, Meldorf: "Ernte gut – alles gut?"
15,21-28

Hier in Dithmarschen leben viele Bauernfamilien. Wenn ich sie besuche, lassen sie mich an ihrem Leben teilhaben.  Besonders was Sie, liebe Landfrauen, mir erzählt haben, gab mir die Idee, Sie mit Luise bekannt zu machen:

Der Kohl war reif, und Luise saß auf ihrer Bank mit dem Blick übers Feld.

Da kam Hannah vorbei gehüpft. Sie war fünf. Ihre Eltern hatten vor kurzem den Resthof nebenan gekauft. Mit einer großen Vision: Sie wollten eine Marmeladenmanufaktur aufmachen. Nach langen Jahren in der Großstadt jetzt endlich wunderbar authentisch leben.

Luises Hände kneteten die Kittelschürze. Der Kohl war reif, und sie sollte nicht mehr. Du hast genug gearbeitet, hieß es. Aber ihre Hände vertrugen keinen Müßiggang. Durchwittert und lebendig waren sie. Kräftig und faltig. Hannahs kleine Finger erkundeten vorsichtig die Schwielen. Hannah fand Luises Hände schön.

Mit 22 hatte es Luise nach Dithmarschen verschlagen. Aus dem Land der dunklen Wälder. Hinter die Deiche. Seither war sie hier. Jahr ein, Jahr aus helfen, Setzlinge zu pflanzen. Furchen ziehen. Kohl hacken. Kohl schichten. Weißkohl. Rotkohl. Alle Sorten. Acker um Acker. Hektar nach Hektar. Ihre Hände wirkten, als ob sie ganz Dithmarschen umgegraben hätten. Inzwischen gab es Fabrik große Maschinen dafür. Ob man die noch Traktoren nennen konnte? Ihre Hände jedenfalls wurden nicht mehr gebraucht.

Hannahs Füße steckten in Gummistiefeln. Im Spätsommer! Dabei regnete es nicht einmal.

Ob dieses Kind wohl schon mal Marschboden zwischen seinen Zehen gespürt hatte?

Ganz in Gedanken hing Hannah über einer Pfütze. Staute Wasser. Knetete Klumpen. Blies erdigen Staub darüber.  Sie schöpfte und schuf sich eine kleine Welt aus der Erde vor Luises Haus. Was für ein besonderes Kinderglück war das heutzutage. Wie bei mir früher, erinnerte Luise. Sie fand Hannahs kleine, erd geschwärzte Hände schön. So unverfälscht und ursprünglich. Erdenlust pur.

„Hannah!“ „Alles okay, Mama. Hannahs Mutter kam um die Ecke geschossen.  „Du darfst hier nicht spielen.“ Die junge Frau bebte. War mitten in Hannas Erdklumpen-Buddelmatsch-Reich getrampelt.

„Wie du wieder aussiehst! Wie soll ich denn jetzt diesen Dreck wieder von deinen Händen runter bekommen?!“ Hannahs und Luises Blicke verbündeten sich. Hannah wurde ins Haus gezerrt. Luise vergrub ihre Hände in den Taschen und versuchte sich zu entsinnen, ob ihre Mutter jemals das Wort ‚Dreck’ in den Mund genommen hatte.

Dreck. Wie geringschätzig das klang. Als ob Erde ohne Wert sei. Wenig nützlich. Dieser biologische Kleinstkosmos. Zwanzig Zentimeter tief. Aus Nährstoffen und Mikroorganismen.

Das sind genau die zwanzig Zentimeter, von denen du und ich satt werden, Madam! So, so. Ich habe also mein Leben lang in Dreck gewühlt. Luises Lippen wurden ganz schmal.

Ob ihr Nachbar, Dithmarscher Landwirt in sechster Generation, wohl auch der Meinung war, er verdiene sein Brot mit Dreckarbeit?

Warum denkt so mancher nur, wer in der Landwirtschaft arbeite, sei der Depp mit der Hacke in der Hand. Warum begriffen viele nicht, dass es inzwischen ein diplomierter Agrarwissenschaftler war, der mit moderner Landtechnik einen Kohlhof oder andernorts einen Obsthof, eine Milchwirtschaft oder ein Weingut bewirtschaftete, der sich über Schädlingsbekämpfung, Fruchtfolgen und Futtermittel Gedanken machte, machen musste, damit die Äcker, die Bäume, die Weiden auch weiterhin trugen. Wahrscheinlich passte das nicht ins Bild. Es störte offenbar die Bauernromantik, war wohl für so manchen wie eine vierspurige Autobahn quer durch den persönlichen Heimatfilm.

Luise wusste, wer ertragreich ernten wollte, war abhängig. Von der Beschaffenheit des Bodens. Von der Qualität der Saat. Zu viel Regen war genauso schädlich wie zu wenig wie diesen Sommer. Erde, Wasser, Luft. Hieraus wuchs alles, was den Menschen ernährt.

Heute nicht anders als gestern, vorgestern und vorvorgestern.

Aber Luise sah mit großem Stirnrunzeln, dass die Sinnkrisen des Ackerbauern nebenan und der übrigen Landwirte heutzutage von ganz anderer Natur waren. Wer von der Land- oder Viehwirtschaft leben wollte, war eingezwängt zwischen Normanforderungen und Abnahmequoten, zwischen tariflichen Arbeitszeiten und Mindestlöhnen für Erntehelfer. Brauchte große Maschinen, um die riesengroßen Ackerflächen zu bearbeiten. Brauchte die Banken, um die Maschinen zu finanzieren. Brauchte zigtausend Hektar um zig Tonnen Kohl Jahr für Jahr zu ernten, um die Jahre lang laufenden Kredite abzubezahlen. Wer sich diesem Kreislauf stellte, kam mit der Hacke in der Hand nicht mehr weit.

Was würde aus denen, die nach ihr kamen? Wer wollte sie ernähren? Es schien Luise wie ein Fluch. Leute wie Hannahs Mutter wollten unbedingt zurück zur Natur, aber wie in ein Freilichtmuseum. War ihnen bewusst, was Werden und Vergehen bedeutete?

Ihr Landwirtsnachbar musste bis spät in die Nacht rechnen und war kaum noch fähig von seinen Erträgen zu leben. Seine Möhren mussten nach einem wunderbaren Sommer auf dem Acker bleiben, weil sie zu gut gewachsen waren.

Zu groß für die Weiterverarbeitung der Nahrungsmittelindustrie. Kein Absatz möglich. Selbst Verschenken war noch zu teuer. Unterpflügen war das günstigste Minus. Welch ein Hohn. Welch eine Schmach angesichts Hungernder überall auf der Welt. Luise wusste, dass es den Nachbarn innerlich umtrieb.

Wohin sollte dieser Wahnsinn zwischen fröhlicher Landpartie und Überökonomisierung bloß führen? Wovon würde sich Hannah eines Tages ernähren müssen, wenn sie erwachsen war? Von Synthetiknahrung ?

Luise mit ihren über achtzig Jahren dachte an Hannahs Schöpferhände und ihr fiel ein, was ihre Großmutter abends beim Zubettgehen oft vorgelesen hatte:

Lesung Susanne Thießen

Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.

Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

Genesis 2, 4b.7.15 in der
Übersetzung von Martin Luther
in der revidierten Fassung von 1984,
© Dt. Bibelgesellschaft Stuttgart 1985

Pastorin Ina Brinkmann

Auch auf Platt hatte ihr die Großmutter diese Geschichte vorgelesen: Denn so klang sie noch viel wundersamer:

 

Lesung Susanne Thießen

Eendaags möök Gott, de Herr, Eerd un Heben. Do möök Gott, de Herr, den Minschen ut Stoff vun dat Eerdriek he blaas em lebennigen Aten in sien Nääs. Un so warr de Minsch en lebennig Wesen. Do nehm Gott, de Herr, den Minschen un bröch em nah den Gaarn Eden, den schull he bearbeiden un bewahren.

Dat Ole Testament,
översett ut den Uurtext vun Karl-Emil Schade,
rutgebe vun den Arbeidskrink
„Plattdüütsch in de Kark“ in Nordelbien,
3. Auflage 1996,
Wachholtz Verlag Neumünster 1995

Ja! dachte Luise und schaute auf ihre schwieligen Hände. Ut Stoff vun dat Eerdriek. Wir sind aus Erde gemacht. Aus diesem Stoff. Jeder. Ich auch. Und die Madam, Hannahs Mama, genauso wie mein Landwirtsnachbar. Wenn ich mal nicht mehr bin, dann bin ich immer noch da, nur anders. So.

Von Erde bist du genommen, zu Erde wirst du werden. So klang das neulich auf dem Friedhof, als das ganze Dorf Karl zu Grabe trug. Da hatte Luise diese Sätze traurig gefunden. Aber eigentlich waren sie doch tröstlich.

Denn wir sind nichts anderes als die Krume, die wir bebauen. Das verbindet uns mit allem, was wächst und gedeiht und auch wieder vergeht. Es verbindet uns mit denen vor uns und die nach uns kommen. Ob nun Landmensch oder Stadtmensch, wir alle gehören in den Kreislauf der Natur. Wir sind ein Teil von Gottes Schöpfung. Daraus entsteht, was wir wissen und wissen können.

Eine Handvoll Erde und der Atem Gottes. Welche Lust darin steckt. Und welche Verantwortung. Erschaffen. Schaffen. Forschen und Erfahren. Die kleine Hannah hatte auch solch eine Lust gehabt als ihre Hände das Buddelmatsch-Erden-Reich schufen. Sie war davon beseelt und baute und bewahrte, weil sie es liebte, womit sie umging.

In jedem von uns steckt doch ein bisschen der Geist Gottes.

Luise stand auf und sog die Luft tief in ihre alten Lungen. Ihr Blick ging weit über den Acker hinweg. Ihr war als ob die Weite der Zukunft sie streifte. Der Kohl war reif, und sie empfand just jetzt tiefe Liebe.

D A N K E. Aus tiefstem Herzen entfuhr es ihr.

Ob Hannah wohl schon Gottes Geschichte mit dem Erdreich kannte? Wenn wir uns hier auf meiner Bank treffen, erzähle ich sie ihr. Amen

Perikope
27.09.2015
15,21-28

Predigt in leichter Sprache zu Matthäus 15,21-28 von Frank Hiddemann

Predigt in leichter Sprache zu Matthäus 15,21-28 von Frank Hiddemann
15,21-28

(Predigt in leichter Sprache)

Gott ist mit euch.
Er war immer mit uns.
Auch heute ist er da.
Was auch kommt,
er wird mit uns sein.
Amen.

Liebe Gemeinde,
ich erzähle heute eine Geschichte von Jesus.
Die wird euch überraschen.
Denn Jesu ist "hässig" in dieser Geschichte.
Das ist ein Wort aus der Schweiz.
Mein Freundin Cornelia hat es benutzt.
Ich saß in ihrem Gottesdienst.
Und ich staunte über diese Geschichte.
Ich hatte sie schon oft gehört.
Aber so hatte ich sie noch nicht verstanden.
Aber Cornelia hatte Recht.
Jesu war hässig.
Das heißt genervt.
...
Matthäus hat die Geschichte aufgeschrieben.
Ich lese sie euch vor.
...
Einmal war Jesus müde.
Jesus wollte alleine sein.
Darum ging Jesus in ein fremdes Land.
In dem fremden Land wussten die meisten Leute nicht,
dass Jesus von Gott kommt.
In dem fremden Land wohnte eine Frau.
Die Frau hatte eine kleine Tochter.
Die kleine Tochter war krank.
Die Frau ging zu Jesus.
Die Frau vertraute darauf,
dass Jesus der kleinen Tochter helfen kann.
Die Frau rief laut:
Ich weiß, dass Du von Gott kommst.
Bitte, mach meine kleine Tochter wieder gesund.
Meine kleine Tochter ist krank.
Zuerst kümmerte sich Jesus nicht um die Frau.
Da schrie die Frau immer lauter.
Die Jünger sagten zu Jesus:
Bitte, mach die kleine Tochter gesund.
Die Frau schreit fürchterlich.
Die Frau nervt.
Jesus sagte:
Gott hat mich zu den armen und kranken Menschen
in meinem Land geschickt.
Ich mache die Kranken in meinem Land gesund.
Diese Frau gehört zu einem fremden Land.
Die Frau sagte zu Jesus:
Bitte, hilf mir trotzdem.
Mach meine kleine Tochter gesund.
Jesus sagte:
Das ist nicht richtig, wenn ich deine kleine Tochter gesund mache.
Das ist so ähnlich wie bei einer Familie mit einem Hund.
Beim Essen sitzt die Familie am Tisch.
Die Familie isst das Essen vom Tisch.
Der Hund sitzt auf dem Boden.
Der Hund bekommt kein Essen vom Tisch.
Das ist nämlich nicht richtig, wenn der Hund am Tisch sitzt.
Und wenn der Hund das Essen von den Menschen bekommt.
Die Frau sagte zu Jesus:
Ja, das stimmt.
Aber manchmal fällt etwas vom Essen auf den Boden.
Dann hat der Hund auch etwas zum Fressen.
Jesus staunte über die Frau.
Jesus sagte:
Frau, du hast etwas sehr Gutes gesagt.
Du glaubst wirklich, dass ich von Gott komme.
Darum soll deine kleine Tochter gesund werden.
Von da an war die kleine Tochter von der Frau wieder gesund.

Mt 15, 21-28
...
Gott sieht einen Fehler ein.
Übertreiben wir nicht!
Jesus sieht einen Fehler ein.
Er sagte: Die Frau ist fremd.
Sie kann nicht zu Gott kommen.
Aber alle Menschen können zu Gott kommen.
Warum macht Jesus diesen Fehler?
...
Am Anfang war Gottes Liebe zu seinem Volk.
Gott liebte sein Volk.
Sein Volk liebte Gott.
Sie haben viel miteinander gemacht.
Einmal geriet sein Volk in Sklaverei.
Da rettete Gott sein Volk.
Er teilte ein Meer für sie.
Un sie konnten hindurch ziehen.
Er führte sie durch die Wüste.
Er ließ Brot für sie vom Himmel regnen.
Er gab ihnen ein Land.
Eine Zeit lang gab es nur Gott und das Volk.
...
Aber es gab auch andere Völker.
War Gott auch der Gott der anderen Völker?
Himmel und Erde hatte er gemacht.
Alles Leben hatte er geschaffen.
Und so sagte das Volk Israel:
"Eines Tages werden alle Völker zusammen kommen.
Und Gott wird ihr Gott sein.
Und alle Völker werden zu ihm gehören."
...
Aber Jesus war müde.
Alle Menschen kamen zu ihm.
Er wollte ihnen helfen.
Er wollte ihnen von Gott erzählen.
Aber eines Tages hatte er genug.
Er ging über die Grenze.
Er wollte allein sein.
Keiner kannte ihn hier.
Keiner störte ihn hier.
Das dachte er jedenfalls.
Aber dann kam diese Frau.
Sie schrie ihm nach.
Sie nannte ihn "Sohn Davids".
Sie wusste, dass er von Gott kam.
...
Sie hatte alles ausprobiert.
Ihre Tochter sollte gesund werden.
Keiner konnte helfen.
Sie hatte an ihrem Bett gesessen.
Ihre kleine Hand war ganz heiß.
Sie hatte Fieber.
Sie hatte Tücher in Wasser getaucht.
Damit kühlte sie die Stirn des Mädchens.
Sie hatte ihr Kräuter gegeben.
Sie hatte für sie gebetet.
Aber nichts hatte geholfen.
Da hatte sie von Jesus gehört.
...
Die Jünger schoben sie fort.
Aber sie fing an zu schreien.
"Lasst mich ihn sehen!"
Und schließlich sagten selbst die Jüner:
"Herr, mach ihre Tochter gesund!
Wir können das Geschrei nicht mehr hören."
...
Da drehte sich Jesus um.
Er sagte nicht:
"Du nervst mich!"
oder: "Ich bin müde!"
Sondern:
Gott hat mich zu den armen und kranken Menschen
in meinem Land geschickt.

Das stimmte.
Er wollte die Menschen aus dem Volk Israel zurück gewinnen.
Er kam zu dem Volk, das Gott liebte.
Er kam selbst aus diesem Volk.
Heute sollte er etwas lernen.
...
Die Frau gab keine Ruhe.
Sie liebte ihre Tochter.
Sie denkt:
"Jesus muss sie gesund machen!"
Sie hörte nicht auf zu bitten.
...
Da erzählte Jesus die Geschichte mit dem Hund.
Ich bin zu den Kindern Israel geschickt.
Ihnen bringe ich das Brot.
Und nicht den Hunden.
...
Alle sind etwas geschockt.
So redet Jesus sonst nicht.
Die Frau schluckt.
Dann sagt sie:
Die Kinder sitzen am Tisch und essen.
Und immer fällt etwas unter den Tisch.
Auch die Hunde essen von dem Brot.
...
Jesus ist verblüfft.
Er sagt: "Du hast Recht!
Das war eine schlaue Antwort!
Du glaubst wirklich,
dass ich von Gott komme.
Geh nach Hause!
Deine Tochter ist eben gesund geworden."
...
Ich mag Jesus so.
So ist er manchmal.
Er vertut sich.
Er wird zornig.
Er findet die falschen Worte.
Er ist nicht immer cool.
Hier ist er hässig.
So nannte es meine Feundin Cornelia.
...
Einen Moment lang ist er zu.
Keiner kommt durch.
Aber dann hört er die Frau.
Jesus denkt über ihre Worte nach.
Er freut sich.
Das war gut geantwortet.
Er dekt:
"Die Frau hat mich auf's Kreuz gelegt."
Sie hat Recht.
Er nickt.
Sofort ist der Kontakt da.
Er ist online.
Die Verbindung steht.
Und dann ist er wieder der Alte.
...
Manchmal muss man Jesus zu sich rufen.
Hätnäckig an der Tür klopfen.
Seinen Blick suchen.
...
Manchmal denken wir:
Er hört nicht.
Aber dann ist er plötzlich da.
Wir wollen schon aufgeben.
Dann passiert es.
Er hört.
Er sieht uns an.
...
Alle Menschen können zu Jesus kommen.
Sarah wurde heute getauft.
Sie ist jetzt sein Kind.
Wir alle sind getauft.
Wir gehören zu ihm.
Und Jesu kommt auch zu den Fremden.
In unserer Geschichte hat er die Grenze überschritten.
Er hat etwas gelernt.
Die Frau ist kein Hund.
Die Fremden sind keine Hunde.
Sie dringen zu ihm durch.
Jesus weiß:
Sie kommen zu mir.
Sie sind schlau.
Sie sind langsam.
Sie sind nett.
Sie sind nervig.
Egal.
Alle gehören zu mir.
...
Unsere Geschichte erzählt es.
Jesus hat es gelernt.
Alle Völker kommen zu Gott.
Menschen aller Völker kommen zu ihm.
Er freut sich.
Er nimmt sie alle auf.
Sie gehören zu ihm.
Amen.
...
Gottes Friede ist mit euch.
Er ist größer als wir.
Und alle finden in ihm Platz.
Amen.
 

Perikope
27.09.2015
15,21-28

Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Esther Kuhn-Luz

Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Esther Kuhn-Luz
15,21-28

Liebe Gemeinde,

unser Predigttext steht im Matthäusevangelium im Kapitel 15, Verse  21—28.

Die kanaanäische Frau ist der Text überschrieben. (Lesung – nach Luther)

Eine seltsame Geschichte.

Jedes Mal, wenn ich mich mit ihr beschäftige, fällt es mir schwer, Jesus zu verstehen in seiner ablehnenden Haltung. Eine Geschichte mit so vielen Dimensionen – voller Fremdheiten.

Da ist eine Frau, sie ist wohl alleinerziehend. Ihre Tochter ist krank. Schwerkrank. Die Mutter muss schon vieles versucht haben, war bei Ärzten, Heilern. Nichts hat geholfen – sie ist verzweifelt.

„ Sie wird von einem bösen Geist geplagt.“ So benennt sie die Krankheit ihrer Tochter.

Diese Frau lebt in der Nähe von Tyrus und Sidon – dem heutigen Libanon. Ihr Name wird nicht genannt. Als  kanaanäische Frau wird sie bezeichnet. Damit schwingt gleich ihre Zugehörigkeit zu einer anderen Religion mit – und eine Erinnerung an das Land Kanaan, als Israel nach der langen Wüstenwanderung ins Land Kanaan einwanderte und es viele Konflikte gab zwischen den Religionen. Die jüdischen Menschen brachten ihren Glauben mit an den einen Gott, der Himmel und Erde und alle Menschen geschaffen hat , dem sie ihre Freiheit, ihre Befreiung aus der Sklaverei verdankten – und der ihnen auch in dieser schweren Wüstenzeit Lebenswege gezeigt hatte. Im Land Kanaan dagegen gab es sehr viele Gottheiten, die bedient werden mussten, denen es um Fruchtbarkeit und Wachstum ging  und um Reichtum und Macht. Ihnen musste viel geopfert werden. Lebenszeit und Geld.

Wenn Matthäus diese Frau als kanaanäische Frau einführt, dann hat er bei seinen Lesern damals einen Widerstand ausgelöst. Was will diese Frau, diese Vertreterin eines Volkes, die es damals dem jüdischen Volk so schwer gemacht hat?

Aber ist das ist unser Thema?  Kanaan und Israel…. das ist schon lange her…. Wir lassen uns  eher ansprechen von der Not einer Frau, die Angst um ihr Kind hat. Als Eltern miterleben zu müssen, dass das eigene Kind krank ist – unheilbar krank, die eigene Hilflosigkeit,  Ohnmacht aus halten zu müssen – was können wir noch tun? Und ständig auf der Suche zu sein, ob es nicht doch noch eine Heilungsmöglichkeit gibt – auch wenn sie ganz außergewöhnlich ist.

Diese Frau sieht in Jesus eine letzte Chance. Auch wenn sie keine Jüdin ist. Sie muss von Jesus erfahren haben. „ Sohn Davids“ nennt sie ihn, sie erkennt an, dass er von Gott gesandt ist, von Gott begabt mit großer Kraft.  Sie ist sehr verzweifelt – als sie Jesus sieht und erkennt schreit sie mit aller Verzweiflung, weil sie es nicht mehr aushalten kann, dass ihre Tochter so leiden muss und niemand ihr helfen kann. „ Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“

Und dann beschreibt sie ihre Verzweiflung. Ihre Tochter muss so sehr leiden, sie wird von einem bösen Geist geplagt. Was das bedeutet? Eine psychische Erkrankung? Eine Epilepsie? Das wird nicht ausgeführt. Das spielt auch keine Rolle – für eine Mutter  und auch ein Vater ist es immer schrecklich, das eigene Kind leiden zu sehen und selber nicht helfen zu können. Jesus hört das verzweifelt Schreien der Frau. „ Und er antwortete ihr….“ Und wir können uns aus anderen Geschichten die Antworten vorstellen: Was willst du, das ich dir tun soll? Oder: Bring sie her, ich will sie heilen. Oder irgendetwas in dieser Richtung.

Aber es heißt hier: „ Und er antwortete ihr-  kein Wort.“ Kein Wort.

Das schmerzt mich richtig beim Lesen. Wieso verweigert sich Jesus? Wie kann das sein, dass ihn das Leid dieser Frau nicht anrührt? Warum reagiert er gar nicht? Er sagt kein Wort! Dieses Verstummen und Schweigen angesichts der Not dieser Frau  - kaum aus zu halten! Es ist schon sonst schwer, Menschen zu erleben, die so dicht machen, die den Schmerz , die Not von anderen so garnicht an sich ran lassen  nach dem Motto: „ Was geht mich das an?“.

Aber Jesus! Jesus ist doch als Sohn Gottes derjenige, der in seinen Worten, in seinem Handeln die Liebe Gottes vergegenwärtigt. Die heilende Nähe Gottes wird doch so oft spürbar, wenn Jesus mit Menschen spricht.

Und hier? Er verweigert ihr zunächst sogar das Gespräch.

Warum? Dieses Verhalten von Jesus kratzt an unseren Jesusbildern. Und es gibt verschiedene Versuche, das Verhalten von Jesus zu entschuldigen – um unser Jesusbild des zugewandten heilenden Jesus zu bewahren.

Soll gezeigt werden, dass Jesus auch ganz Mensch war? Am Anfang der Geschichte heißt es : Jesus zog sich zurück. Und wir kennen das alle,  dass es auch und gerade für sehr engagierte Menschen immer wieder Zeit braucht, um sich zurück zu ziehen, eine Auszeit zu haben. Auch für Jesus.  Jesus zog sich zurück. Er ging weg aus Galiläa, über die Grenze von Israel in den Libanon, ins heidnische Land. Gut, wenn man sich zurück zieht, dann will man mal seine Ruhe haben, mal nicht angefragt, mal nicht gestört werden, mal seine Kräfte sammeln. Aber wenn ein Mensch mich anspricht mit seiner ganzen Verzweiflung und mich anspricht, weil sie von mir Hilfe erwartet – kann ich dann sagen: tut mir leid, ich bin gerade im Urlaub? 

Diese menschliche Seite von Jesus hier an dieser Stelle angesichts des Schreiens der Frau  das ist schwer aus zu halten.

Und wir können uns das auch nicht vorstellen, dass das der Grund für das ablehnende Verhalten von Jesus gewesen sein soll, der Grund, warum Matthäus uns diese Geschichte aufgeschrieben hat.

Die Freunde Jesu, seine Jünger – sie halten das auch kaum aus. Die Frau schreit in ihrer Verzweiflung weiter - und dieses verzweifelte Rufen bringt die Jünger dazu, ein zu greifen. „ Lass sie doch gehen, stell sie doch zufrieden, denn sie schreit uns nach.“  Es geht den Jüngern mehr um ihre Ruhe, nicht um die Frau. Sie selbst halten dieses verzweifelte Schreien nicht mehr aus.

Der kanaan. Frau verweigert Jesus das Gespräch. Mit seinen Jüngern redet Jesus.

Eine seltsame Situation, weil er über den Kopf der Frau hinweg redet. Jesus begründet sein Verhalten. „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt." Es beginnt eine theologische Diskussion, die ziemlich fehl am Platz erscheint. Kann man theologisch diskutieren, wenn es ganz konkret darum geht, einem Menschen in seiner Not zu helfen? Ist es richtig, erst mal über strukturelle Fragen zu reden? Aber – sagen andere – erleben wir das nicht gerade auch, dass man bei aller spontanen Hilfe aus dem Blick verliert, wie man die Hilfe gestalten kann ? Muss man nicht  politisch klären, was man will in der Flüchtlingsfrage, bevor man alle Flüchtlinge aufnimmt?

„ Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen  des Hauses Israel.“

Während wir uns gerade ein wenig Zeit genommen haben, uns  Gedanken zu machen, ist die Frau in ihrer Verzweiflung direkt zu Jesus gelaufen. Sie wirft sich vor ihm nieder – da liegt sie vor ihm   verzweifelt: „ Herr, hilf mir!“

Jetzt muss Jesus doch helfen! Wir machen das doch auch – die Not der Flüchtlinge, der Menschen, die zu uns aus zerstörten Häusern, aus traumatischen und gewaltvollen Situationen mit ihren verstörten Kindern zu uns geflohen sind – wir lassen uns doch auch anrühren und versuchen, zu helfen – und fragen uns, welche Aufgabe wir konkret haben. Und Jesus?

Jesus spricht jetzt wenigstens mit ihr. „ Tut mir leid, ich kann dir nicht helfen.“ Das wäre ein Satz, der zwar auch schwer aus zu halten wäre – aber trotzdem wäre da eine Beziehung, eine Begegnung geschehen. Es ist nicht immer möglich, so  zu helfen, wie der oder die andere sich das wünscht. Aber zumindest zu signalisieren: ich sehe deine Not – es tut mir leid, ich kann trotzdem gerade nichts für dich tun.

Jesus sagt das aber so nicht. Er führt nun mit der Frau seine theologischen Gedanken weiter aus.

„ Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“

Was ist das denn jetzt für ein Bild? Jesus spricht von Kindern – und die Frau von ihrer Tochter. Und doch meinen beide so etwas Verschiedenes. Jesus nennt die Menschen aus Israel „ Kinder“  - und  meint damit, sie sind „ Kinder Gottes“.

Ist denn das junge Mädchen und die Mutter, sind das nicht auch Kinder Gottes? Hat Gott nicht alle Menschen geschaffen? Ist nicht jeder Mensch nur wenig niedriger gemacht als Gott, wie es im Psalm 8 heißt? Wenn Gott in Jesus Mensch geworden ist – ist er das dann nicht für alle Mensch geworden, um die Menschlichkeit Gottes konkret spürbar werden zu lassen?

„ Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels.“

So deutlich wird das gleich von Anfang an im  Matthäusevangelium gesagt:

"Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams", so beginnt es, und stellt die Generationen von Abraham bis Jesus dar –  seine jüdische Verwurzelung, sein Auftrag für die Menschen in Israel.  Soweit ist theologisch alles korrekt. Aber trotzdem  jetzt liegt diese verzweifelte Mutter vor ihm und bittet ihn: „Herr, hilf mir!" Jetzt endlich redet er mit ihr – aber in unseren Ohren klingt das so demütigend. Es fällt das respektlose Wort von den Hunden: "Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde."
Alle Kinder dieser Welt brauchen Brot!!!, würde ich gerne einwerfen. Brot als die Grundlage, leben zu können!!! Und – hast du nicht bei der Speisung der 5000 ein paar Tage vorher alle satt gemacht?

Wir brauchen noch einmal einen andern Anlauf, um dieses ablehnende schroffe Verhalten von Jesus verstehen zu können.

„ Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“

Welchen Kindern wird denn das Brot weggenommen? Was ist denn damit gemeint? Spielt die Herkunft der Frau  eine Rolle? Um diese Frage zu klären muss man einen Blick in die  damalige Zeitgeschichte werfen. Biblisch gesehen haben die Städte Sidon und Tyrus traditionell einen schlechten Ruf. Jesaja, Joel und Sacharja fassen dieses schwierige Verhältnis in Worte. Der Hintergrund ist ein wirtschaftlicher Konflikt: Sidon und Tyrus gehören zu den reichsten Handelsstädten am Mittelmeer. Neben eigener Arbeit - in Tyrus wird Metall verarbeitet und Purpur gewonnen - ist es vor allem der Handel, der die Städte reich macht.

Galiläa, die Heimat Jesu und das Gebiet, in dem er sich vor allem aufgehalten hat, ist zur Zeit Jesu weitgehend verarmt und aus judäisch-jerusalemischer Sicht das Ende der Welt: "Was kann aus Nazareth, aus Galiläa, schon Gutes kommen?" (Johannes 1, 18). Besonders schlecht geht es der bäuerlichen Bevölkerung. Zwar sind sowohl Galiläa wie auch Sidon und Tyrus alle unter der Herrschaft des römischen Imperiums. Aber im direkten Vergleich stehen Sidon und Tyrus gut da.

Dazu kommt eine weitere wirtschaftliche Beziehung: Galiläa ist die Kornkammer für Sidon und Tyrus. Die Hafenstädte liegen im schmalen Küstenstreifen vor den Bergen des Libanon. Das umliegende Agrarland reicht für die Versorgung der Bevölkerung nicht aus. Deshalb beziehen die Bewohner ihre Lebensmittel aus Galiläa.

Anstatt dass also die landwirtschaftlichen Produkte Galiläas die eigene, hungerleidende Bevölkerung ernähren, exportiert die herrschende Schicht Galiläa die Nahrungsmittel in die Hafenstädte Sidon und Tyrus. Denn mit den Preisen, die Sidon und Tyrus bezahlen, kann die galiläische Landbevölkerung nicht Schritt halten; mit dem Geld aus Sidon und Tyrus lässt sich einfach mehr Gewinn machen.

Sidon und Tyrus stehen also auch innerhalb der römischen Kolonialherrschaft für die Ausbeutung Galiläas Hand in Hand mit der eigenen, galiläischen Herrscherschicht. - Wenn Jesus nun davon spricht, dass es "nicht recht ist, dass man den Kindern ihr Brot wegnimmt", dann solidarisiert er sich zunächst einmal auch mit der notleidenden galiläischen Landbevölkerung: Sie soll das Brot bekommen, und nicht die reiche tyrisch-sidonesische Stadtbevölkerung, die schon und auch jetzt wieder unter der Herrschaft Roms ihre Gewinne macht und die die kanaanäische Frau repräsentiert.

Eine spannende Sicht der Dinge. Ein wichtiger Beitrag. Aber spielt denn die Politik und Ökonomie eine Rolle, wenn doch jetzt die Frau einfach Hilfe sucht bei Jesus, Hilfe für ihre kranke Tochter?

„ Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde!“

Wie reagiert die kanaan. Frau auf die Worte von Jesus? Ist das nicht demütigend, so eine Zurückweisung zu erfahren? Wäre es nicht verständlich, wenn sie voller Enttäuschung resigniert? Es muss eine sehr kluge, weise Frau gewesen sein – lebensklug und herzensweise…. Sie kann es sich nicht leisten, jetzt aufzugeben. Sie ist nicht da, um für sich nach Anerkennung zu suchen. Sie will Hilfe für ihr Kind – und dass auf jeden Fall! Das gibt ihr Mut,  weiter beharrlich zu bleiben!!! Sie will weiter kämpfen! Es muss einen Weg geben! Sie hat Jesus verstanden, versteht, dass er als Jude zu ihr als Heidin spricht  aber sie lässt sich nicht abspeisen – sie bleibt beharrlich und jetzt schreit sie nicht mehr – jetzt argumentiert sie. „ Ja, Herr, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“

Sehr beindruckend, wie sie reagiert! Sie benutzt das Bild, das Jesus gebraucht und hält es ihm wie einen Spiegel vor. Als wollte sie sagen: Du denkst viel zu klein von Gott. Es fällt doch immer etwas ab, wo ER den Tisch deckt. Es reicht doch für alle.

Ja, Herr, aber doch… : ihr Glaube an den barmherzigen Gott ist groß, größer als die Ablehnung von Jesus. Ihre Hoffnung besteht darin, dass Gottes Liebe sich nicht von Grenzen abhalten lässt. Auch nicht von nationalen oder von religiösen Grenzen.

Es genügt nicht nur für die, die am Tisch sitzen. Auch die, die eigentlich nicht dazu gehören, können satt werden. „ Ja, Herr, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Jetzt endlich, jetzt reagiert Jesus. Er lässt sich ein auf die theologische Argumentation der Frau. Sie hat ihn in ihrem Gottvertrauen überzeugt. Und nun verändert sich auch sein Verhältnis, nun verändert sich die Begegnung zwischen beiden.  Jesus spricht zu ihr – nun doch innerlich berührt: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst.“. Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

Mit der Geschichte von dem beharrlichen Bitten der kanaan. Frau verändert sich etwas – auch im Selbstverständnis von Jesus. Jesus verändert seine Einstellung.  Deutlich wird das daran, dass nach dieser Begegnung später in Galiläa  noch einmal eine Speisung vieler Menschen statt finden wird. Die Speisung der Viertausend – nicht mehr die Speisung der 5000. Ein Teil der nach Gottes Wort  Hungrigen ist nun außerhalb von Israel. Und bei dieser Speisung bleiben nicht – wie vorher – 12 Körbe übrig  als Zeichen für die 12 Stämme Israels, sondern 7 Körbe – die Zahl für das umfassende Wirken Gottes  in der ganzen Schöpfung. Und am Ende des Matthäus-Evangeliums sendet Jesus seine Jünger hinaus in die Welt: "Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie... und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe."
 

Diese Frau, die Mutter des Glaubens, wie Martin Luther sie später genannt hat, hat mit ihrer grenzenlosen Liebe zu ihrer Tochter und mit ihrer grenzenlosen Erwartung Gott gegenüber die Stärke ihrer  Hoffnung gezeigt.  Gebe Gott uns, dass unsere Hoffnung in Gott größer ist als unsere Ängstlichkeit, nicht genügen zu können, in unserer Ohnmacht nichts erreichen zu können. Lassen wir uns von dieser Mutter des Glaubens zeigen, wie wir uns ins Ringen mit Gott einlassen können – und wie wir fähig werden, in unserem Glauben und in unserer Hilfe für andere Menschen Grenzen überwinden zu können.

Amen

Literatur:

Predigt von Manfred Kock am 07. Oktober 2001 im Berliner Dom

Predigt von  Andreas Pangritz am 20. September 1997 im Coligny-Kirchensaal der Französischen Kirche zu Berlin


 

 

Perikope
27.09.2015
15,21-28

Hunde sind dem Herrn ein Gräuel - ein Beitrag zur Debatte in Sachsen / Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Christoph Maier

Hunde sind dem Herrn ein Gräuel - ein Beitrag zur Debatte in Sachsen / Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Christoph Maier
15,21-28

Hunde sind dem Herrn ein Gräuel - ein Beitrag zur Debatte in Sachsen.[i]

Ja, die lieben Tiere. Sie müssen immer dann herhalten, wenn uns Menschen nichts mehr Besseres einfällt.

Da gibt es Gegenden, die sind durch nichts trefflicher zu beschreiben, als dass sich dort Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Es gibt kluge Füchse, listige Schlangen, arme Schweine und Nachteulen.

Die Tiernamen bringen es auf den Punkt. Tiernamen bringen Dinge zum Ausdruck, die darunter liegen, die mitschwingen und dann gar nicht mehr gesagt werden müssen. Wenn ich jemanden „zur Schnecke“ mache, ist das eben prägnanter gesagt, als wenn ich sage: „Durch meine überzeugende Argumentation musste sich mein Diskutant Stück für Stück zurückziehen, ja meine Wortgewalt war so groß, dass mein Mitdiskutant unter meinem Redeschwall gar nicht mehr sichtbar war und bestenfalls nur noch leer Worthülsen von sich gab.“

In unserem Predigttext begegnen uns heute Hunde und Schafe. Jesus nutzt die beiden Tiernamen, um etwas zu verdeutlichen, was aus biblischer Sicht hinter Hund und Schaf steckt. Dabei lernen wir von unseren Tieren gleich zu Beginn etwas ganz Wesentliches: „Es gibt im Grunde nur zwei Arten des Umganges mit der Bibel: Man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie ernst.“ (Pinchas Lapide)

Nehmen wir sie wörtlich dann lesen wir: Ein Schaf ist ein Schaf und ein Hund ist ein Hund.
Was ist für Sie in diesen Bezeichnungen hinterlegt?

Der Hund; der treuste Freund der Menschen. Ein knuddeliger Spielgefährte, gar nicht mal so selten der Ersatz für Kinder. Als Wachhund, Jagdhund oder Hofhund zudem extrem nützlich.

Haben sie schon mal mit einem Schaf gekuschelt? Wir schätzen zwar die Wolle, aber dieses fettige Gezottel, das auch noch sehr stark riecht, lassen wir uns dann doch lieber gewaschen und auf Knäulen gewickelt nach Hause liefern. Schafe haben einen extremen Herdentrieb, der bei unsereins eher verdächtig ist. Hirn ausschalten und den anderen folgen, ein Hirte eine Herde, das sind Parolen, die heutzutage nun wirklich nicht angebracht sind. Als Schaf würde ich mich nicht gerne bezeichnen lassen wollen.

Ein Schaf ist ein Schaf und ein Hund ist ein Hund. Steht doch so da, oder?
Nehmen wir die Bibel an dieser Stelle lieber ernst. Schnell müssen wir dann einsehen, dass es offensichtlich einen Unterschied gibt, zwischen dem was wir unter „Hund“ verstehen und dem, was Jesus hier sagen möchte. Wir können den Zeitgeist, der kulturell bedingt Begriffe füllt und wertet, nicht einfach außen vor lassen, wenn wir die Bibel ernst nehmen wollen. Denn offensichtlich ist die Bewertung unserer beiden Tiere ja genau umgekehrt, wie bei uns heute. Das Schaf ist positiv besetzt und der Hund negativ.

Jesus sieht sich selbst zu den verlorenen Schafen Israels gesandt. Da hören wir den Psalm 23 im Hintergrund, diesen großartigen Vertrauenspsalm. Nehmen wir das Schaf in der Bibel ernst, dann müssen wir wissen, dass eine Kleintierherde im alten Israel als Zeichen großen Reichtums galt. Wer Ziegen oder Schafe hatte, war ein gesegneter Mensch. Und in diesem Sinne gebraucht die Bibel die Beziehung zwischen Hirte und Herde, zwischen verlorenem Schaf und führsorglichem Gott ganz häufig als positives Bildpaar, und meint damit etwas, das sehr wertvoll ist.

Ganz anders die Hunde. Wir sollten wahrscheinlich lieber mit „Köter“ übersetzen, um das ernst zu nehmen, was die Bibel hier meint. Der Hund gilt der Bibel als unreines und wertloses Tier. Wen die „Hunde fressen“, der wurde aufs Elendste gedemütigt (1.Kön 21,19; 22,38; 2.Kön 9,36).

Jesus benutzt also diese beiden Tiernamen, um dieser lästigen Person, dieser kanaanäischen Frau, die ihm und seinen Jüngern nun schon seit einiger Zeit mit ihrem Gepläge (Geschrei) auf die Nerven geht, ganz deutlich zu machen, was sein Auftrag ist und was er von ihr hält:
Eine Frau, zumal eine Frau, die den Hunden zuzuordnen ist, die ist eigentlich noch nicht einmal einer Antwort würdig. Und hätten die Jünger nicht noch einmal nachgefragt, es wäre wahrscheinlich auch dabei geblieben: „Und er antwortete ihr kein Wort.“ (V 23)
Schließlich kennt Jesus seine Bibel und da steht es nun mal schwarz auf weiß: Hunde sind dem Herrn ein Gräuel. Nicht einmal das Geld von einem verkauften Straßenköter war rein, so verhasst waren dem HERRN die Hunde. „Du sollst keinen Hurenlohn noch Hundegeld in das Haus des HERRN, deines Gottes, bringen aus irgendeinem Gelübde; denn das ist dem HERRN, deinem Gott, beides ein Gräuel. (5. Mose 23,19)

Also, um das noch einmal klarzustellen: Jesus ist nur für die verlorenen Schafe da!
Wäre da nicht diese unglaublich ABERgläubische Frau, die Geschichte hätte ein ordentliches Ende gefunden.

ABER –immer wieder dieses ABER:
„ABER, Kyrie eleison! Herr, hilf mir doch!
„ABER, ich habe es doch gerade gesagt. Es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot wegnimmt und es an die Hunde verfüttert“
„ABER trotzdem essen die Hundchen von dem, was ihnen die Herren zuteilen. Kyrie eleison“

Der Evangelist Matthäus, der diese Episode erzählt, versteht es meisterhaft, das in den Vordergrund zu stellen, auf was es ankommt. 5x benutzt er in diesem kurzen Dialog, das Wort „Aber“, wie im Pingpong Spiel fliegen die Entgegnungen hin und her – die deutsche Sprache ist zu sperrig, um das angemessen wieder zu geben. So gesehen ist der Glaube dieser Frau tatsächlich ein ABER-Glaube. Ein ABER gegen die geltende Ordnung. Ein ABER gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Die kanaanäische Frau nimmt den Heil bringenden Christus für sich und ihre Nachkommen in Anspruch. Sie ist ABERgläubig. Erstaunlich gläubig, unbeirrbar, sie glaubt gegen manchen Widerstand.

Wie schon gesagt, die Geschichte hätte ein ganz ordentliches Ende haben können, wäre da nicht die ABER-witzige Frau gewesen.
Von einem „ordentlichen“ Ende kann allerdings nur dann geredet werden, wenn man den Kontext der damaligen Zeit im Blick hat. Ordentlich in dem Sinn, dass Volk bei Volk bleibt, dass klar bleibt, was sich gehört, nämlich dass Männer, zumal wenn sie etwas auf sich halten, nun mal nicht mit Frauen reden und dass Hunde dem Herrn ein Gräuel sind, dass alles seine Ordnung behält und Religion sich nicht im Zeitgeist der ewigen Vermischung der Völker und in der Auflösung aller Moral verliert, sondern klare Kante und klares Profil zeigen. So wie Jesus zu Anfang der Geschichte.
Hunde sind nun mal Hunde und Schafe sind Schafe, das geht nicht zusammen. Und das Brot der Kinder darf nun mal nicht vor die Hunde gehen. Ist das jetzt klar!

Damals war das Konsens. Wir Heutigen sind da ja eher entsetzt. Entsetzt darüber, dass Jesus dieser Frau nicht helfen will. Dass Jesus sich so radikal abgrenzt. Dass Jesus diese Frau so ausgrenzt. Wir kennen Jesus anders. Wir, das sind die „Kirchensäusler“, wir das sind die „gutbessermenschliche Toleranzbesoffene dauer-empörte Oberschönredner, anbiederungsdemütige Willkommes-Kreischer.“[ii] Wenn wir so weiter machen, dann gehen wir noch alle vor die Hunde!

Aber mit uns heutigen ist eben auch kein Staat mehr zu machen. Der Untergang des Abendlandes – ich weiß, die Sorgen und Nöte der Menschen, mann muss sie ernst nehmen. Da braucht es eben auch Leute, die klare Kante zeigen, die „für unsere Kultur und Werte, für den Schutz der Familie und für die Ächtung von Extremismus“ unter dem Banner von Schwarz, Rot, Gold „für die Schaffung einer souveränen Nation“[iii] auf die Straßen gehen.

Eine christliche Kultur befördert man so freilich nicht. Und die wirklichen Probleme löst man so übrigens auch nicht. Für offene Grenzen braucht es eine klare Identität. Die finden wir nicht im Nationalen, sondern in Christus. Jesus bleibt klar in seiner Sendung, Jesus bleibt klar in seiner Identität, und gerade so hat die Kraft, sich weit von dem zu entfernen, was Andere ängstlich festhalten müssten. So hat Jesus die Macht Grenzen zu überschreiten und schlicht weg, die Person zu sehen, die ihm gegenübersteht.

Diese ganze Geschichte ist eine einzige Grenzüberschreitung. Jesus im Gebiet um Tyrus. Das muss man sich mal auf der Karte anschauen. So weit weg von seinem normalen Wirkungskreis! Was will der da drüben? Was hat der da zu suchen?

Vielleicht will er Brosamen von den Brocken an die Hunde verteilen. Von den Brocken der Fülle Gottes, die Grenzen überwindet. Grenzen zwischen Kulturen und Ethnien, Grenzen zwischen Männer und Frauen, zwischen Althergebrachtem und Neuem. In der Fülle Gottes, in Christus, dem Brot des Lebens, sind Grenzen überwunden. Da sind nicht Hunde und Schafe, „nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Slave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau“ (Gal 3,28), hier ist nicht Homo noch Hetero und sei es dem HERRN noch so sehr ein Gräuel (3. Mose 3,20).

Jesus überschreitet Grenzen. Jesus geht nach Tyrus um von den Brocken zu verteilen an die, die dem HERRN ein Gräuel sind. Jesus verteilt etwas von den Brocken aus den Körben, die übrig geblieben waren. Die überreiche Fülle Gottes teilt er aus. Unsere Grenzüberschreitungsgeschichte ist eingerahmt von der wunderbaren Brotvermehrung. Zuerst die Speisung der 5000. 5000 Mann streiten für Israel. Für Israel 5 Bücher Mose und 5 Brote, 12 Stämme und 12 Körbe mit Brocken. Brocken, die übrig bleiben aus der wunderbaren Fülle Gottes. Brocken deren Brosamen genug wären für die Hunde.

Dann, nach unserem Predigttext, wieder eine Brotvermehrung. Jetzt die Speisung der 4000. Aus jeder Himmelsrichtung 1000. 7 Brote und 7 Körbe vollkommene Fülle übrig mit Brocken. Brocken für alle Welt, grenzenlos, und es wurden alle satt!

Statt eines Nachwortes.
Pinchas Lapide (jüdischer Religionsphilosoph) zitiert aus seinem Buch: „Ist die Bibel richtig übersetzt“:

„Es gibt im Grunde nur zwei Arten des Umganges mit der Bibel: man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie ernst. Beides zusammen verträgt sich nur schlecht.
Die Wörtlich-Nehmer, die das Motto »Es steht geschrieben« auf ihre Fahnen geschrieben haben, reduzieren die Schrift zum »papierenen Papst«, der auf eine leblose Dimension beschränkt bleibt. Die Ernst-Nehmer hingegen, die den Mut aufbringen, ihren Text zu hinterfragen, ihn kritisch zu erörtern, um zu seiner ursprünglichen Aussagekraft vorzustoßen, werden einen Hauch jenes Geistes erspüren, der zwar weht, wohin er will, aber stetig neu belebt, zu neuen Einsichten verhilft und eine Spur vom lebendigen, unverfügbaren und immer vorwärts treibenden Gott erahnen lässt.“
(Pinchas Lapide: “Ist die Bibel richtig übersetzt” 2. Auflage, Gütersloh 2008, S. 18)

Amen


[i] Die in der Predigt anklingende Themen, die aktuell in unser Kirchgemeinde diskutiert werden (Homosexualität und deutschnationale Bestrebungen), haben nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Zur Diskussion um die rechte Schriftauslegung vgl. die Debatte auf www.openpetition.de/petition/online/ja-zur-amtseinfuehrung-aber

[ii] Zitat aus einer E-Mail an den Verfasser, mit der zu einer „Offensive für Deutschland“ am 26.09.2015 in Leipzig eingeladen werden soll.

[iii] Zitat aus oben benannter Einladung zur Demonstration für ein „souveräne Nation“.

 

Perikope
27.09.2015
15,21-28

Mut zum Glauben! - Predigt zu Matthäus 15,21-28 von C. Bogislav Burandt

Mut zum Glauben! - Predigt zu Matthäus 15,21-28 von C. Bogislav Burandt
15,21-28

Mut zum Glauben!

Rückzugsgebiete, liebe Gemeinde, braucht jeder. Kein Mensch hält es aus, ständig zu arbeiten oder im Rampenlicht zu stehen. Pausen und die Möglichkeit, sich zurück zu ziehen, sind lebensnotwendig, damit Leib, Seele und Geist wieder aufatmen können. Am beliebtesten sind dabei das Meer und die Berge, zumindest wenn wir auf die Urlaubssaison zurückschauen. Die hohen Berge, die an den Himmel rühren, die Küsten, die ans Meer grenzen, sie üben ihren besonderen Reiz aus. Sie bieten „Grenzerfahrungen“, die uns gut tun.

Rückzugsgebiete braucht jeder. Auch Jesus von Nazareth. Wer genau in den Evangelien liest, wird dies beobachtet haben. Einmal steigt Jesus auf einen Berg, ein andermal geht er allein in die Wüste um zu beten, und noch ein anderes Mal bleibt er allein am Ufer des Sees Genezareth zurück. – Im Evangelium, das wir gehört haben, weicht Jesus mit seinen Jüngern in die Gegend von Tyros und Sidon aus: ein Rückzugsgebiet im Vergleich zu Galiläa, wo schon alle auf den Wanderprediger aus Nazareth aufmerksam geworden sind. Von dort her stammen ja auch alle  seine Jünger. In der Gegend von Tyros und Sidon gibt es jüdische Dörfer, aber im Bewusstsein der Israeliten damals ist das Zonen-Randgebiet.

Der Tag ist entspannt und friedlich, aber plötzlich werden Jesus und die Seinen empfindlich gestört. Eine Frau beginnt zu schreien. Geradezu hysterisch. Schon auf den ersten Blick ist sie an ihrer Kleidung als Kanaanäerin zu erkennen und ihre harte Aussprache bestätigt voll und ganz: Das ist keine Jüdin! Die Frau ruft: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.

Durchaus bemerkenswert: Da im Zonenrand-Gebiet gibt es eine Heidin, die sich mit der Gebetssprache der Psalmen auskennt. Gedenke meiner nach deiner Barmherzigkeit, HERR, um deiner Güte willen, heißt es etwa in Psalm 25. So wie es die Frau hier tut, rufen die frommen Juden in ihren Gebeten zu Gott. Und dass diese Frau Jesus als „Sohn Davids“ bezeichnet, ist noch bemerkenswerter! Denn „Sohn Davids“, das ist der verheißene Messias und Erretter Israels. Diese wildfremde Frau traut also Jesus zu, dass er der kommende Erlöser ist! Sie traut ihm damit jene besondere Nähe zu Gott zu, die die meisten Israeliten in Galiläa gerade nicht mit Jesus in Verbindung bringen wollen!

Die Tochter der Frau wird von einem bösen Geist geplagt, von einem Dämon. Auch heutzutage bilden bestimmte Abhängigkeiten oder Suchtverflechtungen Teufelskreise aus... Über die Medizin der Antike sollten wir nicht zu gering denken. Aber die Wortwahl der Kanaanäerin macht deutlich: Normale Ärzte können bei der Tochter nicht weiterhelfen - für Dämonen sind sie nicht zuständig. Die Frau schreit das Leid der Tochter hinaus; Erbarmen mit der Mutter bedeutet Heilung für die Tochter.

Jesus ist im Urlaub; außerdem ist er nicht zuständig, darum schweigt er. Seinen Jüngern wird die Angelegenheit allerdings peinlich. Mit einer schreienden Frau auf den Fersen ist Entspannung unmöglich. Sie bitten Jesus die Frau wegzuschicken. Eine Begegnung mit ihr wird so unausweichlich. Jesus dreht sich also um und gibt eine ablehnende Antwort: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Da an der Grenze des jüdischen Landes, da besinnt Jesus sich auf seine Sendung. Das ist die Chance eines Rückzugsgebietes: Klarheit darüber zu gewinnen, was der eigene Auftrag ist und was nicht.

Die Kanaanäerin lässt sich durch diese Grenzziehung nicht abhalten. Sie wirft sich Jesus zu Füßen mit dem Ruf: Herr, hilf mir! Durch ihr Verhalten zeigt die Frau, dass sie die Anrede an Jesus mit „Sohn Davids“ ernst meint. Denn wenn Jesus der verheißene Messias und Erlöser ist, dann gebührt ihm alle Verehrung, die sonst die Herrscher für sich einfordern. Zugleich ist der Hilferuf ein Zeichen für die Verzweiflung, die die Frau umtreibt.

Grenzen sind dazu da, respektiert zu werden. Jesus denkt an die Begebenheit, wie er vor kurzem ganz viele Menschen gesättigt hat, und formuliert dann seine Abfuhr an die Frau: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
Jesus hat nichts gegen Hunde. Und die Israeliten seiner Zeit haben wie viele Menschen der Antike Haushunde geschätzt. Jesus geht es hier vielmehr um den Unterschied und die Grenze zwischen Kindern und Hunden, zwischen Juden und Heiden. Basta.

Die Kanaanäerin gibt Jesus Recht. Sie respektiert den Unterschied zwischen Kindern und Hunden, zwischen Juden und Heiden. Sie sagt: Ja, Herr, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Ganz genau hat sie aufgepasst die Frau. Bei aller Angst und Verzweiflung im Blick auf die Tochter - ihren Kopf hat sie nicht verloren. Keine Sekunde denkt sie darüber nach, wie nachteilig der Tiervergleich für sie persönlich ausfällt. Wenn die Worte Schaf, Schwein, Esel, Kuh oder Hund als Bezeichnung für Menschen fallen, ist normalerweise das Gespräch zu Ende: Entweder es entsteht eisiges Schweigen oder es fallen stärkere Schimpfwörter als Vorboten für eine Schlägerei. Hier nicht. Die Frau nimmt Jesus ganz ernst und sie nimmt ihn beim Wort: Die Haushunde bekommen nicht das Brot der Kinder, aber doch die Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Und darum kann die Frau ihre Bitte aufrecht halten.

Und da gibt Jesus nach: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Das bedeutet dann für die Frau, dass ihre Tochter zur selben Stunde geheilt wird.

Jesus hat eine Grenzerfahrung der besonderen Art gemacht: Erkennt Jesus in dem Willen der Frau den Willen seines Vaters im Himmel im Sinne von „Dein Wille geschehe“? Geht der Heilswille des göttlichen Vaters über das Volk Israel hinaus? Oder will der gnädige Gott eben nicht, dass Mitmenschlichkeit und Erbarmen Urlaub machen?

Eine starke Geschichte, liebe Gemeinde, erzählt uns der Evangelist Matthäus, eine Geschichte, mit der er uns in Bewegung setzen möchte. So beeindruckend das Auftreten der Kanaanäerin ist, sie trägt keinen Namen. Und das hat, so denke ich, seinen guten Grund. Denn wir, liebe Gemeinde, wir sollen uns mit dieser Frau identifizieren; wir sollen uns bemühen ihrem Glauben nachzueifern. Jesu Wort vom großen Glauben der Frau leuchtet uns einladend aus der Geschichte entgegen. Schauen wir deshalb noch einmal genauer hin, was uns die Geschichte über den Glauben erzählt.

Die Kanaanäerin muss zunächst irgendwie von Jesus gehört haben.
Martin Luther meinte „ohne Zweifel ein gutes Gerücht und gutes Geschrei, dass Christus ein frommer Mann wäre, der gerne hülfe. Solches Gerücht von Gott ist ein rechtes Evangelium und Wort der Gnade“.[i] Der Glaube kommt aus dem Hören (Röm 10,17). Zuerst muss jemand etwas von Jesus Christus gehört haben, damit es zum Glauben kommen kann. Und dies Gehörte muss als ermutigend, erhellend und hilfreich empfunden werden, damit es festgehalten wird und nicht vorbeirauscht. Ja, die Kanaanäerin muss sich selber auch noch weiter informiert haben.

Johannes Calvin meinte: Die Frau hatte „doch schon einen gewissen Geschmack von Frömmigkeit aufgesogen. Denn wenn sie die Verheißungen gar nicht gekannt hätte, hätte sie Christus nicht Sohn Davids nennen können.“[ii]

Und schließlich muss die Frau zu der Überzeugung gekommen sein: Ich vertraue auf das Gehörte. Glaube hilft im Ernstfall. Wer glaubt, darf bitten. Und darum geht sie los. Glaube setzt in Bewegung und vertraut auf Jesus Christus als auf den Sohn Davids. Vertrauen auf ihn, als auf die Liebe Gottes in Person lässt sich nicht begrenzen.

Natürlich. Wer glaubt hat mit Widerständen zu tun. Oft genug meinen wir, Gott hört uns nicht, er berücksichtigt nicht, was wir wollen. Die Kanaanäerin lehrt uns da nicht aufzugeben. Auch wenn wir die Welt nicht mehr verstehen, wenn wir nur auf Ablehnung stoßen und uns ohnmächtig fühlen, wir dürfen auf das gehörte Evangelium vertrauen: darauf, dass Gott durch Jesus Christus uns liebt und uns Heil verheißt.

Aber: Wenn wir Gott um etwas bitten, dann kommt es nicht darauf an, dass wir über besondere religiöse Kräfte verfügen oder dass wir groß dastehen oder dass wir gegenüber irgendjemandem Recht bekommen. Nein. In der Bitte können und dürfen wir wie die Kanaanäerin ganz von uns selber absehen und auf Gottes Güte vertrauen, gerade auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint.

Eine verstorbene Frau aus der Gemeinde kommt mir in den Sinn. Sehr anschaulich konnte sie erzählen, wie sie - schwanger und als Mutter von drei Kindern - in den schlechten Jahren nach dem Krieg plötzlich Witwe wurde. Sie betete viel, wusste nicht, wie sie ihre Familie ernähren sollte. Aber Menschen halfen ihr, brachten ihr Lebensmittel, auch die damalige Pfarrsekretärin der Lukasgemeinde beteiligte sich.

‚Grundlage unseres Glaubens ist der Zuspruch Gottes. Verlassen können wir uns – gerade auch gegen alle Erfahrung – ausschließlich auf sein Wort, dass er unbedingt zu uns steht und dass er das vollenden will, was er in uns begonnen hat.’[iii]

 


[i] Texte zum Neuen Testament Bd. 3, Auslegungen der Reformatoren, gemeinsam mit Ulrich Asendorf, Samuel Lutz und Wilhelm Neuser hg von Gerhard Friedrich, Göttingen 1984, S.80.

[ii] s.o. S.82/83.

[iii] Du liebst mich also bin ich. Gedanken, Gebete Meditationen. Hans-Joachim Eckstein, 7. Auflage Stuttgart 1994, S.42 erweitert durch den Zusatz „gerade auch gegen alle Erfahrung“.

Hilfen bei der Vorbereitung:

GPM 69, H. 4, 2015, Der Himmel auf Erden und die Rettung eines einzigen Lebens. Die kanaanäische Frau und das Gottvertrauen der Völker, Marlene Crüsemann, S.436-441.

EKK I/2, Das Evangelium nach Matthäus 2. Teilband Mt 8-17, Ulrich Luz, Zürich 1990, S.429-438.

 

Perikope
27.09.2015
15,21-28

Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Eugen Manser

Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Eugen Manser
15,21-28

Liebe Gemeinde,

eine verstörende Geschichte. Ihr gutes Ende lässt einen nicht ihren empörenden Anfang vergessen. Jesus verschließt sich den Hilferufen einer  Notleidenden, weil sie Ausländerin ist, nicht zum Volk der Erwählten gehört!

Dreimal bleibt die Bitte um die Heilung der Tochter unerhört und schon beim ersten Mal möchte man dazuwischen gehen, dem Jesus die Leviten lesen: „Dann lässt du es eben bleiben, Jesus! Lieber bleibe ich mit meiner Not allein, als dass du mich hier anschweigst und demütigst!“

So geht manche Anfangsgeschichte des Glaubens in die Brüche - bis heute:

Ein Mensch ist in Not. Er hat gehört, das Gebet zu Gott kann helfen. Aber er hat noch nie gebetet. Schließlich überwindet die Not seinen Stolz und er wendet sich das erste Mal mit rauer Stimme und ungelenken Worten an Gott. Die Antwort ist Schweigen.

Der Mensch macht sich vielleicht in seiner Not sogar auf den Weg in die Gemeinde, weil er vermutet, dort seien geübte Beter. Aber er wird wieder enttäuscht, weil er in der Gemeinde allem Möglichen begegnet, nur nicht dem Gott, der seine Not wendet.

Unser Evangelium erzählt, wie dieses Schweigen Gottes schließlich nach unfasslicher Beharrlichkeit doch noch durchbrochen wird. Deshalb ist dieses Evangelium eine wertvolle Geschichte für alle Enttäuschten und Abgewiesenen.

Eine Frau kommt zu Jesus mit dem Notschrei Kyrie eleison!, Herr, erbarme dich!

Wie kommt sie dazu, in Jesus Gott zu sehen, der helfen kann? Denn Jesus mit seinen Jüngern war damals für den Augenschein auch nicht attraktiver als eine Kirchgemeinde von heute.

Markus erzählt in seiner Version der Geschichte, die Frau habe von Jesus ein gutes „Gerücht“ gehört. Aus diesem Gerücht, das sie gehört hat, kommt ihr unerschütterliches Zutrauen zu ihm.

Immer sind es Worte anderer Menschen, die uns auf Gott hinweisen, uns von guten Erfahrungen mit ihm berichten. Der Glaube an die Kraft Gottes entsteht also nicht durch Nachdenken und Grübeln – er entsteht durch das gute Gerücht, das mich trifft, durch Worte von anderen Menschen, die so oft ohne ihr Wissen zu Wegweisern auf Gott hin werden. In mir entsteht dann der Wunsch: ich will auch so glauben können!

Warum aber macht sich gerade diese einzelne ausländische Frau auf den Weg und andere, die das gute Gerücht auch gehört haben, nicht?

Die Antwort gibt Jesus selbst, wenn er bei einer anderen Gelegenheit sagt: „Die Kranken bedürfen das Arztes, nicht die Gesunden.“ Die Frau fühlt ihre Not. Sie ist eine von denen, die Maria im Magnifikat besingt: „Er füllt die Hungrigen mit Gutem – die Reichen lässt er leer.“

Die gute Botschaft geht an mir vorbei, solange ich glaube, bessere Botschaften zu haben, nach Brot verlangt es nur den Hungrigen und Kyrie eleison schreit nur einer, der die Erbarmungslosigkeit erlebt.

Die Frau fühlt das. Sie sucht das Wort, das Heilung bringt in ihre Familie: „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.“
Jesus schweigt zu ihrem Hilfeschrei! Was wird sie gedacht haben? ‚Ist das wirklich der Retter, der gütige Mann, von dem ich gehört habe? Es kann doch nicht wahr sein, er schweigt!’ 
Das ist hart, wenn sich Gott so tief verbirgt, dass wir denken, er wolle uns gar nicht. Wenn wir zum Beispiel in den Gottesdienst kommen in Erwartung von Trost, Hilfe und Ermutigung – und hören dann doch nur seichtes Menschenwort. Oder wenn wir beten und nur Schweigen kommt zurück.

Aber die Frau lässt sich nicht beirren. Sie bleibt bei dem guten Gerücht, dass sie von Jesus gehört hat. Sie bleibt dabei, obwohl sie gar nichts von Güte und Zuwendung spürt. Das tut unserer Vernunft, unserem Stolz, unserer Würde weh, wenn Gott uns so ignoriert! Da fallen die Hüllen und der Mensch steht nackt und bloß vor Gott. Diese Erfahrung erschüttert den Glauben der Frau so stark – dass er darüber fest wird! Doch Jesus schweigt weiter.

Nun bitten die Jünger für die Frau: „Stelle sie doch zufrieden!“ Sie treten mit ihrem Glauben bei Jesus für sie ein. Aber auch ihr Gebet schlägt er ab: „Ich bin nur für Israel da, nicht für diese Fremde.“

Manchmal nehmen sich andere unserer Not an. Sie hören uns an, verstehen uns, sehen auch manches schärfer, klarer als wir es vorher sahen – das hilft und tröstet auch. Aber auch sie werden nicht immer von Gott erhört. Wieder fällt eine Schutzhülle: Auch die Fürsprache (Fürbitte) anderer Menschen für uns ist keine Garantie, Gott aus seiner Verborgenheit herauszulocken. Schroff weist Jesus die Jünger ab: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Doch die Frau geht noch immer nicht traurig davon wie der reiche Jüngling. Immer noch glaubt sie, dass seine Güte unter seiner Abwehr verborgen ist. Sie will noch immer kein negatives Urteil über Gott fällen – das heißt Festhalten am Glauben!    

Sie läuft ihm nach, wirft sich ihm in den Weg: „Herr, hilf mir!“

Endlich bricht er sein Schweigen. Und was bekommt sie nun zu hören?

Sie sei ein Hund, nicht Wert seines Wortes, sie gehöre zu den Unbeachteten. Die Frau lässt die letzte Schutzhülle fallen – sie gibt ihm recht!

„Ja, ich bin eine Hündin, aber nun sei du auch ihr Herr! Denn auch die Hunde bekommen Brosamen von ihrer Herren Tische.“

Das heißt doch: ‚Gott, du Verborgener, du tust alles, um mich von dir wegzubringen – aber dein Segen reicht weiter, als du es mich jetzt erfahren lässt. Du kannst ja deinen Segen gar nicht halten – er fällt dir vom Tisch und ist auch noch für mich da.’

So fängt sie ihn mit seinen eigenen Worten. Jesus ist überwältigt: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst.“

Liebe Gemeinde, diese Geschichte macht eindringlich deutlich, wie schnell wir die Chance unseres Lebens vergeben können, wenn wir nur nach unserem gegenwärtigen Gefühl über Gott urteilen. Hätte die Frau ihrem Schmerz und ihrem verletzten Stolz über die fortwährende Ablehnung nachgegeben, sie wäre wahrscheinlich für immer traurig davongegangen.

Sie aber hielt daran fest, dass auch Gottes Nein ein kräftiges Ja birgt.

Gottes Segen wächst immer wieder über sich hinaus. Sogar Jesus lernt Neues über dieses uneingrenzbare Heil. Nicht die religiöse Herkunft, nicht einmal persönliche Not, sondern einzig der Glaube schreit erfolgreich zum Himmel.

Entscheidend ist also nicht, woher ein Mensch kommt. Entscheidend ist, wohin er unterwegs ist. Das hat Jesus bei dieser Begegnung gelernt. Er hat dazugelernt und sich umstimmen lassen.

Mögen auch wir angesichts der fremden Flüchtlingsströme in diesen Strom der Barmherzigkeit gezogen werden!

  

Perikope
27.09.2015
15,21-28

Vom Sorgen - Predigt zum Thema Flüchtlinge zu Matthäus 6, 25-34 von Christoph Dinkel

Vom Sorgen - Predigt zum Thema Flüchtlinge zu Matthäus 6, 25-34 von Christoph Dinkel
6,25-34

Vom Sorgen

Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist ein Abschnitt aus der Bergpredigt Jesu. Ich lese Matthäus 6,25-34:

Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Liebe Gemeinde!

1. Der Mensch ist das Tier, das sich Sorgen macht

Der Mensch ist das Tier, das sich Sorgen macht. Wir Menschen können Erinnerungen pflegen und eine Zukunft entwerfen. Unser Gedächtnis, unsere Sprache und die Medien Schrift, Ton und Bild halten die Vergangenheit präsent und ermöglichen es uns, detaillierte Pläne für Künftiges zu entwickeln. Wir können vergangenes Glück und vergangenes Unglück erinnern, wir können Erwartungen entwickeln, womit wir künftig zu rechnen haben und worauf wir uns einstellen müssen. Wir Menschen können unsere Zukunft selbst gestalten. Wir können Pläne entwerfen für unser Leben, für unsere Familie, für die Menschheit. All das können Tiere nicht. Tiere können nicht planen. Selbst wenn sie Nester bauen wie die Vögel, tun sie das nicht aus freiem Entschluss einem selbstentworfenen Plan folgend, sondern aus Instinkt, weil es ihr biologisches Programm so vorgibt. Wir Menschen haben gegenüber den Tieren eine viel größere Freiheit, was unsere Entscheidungen angehen. Doch der Preis für die Freiheit, der Preis für die Fähigkeit zur Gestaltung einer eigenen Zukunft sind die Sorgen. Der Mensch ist eben das Tier, das sich Sorgen macht.

2. Sorgen können krank machen

Das Sorgen gehört also zum Menschsein. Es ist der Preis für unsere Gestaltungsmöglichkeiten. Aus dem Sorgen werden wir nicht herauskommen, man kann es nicht abschaffen. Das Sorgen ist auch gar nicht das Problem. Das Problem ist das Maß. Das Problem ist, wenn man sich um zu vieles sorgt, wenn sich Unwichtiges als wichtig aufdrängt, wenn die Sorgenlast überhandnimmt, wenn die Zukunft von Sorgen verdunkelt wird und man sich alles mögliche Unheil ausmalt. Sorgen können krankmachen. Viele Menschen leiden unter der Last ihrer Sorgen. Sie gehen gebückt. Sie blicken finster in den Tag und fürchten hinter jeder Ecke neues Unglück. An jene, die vor lauter Sorgen den Mut zum Leben zu verlieren drohen, richtet sich Jesus mit seinem Wort: Sorget nicht! Ganz praktisch, im Stil eines Weisheitslehrers wendet er sich ihnen zu und sagt das lösende Wort: Lass jeden Tag seine eigene Sorge haben. Der morgige Tag wird für das seine sorgen. Wenn man aus den selbstgemachten Sorgen nicht mehr herausschauen kann, genügt es manchmal, dass einem einer das sagt, was man sich selbst nicht mehr sagen kann: Lebe Tag für Tag. Du musst nicht heute die Probleme für morgen lösen. Sorge dich nicht.

3. Sorgenmaschinen

Frühere Generationen mussten mit der Sorge um Nahrung und Kleidung leben. Die meisten Mitteleuropäer sind diese Sorge los. Wie gut es uns geht merken wir ganz besonders deutlich angesichts der Flüchtlinge, die in diesen Tagen in unser Land strömen. Ihr Schicksal bewegt uns. Sie haben echte Sorgen: Sorge um das Leben, um Gesundheit, um Angehörige. Sie haben viel riskiert, um dem Unglück in ihrer Heimat zu entfliehen. Sie hoffen auf eine bessere Zukunft. Sie setzen auf den Wohlstand und die Hilfsbereitschaft dieses Landes und darauf, dass sie hier gebraucht werden und neue Lebenschancen finden.

Im Vergleich zu den Sorgen der Flüchtlinge kommen einem die Alltagssorgen ganz unwirklich vor. Und dennoch vergällen einem die eigenen Sorgen oft genug das Leben. Zwei moderne Erscheinungen erzeugen besonders viele Sorgen. Es handelt sich um echte Sorgenmaschinen.

Die erste Sorgenmaschine ist unsere ständige Erreichbarkeit. Früher musste man Menschen physisch aufsuchen, um mit ihnen in Kontakt zu treten. Mindestens ein Brief musste versandt werden. Seit Graham Bell das Telefon erfand, ist der Mitmensch sehr viel leichter zu erreichen. Die ultimative Erreichbarkeit hat schließlich das Smartphone mit sich gebracht. Wir sind telefonisch, per Mail oder Messanger unablässig erreichbar. Das ist in ganz vieler Hinsicht ungemein nützlich und praktisch. Die Erreichbarkeit rettet Leben, bei einem Unfall ist der Notarzt viel schneller alarmiert als früher. Vermisste oder verschüttete Personen können per Mobilfunk geortet werden. Familien können über große Distanzen eng zusammenhalten, weil sie sich über Skype hören und sehen und lebendige Eindrücke austauschen können. Ich finde die mobile Erreichbarkeit einen Riesengewinn und möchte sie nicht mehr missen.

Aber die Erreichbarkeit hat auch ihren Preis. Wie oft wird man gestört, wenn es gar nicht passt. Wie oft verfolgen einen die Probleme der Arbeit bis in die Nacht und bis in den Schlaf. Und wie schwer ist es abzuschalten, wenn man immer online ist! Das Leben online kann zur Belastung werden, zu einer Lebensweise, der die Pause und die Einsamkeit fehlen. Im Urlaub war ich volle sechs Tage offline, nicht zu erreichen. Was für eine Erholung war das! Keine Erreichbarkeit, keine Sorgen mehr! Ich habe mir geschworen, auch zu Hause öfters offline zu sein.

Die andere Sorgenmaschine sind die Massenmedien, die uns unablässig mit neuen Sorgenmeldungen bestürmen. Massenmedien leben von unserer Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit heißt Auflage, heißt Quote. Aufmerksamkeit heißt Geldverdienen. Man darf das den Massenmedien nicht übel nehmen. Wir selbst als Kunden und Nutzer erzeugen den Druck auf die Medien, unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Wir selbst sorgen dafür, dass wir zu den Gejagten der Aufmerksamkeitsindustrie werden. Ständig werden uns Eilmeldungen präsentiert. Dreimal am Tag erreichen uns Breaking News. Jede große und kleine Katastrophe auf der Welt wird uns direkt aufs Smartphone geliefert. Wir sind ans Unglück der Welt per Live-Ticker angeschlossen. Unablässig wird uns ein Übermaß an Problemen, Konflikten und Katastrophen präsentiert. Unablässig wird suggeriert, es gäbe zu wenig Lösungen, zu wenig Kompetenz, zu wenig funktionierende Abläufe, weil solche Meldungen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dabei läuft das allermeiste in unserem Land doch ziemlich brauchbar und stabil. Wir haben solide Verhältnisse, werden gut regiert und verwaltet. Im globalen Vergleich ist Deutschland ein Hort der Stabilität. Doch unter dem Dauerbeschuss der Krisenmeldungen erscheint die eigene Umwelt immer weniger stabil. Wahrscheinlich, so beginnt man zu fürchten, ist der Boden unter unseren Füßen nur scheinbar sicher. Darunter könnte das Grauen lauern. Wir haben es bloß noch nicht gemerkt. Das ist die Suggestion der massenmedialen Aufmerksamkeitsindustrie. Sie ist eine Sorgenmaschine allererster Ordnung. Auch hier hilft in erster Linie der Entzug, das gezielte Abschalten, um die Sorgen nicht überhandnehmen zu lassen.

4. Entlastungsmöglichkeiten

Der moderne sorgengeplagte, dauerreichbare und daueralarmierte Mensch sucht nach Entlastung. Wir sind da gar nicht anders als die Menschen zur Zeit Jesu. Aus der Sicht Jesu waren auch seine Mitmenschen von einem Zuviel an Sorgen geplagt. Ihnen bietet Jesus Bilder der Entlastung an: Schaut euch die Vögel am Himmel an. Sie säen nicht, sie ernten nicht und doch finden sie genug zu essen. Schaut euch die Lilien auf dem Felde an. Auch wenn ihr euch noch so viel Mühe gebt. So schön wie sie werdet ihr nicht. Ihr macht euch zu viele Sorgen. Ihr macht euch die falschen Sorgen. Entspannt euch, lasst locker. Dem Sorgen seiner Mitmenschen stellt Jesus sein Gottvertrauen gegenüber. Gott schenkt den Vögeln Nahrung, Gott schenkt den Lilien Schönheit – auch ohne ständiges Sorgen werdet ihr Menschen genug bekommen.

Wenn wir nach Entlastung suchen, dann können wir wie Jesus auf die Vögel und auf die Lilien schauen – und ich glaube das wird auch uns helfen. Wir brauchen überzeugende Bilder der Entlastung. Für mich war der Blick an den Sternenhimmel diesen Sommer eine wichtige Entlastung. In den Tagen besonderer Sternschnuppenaktivität Anfang August habe ich jeden Abend eine halbe oder eine ganze Stunde den Himmel beobachtet. Wir waren auf der Schwäbischen Alb, wo es viel dunkler war als hier in Stuttgart. Wenn man länger schaut, nimmt man wahr, dass es am Himmel abertausende Sterne gibt. Plötzlich sieht man, was die Alten das Himmelszelt nannten: die gewölbte Kuppe des Firmaments. Und dann sieht man die Sternschnuppen: winzige, kurze Lichtereignisse. Besonders schön ist es, wenn man sie gemeinsam sieht und sich mit anderen an diesen Lichtern freuen kann. Den Vögeln und den Lilien möchte ich deshalb die Sternschnuppen an die Seite stellen. Auch sie lehren einen Leichtigkeit, lehren einen den Abstand von den eigenen Sorgen, lehren einen das Vertrauen, dass die Wirklichkeit größer ist als unser Sorgen, dass wir einen stabilen Ort im All haben und in der Welt zu Hause sind.

5. Echte Sorgen und die Sorge ums Reich Gottes

Unsere Sorgen lasten manchmal schwer auf uns. Wie viel schwerer aber wiegen die Sorgen, die die Flüchtlinge plagen, die derzeit nach Deutschland kommen! Sie haben ihre Heimat verloren. Sie sind in der Fremde, hören eine unbekannte Sprache, wissen nicht wie es weitergeht. Ihnen zu helfen ist derzeit eine zentrale Aufgabe der Politik. Ihnen zu helfen ist auch eine zentrale Aufgabe für uns als Christenmenschen. Vom Landesbischof kam die Frage, ob es in den Gemeinden nicht Wohnungen gibt, die leer stehen und die für Flüchtlinge geeignet wären. Unsere Gemeinde selbst hat keine Wohnung. Ich gebe die Frage aber an Sie weiter: Wenn Sie etwas anzubieten haben oder wissen, melden Sie sich bitte. Heute werden wir beim Opfer, der Kollekte am Ausgang für die Flüchtlingshilfe des Diakonischen Werkes sammeln. Auch auf diesem Weg können sie helfen, die Sorgen der Flüchtlinge zu lindern.

Jesus sagt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“, so wird euch das andere alles zufallen. Wer Flüchtlingen hilft, der sorgt sich um das, was aus der Sicht Jesu wirklich wichtig ist. Die Sorge um den Nächsten ist für Jesus die angemessene Form der Sorge. Sie rückt das Sorgen und Kreisen um sich selbst in den Hintergrund. Wer anderen hilft, hilft sich also auch selbst, indem er Abstand gewinnt von den falschen Sorgen, die einem sonst das Leben vergällen.

6. Sorget nicht – das Ethos des Wanderradikalen

Sorget nicht, empfiehlt Jesus seinen Anhängern. Und seine Empfehlung war dabei ursprünglich sehr umfassend und radikal gemeint. Jesus spricht zu seinen Jüngern, die mit ihm unterwegs sind, die nicht wissen, wo sie abends ihr Haupt hinlegen sollen, die ihr Leben riskieren für das Reich Gottes. Das Maß an Gottvertrauen, das Jesus vorlebt und seinen Jüngern abverlangt, ist für uns gutsituierte Wohlstandsbürger provozierend groß. Nur wenige Menschen können so radikal leben wie Jesus. Kein Wunder, dass die Menschen von ihm erzählten er gehe über Wasser. Jesus fand Sicherheit, wo andere nur Abgründe sahen. Aus Jesu Sicht sind wir alle Kleingläubige, wir müssen es mit Beschämung eingestehen.

Wo kann man Gottvertrauen lernen? Jesus stellt uns die Kinder vor Augen. Wer vertraut wie ein Kind, der ist auf dem Weg zum Himmel, sagt er. Im Urlaub habe ich nach Jahrzehnten wieder einmal „Tom Sawyer“ von Mark Twain gelesen. Tom ist ein Musterbeispiel für Gottvertrauen. Tom wächst bei seiner Tante Polly auf. Seine Mutter ist gestorben. Die Tante liebt Tom und Tom liebt die Tante, doch ständig macht sich die Tante Sorgen um ihn. Tom jedoch ist ohne Sorge. Er lebt in den Tag hinein, sieht überall Abenteuer und neue Herausforderungen. Ständig kommt er in Konflikte mit seinem Bruder, mit den Lehrern und mit seiner Tante. Oft genug bezieht er Prügel. Doch Tom nimmt solche Konflikte nicht schwer. Twain schreibt: „Zwei Minuten später, oder in noch kürzerer Zeit, hatte Tom alle seine Sorgen vergessen. Nicht, dass sie weniger schwer waren oder weniger auf ihm lasteten, wie eines Mannes Sorgen auf eines Mannes Schultern, nein durchaus nicht, aber ein neues mächtiges Interesse zog seine Gedanken ab […]. Dieses starke und mächtige Interesse war eine eben errungene, neue Methode im Pfeifen, die ihm ein Freund kürzlich beigebracht hatte.“

Tom Sawyer ist ein Meister in der Bewältigung von Sorgen. So vieles erregt seine Aufmerksamkeit, dass er sich mit Sorgen nicht lange aufhält. Tom Sawyer sieht überall Chancen. Bei einem Ausflug verirrt er sich mit seiner Freundin in einer tiefen Höhle. Die Kerzen gehen aus, sie sind tagelang in der Finsternis verschollen. Das Dorf trauert schon um sie, da entdeckt Tom ganz am Ende eines Stollens Licht. Er rettet seiner Freundin und sich das Leben. Alle sind glücklich. Doch Tom zieht es zurück in die Höhle. Noch mitten in der Todesgefahr hat er die Spur eines großen Goldschatzes entdeckt. Diesen Schatz hebt er zusammen mit seinem Freund Huckleberry Finn.

Ausgestattet mit einem Übermaß an Gottvertrauen weiß Tom aus allen Lagen etwas zu machen. Als seine Tante ihn damit bestraft, dass er statt zu spielen den Gartenzaun streichen muss, deutet Tom die Situation so um, dass aus der Strafe Belohnung wird. Seine Freunde, die über ihn spotten wollen, gaukelt er vor, dass er den Zaun gerne streiche, dass es niemand so könne wie er. Er gibt sich ganz dem Streichen des Zauns hin, bis die Freunde ebenfalls den Zaun streichen wollen. Doch Tom erlaubt es nicht. Schließlich lässt er es sich die Erlaubnis durch Geschenke abhandeln. Die anderen streichen für ihn den Zaun. Er selbst hat fast nichts gearbeitet und zugleich reiche Schätze gesammelt. Aus einer Last hat Tom Gewinn gezogen. Seine Sorgen hat er in ein Vergnügen verwandelt. Jesus sagt: Wer Gott vertraut wie es die Kinder tun, der ist auf dem Weg zum Himmel. – Amen.

Perikope
20.09.2015
6,25-34