Predigt zu Matthäus 2,1-12 von Axel Denecke
1.
Die drei „Weisen“ (volkstümlich „Könige“ aus dem „Morgenlande“ als Licht-Bringer zum Epiphaniasfest. Eine ganz bekannte Erzählung –jeder kennt sie- mit einer ganz unbekannten Entstehungsgeschichte. Die klugen Bibelforscher sind sich ganz uneinig, wie diese legendenhafte Erzählung entstanden ist, wie sie in die Bibel (nur Matthäus berichtet davon) hineingelangt ist und vor allem: Was sie bedeuten soll. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ hat einmal ein sonst sehr kluger Ausleger offen und ehrlich gesagt: Ja, was soll es bedeuten?
Volkstümlich ist das ganz klar. Die „Sternensänger“ ziehen wieder umher, in diesem Jahr von Paderborn, dieser ehemals (doch auch jetzt noch?) erzkatholischen Enklave ausgesandt, und sammeln sozial kirchlich abgesegnet gute Gaben ein. „Caspar, Melchior und Balthasar“ ziehen als kleine „heilige Drei Könige“ von Haus zu Haus, bringen eine Segensrune an der Haustür an und sammeln für einen wirklich guten Zweck für die immer noch dritte Welt, aus der diese Könige einst stammen sollen. Sie kamen ja von weit her, um das Kind im Stall anzubeten. Volkstümlich also ganz klar und ich hab sogar den Eindruck: Diese schöne alte Sitte wird von Jahr zu Jahr populärer. „Licht-Bringer“ sind die drei Könige, bringen zu Epiphanias etwas Licht in unsere meist recht dunkle Welt. Etwas Licht immerhin. Schön so.
2.
Doch der Ursprung dieser Geschichte liegt ganz im Dunkeln und wir haben –leider?- den ursprünglichen Sinn noch nicht recht herausgefunden. Die Bibelforscher –ich sagte es schon- rätseln darüber. Warum nur bei Matthäus? Warum so unvorbereitet und auch ohne Nachbereitung in die Bibel aufgenommen? Kein Bereicht der Bibel nimmt noch einmal darauf Bezug. In der Bibel sind es „Magier“, also „Sterndeuter, Astrologen“, weise Männer, die mehr sehen und wissen als andere. Später wurden „Könige“ daraus? Warum? Weil sie –so die Erzählung- spornstracks zum König Herodes ziehen, um den neugeborenen Messais dort zu finden? Und wie wurden sie zu Caspar, Melchior und Balthasar? Und wie kommen sie dazu, auf einmal zu träumen, nicht zu Herodes zurück zu kehren? Haben sie das später selbst anderen erzählt? Ach, so viel Fragen, allzu viele, wenn sich historischen Erinnerungsschnipsel mit legendären Ausmalung verbinden.
Ich hab selbst als lang geübter Prediger über diese Geschichte noch kaum nachgedacht, hab sie auch nicht sonderlich ernst genommen. Erst jetzt bin ich darauf gestoßen worden und will nun versuchen, einen guten Sinn für uns heute zu finden, damit das Ganze für uns auch einmal eine innere Bedeutung erhalten kann. Finden will ich die Deutung, nicht erfinden, finden will ich sie nach den Angaben des Schreibens dieser Erzählung.
3.
Drei „Magier“ waren es (so die Bezeichnung sowohl im griechischen wie lateinischen Text), die da, von einem Stern geleitet, den „Messias“ der Welt suchten. „Magier“ waren im alten Orient auch „Astrologen“, also „Sterndeuter“, man kann sie zu Recht auch als „Weise“ bezeichnen. Denn sie sehen mehr als andere, sie sehen innere Geheimnisse. Sie sehen höher und tiefer, sie sehen nicht nur das Äußere, und wenn sie auch zunächst das Äußere sehen –sie verirrten sich ja zunächst nach Jerusalem zum König- so werden sie doch dann nach Innen geleitet, durch Visionen, durch Träume, durch eine innere Schau. Kein Zufall, dass Sie durch einen Traum auf den richtigen Weg geleitet werden. Vielleicht sind sie ja nicht nur „Sterndeuter“, sondern auch „Traumdeuter“ wie der alte Joseph im erste Mose-Buch, wie der junge Joseph, Vater von Jesus, wie viele andere prophetische Gestalten der Bibel, uns meisten weit voraus. Nicht im äußeren Wissen, sondern im inneren Sehen, im Schauen einer Welt, die wir alle leicht zu übersehen geneigt sind. Vielleicht, sagte ich. Vorerst nur eine Vermutung.
Aus dem „Morgenlande“ kommen sie, heißt es. Also aus einem fremden Lande, wohl geheimnisvoll. Im griechischen Texte heißt weniger geheimnisvoll einfach „Anatolien“. Kennen wir, gibt es auch noch heute: Jedenfalls kommen sie aus dem Ausland. Keine Einheimischen sind es. Fremde, Fremdlinge, also Ausländer, vielleicht gar haben sie eine andere Religion oder auch gar keine, sind nach den Maßstäben Israels „Heiden“ Vielleicht, sage ich wieder. Vorerst nur Mutmaßungen.
4.
Merkwürdig das Ganze. Warum nur wird davon wie so zufällig, ohne Vor- und Nachbetrachtung in der Bibel berichtet? Was soll das? Und es geht ja noch weiter. Die drei Männer (es waren wohl Männer, oder?) ziehen zunächst nach Jerusalem, ins helle und durchaus auch strahlende Zentrum des Ganzen. Zum König Herodes. Ist so üblich. Da erwartet man das neue Licht, da soll der Stern aufgehen. Wo denn auch sonst? Da sind sie, diese weisen Magier, ganz von dieser Welt, da sind sie ganz unweise und ohne Sinn für die Magie. Sind also keine Dauerweisen mit magischen Zauberkräften. Fallen wie wir alle herein auf den äußeren Schein, auf die „normenbildende Kraft des Faktischen“. Von Jerusalem natürlich, vom König natürlich muss der neue Stern ausgehen. Wenn es einen Messias, einen Retter der Welt gibt, dann eben von dort. Nun ja, ich will das gar nicht weiter ausziehen und auf heute übertragen. Es gehört nur wenig Phantasie dazu, dies mit unserer heutigen online-Kultur in Verbindung zu bringen.
Doch dann werden sie eben umgeleitet. Müssen äußerlich umdenken, innerlich umkehren. Wie das ja auch bei uns selbst, unsere Mitte finden wollen. Da gibt es äußerlich Umwege, auch Irrwege, innerlich eine Umkehr, Neuorientierung. Ins armselige Bethlehem werden sie also vom Stern geleitet. Äußerlich werden sie geleitet ins Abseitig-Enge, ins verlassen Dunkle. „Das Licht scheint in der Finsternis“, dieser geheimnisvolle Satz des Johannes leuchtet von Ferne auf. Bethlehem, damals wirklich ein armseliger Ort, vielleicht aber auch arm und selig, wer weiß. Und sie kommen hin, finden das Kind, fallen nieder, beten an, breiten ihre Schätze vor dem Kind aus, innere Schätze denke ich, auch wenn es mit Gold, Weihrauch und Myrrhe äußerlich verklärt wird, innere Schätze, ihr Leben, ihre Weisheit, ihren Glauben – Magier und Sterndeuter und Traumkenner und Propheten und Weise und Lebenskünstler, die sie sind. Sie haben ihr Ziel gefunden, Ziel ihres magischen Lebens. Und im Traum wird ihnen bewusst, das war es also. Mehr brauchen wir nicht. Nicht wieder zurück zum Strahle-König Herodes, denn wir haben ja das Licht gesehen, das innere Licht, unser inneres Licht. Epiphanias ist für uns, für uns und für jeden, der sich auf diesen Weg macht.
5.
Also wunderbar. Schon bin ich dabei, das Ganze auch auf mich, auf uns zu übertragen. Schon bin ich dabei, eine Antwort auf meine Eingangsfrage zu erhaschen, ja gar zu finden. Man muss schon weise sein, weise geworden sein (von Magier und Magie will ich hier gar nicht sprechen), man muss schon hinter die äußeren Dinge schauen, man muss von innen sehen gelernt haben, um das „Licht des Lebens“ zu finden. Ist nicht leicht, man ist zu schnell vom äußeren Glanz geblendet, verirrt sich zu schnell nach all den Jerusalems unserer Erde. Der Abend- und Morgenstern unseres Lebens er blendet nicht, ist auch manchmal verdunkelt, man muss schon genau und geduldig und beständig hinschauen, um ihn zu sehen. Vielleicht muss man gar angeln mit Geduld, um ihn im dunkle Brunnen zu entdecken, tief unten, wo ihn keiner vermutet. „Am Brunnenhand hocken – entsunkenes Licht zu angeln – mit Geduld“ hat einst Pablo Neruda, auch ein weiser Mann, vielleicht gar Sterndeuter, gedichtet. Ja, es gibt diese weisen Menschen (Männer und Frauen), diese Sterndeuter, diese Traumkenner, diese Lebenspropheten auch noch heute. Wir sind umgeben von ihnen, wenn wir nur nicht ständig auf unsere großen Jerusalems starren und uns von seinem gleißenden Licht blenden lassen. Ja, es gibt sie auch noch heute, mitten unter uns, vielleicht gehören wir gar selbst dazu.
6.
Und daher meine ich: Matthäus (oder wer auch immer) hat ganz bewusst diese merkwürdige Geschichte in sein Evangelium eingeschoben. Um Gott in seinem Leben zu finden, muss man wie diese drei unbeirrt auf die Suche gehen, von weit her, muss man ein Weiser sein, muss man nach innen schauen, nach innen in sich hinein, nach innen in diese Welt, muss man quasi die ganze Welt von innen sehen. Und dann landet man eben nicht in Jerusalem, sondern in Bethlehem. Dann geht einem ein Licht auf gerade im Dunkeln, in den dunkelsten Stunden des Lebens. Dann wird es auf einmal hell, unser Leben wird neu erleuchtet und erscheint im rechten Licht. Epiphanias. Gott erscheint uns, erscheint in uns. Ich denke, das wollte Matthäus (oder wer auch immer) seinen Leuten damals und uns heute einschärfen.
Machts in eurem Leben so wie die drei magischen Weisen, diese drei Männer, die nach innen schauten, auf ihre Träume hörten, ihren Stern suchten, gerade ihren Sten und ihn richtig deuten. Machts wie sie – und ihr findet nicht nur das Kind, das später Messias genannt wurde, sondern ihr findet euch selbst, das Innerste von euch, das wahrste, findet gar Gott in euch. Und Gold, Weihrauch und Myrrhe sind dann äußere Symbole für den inneren Reichtum, der in euch ruht. Der schon von Ur an ruht, vielleicht im Dunkeln in euch verborgen ist, den ihr aber wieder ans Licht bringen könnt, „entsunkenes Licht zu angeln mit Geduld“ … wie diese drei weisen Männer, mythologisch fern aus uralten Tagen … wie ihr im Tiefsten weise Frauen und Männer heute, die ihr –ihr glaubt es ja kaum- tatsächlich weise seid, reich an Gold, Weihrauch und Myrrhe.
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Hin-Weise zum Nachgehen - Predigt zu Matthäus 2,1-12 von Thomas Ammermann
HIN-WEISE ZUM NACHGEHEN
Hören Sie zum heutigen Epiphanias-Tag erst einmal die Legende von den drei Weisen aus dem Morgenland...
1) Als Jesus in Bethlehem in Judäa geboren war, zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und fragten: 2) Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, um ihn anzubeten. 3) Als das König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, 4) und er ließ alle Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und fragte sie aus, wo der Christus geboren werden sollte. 5) Und sie antworteten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht´s durch den Propheten geschrieben (Micha 5, 1): 6) “Und du, Bethlehem im jüdischen Land, bist keineswegs die kleinste unter den Fürstenstädten in Juda; denn aus dir wird der Fürst kommen, der mein Volk Israel weiden soll.” 7) Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundigte sich genau bei ihnen, wann der Stern erschienen wäre, 8) und schickte sie nach Bethlehem und sagte: Geht dort hin und erkundigt euch genau nach dem Kind; und wenn ihr´s findet, so sagt mir´s wieder, dass auch ich hingehen und es anbeten kann. 9) Als sie nun den König gehört hatten, machten sie sich auf. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, zog vor ihnen her, bis er über der Stelle stand, wo das Kind war. 10) Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut, 11) gingen in das Haus und fanden das Kind mit Maria, seiner Mutter, fielen nieder und beteten es an, öffneten ihre Schätze und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. 12) Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.
Liebe Gemeinde! Eine schöne Geschichte ist das. Eine Parabel um Weisheit und Dummheit, um das richtige Fragen nach Gott und viele falsche Sorgen um die Macht. Als erstes fällt mir zu diesem Thema ein kleiner Vierzeiler ein:
Es gibt nicht allzu viele Weisen,
sich als ein Weiser zu erweisen.
Hingegen gibt´s im Weltgedränge
vielfält´ger Einfalt eine Menge!
Weisesein bedeutet ja nicht unbedingt: Viel zu wissen und auf alles eine Antwort zu haben. Vielmehr kennzeichnet einen Weisen seine Bereitschaft, sich von dem, was er erfährt, zu richtigem Fragen bewegen zu lassen - besser: Die eigenen Fragen an die richtige, nämlich an höhere Stelle zu richten - und sich nach dem, was er von da zu hören bekommt, dann auch selber zu richten, sich verändern, erneuern, gegebenenfalls zum Gehorsam bringen zu lassen. In diesem Sinne mag es zwar viele verschiedene kluge Leute geben, aber es ist immer wieder nur dieselbe eine Weise, in der sie weise werden: Indem sie nämlich ihre Fragen an Gott richten, indem sie nach Gott selber fragen.
Solches taten auch die berühmten “Weisen aus dem Morgenland”. - Das werden auch ziemlich verschiedene Leute gewesen sein. (Zu Recht werden sie - in frommen Geschichten und Krippenspielen - meist als etwas exotische Individualisten dargestellt.) Matthäus meinte mit diesen Gestalten eigentlich so etwas wie Seher, Zauberer und Sterndeuter. Die drei “Weisen aus dem Morgenland”, das waren schlicht drei Astrologen ihrer Zeit.
Nun liegt uns Christen zumeist nicht soviel an der Astrologie. Sie weckt unser berechtigtes Misstrauen. Und doch ist es schon angemessen, bei diesen Dreien von Weisen zu sprechen. Nicht weil sie selbst etwa so eine bewundernswerte Fähigkeit gehabt hätten, die Sterne zu betrachten und die Zukunft (richtig) daraus zu deuten, sondern weil sie in ihrer Eigenschaft als Sterngucker buchstäblich “über sich selbst hinaus” zu blicken trachteten.
Nur so konnten sie nämlich erkennen, dass die Stunde des Gottessohnes gekommen war. „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, um ihn anzubeten“ - so äußerten sie sich gegenüber Herodes.
Drei kluge Köpfe also, die es beizeiten verstanden hatten, von sich selbst ab- und über sich (will heißen über den eigenen Tellerrand) hinauszusehen, hatten begriffen, dass “der Stern des wahren Herrschers ” aufgegangen war, dass seine Zeit begonnen hat. Und sie sind aufgebrochen, um ihm ihre Referenz zu erweisen. Nicht also, weil sie irgendwelche “höheren Fähigkeiten” besessen hätten, sondern weil sie es verstanden hatten, über sich selbst und ihre eigenen, wirklichen oder vermeintlichen, menschlichen Qualitäten hinweg zu sehen und nach Höherem Ausschau zu halten, nach Gott selbst zu suchen, um IHN dann auch in der Niedrigkeit des Kindes auf-zusuchen und anzubeten, deshalb verdienen sie es, im christlichen Sinne “weise” genannt zu werden.
Und nun wird uns auch klar, was aus christlicher Sicht das Gegenteil der Weisheit, was Dummheit ist: Nämlich die Nichtbereitschaft dazu, auch nur die kleinste Veränderung des Vertrauten und Gewohnten zuzulassen. Dummheit ist ein Begriff für die Unfähigkeit von Menschen, hinauszublicken über sich selbst, über ihren begrenzten Horizont des Vertrauten, in welchem sie sich auskennen, wo sie selbst die Lage beherrschen.
„Als das König Herodes (der Be-Herrscher des Landes) hörte”, heißt es, “erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, und er ließ alle Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und fragte sie aus, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie antworteten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht´s durch den Propheten geschrieben (Micha 5, 1): Und du, Bethlehem im jüdischen Land, bist keineswegs die kleinste unter den Fürstenstädten in Juda; denn aus dir wird der Fürst kommen, der mein Volk Israel weiden soll.”
Die Hohepriester und Schriftgelehrten, das waren ohne Zweifel gebildete Leute. Sie hatten die Quellen studiert, jene alten Weissagungen über die Herkunft des Christus, den Fürsten des kommenden Gottesreiches. Damit wussten sie weit mehr, als die “Weisen” aus der orientalischen Ferne. Diese hatten sich ja in ihrer diesbezüglichen Unbildung dadurch „geoutet“, dass sie in Jerusalem erst nach dem richtigen Weg fragen mussten. Und doch blieben Herodes und seine Gelehrten „die Dummen“. Denn ihnen war es trotz aller klugen Traditionspflege nicht möglich gewesen, ihrerseits die Zeichen der neuen Zeit zu erkennen und danach zu handeln. Denn sie fürchteten sich davor. Der ganze mächtige und fromme Hofstaat wollte im Grunde nichts mit Gott und seiner verändernden Macht zu tun bekommen. „...Als das König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem...“
Der große Mann hatte Angst bekommen vor dem, der hier von fremden Sterndeutern als “neuer König der Juden” genannt worden war. Er fürchtete schlicht um seine gewohnte Macht als Herrscher über Judäa und andere Gebiete des alten Israel, um seine Autorität als einer beherrschenden Instanz im Nahen Osten. Von der konnte und mochte er nicht absehen. Alles was Herodes sah, waren seine eigenen Interessen, seine Machtinteressen. Die sah er gefährdet. Das Wort “neuer König” konnte er nur als Bedrohung seiner bestehenden Würde verstehen.
Ganz gleich, ob er ein gebildeter Mann war oder nicht und auch unerachtet der Frage, ob Herodes durch die Person Jesu Christi und ihre Bedeutung für Gottes Herrschaft auf der Welt wirklich um seine weltliche Herrschermacht hätte fürchten müssen, eines wird an seinem Verhalten deutlich: Er vermochte nicht, von sich selbst und den “nationalen Interessen” – anderes Wort für seine eigenen Machtinteressen - abzusehen und über sich hinaus zu blicken. Über sich duldeten der König und seine geistlichen Berater nämlich keinen Menschen - auch und schon gar nicht Gott als Mensch. Nichts durfte sich für sie ändern, nichts durfte geschehen, was sie hätte veranlassen können, sich selbst zu ändern...! - Das ist das Gegenteil von Weisheit.
Und das ist es auch, was bis heute die Mächtigen mit den Dummen dieser Welt gemein haben: Sie fürchten jede wirkliche Veränderung – vor allem eine, die sie selbst betrifft...
Entsprechend musste das ängstliche Interesse des Königs Herodes darin bestehen, alles zu verhindern, was hier nur nach Veränderung roch.
...Und nur bloß nicht über die Rechte jener nachdenken, die diese Veränderung brauchen, die sich sehnen nach dem echten „Frühling in der Region“...!
Der Angst entspringen Ignoranz, Egoismus, Bosheit und Brutalität!
Sie alle wissen, wie die Geschichte weiterging: Herodes verstieg sich bis zum grauenvollen Mord aller männlichen Neugeborenen in Bethlehem. Das Macht-volle Gesetz blinder Selbstsucht: Furcht verlangt Fürchterliches - heute noch nicht anders, nicht selten sogar schlimmer, als damals.
Zum “Seher” im Sinne der Weisen kann indes nur einer werden, der frei wird von Angst um das eigene Wohl und Wehe - auch in geistlicher Hinsicht -, der über sich hinausblickt, der sich ohne Furcht umschaut in der Welt und nach anderem sucht, nach dem Niedrigen vor allem, in welchem Gott sich finden lässt.
Genau dazu will uns dieser Text ermutigen: Wie die Weisen aus dem Morgenland zu werden, die ihre angestammte Heimat verließen, weil sie nach Gott fragten und die sich jenseits aller vertrauten Geleise führen ließen, mitten hinein in die Niedrigkeit jenes Kindes in der Krippe um dort IHN anzubeten…
Liebe Gemeinde! Solch teuflische Dummheit, wie wir sie in Gestalt jenes buchstäblich „Furcht“-bar erschrockenen Herodes kennen gelernt hatten, verhinderte nicht, dass dieser sich auf eine eigene Art auch listig verhalten konnte. „...Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundigte sich genau bei ihnen, wann der Stern erschienen wäre,“ erzählt Matthäus „und schickte sie nach Bethlehem und sagte: Geht dort hin und erkundigt euch genau nach dem Kind; und wenn ihr´s findet, so sagt mir´s wieder, dass auch ich hingehen und es anbeten kann.“ - Das kennen wir alle nur zu gut: Dass man uns freundlich kommt, charmant und sogar schmeichlerisch, Interesse heuchelt... “wie schön, dass Sie sich so einsetzen für das Gute und notwendige Reformen…” – Doch insgeheim überlegt man, wie man das verhindern, die Entwicklungen bremsen kann, aus Angst um die eigene Machtposition und ihre Privilegien…
Gott aber lässt sich nicht überlisten:
„Gott befahl ihnen (den Weisen) im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.“
Und die Moral aus der Geschichte: Wer nur nach Gott fragt, um Beruhigung seiner Seele zu erlangen, ansonsten aber alles beim Alten lassen will, der hat keine Chance, zum Ziel seiner Bemühungen zu gelangen, denn er sucht ja in Wirklichkeit nicht Gott, sondern seine eigene Gott-lose Ruhe. Und so etwas kann es nicht geben!
Man kann sich - wie Herodes von seinen Beratern - einiges über Gott sagen lassen, aber wenn man nicht bereit ist, sich von ihm selbst reinreden zu lassen, macht einen das nicht klüger. Und auch nicht ruhiger. (Die Erfolglosigkeit des Kindermordes sagt einiges aus über die grauenvolle Sinnlosigkeit auch der machtvollsten Bemühungen, den eigenen Frieden zu finden ohne nach den Menschen zu fragen, um die es Gott geht. Und auch darüber, in welchem Fiasko es enden muss, wenn die Mächtigen den Frieden zu schaffen oder zu erhalten trachten ohne danach zu fragen, was Gott darunter versteht…)
Das ist es, was Matthäus uns hier sagen will. Nein, was Matthäus uns hier sagen will, ist etwas anderes, besser, die andere Seite jener Warnung an die Mächtigen und Selbstgefälligen: Seid getrost, ihr, die ihr im Ernst nach Gott und den Menschen fragt und nur vielleicht noch nicht recht wisst, wo ihr suchen sollt. Denn Gott wird sich von euch finden lassen – wie damals, so auch heute bei den Menschen, die eure Zuwendung brauchen.
Habt dabei keine Angst, auch einmal die vertrauten Bahnen zu verlassen, schaut euch nur ganz frei in der Welt um. Ihr werdet euch nicht in ihr verlieren, auch wenn ihr nur wenig Ahnung davon habt, was hier eigentlich gespielt wird, denn Gott führt euch längst auf seinem Weg, auch wenn ihr noch nichts davon wisst.
In jedem Falle aber seid ihr schon einmal gut beraten, wenn ihr eurerseits nach den Verlorenen schaut, nach denen, die unter uns fremd oder fremd geworden sind, heimatlos in unserer doch in mancher Beziehung befremdlichen Gesellschaft: Nach den Flüchtlingen aus fernen Ländern natürlich, die bei uns Zuflucht suchen, aber auch nach Menschen, die unter uns in anderer Weise von einem Schicksal verfolgt sind, dem sie nicht entfliehen können, gefesselt in Krankenbetten, einsamen Erinnerungen oder persönlicher Schuld. Nach denen, die nicht genug Geld haben, um ihren Kindern zu ermöglichen, was für uns lange selbstverständlich ist... Nach allen, die keine Lobby haben – im Stadtrat, auf den Ämtern, im Kulturbetrieb oder auch in der Kirchengemeinde!
Habt keine Furcht, dass ihre Bedürftigkeit oder gar Hilflosigkeit euch überfordern könnte, sondern fragt ihre Fragen, leidet ihre Ängste und hört ihnen zu. Reden ist Silber, Hören ist Gold. Allem voran aber - wenn ihr könnt - versucht, ihnen ernsthafte Beachtung zu schenken. Das wirkt unter den Menschen wie Weihrauch und Myrrhe.
Die Weisen aus dem Morgenland, „als sie nun den König gehört hatten, machten sich auf. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, zog vor ihnen her, bis er über der Stelle stand, wo das Kind war.
Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut, gingen in das Haus und fanden...!“
Erinnern wir uns: Weisesein bedeutet nicht unbedingt viel zu wissen und auf alles eine Antwort zu haben – etwa auf die vielen Fragen in Bezug auf die sozialen Probleme unserer Zeit. Schon gar nicht auf Fragen des Glaubens und in Sachen “Sinn des Lebens”. Aber den wahren Weisen kennzeichnet seine Bereitschaft, sich von dem, was er erfährt, zu richtigem Fragen bewegen zu lassen. Besser: Die eigenen Fragen an die richtige, höhere, Stelle zu richten, im Wortsinn “über sich selbst hinaus zu blicken” und “zu hören” - und sich nach dem, was er von da zu hören bekommt, dann auch selber zu richten, sich verändern, erneuern, gegebenenfalls zu wirklichem Ge-hör-sam zurechtbringen zu lassen.
Nicht nur für, sondern mit den Schwachen, den Bedürftigen und den Erniedrigten zusammen sollen wir nach Trost suchen. Auch und gerade, wenn wir selbst nicht recht wissen, wie wir weiterkommen können. Denn der Gott, der sich entäußerte, der selbst über sich hinaus-, der über sein eigenes Gottsein hinwegsah, um in aller Niedrigkeit ein Mensch zu werden, dieser Gott steht auf vertrautem Fuße mit allen, denen ihr Leben in der Welt der Mächtigen und Erfolgreichen fremd geworden ist und die sich nach jener Veränderung sehnen, die im Herzen beginnt.
Und ganz sicher lässt er sich auch heute nicht anders als in aller Niedrigkeit, bei den Machtlosen sowie den Niedrigen und Entwurzelten und mit ihnen zusammen, finden. Dadurch wird alles anders, glauben sie mir.
Und wie einst die Weisen, werden auch wir “den Stern sehen” und “hoch erfreut werden”. „Gott befahl ihnen (den Sterndeutern) im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren”. Da „zogen (sie) auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.“
Ja, die klugen Traum-Seher dachten nicht im Traum daran, an den Hof des Herodes zurückzukehren und den selbstherrlichen Macht-Träumen rücksichtslos von sich besessener Menschen zu dienen. Sie zogen einfach auf einem anderen Weg heim. Man kann auch sagen: Sie haben einen neuen Weg für ihr Leben gefunden. Den einzigen Weg. Den mit Gott!
Sie waren eben wirklich weise. Und wir wissen ja, was das heißt:
Es gibt nicht allzu viele Weisen,
sich als ein Weiser zu erweisen.
Doch klug ist es, in allen Stücken
nach Gottes Stern sich tief zu bücken!
In diesem Sinne gehen nun auch Sie Ihren weiteren, vielleicht sogar einen neuen Weg „zurück in Ihr Land“ mit Gott!
AMEN
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Predigt zu Matthäus 3,13–17 von Gerda Altpeter
13. Dann kam Jesus aus Galiläa zum Jordan
wegen Johannes, damit er ihn taufe.
14. Dieser widersprach und sagte:
Ich müsste von dir getauft werden.
Und du kommst zu mir?“
15. Jesus antwortete und sagte zu ihm:
„Jetzt muss es geschehen,
denn so ist es angemessen
alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“
Dann gab Johannes nach.
16. Er taufte Jesus sofort
und ging hinauf vom Wasser..
Und siehe, der Geist Gottes stieg hinab
wie eine Taube.
17. Sie kam zu ihm.
Und siehe, eine Stimme vom Himmel sagte:
„Dieser ist mein geliebter Sohn.
An ihm habe ich Gefallen.“
Epiphanias heisst Licht. Es soll hell werden in uns und um uns. Wir sollen erkennen, worauf es ankommt. Wir sollen erkennen, was in der heiligen Nacht geschehen ist. Da ist ein Licht aufgegangen, ein leuchtendes Licht. Der Erlöser ist geboren. Von jetzt an brauchen wir nicht mehr im Dunklen zu tappen.
Da fällt mir ein, wie es im September 1944 war. Mein Vater war abtransportiert worden. Dann sollte ich auch abtransportiert werden. Der Personalchef der Firma Th. Goldschmidt AG., in der ich als Hilfsarbeiterin im Labor tätig war, liess mich rufen und erklärte, dass ich sofort zu meinem Hausarzt gehen solle. Ich dürfe nicht mehr in das Labor zurückkehren um meine Sachen zu holen.
Der Hausarzt erklärte mir, dass ich weg müsse. Er stellte mir einen Krankenschein aus und eine Genehmigung, einen Zug zu benutzen nach Bad Salzuflen, da ich eine Hormonstörung hätte. Ich reiste sofort ab mit meiner Mutter. Der ältere Bruder meiner Mutter nahm uns in Hiddesen auf. Dort erhielten wir einen Brief meines Vaters, dass er in Vorwohle sei in einer Scheune mit 100 Anderen. Wir wollten ihn besuchen. Morgens um 5 Uhr liefen wir durch den dunklen Wald von Hiddesen nach Detmold zum Bahnhof. Wir tappten den Weg entlang. Dunkle Wolken bedeckten den Himmel. Es war schaurig dunkel.
Endlich erreichten wir den Bahnhof. Wir kamen nach Vorwohle. Wir wussten nicht wohin. Wir liefen zum Bahnhofsrestaurant um eine Tasse Kaffee zu trinken.
Da sass mein Vater mit einem jungen Ehepaar. Sie hatten die Erlaubnis bekommen, aus Stadtoldendorf Medikamente zu holen für Prof. Dr. Strauss, den international bekannten Erfinder von V2A, der in der Scheune Lungenentzündung bekommen hatte.
Wir waren froh. Wir holten in der Stadt Medikamente, assen in einem guten Hotel und trennten uns. Prof. Dr. Strauss ist dann gestorben. Er mochte nicht mehr leben in einem Staat, der so mit ihm umging.
Die Familie kam durch. Als die Amerikaner das Ruhrgebiet besetzten kamen langsam alle wieder zusammen. Weihnachten 1945 gingen wir zum Gottesdienst. Die Marktkirche war zerstört. Die Gemeinde traf sich im Keller des Weiglehauses. Wir standen dicht an dicht. Dankbar erklang der Gesang:
Welt ging verloren.
Christ ist geboren.
Freue dich, o, Christenheit!
Der Heiland hat uns das Licht der Freiheit gebracht. Wir sind nicht mehr von Gott entfernt. Wir sind seine Kinder, Schwestern und Brüder Jesu. Wir sind erlöst. Dankbar dürfen wir es bekennen.
Wie sieht es heute aus? Die Kirchen sind leer. Die Leute sind gestresst. Sie gehen lieber in die freie Natur. Dort können sie zu sich kommen. Dort erholen sie sich.
Mein Vater schrieb 1942:
Die Kirchen sind jetzt überfüllt;
denn Krieg und Notzeit drücken sehr.
Wenn uns der Überfluss umhüllt,
dann sind die Kirchen wieder leer.
So ist das. Wer denkt noch heute an den Krieg vor 60 Jahren? Das haben wir vergessen. Heute haben wir Frieden. Heute geht es uns gut. Wir haben reichlich Arbeit und Verdienst. Es ist fast zu viel. Wir kommen kaum nach. Für den Gottesdienst ist weder Zeit noch Kraft da. Dort hören wir sein Wort. Dort begehen wir Epiphanias. Dort lesen wir von der Taufe Jesu durch Johannes am Jordan. Dort geschah es, dass der Geist Gottes wie eine Taube vom Himmel kam. Dort erklärte Gott, dass Jesus sein geliebter Sohn sei. Dort erfahren wir von der grossen Liebe unseres Schöpfers. Sie erfüllt unser Herz. Wir dürfen sie weitergeben. Wir sorgen für Frieden, Frieden mit uns selbst und Frieden mit unseren Mitmenschen.
Wie schön leuchtet der Morgenstern
voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn,
die süsse Wurzel Jesse.
Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
mein König und mein Bräutigam,
hast mir mein Herz besessen.
Nimm mich freundlich
in die Arme und erbarme
dich in Gnaden;
auf dein Wort komm ich geladen.
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Predigt zu Matthäus 1,18-21 von Esther Kuhn-Luz
Liebe Gemeinde,
Weihnachten ist Familienzeit. Die Familie spielt eine große Rolle an Weihnachten – man besucht die Eltern, die Geschwister, Tanten und Onkel – die eigenen Kinder sind da – ob sie nun klein sind oder schon selber erwachsenen. Selbst Menschen, die mit Weihnachten nicht so viel anfangen können, erinnern sich an die gemütliche Stimmung zuhause – als der Tannenbaum geschmückt wurde, überall Kerzen brannten, es einfach festlich war… vielleicht sogar Weihnachtslieder gesungen wurden… die Weihnachtsgeschichte vor gelesen wurde… und – ja, na klar, die Geschenke…
„ Was machst du an Weihnachten?“ „Ich besuche erst die eine Verwandtschaft, dann die andere…“ – so antworten viele.
Es gibt eine große Sehnsucht an Weihnachten, dass Familie gelingt – und da gibt es ja auch wunderschöne Momente. Die Hoffnung, nach den ganzen Anstrengungen der Vorbereitungen miteinander entspannt zu sein, Zeit füreinander zu haben – lecker zu essen – von Lebkuchen bis Klößen mit Rotkraut…und vielleicht mit einer Ente – natürlich aus regionaler Herkunft…
Weihnachten – das Fest der Erwartungen, dass Familie gelingt. Unnd dann machen wir immer wieder Erfahrungen, wie sehr diese Erwartungen enttäuscht werden. Eine junge Frau erzählte mir von ihrem Familienweihnacht. Ihr Vater war Alkoholiker – alkoholkrank – und sehr sentimental. Er liebte Weihnachten – hörte sehr gerne Weihnachtslieder – und wurde dann mit zunehmendem Abend immer gefühlvoller – bis es kippte, und er es selber nicht mehr aushielt und sich manche unerfüllte Sehnsucht wegtrinken musste. Sie sagt, obwohl es jedes Jahr das gleiche war und nicht gut endete gab es jeden Weihnachten neu diese Sehnsucht, dass es gut gehen möge – weil sie den Vater gerne so gefühlvoll erlebte…
Weihnachten ist ein Familienfest – warum eigentlich?
Heute an Heilig Abend hören wir die Geschichte, wie Jesus geboren wurde, einmal aus einer anderen Perspektive, wie wir es gewohnt sind – aus der Perspektive des Evangelisten Matthäus.
„ Die Geburt Jesu Christi geschah also so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist.
Josef aber, ihr Mann war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.
Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: „ Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen. Denn was sie empfangen hat, das ist vom Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, den er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“
Wenn wir in diesem Jahr auch in der Evangelischen Kirche viel über Familie diskutiert haben – wann eine Familie sich Familie nennen darf, welche Kriterien eine geglückte Lebensgemeinschaft mit Kindern erfüllen muss, um sich Familie nennen zu dürfen – dann ist diese biblische Weihnachtsgeschichte eine ganz besondere Familiengeschichte. „ Die heilige Familie“ werden Maria und Josef mit ihrem Kind Jesus genannt. Und in vielen Lieder werden sie auch so besungen…Aber warum heilig? Ganz objektiv betrachtet… also, da gab es doch einige Schwierigkeiten. Diese sehr junge Frau Maria wird schwanger – ein Glück, sie war nicht allein, sondern mit einem Zimmermann namens Josef aus Nazareth „ vertraut“. Das war ein Ausdruck für Verlobung – und war schon ein rechtsverbindliches Eheversprechen. Die eheliche Gemeinschaft wurde aber erst nach der Heimholung der Braut durch den Bräutigam – also nach der Hochzeit – vollzogen. Da war es schon ziemlich anstößig in der damaligen Zeit, dass Maria schwanger wurde vor der Hochzeit. Und Josef wusste, dass er mit ihr noch nicht intim war. Also eine Familiengeschichte, die mit ziemlich vielen Schwierigkeiten beginnt. Auch mit Schmerz und Enttäuschung – auf der Seite von Josef. Wie kann das sein, dass seine von ihm Geliebte , seine ihm „ Vertraute“ von einem andren schwanger war? – Wir könnten uns das noch ganz anders fragen. Warum beginnt die Geburtsgeschichte Jesu mit so vielen Problemen? Warum wird sie uns so erzählt? Wäre es nicht auch ein schöner Beginn gewesen, wenn Maria und Josef als vertrautes Paar gemeinsam schwanger geworden wäre, in aller Harmonie – und Jesus dann wirklich in einer „ heilen heiligen Familie“ zur Welt gekommen wäre?
So ist das Leben nicht – und Gott ist mitten in unserem Leben Mensch geworden – in all dem, was unser Leben auch kompliziert macht.
Ich denke, dass wir durch diese komplizierte Familiengeschichte wieder lernen, was es eigentlich bedeutet, heilig genannt zu werden – biblisch gesehen. Nicht, was wir so definieren an „ problemlos, alles in Ordnung, keine Konflikte....“ , sondern die Familiengeschichte Jesu beginnt mit dem Besuch des Engel Gottes bei Maria. Das erzählt uns die Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium. Von Gott berührt – von Gott bewegt… können Dinge geschehen, die wir für unmöglich halten. Bei Gott aber ist kein Ding unmöglich. „ Du sollst schwanger werden…“ verkündet ihr der Enge. „ Aber ich weiß von keinem Manne“, wehrt Maria ab. „ Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.“
Nur als Nebenbemerkung: der Heilige Geist… der Lebensatem Gottes – die Lebenskraft Gottes … im hebräischen heißt das „ ruach“ und ist weiblich… Das finde ich wichtig, damit dieses schiefe Bild nicht entsteht von dem männlichen heiligen Geist…
In der Familiengeschichte von Jesus geht es von Anfang an anders zu. Keine „ heile Familie“. Gottes Eingreifen verwirrt erst sehr – und fordert sehr viel von Maria und Josef: sich von all ihren Erwartungen an das „ Normale“ in einer Familie zu verabschieden – sich mehr auf Gott zu verlassen als auf die Erwartungen von außen.
Aber noch war Josef nicht soweit. Er liebte Maria, aber er war auch tief enttäuscht – und konnte ihre Geschichte mit dem Heiligen Geist erst nicht glauben – verständlicherweise. Er hat sich – wie viele junge Männer in einer solchen Situation mit ungeklärter Schwangerschaft der Freundin – sehr viele Gedanken gemacht, was er jetzt tun soll – und kam dann zu dem Entschluss, Maria zu verlassen – heimlich. Das heißt, er hat überlegt, Nazareth zu verlassen. In schwierigen Lebenssituationen, in denen wir keine richtige Lösung finden, kann es sein, dass wir nachts zu einer Lösung kommen, die uns tags nicht vorstellbar war. Im Traum, so erzählt es Matthäus, im Traum erschien dem Josef der Engel des Herrn. Gott berührt und bewegt nicht nur Maria, sondern auch Josef mit seinem heiligen Geist – mit seiner Lebenskraft. “ Fürchte dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen. Denn was sie empfangen hat ist vom Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären. Und du (!) sollst ihm den Namen Jesus geben – denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ Und dann erzählt er noch, dass in Jesus die Verheißungen aus dem Propheten Jesaja erfüllt werden…“ Eine junge Frau wird ein Kind gebären und sie werden ihm den Namen Immanuel geben – das heißt: Gott mit uns.“
So klar nimmt er die Gegenwart Gottes wahr – so deutlich ist der Auftrag an ihn. Das wirkt stärker als das Misstrauen, das ihn gegenüber Maria beschlichen hatte. „ Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Darf, kann, muss ich das glauben?
Josef jedenfalls war durch diesen Traum, durch die Berührung Gottes gestärkt – er wusste wieder klarer, was jetzt seine Rolle, seine Aufgabe ist. Und ihm wurde auch klar, dass Gott ihn an seine Verantwortung erinnert hat. Das Kind braucht den Vater wie die Mutter – er, Josef, soll dem Kind den Namen geben – Jesus – Gott mit uns… - und so ist es auch sein Kind.
„ Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.“
So wirkt Gott in manche Familiengeschichten hinein, die am Anfang so ganz „ unheilig“, „ unheil“ wirken… Schon dieser Teil der Geburtsgeschichte zeigt uns, wo Gott zu finden ist : dort wo sich Menschen auf Gottes Gegenwart, auf seine Berührungen, auf seinen Engel, auf seine Lebenskraft des Heiligen Geistes einlassen können – und sich so Vertrauen entwickeln kann – mögen die Verhältnisse von außen betrachtet noch so anstößig sein. Ich finde, das kann Mut machen, sich an Weihnachten auf so manche „ unheilige“ schwierige Familiensituationen ein zu lassen, weil es entlastet – es entlastet davon, die eignen Erwartungen an das „ Fest der Familie“ höher zu stellen als das Wirken Gottes in unseren Beziehungen. Und Gottes Wirken enttäuscht immer wieder unsere Erwartungen – aber befreit uns zu andren und neuen Perspektiven, in denen wir lernen, was das Leben von Gott her so reich und so befreit macht.
Wenn wir jetzt Zeit hätten und nicht zu unsrer Familie nach Hause eilen wollen, dann könnten wir uns den allerersten Anfang der Geburtsgeschichte Jesu anschauen in den ersten Versen des Matthäusevangeliums – also ganz am Anfang – denn die beginnt mit einer langen Aufzählung der verschiedenen Generationen, aus denen Jesus hervor geht – 3 mal 14 Namen werden genannt – ein sehr beeindruckender Stammbaum – aus der Familie des Josef. Denn er stammt ursprünglich aus dem Hause Davids ab… Deswegen wird Jesus ja auch später „ Sohn Davids“ genannt werden… Also – noch bevor wir uns auf die Geschichte mit Maria und dem Engel, der ungeplanten Schwangerschaft und diesen schwierige Konflikt für Josef einlassen, wird uns schon mal der Stammbaum von Josef erzählt… so, als wäre schon ganz klar – es wird schwierig werden, aber für eine Lösung ist gesorgt –die Wurzeln sind geklärt. Jesus wird auch das Kind von Josef werden. Mit diesem Stammbaum des Josef ist der gute Ausgang der Geschichte schon vorweg genommen. Oder anders: das mit dem Heiligen Geist ist für uns, für die Menschen damals und heute oft so unkonkret – und doch so stark zu spüren – aber es braucht auch eine ganz konkrete alltägliche Verwurzelung – in der eigenen Familiengeschichte. Und für Jesus in der biblischen Familiengeschichte. Wurzeln, die bis Abraham und Sara reichen, diese Segensgeschichte – Jakob und seine 12 Söhne – also auch die Josefsgeschichte, in der deutlich wurde: die Menschen haben es böse gemeint, Gott aber hat es gut gemacht…. – über die Wurzel starker Frauen, die ihren eigenen Weg gegangen sind – wie Tamar, Rahab, Rut, der Gromutter Davids, Batscheba, der Frau Davids… Alle hatten auf ihre Weise schwierige Wege, schwere Lebensaufgaben zu bewältigen – da gab es keine einfachen unkomplizierten Lebensentwürfe – aber es sind alles Biografien von Menschen, die sich in bestimmten unklaren Lebenssituationen geöffnet haben für das Wirken Gottes in ihrem Leben.
Und darin entdecke ich in der Weihnachtsgeschichte aus dem Matthäusevangelium die Weihnachtsfreude. Mögen unsere Lebenswege und unsere Familienbeziehungen noch so unklar sein – Gott ist in Jesus in unsere Welt, in unseren Alltag hinein geboren. Wir sind in Gottes Familiengeschichte durch Jesus mit hineingenommen. Gott sei Dank hat Gott diese Geschichte bewirkt durch seinen Heiligen Geist – so gehören wir auch zur „ Heiligen Familie“ dazu und können deshalb viel entspannter mit so manchen „ Familienerwartungen“ umgehen. Wir sind es nicht, die heilig sein müssen. Gott sei Dank!
Amen
Lied: EG 12 Gott sei Dank durch alle Welt
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Predigt zu Matthäus 1,1.16.18-25 von Rainer Stahl
Hinweise zum Predigttext:
Mit dem Predigttext aus Mt 1 zur Christnacht ist uns eine ganz besondere Herausforderung vorgelegt. Sie verlangt – so finde ich – eine Reflexion zum Text und seinen Problemen, bevor dann der Versuch unternommen werden kann, die Botschaft dieses Bibelwortes zu predigen.
Indem der Evangelist Matthäus im Rahmen seiner Erzählung über die Herkunft des Christus Jes 7,14 in einer sehr eigenständigen Weise zitiert, wird uns abverlangt, den Sinn dieses Textes zu bestimmen. Vor 20 Jahren habe ich über Jes 7,1-17 grundlegend gearbeitet[1] und begründet, dass Jes 7,1-8b.9.10-14.16 eine zusammenhängende Einheit vielleicht sogar aus der Verarbeitungszeit des so genannten syrisch-efraimitischen Krieges zur Wende vom 8. zum 7. Jh. v. Chr. aus Juda darstellt,[2] die als Folgetext zu Jesaja 6, der Berufungsszene, die in einen Verstockungsauftrag am Volk mündet, bewusst einen schillernden Eindruck vermittelt: Zwischen der positiven Gewissheit, dass „Gott mit uns ist“, und der zweifelnden, flehenden Einsicht, dass „Gott bei uns sei“.[3] Ausgedrückt wird dies auch im Hoffnungsbild, dass eine spezifische junge Frau – „die Junge“, wie Martin Buber verdeutscht; wohl mit Sicherheit eine Frau im Harem des Königs – schwanger werden, einen Sohn gebären und ihm den Namen »Immanuel« geben wird.[4]
Die Hinzufügung von V. 15 stellt klar, dass mit dem »Immanuel« messianische Zeiten des Überflusses anbrechen werden.
Die Übersetzungsleistung der alexandrinischen Juden zum Jesajabuch im 3. Jh. v. Chr., die Teil der griechischen Bibel, der Septuaginta, geworden ist, führt die positive Linie weiter und interpretiert den Text noch messianischer: Jetzt ist „die Junge“ mit einem Begriff angesprochen, der zumindest auch als „die Jungfrau“ verstanden werden kann und wird der Vater dem Sohn den Namen »Immanuel« geben – oder die Namensgabe ist unpersönlich pluralisch formuliert, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass es Gott selbst ist, der sich durch den Namen zum Neugeborenen bekennt.[5]
In genau dieser Weise hat dann Matthäus die biblische Tradition aufgegriffen und dem Zitat aus dem Jesajabuch eine typische Gestalt gegeben:
„Siehe, die Jungfrau wird im Schoße haben
und einen Sohn gebären,
und man wird seinen Namen nennen »Immanuel«“ (Mt 1,23).
In jüngster Zeit wird die Diskussion um das Verstehen dieses Bibelwortes in interessanter Weise innerhalb der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) geführt: Prof. Dr. Achim Behrens von der Kirchlichen Hochschule der SELK in Oberursel hat vor einem Jahr eine grundlegende Studie zu unserem Text vorgelegt und auch herausgearbeitet, dass der heute vorliegende biblische Text das Ergebnis einer ganzen Theologiegeschichte darstellt, die zu heilstheologischen Einsichten, zu messianischen Erkenntnissen geführt hat.[6]
Dieser Position, die prinzipiell meiner eigenen entspricht, hat in diesem Jahr der Pfarrer der SELK in Fürstenwalde, Matthias Krieser, widersprochen. Er versteht schon den hebräischen Text als Aussage über die Schwangerschaft einer „Jungfrau“, also ein übernatürliches Zeichen, das über die mögliche Ursprungssituation im ausgehenden 8. Jh. v. Chr. hinausweist. Deshalb sei es sinnvoll und richtig, entsprechend dem reformatorischen Grundsatz, dass sich die Bibel selbst auslegt, alttestamentliche und neutestamentliche Aussagen in ihrer Bezogenheit aufeinander zu verstehen. Für den Bezug zwischen Jes 7,14 und Mt 1,23 spricht er von einem „Nacheinander, wobei das Neue Testament den Wortsinn im alttestamentlichen Kontext nicht ändert oder aufhebt, sondern im Gegenteil zu seiner Vollendung führt. Dabei kann es geschehen, dass ein zunächst über den historischen Wortsinn hinausgehendes ‚Sinnpotential’ nun zum von der Heiligen Schrift selbst autorisierten Vollsinn bzw. Hauptsinn wird. Es ist dann zugleich der historische Wortsinn – des neutestamentlichen Textes nämlich –, der die Erfüllungsbotschaft enthält.“[7]
Darauf hat im selben Heft von „Lutherische Theologie und Kirche“ Achim Behrens kurz reagiert und die Argumente dafür zusammengestellt, dass die verschiedenen Schriftfassungen eine Theologiegeschichte, ja: eine Offenbarungsgeschichte zum Ausdruck bringen[8] – vom hebräischen Bibeltext, der sowohl jüdisch als auch christlich gelesen werden kann, bis hin zum Text des Matthäusevangeliums im christlichen Neuen Testament.
Trotz mancher Unterschiede in der Methodik wirken die Ergebnisse beider Herangehensweisen doch wiederum recht ähnlich auf mich. Und dieses einander ähnliche Verständnis liegt denn auch hinter meinem eigenen Predigtversuch.
Dazu hebe ich noch hervor, dass ich in den letzten Jahren aus Veröffentlichungen von römisch-katholischer Seite manche interessante Differenzierung zur Kenntnis nehmen konnte: Der frühere Professor an der Universität Gießen, Dr. Ingo Broer, hat 2009 eindeutig zur Beziehung von Jes 7,14 zu Mt 1,23 festgehalten: „Man könnte nun annehmen, dass hier eine direkte innerbiblische ‚Quelle’ der Idee der Jungfrauengeburt vorliege. Das kommt aber nicht infrage, da weder im hebräischen noch im griechischen Text des Alten Testaments die Unberührtheit der jungen Frau hervorgehoben ist. […] Die Gedanken der göttlichen Zeugung und der Gottessohnschaft sind in der Jesajastelle nicht enthalten.“[9]
In besonderer Weise ist interessant, dass seit zwei Jahren eine umfangreiche Studie des benediktischen Bibelexegeten Raphael Schulte vorliegt.[10] Die überwältigende Fülle seiner Arbeitsschritte und Erkenntnisse kann hier in keiner Weise referiert werden. Einige entscheidende Erkenntnisse seien festgehalten:
„In Jes 7 ist ja auch, wie die Exegeten herausstellen, nicht zu erkennen, wer genau mit der ‚[…] Jungfrau’ gemeint ist, noch wer der dort angesagte Immanuel ist; das AT selbst gibt (noch) keine Antwort auf unsere Frage. […] Das Jes-Zitat ist das Wort Jahwes, das er in der damaligen Situation durch Jesaja an das Haus David […] richtete, in die selbstverschuldete äußerste Krisensituation hinein […]. Genau das sieht Matthäus jetzt als erfüllt an! Jahwe hat erfüllt, was er damals verheißen hat […].“[11]
Für den neutestamentlichen Bibeltext gilt nun, dass er vieles nur andeutet und also offen ist für weitergehende Interpretationen, es aber sinnvoll ist, bei den Aussagen zu bleiben, die wirklich eindeutig zur Sprache gebracht werden:
dass „Gott das Hauptsubjekt dessen ist, was dort als Evangelium im matthäischen Sinn ausgesprochen wird“[12],
dass „dem, den Maria gebären wird, der Name ‚Jesus’ gegeben werden soll“, womit zum Ausdruck gebracht wird: „Er ist also persönlich Jahwe-Heil und er erfüllt das, in seinem Lebensauftrag […]“[13],
und schließlich, dass diese Glaubenseinsicht von der Gemeinde rezipiert wird, deren Selbstverständnis in diesem Bibelwort zum Ausdruck kommt: „Jetzt, da Matthäus schreibt, ist es die Jahwe- und Jesus-glaubende Gemeinde, die aufgrund des persönlichen Daseins und Wirkens Jesu erkannt hat und preisend anerkennt, dass er dieser ‚Immanuel’ in Jes 7,14 ist, es im Wirken vollbracht hat und darin bleibt, was ‚Immanuel’ als Wirklichkeit unaufhörlich erleben lässt: Gott-mit-uns, was ja schlicht dasselbe sagt, was ‚Jahwe – Ich-bin-euer (Gott)’ ausspricht (28,20).“[14]
In einer besonderen Weise werde ich die Einsichten von Raphael Schulte aufnehmen: indem ich weitestgehend seiner Übersetzung unseres Bibelwortes folgen werde.[15]
Hinzu kommt noch eine weitere Beobachtung: Der Wortlaut des Textes des Matthäusevangeliums ist in unserem Zusammenhang nicht völlig einheitlich. Es gibt gewichtige Unterschiede zwischen den verschiedenen Textzeugen. Diese Unterschiede machen eine überraschende Beobachtung möglich: Alte Textgestalten in syrischer Sprache bieten unserem Vorverständnis sehr entgegenkommende Formen an. Dabei wurde für mich eine erstaunliche Variante zu Mt 1,21 zum Ausgangspunkt der Aufmerksamkeit auf diese Textformen:
„[…] du sollst ihm den Namen Jesus geben,
denn er wird die Welt von ihren Sünden erretten.“
Hier wird also der Auftrag des Jesus an seinem Volk, an den Juden, ausgeweitet auf uns alle – sofern wir ihm vertrauen und glauben! Deshalb werde ich an den Anfang meiner Predigt eine Textfassung stellen, die die Varianten dieser syrischen Textgestalt berücksichtigt.
Diese Textfassung verstehe ich so, dass mit ihrer Hilfe ein Ausgleich versucht wird zwischen der Aussage der „Davidssohnschaft“ des Christus und der Feststellung, dass er ganz von Gott herkommt. In der allgemein bekannten Textfassung des Matthäusevangeliums wird die Davidssohnschaft über eine Adoption verwirklicht, indem Josef Jesus an Sohnes Statt annimmt. Die Fassung des syrischen Textes hält beides gleichzeitig aus: Josef ist der Vater des Jesus aus Nazaret. Dieser ist aber auch aus Gottesgeist.
Diese Gleichzeitigkeit halte ich für hochinteressant. Sie lässt uns einer bestimmten Frage bewusst werden: Wieso verhalten wir uns an dieser Stelle oft so altmodisch und „materialistisch“? Warum meinen wir, dass ein natürlicher Ursprung des Jesus aus Nazaret die geistliche Einsicht ausschlösse, dass er aus Gottesgeist, dass er also der Christus ist? Kann nicht beides zusammen ausgehalten werden? Ich denke jedenfalls, dass es uns im Jahr 2014 leichter würde, das Wunder der Geburt und des Wirkens des Jesus aus Nazaret wahrzunehmen und anzunehmen, wenn wir beides zusammenhalten können – die natürliche Herkunft Christi und seine Herkunft aus Gottesgeist!
Predigt:
„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!“
V. 1 „Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams: […]
V. 16: Jakob zeugte den Josef, Josef aber, dem Maria, die Jungfrau, verlobt war, zeugte
Jesus, den Christus Genannten.[16] […]
V. 18: Die Herkunft Christi war so:
Als seine Mutter Maria mit Josef verehelicht war,
noch bevor sie zusammengekommen waren, fand es sich,
dass sie im Schoße hatte aus Gottesgeist.
V. 19: Josef aber, ihr Mann, der ein Gerechter war und nicht willens, sie der Öffentlichkeit
auszusetzen, wollte sie in aller Stille freigeben.
V. 20: Als er das alles bedachte,
siehe da erschien ihm im Traum der Bote des Herrn, der sprach:
‚Josef, Sohn Davids, scheue dich nicht, Maria, deine Ehefrau, zu dir zu nehmen,
weil, wahrhaftig, das in ihr Gezeugte aus Gottesgeist ist.
V. 21: Sie wird dir einen Sohn gebären,
und du sollst ihm den Namen Jesus geben,
denn er wird die Welt von ihren Sünden erretten.
V. 22: Dies alles aber ist geschehen, damit erfüllt würde,
das Gesagte vom Herrn durch Jesaja, den Propheten, der spricht:
Siehe, die Jungfrau wird im Schoße haben
und einen Sohn gebären,
und man wird seinen Namen nennen »Immanuel«,
das ist übersetzt: »Mit-uns-Gott«.’
V. 24: Aufgewacht vom Schlaf tat Josef, wie ihm der Bote des Herrn befohlen hatte,
und nahm seine Frau zu sich.
V. 25: Und er erkannte sie nicht, bis die ihm einen Sohn gebar.
Und er nannte seinen Namen »Jesus«.“
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Leserinnen und Leser!
Erlauben Sie mir, dass ich vielleicht überraschend beginne: Josef ben Mattanja, der jüdische Historiker des 1. Jh. n. Chr., der unter seinem latinisierten Namen Flavius Josephus bekannter ist, hat ab 71 n. Chr. in Rom gelebt. In dieser Zeit hat er auch sein Werk „Jüdische Altertümer“ geschrieben. In deren 18. Buch erwähnt er Jesus ganz kurz und knapp. Die Wissenschaftler sind sich nicht einig, wie sie diese Notiz bewerten sollen. Manche halten sie für echt, manche für völlig unecht, andere wieder für überarbeitet. Diese dritte Sicht der Dinge würde bedeuten, dass Josef ben Mattanja wirklich Jesus kurz erwähnt hat, dass aber später christliche Abschreiber ihre Glaubensüberzeugungen beim Abschreiben des Textes eingefügt haben. Vielleicht ist ursprünglich: „Zu dieser Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch […]. Und als Pilatus nach Hinweisen unserer führenden Männer ihn zum Kreuz verurteilte, gaben diejenigen, die ihn zuerst geliebt hatten, nicht auf. […] Und noch heute ist der nach ihm genannte Volksstamm der Christen, nicht verschwunden.“ Christliche Abschreiber haben dann Hinzufügungen vorgenommen: „[…] ein weiser Mensch, wenn man ihn einen Menschen nennen darf.“ „Er war der Christus.“ „[…] gaben diejenigen, die ihn zuerst geliebt hatten, nicht auf. Er erschien ihnen nämlich am dritten Tage wieder lebend […].“[17]
Die Aussagen, die also vielleicht in den Text des Josef ben Mattanja eingetragen wurden, verkündigen denselben Glauben, den auch unsere Szene in der Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums predigt: Jesus aus Nazaret ist nicht nur ein bedeutender Mensch gewesen. Er war die Verwirklichung Gottes auf Erden, er ist der Christus. Nach der grausamen Kreuzigungshinrichtung wurde und wird er als auferstanden erlebt und von nun an als der auferstandene Gekreuzigte geglaubt. Das sind die Voraussetzungen für unser Weihnachtsevangelium! Wenden wir uns ihm nun direkt zu:
Wer am Abend des Weihnachtsfestes, faktisch in der Nacht dieses Festes, also zur „Christ-nacht“, wie wir auch sagen, in den Gottesdienst geht oder eben eine Predigt liest, will durchdringen zum eigentlichen Wesen des Festes.
An den vielfältigen Angeboten unserer Weihnachtskultur in unseren Städten und Dörfern haben wir Anteil genommen, sie auch mit gestaltet: An den großartigen Konzerten – wie zum Beispiel in der Frauenkirche in Dresden. An den Weihnachtsmärkten auf so vielen Plätzen unserer Städte – wie zum Beispiel am Christkindlesmarkt in Nürnberg und dem interessanten Markt der internationalen Partnerstädte, der dazugehört. An Unternehmungen mit Freunden – wie zum Beispiel einem Skiwochenende in den Salzburger Alpen. An den gemeinsamen Feierstunden der eigenen Familie – wie zum Beispiel an den Adventssonntagen, zu denen immer eine Kerze mehr entzündet wurde. An den Feiern der Christvesper in unseren Kirchen – vielleicht mit Krippenspiel. Und natürlich an der Feier des Heiligen Abends mit kleinen und größeren Geschenken – wie zum Beispiel im Studentenwohnheim des Martin-Luther-Bundes in Erlangen, in dessen Saal zu jedem Weihnachtsabend die Studierenden und Stipendiaten zusammen feiern, die am 24. und 25. Dezember nicht nach Hause fahren konnten.
All das bringen wir mit und sehen uns neu konfrontiert mit diesem so bekannten und so fremden Bibeltext. Bewusst steht vor unseren Augen nicht einfach die Lutherübersetzung, sondern eine eigene, eine moderne Übersetzung (übrigens von dem österreichischen römisch-katholischen Theologen Raphael Schulte), die ich an den Stellen geändert habe, an denen durch alte syrische Handschriften eine interessante Textgestaltung deutlich wird.
Eine große Frage stellt sich mir: Was verkündigt dieses Bibelwort zum Weihnachtsfest 2014 als Gottesbotschaft? Womit konfrontiert es uns? Worauf stößt es uns?
Wer vielleicht neben diese Übersetzung diejenige unserer lutherischen Tradition legt, wird viele Einzelfragen stellen. Diese können im Rahmen meiner Predigt nicht angesprochen werden. Nur eine sei kurz gestreift: Unser ganzes Vorwissen, unser Herkommen scheint uns dahin zu lenken, dass die Jungfräulichkeit Marias das Entscheidende unserer biblischen Passage sei. Der Benediktiner Raphael Schulte hat in seiner umfänglichen Untersuchung gezeigt, dass das eigentlich gar nicht stimmt. Er hat uns die Augen dafür geöffnet, dass dieses Thema in den Blick tritt, wenn wir über den biblischen Text hinaus denken, Konsequenzen überlegen, Angedeutetes und nicht wirklich Gesagtes erschließen. Wenn wir aber bei dem eigentlichen, knappen und kargen Text bleiben, dann erkennen wir, dass ganz anderes im Vordergrund steht. Das müssen wir an uns heranlassen:
Dass hier Gott als Handelnder verkündigt wird – das ist das Erste. Immer sind Menschen beteiligt. Sie spielen wichtige Rollen. Sie haben die Möglichkeit der richtigen oder der falschen Entscheidung – wie Josef, der erwägt, seine Frau freizugeben, sie vor böser Nachrede zu schützen. Als Gottesfürchtiger wollte er sie nicht der achtungslosen Öffentlichkeit aussetzen, weshalb er sie im Stillen aus der gemeinsam eingegangenen ehelichen Rechtsbindung freizugeben gedachte.[18] Dagegen und dazu wird uns gezeigt, wie Gott korrigiert und zu richtigen Entscheidungen hilft: Gott will nämlich, dass Josef das in Maria werdende Leben als Sohn Davids bestimmt – durch den in Israel allgemein vorgesehenen und ausgeübten Rechtsakt der Namengebung als Erklärung des rechtsverbindlichen Kindseins des Geborenen seitens des Familienhauptes.[19]
Das heißt nun für uns heute: Erkennen wir in unserem Entscheiden und Handeln an, dass Gott schon längst wichtige und gute Fakten geschaffen hat! Die einmalige Situation des Josef soll durchsichtig und durchlässig werden auf die Situationen, in denen wir Entscheidungen treffen und handeln müssen. Weihnachten 2014 sagt uns zuerst: Gott hat schon die nötigen Fakten geschaffen! Darauf können wir bauen!
Nun kenne ich die konkreten Herausforderungen nicht, vor denen Sie stehen, die Sie mit Sorgen oder mit Angst erfüllen. Aber auch für diese gilt die Antwort, die gegeben wird: Hilfe bedeutet die Person, mit der Josef konfrontiert wird, die Maria in sich trägt. Sie ist Helfer auch für uns im ausgehenden Jahr 2014 und im Jahr 2015. Die Art ihrer Hilfe wird durch die Namen zum Ausdruck gebracht, die diese Person trägt: »Jesus«, »Immanuel«.
Vielleicht haben Sie schon beim Lesen jenseits aller Vertrautheit und Gewöhnung doch gestockt und sich gefragt: Wieso konnte Matthäus schreiben:
„[…] und du sollst ihm den Namen Jesus geben,
denn er wird die Welt von ihren Sünden erretten.“
Welcher Zusammenhang besteht zwischen »Jesus« und „retten“? Das wird nur aus dem hebräischen Original des Jesus-Namens deutlich. Dies ist ein Satz, der ein Subjekt hat und ein Objekt: „Jahwe ist Rettung“. Sein Name spricht also die Hoffnung auf Rettung aus und nennt zugleich denjenigen, der retten wird: Nämlich Gott. Dieser Glaube ist angesichts der Schreckensbilder und Hiobsbotschaften über unsere Welt eine Zumutung. Doch in Protest gegen diese Erfahrungen sollen wir festhalten: Gott handelt zu unseren Gunsten! Wer das glauben kann, ist ein Kind der Weihnacht.
Und dann dieses Zitat aus dem Alten Testament, das irgendwie vertraut ist, aber auch ganz überraschend und fremd:
„Siehe, die Jungfrau wird im Schoße haben
und einen Sohn gebären,
und man wird seinen Namen nennen »Immanuel«,
(das ist übersetzt: »Mit-uns-Gott«“).
„Gott mit uns.“ – In der deutschen Geschichte ist dieses Wort schrecklich missbraucht worden: Die Soldaten unserer Armeen trugen es auf dem Koppelschloss, also eingestanzt auf die Gürtelschließe an ihren Hosen. Bis 1945 blieb das so, obwohl Adolf Hitler dies abschaffen wollte – weil er gegen Gott war. Aber durch die Verwendung dieser Worte ist das deutsche Militär geistlich in einer Weise schuldig geworden, wie ich kaum erfassen kann! Solcher Missbrauch darf nie wieder geschehen!
Trotzdem und gerade deshalb gilt uns diese Zusage für Weihnachten 2014 und für das Jahr 2015: Mit uns ist Gott. Wer das zu ahnen und zu glauben beginnt, kann nur erschrecken, aufgerüttelt werden und sich ändern. Wenn Gott mit mir sein mag?! Dann kann ich nur für andere leben! Dann ist mein Leben für mich selbst nur Rast und Wiedererstarken, damit ich mich dann wieder für andere einsetzen kann. Dann erkenne ich in den Bedürftigen Christus und versuche, für sie tätig zu sein – so begrenzt wie es mir eben nur möglich ist.
Unsere Geschichte eröffnet das Matthäusevangelium. Es ist also richtig, einen entsprechenden Pflock gegen Ende des Evangeliums einzuschlagen und den Spannungsbogen wahrzunehmen, durch den unsere Aussage klarer und plastischer wird. Ich schlage vor, bis Mt 25 zu gehen, bis zur Bildrede des Weltgerichts. Dort steht die soziale und zugleich geistliche Dimension, um die es schon zu Beginn des Evangeliums geht:
„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern [und Schwestern], das habt ihr mir getan“ (V. 40).
Weihnachten wird unsere Bereitschaft zur Gastfreundschaft herausgefordert. Dies war schon zu Beginn unseres Nachdenkens gegenwärtig im Hinweis auf die Festgemeinschaft im Studierendenheim des Martin-Luther-Bundes in Erlangen – immer am Abend des 24. Dezember. Schon bei mir zu Hause waren viele Weihnachtsfeste in unserer Familie ähnlich, denn es wurde meist eine alte Dame mit eingeladen, eine Freundin unserer Großmutter, die weiterhin mit in Meiningen lebte. Sie gehörte fest zur Gemeinschaft des Heiligen Abends hinzu, wurde beschenkt und freute sich, wenn wir die Pakete auspacken konnten – auch das von unserer Großmutter aus Westdeutschland. Ich glaube, dass in Gestalt dieser Gastfreundschaft meine Eltern eine wichtige Dimension der Weihnacht gelebt haben. Dazu lade ich auch Sie ein.
Diese ganz familiäre und persönliche Dimension, die gerade am Weihnachtsabend, zur Christnacht also, ihr Recht hat, sei aber zum Abschluss noch einmal aufgebrochen. Der Name des Sohnes „Jesus“ hat eine typische Zielrichtung:
„[…]denn er wird die Welt von ihren Sünden erretten.“
In der Dezemberausgabe des Kundenmagazins „mobil“ der Deutschen Bahn, das in den ICE-Zügen für die Reisenden frei zur Verfügung gestellt wird, ist eine Werbeseite zu lesen:
„Heute rette ich die Welt. Mit einem Girokonto bei der GLS Bank.“
Um die Kontokarte der GLS-Bank ist zeichnerisch die Erdkugel gestaltet mit verschiedenen Lebenssituationen: ein Bauernhof, eine Bank mit älteren Menschen, ein energetisch modernes Wohnhaus, Symbole für Musik, Wind- und Sonnenkraftwerke.
Merkwürdigerweise hat diese Werbeseite gar nicht mitgeteilt, wer oder was die „GLS-Bank“ ist, und wieso man mit einem Konto bei ihr die „Welt retten“ kann. Es wird nur eine Homepage angegeben: www.sharedichdrum.de, was sowohl auf „schere dich um etwas“, also: „kümmere dich“ hinweist, als auch auf „share“, gleich: „teile“, also engagiere dich zugunsten anderer. Aus den Informationen im Internet habe ich gelernt, dass diese 1974 von Anthroposophen gegründete Gemeinschaftsbank zugunsten freier Schulen und Kindergärten, regenerativer Energien, Behinderteneinrichtungen, nachhaltigem Bauen und Leben im Alter tätig ist, sich aber im Zusammenhang von Alkohol, Atomenergie, Embryonenforschung, Gentechnik, Rüstung, Tabakindustrie, Kinderarbeit und Tierversuchen in keiner Weise finanziell engagiert.[20]
Das alles kann in dieser Predigt nicht diskutiert werden. Aber es gilt: Die Werbung dieses Unternehmens trifft auf die Botschaft von Weihnachten: Obwohl jetzt auch eine früher kirchliche Bank zur GLS-Bank gehört, wird eine Werbung betrieben, die faktisch dem Anspruch unseres Glaubens widerspricht! Jesus wurde in eine Welt hineingeboren, in der sich Herrscher, Politiker und Militärs als „Retter“ verehren ließen. Dem widersprach der Glaube der frühen Christen. Sie entlarvten solche Hoffnungen als Scheinhoffnungen. Denn nur Christus ist Retter. Genau das gilt auch für uns heute: Wenn wir glauben, dass Jesus Christus der Retter ist, dann widersprechen wir Rettungsversprechen in unserer Welt – beziehungsweise schrauben wir solche Rettungsversprechen auf ihr realistisches Maß zurück. Auch so wird Weihnachten!
Amen.
„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“
[1] Rainer Stahl: »Immanuel« – Gott mit uns?, Mitteilungen und Beträge 8, Forschungsstelle Judentum, Theologische Fakultät Leipzig, 1994, S. 19-36.
[2] Sekundär hinzugesetzt sind Jesaja 7,8c.15.17a.b.
[3] A.a.O., S. 30-32.
[4] A.a.O., S. 29.30.
[5] A.a.O., S. 34-35.
[6] Achim Behrens: „Eine Jung(e)frau wird schwanger…“ Jes 7,14 und die „Polyvalenz“ biblischer Texte, Lutherische Theologie und Kirche (LuThK) 37, 2013, S. 88-102.
[7] Matthias Krieser: „Eine Jung(e)frau wird schwanger…“, zweiter Versuch. Jes 7,14 und Mt 1,23 im Licht des Hermeneutik-Papiers der SELK, LuThK 38,2014, S. 120-133. Zitat: S. 131-132.
[8] Achim Behrens: Eine kurze Antwort an Matthias Krieser, LuThK 38, 2014, S. 134-138.
[9] Ingo Broer: Göttliche Zeugung und jungfräuliche Geburt, in: Welt und Umwelt der Bibel 54 – 4/2009, S. 38-39, Zitat: S. 39. Vgl. im selben Heft: Claudio Etti: Leben mit einem Wunderkind, S. 11-17, bes. S. 13. Außerdem verweise ich auf: Markus Lau: „Mit der Geburt Jesu Christi war es so…“, Welt und Umwelt der Bibel 46 – 4/2007, S. 16-21.
[10] Raphael Schulte OSB: Die Herkunft Jesu Christi. Verständnis und Mißverständnis des biblischen Zeugnisses. Eine theologie-kritische Besinnung, Münster 2012.
[11] A.a.O., S. 95 und 96.
[12] A.a.O., S. 100.
[13] A.a.O., S. 111.
[14] A.a.O., S. 112.
[15] A.a.O., S. 65.60.64.65.86.103.104.499.
[16] Die unterstrichenen Passagen geben Textvarianten der syrischen Handschriften „syc“ und „sys“ wieder (vgl. Nestle-Aland: Novum Testamentum graece, Stuttgart 261979).
[17] Bernhard Lang: Art. „Josephus“, Neues Bibel-Lexikon, Band II, Düsseldorf 1995, Sp. 390. Vgl. auch Christine Gerber: Flavius Josephus und das Neue Testament. Das erste Jahrhundert mit anderen Augen, in: Welt und Umwelt der Bibel, 32 – 2/2004, S. 18-22, bes. S. 22.
[18] Raphael Schulte OSB: Die Herkunft Jesu Christi. Verständnis und Mißverständnis des biblischen Zeugnisses. Eine theologie-kritische Besinnung, Münster 2012, S. 89.
[19] A.a.O., S. 93.
[20] Vgl. GLS Gemeinschaftsbank, Wikipedia, Zugriff am 6.12.2014.
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Nicht ohne politische Dynamik - Predigt zu Matthäus 1,18-25 von Stefan Knobloch
Nicht ohne politische Dynamik
Diese Nacht, die wir die Christnacht oder die Heilige Nacht nennen, ist anders. Auf welche Weise anders als andere Abende, als andere Nächte, ist nicht leicht zu sagen. Es ist ein Abend, an dem wir uns wie sonst an keinem anderen Abend aus dem Raum der Öffentlichkeit zurückziehen, in die eigenen vier Wände. Und wem die eigenen vier Wände zu öde sind, zu sehr Einsamkeit atmen, der sucht nach Menschen, zu denen er Nähe verspürt. Auch die, die kein Dach über dem Kopf haben, sehnen sich für Stunden nach einem Ersatzdach, unter dem die Christnacht auch für sie etwas Licht verbreitet.
Den anderen Charakter dieser Nacht, dieses Abends, in der sich gleichwohl Spannungen aufbauen, die sich manchmal heftig entladen – früher sprach man dann vom „Festtagsteufel“ -, den anderen Charakter erhält dieser Abend aus dem Bezug auf ein Ereignis, das zweitausend Jahre zurückliegt: die Geburt Jesu Christi.
Vielfach ergreift uns dieses Fest über die lange Kette unserer Erinnerungen an Kindheitsweihnachten bis in spätere und späte Lebensjahre herein. Irgendwie berührten wir dabei die Geburt Jesu über die Schiene alter Weihnachtslieder. Ein ganzes Jahr schlummern sie in uns, an Weihnachten aber kommen sie uns aus der Tiefe in den Sinn. Sie singen von der Geburt Jesu. Dieser Geburt wegen haben wir uns hier in dieser Stunde versammelt.
Nimmt uns da das Evangelium dieses Abends, dieser Nacht bei der Hand, um die Geburt Jesu nicht nur wie ein beinahe entleertes Ritual zu begehen, nach der Devise: „the same procedure as every year“? Sondern trifft es uns? Ganz leicht macht es uns das Evangelium dabei nicht. Schon der erste Satz, „Mit der Geburt Jesu Christi war es so“, könnte uns einladen, einer falschen Fährte zu folgen. Als werde uns hier ein Tatsachenbericht darüber geboten, wie es mit der Geburt Jesu wirklich war. Und schon könnten wir – nicht nur Männer, auch Frauen – Solidarität mit den quälenden Gedanken des Josef empfinden, wie Maria an dieses Kind gekommen sei. Dass gerade dieses Element gerne bei uns hängen bleibt, muss uns angesichts der Erfahrungen unserer Lebensverhältnisse heute nicht wundern. Aber um Probleme betrogener Ehemänner geht es dem Evangelium der Christnacht nicht. Den Schlüssel zum richtigen Verständnis legt uns der Rückbezug auf eine Stelle beim Propheten Jesaja in die Hand: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns!“
Um diese Vorgabe aus dem Alten Testament komponiert das Mt-Evangelium seine Darstellung der Geburt Jesu. Die Sätze aus dem Buch Jesaja sieht das Mt-Evangelium in Jesus erfüllt. In ihm, in Jesus, ist der „Gott mit uns“, der Immanuel in die menschliche Geschichte eingetreten. In ihm erfüllte sich eine Verheißung, die im 8. Jahrhundert v. Ch. dem König von Juda, namens Ahas, gegeben worden war. In einer für Jerusalem verzweifelten Situation, in der der König Ahas alle Hoffnung auf Rettung, auf einen guten Ausgang längst aufgegeben hatte. Auf Gott, hieß das, setzte er keine Hoffnung mehr.
Da forderte ihn Gott selbst heraus, so schildert es die Bibel, ein Zeichen der Treue, der Verlässlichkeit Gottes zu verlangen. Aber selbst das konnte der König nicht, er war der Gefangene seiner Verzagtheit und Verzweiflung. In dieser Situation, in der nichts mehr weiterzugehen schien, in der sich Jerusalem am Ende all seiner politischen Künste wähnte und bloß noch das blanke Entsetzen vor Augen hatte, in dieser Situation verheißt Gott in einer unglaublichen Überbietung eine alles überbietende Rettung in einem Menschen, der den Namen Immanuel tragen werde. Er werde der „Gott mit uns“ sein und in ihm werde die Wirklichkeit Gottes mit den Menschen sein.
Einen größeren Gegensatz zwischen der Verzweiflung des Königs und Jerusalems und der alles in den Schatten stellenden überbordenden Verheißung eines „Gott mit uns“ hätte man sich kaum vorstellen können. Genau dasselbe Element taucht in der Darstellung des Mt-Evangeliums auf. Da ist auf der einen Seite Josef, sozusagen restlos bedient von seiner geplatzten Lebensplanung, in Gedanken längst beim Absprung, und auf der anderen Seite Maria, schwanger mit dem Träger aller Verheißungen Gottes! Der, den Jesaja den „Gott mit uns“ nennt, den nennt das Mt-Evangelium den vom Heiligen Geist Empfangenen, den Maria in ihrem Schoß trägt. Und wer er sein wird, als wen er sich zeigen wird, das kleidet das Mt-Evangelium in ein Traumgesicht des Josef. Der, der im Schoß seiner Frau heranwächst, werde Jesus heißen. Denn er werde seinem Volk heraushelfen aus den Untiefen und Verwerfungen der mit den Jahren über Generationen hin gewachsenen strukturellen Ungerechtigkeiten. Er werde heraushelfen aus der Gewalt im öffentlichen wie privat-familiären Lebensbereich, aus der Gewalt gegen Arme, Zukurzgekommene, Unterdrückte, die kaum Luft zum Atmen haben. Der, den Maria in ihrem Schoß trägt, werde, wie es die Bibel ausdrückt, sein Volk von den Sünden erlösen.
Und in der Tat, das ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden. Von ihm ging und geht Heil, Hoffnung und Licht aus, so dass der Kolosserbrief sagen konnte, in ihm wohnte die Fülle Gottes, oder das Joh-Evangelium ihn so charakterisierte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ und „Ich und der Vater sind eins“. Jesus hat, etwas unweihnachtlich gesprochen, in unser Leben eine Fackel hineingeworfen, einen Brandbeschleuniger aktiviert, durch den sein Feuer sich schneller in unser Leben ausbreiten sollte. Es ist das Feuer der Befreiung des Lebens, das Feuer der Freiheit des Lebens aller Menschen.
Weihnachten ist nicht nur ein besinnlich-familiär-beschauliches Fest. Weihnachten ist ein politisches Fest, ein Fest mit einer gesellschaftspolitischen Dynamik. Zumal heute, wo so viele Herausforderungen auf den Raum der EU andrängen. Gewiss sind hier die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten verteilt. Wir haben als einfache Leute eine andere Verantwortung als die Politiker an den Schalthebeln der Macht, wobei deren Einflussmöglichkeiten bisweilen auch sehr begrenzt sind. Wie auch immer: Nehmen wir unsere Möglichkeiten wahr, das weihnachtlich-jesuanische Feuer der Befreiung des Lebens aller Menschen in uns zu tragen. Verschließen wir uns nicht, schotten wir uns nicht ab vor den Herausforderungen dieser Tage. Öffnen wir uns vielmehr, von der Weihnachtsbotschaft berührt, mental für die existentiellen Nöte der Menschen, der Familien, der traumatisierten Kinder aus Ländern, die an Gewalt, Unmenschlichkeit, Krieg, kultureller und religiöser Unterdrückung unterzugehen drohen.
Bauen wir Mauern ab, und nicht auf! Feiern wir die Christnacht in der Glaubensgewissheit, dass sich in Christus der „Gott mit uns“ allen Menschen geschenkt hat. Ob sie ihn kennen oder nicht. Auf welchen Wegen, in welchen Kulturen und Religionen sie auch immer den Gott mit uns suchen, in welchen „Schatten und Bildern“ (vgl. die Kirchenkonstitution Lumen gentium 16) auch immer. Zeigen wir einander das menschliche Gesicht Gottes.
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Predigt zu Mattthäus 1,1.18-25 von Werner Klän
A] Gott tritt ein in unsere Welt. Dabei ist äußerlich vieles zweideutig: Die ledige Mutter, ihr rücksichtsvoller und doch wankelmütiger Verlobter. Doch Gott verfolgt sein Vorhaben ganz eindeutig: Er überzeugt den zögerliche Joseph davon, dass alles seine Richtigkeit hat mit Marias Schwangerschaft. Er gewinnt ihn sogar dafür, die Vaterstelle beim Neugeborenen einzunehmen. Und Gott lässt Joseph im Traum erfahren, war er weiter vorhat mit diesem Sohn. Denn in den Namen, die ihm gegeben werden, ist alles gesagt, was sein Auftrag ist: JESUS – „der Helfer“; IMMANUEL – „Gott –mit-uns“. Und damit wird zugleich angezeigt, was diese Geburt, dieses Kind für uns bedeutet. Denn dieser Gottes- und Mariensohn ist Immanuel: Er teilt unser Geschick. Und er ist Jesus: Er wendet unser Geschick. Denn in ihm begegnet uns Gott.
B 1] In dem Immanuel begegnet uns Gott. Er teilt unser Geschick.
Ja wirklich: In Jesus bekommen wir es mit Gott zu tun, mit Gott höchstpersönlich. Er ist Immanuel: Gott-mit-uns. Darauf weist die Abkunft des Mariensohns von Gott durch den heiligen Geist. Gott selbst ist in einzigartiger Weise von Uranfang an mit dem verbunden, den seine Mutter Maria zur Welt bringt. Das ist ja ihre große Aufgabe als Mutter unseres Heilands: Gottes Sohn zur Welt zu bringen. Durch ihren Leib kommt der Messias Israels und Heiland der Welt zu uns Menschen. Von Maria getragen und geboren, kommt Gott in seinem Sohn zur Welt, zu den Menschen zu uns. Als Marien Sohn ist Jesus – wie Joseph ihn nennen wird – zugleich Davids Sohn und Abrahams Sohn. Gestalten. So teilt er unser Geschick: Zuallererst als jüdischer Sohn einer jüdischen Mutter, ganz eingebunden in die Geschichte des Volkes seiner Herkunft. Aus königlicher Familie ist er und von uraltem Adel, sein Leben verwoben mit der Abfolge der Geschlechter, seit Gott dieses Volk erwählte, sein Volk, sein Augapfel, seine große Liebe unter allen Menschen zu sein. Seine Urahnen und Vorväter zählen zu den bedeutenden Gestalten des Gottesvolkes, von Gott besonders ausgesucht, besonders begabt, besonders begnadet. Ihnen galt Gottes Zusage in besonderer Weise. Denn ihre Aufgabe war es, weiterzutragen und auszubreiten, was Gott immer schon vorhatte: Dass seine Leute mit ihm in guter Gemeinschaft leben können. In deren Nachfolge und Aufgabe tritt Jesus ein, bestimmt, ihren Auftrag zur Vollendung zu bringen. „Das heil kommt von den Juden“, heißt es darum zu Recht bei Johannes ().So ist er eingereiht und eingegliedert in die Menschheitsgeschichte, auch wenn er von außen in sie eintritt, von Gott her kommt.
Zugleich aber übernimmt er ein, ja unser menschliches Schicksal. Und ist gleich in Gefahr. Joseph will seine Mutter – und ihn – verlassen. Er mag wohl auf unser Verständnis rechnen, und das umso mehr, als er offensichtlich behutsam vorgehen will, keinen Krach sucht, keine Szene macht, sondern sich heimlich davonmachen will. Aber – eine ledige Mutter und ein vaterloses Kind, sind schutzlos. In der alten Welt galt das noch weitaus mehr, als in unseren wohlgesicherten Sozialsystemen; doch selbst hier haben es Alleinerziehende und uneheliche Kinder noch schwer. Bei Jesus sorgt Gott durch die Weisung seines Boten dafür, dass Joseph die Vaterstelle bei Jesus einnimmt. Gott selbst leistet die Überzeugungsarbeit, die wohl nötig ist, Joseph davon abzubringen, seine Braut und künftige Frau samt ihrem neugeborenen im Stich zu lassen. Gott selbst liefert Joseph die guten Gründe, bei Maria zu bleiben und ihr bei und nach der Geburt beizustehen. Gott selbst weist Joseph darin ein, wie der die Vaterrolle bei Marias Sohn übernehmen soll. Gott selbst klärt Joseph darüber auf, was es mit diesem Kind, mit seiner Herkunft und seiner Zukunft, auf sich hat.
So ist Gottes Ankunft im Sohn der Maria gleich begleitet von Gefahr und Geheimnis. Gleich zu Anfang wird deutlich, dass der Weg Gottes in dieser Welt nicht ohne Risiko ist: Indem er menschliche Gestalt annimmt und einer von uns wird, setzt Gott sich Gefährdungen aus, die den unseren teils ganz ähnlich sind. Er ist Immanuel: Gott-mit-uns. Und mehr noch Gott setzt sich selbst auf‘s Spiel. Das ist ganz ungewöhnlich und unerhört! Gott lässt sich darauf ein, als einer von uns bei uns zu sein. Gott geht das Risiko ein, mit unsereinem verwechselt zu werden. Gott läuft tatsächlich Gefahr, als einer wie wir unter die Räder menschlicher Geschichte zu geraten. Aber genau das ist an diesem Jesus-Immanuel zu sehen: Er bringt sich ganz und gar ein in unsere Geschichte und teilt unser Geschick.
B 2] In Jesus begegnet uns Gott – und wendet unser Geschick zum Guten, zu Gott.
Darauf weist sein zweiter Name hin: Jesus. Jeus, das heißt: „Der Helfer“, der Retter, der Beistand, der Unterstützer. Ein Blick in unser Leben und auf unsere Welt genügt, um zu sehen: Wir benötigen Hilfe, wir sind auf Rettung angewiesen; wir brauchen Beistand und Unterstützung in vielfältiger Hinsicht. Da sind die Unzulänglichkeiten, die wir an uns tragen und die uns immer wieder scheitern lassen, selbst beim besten Willen. Da sind die vielen Ausweglosigkeiten; so wird uns der Weg zum Mitmenschen verbaut; sie bilden Engpässe, in denen wir den Blick auf die Nöte anderer verlieren; sie sind Sackgassen, in denen Gespräche verstummen und Verständigung stirbt. Sie bilden Bereiche, in denen aller gute Wille gegen Wände von Unverständnis, Missverstand und Feindseligkeit prallt. Sie schaffen Bedingungen, die alle Friedfertigkeit töten und Hass, Gewalt, Terror und Krieg hervorrufen, so dass Menschen darin rettungslos verloren sind, wie wir es tagtäglich zu sehen und zu lesen bekommen. Da sind die Fehler und Versäumnisse, die uns und unsere Beziehungen zu unsern Nachbarn, Freunden, Angehörigen schwächen, aushöhlen und beschädigen – und die wir selbst längst nicht mehr ausräumen können.
Da ist vor allem – und alles andere sind nur Signale an der Oberfläche – da ist vor allem unser zerrüttetes Verhältnis zu Gott, unsere verschüttete Beziehung zu dem Herrn unseres Lebens. Diese Zerstörung lässt uns auf Abwege geraten, lässt uns in die Irre gehen, hält uns im Irrtum gefangen. Wenn wir nämlich Gott aus dem Blick verlieren, finden wir den Weg zu Gott nicht mehr, bleiben von ihm abgeschnitten.
Das aber will Gott nicht hinnehmen. Er will weder, dass sein geliebtes Volk, noch das seine Menschengeschöpfe verloren gehen, weil sie den Zugang zu ihm vergessen haben und nicht wieder finden. Darum macht Gott sich selbst auf den Weg zu uns, um unser Geschick zu wenden. Wenn und weil wir weit weg sind von Gott, wenn wir uns von ihm entfernt haben, kommt er uns nahe, geht er uns nach. Denn Jesus stellt sich und gesellt sich zu uns und setzt sich für uns eine. Er steht auf unserer Seite und tritt für uns ein. Dieser Jesus-Helfer greift uns unter die Arme, wo nötig. Er hilft uns auf die Beine, wo erforderlich. Er trägt uns sogar, wo wir nicht mehr weiter können, sogar im Sterben und im Tod. Und das ist ein Wunder: Obwohl wir lange meinten, ohne ihn leben zu können, sucht Gott unsere Nähe, und tut das alles, wie wir an diesem Helfer und Heiland Jesus sehen, in freundlicher Absicht, aus liebevollem Herzen, mit ganzer Hingabe.
So wendet er unser Geschick zum Guten, zurück zu Gott. Denn das Kind, das Maria zur Welt bringt, bringt uns Gott mit all‘ seiner Freundlichkeit. Das Kind, dem Joseph auf Gottes Geheiß den Jesusnamen gibt und so die Vaterstelle bei ihm übernimmt, bringt uns zurück zu Gott, der in einzigartiger Weise sein Vater ist und unser lieber Vater sein will.
C] Gott-Immanuel ist bei und uns unser Helfer Jesus ist für uns da. Dieser Gott-mit-uns geht wirklich mit uns, geht auf uns ein. Der Beistand und Heiland Jesus kommt uns nahe und bringt uns Gott nahe. Ja wirklich: In Jesus begegnet uns Gott. Er bleibt auch unser Wegbegleiter. Amen.
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Bist Du es, der da kommen soll? - Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Martin Weeber
Bist Du es, der da kommen soll?
Menschen sind Erwartende.
Wenn wir nichts mehr erwarten, dann steht es nicht gut um uns.
Es gibt nur einen Typus von Situationen, bei dem es nicht schlimm ist, sondern ganz und gar wundervoll, wenn wir nichts mehr erwarten:
Das sind Situationen der Erfüllung.
Momente ganzen, ungeteilten Daseins.
In diesen Momenten steht die Zeit gewissermaßen still.
In diesen Momenten wird für uns die Ewigkeit vorweggenommen:
So wird es einst sein: die reine Erfüllung, ohne jeden Mangel.
Aber in unserem jetzigen, zeitlichen Leben, da sind solche Ewigkeitsmomente selten und flüchtig.
Außerhalb dieser wenigen Ewigkeitsmomente erwarten wir immer irgendetwas:
Entweder wir freuen uns darauf oder wir fürchten uns davor.
Wenn wir nichts mehr erwarten, dann steht es nicht gut um uns.
Wir sind Erwartende. Hoffentlich sind wir das.
Die Adventszeit ist im Kirchenjahr die große Erwartungszeit.
Wir warten auf die Ankunft Gottes in der Welt.
Wir warten auf die Ankunft jenes einen Menschen, der mehr ist als nur ein Mensch.
Wir warten auf die Ankunft Jesu.
Was wird sein, wenn er ankommt?
Was haben wir zu erwarten von seiner Ankunft?
Welche Erwartungen richten wir auf Jesus?
Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht:
Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt;
und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Matthäus 11, 2-6
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Wie wunderbar ist es, wenn wir im Leben den Menschen treffen, bei dem wir merken:
Der ist es, die ist es. Mit ihm, mit ihr möchte ich mein ganzes Leben verbringen.
Wie schön ist es, wenn sich diese Gewissheit einstellt.
Aber wie gewagt ist es, diese Gewissheit dann auch wirklich zur Basis für eine Lebensentscheidung zu machen.
Haben wir Beweise dafür, dass dieser Mensch nun wirklich derjenige ist, mit dem wir unser ganzes weiteres Leben verbringen sollten, bis der Tod uns scheidet?
Glaubende sind wie Liebende:
Sie sind Romantiker.
Und sie müssen es sein.
Denn der Glaube lebt wie die Liebe nicht von Beweisen.
Er lebt von Gewissheiten, die sich einstellen, ohne dass man die Gründe dafür ganz genau benennen könnte.
Insofern ist der Glaube, ganz wie die Liebe, immer auch wehrlos.
Freilich, es mag Indizien geben, Hinweise, dass dieser Mensch nun wirklich der Mensch ist, der für mich das Warten beendet.
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
So fragt Johannes der Täufer, und er stellt damit eine Frage, die auch wir uns vielleicht schon gestellt haben:
Ist Jesus der, auf den wir warten?
Ist Jesus der, der unsere Erwartungen erfüllt?
Johannes stellt die Frage an Jesus selbst.
Freilich: Er sitzt im Gefängnis und muss seine Jünger die Frage überbringen lassen.
Bist Du es?
Johannes kennt Jesus.
Laut der Überlieferung ist er verwandt mit ihm.
Vettern, Cousins.
Und die beiden sind sich sehr ähnlich.
Johannes war ein großer Prediger.
Ein Bußprediger.
Ein Prediger der Ernsthaftigkeit.
„Kehrt um, Leute, ändert Euer Leben.“
Johannes hat die Leute getauft.
Als einen Reinigungsakt hat er diese Taufe verstanden:
Einmal ganz untertauchen im Jordanfluss, die Sünden der Vergangenheit gewissermaßen abwaschen und ein neues Leben beginnen, ein Leben mit Gott und nach Gottes willen.
„Kehrt um, Leute, ändert Euer Leben. So kann es nicht weitergehen.“
Die Predigt des Johannes hat etwas Faszinierendes:
„So kann es nicht weitergehen.“
Dieser Eindruck drängt sich immer wieder auf, auch heute.
Jesus war fasziniert von der Bußpredigt des Johannes.
Er hat sich durch ihn taufen lassen.
Da war er schon ein erwachsener Mann und hatte sich schon umgeschaut in der Welt.
Und Jesus hat dann auch angefangen, zu predigen.
Ganz ähnlich, aber doch mit einem ganz anderen Akzent.
Auch Jesus hat zur Umkehr aufgerufen.
Aber nicht zur Umkehr der Angst, sondern zur Umkehr der Freude.
Johannes war ein Prediger des Gerichts.
Jesus wurde zum Prediger der Freude.
Auch Jesus war ein ernsthafter Prediger.
Seine Ernsthaftigkeit war freilich die Ernsthaftigkeit der Freude.
Durch Angst macht man die Menschen nicht besser.
Durch Angst lähmt man die Leute.
Durch Angst macht man Leute blind für die Möglichkeiten der Veränderung.
Hoffnung, Freude und Zuversicht:
Die verändern die Menschen.
Du willst es ermöglichen, dass sich jemand verändert?
Nimm ihm zuerst seine Angst.
„Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“
So fragt Johannes.
Und Jesus antwortet:
„Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht:
Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“
Die Menschen damals haben gewartet.
Sie haben gewartet auf einen Messias, auf einen Erlöser; auf einen Menschen, der von Gott kommt und alles verändert, alles zum Guten wendet.
Seit Jahrhunderten hatten sie gewartet.
Sie hatten die alten Prophezeiungen des Propheten Jesaja im Ohr.
Jesaja hatte davon gesprochen, wie es dann sein würde, wenn alles gut wird:
„Deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen (Jes. 26, 19)“, Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkelheit und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.“ (Jes. 29, 18f.)
In den Wundern, die Jesus tut, da scheint sie auf: Jene wunderbare Welt, in der alles schon so ist, wie es sein soll.
Freilich:
Es sind nur Einzelne, es sind nur wenige, die geheilt oder die dem Tode wieder entrissen werden.
Beweise sind das nicht dafür, dass Jesus der ist, auf den alle gewartet haben.
Es sind Indizien, es sind Hinweise.
Es gibt keinen Gottesbeweis und es gibt keinen Beweis, dass Jesus Gottes Sohn ist.
Nur Hinweise, nur Indizien.
Jesus rechnet selbst damit, dass diese Hinweise keineswegs alle überzeugen werden:
„Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“
Seligkeit ist ein Zustand gesteigerten Glücks, den man nicht selber herzustellen vermag.
Aber dieses Glück kann sich einstellen.
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Selig ist, wer von Jesus solch einen Eindruck gewinnt, dass er sagen kann:
Ich muss auf keinen anderen Erlöser mehr warten.
Selig ist, wer merkt:
In Jesus begegnet mir eine Gottesfülle, die für mein ganzes Leben genügt und ausreicht.
Selig ist, wer merkt:
Wenn ich Jesus habe, dann muss ich auf keinen andern mehr warten.
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Hören wir auf, Erwartende zu sein, wenn wir Jesus gefunden haben, wenn Jesus uns gefunden hat?
Keineswegs.
Aber unsere Erwartungen verändern sich.
Wir erwarten allerlei Veränderungen, die von Jesus, die von Christus ausgehen.
Veränderungen in uns selbst, aber durchaus auch Veränderungen in der Welt, die uns umgibt.
Auch wenn man dazu neigt, die Dinge ganz nüchtern zu betrachten, dann wird man das nicht gering schätzen, was sich verändert hat, seit Christus in die Welt gekommen ist.
Die Welt ist nicht einfach gleich geblieben.
Es hat sich etwas in dieser Welt verbreitet, was man in pathetischeren Zeiten den Geist des Christentums oder den Geist der Liebe genannt hat.
Es hat sich eine Haltung verbreitet, welche die Kranken und die Leidenden nicht mehr verachtet, sondern sich ihnen zuwendet.
Das, was wir heute Inklusion nennen, ist ein ur-christliches Anliegen: Niemanden ausgrenzen. Niemanden.
Nach Möglichkeit noch nicht einmal den, der sich selber ausgrenzt.
In dem, was unsere Gefängnisseelsorger leisten, kommt dieser Wille vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck:
Niemanden ausgrenzen.
Es ist der Wille Jesu.
Dieser Geist des Christentums, dieser Geist der Liebe hat es gewiss nicht immer leicht, sich durchzusetzen in unserer Welt.
Manches Mal und immer wieder hat er es sogar schwer, sich in der Kirche durchzusetzen.
Wie viel Lieblosigkeit steckt oft in kirchlichen Institutionen oder kirchlichen Bestimmungen und Vorschriften!
Und dennoch ist durch Jesus eine Bewegung in die Welt gekommen, die bleibt.
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Ich will auf keinen andern warten.
Amen.
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Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Hans Theodor Goebel, Köln
2 Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken des Christus hörte, sandte er seine Jünger
3 und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll oder sollen wir auf einen andern warten?
4 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht:
5 Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören
und Tote werden auferweckt und Armen wird das Evangelium verkündet.
6 Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
1.
Wer ist Jesus für uns?
Für manche ist das keine Frage, die sie bewegt. Für andere sehr wohl. Auf dem Büchermarkt der letzten Jahre sind immer neue Jesusbücher erschienen. Geschrieben von so verschiedenen Autoren wie Papst Benedikt auf der einen und dem amerikanischen Muslim Reza Aslan auf der anderen Seite. Auch Jesusromane finden sich unter den neueren Jesusbüchern.
Die Rede geht schon von einem „praktisch unendlichen Appetit auf Bücher über Jesus“.
Was treibt Menschen zum Fragen nach Jesus? Was suchen sie bei ihm? Kann sein, dass sie unter dem Firnis späterer Übermalungen nach einem sogenannten wirklichen oder wahren Jesus suchen. Und dass dahinter die Suche nach Vergewisserung steht. Nach etwas an Jesus, das ursprünglich ist und woran man sich auch als moderner Mensch halten kann – wo doch so viele Gewissheiten unwiederholbar vergangen sind?
2.
Einer, der schon zu Jesu Lebzeiten nach ihm gefragt hat, ist in den Erzählungen der Evangelien Johannes, der Täufer.
Johannes ist ein Wartender. Sein ganzes Leben, sein ganzes Wirken ist geprägt vom Warten auf den, der kommen soll. Johannes ist der Vorläufer des Kommenden, sein Bote, sein Zeuge.
Hat er doch den Menschen, die zu ihm in die Wüste am Jordan geströmt waren, gesagt:
„Ich taufe euch mit Wasser zur Umkehr, der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen. Der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen“ (Mt 3,11).
Die Predigt des Täufers zur Umkehr traf auch den König Herodes und seine Geliebte. Denen hatte er ihr Unrecht vorgehalten. Und die Mächtigen waren schwach und haben zurückgeschlagen: Johannes sitzt jetzt im Gefängnis.
Da ist er anscheinend nicht von aller Kommunikation abgeschnitten. Seine Gefängnismauern sind durchlässig für das, was draußen geschieht und erzählt wird. Er hat Kontakt zu seinen Anhängern und Schülern.
So hört er von Jesus, der jetzt durch Galiläa zieht und predigt: Den Armen gehört das Himmelreich - und macht Kranke gesund, befreit Menschen aus der Macht von Geistern, die ihr Leben zerstören, und er sagt wie Johannes vor ihm: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“
Was Johannes da hört, bringt ihn ins Nachdenken und Fragen. Ist in diesen Taten Jesu, Taten, wie Johannes selber sie nicht vollbracht hat, das Reich Gottes gekommen? Die Propheten haben so eine kommende Heilszeit ja verheißen. Johannes kennt das von Jesaja und anderen her.
Ist Jesus dann der Kommende, den er, Johannes, angekündigt hat, der Gesalbte Gottes, der Messias, der Christus – der Bringer des Heils?
Aber - bringt der Messias nicht das Gericht? Er, Johannes, hatte doch gepredigt, der nach ihm kommt, habe die Worfschaufel in der Hand, er werde den Weizen von der Spreu trennen und sammeln und die Spreu mit Feuer verbrennen.
All das mag Johannes im Gefängnis durch den Kopf gegangen sein und hat ihn ins Fragen gebracht. Auch mag er gedacht haben: Wenn ich meine Ketten ansehe, ist die Befreiung des Reiches Gottes jedenfalls bei mir noch nicht angekommen. Und bei vielen Leidensgenossen auch nicht.
So schickt der Täufer seine Jünger zu Jesus und lässt ihn fragen:
Bist du der Kommende oder sollen wir auf einen anderen warten?
3.
Ich halte hier inne.
Was verbindet uns mit Johannes und seinem Fragen? Wir suchen vielleicht, woran wir uns bei Jesus halten können, wenn so vieles wankt und fraglich geworden ist – aber ist in uns Christen etwas von dem Warten lebendig, das Gott seinem Volk Israel mit auf den Weg durch die Geschichte gegeben hat? Und das Johannes, der Vorläufer des Kommenden, verkörpert.
Es ist ein Warten auf den Richter, der dem Unrecht nicht das Sagen lässt in der Weltgeschichte und der Gier nicht den Erfolg lässt. Es ist ein Warten auf die unumschränkte Herrschaft Gottes.
Warten wir wirklich darauf oder haben wir schon die Segel gestrichen und resigniert vor dem, was gegenwärtig in unsrer Welt geschieht an Gewalttat und Ungerechtigkeit, an Ausbeutung, Vertreibung und Massenmord? Warten wir Christen mit den Juden darauf, dass unsere zerrissene Welt heil werden wird und heil auch unser beschädigtes Leben?
Nun könntest du kommen, lieber Christenmensch, und sagen: Aber die Juden warten doch noch auf den Messias. Und wir Christen sagen: Er ist schon gekommen. Darum nennen wir Jesus doch den Christus und Heiland.
Ja gewiss, möchte ich antworten. Aber ist es nicht so, dass dann unser Fragen erst recht in Gang gebracht wird?
Wenn dieser Jesus, den sie ans Kreuz geschlagen haben, auferweckt worden ist von den Toten – und das ist doch Kern und Stern unseres Christenglaubens – dann warten wir erst recht darauf, dass er kommt. Und mit ihm eine Welt ohne Tod und Tränen und Geschrei. Auferstanden ist er ja, um uns mit sich ins Leben zu ziehen und unsere Welt nicht der Selbstzerstörung zu überlassen.
Das ist die revolutionäre Botschaft von ihm – und es fällt uns das Glauben auch deshalb so schwer, weil wir nichts in den Händen haben. Und weil unsere Welt immer noch und heute wieder so bedrängend die alte Todeswelt ist. Steile Bekenntnissätze, wer Jesus sei, fallen da schwer und kommen uns oft so steril vor. Der Glaube verfügt nicht über die „direkte Kenntlichkeit“ des Christus (S. Kierkegaard[1]).
Vielmehr entzündet sich auch für uns Christen an dem, was wir von Jesus und seinem Evangelium gehört haben, ein Fragen, das uns mit dem Täufer Johannes solidarisch sagen lässt: Bist du, der da kommen soll oder sollen wir auf einen anderen warten?
Wohlgemerkt – Johannes hat kein fertiges Urteil, er fragt und sein Fragen richtet sich an Jesus selbst: Bist du, der da kommen soll.
Wer könnte diese Frage besser beantworten als Jesus selbst! Aber können wir ihn selbst denn heute fragen, wenn uns gerade der Glaube an ihn den Lebendigen Schwierigkeiten macht?
Mir ist immer wieder das Wort aus dem Evangelium wichtig, in dem ein Mann zu Jesus selbst sagt: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! (Mk 9,24).
Das ist die widersprüchlich erscheinende Logik des Glaubens. Eine andere greift hier nicht.
In dieser Logik des Glaubens können auch wir fragen: Bist du, der da kommen soll? Es ist die Sprache der Betenden, die uns ihn selbst so fragen lässt.
4.
Was aber antwortet Jesus dem Täufer? Und was antwortet er uns?
Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören und Tote werden auferweckt und Armen wird das Evangelium verkündet. Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Jesus gibt keine direkte Antwort auf die Frage, wer er in Wahrheit ist. Dieser direkten Frage entzieht er sich. So bekommt Johannes, so bekommen auch wir keine Aussagen und Feststellungen in die Hand. Keinen Identitätsausweis.
Aber eine Antwort ist das, was Jesus den Johannesjüngern sagt, schon:
Macht die Ohren und Augen auf. Hört und seht und berichtet, was hier geschehen ist und geschieht. Menschen werden aus ihrem Elend aufgerichtet und können wieder aufsehen, Menschen mit harten Herzen und verstopften Ohren hören, Lahmgelegte machen Schritte nach vorne, Tote und Totgesagte bleiben nicht tot liegen und die Armen rücken in den Brennpunkt des kommenden Heils. Berichtet das dem Johannes!
Jesus sagt dem Johannes damit nichts anderes, als was dieser schon in seinem Gefängnis hatte erzählen hören. Und was ihn ja gerade ins Fragen gebracht hatte.
Etwas anderes kriegen auch wir in diesem Evangelium zu hören.
Jesus hat konkret geholfen, in seinen Worten und Taten hat er sich Menschen zugewandt, denen es schlecht ging. Er hat damit Zeichen gesetzt. Sie waren nach den Worten der Propheten Zeichen der Heilszeit. Die Zeit des Heils aber ist heute – hat Jesus in seiner Vaterstadt gepredigt (Luk 4, 18-21).
Und nun möchte ich mich und Sie, liebe Predigthörer, zum Vertrauen aufrufen: Dieses „heute“ Jesu ist auch heute. Am 3. Advent des Jahres der Herrn 2014. Das Kommende ragt schon ins Heutige. Die Zukunft holt das Gegenwärtige ein.
So gewiss - und das ist der Kern und Stern der Evangelien – Jesus nicht bei den Toten zu suchen, sondern auferstanden ist und lebt. Es ist in den Teig der alten Welt schon der Sauerteig des Reiches Gottes gemischt und arbeitet in ihm.
Wir sehen das nicht direkt. Wie wir auch den Christus nicht sehen. Aber achten wir auf solche Zeichen in unsrer Welt, in der so viel schlimm ist:
Da öffnet ein neuer Papst seine Arme für die Armen.
Da melden sich viele in unserem Land – Junge und Alte – um Flüchtlingen zu helfen, die jetzt zu uns kommen.
Da engagieren Menschen hierzulande sich mit hohem persönlichen Einsatz, damit in Nepal und Indien Kinder und junge Frauen durch einheimische Organisationen und Projekte vor dem wachsenden Menschenhandel und aus der Zwangsprostitution gerettet werden und danach eigenständig leben können.
Da besucht eine selbst schon ältere Frau seit vielen Jahren Kranke in ihrer Umgebung wie ein guter Engel.
Sind das und anderes mehr nicht hoffnungsvolle Zeichen?
Ich möchte dazu aufrufen, solche Zeichen wahrzunehmen! Und von ihnen zu berichten. Die Horrornachrichten sind weiß Gott nicht alles, was aus unsrer Welt zu erzählen ist. Solche Zeichen machen Mut. Und sie wollen uns selbst aktiv beteiligen. Wir können die Augen und Ohren aufmachen, um zu merken, wo wir gebraucht werden.
So vieles scheint uns die Hoffnung zu rauben.
Israelische Schriftsteller (David Grossmann[2], Etgar Keret[3]) haben jüngst im Blick auf die fehlenden Friedenschancen in ihrem Land vor der Verzweiflung gewarnt als vor einer Macht, die alle Initiative lähmt und in die Passivität führt. „Fänden wir uns mit der Verzweiflung ab, gestünden wir im Grunde ein, dass wir besiegt worden sind“ (Grossmann). Diese Israelis reden der Hoffnung das Wort. Sie tun es für ihre Landsleute. Aber wir dürfen und sollen es auch für uns und für unsre Welt hören. Für uns und unsere Rückzüge in die Resignation und in die Gleichgültigkeit und in die Verzweiflung über die Weltlage.
Als Ruf zur Hoffnung möchte ich die Antwort Jesu verstehen. Hört und seht, was geschieht und berichtet dem Johannes!
5.
„Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“ – lässt Jesus zuletzt dem Johannes ausrichten.
Ja, man kann sich an Jesu Antwort stoßen. Weil Jesus sich uns direkt nicht ausweist. Er mutet uns zu, uns auf das einzulassen, was er getan und gepredigt hat und auch heute tut. Und was doch nur Zeichen ist für die, die Augen haben zu sehen und Ohren zu hören. Aber mit dieser Zumutung macht er uns Mut.
…oder sollen wir auf einen andern warten – hatte Johannes gefragt. Nein, das sollen wir nicht. Aber auf denselben, der in seinen Worten und Taten gekommen ist, auf den sollen wir warten. Mit den Juden und wie die Juden auf den Messias warten.
Und sollen uns in dieser Wartezeit nicht zufrieden geben mit der alten Welt, so wie sie ist. Sondern sollen Heils—und Lebenszeichen gegen die alte Todeswelt aufspüren und selber dagegen setzen. Keiner von uns kann die Welt retten – habe ich gerade in einer Predigt gehört[4]. Aber wir alle können unser Leben ändern, jedenfalls dies und das in unserm Leben. Auf dass wir hilfreich werden.
Uns bleiben Fragen an Jesus. Und es bleiben Fragen offen.
Der Kommende wird, wenn er kommt, seine Identität aufdecken. Über all unsre christlichen und jüdischen Voreingenommenheiten und Feststellungen hinaus. Da werden wir aus dem Staunen nicht herauskommen. Und er kommt gewiss nicht mit leeren Händen, sondern als das ganze Heil für die ganze Welt. Darauf lasst uns mit unsern jüdischen Geschwistern warten – leben im Advent! Amen.
[1] Sören Kierkegaard, Einübung ins Christentum (1848), zit. Von Gerhard Bauer in: hören und fragen. Eine Predigthilfe, hg. v. Arnold Falkenroth und Heinz Joachim Held, Bd. 1, Neukirchen 1978, 15.
[2] David Grossmann, Israels Politik: Unsere Verzweiflung ist unser Untergang, in:F.A.Z. 9.7.2014.
[3] Nahost-Konflikt. Ein Briefwechsel der israelischen Schriftsteller Etgar Keret und Sayed Kashua, in: DIE ZEIT vom 27.11.2014, 56f.
[4] Gottesdienst im ZDF am 7.12.2014.
Link zur Online-Bibel
Nur nicht ärgern! - Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Wolfgang Gerts
Nur nicht ärgern!
Liebe Gemeinde,
Wir feiern den 3. Advent. Die Vorfreude auf ein festliches Ereignis wird größer. Wir erwarten das Kommen des Sohnes Gottes. Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! (Mt 21,9) Mit Jubelrufen und Gesängen wird der Retter erwartet. Das findet zwar in der Passionszeit statt, bevor sie alle „Kreuzige“ schreien, aber weil es inhaltlich um Erwartung des Ankommenden geht, gehört dies sachlich zum Advent. Die Adventszeit ist immer auch eine Zeit des Singens und der Lieder. Die Adventslieder legen es uns in die singenden Münder: Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt - aber:
Er kommt als ein Ärgernis! Der Predigttext moduliert das fröhliche Singen und die gute Stimmung: Aus Dur wird scheinbar Moll. Das Kommen des Sohnes Gottes als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerständigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Predigttext. Eine seltsame Seligpreisung.
Ärgernis, Anstoß und Skandal - so viel Marktschreierei scheint zur redlichen Bibel und zur lichterfrohen Adventszeit gar nicht zu passen. Schließlich bereiten sich viele Kinder, Männer und Frauen auf das Fest der Liebe vor. Ärgernis, Anstoß und Skandal - all das scheint doch in plakativen Boulevardzeitungen oder in pikanten Talkshows besser aufgehoben zu sein. Ein Bundesminister hat in die eigene Tasche gewirtschaftet, und Geschenke bleiben an ihm kleben. Ein beliebter Sportler wird kriminell und muss für immer aus dem Verkehr gezogen werden. Ein Gerichtsmitarbeiter handelt mit Doktortiteln - das sind Skandale, und darüber muss gesendet werden!
Die ungezählten Talkshows im Welt umspannenden Fernsehen haben prominente Sendeplätze und finden ein Millionenpublikum. Eine Sache der Talkshows
König unter den Talkmastern war in den Vereinigten Staaten Larry King. Der meinte, es wären zwei Persönlichkeiten, die er trotz der tausenden von Interviews ungemein gern befragen würde: Zum einen Abraham Lincoln, den amerikanischen Präsidenten zur Zeit der Sklavenbefreiung; und zum anderen - Jesus Christus!
Jesus Christus im Interview! Bei dieser durchaus amerikanisch durchtränkten Vorstellung muss ich erst einmal durchatmen. Unverfroren. Es ärgert mich, dass Jesus Christus wie irgendein Prominenter vorgeführt und befragt werden soll. Aber riskieren wir ein Interview mit Jesus Christus!
Es ist erstaunlich: So völlig aus der Luft gegriffen scheint die Idee des Medienmanns gar nicht zu sein. Denn der Predigttext selbst ist wie eine Art Interview aufgebaut: Auf die Frage Johannes' des Täufers gibt Jesus von Nazareth eine Antwort. Johannes der Täufer ist gleichsam der erste Interviewer in der christlichen Geschichte. Über seine Jünger lässt er Jesus fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
Johannes der Täufer lässt deshalb über seine Jünger fragen, weil er selbst eingekerkert im Gefängnis sitzt. Er hat mit seiner Predigt der Buße Anstoß und Ärgernis bei König Herodes erregt. In der Todeszelle hört er von den Werken Christi. Er hört von der Heilung zweier Blinder (Mt 9,27-31), eines Gelähmten (Mt 9,2-8), eines Aussätzigen (Mt 8,1-4), eines Tauben (Mt 9,32-34); zu guter Letzt hört er von der Totenauferweckung eines Mädchens (Mt 9,18-26). Durch alle Ritzen des Gefängnisses dringt die Kunde von einem Retter und Visionär.
Wenn ein Linker ein Amt als Regierungschef antritt, dann werden ihm auf allen Sendern und Kanälen kritische Fragen gestellt: Wer bist du? Was ist dein Programm? Was lässt sich von dir erwarten? Ein Antrittsinterview jagt das nächste. Wenn wir auf unseren Predigttext blicken, dann hat scheinbar Johannes der Täufer diese Tradition des Antrittsinterviews begründet. Er führt gewissermaßen das exklusive Christus-Interview im Advent: Bist du es, der da kommen soll?
Die Frage im Interview Verharren wir ein wenig bei den Fragen im Christus-Interview. Welche Fragen würden wir heute im Advent stellen, wenn wir dazu wie Johannes der Täufer die Gelegenheit hätten? Was wäre deine Frage?
Locker und aufgeräumt könnte solch ein Christus-Interview verlaufen - unter der Schlagzeile: Der Autor sprach noch vor seiner Ankunft mit dem Sohn Gottes! Aber an den Fragen merken wir, dass sich Jesus Christus nicht einfach am grünen Tisch interviewen lässt. Denn am grünen Tisch im Studio lassen sich Politiker und Prominente, Stars und Sternchen befragen - mit interessanten und weniger interessanten Fragen. Aber Christus lässt sich in diesen Fragen weder ergreifen noch begreifen.
Im Matthäusevangelium wird betont, dass Johannes der Täufer aus dem Gefängnis heraus seine Frage stellt. Wenn man im Dunkel sitzt, wenn es um das Ganze geht, wenn das Leben auf dem Spiel steht, dann kommt man wohl eher zu Fragen, die Christus entsprechen. Das ist das Ärgernis, dass sich Christus nicht einfach an jedem Ort befragen lässt. Erst im Dunkel des Kerkers, auf Messers Schneide, im bitteren Jammertal - dort wird man ermessen, was Christus bedeutet und welches Licht er in die Welt bringt. Das ist das Ärgernis, dass man die eigenen Tränen und das eigene Blut schmecken muss, um Christus zu begegnen. Doch selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.
Die Antwort im Interview Auf eine jede Frage in einem Interview wird eine Antwort erwartet. Als die Jünger des Täufers dessen Frage überbracht haben, antwortet Jesus und spricht: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.
Die Antwort Jesu lässt sich nicht einfach am grünen Tisch eines Interview-Studios verstehen. Wir hören kein direktes Ja oder Nein. Wir bekommen keine Antwort, die man bloß abnicken bräuchte, um zur nächsten Frage zu kommen. Das ist ein Ärgernis, dass man Christus allein dann begreift, wenn man selbst zum Ohren- und Augenzeugen seines Wirkens wird. Sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht, antwortet Jesus. Das ist ein Ärgernis, dass man sich selbst mit hineingeben muss in das Christusgeschehen. Hier gibt es keine Zuschauerplätze, auf denen man bequem gepolstert einem religiösem Schauspiel beiwohnen kann. Der, der da kommt in dem Namen des Herrn, der fordert unser Herz, unsere Entscheidung, unsere Traurigkeit und unsere Freude heraus.
Das persönliche Durchleben des Christusgeschehens lässt sich mit dem Singen von Liedern vergleichen. In der Adventszeit wird gern und häufig gesungen. Wer singt, kann das nicht aus einer Zuschauerhaltung heraus tun. Singen ist immer auch ein persönliches Geschehen und Ergehen. Es braucht die eigene Stimme, die eigene Körperhaltung, das eigene Hinein fühlen in den Text und in die Klänge, Harmonien finden. Hier kann man gegen die alten Gewohnheiten aber einen neuen Klang entdecken.
Mit dem Einbruch des Neuen und Ungewohnten stehen wir vor dem letzten Ärgernis, das der Predigttext am 3. Advent auslöst. Denn der erwartete Retter bürstet unsere Erfahrungen gegen den Strich: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt. Es geschieht eine Umkehrung und Umwertung aller Dinge. Nichts bleibt beim Alten. Wer die auf allen Nachrichtenkanälen verbreitete Eurofinanzkrise verfolgt, hat erfahren, wovon ich spreche: Aktien sind auf einmal nichts mehr wert; sicher geglaubte Bankeinlagen bereiten Angst und Sorge; Finanzexperten sind mit ihrem Latein am Ende. Zinsen gibt es nicht mehr, man muss die Banken bezahlen, wenn sie unser Geld nehmen. Das ist das Ärgernis: Nichts bleibt wie es ist, und alles wird anders.
Wenn der kommt, der da kommen soll, dann erkennt man die Blinden und Lahmen nicht wieder, die Geistreichen und die Geistlosen, die Aussätzigen und die Tauben, die Erfolgreichen und die Erfolglosen, die Armen und die Reichen, die Hohen und die Tiefen, die Gottlosen und die Frommen. Das ist das Ärgernis, dass der Advent Gottes so ganz anders sein wird, als man sich ihn vorstellt und ausmalt. Am Ende geschieht der Advent Gottes dort, wo man ihn zuallerletzt erwarten würde: Bei den Schmutzigen und Verpennten, bei den Taugenichtsen und Gelegenheitsarbeitern, bei den Schulabbrechern und Verpeilten. Der Advent Gottes macht aus Verlierern Gewinner und aus Traurigen Fröhliche. Das wird ein Singen und Jubeln sein! Das wird ein Heulen und Zähneklappern sein! Der, der da kommt, kommt als Anstoß und Ärgernis für die Sicheren und Selbstsicheren. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.
Das heilsame, fruchtbare Ärgernis. Blicken wir auf unseren Predigttext zurück. Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt - aber: Er kommt als ein Ärgernis! Das Kommen Jesu als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerspenstigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte.
Manchmal gibt es das: Ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. An heilsamen, fruchtbaren Ärgernissen kann man wachsen und reifen - so wie man beim Singen an queren Tönen und reibenden Harmonien einen neuen Klanghorizont entdecken kann. Jetzt bricht durch alte Gewohnheit ein neuer Lebensgeschmack. Jetzt bricht mitten im alltäglichen Durchschnitt ein großer Advent auf. Ich denke an Christen in aller Welt, die im Kampf des Alltags bestehen.
In Indien leben Christen in der Minderheit. Zumeist gehören sie den unteren Gesellschaftsschichten an. Das hinduistisch geprägte Kastenwesen erschwert den gesellschaftlichen Kontakt und den sozialen Aufstieg. Doch Christen und Christinnen entdecken ihre Gottesebenbildlichkeit und ihre Menschenwürde. Selbstbewusst geworden, treiben sie Geschäfte und schließen Verträge - und das auch quer zum traditionellen Kastenwesen. Das ist das Ärgernis, das Christen in Indien auslösen: Niedrige erheben sich aus der Tiefe und Hohe werden von ihrem Gesellschaftsthron gestürzt.
In Brasilien wehren sich Kleinbauern und Landlose gegen das Großkapital und gegen Großgrundbesitzer. Man kämpft für eine alternative Agrarreform und für die Entwicklung von Kleinbetrieben. Und man kämpft gegen die Vertreibung vom Land und vom angestammten Lebensraum Kleinbauern, Landarbeiter, Indianer und Landlose strömen herbei und streiten für ihr Recht. Und sie rufen: „Das Land gehört dem Schöpfer-Gott und die Konzentration in den Händen weniger stimmt nicht mit Gottes Willen überein. Wie im Zeugnis der Bibel ergreift Gott Partei für die Kleinen, identifiziert sich mit ihnen und ist in ihren Geschichten und Kämpfen präsent. Niedrige erheben sich aus der Tiefe und Hohe werden von ihrem Gesellschaftsthron gestürzt. Nicht weniger und nicht weniger aktuell verkündet
Gottes Advent ist ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. Gottes Advent ist ein Anstoß. Nichts bleibt beim Alten. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Matthäusevangelium.
Amen
Liedvorschlag: O Heiland, reiß die Himmel auf, EG 7