Nicht ohne politische Dynamik - Predigt zu Matthäus 1,18-25 von Stefan Knobloch
Nicht ohne politische Dynamik
Diese Nacht, die wir die Christnacht oder die Heilige Nacht nennen, ist anders. Auf welche Weise anders als andere Abende, als andere Nächte, ist nicht leicht zu sagen. Es ist ein Abend, an dem wir uns wie sonst an keinem anderen Abend aus dem Raum der Öffentlichkeit zurückziehen, in die eigenen vier Wände. Und wem die eigenen vier Wände zu öde sind, zu sehr Einsamkeit atmen, der sucht nach Menschen, zu denen er Nähe verspürt. Auch die, die kein Dach über dem Kopf haben, sehnen sich für Stunden nach einem Ersatzdach, unter dem die Christnacht auch für sie etwas Licht verbreitet.
Den anderen Charakter dieser Nacht, dieses Abends, in der sich gleichwohl Spannungen aufbauen, die sich manchmal heftig entladen – früher sprach man dann vom „Festtagsteufel“ -, den anderen Charakter erhält dieser Abend aus dem Bezug auf ein Ereignis, das zweitausend Jahre zurückliegt: die Geburt Jesu Christi.
Vielfach ergreift uns dieses Fest über die lange Kette unserer Erinnerungen an Kindheitsweihnachten bis in spätere und späte Lebensjahre herein. Irgendwie berührten wir dabei die Geburt Jesu über die Schiene alter Weihnachtslieder. Ein ganzes Jahr schlummern sie in uns, an Weihnachten aber kommen sie uns aus der Tiefe in den Sinn. Sie singen von der Geburt Jesu. Dieser Geburt wegen haben wir uns hier in dieser Stunde versammelt.
Nimmt uns da das Evangelium dieses Abends, dieser Nacht bei der Hand, um die Geburt Jesu nicht nur wie ein beinahe entleertes Ritual zu begehen, nach der Devise: „the same procedure as every year“? Sondern trifft es uns? Ganz leicht macht es uns das Evangelium dabei nicht. Schon der erste Satz, „Mit der Geburt Jesu Christi war es so“, könnte uns einladen, einer falschen Fährte zu folgen. Als werde uns hier ein Tatsachenbericht darüber geboten, wie es mit der Geburt Jesu wirklich war. Und schon könnten wir – nicht nur Männer, auch Frauen – Solidarität mit den quälenden Gedanken des Josef empfinden, wie Maria an dieses Kind gekommen sei. Dass gerade dieses Element gerne bei uns hängen bleibt, muss uns angesichts der Erfahrungen unserer Lebensverhältnisse heute nicht wundern. Aber um Probleme betrogener Ehemänner geht es dem Evangelium der Christnacht nicht. Den Schlüssel zum richtigen Verständnis legt uns der Rückbezug auf eine Stelle beim Propheten Jesaja in die Hand: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns!“
Um diese Vorgabe aus dem Alten Testament komponiert das Mt-Evangelium seine Darstellung der Geburt Jesu. Die Sätze aus dem Buch Jesaja sieht das Mt-Evangelium in Jesus erfüllt. In ihm, in Jesus, ist der „Gott mit uns“, der Immanuel in die menschliche Geschichte eingetreten. In ihm erfüllte sich eine Verheißung, die im 8. Jahrhundert v. Ch. dem König von Juda, namens Ahas, gegeben worden war. In einer für Jerusalem verzweifelten Situation, in der der König Ahas alle Hoffnung auf Rettung, auf einen guten Ausgang längst aufgegeben hatte. Auf Gott, hieß das, setzte er keine Hoffnung mehr.
Da forderte ihn Gott selbst heraus, so schildert es die Bibel, ein Zeichen der Treue, der Verlässlichkeit Gottes zu verlangen. Aber selbst das konnte der König nicht, er war der Gefangene seiner Verzagtheit und Verzweiflung. In dieser Situation, in der nichts mehr weiterzugehen schien, in der sich Jerusalem am Ende all seiner politischen Künste wähnte und bloß noch das blanke Entsetzen vor Augen hatte, in dieser Situation verheißt Gott in einer unglaublichen Überbietung eine alles überbietende Rettung in einem Menschen, der den Namen Immanuel tragen werde. Er werde der „Gott mit uns“ sein und in ihm werde die Wirklichkeit Gottes mit den Menschen sein.
Einen größeren Gegensatz zwischen der Verzweiflung des Königs und Jerusalems und der alles in den Schatten stellenden überbordenden Verheißung eines „Gott mit uns“ hätte man sich kaum vorstellen können. Genau dasselbe Element taucht in der Darstellung des Mt-Evangeliums auf. Da ist auf der einen Seite Josef, sozusagen restlos bedient von seiner geplatzten Lebensplanung, in Gedanken längst beim Absprung, und auf der anderen Seite Maria, schwanger mit dem Träger aller Verheißungen Gottes! Der, den Jesaja den „Gott mit uns“ nennt, den nennt das Mt-Evangelium den vom Heiligen Geist Empfangenen, den Maria in ihrem Schoß trägt. Und wer er sein wird, als wen er sich zeigen wird, das kleidet das Mt-Evangelium in ein Traumgesicht des Josef. Der, der im Schoß seiner Frau heranwächst, werde Jesus heißen. Denn er werde seinem Volk heraushelfen aus den Untiefen und Verwerfungen der mit den Jahren über Generationen hin gewachsenen strukturellen Ungerechtigkeiten. Er werde heraushelfen aus der Gewalt im öffentlichen wie privat-familiären Lebensbereich, aus der Gewalt gegen Arme, Zukurzgekommene, Unterdrückte, die kaum Luft zum Atmen haben. Der, den Maria in ihrem Schoß trägt, werde, wie es die Bibel ausdrückt, sein Volk von den Sünden erlösen.
Und in der Tat, das ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden. Von ihm ging und geht Heil, Hoffnung und Licht aus, so dass der Kolosserbrief sagen konnte, in ihm wohnte die Fülle Gottes, oder das Joh-Evangelium ihn so charakterisierte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ und „Ich und der Vater sind eins“. Jesus hat, etwas unweihnachtlich gesprochen, in unser Leben eine Fackel hineingeworfen, einen Brandbeschleuniger aktiviert, durch den sein Feuer sich schneller in unser Leben ausbreiten sollte. Es ist das Feuer der Befreiung des Lebens, das Feuer der Freiheit des Lebens aller Menschen.
Weihnachten ist nicht nur ein besinnlich-familiär-beschauliches Fest. Weihnachten ist ein politisches Fest, ein Fest mit einer gesellschaftspolitischen Dynamik. Zumal heute, wo so viele Herausforderungen auf den Raum der EU andrängen. Gewiss sind hier die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten verteilt. Wir haben als einfache Leute eine andere Verantwortung als die Politiker an den Schalthebeln der Macht, wobei deren Einflussmöglichkeiten bisweilen auch sehr begrenzt sind. Wie auch immer: Nehmen wir unsere Möglichkeiten wahr, das weihnachtlich-jesuanische Feuer der Befreiung des Lebens aller Menschen in uns zu tragen. Verschließen wir uns nicht, schotten wir uns nicht ab vor den Herausforderungen dieser Tage. Öffnen wir uns vielmehr, von der Weihnachtsbotschaft berührt, mental für die existentiellen Nöte der Menschen, der Familien, der traumatisierten Kinder aus Ländern, die an Gewalt, Unmenschlichkeit, Krieg, kultureller und religiöser Unterdrückung unterzugehen drohen.
Bauen wir Mauern ab, und nicht auf! Feiern wir die Christnacht in der Glaubensgewissheit, dass sich in Christus der „Gott mit uns“ allen Menschen geschenkt hat. Ob sie ihn kennen oder nicht. Auf welchen Wegen, in welchen Kulturen und Religionen sie auch immer den Gott mit uns suchen, in welchen „Schatten und Bildern“ (vgl. die Kirchenkonstitution Lumen gentium 16) auch immer. Zeigen wir einander das menschliche Gesicht Gottes.
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Predigt zu Mattthäus 1,1.18-25 von Werner Klän
A] Gott tritt ein in unsere Welt. Dabei ist äußerlich vieles zweideutig: Die ledige Mutter, ihr rücksichtsvoller und doch wankelmütiger Verlobter. Doch Gott verfolgt sein Vorhaben ganz eindeutig: Er überzeugt den zögerliche Joseph davon, dass alles seine Richtigkeit hat mit Marias Schwangerschaft. Er gewinnt ihn sogar dafür, die Vaterstelle beim Neugeborenen einzunehmen. Und Gott lässt Joseph im Traum erfahren, war er weiter vorhat mit diesem Sohn. Denn in den Namen, die ihm gegeben werden, ist alles gesagt, was sein Auftrag ist: JESUS – „der Helfer“; IMMANUEL – „Gott –mit-uns“. Und damit wird zugleich angezeigt, was diese Geburt, dieses Kind für uns bedeutet. Denn dieser Gottes- und Mariensohn ist Immanuel: Er teilt unser Geschick. Und er ist Jesus: Er wendet unser Geschick. Denn in ihm begegnet uns Gott.
B 1] In dem Immanuel begegnet uns Gott. Er teilt unser Geschick.
Ja wirklich: In Jesus bekommen wir es mit Gott zu tun, mit Gott höchstpersönlich. Er ist Immanuel: Gott-mit-uns. Darauf weist die Abkunft des Mariensohns von Gott durch den heiligen Geist. Gott selbst ist in einzigartiger Weise von Uranfang an mit dem verbunden, den seine Mutter Maria zur Welt bringt. Das ist ja ihre große Aufgabe als Mutter unseres Heilands: Gottes Sohn zur Welt zu bringen. Durch ihren Leib kommt der Messias Israels und Heiland der Welt zu uns Menschen. Von Maria getragen und geboren, kommt Gott in seinem Sohn zur Welt, zu den Menschen zu uns. Als Marien Sohn ist Jesus – wie Joseph ihn nennen wird – zugleich Davids Sohn und Abrahams Sohn. Gestalten. So teilt er unser Geschick: Zuallererst als jüdischer Sohn einer jüdischen Mutter, ganz eingebunden in die Geschichte des Volkes seiner Herkunft. Aus königlicher Familie ist er und von uraltem Adel, sein Leben verwoben mit der Abfolge der Geschlechter, seit Gott dieses Volk erwählte, sein Volk, sein Augapfel, seine große Liebe unter allen Menschen zu sein. Seine Urahnen und Vorväter zählen zu den bedeutenden Gestalten des Gottesvolkes, von Gott besonders ausgesucht, besonders begabt, besonders begnadet. Ihnen galt Gottes Zusage in besonderer Weise. Denn ihre Aufgabe war es, weiterzutragen und auszubreiten, was Gott immer schon vorhatte: Dass seine Leute mit ihm in guter Gemeinschaft leben können. In deren Nachfolge und Aufgabe tritt Jesus ein, bestimmt, ihren Auftrag zur Vollendung zu bringen. „Das heil kommt von den Juden“, heißt es darum zu Recht bei Johannes ().So ist er eingereiht und eingegliedert in die Menschheitsgeschichte, auch wenn er von außen in sie eintritt, von Gott her kommt.
Zugleich aber übernimmt er ein, ja unser menschliches Schicksal. Und ist gleich in Gefahr. Joseph will seine Mutter – und ihn – verlassen. Er mag wohl auf unser Verständnis rechnen, und das umso mehr, als er offensichtlich behutsam vorgehen will, keinen Krach sucht, keine Szene macht, sondern sich heimlich davonmachen will. Aber – eine ledige Mutter und ein vaterloses Kind, sind schutzlos. In der alten Welt galt das noch weitaus mehr, als in unseren wohlgesicherten Sozialsystemen; doch selbst hier haben es Alleinerziehende und uneheliche Kinder noch schwer. Bei Jesus sorgt Gott durch die Weisung seines Boten dafür, dass Joseph die Vaterstelle bei Jesus einnimmt. Gott selbst leistet die Überzeugungsarbeit, die wohl nötig ist, Joseph davon abzubringen, seine Braut und künftige Frau samt ihrem neugeborenen im Stich zu lassen. Gott selbst liefert Joseph die guten Gründe, bei Maria zu bleiben und ihr bei und nach der Geburt beizustehen. Gott selbst weist Joseph darin ein, wie der die Vaterrolle bei Marias Sohn übernehmen soll. Gott selbst klärt Joseph darüber auf, was es mit diesem Kind, mit seiner Herkunft und seiner Zukunft, auf sich hat.
So ist Gottes Ankunft im Sohn der Maria gleich begleitet von Gefahr und Geheimnis. Gleich zu Anfang wird deutlich, dass der Weg Gottes in dieser Welt nicht ohne Risiko ist: Indem er menschliche Gestalt annimmt und einer von uns wird, setzt Gott sich Gefährdungen aus, die den unseren teils ganz ähnlich sind. Er ist Immanuel: Gott-mit-uns. Und mehr noch Gott setzt sich selbst auf‘s Spiel. Das ist ganz ungewöhnlich und unerhört! Gott lässt sich darauf ein, als einer von uns bei uns zu sein. Gott geht das Risiko ein, mit unsereinem verwechselt zu werden. Gott läuft tatsächlich Gefahr, als einer wie wir unter die Räder menschlicher Geschichte zu geraten. Aber genau das ist an diesem Jesus-Immanuel zu sehen: Er bringt sich ganz und gar ein in unsere Geschichte und teilt unser Geschick.
B 2] In Jesus begegnet uns Gott – und wendet unser Geschick zum Guten, zu Gott.
Darauf weist sein zweiter Name hin: Jesus. Jeus, das heißt: „Der Helfer“, der Retter, der Beistand, der Unterstützer. Ein Blick in unser Leben und auf unsere Welt genügt, um zu sehen: Wir benötigen Hilfe, wir sind auf Rettung angewiesen; wir brauchen Beistand und Unterstützung in vielfältiger Hinsicht. Da sind die Unzulänglichkeiten, die wir an uns tragen und die uns immer wieder scheitern lassen, selbst beim besten Willen. Da sind die vielen Ausweglosigkeiten; so wird uns der Weg zum Mitmenschen verbaut; sie bilden Engpässe, in denen wir den Blick auf die Nöte anderer verlieren; sie sind Sackgassen, in denen Gespräche verstummen und Verständigung stirbt. Sie bilden Bereiche, in denen aller gute Wille gegen Wände von Unverständnis, Missverstand und Feindseligkeit prallt. Sie schaffen Bedingungen, die alle Friedfertigkeit töten und Hass, Gewalt, Terror und Krieg hervorrufen, so dass Menschen darin rettungslos verloren sind, wie wir es tagtäglich zu sehen und zu lesen bekommen. Da sind die Fehler und Versäumnisse, die uns und unsere Beziehungen zu unsern Nachbarn, Freunden, Angehörigen schwächen, aushöhlen und beschädigen – und die wir selbst längst nicht mehr ausräumen können.
Da ist vor allem – und alles andere sind nur Signale an der Oberfläche – da ist vor allem unser zerrüttetes Verhältnis zu Gott, unsere verschüttete Beziehung zu dem Herrn unseres Lebens. Diese Zerstörung lässt uns auf Abwege geraten, lässt uns in die Irre gehen, hält uns im Irrtum gefangen. Wenn wir nämlich Gott aus dem Blick verlieren, finden wir den Weg zu Gott nicht mehr, bleiben von ihm abgeschnitten.
Das aber will Gott nicht hinnehmen. Er will weder, dass sein geliebtes Volk, noch das seine Menschengeschöpfe verloren gehen, weil sie den Zugang zu ihm vergessen haben und nicht wieder finden. Darum macht Gott sich selbst auf den Weg zu uns, um unser Geschick zu wenden. Wenn und weil wir weit weg sind von Gott, wenn wir uns von ihm entfernt haben, kommt er uns nahe, geht er uns nach. Denn Jesus stellt sich und gesellt sich zu uns und setzt sich für uns eine. Er steht auf unserer Seite und tritt für uns ein. Dieser Jesus-Helfer greift uns unter die Arme, wo nötig. Er hilft uns auf die Beine, wo erforderlich. Er trägt uns sogar, wo wir nicht mehr weiter können, sogar im Sterben und im Tod. Und das ist ein Wunder: Obwohl wir lange meinten, ohne ihn leben zu können, sucht Gott unsere Nähe, und tut das alles, wie wir an diesem Helfer und Heiland Jesus sehen, in freundlicher Absicht, aus liebevollem Herzen, mit ganzer Hingabe.
So wendet er unser Geschick zum Guten, zurück zu Gott. Denn das Kind, das Maria zur Welt bringt, bringt uns Gott mit all‘ seiner Freundlichkeit. Das Kind, dem Joseph auf Gottes Geheiß den Jesusnamen gibt und so die Vaterstelle bei ihm übernimmt, bringt uns zurück zu Gott, der in einzigartiger Weise sein Vater ist und unser lieber Vater sein will.
C] Gott-Immanuel ist bei und uns unser Helfer Jesus ist für uns da. Dieser Gott-mit-uns geht wirklich mit uns, geht auf uns ein. Der Beistand und Heiland Jesus kommt uns nahe und bringt uns Gott nahe. Ja wirklich: In Jesus begegnet uns Gott. Er bleibt auch unser Wegbegleiter. Amen.
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Bist Du es, der da kommen soll? - Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Martin Weeber
Bist Du es, der da kommen soll?
Menschen sind Erwartende.
Wenn wir nichts mehr erwarten, dann steht es nicht gut um uns.
Es gibt nur einen Typus von Situationen, bei dem es nicht schlimm ist, sondern ganz und gar wundervoll, wenn wir nichts mehr erwarten:
Das sind Situationen der Erfüllung.
Momente ganzen, ungeteilten Daseins.
In diesen Momenten steht die Zeit gewissermaßen still.
In diesen Momenten wird für uns die Ewigkeit vorweggenommen:
So wird es einst sein: die reine Erfüllung, ohne jeden Mangel.
Aber in unserem jetzigen, zeitlichen Leben, da sind solche Ewigkeitsmomente selten und flüchtig.
Außerhalb dieser wenigen Ewigkeitsmomente erwarten wir immer irgendetwas:
Entweder wir freuen uns darauf oder wir fürchten uns davor.
Wenn wir nichts mehr erwarten, dann steht es nicht gut um uns.
Wir sind Erwartende. Hoffentlich sind wir das.
Die Adventszeit ist im Kirchenjahr die große Erwartungszeit.
Wir warten auf die Ankunft Gottes in der Welt.
Wir warten auf die Ankunft jenes einen Menschen, der mehr ist als nur ein Mensch.
Wir warten auf die Ankunft Jesu.
Was wird sein, wenn er ankommt?
Was haben wir zu erwarten von seiner Ankunft?
Welche Erwartungen richten wir auf Jesus?
Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht:
Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt;
und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Matthäus 11, 2-6
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Wie wunderbar ist es, wenn wir im Leben den Menschen treffen, bei dem wir merken:
Der ist es, die ist es. Mit ihm, mit ihr möchte ich mein ganzes Leben verbringen.
Wie schön ist es, wenn sich diese Gewissheit einstellt.
Aber wie gewagt ist es, diese Gewissheit dann auch wirklich zur Basis für eine Lebensentscheidung zu machen.
Haben wir Beweise dafür, dass dieser Mensch nun wirklich derjenige ist, mit dem wir unser ganzes weiteres Leben verbringen sollten, bis der Tod uns scheidet?
Glaubende sind wie Liebende:
Sie sind Romantiker.
Und sie müssen es sein.
Denn der Glaube lebt wie die Liebe nicht von Beweisen.
Er lebt von Gewissheiten, die sich einstellen, ohne dass man die Gründe dafür ganz genau benennen könnte.
Insofern ist der Glaube, ganz wie die Liebe, immer auch wehrlos.
Freilich, es mag Indizien geben, Hinweise, dass dieser Mensch nun wirklich der Mensch ist, der für mich das Warten beendet.
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
So fragt Johannes der Täufer, und er stellt damit eine Frage, die auch wir uns vielleicht schon gestellt haben:
Ist Jesus der, auf den wir warten?
Ist Jesus der, der unsere Erwartungen erfüllt?
Johannes stellt die Frage an Jesus selbst.
Freilich: Er sitzt im Gefängnis und muss seine Jünger die Frage überbringen lassen.
Bist Du es?
Johannes kennt Jesus.
Laut der Überlieferung ist er verwandt mit ihm.
Vettern, Cousins.
Und die beiden sind sich sehr ähnlich.
Johannes war ein großer Prediger.
Ein Bußprediger.
Ein Prediger der Ernsthaftigkeit.
„Kehrt um, Leute, ändert Euer Leben.“
Johannes hat die Leute getauft.
Als einen Reinigungsakt hat er diese Taufe verstanden:
Einmal ganz untertauchen im Jordanfluss, die Sünden der Vergangenheit gewissermaßen abwaschen und ein neues Leben beginnen, ein Leben mit Gott und nach Gottes willen.
„Kehrt um, Leute, ändert Euer Leben. So kann es nicht weitergehen.“
Die Predigt des Johannes hat etwas Faszinierendes:
„So kann es nicht weitergehen.“
Dieser Eindruck drängt sich immer wieder auf, auch heute.
Jesus war fasziniert von der Bußpredigt des Johannes.
Er hat sich durch ihn taufen lassen.
Da war er schon ein erwachsener Mann und hatte sich schon umgeschaut in der Welt.
Und Jesus hat dann auch angefangen, zu predigen.
Ganz ähnlich, aber doch mit einem ganz anderen Akzent.
Auch Jesus hat zur Umkehr aufgerufen.
Aber nicht zur Umkehr der Angst, sondern zur Umkehr der Freude.
Johannes war ein Prediger des Gerichts.
Jesus wurde zum Prediger der Freude.
Auch Jesus war ein ernsthafter Prediger.
Seine Ernsthaftigkeit war freilich die Ernsthaftigkeit der Freude.
Durch Angst macht man die Menschen nicht besser.
Durch Angst lähmt man die Leute.
Durch Angst macht man Leute blind für die Möglichkeiten der Veränderung.
Hoffnung, Freude und Zuversicht:
Die verändern die Menschen.
Du willst es ermöglichen, dass sich jemand verändert?
Nimm ihm zuerst seine Angst.
„Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“
So fragt Johannes.
Und Jesus antwortet:
„Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht:
Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“
Die Menschen damals haben gewartet.
Sie haben gewartet auf einen Messias, auf einen Erlöser; auf einen Menschen, der von Gott kommt und alles verändert, alles zum Guten wendet.
Seit Jahrhunderten hatten sie gewartet.
Sie hatten die alten Prophezeiungen des Propheten Jesaja im Ohr.
Jesaja hatte davon gesprochen, wie es dann sein würde, wenn alles gut wird:
„Deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen (Jes. 26, 19)“, Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkelheit und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.“ (Jes. 29, 18f.)
In den Wundern, die Jesus tut, da scheint sie auf: Jene wunderbare Welt, in der alles schon so ist, wie es sein soll.
Freilich:
Es sind nur Einzelne, es sind nur wenige, die geheilt oder die dem Tode wieder entrissen werden.
Beweise sind das nicht dafür, dass Jesus der ist, auf den alle gewartet haben.
Es sind Indizien, es sind Hinweise.
Es gibt keinen Gottesbeweis und es gibt keinen Beweis, dass Jesus Gottes Sohn ist.
Nur Hinweise, nur Indizien.
Jesus rechnet selbst damit, dass diese Hinweise keineswegs alle überzeugen werden:
„Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“
Seligkeit ist ein Zustand gesteigerten Glücks, den man nicht selber herzustellen vermag.
Aber dieses Glück kann sich einstellen.
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Selig ist, wer von Jesus solch einen Eindruck gewinnt, dass er sagen kann:
Ich muss auf keinen anderen Erlöser mehr warten.
Selig ist, wer merkt:
In Jesus begegnet mir eine Gottesfülle, die für mein ganzes Leben genügt und ausreicht.
Selig ist, wer merkt:
Wenn ich Jesus habe, dann muss ich auf keinen andern mehr warten.
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Hören wir auf, Erwartende zu sein, wenn wir Jesus gefunden haben, wenn Jesus uns gefunden hat?
Keineswegs.
Aber unsere Erwartungen verändern sich.
Wir erwarten allerlei Veränderungen, die von Jesus, die von Christus ausgehen.
Veränderungen in uns selbst, aber durchaus auch Veränderungen in der Welt, die uns umgibt.
Auch wenn man dazu neigt, die Dinge ganz nüchtern zu betrachten, dann wird man das nicht gering schätzen, was sich verändert hat, seit Christus in die Welt gekommen ist.
Die Welt ist nicht einfach gleich geblieben.
Es hat sich etwas in dieser Welt verbreitet, was man in pathetischeren Zeiten den Geist des Christentums oder den Geist der Liebe genannt hat.
Es hat sich eine Haltung verbreitet, welche die Kranken und die Leidenden nicht mehr verachtet, sondern sich ihnen zuwendet.
Das, was wir heute Inklusion nennen, ist ein ur-christliches Anliegen: Niemanden ausgrenzen. Niemanden.
Nach Möglichkeit noch nicht einmal den, der sich selber ausgrenzt.
In dem, was unsere Gefängnisseelsorger leisten, kommt dieser Wille vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck:
Niemanden ausgrenzen.
Es ist der Wille Jesu.
Dieser Geist des Christentums, dieser Geist der Liebe hat es gewiss nicht immer leicht, sich durchzusetzen in unserer Welt.
Manches Mal und immer wieder hat er es sogar schwer, sich in der Kirche durchzusetzen.
Wie viel Lieblosigkeit steckt oft in kirchlichen Institutionen oder kirchlichen Bestimmungen und Vorschriften!
Und dennoch ist durch Jesus eine Bewegung in die Welt gekommen, die bleibt.
Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Ich will auf keinen andern warten.
Amen.
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Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Hans Theodor Goebel, Köln
2 Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken des Christus hörte, sandte er seine Jünger
3 und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll oder sollen wir auf einen andern warten?
4 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht:
5 Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören
und Tote werden auferweckt und Armen wird das Evangelium verkündet.
6 Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
1.
Wer ist Jesus für uns?
Für manche ist das keine Frage, die sie bewegt. Für andere sehr wohl. Auf dem Büchermarkt der letzten Jahre sind immer neue Jesusbücher erschienen. Geschrieben von so verschiedenen Autoren wie Papst Benedikt auf der einen und dem amerikanischen Muslim Reza Aslan auf der anderen Seite. Auch Jesusromane finden sich unter den neueren Jesusbüchern.
Die Rede geht schon von einem „praktisch unendlichen Appetit auf Bücher über Jesus“.
Was treibt Menschen zum Fragen nach Jesus? Was suchen sie bei ihm? Kann sein, dass sie unter dem Firnis späterer Übermalungen nach einem sogenannten wirklichen oder wahren Jesus suchen. Und dass dahinter die Suche nach Vergewisserung steht. Nach etwas an Jesus, das ursprünglich ist und woran man sich auch als moderner Mensch halten kann – wo doch so viele Gewissheiten unwiederholbar vergangen sind?
2.
Einer, der schon zu Jesu Lebzeiten nach ihm gefragt hat, ist in den Erzählungen der Evangelien Johannes, der Täufer.
Johannes ist ein Wartender. Sein ganzes Leben, sein ganzes Wirken ist geprägt vom Warten auf den, der kommen soll. Johannes ist der Vorläufer des Kommenden, sein Bote, sein Zeuge.
Hat er doch den Menschen, die zu ihm in die Wüste am Jordan geströmt waren, gesagt:
„Ich taufe euch mit Wasser zur Umkehr, der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen. Der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen“ (Mt 3,11).
Die Predigt des Täufers zur Umkehr traf auch den König Herodes und seine Geliebte. Denen hatte er ihr Unrecht vorgehalten. Und die Mächtigen waren schwach und haben zurückgeschlagen: Johannes sitzt jetzt im Gefängnis.
Da ist er anscheinend nicht von aller Kommunikation abgeschnitten. Seine Gefängnismauern sind durchlässig für das, was draußen geschieht und erzählt wird. Er hat Kontakt zu seinen Anhängern und Schülern.
So hört er von Jesus, der jetzt durch Galiläa zieht und predigt: Den Armen gehört das Himmelreich - und macht Kranke gesund, befreit Menschen aus der Macht von Geistern, die ihr Leben zerstören, und er sagt wie Johannes vor ihm: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“
Was Johannes da hört, bringt ihn ins Nachdenken und Fragen. Ist in diesen Taten Jesu, Taten, wie Johannes selber sie nicht vollbracht hat, das Reich Gottes gekommen? Die Propheten haben so eine kommende Heilszeit ja verheißen. Johannes kennt das von Jesaja und anderen her.
Ist Jesus dann der Kommende, den er, Johannes, angekündigt hat, der Gesalbte Gottes, der Messias, der Christus – der Bringer des Heils?
Aber - bringt der Messias nicht das Gericht? Er, Johannes, hatte doch gepredigt, der nach ihm kommt, habe die Worfschaufel in der Hand, er werde den Weizen von der Spreu trennen und sammeln und die Spreu mit Feuer verbrennen.
All das mag Johannes im Gefängnis durch den Kopf gegangen sein und hat ihn ins Fragen gebracht. Auch mag er gedacht haben: Wenn ich meine Ketten ansehe, ist die Befreiung des Reiches Gottes jedenfalls bei mir noch nicht angekommen. Und bei vielen Leidensgenossen auch nicht.
So schickt der Täufer seine Jünger zu Jesus und lässt ihn fragen:
Bist du der Kommende oder sollen wir auf einen anderen warten?
3.
Ich halte hier inne.
Was verbindet uns mit Johannes und seinem Fragen? Wir suchen vielleicht, woran wir uns bei Jesus halten können, wenn so vieles wankt und fraglich geworden ist – aber ist in uns Christen etwas von dem Warten lebendig, das Gott seinem Volk Israel mit auf den Weg durch die Geschichte gegeben hat? Und das Johannes, der Vorläufer des Kommenden, verkörpert.
Es ist ein Warten auf den Richter, der dem Unrecht nicht das Sagen lässt in der Weltgeschichte und der Gier nicht den Erfolg lässt. Es ist ein Warten auf die unumschränkte Herrschaft Gottes.
Warten wir wirklich darauf oder haben wir schon die Segel gestrichen und resigniert vor dem, was gegenwärtig in unsrer Welt geschieht an Gewalttat und Ungerechtigkeit, an Ausbeutung, Vertreibung und Massenmord? Warten wir Christen mit den Juden darauf, dass unsere zerrissene Welt heil werden wird und heil auch unser beschädigtes Leben?
Nun könntest du kommen, lieber Christenmensch, und sagen: Aber die Juden warten doch noch auf den Messias. Und wir Christen sagen: Er ist schon gekommen. Darum nennen wir Jesus doch den Christus und Heiland.
Ja gewiss, möchte ich antworten. Aber ist es nicht so, dass dann unser Fragen erst recht in Gang gebracht wird?
Wenn dieser Jesus, den sie ans Kreuz geschlagen haben, auferweckt worden ist von den Toten – und das ist doch Kern und Stern unseres Christenglaubens – dann warten wir erst recht darauf, dass er kommt. Und mit ihm eine Welt ohne Tod und Tränen und Geschrei. Auferstanden ist er ja, um uns mit sich ins Leben zu ziehen und unsere Welt nicht der Selbstzerstörung zu überlassen.
Das ist die revolutionäre Botschaft von ihm – und es fällt uns das Glauben auch deshalb so schwer, weil wir nichts in den Händen haben. Und weil unsere Welt immer noch und heute wieder so bedrängend die alte Todeswelt ist. Steile Bekenntnissätze, wer Jesus sei, fallen da schwer und kommen uns oft so steril vor. Der Glaube verfügt nicht über die „direkte Kenntlichkeit“ des Christus (S. Kierkegaard[1]).
Vielmehr entzündet sich auch für uns Christen an dem, was wir von Jesus und seinem Evangelium gehört haben, ein Fragen, das uns mit dem Täufer Johannes solidarisch sagen lässt: Bist du, der da kommen soll oder sollen wir auf einen anderen warten?
Wohlgemerkt – Johannes hat kein fertiges Urteil, er fragt und sein Fragen richtet sich an Jesus selbst: Bist du, der da kommen soll.
Wer könnte diese Frage besser beantworten als Jesus selbst! Aber können wir ihn selbst denn heute fragen, wenn uns gerade der Glaube an ihn den Lebendigen Schwierigkeiten macht?
Mir ist immer wieder das Wort aus dem Evangelium wichtig, in dem ein Mann zu Jesus selbst sagt: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! (Mk 9,24).
Das ist die widersprüchlich erscheinende Logik des Glaubens. Eine andere greift hier nicht.
In dieser Logik des Glaubens können auch wir fragen: Bist du, der da kommen soll? Es ist die Sprache der Betenden, die uns ihn selbst so fragen lässt.
4.
Was aber antwortet Jesus dem Täufer? Und was antwortet er uns?
Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören und Tote werden auferweckt und Armen wird das Evangelium verkündet. Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Jesus gibt keine direkte Antwort auf die Frage, wer er in Wahrheit ist. Dieser direkten Frage entzieht er sich. So bekommt Johannes, so bekommen auch wir keine Aussagen und Feststellungen in die Hand. Keinen Identitätsausweis.
Aber eine Antwort ist das, was Jesus den Johannesjüngern sagt, schon:
Macht die Ohren und Augen auf. Hört und seht und berichtet, was hier geschehen ist und geschieht. Menschen werden aus ihrem Elend aufgerichtet und können wieder aufsehen, Menschen mit harten Herzen und verstopften Ohren hören, Lahmgelegte machen Schritte nach vorne, Tote und Totgesagte bleiben nicht tot liegen und die Armen rücken in den Brennpunkt des kommenden Heils. Berichtet das dem Johannes!
Jesus sagt dem Johannes damit nichts anderes, als was dieser schon in seinem Gefängnis hatte erzählen hören. Und was ihn ja gerade ins Fragen gebracht hatte.
Etwas anderes kriegen auch wir in diesem Evangelium zu hören.
Jesus hat konkret geholfen, in seinen Worten und Taten hat er sich Menschen zugewandt, denen es schlecht ging. Er hat damit Zeichen gesetzt. Sie waren nach den Worten der Propheten Zeichen der Heilszeit. Die Zeit des Heils aber ist heute – hat Jesus in seiner Vaterstadt gepredigt (Luk 4, 18-21).
Und nun möchte ich mich und Sie, liebe Predigthörer, zum Vertrauen aufrufen: Dieses „heute“ Jesu ist auch heute. Am 3. Advent des Jahres der Herrn 2014. Das Kommende ragt schon ins Heutige. Die Zukunft holt das Gegenwärtige ein.
So gewiss - und das ist der Kern und Stern der Evangelien – Jesus nicht bei den Toten zu suchen, sondern auferstanden ist und lebt. Es ist in den Teig der alten Welt schon der Sauerteig des Reiches Gottes gemischt und arbeitet in ihm.
Wir sehen das nicht direkt. Wie wir auch den Christus nicht sehen. Aber achten wir auf solche Zeichen in unsrer Welt, in der so viel schlimm ist:
Da öffnet ein neuer Papst seine Arme für die Armen.
Da melden sich viele in unserem Land – Junge und Alte – um Flüchtlingen zu helfen, die jetzt zu uns kommen.
Da engagieren Menschen hierzulande sich mit hohem persönlichen Einsatz, damit in Nepal und Indien Kinder und junge Frauen durch einheimische Organisationen und Projekte vor dem wachsenden Menschenhandel und aus der Zwangsprostitution gerettet werden und danach eigenständig leben können.
Da besucht eine selbst schon ältere Frau seit vielen Jahren Kranke in ihrer Umgebung wie ein guter Engel.
Sind das und anderes mehr nicht hoffnungsvolle Zeichen?
Ich möchte dazu aufrufen, solche Zeichen wahrzunehmen! Und von ihnen zu berichten. Die Horrornachrichten sind weiß Gott nicht alles, was aus unsrer Welt zu erzählen ist. Solche Zeichen machen Mut. Und sie wollen uns selbst aktiv beteiligen. Wir können die Augen und Ohren aufmachen, um zu merken, wo wir gebraucht werden.
So vieles scheint uns die Hoffnung zu rauben.
Israelische Schriftsteller (David Grossmann[2], Etgar Keret[3]) haben jüngst im Blick auf die fehlenden Friedenschancen in ihrem Land vor der Verzweiflung gewarnt als vor einer Macht, die alle Initiative lähmt und in die Passivität führt. „Fänden wir uns mit der Verzweiflung ab, gestünden wir im Grunde ein, dass wir besiegt worden sind“ (Grossmann). Diese Israelis reden der Hoffnung das Wort. Sie tun es für ihre Landsleute. Aber wir dürfen und sollen es auch für uns und für unsre Welt hören. Für uns und unsere Rückzüge in die Resignation und in die Gleichgültigkeit und in die Verzweiflung über die Weltlage.
Als Ruf zur Hoffnung möchte ich die Antwort Jesu verstehen. Hört und seht, was geschieht und berichtet dem Johannes!
5.
„Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“ – lässt Jesus zuletzt dem Johannes ausrichten.
Ja, man kann sich an Jesu Antwort stoßen. Weil Jesus sich uns direkt nicht ausweist. Er mutet uns zu, uns auf das einzulassen, was er getan und gepredigt hat und auch heute tut. Und was doch nur Zeichen ist für die, die Augen haben zu sehen und Ohren zu hören. Aber mit dieser Zumutung macht er uns Mut.
…oder sollen wir auf einen andern warten – hatte Johannes gefragt. Nein, das sollen wir nicht. Aber auf denselben, der in seinen Worten und Taten gekommen ist, auf den sollen wir warten. Mit den Juden und wie die Juden auf den Messias warten.
Und sollen uns in dieser Wartezeit nicht zufrieden geben mit der alten Welt, so wie sie ist. Sondern sollen Heils—und Lebenszeichen gegen die alte Todeswelt aufspüren und selber dagegen setzen. Keiner von uns kann die Welt retten – habe ich gerade in einer Predigt gehört[4]. Aber wir alle können unser Leben ändern, jedenfalls dies und das in unserm Leben. Auf dass wir hilfreich werden.
Uns bleiben Fragen an Jesus. Und es bleiben Fragen offen.
Der Kommende wird, wenn er kommt, seine Identität aufdecken. Über all unsre christlichen und jüdischen Voreingenommenheiten und Feststellungen hinaus. Da werden wir aus dem Staunen nicht herauskommen. Und er kommt gewiss nicht mit leeren Händen, sondern als das ganze Heil für die ganze Welt. Darauf lasst uns mit unsern jüdischen Geschwistern warten – leben im Advent! Amen.
[1] Sören Kierkegaard, Einübung ins Christentum (1848), zit. Von Gerhard Bauer in: hören und fragen. Eine Predigthilfe, hg. v. Arnold Falkenroth und Heinz Joachim Held, Bd. 1, Neukirchen 1978, 15.
[2] David Grossmann, Israels Politik: Unsere Verzweiflung ist unser Untergang, in:F.A.Z. 9.7.2014.
[3] Nahost-Konflikt. Ein Briefwechsel der israelischen Schriftsteller Etgar Keret und Sayed Kashua, in: DIE ZEIT vom 27.11.2014, 56f.
[4] Gottesdienst im ZDF am 7.12.2014.
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Nur nicht ärgern! - Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Wolfgang Gerts
Nur nicht ärgern!
Liebe Gemeinde,
Wir feiern den 3. Advent. Die Vorfreude auf ein festliches Ereignis wird größer. Wir erwarten das Kommen des Sohnes Gottes. Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! (Mt 21,9) Mit Jubelrufen und Gesängen wird der Retter erwartet. Das findet zwar in der Passionszeit statt, bevor sie alle „Kreuzige“ schreien, aber weil es inhaltlich um Erwartung des Ankommenden geht, gehört dies sachlich zum Advent. Die Adventszeit ist immer auch eine Zeit des Singens und der Lieder. Die Adventslieder legen es uns in die singenden Münder: Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt - aber:
Er kommt als ein Ärgernis! Der Predigttext moduliert das fröhliche Singen und die gute Stimmung: Aus Dur wird scheinbar Moll. Das Kommen des Sohnes Gottes als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerständigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Predigttext. Eine seltsame Seligpreisung.
Ärgernis, Anstoß und Skandal - so viel Marktschreierei scheint zur redlichen Bibel und zur lichterfrohen Adventszeit gar nicht zu passen. Schließlich bereiten sich viele Kinder, Männer und Frauen auf das Fest der Liebe vor. Ärgernis, Anstoß und Skandal - all das scheint doch in plakativen Boulevardzeitungen oder in pikanten Talkshows besser aufgehoben zu sein. Ein Bundesminister hat in die eigene Tasche gewirtschaftet, und Geschenke bleiben an ihm kleben. Ein beliebter Sportler wird kriminell und muss für immer aus dem Verkehr gezogen werden. Ein Gerichtsmitarbeiter handelt mit Doktortiteln - das sind Skandale, und darüber muss gesendet werden!
Die ungezählten Talkshows im Welt umspannenden Fernsehen haben prominente Sendeplätze und finden ein Millionenpublikum. Eine Sache der Talkshows
König unter den Talkmastern war in den Vereinigten Staaten Larry King. Der meinte, es wären zwei Persönlichkeiten, die er trotz der tausenden von Interviews ungemein gern befragen würde: Zum einen Abraham Lincoln, den amerikanischen Präsidenten zur Zeit der Sklavenbefreiung; und zum anderen - Jesus Christus!
Jesus Christus im Interview! Bei dieser durchaus amerikanisch durchtränkten Vorstellung muss ich erst einmal durchatmen. Unverfroren. Es ärgert mich, dass Jesus Christus wie irgendein Prominenter vorgeführt und befragt werden soll. Aber riskieren wir ein Interview mit Jesus Christus!
Es ist erstaunlich: So völlig aus der Luft gegriffen scheint die Idee des Medienmanns gar nicht zu sein. Denn der Predigttext selbst ist wie eine Art Interview aufgebaut: Auf die Frage Johannes' des Täufers gibt Jesus von Nazareth eine Antwort. Johannes der Täufer ist gleichsam der erste Interviewer in der christlichen Geschichte. Über seine Jünger lässt er Jesus fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
Johannes der Täufer lässt deshalb über seine Jünger fragen, weil er selbst eingekerkert im Gefängnis sitzt. Er hat mit seiner Predigt der Buße Anstoß und Ärgernis bei König Herodes erregt. In der Todeszelle hört er von den Werken Christi. Er hört von der Heilung zweier Blinder (Mt 9,27-31), eines Gelähmten (Mt 9,2-8), eines Aussätzigen (Mt 8,1-4), eines Tauben (Mt 9,32-34); zu guter Letzt hört er von der Totenauferweckung eines Mädchens (Mt 9,18-26). Durch alle Ritzen des Gefängnisses dringt die Kunde von einem Retter und Visionär.
Wenn ein Linker ein Amt als Regierungschef antritt, dann werden ihm auf allen Sendern und Kanälen kritische Fragen gestellt: Wer bist du? Was ist dein Programm? Was lässt sich von dir erwarten? Ein Antrittsinterview jagt das nächste. Wenn wir auf unseren Predigttext blicken, dann hat scheinbar Johannes der Täufer diese Tradition des Antrittsinterviews begründet. Er führt gewissermaßen das exklusive Christus-Interview im Advent: Bist du es, der da kommen soll?
Die Frage im Interview Verharren wir ein wenig bei den Fragen im Christus-Interview. Welche Fragen würden wir heute im Advent stellen, wenn wir dazu wie Johannes der Täufer die Gelegenheit hätten? Was wäre deine Frage?
Locker und aufgeräumt könnte solch ein Christus-Interview verlaufen - unter der Schlagzeile: Der Autor sprach noch vor seiner Ankunft mit dem Sohn Gottes! Aber an den Fragen merken wir, dass sich Jesus Christus nicht einfach am grünen Tisch interviewen lässt. Denn am grünen Tisch im Studio lassen sich Politiker und Prominente, Stars und Sternchen befragen - mit interessanten und weniger interessanten Fragen. Aber Christus lässt sich in diesen Fragen weder ergreifen noch begreifen.
Im Matthäusevangelium wird betont, dass Johannes der Täufer aus dem Gefängnis heraus seine Frage stellt. Wenn man im Dunkel sitzt, wenn es um das Ganze geht, wenn das Leben auf dem Spiel steht, dann kommt man wohl eher zu Fragen, die Christus entsprechen. Das ist das Ärgernis, dass sich Christus nicht einfach an jedem Ort befragen lässt. Erst im Dunkel des Kerkers, auf Messers Schneide, im bitteren Jammertal - dort wird man ermessen, was Christus bedeutet und welches Licht er in die Welt bringt. Das ist das Ärgernis, dass man die eigenen Tränen und das eigene Blut schmecken muss, um Christus zu begegnen. Doch selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.
Die Antwort im Interview Auf eine jede Frage in einem Interview wird eine Antwort erwartet. Als die Jünger des Täufers dessen Frage überbracht haben, antwortet Jesus und spricht: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.
Die Antwort Jesu lässt sich nicht einfach am grünen Tisch eines Interview-Studios verstehen. Wir hören kein direktes Ja oder Nein. Wir bekommen keine Antwort, die man bloß abnicken bräuchte, um zur nächsten Frage zu kommen. Das ist ein Ärgernis, dass man Christus allein dann begreift, wenn man selbst zum Ohren- und Augenzeugen seines Wirkens wird. Sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht, antwortet Jesus. Das ist ein Ärgernis, dass man sich selbst mit hineingeben muss in das Christusgeschehen. Hier gibt es keine Zuschauerplätze, auf denen man bequem gepolstert einem religiösem Schauspiel beiwohnen kann. Der, der da kommt in dem Namen des Herrn, der fordert unser Herz, unsere Entscheidung, unsere Traurigkeit und unsere Freude heraus.
Das persönliche Durchleben des Christusgeschehens lässt sich mit dem Singen von Liedern vergleichen. In der Adventszeit wird gern und häufig gesungen. Wer singt, kann das nicht aus einer Zuschauerhaltung heraus tun. Singen ist immer auch ein persönliches Geschehen und Ergehen. Es braucht die eigene Stimme, die eigene Körperhaltung, das eigene Hinein fühlen in den Text und in die Klänge, Harmonien finden. Hier kann man gegen die alten Gewohnheiten aber einen neuen Klang entdecken.
Mit dem Einbruch des Neuen und Ungewohnten stehen wir vor dem letzten Ärgernis, das der Predigttext am 3. Advent auslöst. Denn der erwartete Retter bürstet unsere Erfahrungen gegen den Strich: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt. Es geschieht eine Umkehrung und Umwertung aller Dinge. Nichts bleibt beim Alten. Wer die auf allen Nachrichtenkanälen verbreitete Eurofinanzkrise verfolgt, hat erfahren, wovon ich spreche: Aktien sind auf einmal nichts mehr wert; sicher geglaubte Bankeinlagen bereiten Angst und Sorge; Finanzexperten sind mit ihrem Latein am Ende. Zinsen gibt es nicht mehr, man muss die Banken bezahlen, wenn sie unser Geld nehmen. Das ist das Ärgernis: Nichts bleibt wie es ist, und alles wird anders.
Wenn der kommt, der da kommen soll, dann erkennt man die Blinden und Lahmen nicht wieder, die Geistreichen und die Geistlosen, die Aussätzigen und die Tauben, die Erfolgreichen und die Erfolglosen, die Armen und die Reichen, die Hohen und die Tiefen, die Gottlosen und die Frommen. Das ist das Ärgernis, dass der Advent Gottes so ganz anders sein wird, als man sich ihn vorstellt und ausmalt. Am Ende geschieht der Advent Gottes dort, wo man ihn zuallerletzt erwarten würde: Bei den Schmutzigen und Verpennten, bei den Taugenichtsen und Gelegenheitsarbeitern, bei den Schulabbrechern und Verpeilten. Der Advent Gottes macht aus Verlierern Gewinner und aus Traurigen Fröhliche. Das wird ein Singen und Jubeln sein! Das wird ein Heulen und Zähneklappern sein! Der, der da kommt, kommt als Anstoß und Ärgernis für die Sicheren und Selbstsicheren. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.
Das heilsame, fruchtbare Ärgernis. Blicken wir auf unseren Predigttext zurück. Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt - aber: Er kommt als ein Ärgernis! Das Kommen Jesu als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerspenstigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte.
Manchmal gibt es das: Ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. An heilsamen, fruchtbaren Ärgernissen kann man wachsen und reifen - so wie man beim Singen an queren Tönen und reibenden Harmonien einen neuen Klanghorizont entdecken kann. Jetzt bricht durch alte Gewohnheit ein neuer Lebensgeschmack. Jetzt bricht mitten im alltäglichen Durchschnitt ein großer Advent auf. Ich denke an Christen in aller Welt, die im Kampf des Alltags bestehen.
In Indien leben Christen in der Minderheit. Zumeist gehören sie den unteren Gesellschaftsschichten an. Das hinduistisch geprägte Kastenwesen erschwert den gesellschaftlichen Kontakt und den sozialen Aufstieg. Doch Christen und Christinnen entdecken ihre Gottesebenbildlichkeit und ihre Menschenwürde. Selbstbewusst geworden, treiben sie Geschäfte und schließen Verträge - und das auch quer zum traditionellen Kastenwesen. Das ist das Ärgernis, das Christen in Indien auslösen: Niedrige erheben sich aus der Tiefe und Hohe werden von ihrem Gesellschaftsthron gestürzt.
In Brasilien wehren sich Kleinbauern und Landlose gegen das Großkapital und gegen Großgrundbesitzer. Man kämpft für eine alternative Agrarreform und für die Entwicklung von Kleinbetrieben. Und man kämpft gegen die Vertreibung vom Land und vom angestammten Lebensraum Kleinbauern, Landarbeiter, Indianer und Landlose strömen herbei und streiten für ihr Recht. Und sie rufen: „Das Land gehört dem Schöpfer-Gott und die Konzentration in den Händen weniger stimmt nicht mit Gottes Willen überein. Wie im Zeugnis der Bibel ergreift Gott Partei für die Kleinen, identifiziert sich mit ihnen und ist in ihren Geschichten und Kämpfen präsent. Niedrige erheben sich aus der Tiefe und Hohe werden von ihrem Gesellschaftsthron gestürzt. Nicht weniger und nicht weniger aktuell verkündet
Gottes Advent ist ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. Gottes Advent ist ein Anstoß. Nichts bleibt beim Alten. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Matthäusevangelium.
Amen
Liedvorschlag: O Heiland, reiß die Himmel auf, EG 7
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Ist das das Leben, das kommen soll – oder sollen wir auf ein anderes warten? Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Sven Evers
Ist das das Leben, das kommen soll – oder sollen wir auf ein anderes warten?
Worauf wartest Du?
Ich warte auf Godot... genau wie gestern.
Er wird heute nicht kommen.
Aber er wird morgen kommen...
Wer das Stück von Samuel Becket gelesen hat, weiß: Godot kommt nicht. Gestern nicht. Heute nicht. Morgen nicht. Bis zum Ende des Stückes nicht. Vladimir und Etragon, die beiden Wartenden – sie gehen einfach davon, bevor der Vorhang fällt, ohne daß Godot gekommen war.
Ich warte schon so lange,
auf den einen Moment.
Ich bin auf der Suche,
nach 100 %.
Wann ist es endlich richtig,
wann macht es einen Sinn?!
Ich werde es erst wissen,
wenn ich angekommen bin.
Ich will sagen:
So soll es sein,
so kann es bleiben.
So habe ich es mir gewünscht.
Alles passt perfekt zusammen,
weil endlich alles stimmt
und mein Herz gefangen nimmt. (Ich und Ich, So soll es bleiben)
Dann steht es da: Das Leben. Ich muß es nur ergreifen. Traue ich mich?
Ich warte. Aber: worauf eigentlich? Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier – und dann? Ich habe das Christkind noch nie vor meiner Tür stehen sehen. Mein Warten darauf, daß irgendwann einmal irgendwas passiert, hat sich noch nie erfüllt. Wird das Leben ein anderes werden nach dem vierten Advent? Wird wieder alles heil werden? Werden die Probleme ein Ende haben? Advent – Ankunft. Wessen Ankunft?
Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Die Frage brennt in Johannes, seit er Jesus das erste Mal begegnet ist. Mit unsicherem Schritt und doch voller Gottesbewußtsein war Jesus zu ihm an den Jordan gekommen. Er, der seinem Leben Sinn geben sollte. Er, für den Wegbereiter zu sein das war, was sein Leben ausgemacht hatte und noch immer ausmacht. Johannes erinnert sich an diese erste Begegnung, als wäre es gestern gewesen. Jesus hatte sich von ihm taufen lassen wollen. Von ihm, der er doch, wenn überhaupt, nur ein kleiner Zeigefinger sein könnte für den Gottessohn, den Gesalbten, den Heilmacher und Friedensbringer.
Also hatte Johannes ihn getauft. Und dann der offene Himmel, die Bestätigung: Ja, er ist es. Dies ist mein lieber Sohn, auf den sollt ihr hören!
Doch dann war es so ganz anders gekommen. Was für eine Botschaft, die dieser Jesus predigt! Und nicht nur predigt! Nicht nur mit Worten, nein: sein ganzes Leben eine einzige Hinwendung zu denen, über die Johannes in seiner Predigt das Gericht gesprochen hatte. Der Nachfolger, der Gottessohn, er sollte „seine Tenne fegen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; aber die Spreu“ sollte er „verbrennen mit ausauslöschlichem Feuer“ (Mt 3, 12) – und dann so etwas!
Mit Zöllnern und Sündern, mit Aussätzigen und Prostituierten setzt er sich an einen Tisch. Er predigt von dem Balken im eigenen Auge, der den Blick für den Nächsten verstellt; von Vergebung für Feinde und das Segensgebet über die, die mir Böses wollen. Er heilt Menschen von langer Krankheit und reißt Grenzen ein, die für Johannes unumstößlich schienen. Er beherrscht Wellen und Wind. Er spricht nicht das Gericht, sondern zieht sich – mit Tränen der Liebe in den Augen – zurück, wo er nicht willkommen ist.
Unsicher, zweifelnd, fragend sitzt Johannes im Gefängnis. Läßt sein Leben an sich vorüberziehen. Die Zeit in der Wüste. Die Zeit der Buße, des Fastens, der Entsagung, der Anfechtung. Den Augenblick, als er den Himmel offen sah über dem Zimmermann aus Nazareth.
Er hält es nicht mehr aus. Er muss Gewißheit haben, ob er der ist, den er erwartete – erwartet, erhofft, ersehnt. Sein ganzes Leben eine einzige Erwartung dieses einen Gottessohnes, der die Welt richten würde. Zurecht bringen. Der Sünde, dem Leid, der Ungerechtigkeit ein Ende machen. Aber ist es dieser Jesus? Ist es dieser Mensch, der so gar nicht tut, was Johannes erwartet hatte?
Wer sollte ihm seine Fragen beantworten können, wenn nicht Jesus selber.
So schickt er seine Jünger zu Jesus und läßt ihn fragen. Er will, nein: er MUSS einfach Gewißheit haben!
Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt;
Ihr erwartet eine Erklärung? Eine metaphysische Legitimation dessen, was ich tue? Ihr wollt einen Garantieschein darüber, daß ich Euch zeige, wie Gott es mit der Welt und mit Euch Menschen meint?
Sagt Johannes, was Ihr seht!
Ich komme nicht als der große Richter, der den Bäumen die Axt an die Wurzel legt. Ich komme nicht mit Drohungen. Drohungen machen Angst. Sie verändern gar nichts.
Ich öffne den Blinden die Augen, und denen, die meinen, sie hätten schon alles gesehen.
Ich öffne den Tauben die Ohren, und denen, die meinen, sie hätten schon alles gehört.
Ich mache die Aussätzigen rein und jene, die meinen, sie hätten eine weiße Weste.
Ich mache die Lahmen gehend, und jene, die meinen, sie kennten schon alle Wege.
Ich wecke die Toten zum Leben auf und jene, die meinen, sie hätten schon alles erlebt.
Ich predige den Armen die gute Botschaft Gottes – und jenen, die meinen, sie besäßen schon alles.
Wollt Ihr noch mehr? Was wollt Ihr noch mehr?
Sagt Johannes, was Ihr hört und seht. Und ach ja, sagt ihm dann doch bitte auch noch dieses: selig, glücklich zu nennen und reich ist, wer sich nicht an mir ärgert...
Bist Du der, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
Wer weiß, vielleicht auch die Frage dessen, der zweifelnd Kerze um Kerze auf seinem Adventskranz anzündet und es doch nur aus Gewohnheit tut, weil er eigentlich gar nichts erwartet. Heil und Leben und Sinn und Fülle schon gar nicht.
Vielleicht die Frage der Konfirmandin, die selber nicht weiß, warum sie sich diese uncoole Veranstaltung jeden Dienstag antut, und die weder mit Gott etwas anfangen kann noch damit, dass sie angeblich sein Kind sein soll.
Vielleicht die Frage des erfolgreichen Mannes, der lieber den Ellenbogen und den Kontoauszügen vertraut als einer Liebe, die selbst den Feinden Vergebung verheißt, und der nur erwartet, was sich am Ende des Monats in Euro und Cent ausdrücken lässt.
Vielleicht aber auch die Frage der alten Frau, die jahrelang den Kirchenkaffee gekocht hat und so viele Entbehrungen in ihrem Leben ertragen musste. War es das wert? fragt sie sich vielleicht. Hätte ich nicht an der ein oder anderen Stelle egoistischer sein sollen, anstatt immer nur auf die anderen zu schauen? - Was sie erwartet? Ein bißchen Anerkennung vielleicht endlich einmal von den anderen, die alles für selbstverständlich halten. Aber ach, eigentlich – eigentlich erwartet sie gar nichts mehr...
Diese Kirche? Diese Botschaft? Dieser Jesus? Ist das das, was kommen soll? Ist er der, der kommen soll – oder müssen wir das Leben anderswo und von etwas anderem oder jemand anders erwarten?
All denen, die fragen, sagt, was ihr seht und hört:
Da ist die Botschaft von einer Liebe, die Ja zu mir sagt trotz aller Neins, die andere oder auch Du selber über Dich sprechen magst.
Da ist die Botschaft von einer Vergebung selbst der größten Fehler und Verfehlungen, an denen Du zu zerbrechen drohst und das Geschenk des Neuanfangs, wenn Du meinst, dass es keinen Ausweg gibt.
Da ist die Botschaft von einem Frieden zwischen Menschen, der möglich ist, nicht weil, sondern obwohl der Mensch so ist, wie er nun einmal ist.
Da ist die Botschaft von einer Aufertehung aus dem Tod und einem neuen Leben, das unseren Tod überwindet, die Menschen seit 2000 Jahren Trost und Hoffnung zu schenken in der Lage war und ist.
Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Ist es diese Botschaft von diesem Jesus und von diesem Gott? Oder sollen wir das Leben anderswo erwarten?
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt;
Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Amen.
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Der sanftmütige König - Predigt zu Matthäus 21,1-11 von Ulrich Pohl
Der sanftmütige König
Die Eselin. Eine Verheißung, die sich erfüllt. Der Profet Sacharja. Palmzweige und Kleider. Der Sohn Davids. Hosianna. Diese Worte entführen mich unweigerlich in die Adventszeit. Und sie entführen mich zugleich an den Ort des Geschehens. Ich sehe die nur dürftig bewachsenen Berge, gehe die gepflasterte Straße entlang, die in die uralte Stadt hineinführt, stehe schließlich in einem der Stadttore, die aus riesigen Quadern gemauert sind. Jerusalem, Bethfage, der Ölberg, sie haben für mich einen feierlichen Klang. Es sind die Orte, an denen der Ursprung meines Glaubens liegt.
Es sind die Orte, an denen die neue Zeit ihren Anfang nahm, in die wir Jahr für Jahr aufbrechen. Es ist die Zeit aus Plätzchenduft und Kerzenlicht, aber auch aus Stille und Vorfreude. Die Zeit, die die besten Kräfte in mir zum Leben erweckt. Die Zeit der liebevoll gepackten Geschenke, der sorgsam gehüteten Verstecke. Zeit, die davon singt und klingt und vorliest und daran erinnert, dass die Dinge, die ich mir wirklich wünsche, nur geschenkt bekommen kann. Dass es vieles gibt, was ich mir nicht selbst, aber was ich anderen geben kann. Zeit, in der etwas auf mich zukommt und in der jemand auf mich zukommt. Der, an dem mein Leben hängt. Er, der damals in die Stadt Jerusalem eingezogen ist. Unter den Blicken der Neugierigen und den Hosianna-Rufen der Pilger.
Sanftmütig. Das ist das Wort, das mich von Anfang an am meisten angerührt hat. Als Kind klang es für mich schön und geheimnisvoll zugleich. Noch schöner hörte es sich in seiner gesungenen Fassung an: „Sanftmütigkeit ist sein Gefährt‘“. Später, als Erwachsener, habe ich begriffen, dass in diesem Wort „sanftmütig“ alles angelegt ist, was kommt: Das Kind in der Krippe. Der Gottessohn, der die Menschen liebt. Der am Kreuz stirbt und aufersteht. Sanftmütig. Zählt man die Wörter unseres Bibelabschnittes – ob in der Ursprache oder in der Lutherfassung – steht dieses Wort praktisch genau in der Mitte.
Ein König, der sanftmütig kommt...
Können wir den brauchen?
Wird der sich durchsetzen können?
Kann der die Probleme meistern? Kann der den Despoten und Warlords, den Bandenchefs und Diktatoren Paroli bieten? Braucht es damals wie heute nicht einen, der Macht hat? Der die Kampfhähne in der Ukraine von einander trennt. Der ISIS stoppt. Der den Hedgefondsmanagern das Handwerk legt. Den Steuerbetrügern auf die Schliche kommt. Den Menschenhändlern den Nährboden entzieht. Tritt da einer sanftmütig auf - wird er doch ausgelacht! Wer sich dem großen Geld und seinen Handlangern in Politik und Rechtsprechung in den Weg stellt, der wird zur Not aus dem Verkehr gezogen. Mitunter sind sie schlimmer, als die römischen Besatzer damals. Mit einem Mausklick lassen sie Geldströme rund um den Globus fließen, können Landschaften vernichten und ganze Staaten zu Fall bringen. Ein sanftmütiger König, was richtet der aus? Wie kommt es, dass man ihn in den Stadttoren Jerusalems so sehnsüchtig erwartete?
Die Menschen damals hatten ihre Erfahrungen gemacht. Erfahrungen mit der Besatzungsmacht und Erfahrungen selbsternannten Anführern. Sie hatten durch die Jahrhunderte hindurch die Erfahrung gemacht, dass ein Aufstand, wenn er günstig verlief, zwar in die Freiheit führen mochte. Doch diese war nicht von Dauer. Binnen kurzem etablierte sich eine neue Führungsschicht. Und so hehr ihre Ziele auch anfangs gewesen sein mochten: Schon bald begannen die ersten, ihre eigenen Interessen in den Blick zu nehmen, Pöstchen in der Familie zu vergeben, es mit dem Recht nicht gar so genau zu nehmen. Dann kamen die Wendigen, die sich mit den neuen Herrschern ohne Skrupel arrangieren konnten. Längst gab es wieder die vom Volk so verhasste Palastwache, die Spitzel kamen wieder, die Privatarmeen. Es folgten die findigen Advokaten, die Gesetze passend zu machen verstehen. Die Großgrundbesitzer und Sklavenhalter, die die Arbeit verknappen konnten, die Löhne, die Nahrungsmittel. Bis schließlich der Verdienst eines Mannes nicht mehr zum Leben reichte. Dann war es Zeit, dass sich neuer Widerstand formierte, neue Aufrührer, neue Anführer… Die Leute in den Stadttoren Jerusalems kannten das. Sie sehnten sich danach, dass endlich einer kam, der die Spirale aus Unterdrückung Gewalt bleibend durchbrechen konnte. Wie es der Prophet Jeremia verheißen hatte, wir haben es eben in der alttestamentlichen Lesung gehört: Ein gerechter Sproß aus dem Hause Davids, der wohl regieren sollte, das Volk Israel in seinem Land sicher wohnen lassen würde, Recht und Gerechtigkeit aufrichten und dessen Macht eben nicht auf Soldaten und Schwertern, nicht auf geschicktes Taktieren und listige Manöver, sondern allein auf das Wort gegründet war, auf die Überzeugungskraft dessen, was er sagte und tat.
Der da unter dem Jubel der Menge in die Stadt einritt, dem eilte der Ruf voraus. Er könnte ein König sein, der für Gerechtigkeit sorgt, ohne dass man sich vor ihm fürchten muss. Der hatte die Spitzel der Machthaber mit Aufrichtigkeit entwaffnet. Hatte Egoisten durch Zuwendung geheilt. Hatte die Erbarmungslosen mit seiner Wehrlosigkeit barmherzig gemacht, hatte die Skeptiker mit seinen Taten überzeugt, hatte die Kaputten zurück ins Leben gebracht, die Lahmen gehen und die Blinden sehend gemacht. So einem waren die Menschen damals gerne bereit zu folgen. Denn in seiner Gegenwart fühlten sie sich selbst heil. Seine Gegenwart rief auch in ihnen die besten Kräfte wach.
Die ihn bejubelten beim Einzug in Jerusalem, haben ihn, auf dem ihre Hoffnungen ruhten hatten, am Ende am Kreuz sterben sehen. Viele konnten nicht anders, als ihren Blick abwenden. Enttäuscht und ernüchtert. Doch dann begannen die ersten daran zu glauben, dass er am dritten Tag auferstanden sei. Sahen ihn in den Himmel auffahren. Und verbreiteten die Hoffnung, dass er dort zur rechten des himmlischen Vaters sitzen und einstmals wiederkommen würde.
Diese Hoffnung hat sich unter uns gehalten bis auf den heutigen Tag. Er wird wiederkommen!
Das Warten darauf und die Hoffnung hat die Christenheit durch ihre Geschichte hindurch kultiviert. Christen sind Menschen in Erwartung. Und diese Erwartung hat ihre besondere Jahreszeit: Den Advent, der übersetzt schlicht heißt: Er kommt.
Warten und hoffen heißt: Die Gegenwart von der Hoffnung her so zu gestalten, dass sie dem, worauf wir hoffen, entspricht. Ich sehe die offenen Tore der Stadt Jerusalem. Und ich mache mich bereit, meine Türen denen zu öffnen, die bei uns stranden. Denen, die in ihrer Heimat verfolgt, unterdrückt oder vertrieben werden, stehen meine Türen offen. Ich mache mich bereit dazu, zu teilen, was ich habe. Mich auf weniger einzustellen. Ich möchte leben, als wäre er selbst es, der da zu mir kommt, er, auf den wir seit zweitausend Jahren warten.
Ich sehe den sanftmütigen König in seine Stadt einziehen. Und entschließe mich, daran mit zu arbeiten, dass in unser Gemeinwesen der Geist der Gewaltlosigkeit einzieht, der Vorrang des guten Arguments. Dazu gehört auch, dass ich denen eine unmissverständliche Absage erteile, die die Verrohung in unserer Gesellschaft vorantreiben. Ganz gleich ob sie dies unter dem Deckmäntelchen ihrer Religion tun. Oder unter dem Deckmäntelchen eines wie immer auch verstandenen nationalen Bewusstseins. Gewalt hat in der Gesellschaft des sanftmütigen Königs Jesus Christus keinen Platz. Diese Absage gilt auch denen, die diese Gesellschaft auf scheinbar ganz legale Weise aushöhlen, durch Steuersparmodelle, Profitgier und klug eingefädelten Betrug.
Ich möchte mich einsetzen. Ich möchte teilen. Ich möchte Position beziehen. Und ich möchte zur Ruhe finden. Ich möchte die Türe meines Herzens öffnen. So wie es in der fünften Strophe des ersten Liedes unseres Gesangbuches steht: Oh komm mein Heiland Jesu Christ, mein‘s Herzens Tür dir offen ist … Ich möchte, dass er bei mir ankommt. Ich möchte bei mir selbst ankommen. Möchte ankommen bei denen, mit denen ich zusammenlebe. Möchte etwas fühlen von dem, was mich beschäftigt - und von dem was sie beschäftigt. Ich möchte wieder neu Zugang zu ihnen bekommen. Ich versuche still zu werden und die Stille auszuhalten. Eine Stunde am Sonntagnachmittag, eine Kerze, Stille und nichts sonst.
Ob er in diesem Jahr wiederkommt, er, auf den die Christenheit seit nunmehr 2000 Jahren wartet? Wiederkommt in Sanftmut und diesmal doch in göttlicher Macht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Ich möchte so leben als ob. Der Advent ist die Zeit, die mir dazu Zeit gibt.
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Verheißung und Erwartung - Predigt zu Matthäus 21,1–9 von Gunda Schneider-Flume
Verheißung und Erwartung
Siehe, dein König kommt zu dir. Diese alte prophetische Verheißung zitiert der Predigttext für den heutigen ersten Adventssonntag. Siehe, dein König kommt zu dir.
Liebe Gemeinde, wenn hohe Herren erwartet werden, ist eine ganze Stadt mit Vorbereitungen beschäftigt, und wenn der angekündigte Besuch schließlich kommt, ist Jubel angesagt, denn von dem, der kommt, wird viel erwartet. Er wird wohl Macht haben. Er kann Neues in Bewegung bringen zum Guten hin. Viele Erwartungen richten sich auf ihn. Menschen säumen die Straßen, vielleicht haben die Kinder schulfrei. Bunte Fähnchen werden geschwenkt. Welche Hoffnung, welche Erwartung ist mit diesem Besuch verbunden. Es ist, als ob die Zeit anhält. Alles kann anders werden.
Wie war es damals vor 25 Jahren in Prag? Tausende Menschen dicht gedrängt im Garten der deutschen Botschaft und auf den Treppen des Botschaftsgebäudes. Dann plötzlich Stille, der hohe Gast trat auf den Balkon und kündigte an, was man im losbrechenden Jubel gar nicht mehr verstehen konnte: „Freiheit, Sie können ausreisen.“ Was für eine Verheißung! Alles würde sich ändern. Was man erwartet und erhofft hatte, war eingetreten. Es würde sich alles ändern und die Menschen selbst auch. Man wusste noch nicht genau wie, aber man vertraute darauf, irgendwie würde die Erwartung sich erfüllen.
Gewiss, man kannte auch andere Besuche von hohen Herren. Plötzlich waren die Straßen abgesperrt, man wusste nicht warum. Schließlich fuhren mehrere dunkel verglaste Staatskarossen vorbei. Niemand wusste, in welchem Wagen der hohe Gast saß. Es sollte wohl niemand wissen, wer kommt. Man war es leid, noch jemanden zu erwarten, was sollte er noch bringen, zu oft, war die Erwartung enttäuscht worden.
Haben wir denn noch etwas zu erwarten? Diese Frage kann sich lähmend ausbreiten. Es ist doch immer dasselbe, immer wieder Enttäuschung, weder die weltpolitische noch die wirtschaftliche Situation geben Anlass zu großen Erwartungen. Krieg überall auf der Welt. Millionen von Menschen auf der Flucht. Was haben sie zu erwarten? Ich habe nichts mehr zu erwarten für mich und mein Leben, so stöhnen viele. Haben sie nicht Recht? Da, wo früher einmal Erwartung war, ist jetzt ein dunkles Loch. Schon Kinder haben nichts mehr zu erwarten. Krieg und Flucht und notdürftiges Lagerleben nehmen ihnen Freude und Erwartung für einen jeden Tag, Jahre lang.
Resignation und Müdigkeit, Erwartungsmüdigkeit und viel Erschöpfung breiten sich auch bei uns gerade in der Vorweihnachtszeit oft aus. Was sollen wir noch erwarten? Die Welt ändert sich nicht mehr. Und was können wir ändern? So vieles muss noch geschafft werden bis zum Ende des Jahres. Man muss sich sorgen, dass man alle Termine bewältigt. Der Zeitdruck nimmt die Kraft, Neues zu erwarten.
Dennoch ist unsere Stadt festlich geschmückt. Überall auf den Straßen leuchten Lichter im Tannengrün, glitzernde Kugeln und Kerzen. Posaunen spielen vertraute Weihnachtslieder. Das alte Kinderkarussell, das zu später Stunde auch ohne Fahrgäste noch fährt, erinnert an Kindertage. Es macht Freude, abends durch die geschmückte Stadt zu gehen. Vorschein eines Festes. Glanz gegen Erwartungsmüdigkeit. Gerne lässt man sich eine Weile von fröhlicher Feststimmung tragen.
Liebe Gemeinde, der Predigttext zum heutigen ersten Adventssonntag unterbricht alle Erwartungsmüdigkeit. Wie eine Fanfare tönt das Hosianna und schiebt Müdigkeit, Erschöpfung und Sorge beiseite mit der Aufforderung zum Jubel. Wer kommt?
Ich lese den Predigttext:
Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir.
Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.
Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9):
„Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“
Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,
und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.
Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Eine Ankunft wie ein Wunder. Der Herr befiehlt ganz bestimmt, er hat Macht, sein Befehl wird ausgeführt, aber dann heißt es, er komme sanftmütig. Wie ist das möglich: ein sanftmütiger Befehlshaber? Ein verblüffender Text. Advent, Ankunft, Verheißung gegen Erwartungsmüdigkeit: Ein König wird angekündigt, aber wir kennen die Geschichte vom Einzug in Jerusalem aus der Leidensgeschichte Jesu, vom Weg zum Kreuz her. Die Geschichte von Palmsonntag ist durch diesen Text geprägt. Was haben wir da zu erwarten? Wer kommt?
Vor Jahrhunderten schon wurde die Verheißung vom Propheten Sacharja ausgerufen: „Dein König kommt zu dir.“ Immer wieder haben die Propheten Israel einen Kommenden verheißen. Mit der Geburt eines Kindes haben sie erfülltes Leben angekündigt. Ein Kind, das die Lebensbedingungen und Machtverhältnisse auf Erden umkehrt. Licht in der Finsternis, Gerechtigkeit, Friede, Verheißung eines Kindes, das den Namen Immanuel, Gott mit uns, trägt. Das ist eine Verheißung gegen alle Erwartungsmüdigkeit, gegen alle Resignation. Jetzt wird alles anders. „Dein König kommt zu dir.“
Die Verheißung gilt durch den König dem Volk, zuerst dem Volk Israel, danach den Christen und allen Menschen. Es gibt kein menschliches Leben ohne Verheißung. Kein Mensch muss leben ohne das verheißene „Gott mit uns“. Die Verheißung schenkt die Kraft der Erwartung, die man braucht für einen jeden Tag. – Mit einem verheißungsvollen ermutigenden Blick entlässt eine Mutter morgens ihr Kind: Der Tag wird gelingen. Das Kind vertraut ihr und springt aufrecht seines Weges. – Du bist nicht mit dir alleine. Zwischen Verheißung und Erwartung entfaltet sich die Spannkraft eines Lebens, mit der Menschen sich ausstrecken können über sich selbst hinaus. Die Augen gehen ihnen auf und sie nehmen wahr, was entgegen kommt, all die Möglichkeiten für gutes Leben, die sich an einem Tag bieten.
Menschen können hoffen auch in aussichtsloser Lage. Harren nannte Luther das, die Kraft, nicht in der eigenen Beschränktheit und in der Enge der Situation stecken zu bleiben, sich nicht nur zu verlassen auf sich selbst, sondern mit der Kraft der Phantasie zu hoffen auf das, was begegnet, auf den, der kommt. Es gibt in jedem Leben Verheißung. Ohne Verheißung kann man nicht leben. Wenn die Spannkraft nachlässt, greift Müdigkeit um sich, Erwartungsmüdigkeit; und wenn die Spannkraft ganz fehlt, sacken Menschen in sich zusammen, an der Körperhaltung kann man das erkennen. Was haben sie dann noch zu erwarten?
Wie kann man bei den vielen, vielen jugendlichen Menschen in Afrika und Asien und weltweit die Kraft der Verheißung wecken – dein König kommt zu dir – die Verheißung, die sie in Bewegung bringt gegen Resignation und Erwartungsmüdigkeit? Man sagt, die 1,8 Milliarden jungen Menschen der Weltbevölkerung seien das Hoffnungs- und Zukunftspotential gerade für die armen Länder der Dritten Welt. Die Verheißung, die eine neue Perspektive für Ausbildung, Beruf und Zukunft vermittelt, muss weitergesagt und umgesetzt werden.
In der dunklen Jahreszeit, in den letzten Wochen des Jahres ist die Müdigkeit auch bei uns in Leipzig bei vielen Menschen besonders groß. Der Dunkelheit in der Natur draußen entspricht die Dunkelheit in den Herzen, die die Kraft der Erwartung verlöschen lässt. In der dunklen Jahreszeit, gerade in der Weihnachtszeit steigen die Suizidzahlen.
Dagegen wird der prophetische Ruf hörbar: Dein König kommt zu dir. Die Verheißung reicht hinter jede Mauer, hinter der ein Müder nicht mehr weiterkommt. Die prophetische Verheißung gilt einem jeden Gefangenen ebenso wie dem, der vom eigenen Erfolg verwöhnt ist. Sie lässt Glanz aufleuchten auch in einem Leben, von dem Menschen meinen, es sei hoffnungslos, es habe keinen Sinn. Dein König kommt zu dir. Das ist die Verheißung gegen Sinnlosigkeit, denn das „Gott mit dir“ schenkt neue Kraft und neue Perspektive: Du bist nicht nur mit dir allein. „Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken.“ Das ist die verblüffende Erwartung des Psalmbeters. Er wartet und verlässt sich auf die Zeit, bis der Verheißene kommt. Advent braucht Zeit und manchmal auch Geduld, aber die Erwartung wird erfüllt. Der König kommt, er steht für die überraschenden neuen Möglichkeiten in deinem Leben. Dein König kommt zu dir. Es ist jemand für dich und du kannst auch für jemanden sein. Jemand neben dir schafft Anteil an der Liebe, und du selbst kannst Liebe schenken, indem du für jemanden da bist. Du wirst sogar wieder danken können. Vorsichtig deutet sich Jubel an.
Es gibt kein Leben ohne Verheißung. Deshalb darf man um Gottes Verheißung willen von keinem Menschen, von keinem Kind und von keinem alten Menschen sagen: um den lohnt es sich nicht mehr. Und doch sprechen Menschen einander dieses tödliche Urteil. Eltern denken von einem Kind: ‚Um dieses Kind lohnt es nicht. So ein Kind habe ich mir nie gewünscht. Es hat keine Verheißung, aus ihm wird nichts.‘ Sie ziehen ihre Erwartung von dem eigenen Kind ab, das Kind spürt es. Andere folgen dem zerstörerischen Urteil. Wir kennen die Folgen von Vernachlässigung und Erwartungsentzug an heranwachsenden Kindern und Jugendlichen. Die Verheißung, die ihnen vorenthalten wird, ersetzen sie selbst entweder durch Resignation und Ablehnung ihrer Umwelt oder durch zerstörerischen Aktionismus und Radikalismus. Ich kann nichts erwarten, also zerstöre ich auch die Erwartungen der andern. Wer rettet Hoffnungslose davor, selbst radikal zu werden und anderen mit ihrer Verheißung ihr Leben zu zerstören?
Sanftmütig kommt der verheißene König. Das ist keine Herrschertugend. Ist es eine Macht? Von hohen Herren kennen wir, dass sie etwas verlangen und befehlen: Gehorsam, Steuern, Abgaben. Sanftmut wirkt anders. Sanftmut bittet. Sanftmut lädt anderen keine schweren Lasten auf, sondern entlastet sie. Der Sanftmütige, dessen Ankunft wir an Advent feiern, lädt ein: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ Das ist eine Einladung zu einem Ort, an dem auch Menschen, die nichts mehr erwarten, eine Bleibe finden, wo sie neue Kraft schöpfen können.
Der Kommende bittet wie das Kind in der Krippe um Menschenfreundlichkeit, ein offenes Herz, eine offene Tür, und er lädt ein zu einer Bleibe.
Wie viele Menschen gibt es, die keine Bleibe haben. Überall wo sie anklopfen, werden sie abgelehnt und an einen fremden anderen Ort verwiesen, den es nicht gibt. Keine Bleibe, in Leipzig sind Menschen ohne Bleibe und überall auf der Welt, wo Menschen illegal leben, ungewollt, oder wo sie fliehen müssen, weil sie vom Krieg vertrieben sind.
Die Bleibe, zu der der sanftmütige König einlädt, verheißt einen Ort der Ruhe und Erquickung, das ist ein Ort, an dem man gewollt ist, eine Bleibe, an der einen Wohlwollen umfängt. Eine junge Sozialarbeiterin arbeitet freiwillig in einem völlig überfüllten Flüchtlingslager in Libanon. Mit anderen zusammen bietet sie Schulunterricht, Spiel und Werkarbeit für Kinder an. Da wächst neue Spannkraft, und die Kinder können wieder neu erwarten. Anzeichen von Freude zeigen sich. Ich kannte eine Diakonieschwester, die ging an den Adventssonntagen nachmittags zu all den Patienten, die nicht mehr aufstehen konnten. Sie zündete ihnen die Adventskerze an, erst eine dann die folgenden. Nach einer halben Stunde kam sie wieder und blies die Kerzen aus, um Unheil zu vermeiden. Die kurze Zeit des Kerzenscheins hatte etwas von der Adventsverheißung erfüllt. Advent feiern wir die Ankunft eines Herrn, der auch Erwartungsmüden neue Freude bringt. Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Ein verblüffender Predigttext, liebe Gemeinde. Die Krippe ein Ort der Ruhe, von dem ein Glanz ausgeht, der Menschen das Staunen lehrt, die das Staunen schon verlernt hatten. Der Stall des göttlichen Kindes ein Ort, an dem Menschen, die das Hoffen und Erwarten verlernt hatten, neu lernen, sich nach einer Zukunft auszustrecken, die mit dem Verheißenen auf sie zukommt. Mit der Adventszeit beginnt im Kirchenjahr die große Freudenzeit; Welt und Wirklichkeit erhalten neuen Glanz, weil Gott kommt.
Wo Gott kommt bleibt nichts beim Alten. Der Verheißene bringt Glanz und Erwartung auch denen, die am Ende ihres Lebens sind. Der Weg des Verheißenen führt von der Krippe zum Kreuz. Und auch da am Ende und im tiefsten Leid, am tiefsten Punkt menschlicher Existenz ist Verheißung: Es ist nicht einfach „Schluss!“, es heißt nicht: „Das war’s.“ Nein, wo Gott kommt, ist auch das Ende eines jeden Menschen von dem liebevollen Strahlen des Kindes umfangen, das schon die finsteren Hirten verwandelte.
Amen.
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Auf einem Esel zu schwierigen Terminen reiten - Predigt zu Matthäus 21,1-9 von Christine Hubka
Auf einem Esel zu schwierigen Terminen reiten
Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus
2und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!
3Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.
4Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: 5»Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«
6Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,
7und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf.
8Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
9Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Mt 21,1-9
Jesus zieht in Jerusalem ein.
Und es ist nicht Advent und schon gar nicht Weihnachten.
Es ist Palmsonntag, so nennen wir diesen Tag am Beginn der Karwoche.
Die Geschichte von seinem triumphalen Einzug nach Jerusalem
ist auch das Evangelium für den Palmsonntag.
Was soll also diese Geschichte zu Beginn der Adventszeit?
Jesus reitet auf einem Esel.
Schon als Kind habe ich im Religionsunterricht dieses Szene gemalt.
Wie zeichnet man einen Esel?
Vier Beine, lange Ohren. Der Rest naja.
Jesus im weißen Gewand.
Friedlich, friedfertig. Niemandem etwas Böses wollend.
Allen mit Liebe und Güte begegnend.
So ungefähr habe ich das in Erinnerung.
Übrigens, und nur wegen der Genauigkeit:
Es handelt sich, so sagt Matthäus, um eine Eselin mit ihrem Füllen.
Heute interessiert mich an der Geschichte,
die Erwartung der Menschen.
Die Reaktion der Leute.
Sie leben unter der permanenten Bedrohung
durch das Terrorregime der römischen Besatzungsmacht.
Ihre Freiheit ist erheblich eingeschränkt.
Man darf sich nicht versammeln, keine Vereine gründen.
Willkürliche Übergriffe gehören zum Alltag.
Jeder römische Soldat kann jederzeit einen Mann zwingen,
ihm sein Gepäck ein Stück zu tragen.
Genau eine Meile muss der von seiner Arbeit, von seinem Garten weg rekrutierte
für den Römer den Lastenträger geben.
Dann darf er wieder heim gehen.
Die Bevölkerung ist gespalten.
Die einen kollaborieren mit der fremden Macht, ziehen daraus fette Gewinne.
Die anderen bekämpfen sie, gehen in die Berge, planen Attacken und Aktionen,
um die Besatzer zu schwächen.
Dieses Entweder – Oder ist ein Schema, das wir kennen:
Entweder du kuscht, hältst den Mund, versuchst irgendwie zu überleben.
Oder du stellst dich auf deine Füße und kämpfst den ausweglosen Kampf.
Jesus macht an diesem Tag weder das eine noch das andere.
Ich meine, das ist der Grund, warum die Leute so begeistert sind.
Denn die wenigsten von uns fühlen sich wohl,
wenn sie mit angemaßter und willkürlicher Macht kollabirieren.
Wer will schon den ekelhaften Chef hoffieren.
Wer will schon mitmachen, wenn eine Gruppe jemanden mobbt.
Aber dem Chef ins Gesicht sagen: Ihr Führungsstil ist unter aller Kritik.
Sich der mobbenden Gruppe entgegenstellen und sagen:
Was ihr hier macht, ist unerträglich, das lasse ich nicht zu,
ist halt auch nicht jedermanns Sache.
Wer einen dritten Weg aufzeigt, wer aus dieser Spannung des Entweder-Oder
einen Ausweg kennt, spricht mich spontan an.
Jesus auf dem Esel vermittelt mir und den anderen ganz ohne Worte:
Es gibt noch andere Möglichkeiten zwischen Unterwerfung und Kollaboration:
Es gibt die Möglichkeit, Gottes Verheißungen zu trauen,
mit Gottes Wirken zu rechnen.
Und jetzt schon im Vertrauen auf darauf,
friedlich und selbstbewusst nach Jerusalem zu gehen.
Nach Jerusalem, wo die Auseinandersetzungen zwischen den Kollaborateuren und den Widerständlern spannungsvoll kurz vor der Entladung stehen.
In Jerusalem wo die geballte Macht der römischen Okkupatoren sichtbar ist.
Dieses Jerusalem ist überall. Auch heute.
Eine Sitzung, in der die Meinungen aufeinanderprallen,
und man sich schon längst nicht mehr zu hört.
Während der eine noch spricht,
sammelt die andere im Geist bereits Argumente gegen ihn.
Famillientreffen, wo jeder seine Spannung und die ganzen alten Verletzungen mitbringt.
Damals, zu Weihnachten vor 10 Jahren, da hast du … da war doch …
und nie hast du dich dafür entschuldigt.
Gewappnet und dauf alles gefasst begegnen wir denen,
die wir nicht mögen.
Gewappnet und schon bevor etwas passiert,
schützen wir uns.
Das Bild eines erwachsenen Mannes, der auf einem Esel in die Stadt seiner Feinde einreitet
ist für mich ein Bild der totalen Entspannung.
Hier wird der Kampf nicht im Geist schon vorweg genommen.
Hier werden keine Argumente gegen böse Attacken im Kopf geschmiedet,
hier ist kein Dolch im Gewand versteckt.
Hier wird das Gegenüber nicht schon zum Angreifer gemacht,
bevor es überhaupt noch zu einer Begegnung kommt.
Der andere, die anderen haben die Chance, sich auch ganz anders zu verhalten.
Friedlich, freundlich, aufmerksam. Fair.
Was wäre wenn ich mich auf einen Esel reitend zum gefürchteten termin begebe?
Was wäre, wenn ich ohne jede Erwartung dorthin gehe,
wo ich üblicherweise Böses erwarte.
Was würde dann geschehen?
Ich meine, dass die Menschen so begeistert sind und Jesus zujubeln,
weil sie sehen, er gibt allen, auch seinen Gegnern eine Chance,
anders zu handeln, anders zu agieren.
Wir wissen, dass sie diese Chance nicht ergriffen haben.
Sie sind in ihren alten Mustern geblieben.
Sie haben nicht begriffen, was ihnen hier angeboten wurde.
Wer in der Nachfolge Jesu sich auf einen Esel setzt statt am hohen Ross daher zu kommen,
braucht viel Mut.
Denn dass dieses Angebot freudig angenommen wird, ist nicht garantiert.
Aber seit dem Einzug Jesu in Jerulasem,
kann niemand mehr sagen, nur mit Bomben und Granaten,
nur mit Härte und Präventionsschlägen,
kann man in schwierige Situationen hinein gehen.
Und dafür sei Gott Lob und Preis in Ewigkeit.
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Predigt zu Matthäus 21, 1-10 von Joachim Hempel
Waren Sie, – und wenn ja, wann und mit wem, gegen wen oder für was und wo waren Sie das letzte Mal auf der Straße – Demonstrant?
Advent beginnt doch nicht ganz so besinnlich oder gar betulich mit Kerzenlicht und Teestunde, Lebkuchen und Tannengrün wie's kirchlich geradezu modern geworden ist im Kampf um die Deutungshoheit für diese Zeit zwischen Konsum- Weihnachtsmann-Geschenke-Mentalität und biblischem Copyright-für Bethlehems Stall.
Jerusalems Straßen waren voller Leute, Handel und Gastronomie hatten gut zu tun, da kommt ein reitend Einziehender gerade recht, um ihn mit Hoch-Rufen, Palmwedeln und ordentlich zustimmendem Beifall zu grüßen und auf dem Weg zu begleiten. Die genaueren Umstände sind gar nicht so wichtig, denn nach dem bemerkenswerten Auftritt und Einritt fragt sich mit dem Evangelisten Matthäus 'die ganze Stadt: Wer ist dieser?
Aber erstmal sind viele dabei, machen mit, wie immer, wenn in der Stadt was los ist; die Reihe der „Heil, Hoch, Hosianna, Kreuzige, Weg mit ihm, wir wollen den – Rufen“ ist ja endlos, und gerade in unseren Tagen wird sie mit Rufen für Menschen im umkämpften Kobane oder bei der kleinen Lokführertruppe GDL mit Demonstrationen und Streiks weiter vermehrt: Das Recht der Demonstrationsfreiheit ist durch die Verfassung garantiert, in Hongkong wären viele froh, wenn sie nicht um Leib und Leben fürchten müssten, wenn sie auf den Straßen sind.
Hauptsache, Mensch weiß wofür und wogegen, denn sonst ist der Weg zu energiegeladener Randale nicht weit, wie uns ja auch allenthalben durch sogenannte Fußballfans vor Augen geführt wird, die Sport zum 'Hau-drauf-Ereignis' degradieren.
Nun, Jesus zieht in Jerusalem ein, und für Matthäus beginnt damit die letzte Woche dramatischer Ereignisse, die am Kreuz enden und doch erst am Ostermorgen ihre Deutung erfahren. Diese Geschichte gab mit abgehauenen Zweigen, den Palmwedeln, dem 'Palmsonntag' zu Beginn der Karwoche vor dem Osterfest seinen Namen, - und wer vor zahlreichem Advent in seinem Leben (wie oft haben wir ihn denn schon erlebt, wir, die wir so in die Jahre des Lebens gekommen sind, mit unseren Lebenserfahrungen, die nicht so leicht Neuem mehr Platz machen wollen oder können...), wer vor zahlreichem Advent in seinem Leben sich noch eine Überraschungsecke freigehalten hat, der darf schon ein bisschen staunen, dass die Palmsonntagsgeschichte alle Jahre wieder am Beginn der Adventszeit steht, die ja doch zu Bethlehems Stall führt:
Aber genau recht so, denn Idylle im Stall gibt’s nur für die, die keine Ahnung haben, was Kindesgeburt in kalt-windigem Stall bergigen Landes bedeutet (mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass unter den durchgeknalltesten Eventangeboten der alternativen Advents- und Weihnachtstage schon ein 'Bringen Sie ihr Kind doch zu Heilig Abend im windigen Stall zur Welt – die ultimativ andere Geburt'... Angebot wäre). Die Geschichte vom 'eseligen' Einzug Jesu in Jerusalem weist uns auf den ganzen Jesus von der wundersamen Ankündigung seiner Geburt über die Heilige Nacht zum Esel, der Vater, Mutter und Kind als Flüchtlingen in Ägypten hilft, weist uns auf sein Reden und Tun als von Gott besonders Erwählter bis eben zu Anklage, Urteil, Tod und Grab. Und all dies erhält zu Letzt den österlichen Morgengruß, in dem sich Gott als Freund des Lebens erweist – und das dauerhaft, eben ewiglich.
Advent ist Zeit der Besinnung auf den ganzen Lebensweg, seinen und meinen, da verbindet sich auf wunderbare Weise der Weg Jesu mit meinem durch den Alltag des Lebens. Und wir tun gut daran, in Jesu Lebensweg etwas zu entdecken, mit dem Gott uns etwas zeigen und erklären, deuten und schenken will. Jesu Bedeutung liegt darin, dass Gott in ihm und mit ihm uns unser Leben deutet und und dadurch bedeutend macht. Er macht, was ich bin; er kennt auch mich und hat mich lieb, wie es im Lied von den Sternlein am Himmel heißt, von denen wir bis heute nicht zu sagen wissen, wieviel Sternlein es wirklich sind: Wunderbar, denn Gottes Vermögen ist mächtig und groß.
Palmsonntags-Esel-Einzugsgeschichte öffnet uns die Herzen und Gedanken, damit, wenn wir 'Macht hoch die Tür, die Tor macht weit' singen, auch die richtigen Verständnistüren sich öffnen und sein Geist einziehen kann, dessen adventliche Frischluftzufuhr wir alle nach des ganzen Jahres dicker Luft im Beziehungstheater zwischen Menschen, Völkern und Nationen dringend bedürfen. Sonst bleibt am Ende noch unser Ureigenstes auf der Strecke vor lauter Auseinandersetzungen, Anklagen, Verdächtigungen, Hass und Terror und Krieg (diese vielen Toten in Syrien in all den Jahren: warum, warum, warum nur?), nämlich dass wir vor allem, - vor allem eins sind, nämlich Menschen, die gut damit zu tun haben, das zu sein: menschlich!
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“ - die Ankunft dieser existentiellen, lebensspendenden Botschaft steht bevor: Türen auf, Gottes Geist erfülle unsere Herzen und Gedanken – adventus Domine!
Amen.