Predigt zu Matthäus 3,13-17 von Ralph Hochschild

Predigt zu Matthäus 3,13-17 von Ralph Hochschild
3,13-17

Liebe Gemeinde,

alle Eltern tun es. Und es beginnt lange vor der Geburt des Kindes. Es begann lange, bevor unser Name über dem Taufstein genannt wurde: das Suchen, Fragen, Überlegen: “Welcher Name ist der richtige für unser Kind?” Und so verschieden, wie Eltern nun einmal sind, so verschieden sind die Gründe für ihre Wahl: der Name, der am schönsten klingt, der Name, der die Familientradition fortsetzt, ein Name, der verkörpert, was die Eltern für ihr Kind erhoffen und anderes mehr. Aber so verschieden die Gründe für Moritz und Marvin, Chantal und Charlotte einmal waren, mit der Zeit und mit den Jahren werden ihre Eltern eine gemeinsame Erfahrung machen: “Typisch für meinen Philipp”, “typisch für meine Chiara”, “typisch für unser Kind” - das denken irgendwann alle Eltern und manchmal seufzen sie es - so wie wir, wenn wir unsere Kinder aufwachsen sehen. Und das signalisiert: Name und Kind haben zueinander gefunden, Leben, Tun und Charakter sind zusammengewachsen, werden in uns zu einem stimmigen Bild von unserem Kind.

Eine ähnliche Erfahrung steht hinter unserem heutigen Predigttext. In dieser Geschichte können Name und Leben als stimmiges Ganzes erkannt werden. Der Evangelist Matthäus erzählt im 3. Kapitel, in den Versen 13 bis 17:

13Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. 14Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? 15Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. 16Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. 17Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Herr segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde,

Jesus bedeutet “Gott hilft”, wir könnten seinen Namen auch “Gott ist die Rettung” übersetzen. So alltäglich dieser Name in den Ohren seiner Zeitgenossen klingt, Jesu Name ist ein Bekenntnis: “Rettung, Hilfe - das erwarten wir von Gott.”

“Gott hilft”, “Gott ist die Rettung”, Jesu Name ist ein Signal in einem verunsicherten Land, das seinen politischen Eliten nichts mehr zutraut. Hin- und hergerissen zwischen Anpassung und aggressiver Ablehnung der modernen Kultur, wie sie seit Generationen von außen in das Land hineinströmt. Hin- und hergerissen zwischen Kollaboration und gewalttätigem Widerstand. Hin- und hergerissen zwischen der Öffnung für neue Lebensformen und dem Festhalten an lieb gewordenen Traditionen.

“Gott hilft”, “Gott ist die Rettung”, Jesu Name ist eine Einladung an irritierte Menschen, die ihre innere Mitte verloren haben. Die spüren, dass sie die alten Gewissheiten nicht mehr tragen und doch dem Neuen noch nicht vertrauen können, für die nostalgische Anhänglichkeit an das Alte genauso wenig den Weg in die Zukunft weist, wie die aggressive Ablehnung alles Fremden. Sinn und lohnenswerte Ziele in ihrem Leben finden sie nicht mehr. Es strengt sie an, gegen ihre Mutlosigkeit ankämpfen, einen neuen Anfang für sich zu finden. Sie spüren, dass sie ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen und ihrem Glauben nicht gerecht werden.

“Gott hilft”, “er wird sein Volk retten von ihren Sünden” - so deutet Matthäus den Namen Jesu. Und Jesus macht sich mit diesem suchenden Volk auf den Weg. Hinunter in den Jordangraben, hinunter zu Johannes, dahin, wo nach dem Bericht des Matthäus so viele aus der Stadt Jerusalem, aus dem flachen Land, aus der gesamten Jordangegend strömen, um seine Kritik zu hören, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen, um neu zu beginnen, um sich taufen zu lassen.

So ungehobelt sich Johannes zeigt, so grob er diese Menschen mit seiner Predigt empfängt, so fordernd er zu ihnen spricht - er hat ein feines Gespür dafür, was sich eigentlich gehört, als Jesus kommt. Es widerstrebt ihm, den zu taufen, der größer ist als er. Er möchte Jesus hindern, sich mit diesen Menschen gemein zu machen, die doch nur Sünder sind. Aber: “Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen.”

Wir sind anders. Wir sagen selten: “Lass es jetzt geschehen!” “Lass Dir nichts gefallen!”, das sagen und hören wir öfter. “Sich durchsetzen können”, sollen Kinder lernen. Wir sind es gewohnt, uns von unserer besten Seite zu zeigen, in den Vordergrund zu kommen, ein schönes Portfolio unseres Lebens zu präsentieren, uns das an Anerkennung zu holen, was uns zusteht.

Jesus macht es nicht so. Er nimmt sich zurück. Er stellt sich nicht nach vorn, er stellt sich in die Reihe der Taufwilligen. Er steht in der Mitte derer, die niedergedrückt sind, die einen neuen Anfang suchen, sich Ermutigung erhoffen. Jesus verzichtet auf das, was ihm zusteht, an Status, an Achtung, an Respekt. Er macht sich frei, von dem, was andere von ihm erwarten. “Gott hilft” ist sein Name und deshalb will er alle Gerechtigkeit erfüllen, Gottes Willen tun. Spüren lassen, wie Gottes Liebe diese Welt verändert, wie Gottes Gerechtigkeit uns zu einem erfüllten, sinnvollen Leben hilft. “Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen”. Dies sind die ersten Worte, die Matthäus von Jesus überliefert und diese Worte sind Programm seines Lebens. “Gott hilft”, indem Jesus uns den Weg der Gerechtigkeit vorangeht. Name und Auftrag, Botschaft und Leben finden jetzt zusammen.

Jesus erfüllt die Gerechtigkeit Gottes und lässt sich taufen. Da öffnet sich der Himmel. Über der Erde wird es hell und klar, Gott öffnet sich für die Erde. Es ist, als stünde ich an einem See. Eine kräftige Wintersonne hat nach einem langen trüben Herbst den Nebel über dem Wasser vertrieben. Das Grau geht, die Farben kommen zurück. In der klaren Luft sehen meine Augen die lange verhüllten Berge am Horizont. All meine trüben Gedanken und Sorgen hat die Sonne mit dem Nebel vertrieben. Ich richte mich auf. Das Alte liegt hinter mir. Eine neue Perspektive tut sich auf. Ich beginne, neu zu leben.

Der Himmel geht auf. Gott öffnet sich für das, was in dieser Taufe geschieht. Jesu Würde wird so offenbar. Das ist Matthäus wichtig. Zwei Mal heißt es “Siehe”, zwei Mal spricht er uns Leser und Hörer direkt an: “Siehe, da tat sich der Himmel auf!” Gottes Geist kommt im Symbol der Taube auf Jesus herab und wird ihn auf seinem Lebensweg beflügeln. “Siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.” Der bei den suchenden, vielleicht auch verzweifelten Menschen am Jordan steht, den liebt Gott. Der mit den Menschen hinunter in die tiefen Täler des Lebens geht, den liebt Gott. Der mit uns in die Untiefen des Lebens hinabsteigt, den liebt Gott.

“Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.” Gott gefällt, dass Jesus alle Gerechtigkeit erfüllt. Gott gefällt, wie er sich zu den Menschen stellt - “als ein Gerechter und ein Helfer”. Jeder kann es hören: Gott steht zu Jesus, Gott steht zu seinem Sohn. Es ist kein intimes Zwiegespräch zwischen beiden, es ist die öffentliche Proklamation. Es macht uns gewiss: Jesus löst mit seinem Leben ein, wofür sein Name steht: “Gott hilft”, “Gott ist die Rettung”.

Liebe Gemeinde,

mit Jesu Taufe beginnt die öffentliche Wirksamkeit Jesu. Mit dem Auftrag an seine Jünger, zu taufen und zu lehren endet sie im letzten Kapitel bei Matthäus. Jesu Taufe ist das Urbild unserer eigenen Taufe. Sie erinnert uns daran, dass wir zu Gottes geliebten Kindern gehören. Wir sind nach Jesu Auftrag getauft. Vertrauen wir darauf, was uns sein Name verspricht: “Gott hilft”. Amen.

Perikope
11.01.2015
3,13-17

Predigt zu Matthäus 3,13-17 von Thomas Bautz

Predigt zu Matthäus 3,13-17 von Thomas Bautz
3,13-17

Damals kam Jesus von Galiläa her an den Jordan zu Johannes, um sich (auch) von ihm taufen zu lassen. Der wollte ihm aber nicht zu Willen sein und sagte: „Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“

Doch Jesus gab ihm zur Antwort: „Lass es für diesmal geschehen, denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Da gab Johannes ihm nach.

Als Jesus aber getauft und soeben aus dem Wasser gestiegen war, siehe, da taten sich die Himmel auf, und er (Johannes oder Jesus) sah Geist Gottes herabsteigen - wie eine Taube auf sich kommen. Und siehe, eine Stimme erscholl aus den Himmeln: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe!“

Liebe Gemeinde!

Diese Geschichte verdeutlicht uns zunächst die Berechtigung und Notwendigkeit historischer Leben-Jesu-Forschung allgemein, wie sie sich in (fünf) verschiedenen Phasen etwa seit 1740 bis heute vollzogen hat. Die Erzählung von der Taufe Jesu sagt enorm Wichtiges über den historischen Jesus und seine Beziehung zu Johannes den Täufer. Sie lässt Klarheit gewinnen über die Verzeichnung beider Personen durch urchristliche Überlieferung und dogmatische Vereinnahmung, wie sie seit dem Frühchristentum in Dogmen- und Theologiegeschichte bis in unsere Zeit waltet. Allerdings ist ein großer Teil der Forschung heute wieder bereit, Jesus von Nazareth in seinem damaligen gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und religiösen Umfeld nachzuspüren. Das heißt u.a., ihn als Juden anzuerkennen.

Denn die bei den drei Evangelien (Mk, Lk, Mt) überlieferte „Taufe Jesu“ erfährt jeweils charakteristische Veränderungen; bei Joh entfällt sie komplett. Man fügt etwas hinzu, man lässt etwas weg, man interpretiert, man verändert - dabei wird Entscheidendes über die jeweilige Intention der Verfasser und die jeweilige Tradition ihrer Empfänger ausgesagt.

Ein Vergleich der verschiedenen Versionen der Geschichte zeigt, dass der erzählten Taufe Jesu ein historisches Ereignis zugrunde liegt. „Anstößiges“ findet sich nur bei Mk (1,4) und Lk (3,3): der Nazarener begehrt - wie viele andere seiner Landsleute - von Johannes dem Täufer, dem letzten Propheten, Prediger der Umkehr und Buße, der Sinnesänderung und des Umdenkens die „Taufe zur Vergebung der Sünden“. Denn diese hat der Täufer am Rande der Wüste gepredigt.

So hat sich die urchristliche Überlieferung Jesus aber nicht vorgestellt - das passt nicht ins Konzept! Jesus als Täufling des Johannes ist schon schwer verdauliche Kost. Die Tatsache, dass es sich auch noch um einen „Reinigungsritus“ handelt, erklärtermaßen zur „Vergebung der Sünden“, kollidiert mit der konstruierten Vorstellung eines „sündlosen“ Jesus. Im JohEv (1,29ff) geht Jesus „mit Sünden belastet“ zum Täufer, trägt aber nicht seine eigenen Sünden,  vielmehr nimmt er - als „Lamm Gottes“ - hinweg die „Sünden der Welt“!

„Sünde“ meint zunächst nichts Moralisches, so wie wir es meist assoziieren; Sünde bedeutet auch keine metaphysische (übersinnliche) Trennung von „Gott“. Mit „Sünde“ bezeichnet man vielmehr „Zielverfehlung“; das Griechische - von Homer, Aischylos bis zum NT - benutzt den Ausdruck hamartía: wenn ein Bogenschütze ein Ziel verfehlt. Es wird auch metaphorisch gebraucht: das Lebensziel, den Lebenssinn verfehlen. Im Althebräischen meint der Ausdruck chata’a allgemein „Verfehlen eines Ziels“. Später verengt sich die Bedeutung und wird zum moralischen, religiösen Begriff „Sünde“; sogar im Sprachgebrauch des modernen Hebräisch bezeichnet „Chet“ (gleiche Wurzel wie im Althebr.) „Sünde, Vergehen“. Verfehlen Menschen nicht immer wieder ihr Lebensziel, oder gehen sie nicht zumindest streckenweise in die Irre?

Auch der Nazarener läuft Gefahr, sein Ziel zu verfehlen. Johannes der Täufer aber ist sein Lehrer und Jesu Taufe nur konsequent. Für den historischen Jesus gibt es keinen Grund, sich aus der großen Schar der Johannesanhänger zu exponieren oder abzuheben, indem er sich der Taufe entzöge. Auch spricht selbst aus der Überlieferung noch die große Wertschätzung, die der spätere Rabbi Jesus seinem einstigen Lehrer gegenüber bekundet (Mt 11,9f.11.14):

Johannes sei mehr als ein Prophet, bedeutender als irgendein Mensch, der je gelebt hat, und Jesus identifiziert ihn mit Elija, dessen Kommen vorausgesagt war. Damit ist zum Ausdruck gebracht, wie aufrichtig Jesus zu seinem Lehrer Johannes d.T. empor geschaut hat.

Doch hat sich bei Mt ein sog. Taufgespräch zwischen dem Täufer und Jesus „eingeschlichen“. Wenn sich die Taufe Jesu schon nicht ignorieren ließe, so musste zumindest geleugnet werden, dass er ihrer bedurfte. „Ich habe es nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?!“, lässt Mt den Täufer sagen und legt Jesus die „fadenscheinige“ wie „nebulöse“ Antwort in den Mund: „Lass jetzt, denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen“ (Mt 3,14f).

Die von Bibelübersetzern verfasste Übertragung der Guten Nachricht trifft den Sinn besser  (Mt 3,15): „Das ist es, was wir jetzt zu tun haben, damit alles geschieht, was Gott will.“

Nicht zufällig ist die Taufe Jesu bei den Evangelien (Mt 4,1-11; Mk 1,12-13; Lk 4,1-13) mit der Erzählung von der „Versuchung Jesu“ inhaltlich verknüpft. Versucht werden kann nur jemand, der auch versuchlich ist. Die Art und Weise der Versuchungen (!) Jesu sagt natürlich auch Richtiges, Wichtiges über die Versuchlichkeit des Menschen schlechthin aus. Aber das ist heute nicht unser Thema. Wir halten lediglich fest: Der Geist, der Jesus bei seiner Taufe „gegeben“ wird, führt ihn anschließend in die Wüste, damit er dort versucht würde (Mt 4,1f).

Wenden wir uns dem Taufgeschehen selbst und den Begleiterscheinungen zu: „Als Jesus aber getauft und soeben aus dem Wasser gestiegen war, siehe, da taten sich die Himmel auf, und er (Johannes oder Jesus) sah Geist Gottes herabsteigen - wie eine Taube auf sich kommen.“

In Vorderasien stand die Taube im Zusammenhang mit der Fruchtbarkeitsgöttin Ischtar bzw. in Phönikien mit dem Astarte-Kult und diente als Botenvogel der Liebe. In Griechenland war sie der Liebesgöttin Aphrodite zugeordnet. Im Hohenlied Salomos werden die Blicke der Geliebten mit „Tauben" verglichen (Hld 4,1), was so viel bedeutet wie: „Deine Blicke sind Liebesboten; Du bist schön, und deine Blicke künden von Liebe und Bereitschaft zur Liebe“.

So hat Gottes Bestätigung und Erwählung seines geliebten Sohnes bei der Taufe des Johannes auch etwas Zärtliches, Liebevolles. Daher ist es durchaus zulässig, wenn wir uns Gott auch als liebevollen, zärtlichen Vater oder Mutter vorstellen. Wer sich bei Gott geborgen weiß, dessen Leben hat schon eine entscheidende Umkehr, Wende, Erneuerung oder Wiedergeburt erfahren. Die Johannestaufe ermöglicht ein Leben aus Gott, das Früchte der Buße, der Umkehr, Früchte des Heiligen Geistes, trägt.

„Und siehe, eine Stimme erscholl aus den Himmeln: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe!“

Jesus hat die Bedeutung der Johannestaufe sehr ernst genommen; er verbindet sie mit Gottes Willen, dem Gerechtigkeit widerfahren solle; er stimmt dem Grundgedanken des Täufers zu, dass alle Menschen es nötig haben, sich wieder auf ihre wahre Bestimmung zu besinnen und Gottes Kinder zu werden (Joh 1,12). Allerdings ist der Nazarener noch radikaler, denn er weiß, dass es nicht ausreicht, Menschen aufzufordern, ihr Leben zu ändern. Es bedarf vielmehr des neuen Grundvertrauens in die unerschütterliche, unerklärliche Liebe des himmlischen Vaters.

Für Jesus wird die Taufe zu einem Zeichen, sich Gott auf Gedeih und Verderb zu überlassen; so lässt er sich in die Fluten des Jordan ein- und untertauchen. Wieder auftauchend wird ihm bewusst, dass Gott niemals nur gerecht ist, sondern vor allem großmütig, gütig, barmherzig: Menschen dürfen einem Gott vertrauen, der vergibt, der nicht töten und uns nicht in einem todähnlichen, abgestorbenen Zustand belassen, sondern uns beleben und lebendig erhalten will. Es geht Jesus also in keiner Weise darum, lediglich einer Pflicht, nämlich der Teilnahme an einem Taufritual, Genüge zu tun.

Für uns könnte die Taufe Jesu durch Johannes den Anfang all dessen bedeuten, „was Gott uns zu sagen hat in der Person des Jesus von Nazareth als unseres Bruders“ (E. Drewermann). Es wird zugleich deutlich, wie der spätere Rabbi oder Lehrer Jesus sich selbst sieht, und worin er den Kern seiner Botschaft erkennen wird: Es ist die Vorstellung einer neuen Art, wie Gott redet, nämlich in Gestalt des „Sohnes“ oder auf „Sohnesweise“ (Hebr 1,2); ich bevorzuge den heute verständlicheren Ausdruck: „auf kindliche Weise“, schon deshalb, weil Kinder viel eher Vertrauen investieren, als wir Erwachsene jemals bereit sind.

Die brutale Wirklichkeit des Lebens erschüttert - nicht nur in den Krisengebieten, wo Kinder erbärmlich verhungern oder versklavt werden oder als Kriegsopfer verrecken - das nötige Grundvertrauen. In reichen Industrienationen und in wirtschaftlich aufstrebenden Ländern werden immer mehr Kinder und junge Menschen Opfer von Gewaltverbrechen wie sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Zwangsprostitution. Besonders Mädchen und junge Frauen sind betroffen. Die Pädophilie hat längst - im Verbund mit der Pornoindustrie - ins Internet Einzug gehalten. Spezialisten bei Europol und Interpol setzen sich Tag und Nacht den Strahlen ihrer Computerbildschirme aus. Wie sollen all diese Opfer je genesen und noch Vertrauen lernen?

In unserer Erwachsenenwelt spricht man noch gelegentlich vom „Gottvertrauen“, das man etwa in bestimmten Lebenslagen oder Situationen bräuchte; wer es „hat“, wird auch schon mal darum beneidet. Man benötige auch (mehr) Selbstvertrauen, und wie steht es erst mit dem Vertrauen unter einander, in zwischenmenschlichen Beziehungen? Beides scheint nicht ganz so einfach, wie man denken könnte.

Eine materialistische und auf viele Sicherheiten bedachte Erwerbs- und Konsumgesellschaft trimmt ihre Kinder und Jugendliche, Leistungen zu erbringen, sich im Wettbewerb beruflich  zu behaupten, möglichst effektive Rücklagen zu bilden, Kapital Gewinn bringend einzusetzen. Für vertrauensbildende Maßnahmen ist da wenig Platz, oder sie spielen nur vorübergehend für Geschäftsbeziehungen bei gleichstarken Partnern eine Rolle.

Viele Menschen gebärden sich so, als wären sie ständig auf der Flucht - nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst. Eben deshalb scheint vieles darauf anzukommen - wie Jesus als unser mögliches Vorbild -, die Menschen zu lehren bzw. ihnen zu vermitteln, dass sie nicht mehr länger vor einander und vor sich selbst ausweichen oder fliehen müssen, dass sie nicht an sich selbst vorbeileben - ihr Lebensziel verfehlen - müssen. Vielmehr gilt es, sich zu stellen, ins kalte Wasser zu springen, um womöglich ganz neue Erfahrungen zu machen.

Wir sollten dem Vorbild des historischen Jesus folgen - der nach mehrheitlicher Erkenntnis der Forschung selbst keine christologischen Hoheitstitel wie Sohn Gottes, Messias/ Christus, Menschensohn oder sogar „Gott“ für sich beansprucht hat -, um Menschen heute „etwas von Gott näherzubringen“, ihnen „ein Stück vom Himmel zu öffnen“. Mit jeder Geburt eines Menschleins ist sozusagen etwas vom Himmel auf die Erde gekommen, für uns „unableitbar, unerklärbar“, etwas „Freies, Kostbares und wunderbar Schönes“, ein Geheimnis, das zu schützen und lebendig zu erhalten es uns eigentlich wert sein müsste (Drewermann).

Es gilt, unseren Mitmenschen ihre Würde und Selbstachtung wiederfinden zu lassen - dort wo sie an der Grausamkeit einer Krise zu zerbrechen drohen; wo sie in den Augen anderer schon als gescheiterte Existenzen, als Versager dastehen; wo eine unerbittliche Maschinerie sie im Berufsleben hat ausbrennen lassen, oder wo Langzeitarbeitslosigkeit sie hat müde und mürbe werden lassen, so dass einstige Phantasie, Kreativität und Elan längst abgelöst wurden gegen stupide Belanglosigkeit und Gleichgültigkeit.

Als dankbarer, stolzer Vater eines neunjährigen Jungen wächst in mir von Tag zu Tag der Wunsch, seine Begeisterungsfähigkeit zu fördern und ihm ein erfülltes Leben in dem Sinn zu ermöglichen, den er irgendwann selbst wird finden müssen. Wenn es mir gelingt, ein paar Wegmarken auf der Suche nach seinem Lebensziel noch mit ihm gemeinsam zu entdecken, werde ich sehr glücklich sein. Ich wünsche meinem Sohn ein geistvoll erfülltes Leben, also kein materiell gesättigtes Leben, das man auch schnell satt haben kann. Er sei gesegnet!

Wenn Menschen einander segnen, statt sich mit Flüchen zu bedenken; wenn wir versuchen, einander ernsthaft zu verstehen, statt uns mit Vorurteilen zu begegnen oder uns gegenseitig auf Dauer etwas nachtragen und uns damit unnötig Gewalt antun; wenn wir zuließen, dass jemand uns liebt, können wir allmählich auch wieder Liebe empfinden und weitergeben. Liebe und Güte vertragen sich aber nicht mit Machtansprüchen; wer auftrumpft, zeigt damit, wie unsicher er im Grunde ist und wie wenig er sich akzeptiert und geliebt weiß. Glücklich ist der Mensch, der aus freiem Willen etwas Hilfreiches oder Nützliches tut, ohne dadurch etwas anderes - Geld, Ansehen, Einfluss, Macht - anzustreben oder zu begehren.

Ob sich „Geist Gottes“ auch auf unser Leben herabsenkt, vielleicht auf ungeahnte Weise uns längst begleitet - wir bedürfen keines Zeichens, keiner Gestalt wie eine Taube, aber man kann sich unsere „Seele“ wie Noahs dritte Taube vorstellen, die er nach der Sintflut aussendet und die erst eine Weile unruhig umherflattert, bis sie wieder trockenes Land findet. (Drewermann)

Menschen sehnen sich nach Heimat; wir finden sie am ehesten, indem wir anderen eine Heimat schaffen. Angesichts der heißen Debatten um die Aufnahme der vielen Flüchtlinge und der Diskussionen um eine Änderung des Asylrechts ist das Thema „Heimat“ aktueller, als man es sich hat vorstellen können. Aber ich verstehe „Heimat“ noch in einem tieferem Sinn: Wenn ich für einen Menschen eintrete, ihm Respekt erweise, ihn achte, ihm dadurch seine Würde zeige, betrete ich mit ihm gemeinsamen Raum, schaffe eine Sphäre des Menschlichen. Das Gegenteil wäre Abgrenzung; wir blieben dann einander fremd und jeder lebte weiter in der Fremde, ohne eine Heimat, die man miteinander teilte.

Wenn Vertrauen entstehen oder sogar wachsen soll, dann bedarf es auch der Bereitschaft und des tieferen Interesses als unabdingbare Voraussetzung. Lässt sich das in Kirchengemeinden eher erfahren als andernorts in der Gesellschaft? Sind vertrauensbildende Maßnahmen in den Kirchen eher möglich oder gegeben?

Nun, Kirchengemeinden sind ein Teil der Gesellschaft, ihre Mitglieder - das wird vielleicht allzu oft vergessen oder gar verdrängt - sind Bürger der Gesellschaft, und als solche haben sie auch Teil an kulturellen, wirtschaftlichen, politischen Gegebenheiten. Sie haben sich den gleichen Gesetzmäßigkeiten einer vom Erfolgsdenken und materiellem Konsum geprägten Lebenshaltung angepasst. Kleinere Projekte oder Alternativen ändern nichts im Wesentlichen.

„Aber etwas Entscheidendes muss doch anders sein“, mögen Sie einwenden. Ja, in der Kirche pflegt (!) man ein Denken, eine Sprache, wie ich sie normalerweise andernorts nicht höre. Diese Tatsache wird in neueren praktisch-theologischen Entwürfen sogar als wünschenswert bezeichnet. Ich bin eher für eine radikale Anschauung, wie sie mir bei der Evangelienlektüre hindurch scheint, wenn sie von Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth erzählen.

Wenn wir in der Kirche normalerweise Babys und Kleinkinder taufen, signalisiert das meist zweierlei: (ideelle) Aufnahme des Kindes in die Gemeinde als einer Glaubensgemeinschaft  und Aufnahme des Kindes in den Schutzraum Gottes, unter seinen Segen. Ich freue mich, wenn Eltern ihre Kinder im Konfirmandenalter taufen lassen; dann darf ich eher voraussetzen, dass die Jugendlichen schon ein wenig über Glaubensfragen nachgedacht haben.

Seltener lassen sich Erwachsene taufen; ich bin dann besonders beglückt und empfinde die Gespräche vorher als Bereicherung. Johannes predigt eine „Taufe der Umkehr“ - wahrlich etwas ganz anderes als ein Sakrament. Martin Luther kommt der Intention des Täufers nah, wenn er mit der Taufe eines Kindes die Möglichkeit verbindet, dass sich die Erwachsenen an ihre Taufe im tieferen Sinne erinnern sollen. Die Taufe Jesu durch Johannes könnte uns zu denken geben, insbesondere weil der Nazarener sie begehrt. Wir sollten die Möglichkeit stärker in den Blick nehmen, Menschen erst zu taufen, wenn sie mündig, erwachsen sind.

Den Kindern geht derweil nichts verloren; davon zeugt das Ereignis „Segnung der Kinder“, von dem Mt (19,13-14) erzählt, das aber ungern in unserem Zusammenhang gehört wird:

„Da wurden Kinder zu ihm gebracht, damit er die Hände auf sie legte und betete. Die Jünger aber fuhren sie an. Doch Jesus entgegnete: Lasset die Kinder und wehret ihnen nicht, zu mir zu kommen; denn solchen gehört das Himmelreich.

Es würde also völlig ausreichen, wenn wir - dem Beispiel Jesu folgend - Kinder segneten. Den Segen kann ein Geistlicher spenden, aber vor allem sollten die Eltern ihn praktizieren. Auf keinen Fall möchte ich Eltern suggerieren, ihr Kind ginge oder wäre ohne Taufe „verloren“, es bedürfe durch die Taufe der Errettung, wäre nur kraft dieses „Sakraments“ bei Gott angenommen (o.ä.). Nein! Den Kindern „gehört das Himmelreich“ - was bedarf es mehr; wer vermag das noch zu steigern?! Deshalb sollten wir uns ganz auf eine Taufe zur Umkehr konzentrieren, die freilich nur für Menschen geeignet ist, die eines Umdenkens fähig sind und dies sozusagen auch nötig haben.

Dass Gott das Leben eines Menschen, ob als Kind, Heranwachsender oder Erwachsener mit seinem gütigen Segen wohlwollend begleitet, dessen dürfen wir gewiss sein. Ich gebe aber auch zu, dass mir dabei immer wieder Zweifel kommen, weil ich manche Schicksale, von denen Menschen betroffen sind, unmöglich als segensreich für sie betrachten kann. Aber vielleicht schließt der „Segen Gottes“ auf eine von außen nicht erkennbare Weise sogar die „Hölle“ mit ein. Ermutigend finde ich, dass immer wieder Menschen Beistand und Hilfe geben, selbst Nachteile auf sich nehmend und oft genug unter Einsatz ihres Lebens.

Amen.

Literatur

Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1 (1985), 150-158.

Gerd Theissen/ Annette Merz: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch (21997), 184-198.

Eugen Drewermann: Das Matthäusevangelium. 1. Teil: Bilder der Erfüllung (1992), 320-324.

Herbert Braun: Jesus - der Mann aus Nazareth und seine Zeit (erw. Studienausgabe, 1984), 34ff, 240ff.

Jürgen Becker: Jesus von Nazaret (1996), 38ff.

Daniel Alain Bertrand: Le baptème de Jésus. Histoire de l’exégèse aux deux premiers siècles (1973), 4-20.

Ernst Käsemann: Exegetische Versuche und Besinnungen. 1. Band (41965): Das Problem des historischen Jesus, erstmals in ZThK 51 (1954), 187-214.

Annette Großbongardt/ Dietmar Pieper (Hg.): Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums (2012): Der Fluch des Täufers (Christoph Türcke), 170-178.

Perikope
11.01.2015
3,13-17

Predigt in einfacher Sprache zu Matthäus 3,13-17 von Christiane Neukirch

Predigt in einfacher Sprache zu Matthäus 3,13-17 von Christiane Neukirch
3,13-17

Hinweis: Predigt in einfacher Sprache für einen Gottesdienst in Gebärdensprache

Liebe Gemeinde!

Ein Vater stellt uns seinen Sohn vor:

Das ist mein Sohn. Ich liebe ihn. Ich freue mich über ihn!

Wie schön sind diese Worte!!! Da ist so viel Wärme und Vertrauen und Freundlichkeit drin. Ich glaube, dieser Vater sieht seinen Sohn gern an. Er muss ganz tief mit ihm verbunden sein. Er kennt die Welt von seinem Sohn. Er kennt seine Wünsche und Gedanken und versteht ihn. Er stärkt ihm den Rücken und gibt ihm Selbstvertrauen und Kraft.

Das ist mein Sohn. Ich liebe ihn. Ich freue mich über ihn!

Ich kann richtig fühlen, wie ein Sohn sich bei solchen Worten des Vaters aufrichtet! So kann er das Leben annehmen. Bei so einem Vater kann jedes Kind – egal, wie alt es ist - ohne Angst offen sein und mit ihm über alles sprechen und ihm seine Sorgen erzählen. So ein Vater kann auch Ratschläge geben und jeder Sohn, jede Tochter wird sie annehmen. Der Vater sieht ja viel weiter als Sohn oder Tochter. Er hat ja viel mehr Erfahrung. Was dieser Vater sagt, ist gut, auch wenn es mal bitter schmeckt.

Das ist mein Sohn. Ich liebe ihn. Ich freue mich über ihn!

Hier redet aber nicht irgendein Vater über irgendeinen Sohn. Das sagt Gott, der Vater im Himmel, über Jesus Christus.

So war es zwischen Gott und Jesus. Das lesen wir an vielen Stellen im Neuen Testament. So eine Wärme, so ein Vertrauen, so eine Freundlichkeit ist da zwischen den beiden. Die haben eine ganz tiefe Verbindung zueinander. Jesus sagt zu Gott „Abba“, das bedeutet: „Liebes Väterchen“!! Gott stärkt Jesus immer wieder und Jesus will immer wieder ganz nah bei Gott sein. Jesus geht in die Wüste oder zieht sich woanders zurück und redet mit seinem himmlischen Vater allein. Jesus nimmt Gottes Willen an – nicht aus Zwang, sondern weil er Vertrauen hat: was Gott will, ist richtig.

Und was will Gott von Jesus? Gott will: Jesus soll mit den Menschen leben und die Liebe des Vaters mit ihnen teilen, sie an sie weitergeben. Jesus soll hingehen, wo die Menschen hingehen, soll tun, was sie tun – nicht das Böse natürlich, sondern das Gute.

Deshalb will Jesus auch: Johannes soll ihn  taufen. Die Taufe von Johannes war gut. „Ihr müsst umdenken!“ hat Johannes der Täufer gesagt. Er meinte damit: ihr müsst zu Gott zurückkehren, ihr müsst euch an Gott erinnern, an seine Treue zu euch und an seine Gebote für euch und nicht meinen, ihr seid selber Gott. Damit hat Johannes der Täufer ganz recht – bis heute – und Jesus sagt dazu mit seiner Taufe ganz klar: stimmt!

Johannes selber ist erschrocken, als Jesus zu ihm kommt. Er weiß: Jesus steht über ihm, deshalb will er Jesus zuerst nicht taufen – aber Jesus hat die Nase nicht oben, er sagt: „Lass gut sein!“

Wir lesen bei Matthäus: da, nach der Taufe, öffnen sich für Jesus die Himmel und Gott selbst kommt zu ihm mit seiner besonderen Kraft, dem Heiligen Geist – wie eine Taube, nicht in einer Taube – er ist auch keine Taube – wie eine Taube, steht da in der Bibel. Und dann sagt Gott diese schönen Worte über Jesus  –

Das ist mein Sohn. Ich liebe ihn. Ich freue mich über ihn!

Das, liebe Gemeinde, soll Gott doch bitte auch über uns sagen! Das brauchen wir! Das stärkt und hilft auch uns, das Leben anzunehmen und macht uns Mut, uns immer wieder von Gott Rat und Kraft zu holen. Gott ist doch auch unser Vater im Himmel und versteht uns besser als wir selber uns verstehen!

Aber vielleicht denken jetzt einige: wir sind doch nicht gut genug dafür. Wir sind doch nicht genauso fromm und gut wie Jesus?! Und darum kann Gott uns doch gar nicht genauso lieben wie Jesus?!

Doch, das kann er: Gott hat über uns gesagt: „Das ist meine Tochter – das ist mein Sohn. Ich liebe sie. Ich freue mich über sie!“ Das hat er gesagt bei unserer Taufe. Er will es auch zu denen sagen, die noch nicht getauft sind. Der Grund ist nicht: wir sind so gut! Kein Mensch braucht und kann sich seine Liebe verdienen! Die schenkt Gott uns ganz frei.

Jesus war treu, hat die Liebe von Gott mit uns geteilt. So hat er auch die Taufe an uns weiter gegeben am Ende vom Matthäusevangelium. Matthäus hat das im 28. Kapitel aufgeschrieben. Da steht: Jesus spricht: „Geht überall hin und tauft alle Menschen und sagt ihnen alles, was ich euch gesagt habe!“.

Jeder Mensch darf zur Familie Gottes gehören, Bruder und Schwester von Jesus sein und mit der Liebe des Vaters leben. Wir auch. Wir dürfen dem Vater so vertrauen wie Jesus ihm vertraut hat, dürfen zum Vater kommen wie heute im Gottesdienst, unsere Sorgen und Gedanken ihm erzählen und uns von ihm stärken und ermutigen lassen. Wir sind nicht wie Jesus und manche Schuld belastet uns – aber die vergibt er uns. Das hat uns Jesus immer wieder gezeigt, deshalb ist er gekommen. Amen.

 

Perikope
11.01.2015
3,13-17

Offen und weitherzig - Predigt zu Matthäus 2,1-12 von Matthias Wolfes

Offen und weitherzig - Predigt zu Matthäus 2,1-12 von Matthias Wolfes
2,1-12

Offen und weitherzig 

Liebe Gemeinde,

„Gold, Weihrauch und Myrrhe“ schenkten sie ihm – sie fielen nieder vor dem Kind und beteten es an, dann taten sie ihre Schätze auf.

Es ist die Geste der unbedingten Anerkennung, die Zeichengebung einer unbeschränkten Heilserwartung, um die es sich hier handelt. Demgegenüber tritt das von Angst und Haß erfüllte Vorgehen des Herodes zurück. Gewiß, wir sehen, daß die Geschichte Jesu von Beginn an umgeben ist von Hinterhältigkeit, Verrat und Zerstörungswut. Er soll nicht leben! – das ist die Devise der Feinde seit dieser ersten Stunde. Aber Gott ist mit ihm, und so wird der Plan zunichte. Untergehen wird Jesus nicht, selbst dann nicht, wenn es zuletzt doch gelingt, seinem irdischen Weg ein Ende zu setzen.

I.

Wir haben es also mit der Erzählung von den „Heiligen drei Königen“ zu tun. Der Evangelist Matthäus kennt sie allerdings nicht als „Könige“, sondern als „Sterndeuter“ oder auch „Magier“. Als Könige werden sie im Neuen Testament nicht bezeichnet, wie auch die Angabe, daß es sich um drei Personen handelt, eine Präzision der späteren Legendenbildung ist. Und daß ihre Namen Caspar, Melchior und Balthasar gewesen wären, wie es die westliche Tradition des Christentums weiß, ist eine Kenntnis, die deutlich jüngeren Datums ist, ebenso wie jene andere, wonach die drei Weisen die Nachkommen der Söhne Noahs, Sem, Ham und Japhet, waren und folglich die universale Kirche darstellen. Noch viel später hat man dann sogar auch etwas über einen vierten König erzählen können, der sich aber auf seiner Reise nach Bethlehem zur Krippe um dreißig Jahre verspätet. Die mitgeführten Gaben gibt er unterwegs für Werke der Barmherzigkeit hin, und als er dann endlich eintrifft, wird er zum Zeugen des Gekreuzigten auf Golgatha.

Matthäus jedenfalls erzählt knapp und nüchtern nichts anderes, als daß Weise aus dem Osten“ durch den Stern von Bethlehem zur Geburtsstätte Jesu geführt werden. Dort erwarten sie, „den neugeborenen König der Juden“ zu finden, den sie anbeten wollen. Hier hat das Prädikat „König“ seinen Sinn, und von ihm aus erklärt sich auch der Schrecken des Herodes, denn er mußte darin ja eine Bedrohung seiner eigenen Autorität sehen.

Mit der Frage, wie es zur Entstehung dieser Erzählung kommen konnte, wollen wir uns nicht weiter aufhalten. Generell geht es in die falsche Richtung, wenn man nach historischen Grundlagen für das erzählerische Material der Evangelien forscht. Man kann das tun, und es ist ja auch an sich ganz interessant. Aber dem Wesentlichen kommt man damit nicht nahe. Die Gefahr ist vielmehr groß, daß man sich auf Nebenfelder begibt und Streit um Dinge führt, die der Sache nach nicht den Mittelpunkt bilden.

Die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland gehört nun einmal einfach zur Weihnachtsgeschichte hinzu. Sie ist ein fester Bestandteil unserer christlichen Überlieferung, und an ihr wollen wir festhalten. Das Historische bewegt uns dabei nicht. Wir fragen nicht, woher diese Sterndeuter denn eigentlich von dem besonderen Kind wissen konnten. Wir fragen nicht, in welchem Verhältnis sie vor und nach der Szene von Bethlehem zum Glauben an den Erlöser standen. Darüber wird bei Matthäus nichts gesagt. Worum es geht, ist die einzigartige heilsgeschichtliche Stellung Jesu, und die Anbetung der Weisen geschieht, weil gezeigt werden soll: Von Anfang an wissen einige Klarsichtige darum.

II.

Der entscheidende Punkt ist, daß es sich bei diesen Klarsichtigen um Menschen handelt, die von weither kommen. Ihre Besonderheit besteht weniger in ihrer Würde als „Könige“, da geht die Legende in die Irre, so sehr auch der prächtige Reliquienschrein im Kölner Dom gerade diesen Umstand den Gläubigen einprägen möchte. Daß sie auf irgendeine Weise von dem heiligen Kind erfahren haben, daß sie dann den Entschluß gefaßt haben, sich auf den Weg zu machen und daß sie ihre Aufgabe in nichts anderem sehen, als diesem Kind eine besondere Ehre zu erweisen, das ist es, was sie auszeichnet.

Und hierin liegt auch die Bedeutung der Erzählung: Die Weihnachtsgeschichte erhält durch sie eine Weite und Offenheit, die aus der Grundkonstellation von Stall und Krippengeburt heraus nicht zu erwarten wäre. Das beschränkt Lokale, das Heimliche, das Anheimelnde – jene Konzentration auf den einen Ort, den wir in unserem Weihnachtsfest so innig nacherleben, wird durch das Eintreffen der Weisen aus dem Morgenland und ihre „Anbetung“ unerwartet, ja sogar plötzlich ins Weltweite hin geöffnet.

Das bedeutet nicht, daß nun das Geschehen im Stall von Bethlehem seine Geschlossenheit verlieren würde. Es kann, wenn man so will, bei der Intimität der Krippe bleiben. Aber es kommt durch die Erzählung eine Horizonterweiterung hinzu. Das christliche Ursprungsfest ist eben sowohl ein Moment besonderer Konzentration wie auch des Bezuges zum Anderen. Hierin sehe ich den Sinn und den Gehalt der Erzählung, und es ist gut, wenn wir uns in diesem Gottesdienst daran auch ausdrücklich erinnern.

Auch unsere gottesdienstlichen Feiern sind ja Momente der religiösen Konzentration. Aber sie sollen eben auch einen Bezug zur Welt um uns her haben. Sie sollen eine Dimension des Offenen aufweisen und uns für den Weg in und durch die Welt stärken. So wie die drei Weisen durch ihr Auftauchen in Bethlehem zu ganz frühen Weggefährten Jesu geworden sind, können sie uns daran erinnern, daß auch wir niemals anders Weggefährten Jesu sein können denn als Bürger und Einwohner dieser Welt.

III.

Der christliche Glaube ist seiner Natur nach offen und weitherzig. Anders sollte man auch die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen nicht verstehen, von denen in der Erzählung die Rede ist. Wenn es heißt, daß die Weisen erklären, sie hätten „den Stern des neugeborenen Königs der Juden im Morgenland gesehen“, so bezieht sich das auf jenes Wort aus dem vierten Buch Mose: „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn aber nicht von nahe. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen […]“ (4. Mos 24, 17). Die Geschenke der Weisen sind Zeugnisse dafür, daß Jesus tatsächlich der Messias ist. Auch sie beziehen sich auf alttestamentliche Motive. So heißt es bei Jesaja: „Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold und verkünden die ruhmreichen Taten des Herrn“ (Jes 60, 6). Gold als Gabe finden wir auch in Psalm 72 (Verse 10 bis 15), und Myrrhe und Weihrauch „umwölken“ die Szenerie im Hohenlied (3, 6). Ganz ausdrücklich läßt dann aber der Evangelist vor allem die Aussage des Propheten Micha in Erfüllung gehen: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir kommen, der in Israel HERR sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist“ (Mi 5, 1). Auch an der immerhin nicht unbedeutenden Veränderung des ursprünglichen Prophetenwortes sollte man keinen Anstoß nehmen; sie ergibt sich aus der im Glauben erkannten Erfüllung jener Verheißung gleichsam von selbst und erweist umgekehrt die produktive Kraft des Alten Testamentes für die Bildung neutestamentlicher und nachneutestamentlicher Legenden.

Religionen sind bewegliche Gebilde. Das gilt für das Christentum genauso wie für das Judentum, und zwar in allen ihren konfessionellen Ausprägungen. Religion ist gestaltetes Gottesvertrauen. Ob wir wollen oder nicht, so sind doch auch wir hineingestellt in die lebendige Bewegung des Glaubens. Die Art und Weise, wie wir heute und hier Christen sind, wie wir uns das christliche Bekenntnis zueigen gemacht haben und es in unserem Leben wirklich werden lassen, ist die Wirklichkeit des Christentums an sich. Es gibt keine abstrakte, dogmatisch richtige oder irgendwie sonst verbindliche Form des christlichen Glaubens, an die man sich als Gläubiger annähern müßte, um im vollen Sinne als Christ gelten zu können. Sind nicht die Weisen aus dem Morgenland wahrhaftige Zeugen Jesu gewesen? Und das, obwohl für sie, diese gottesfürchtigen Heiden, ja nun wohl von einer kirchlichen Frömmigkeit keinesfalls die Rede sein kann.

Lassen Sie uns die Erzählung in diesem Sinne auffassen. Sie kann uns ermutigen, den Weg des Glaubens als lebendige Menschen zu gehen, lebendig in jeder denkbaren Hinsicht, mit dem ganzen Geist, dem ganzen Leib, der ganzen Fülle, die uns gegeben ist, als die irdischen Wesen und Geschöpfe Gottes, die wir sind.

Amen.

Verwendete Literatur:

Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband: Mt 1 – 7 (Evangelisch-Katholischer Kommentar. Band I / 1). Dritte, durchgesehene Auflage, Zürich und Neukirchen-Vluyn 1992 (hier auch zum komplexen exegetischen Befund hinsichtlich der Wortlautveränderung von Mi 5, 1; siehe Seite 113f.).

Edzard Schaper: Der vierte König. Ein Roman, Köln 1961.

 

Perikope
06.01.2015
2,1-12

Predigt zu Matthäus 2,1-12 von Axel Denecke

Predigt zu Matthäus 2,1-12 von Axel Denecke
2,1-12

1.

Die drei „Weisen“ (volkstümlich „Könige“ aus dem „Morgenlande“ als Licht-Bringer zum Epiphaniasfest. Eine ganz bekannte Erzählung –jeder kennt sie- mit einer ganz unbekannten Entstehungsgeschichte. Die klugen Bibelforscher sind sich ganz uneinig, wie diese legendenhafte Erzählung entstanden ist, wie sie in die Bibel (nur Matthäus berichtet davon) hineingelangt ist und vor allem: Was sie bedeuten soll. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ hat einmal ein sonst sehr kluger Ausleger offen und ehrlich gesagt: Ja, was soll es bedeuten?

Volkstümlich ist das ganz klar. Die „Sternensänger“ ziehen wieder umher, in diesem Jahr von Paderborn, dieser ehemals (doch auch jetzt noch?) erzkatholischen Enklave ausgesandt, und sammeln sozial kirchlich abgesegnet gute Gaben ein. „Caspar, Melchior und Balthasar“ ziehen als  kleine „heilige Drei Könige“ von Haus zu Haus, bringen eine Segensrune an der Haustür an und sammeln für einen wirklich guten Zweck für die  immer noch dritte Welt, aus der diese Könige einst stammen sollen. Sie kamen ja von weit her, um das Kind im Stall anzubeten. Volkstümlich also ganz klar und ich hab sogar den Eindruck: Diese schöne alte Sitte wird von Jahr zu Jahr populärer. „Licht-Bringer“ sind die drei Könige, bringen zu Epiphanias etwas Licht in unsere meist recht dunkle Welt. Etwas Licht immerhin. Schön so.

2.

Doch der Ursprung dieser Geschichte liegt ganz im Dunkeln und wir haben –leider?- den ursprünglichen Sinn noch nicht recht herausgefunden. Die Bibelforscher –ich sagte es schon- rätseln darüber. Warum nur bei Matthäus? Warum so unvorbereitet und auch ohne Nachbereitung in die Bibel aufgenommen? Kein Bereicht der Bibel nimmt noch einmal darauf Bezug. In der Bibel sind es „Magier“, also „Sterndeuter, Astrologen“, weise Männer, die mehr sehen und wissen als andere. Später wurden „Könige“ daraus? Warum? Weil sie –so die Erzählung- spornstracks zum König Herodes ziehen, um den neugeborenen Messais dort zu finden? Und wie wurden sie zu Caspar, Melchior und Balthasar? Und wie kommen sie dazu, auf einmal zu träumen, nicht zu Herodes zurück zu kehren? Haben sie das später selbst anderen erzählt? Ach, so viel Fragen, allzu viele, wenn sich historischen Erinnerungsschnipsel mit legendären Ausmalung verbinden.

Ich hab selbst als lang geübter Prediger über diese Geschichte noch kaum nachgedacht, hab sie auch nicht sonderlich ernst genommen. Erst jetzt bin  ich darauf gestoßen worden und will nun versuchen, einen guten Sinn für uns heute zu finden, damit das Ganze für uns auch einmal eine innere Bedeutung erhalten kann. Finden will ich die Deutung, nicht erfinden, finden will ich sie nach den Angaben des Schreibens dieser Erzählung.

3.

Drei „Magier“ waren es (so die Bezeichnung sowohl im griechischen wie lateinischen Text), die da, von einem Stern geleitet, den „Messias“ der Welt suchten. „Magier“ waren im alten Orient auch „Astrologen“, also „Sterndeuter“, man kann sie zu Recht auch als „Weise“ bezeichnen. Denn sie sehen mehr als andere, sie sehen innere Geheimnisse. Sie sehen höher und tiefer, sie sehen nicht nur das Äußere, und wenn sie auch zunächst das Äußere sehen –sie verirrten sich ja zunächst nach Jerusalem zum König- so werden sie doch dann nach Innen geleitet, durch Visionen, durch Träume, durch eine innere Schau. Kein Zufall, dass Sie durch einen Traum auf den richtigen Weg geleitet werden. Vielleicht sind sie ja nicht nur „Sterndeuter“, sondern auch „Traumdeuter“ wie der alte Joseph im erste Mose-Buch, wie der junge Joseph, Vater von Jesus, wie viele andere prophetische Gestalten der Bibel, uns meisten weit voraus. Nicht im äußeren Wissen, sondern im inneren Sehen, im Schauen einer Welt, die wir alle leicht zu übersehen geneigt sind. Vielleicht, sagte ich. Vorerst nur eine Vermutung.

Aus dem „Morgenlande“ kommen sie, heißt es. Also aus einem fremden Lande, wohl geheimnisvoll. Im griechischen Texte heißt weniger geheimnisvoll einfach „Anatolien“. Kennen wir, gibt es auch noch heute: Jedenfalls kommen sie aus dem Ausland. Keine Einheimischen sind es. Fremde, Fremdlinge, also Ausländer,  vielleicht gar haben sie eine andere Religion oder auch gar keine, sind nach den Maßstäben Israels „Heiden“ Vielleicht, sage ich wieder. Vorerst nur Mutmaßungen.

4.

Merkwürdig das Ganze. Warum nur wird davon wie so zufällig, ohne Vor- und Nachbetrachtung in der Bibel berichtet? Was soll das? Und es geht ja noch weiter. Die drei Männer (es waren wohl Männer, oder?) ziehen zunächst nach Jerusalem, ins helle und durchaus auch strahlende Zentrum des Ganzen. Zum König Herodes. Ist so üblich. Da erwartet man das neue Licht, da soll der Stern aufgehen. Wo denn auch sonst?  Da sind sie, diese weisen Magier, ganz von dieser Welt, da sind sie ganz unweise und ohne Sinn für die Magie. Sind also keine Dauerweisen mit magischen Zauberkräften. Fallen wie wir alle herein auf den äußeren Schein, auf die „normenbildende Kraft des Faktischen“. Von Jerusalem natürlich, vom König natürlich muss der neue Stern ausgehen. Wenn es einen Messias, einen Retter der Welt gibt, dann eben von dort. Nun ja, ich will das gar nicht weiter ausziehen und auf heute übertragen. Es gehört nur wenig Phantasie dazu, dies mit unserer heutigen online-Kultur in Verbindung zu bringen.

Doch dann werden sie eben umgeleitet. Müssen äußerlich umdenken, innerlich umkehren. Wie das ja auch bei uns selbst, unsere Mitte finden wollen. Da gibt es äußerlich Umwege, auch Irrwege, innerlich eine Umkehr, Neuorientierung.  Ins armselige Bethlehem werden sie  also vom Stern geleitet.   Äußerlich werden sie geleitet ins Abseitig-Enge, ins verlassen Dunkle. „Das Licht scheint in der Finsternis“, dieser geheimnisvolle Satz des Johannes leuchtet von Ferne auf. Bethlehem, damals wirklich ein armseliger Ort, vielleicht aber auch arm und  selig, wer weiß. Und sie kommen hin, finden das Kind, fallen nieder, beten an, breiten ihre Schätze vor dem Kind aus, innere Schätze denke ich, auch wenn  es mit Gold, Weihrauch und Myrrhe äußerlich verklärt wird, innere Schätze, ihr Leben, ihre Weisheit, ihren Glauben – Magier und Sterndeuter und Traumkenner und Propheten und Weise und Lebenskünstler, die sie sind. Sie haben ihr Ziel gefunden, Ziel ihres magischen Lebens. Und im Traum wird ihnen bewusst, das war es also. Mehr brauchen wir nicht. Nicht wieder zurück zum Strahle-König Herodes, denn wir haben ja das Licht gesehen, das innere Licht, unser inneres Licht. Epiphanias ist für uns, für uns und für jeden, der sich auf diesen Weg macht.

5.

Also wunderbar. Schon bin ich dabei, das Ganze auch auf mich, auf uns zu übertragen. Schon bin ich dabei, eine Antwort auf meine Eingangsfrage zu erhaschen, ja gar zu finden. Man muss schon weise sein, weise geworden sein (von Magier und Magie will ich hier gar nicht sprechen), man  muss schon hinter die äußeren Dinge schauen, man muss von innen sehen gelernt haben, um das „Licht des Lebens“ zu finden. Ist nicht leicht, man ist zu schnell vom äußeren Glanz geblendet, verirrt sich zu schnell nach all den Jerusalems unserer Erde. Der Abend- und Morgenstern unseres Lebens er blendet nicht, ist auch manchmal verdunkelt, man muss schon genau und geduldig und beständig hinschauen, um ihn zu sehen. Vielleicht muss man gar angeln mit Geduld, um ihn im dunkle Brunnen zu entdecken, tief unten, wo ihn keiner vermutet. „Am Brunnenhand hocken – entsunkenes Licht zu angeln – mit Geduld“ hat einst Pablo Neruda, auch ein weiser Mann, vielleicht gar Sterndeuter, gedichtet. Ja, es gibt diese weisen Menschen (Männer und Frauen), diese Sterndeuter, diese Traumkenner, diese Lebenspropheten auch noch heute. Wir sind umgeben von ihnen, wenn wir nur nicht ständig auf unsere großen Jerusalems starren und uns von seinem gleißenden Licht blenden lassen. Ja, es gibt sie auch noch heute, mitten  unter uns, vielleicht gehören wir gar selbst dazu.

6.

Und daher meine ich: Matthäus (oder wer auch immer) hat ganz bewusst diese merkwürdige Geschichte in sein Evangelium eingeschoben. Um Gott in seinem Leben zu finden, muss man wie diese drei unbeirrt auf die Suche gehen, von weit her, muss man ein Weiser sein, muss man nach innen schauen, nach innen in sich hinein, nach innen in diese Welt, muss man quasi die ganze Welt von innen sehen. Und dann landet man eben nicht in Jerusalem, sondern in Bethlehem. Dann geht einem ein Licht auf gerade im Dunkeln, in den dunkelsten Stunden des Lebens. Dann wird es auf einmal hell, unser Leben wird neu erleuchtet und erscheint im rechten Licht. Epiphanias. Gott erscheint uns, erscheint in uns. Ich denke, das wollte Matthäus (oder wer auch immer) seinen Leuten damals und uns heute einschärfen.

Machts in eurem Leben so wie die drei magischen Weisen, diese drei Männer, die nach innen schauten, auf ihre Träume hörten, ihren Stern suchten, gerade ihren Sten und ihn richtig deuten. Machts wie sie – und ihr findet nicht nur das Kind, das später Messias genannt wurde, sondern ihr findet euch selbst, das Innerste von euch, das wahrste, findet gar Gott in euch.  Und Gold, Weihrauch und Myrrhe sind dann äußere Symbole für den inneren Reichtum, der in euch ruht.  Der schon von Ur an ruht, vielleicht im Dunkeln in euch verborgen ist, den ihr aber wieder ans Licht bringen könnt, „entsunkenes Licht zu angeln mit Geduld“ … wie diese drei weisen Männer, mythologisch fern aus uralten Tagen … wie ihr im Tiefsten weise Frauen und Männer heute, die ihr –ihr glaubt es ja kaum- tatsächlich weise seid, reich an Gold, Weihrauch und Myrrhe.

 

Perikope
06.01.2015
2,1-12

Hin-Weise zum Nachgehen - Predigt zu Matthäus 2,1-12 von Thomas Ammermann

Hin-Weise zum Nachgehen - Predigt zu Matthäus 2,1-12 von Thomas Ammermann
2,1-12

HIN-WEISE ZUM NACHGEHEN

Hören Sie zum heutigen Epiphanias-Tag erst einmal die Legende von den drei Weisen aus dem Morgenland...

1) Als Jesus in Bethlehem in Judäa geboren war, zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und fragten: 2) Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, um ihn anzubeten. 3) Als das König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, 4) und er ließ alle Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und fragte sie aus, wo der Christus geboren werden sollte. 5) Und sie antworteten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht´s durch den Propheten geschrieben (Micha 5, 1): 6) “Und du, Bethlehem im jüdischen Land, bist keineswegs die kleinste unter den Fürstenstädten in Juda; denn aus dir wird der Fürst kommen, der mein Volk Israel weiden soll.” 7) Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundigte sich genau bei ihnen, wann der Stern erschienen wäre, 8) und schickte sie nach Bethlehem und sagte: Geht dort hin und erkundigt euch genau nach dem Kind; und wenn ihr´s findet, so sagt mir´s wieder, dass auch ich hingehen und es anbeten kann. 9) Als sie nun den König gehört hatten, machten sie sich auf. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, zog vor ihnen her, bis er über der Stelle stand, wo das Kind war. 10) Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut, 11) gingen in das Haus und fanden das Kind mit Maria, seiner Mutter, fielen nieder und beteten es an, öffneten ihre Schätze und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. 12) Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.

Liebe Gemeinde! Eine schöne Geschichte ist das. Eine Parabel um Weisheit und Dummheit, um das richtige Fragen nach Gott und viele falsche Sorgen um die Macht. Als erstes fällt mir zu diesem Thema ein kleiner Vierzeiler ein:

Es gibt nicht allzu viele Weisen,
sich als ein Weiser zu erweisen.
Hingegen gibt´s im Weltgedränge
vielfält´ger Einfalt eine Menge!

Weisesein bedeutet ja nicht unbedingt: Viel zu wissen und auf alles eine Antwort zu haben. Vielmehr kennzeichnet einen Weisen seine Bereitschaft, sich von dem, was er erfährt, zu richtigem Fragen bewegen zu lassen - besser: Die eigenen Fragen an die richtige, nämlich an höhere Stelle zu richten - und sich nach dem, was er von da zu hören bekommt, dann auch selber zu richten, sich verändern, erneuern, gegebenenfalls zum Gehorsam bringen zu lassen. In diesem Sinne mag es zwar viele verschiedene kluge Leute geben, aber es ist immer wieder nur dieselbe eine Weise, in der sie weise werden: Indem sie nämlich ihre Fragen an Gott richten, indem sie nach Gott selber fragen.

Solches taten auch die berühmten “Weisen aus dem Morgenland”. - Das werden auch ziemlich verschiedene Leute gewesen sein. (Zu Recht werden sie - in frommen Geschichten und Krippenspielen - meist als etwas exotische Individualisten dargestellt.) Matthäus meinte mit diesen Gestalten eigentlich so etwas wie Seher, Zauberer und Sterndeuter. Die drei “Weisen aus dem Morgenland”, das waren schlicht drei Astrologen ihrer Zeit.

Nun liegt uns Christen zumeist nicht soviel an der Astrologie. Sie weckt unser berechtigtes Misstrauen. Und doch ist es schon angemessen, bei diesen Dreien von Weisen zu sprechen. Nicht weil sie selbst etwa so eine bewundernswerte Fähigkeit gehabt hätten, die Sterne zu betrachten und die Zukunft (richtig) daraus zu deuten, sondern weil sie in ihrer Eigenschaft als Sterngucker buchstäblich “über sich selbst hinaus” zu blicken trachteten.

Nur so konnten sie nämlich erkennen, dass die Stunde des Gottessohnes gekommen war. „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, um ihn anzubeten“ - so äußerten sie sich gegenüber Herodes.

Drei kluge Köpfe also, die es beizeiten verstanden hatten, von sich selbst ab- und über sich (will heißen über den eigenen Tellerrand) hinauszusehen, hatten begriffen, dass “der Stern des wahren Herrschers ” aufgegangen war, dass seine Zeit begonnen hat. Und sie sind aufgebrochen, um ihm ihre Referenz zu erweisen. Nicht also, weil sie irgendwelche “höheren Fähigkeiten” besessen hätten, sondern weil sie es verstanden hatten, über sich selbst und ihre eigenen, wirklichen oder vermeintlichen, menschlichen Qualitäten hinweg zu sehen und nach Höherem Ausschau zu halten, nach Gott selbst zu suchen, um IHN dann auch in der Niedrigkeit des Kindes auf-zusuchen und anzubeten, deshalb verdienen sie es, im christlichen Sinne “weise” genannt zu werden.

Und nun wird uns auch klar, was aus christlicher Sicht das Gegenteil der Weisheit, was Dummheit ist: Nämlich die Nichtbereitschaft dazu, auch nur die kleinste Veränderung des Vertrauten und Gewohnten zuzulassen. Dummheit ist ein Begriff für die Unfähigkeit von Menschen, hinauszublicken über sich selbst, über ihren begrenzten Horizont des Vertrauten, in welchem sie sich auskennen, wo sie selbst die Lage beherrschen.

„Als das König Herodes (der Be-Herrscher des Landes) hörte”, heißt es, “erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, und er ließ alle Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und fragte sie aus, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie antworteten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht´s durch den Propheten geschrieben (Micha 5, 1): Und du, Bethlehem im jüdischen Land, bist keineswegs die kleinste unter den Fürstenstädten in Juda; denn aus dir wird der Fürst kommen, der mein Volk Israel weiden soll.”

Die Hohepriester und Schriftgelehrten, das waren ohne Zweifel gebildete Leute. Sie hatten die Quellen studiert, jene alten Weissagungen über die Herkunft des Christus, den Fürsten des kommenden Gottesreiches. Damit wussten sie weit mehr, als die “Weisen” aus der orientalischen Ferne. Diese hatten sich ja in ihrer diesbezüglichen Unbildung dadurch „geoutet“, dass sie in Jerusalem erst nach dem richtigen Weg fragen mussten. Und doch blieben Herodes und seine Gelehrten „die Dummen“. Denn ihnen war es trotz aller klugen Traditionspflege nicht möglich gewesen, ihrerseits die Zeichen der neuen Zeit zu erkennen und danach zu handeln. Denn sie fürchteten sich davor. Der ganze mächtige und fromme Hofstaat wollte im Grunde nichts mit Gott und seiner verändernden Macht zu tun bekommen. „...Als das König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem...“

Der große Mann hatte Angst bekommen vor dem, der hier von fremden Sterndeutern als “neuer König der Juden” genannt worden war. Er fürchtete schlicht um seine gewohnte Macht als Herrscher über Judäa und andere Gebiete des alten Israel, um seine Autorität als einer beherrschenden Instanz im Nahen Osten. Von der konnte und mochte er  nicht absehen. Alles was Herodes sah, waren seine eigenen Interessen, seine Machtinteressen. Die sah er gefährdet. Das Wort “neuer König” konnte er nur als Bedrohung seiner bestehenden Würde verstehen.

Ganz gleich, ob er ein gebildeter Mann war oder nicht und auch unerachtet der Frage, ob Herodes durch die Person Jesu Christi und ihre Bedeutung für Gottes Herrschaft auf der Welt wirklich um seine weltliche Herrschermacht hätte fürchten müssen, eines wird an seinem Verhalten deutlich: Er vermochte nicht, von sich selbst und den “nationalen Interessen” – anderes Wort für seine eigenen Machtinteressen - abzusehen und über sich hinaus zu blicken. Über sich duldeten der König und seine geistlichen Berater nämlich keinen Menschen - auch und schon gar nicht Gott als Mensch. Nichts durfte sich für sie ändern, nichts durfte geschehen, was sie hätte veranlassen können, sich selbst zu ändern...! - Das ist das Gegenteil von Weisheit.

Und das ist es auch, was bis heute die Mächtigen mit den Dummen dieser Welt gemein haben: Sie fürchten jede wirkliche Veränderung – vor allem eine, die sie selbst betrifft...

Entsprechend musste das ängstliche Interesse des Königs Herodes darin bestehen, alles zu verhindern, was hier nur nach Veränderung roch.

...Und nur bloß nicht über die Rechte jener nachdenken, die diese Veränderung brauchen, die sich sehnen nach dem echten „Frühling in der Region“...!

Der Angst entspringen Ignoranz, Egoismus, Bosheit und Brutalität!

Sie alle wissen, wie die Geschichte weiterging: Herodes verstieg sich bis zum grauenvollen Mord aller männlichen Neugeborenen in Bethlehem. Das Macht-volle Gesetz blinder Selbstsucht: Furcht verlangt Fürchterliches - heute noch nicht anders, nicht selten sogar schlimmer, als damals.

Zum “Seher” im Sinne der Weisen kann indes nur einer werden, der frei wird von Angst um das eigene Wohl und Wehe - auch in geistlicher Hinsicht -, der über sich hinausblickt, der sich ohne Furcht umschaut in der Welt und nach anderem sucht, nach dem Niedrigen vor allem, in welchem Gott sich finden lässt.

Genau dazu will uns dieser Text ermutigen: Wie die Weisen aus dem Morgenland zu werden, die ihre angestammte Heimat verließen, weil sie nach Gott fragten und die sich jenseits aller vertrauten Geleise führen ließen, mitten hinein in die Niedrigkeit jenes Kindes in der Krippe um dort IHN anzubeten…

Liebe Gemeinde! Solch teuflische Dummheit, wie wir sie in Gestalt jenes buchstäblich „Furcht“-bar erschrockenen Herodes kennen gelernt hatten, verhinderte nicht, dass dieser sich auf eine eigene Art auch listig verhalten konnte. „...Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundigte sich genau bei ihnen, wann der Stern erschienen wäre,“ erzählt Matthäus „und schickte sie nach Bethlehem und sagte: Geht dort hin und erkundigt euch genau nach dem Kind; und wenn ihr´s findet, so sagt mir´s wieder, dass auch ich hingehen und es anbeten kann.“ - Das kennen wir alle nur zu gut: Dass man uns freundlich kommt, charmant und sogar schmeichlerisch, Interesse heuchelt... “wie schön, dass Sie sich so einsetzen für das Gute und notwendige Reformen…” – Doch insgeheim überlegt man, wie man das verhindern, die Entwicklungen bremsen kann, aus Angst um die eigene Machtposition und ihre Privilegien…

Gott aber lässt sich nicht überlisten:

„Gott befahl ihnen (den Weisen) im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.“

Und die Moral aus der Geschichte: Wer nur nach Gott fragt, um Beruhigung seiner Seele zu erlangen, ansonsten aber alles beim Alten lassen will, der hat keine Chance, zum Ziel seiner Bemühungen zu gelangen, denn er sucht ja in Wirklichkeit nicht Gott, sondern seine eigene Gott-lose Ruhe. Und so etwas kann es nicht geben!

Man kann sich - wie Herodes von seinen Beratern - einiges über Gott sagen lassen, aber wenn man nicht bereit ist, sich von ihm selbst reinreden zu lassen, macht einen das nicht klüger. Und auch nicht ruhiger. (Die Erfolglosigkeit des Kindermordes sagt einiges aus über die grauenvolle Sinnlosigkeit auch der machtvollsten Bemühungen, den eigenen Frieden zu finden ohne nach den Menschen zu fragen, um die es Gott geht. Und auch darüber, in welchem Fiasko es enden muss, wenn die Mächtigen den Frieden zu schaffen oder zu erhalten trachten ohne danach zu fragen, was Gott darunter versteht…)

Das ist es, was Matthäus uns hier sagen will. Nein, was Matthäus uns hier sagen will, ist etwas anderes, besser, die andere Seite jener Warnung an die Mächtigen und Selbstgefälligen: Seid getrost, ihr, die ihr im Ernst nach Gott und den Menschen fragt und nur vielleicht noch nicht recht wisst, wo ihr suchen sollt. Denn Gott wird sich von euch finden lassen – wie damals, so auch heute bei den Menschen, die eure Zuwendung brauchen.

Habt dabei keine Angst, auch einmal die vertrauten Bahnen zu verlassen, schaut euch nur ganz frei in der Welt um. Ihr werdet euch nicht in ihr verlieren, auch wenn ihr nur wenig Ahnung davon habt, was hier eigentlich gespielt wird, denn Gott führt euch längst auf seinem Weg, auch wenn ihr noch nichts davon wisst.

In jedem Falle aber seid ihr schon einmal gut beraten, wenn ihr eurerseits nach den Verlorenen schaut, nach denen, die unter uns fremd oder fremd geworden sind, heimatlos in unserer doch in mancher Beziehung befremdlichen Gesellschaft: Nach den Flüchtlingen aus fernen Ländern natürlich, die bei uns Zuflucht suchen, aber auch nach Menschen, die unter uns in anderer Weise von einem Schicksal verfolgt sind, dem sie nicht entfliehen können, gefesselt in Krankenbetten, einsamen Erinnerungen oder persönlicher Schuld. Nach denen, die nicht genug Geld haben, um ihren Kindern zu ermöglichen, was für uns lange selbstverständlich ist... Nach allen, die keine Lobby haben – im Stadtrat, auf den Ämtern, im Kulturbetrieb oder auch in der Kirchengemeinde!

Habt keine Furcht, dass ihre Bedürftigkeit oder gar Hilflosigkeit euch überfordern könnte, sondern fragt ihre Fragen, leidet ihre Ängste und hört ihnen zu. Reden ist Silber, Hören ist Gold. Allem voran aber - wenn ihr könnt - versucht, ihnen ernsthafte Beachtung zu schenken. Das wirkt unter den Menschen wie Weihrauch und Myrrhe.

Die Weisen aus dem Morgenland, „als sie nun den König gehört hatten, machten sich auf. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, zog vor ihnen her, bis er über der Stelle stand, wo das Kind war.

Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut, gingen in das Haus und fanden...!“

Erinnern wir uns: Weisesein bedeutet nicht unbedingt viel zu wissen und auf alles eine Antwort zu haben – etwa auf die vielen Fragen in Bezug auf die sozialen Probleme unserer Zeit. Schon gar nicht auf Fragen des Glaubens und in Sachen “Sinn des Lebens”. Aber den wahren Weisen kennzeichnet seine Bereitschaft, sich von dem, was er erfährt, zu richtigem Fragen bewegen zu lassen. Besser: Die eigenen Fragen an die richtige, höhere, Stelle zu richten, im Wortsinn “über sich selbst hinaus zu blicken” und “zu hören” - und sich nach dem, was er von da zu hören bekommt, dann auch selber zu richten, sich verändern, erneuern, gegebenenfalls zu wirklichem Ge-hör-sam zurechtbringen zu lassen.

Nicht nur für, sondern mit den Schwachen, den Bedürftigen und den Erniedrigten zusammen sollen wir nach Trost suchen. Auch und gerade, wenn wir selbst nicht recht wissen, wie wir weiterkommen können. Denn der Gott, der sich entäußerte, der selbst über sich hinaus-, der über sein eigenes Gottsein hinwegsah, um in aller Niedrigkeit ein Mensch zu werden, dieser Gott steht auf vertrautem Fuße mit allen, denen ihr Leben in der Welt der Mächtigen und Erfolgreichen fremd geworden ist und die sich nach jener Veränderung sehnen, die im Herzen beginnt.

Und ganz sicher lässt er sich auch heute nicht anders als in aller Niedrigkeit, bei den Machtlosen sowie den Niedrigen und Entwurzelten und mit ihnen zusammen, finden. Dadurch wird alles anders, glauben sie mir.

Und wie einst die Weisen, werden auch wir “den Stern sehen” und “hoch erfreut werden”.  „Gott befahl ihnen (den Sterndeutern) im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren”. Da „zogen (sie) auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.“

Ja, die klugen Traum-Seher dachten nicht im Traum daran, an den Hof des Herodes zurückzukehren und den selbstherrlichen Macht-Träumen rücksichtslos von sich besessener Menschen zu dienen. Sie zogen einfach auf einem anderen Weg heim. Man kann auch sagen: Sie haben einen neuen Weg für ihr Leben gefunden. Den einzigen Weg. Den mit Gott!

Sie waren eben wirklich weise. Und wir wissen ja, was das heißt:

Es gibt nicht allzu viele Weisen,
sich als ein Weiser zu erweisen.
Doch klug ist es, in allen Stücken

nach Gottes Stern sich tief zu bücken!

In diesem Sinne gehen nun auch Sie Ihren weiteren, vielleicht sogar einen neuen Weg „zurück in Ihr Land“ mit Gott!

AMEN

 

Perikope
06.01.2015
2,1-12

Predigt zu Matthäus 3,13–17 von Gerda Altpeter

Predigt zu Matthäus 3,13–17 von Gerda Altpeter
3,13-17

13. Dann kam Jesus aus Galiläa zum Jordan

wegen Johannes, damit er ihn taufe.
14. Dieser widersprach und sagte:
Ich müsste von dir getauft werden.
Und du kommst zu mir?“
15. Jesus antwortete und sagte zu ihm:
„Jetzt muss es geschehen,
denn so ist es angemessen
alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“
Dann gab Johannes nach.
16. Er taufte Jesus sofort
und ging hinauf vom Wasser..
Und siehe, der Geist Gottes stieg hinab
wie eine Taube.
17. Sie kam zu ihm.
Und siehe, eine Stimme vom Himmel sagte:
„Dieser ist mein geliebter Sohn.
An ihm habe ich Gefallen.“

Epiphanias heisst Licht. Es soll hell werden in uns und um uns. Wir sollen erkennen, worauf es ankommt. Wir sollen erkennen, was in der heiligen Nacht geschehen ist. Da ist ein Licht aufgegangen, ein leuchtendes Licht. Der Erlöser ist geboren. Von jetzt an brauchen wir nicht mehr im Dunklen zu tappen.

Da fällt mir ein, wie es im September 1944 war. Mein Vater war abtransportiert worden. Dann sollte ich auch abtransportiert werden. Der Personalchef der Firma Th. Goldschmidt AG., in der ich als Hilfsarbeiterin im Labor tätig war, liess mich rufen und erklärte, dass ich sofort zu meinem Hausarzt gehen solle. Ich dürfe nicht mehr in das Labor zurückkehren um meine Sachen zu holen.

Der Hausarzt erklärte mir, dass ich weg müsse. Er stellte mir einen Krankenschein aus und eine Genehmigung, einen Zug zu benutzen nach Bad Salzuflen, da ich eine Hormonstörung hätte. Ich reiste sofort ab mit meiner Mutter. Der ältere Bruder meiner Mutter nahm uns in Hiddesen auf. Dort erhielten wir einen Brief meines Vaters, dass er in Vorwohle sei in einer Scheune mit 100 Anderen. Wir wollten ihn besuchen. Morgens um 5 Uhr liefen wir durch den dunklen Wald von Hiddesen nach Detmold zum Bahnhof. Wir tappten den Weg entlang. Dunkle Wolken bedeckten den Himmel. Es war schaurig dunkel.

Endlich erreichten wir den Bahnhof. Wir kamen nach Vorwohle. Wir wussten nicht wohin. Wir liefen zum Bahnhofsrestaurant um eine Tasse Kaffee zu trinken.

Da sass mein Vater mit einem jungen Ehepaar. Sie hatten die Erlaubnis bekommen, aus Stadtoldendorf Medikamente zu holen für Prof. Dr. Strauss, den international bekannten Erfinder von V2A, der in der Scheune Lungenentzündung bekommen hatte.

Wir waren froh. Wir holten in der Stadt Medikamente, assen in einem guten Hotel und trennten uns. Prof. Dr. Strauss ist dann gestorben. Er mochte nicht mehr leben in einem Staat, der so mit ihm umging.

Die Familie kam durch. Als die Amerikaner das Ruhrgebiet besetzten kamen langsam alle wieder zusammen. Weihnachten 1945 gingen wir zum Gottesdienst. Die Marktkirche war zerstört. Die Gemeinde traf sich im Keller des Weiglehauses. Wir standen dicht an dicht. Dankbar erklang der Gesang:

Welt ging verloren.
Christ ist geboren.
Freue dich, o, Christenheit!

Der Heiland hat uns das Licht der Freiheit gebracht. Wir sind nicht mehr von Gott entfernt. Wir sind seine Kinder, Schwestern und Brüder Jesu. Wir sind erlöst. Dankbar dürfen wir es bekennen.

Wie sieht es heute aus? Die Kirchen sind leer. Die Leute sind gestresst. Sie gehen lieber in die freie Natur. Dort können sie zu sich kommen. Dort erholen sie sich.

Mein Vater schrieb 1942:

Die Kirchen sind jetzt überfüllt;
denn Krieg und Notzeit drücken sehr.
Wenn uns der Überfluss umhüllt,
dann sind die Kirchen wieder leer.

So ist das. Wer denkt noch heute an den Krieg vor 60 Jahren? Das haben wir vergessen. Heute haben wir Frieden. Heute geht es uns gut. Wir haben reichlich Arbeit und Verdienst. Es ist fast zu viel. Wir kommen kaum nach. Für den Gottesdienst ist weder Zeit noch Kraft da. Dort hören wir sein Wort. Dort begehen wir Epiphanias. Dort lesen wir von der Taufe Jesu durch Johannes am Jordan. Dort geschah es, dass der Geist Gottes wie eine Taube vom Himmel kam. Dort erklärte Gott, dass Jesus sein geliebter Sohn sei. Dort erfahren wir von der grossen Liebe unseres Schöpfers. Sie erfüllt unser Herz. Wir dürfen sie weitergeben. Wir sorgen für Frieden, Frieden mit uns selbst und Frieden mit unseren Mitmenschen.

Wie schön leuchtet der Morgenstern
voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn,
die süsse Wurzel Jesse.
Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
mein König und mein Bräutigam,
hast mir mein Herz besessen.
Nimm mich freundlich
in die Arme und erbarme
dich in Gnaden;
auf dein Wort komm ich geladen.

Perikope
11.01.2015
3,13-17

Predigt zu Matthäus 1,18-21 von Esther Kuhn-Luz

Predigt zu Matthäus 1,18-21 von Esther Kuhn-Luz
1,18-21

Liebe Gemeinde,

Weihnachten ist Familienzeit. Die Familie spielt eine große Rolle an Weihnachten – man besucht die Eltern, die Geschwister, Tanten und Onkel – die eigenen Kinder sind da – ob sie nun klein sind oder schon selber erwachsenen. Selbst Menschen, die mit Weihnachten nicht so viel anfangen können, erinnern sich an die gemütliche Stimmung zuhause – als der Tannenbaum geschmückt wurde, überall Kerzen brannten, es einfach festlich war… vielleicht sogar Weihnachtslieder gesungen wurden… die Weihnachtsgeschichte vor gelesen wurde… und – ja, na klar, die Geschenke…

„ Was machst du an Weihnachten?“ „Ich besuche erst die eine Verwandtschaft, dann die andere…“ – so antworten viele.

Es gibt eine große Sehnsucht an Weihnachten, dass Familie gelingt – und da gibt es ja auch wunderschöne Momente. Die Hoffnung,  nach den ganzen Anstrengungen der Vorbereitungen miteinander entspannt zu sein, Zeit füreinander zu haben – lecker zu essen – von Lebkuchen bis Klößen mit Rotkraut…und vielleicht mit einer Ente – natürlich aus regionaler Herkunft…

Weihnachten – das Fest der Erwartungen, dass Familie gelingt. Unnd dann machen wir immer wieder Erfahrungen, wie sehr diese Erwartungen enttäuscht werden. Eine junge Frau erzählte mir von ihrem Familienweihnacht.  Ihr Vater war Alkoholiker – alkoholkrank – und sehr sentimental. Er liebte Weihnachten – hörte sehr gerne Weihnachtslieder – und wurde dann mit zunehmendem Abend immer gefühlvoller – bis es kippte, und er es selber nicht mehr aushielt und sich manche unerfüllte Sehnsucht wegtrinken musste. Sie sagt, obwohl es jedes Jahr das gleiche war und nicht gut endete gab es jeden Weihnachten neu diese Sehnsucht, dass es gut gehen möge – weil sie den Vater gerne so gefühlvoll erlebte…

Weihnachten ist ein Familienfest – warum eigentlich?

Heute an Heilig Abend hören wir die Geschichte, wie Jesus geboren wurde, einmal aus einer anderen Perspektive, wie wir es gewohnt sind – aus der Perspektive des Evangelisten Matthäus.

„ Die Geburt Jesu Christi geschah also so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist.

Josef aber, ihr Mann war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.

Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: „ Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen. Denn was sie empfangen hat, das ist vom Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, den er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“

Wenn wir in diesem Jahr auch in der Evangelischen Kirche viel über Familie diskutiert haben – wann eine Familie sich Familie nennen darf, welche Kriterien eine geglückte Lebensgemeinschaft mit Kindern erfüllen muss, um sich Familie nennen zu dürfen – dann ist diese biblische Weihnachtsgeschichte eine ganz besondere Familiengeschichte. „ Die heilige Familie“ werden Maria und Josef mit ihrem Kind Jesus genannt. Und in vielen Lieder werden sie auch so besungen…Aber warum heilig? Ganz objektiv betrachtet… also, da gab es doch einige Schwierigkeiten. Diese sehr junge Frau Maria wird schwanger – ein Glück, sie war nicht allein, sondern mit einem Zimmermann namens Josef aus Nazareth „ vertraut“. Das war ein Ausdruck für Verlobung – und war schon ein rechtsverbindliches Eheversprechen. Die eheliche Gemeinschaft wurde aber erst nach der Heimholung der Braut durch den Bräutigam – also nach der Hochzeit – vollzogen. Da war es schon ziemlich anstößig in der damaligen Zeit, dass Maria schwanger wurde vor der Hochzeit. Und Josef wusste, dass er mit ihr noch nicht intim war. Also eine Familiengeschichte, die mit ziemlich vielen Schwierigkeiten beginnt. Auch mit Schmerz und Enttäuschung – auf der Seite von Josef. Wie kann das sein, dass seine von ihm Geliebte , seine ihm „ Vertraute“ von einem andren schwanger war? – Wir könnten uns das noch ganz anders fragen. Warum beginnt die Geburtsgeschichte Jesu mit so vielen Problemen? Warum wird sie uns so erzählt? Wäre es nicht auch ein schöner Beginn gewesen, wenn Maria und Josef als vertrautes Paar gemeinsam schwanger geworden wäre, in aller Harmonie – und Jesus dann wirklich in einer „ heilen heiligen Familie“ zur Welt gekommen wäre?

So ist das Leben nicht – und Gott ist mitten in unserem Leben Mensch geworden – in all dem, was unser Leben auch kompliziert macht.

Ich denke, dass wir durch diese komplizierte Familiengeschichte wieder lernen, was es eigentlich bedeutet, heilig genannt zu werden – biblisch gesehen. Nicht, was wir so definieren an „ problemlos, alles in Ordnung, keine Konflikte....“ , sondern die Familiengeschichte Jesu beginnt mit dem Besuch des Engel Gottes bei Maria. Das erzählt uns die Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium. Von Gott berührt – von Gott bewegt… können Dinge geschehen, die wir für unmöglich halten. Bei Gott aber ist kein Ding unmöglich. „ Du sollst schwanger werden…“ verkündet ihr der Enge. „ Aber ich weiß von keinem Manne“, wehrt Maria ab. „ Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.“

Nur als Nebenbemerkung: der Heilige Geist… der Lebensatem Gottes – die Lebenskraft Gottes … im hebräischen heißt das „ ruach“  und ist weiblich… Das finde ich wichtig, damit dieses schiefe Bild nicht entsteht von dem männlichen heiligen Geist…

In der Familiengeschichte von Jesus geht es von Anfang an anders zu. Keine „ heile Familie“. Gottes Eingreifen verwirrt erst sehr – und fordert sehr viel von Maria und Josef: sich von all ihren Erwartungen an das „ Normale“ in einer Familie zu verabschieden – sich mehr auf Gott zu verlassen als auf die Erwartungen von außen.

Aber noch war Josef nicht soweit. Er liebte Maria, aber er war auch tief enttäuscht – und konnte ihre Geschichte mit dem Heiligen Geist erst nicht glauben – verständlicherweise. Er hat sich – wie viele junge Männer in einer solchen Situation mit ungeklärter Schwangerschaft der Freundin – sehr viele Gedanken gemacht, was er jetzt tun soll – und kam dann zu dem Entschluss, Maria zu verlassen – heimlich. Das heißt, er hat überlegt, Nazareth zu verlassen. In schwierigen Lebenssituationen, in denen wir keine richtige Lösung finden, kann es sein, dass wir nachts zu einer Lösung kommen, die uns tags nicht vorstellbar war. Im Traum, so erzählt es Matthäus, im Traum erschien dem Josef der Engel des Herrn. Gott berührt und bewegt nicht nur Maria, sondern auch Josef mit seinem heiligen Geist – mit seiner Lebenskraft. “ Fürchte dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen. Denn was sie empfangen hat ist vom Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären. Und du (!) sollst ihm den Namen Jesus geben – denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ Und dann erzählt er noch, dass in Jesus die Verheißungen aus dem Propheten Jesaja erfüllt werden…“ Eine junge Frau wird ein Kind gebären und sie werden ihm den Namen Immanuel geben – das heißt: Gott mit uns.“

So klar nimmt er die Gegenwart Gottes wahr – so deutlich ist der Auftrag an ihn. Das wirkt stärker als das Misstrauen, das ihn gegenüber Maria beschlichen hatte. „ Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Darf, kann, muss ich das glauben?

Josef jedenfalls war durch diesen Traum, durch die Berührung Gottes gestärkt – er wusste wieder klarer, was jetzt seine Rolle, seine Aufgabe ist. Und ihm wurde auch klar, dass Gott ihn an seine Verantwortung erinnert hat. Das Kind braucht den Vater wie die Mutter – er, Josef, soll dem Kind den Namen geben – Jesus – Gott mit uns… - und so ist es auch sein Kind.

„ Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.“

So wirkt Gott in manche Familiengeschichten hinein, die am Anfang so ganz „ unheilig“, „ unheil“ wirken… Schon dieser Teil der Geburtsgeschichte zeigt uns, wo Gott zu finden ist : dort wo sich Menschen auf Gottes Gegenwart, auf seine Berührungen, auf seinen Engel, auf seine Lebenskraft des Heiligen Geistes einlassen können – und sich so Vertrauen entwickeln kann – mögen die Verhältnisse von außen betrachtet noch so anstößig sein. Ich finde, das kann Mut machen, sich an Weihnachten auf so manche „ unheilige“ schwierige Familiensituationen ein zu lassen, weil es entlastet – es entlastet davon, die eignen Erwartungen an das „ Fest der Familie“ höher zu stellen als das Wirken Gottes in unseren Beziehungen. Und Gottes Wirken enttäuscht immer wieder unsere Erwartungen – aber befreit uns zu andren und neuen Perspektiven, in denen wir lernen, was das Leben von Gott her so reich und so befreit macht.

Wenn wir jetzt Zeit hätten und nicht zu unsrer Familie nach Hause eilen wollen, dann könnten wir uns den allerersten Anfang der Geburtsgeschichte Jesu anschauen in den ersten Versen des Matthäusevangeliums – also ganz am Anfang – denn die beginnt mit einer langen Aufzählung der verschiedenen Generationen, aus denen Jesus hervor geht – 3 mal 14 Namen werden genannt – ein sehr beeindruckender Stammbaum – aus der Familie des Josef. Denn er stammt ursprünglich aus dem Hause Davids ab… Deswegen wird Jesus ja auch später „ Sohn Davids“ genannt werden… Also – noch bevor wir uns auf die Geschichte mit Maria und dem Engel, der ungeplanten Schwangerschaft und diesen schwierige Konflikt für Josef einlassen, wird uns schon mal der Stammbaum von Josef erzählt… so, als wäre schon ganz klar – es wird schwierig werden, aber für eine Lösung ist gesorgt –die Wurzeln sind geklärt. Jesus wird auch das Kind von Josef werden.  Mit diesem Stammbaum des Josef ist der gute Ausgang der Geschichte schon vorweg genommen. Oder anders: das mit dem Heiligen Geist ist für uns, für die Menschen damals und heute oft so unkonkret – und doch so stark zu spüren – aber es braucht auch eine ganz konkrete alltägliche Verwurzelung – in der eigenen Familiengeschichte. Und für Jesus in der biblischen Familiengeschichte. Wurzeln, die bis Abraham und Sara reichen, diese Segensgeschichte – Jakob und seine 12 Söhne – also auch die Josefsgeschichte, in der deutlich wurde: die Menschen haben es böse gemeint, Gott aber hat es gut gemacht…. – über die Wurzel starker Frauen, die ihren eigenen Weg gegangen sind – wie Tamar, Rahab, Rut, der Gromutter Davids, Batscheba, der Frau Davids… Alle hatten auf ihre Weise schwierige Wege, schwere Lebensaufgaben zu bewältigen – da gab es keine einfachen unkomplizierten Lebensentwürfe – aber es sind alles Biografien von Menschen, die sich in bestimmten unklaren Lebenssituationen geöffnet haben für das Wirken Gottes in ihrem Leben.

Und darin entdecke ich in der Weihnachtsgeschichte aus dem Matthäusevangelium die Weihnachtsfreude. Mögen unsere Lebenswege und unsere Familienbeziehungen noch so unklar sein – Gott ist in Jesus in unsere Welt, in unseren Alltag  hinein geboren. Wir sind in Gottes Familiengeschichte durch Jesus mit hineingenommen. Gott sei Dank hat Gott diese Geschichte bewirkt durch seinen Heiligen Geist – so gehören wir auch zur „ Heiligen Familie“ dazu  und können deshalb viel entspannter mit so manchen „ Familienerwartungen“ umgehen. Wir sind es nicht, die heilig sein müssen. Gott sei Dank!

Amen

Lied: EG 12 Gott sei Dank durch alle Welt

 

Perikope
24.12.2014
1,18-21

Predigt zu Matthäus 1,1.16.18-25 von Rainer Stahl

Predigt zu Matthäus 1,1.16.18-25 von Rainer Stahl
1,1-25

Hinweise zum Predigttext:

Mit dem Predigttext aus Mt 1 zur Christnacht ist uns eine ganz besondere Herausforderung vorgelegt. Sie verlangt – so finde ich – eine Reflexion zum Text und seinen Problemen, bevor dann der Versuch unternommen werden kann, die Botschaft dieses Bibelwortes zu predigen.

Indem der Evangelist Matthäus im Rahmen seiner Erzählung über die Herkunft des Christus Jes 7,14 in einer sehr eigenständigen Weise zitiert, wird uns abverlangt, den Sinn dieses Textes zu bestimmen. Vor 20 Jahren habe ich über Jes 7,1-17 grundlegend gearbeitet[1] und begründet, dass Jes 7,1-8b.9.10-14.16 eine zusammenhängende Einheit vielleicht sogar aus der Verarbeitungszeit des so genannten syrisch-efraimitischen Krieges zur Wende vom 8. zum 7. Jh. v. Chr. aus Juda darstellt,[2] die als Folgetext zu Jesaja 6, der Berufungsszene, die in einen Verstockungsauftrag am Volk mündet, bewusst einen schillernden Eindruck vermittelt: Zwischen der positiven Gewissheit, dass „Gott mit uns ist“, und der zweifelnden, flehenden Einsicht, dass „Gott bei uns sei“.[3] Ausgedrückt wird dies auch im Hoffnungsbild, dass eine spezifische junge Frau – „die Junge“, wie Martin Buber verdeutscht; wohl mit Sicherheit eine Frau im Harem des Königs – schwanger werden, einen Sohn gebären und ihm den Namen »Immanuel« geben wird.[4]

Die Hinzufügung von V. 15 stellt klar, dass mit dem »Immanuel« messianische Zeiten des Überflusses anbrechen werden.

Die Übersetzungsleistung der alexandrinischen Juden zum Jesajabuch im 3. Jh. v. Chr., die Teil der griechischen Bibel, der Septuaginta, geworden ist, führt die positive Linie weiter und interpretiert den Text noch messianischer: Jetzt ist „die Junge“ mit einem Begriff angesprochen, der zumindest auch als „die Jungfrau“ verstanden werden kann und wird der Vater dem Sohn den Namen »Immanuel« geben – oder die Namensgabe ist unpersönlich pluralisch formuliert, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass es Gott selbst ist, der sich durch den Namen zum Neugeborenen bekennt.[5]

In genau dieser Weise hat dann Matthäus die biblische Tradition aufgegriffen und dem Zitat aus dem Jesajabuch eine typische Gestalt gegeben:

            „Siehe, die Jungfrau wird im Schoße haben
            und einen Sohn gebären,
            und man wird seinen Namen nennen »Immanuel«“ (Mt 1,23).

In jüngster Zeit wird die Diskussion um das Verstehen dieses Bibelwortes in interessanter Weise innerhalb der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) geführt: Prof. Dr. Achim Behrens von der Kirchlichen Hochschule der SELK in Oberursel hat vor einem Jahr eine grundlegende Studie zu unserem Text vorgelegt und auch herausgearbeitet, dass der heute vorliegende biblische Text das Ergebnis einer ganzen Theologiegeschichte darstellt, die zu heilstheologischen Einsichten, zu messianischen Erkenntnissen geführt hat.[6]

Dieser Position, die prinzipiell meiner eigenen entspricht, hat in diesem Jahr der Pfarrer der SELK in Fürstenwalde, Matthias Krieser, widersprochen. Er versteht schon den hebräischen Text als Aussage über die Schwangerschaft einer „Jungfrau“, also ein übernatürliches Zeichen, das über die mögliche Ursprungssituation im ausgehenden 8. Jh. v. Chr. hinausweist. Deshalb sei es sinnvoll und richtig, entsprechend dem reformatorischen Grundsatz, dass sich die Bibel selbst auslegt, alttestamentliche und neutestamentliche Aussagen in ihrer Bezogenheit aufeinander zu verstehen. Für den Bezug zwischen Jes 7,14 und Mt 1,23 spricht er von einem „Nacheinander, wobei das Neue Testament den Wortsinn im alttestamentlichen Kontext nicht ändert oder aufhebt, sondern im Gegenteil zu seiner Vollendung führt. Dabei kann es geschehen, dass ein zunächst über den historischen Wortsinn hinausgehendes ‚Sinnpotential’ nun zum von der Heiligen Schrift selbst autorisierten Vollsinn bzw. Hauptsinn wird. Es ist dann zugleich der historische Wortsinn – des neutestamentlichen Textes nämlich –, der die Erfüllungsbotschaft enthält.“[7]

Darauf hat im selben Heft von „Lutherische Theologie und Kirche“ Achim Behrens kurz reagiert und die Argumente dafür zusammengestellt, dass die verschiedenen Schriftfassungen eine Theologiegeschichte, ja: eine Offenbarungsgeschichte zum Ausdruck bringen[8] – vom hebräischen Bibeltext, der sowohl jüdisch als auch christlich gelesen werden kann, bis hin zum Text des Matthäusevangeliums im christlichen Neuen Testament.

Trotz mancher Unterschiede in der Methodik wirken die Ergebnisse beider Herangehensweisen doch wiederum recht ähnlich auf mich. Und dieses einander ähnliche Verständnis liegt denn auch hinter meinem eigenen Predigtversuch.

Dazu hebe ich noch hervor, dass ich in den letzten Jahren aus Veröffentlichungen von römisch-katholischer Seite manche interessante Differenzierung zur Kenntnis nehmen konnte: Der frühere Professor an der Universität Gießen, Dr. Ingo Broer, hat 2009 eindeutig zur Beziehung von Jes 7,14 zu Mt 1,23 festgehalten: „Man könnte nun annehmen, dass hier eine direkte innerbiblische ‚Quelle’ der Idee der Jungfrauengeburt vorliege. Das kommt aber nicht infrage, da weder im hebräischen noch im griechischen Text des Alten Testaments die Unberührtheit der jungen Frau hervorgehoben ist. […] Die Gedanken der göttlichen Zeugung und der Gottessohnschaft sind in der Jesajastelle nicht enthalten.“[9]

In besonderer Weise ist interessant, dass seit zwei Jahren eine umfangreiche Studie des benediktischen Bibelexegeten Raphael Schulte vorliegt.[10] Die überwältigende Fülle seiner Arbeitsschritte und Erkenntnisse kann hier in keiner Weise referiert werden. Einige entscheidende Erkenntnisse seien festgehalten:

„In Jes 7 ist ja auch, wie die Exegeten herausstellen, nicht zu erkennen, wer genau mit der ‚[…] Jungfrau’ gemeint ist, noch wer der dort angesagte Immanuel ist; das AT selbst gibt (noch) keine Antwort auf unsere Frage. […] Das Jes-Zitat ist das Wort Jahwes, das er in der damaligen Situation durch Jesaja an das Haus David […] richtete, in die selbstverschuldete äußerste Krisensituation hinein […]. Genau das sieht Matthäus jetzt als erfüllt an! Jahwe hat erfüllt, was er damals verheißen hat […].“[11]

Für den neutestamentlichen Bibeltext gilt nun, dass er vieles nur andeutet und also offen ist für weitergehende Interpretationen, es aber sinnvoll ist, bei den Aussagen zu bleiben, die wirklich eindeutig zur Sprache gebracht werden:

dass „Gott das Hauptsubjekt dessen ist, was dort als Evangelium im matthäischen Sinn ausgesprochen wird“[12],

dass „dem, den Maria gebären wird, der Name ‚Jesus’ gegeben werden soll“, womit zum Ausdruck gebracht wird: „Er ist also persönlich Jahwe-Heil und er erfüllt das, in seinem Lebensauftrag […]“[13],

und schließlich, dass diese Glaubenseinsicht von der Gemeinde rezipiert wird, deren Selbstverständnis in diesem Bibelwort zum Ausdruck kommt: „Jetzt, da Matthäus schreibt, ist es die Jahwe- und Jesus-glaubende Gemeinde, die aufgrund des persönlichen Daseins und Wirkens Jesu erkannt hat und preisend anerkennt, dass er dieser ‚Immanuel’ in Jes 7,14 ist, es im Wirken vollbracht hat und darin bleibt, was ‚Immanuel’ als Wirklichkeit unaufhörlich erleben lässt: Gott-mit-uns, was ja schlicht dasselbe sagt, was ‚Jahwe – Ich-bin-euer (Gott)’ ausspricht (28,20).“[14]

In einer besonderen Weise werde ich die Einsichten von Raphael Schulte aufnehmen: indem ich weitestgehend seiner Übersetzung unseres Bibelwortes folgen werde.[15]

Hinzu kommt noch eine weitere Beobachtung: Der Wortlaut des Textes des Matthäusevangeliums ist in unserem Zusammenhang nicht völlig einheitlich. Es gibt gewichtige Unterschiede zwischen den verschiedenen Textzeugen. Diese Unterschiede machen eine überraschende Beobachtung möglich: Alte Textgestalten in syrischer Sprache bieten unserem Vorverständnis sehr entgegenkommende Formen an. Dabei wurde für mich eine erstaunliche Variante zu Mt 1,21 zum Ausgangspunkt der Aufmerksamkeit auf diese Textformen:

„[…] du sollst ihm den Namen Jesus geben,
denn er wird die Welt von ihren Sünden erretten.“

Hier wird also der Auftrag des Jesus an seinem Volk, an den Juden, ausgeweitet auf uns alle – sofern wir ihm vertrauen und glauben! Deshalb werde ich an den Anfang meiner Predigt eine Textfassung stellen, die die Varianten dieser syrischen Textgestalt berücksichtigt.

Diese Textfassung verstehe ich so, dass mit ihrer Hilfe ein Ausgleich versucht wird zwischen der Aussage der „Davidssohnschaft“ des Christus und der Feststellung, dass er ganz von Gott herkommt. In der allgemein bekannten Textfassung des Matthäusevangeliums wird die Davidssohnschaft über eine Adoption verwirklicht, indem Josef Jesus an Sohnes Statt annimmt. Die Fassung des syrischen Textes hält beides gleichzeitig aus: Josef ist der Vater des Jesus aus Nazaret. Dieser ist aber auch aus Gottesgeist.

Diese Gleichzeitigkeit halte ich für hochinteressant. Sie lässt uns einer bestimmten Frage bewusst werden: Wieso verhalten wir uns an dieser Stelle oft so altmodisch und „materialistisch“? Warum meinen wir, dass ein natürlicher Ursprung des Jesus aus Nazaret die geistliche Einsicht ausschlösse, dass er aus Gottesgeist, dass er also der Christus ist? Kann nicht beides zusammen ausgehalten werden? Ich denke jedenfalls, dass es uns im Jahr 2014 leichter würde, das Wunder der Geburt und des Wirkens des Jesus aus Nazaret wahrzunehmen und anzunehmen, wenn wir beides zusammenhalten können – die natürliche Herkunft Christi und seine Herkunft aus Gottesgeist!

Predigt:

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!“
V. 1     „Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams: […]
V. 16:  Jakob zeugte den Josef, Josef aber, dem Maria, die Jungfrau, verlobt war, zeugte
            Jesus, den Christus Genannten.[16] […]
V. 18:  Die Herkunft Christi war so:
            Als seine Mutter Maria mit Josef verehelicht war,
            noch bevor sie zusammengekommen waren, fand es sich,
dass sie im Schoße hatte aus Gottesgeist.
V. 19:  Josef aber, ihr Mann, der ein Gerechter war und nicht willens, sie der Öffentlichkeit
auszusetzen, wollte sie in aller Stille freigeben.
V. 20:  Als er das alles bedachte,
            siehe da erschien ihm im Traum der Bote des Herrn, der sprach:
            ‚Josef, Sohn Davids, scheue dich nicht, Maria, deine Ehefrau, zu dir zu nehmen,
            weil, wahrhaftig, das in ihr Gezeugte aus Gottesgeist ist.
V. 21:  Sie wird dir einen Sohn gebären,
            und du sollst ihm den Namen Jesus geben,
            denn er wird die Welt von ihren Sünden erretten.
V. 22:  Dies alles aber ist geschehen, damit erfüllt würde,
das Gesagte vom Herrn durch Jesaja, den Propheten, der spricht:
Siehe, die Jungfrau wird im Schoße haben
                        und einen Sohn gebären,
                        und man wird seinen Namen nennen »Immanuel«,
            das ist übersetzt: »Mit-uns-Gott«.’
V. 24:  Aufgewacht vom Schlaf tat Josef, wie ihm der Bote des Herrn befohlen hatte,
            und nahm seine Frau zu sich.
V. 25:  Und er erkannte sie nicht, bis die ihm einen Sohn gebar.
            Und er nannte seinen Namen »Jesus«.“

Liebe Schwestern und Brüder,

liebe Leserinnen und Leser!

Erlauben Sie mir, dass ich vielleicht überraschend beginne: Josef ben Mattanja, der jüdische Historiker des 1. Jh. n. Chr., der unter seinem latinisierten Namen Flavius Josephus bekannter ist, hat ab 71 n. Chr. in Rom gelebt. In dieser Zeit hat er auch sein Werk „Jüdische Altertümer“ geschrieben. In deren 18. Buch erwähnt er Jesus ganz kurz und knapp. Die Wissenschaftler sind sich nicht einig, wie sie diese Notiz bewerten sollen. Manche halten sie für echt, manche für völlig unecht, andere wieder für überarbeitet. Diese dritte Sicht der Dinge würde bedeuten, dass Josef ben Mattanja wirklich Jesus kurz erwähnt hat, dass aber später christliche Abschreiber ihre Glaubensüberzeugungen beim Abschreiben des Textes eingefügt haben. Vielleicht ist ursprünglich: „Zu dieser Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch […]. Und als Pilatus nach Hinweisen unserer führenden Männer ihn zum Kreuz verurteilte, gaben diejenigen, die ihn zuerst geliebt hatten, nicht auf. […] Und noch heute ist der nach ihm genannte Volksstamm der Christen, nicht verschwunden.“ Christliche Abschreiber haben dann Hinzufügungen vorgenommen: „[…] ein weiser Mensch, wenn man ihn einen Menschen nennen darf.“ „Er war der Christus.“ „[…] gaben diejenigen, die ihn zuerst geliebt hatten, nicht auf. Er erschien ihnen nämlich am dritten Tage wieder lebend […].“[17]

Die Aussagen, die also vielleicht in den Text des Josef ben Mattanja eingetragen wurden, verkündigen denselben Glauben, den auch unsere Szene in der Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums predigt: Jesus aus Nazaret ist nicht nur ein bedeutender Mensch gewesen. Er war die Verwirklichung Gottes auf Erden, er ist der Christus. Nach der grausamen Kreuzigungshinrichtung wurde und wird er als auferstanden erlebt und von nun an als der auferstandene Gekreuzigte geglaubt. Das sind die Voraussetzungen für unser Weihnachtsevangelium! Wenden wir uns ihm nun direkt zu:

Wer am Abend des Weihnachtsfestes, faktisch in der Nacht dieses Festes, also zur „Christ-nacht“, wie wir auch sagen, in den Gottesdienst geht oder eben eine Predigt liest, will durchdringen zum eigentlichen Wesen des Festes.

An den vielfältigen Angeboten unserer Weihnachtskultur in unseren Städten und Dörfern haben wir Anteil genommen, sie auch mit gestaltet: An den großartigen Konzerten – wie zum Beispiel in der Frauenkirche in Dresden. An den Weihnachtsmärkten auf so vielen Plätzen unserer Städte – wie zum Beispiel am Christkindlesmarkt in Nürnberg und dem interessanten Markt der internationalen Partnerstädte, der dazugehört. An Unternehmungen mit Freunden – wie zum Beispiel einem Skiwochenende in den Salzburger Alpen. An den gemeinsamen Feierstunden der eigenen Familie – wie zum Beispiel an den Adventssonntagen, zu denen immer eine Kerze mehr entzündet wurde. An den Feiern der Christvesper in unseren Kirchen – vielleicht mit Krippenspiel. Und natürlich an der Feier des Heiligen Abends mit kleinen und größeren Geschenken – wie zum Beispiel im Studentenwohnheim des Martin-Luther-Bundes in Erlangen, in dessen Saal zu jedem Weihnachtsabend die Studierenden und Stipendiaten zusammen feiern, die am 24. und 25. Dezember nicht nach Hause fahren konnten.

All das bringen wir mit und sehen uns neu konfrontiert mit diesem so bekannten und so fremden Bibeltext. Bewusst steht vor unseren Augen nicht einfach die Lutherübersetzung, sondern eine eigene, eine moderne Übersetzung (übrigens von dem österreichischen römisch-katholischen Theologen Raphael Schulte), die ich an den Stellen geändert habe, an denen durch alte syrische Handschriften eine interessante Textgestaltung deutlich wird.

Eine große Frage stellt sich mir: Was verkündigt dieses Bibelwort zum Weihnachtsfest 2014 als Gottesbotschaft? Womit konfrontiert es uns? Worauf stößt es uns?

Wer vielleicht neben diese Übersetzung diejenige unserer lutherischen Tradition legt, wird viele Einzelfragen stellen. Diese können im Rahmen meiner Predigt nicht angesprochen werden. Nur eine sei kurz gestreift: Unser ganzes Vorwissen, unser Herkommen scheint uns dahin zu lenken, dass die Jungfräulichkeit Marias das Entscheidende unserer biblischen Passage sei. Der Benediktiner Raphael Schulte hat in seiner umfänglichen Untersuchung gezeigt, dass das eigentlich gar nicht stimmt. Er hat uns die Augen dafür geöffnet, dass dieses Thema in den Blick tritt, wenn wir über den biblischen Text hinaus denken, Konsequenzen überlegen, Angedeutetes und nicht wirklich Gesagtes erschließen. Wenn wir aber bei dem eigentlichen, knappen und kargen Text bleiben, dann erkennen wir, dass ganz anderes im Vordergrund steht. Das müssen wir an uns heranlassen:

Dass hier Gott als Handelnder verkündigt wird – das ist das Erste. Immer sind Menschen beteiligt. Sie spielen wichtige Rollen. Sie haben die Möglichkeit der richtigen oder der falschen Entscheidung – wie Josef, der erwägt, seine Frau freizugeben, sie vor böser Nachrede zu schützen. Als Gottesfürchtiger wollte er sie nicht der achtungslosen Öffentlichkeit aussetzen, weshalb er sie im Stillen aus der gemeinsam eingegangenen ehelichen Rechtsbindung freizugeben gedachte.[18] Dagegen und dazu wird uns gezeigt, wie Gott korrigiert und zu richtigen Entscheidungen hilft: Gott will nämlich, dass Josef das in Maria werdende Leben als Sohn Davids bestimmt – durch den in Israel allgemein vorgesehenen und ausgeübten Rechtsakt der Namengebung als Erklärung des rechtsverbindlichen Kindseins des Geborenen seitens des Familienhauptes.[19]

Das heißt nun für uns heute: Erkennen wir in unserem Entscheiden und Handeln an, dass Gott schon längst wichtige und gute Fakten geschaffen hat! Die einmalige Situation des Josef soll durchsichtig und durchlässig werden auf die Situationen, in denen wir Entscheidungen treffen und handeln müssen. Weihnachten 2014 sagt uns zuerst: Gott hat schon die nötigen Fakten geschaffen! Darauf können wir bauen!

Nun kenne ich die konkreten Herausforderungen nicht, vor denen Sie stehen, die Sie mit Sorgen oder mit Angst erfüllen. Aber auch für diese gilt die Antwort, die gegeben wird: Hilfe bedeutet die Person, mit der Josef konfrontiert wird, die Maria in sich trägt. Sie ist Helfer auch für uns im ausgehenden Jahr 2014 und im Jahr 2015. Die Art ihrer Hilfe wird durch die Namen zum Ausdruck gebracht, die diese Person trägt: »Jesus«, »Immanuel«.

Vielleicht haben Sie schon beim Lesen jenseits aller Vertrautheit und Gewöhnung doch gestockt und sich gefragt: Wieso konnte Matthäus schreiben:

            „[…] und du sollst ihm den Namen Jesus geben,
           denn er wird die Welt von ihren Sünden erretten.“

Welcher Zusammenhang besteht zwischen »Jesus« und „retten“? Das wird nur aus dem hebräischen Original des Jesus-Namens deutlich. Dies ist ein Satz, der ein Subjekt hat und ein Objekt: „Jahwe ist Rettung“. Sein Name spricht also die Hoffnung auf Rettung aus und nennt zugleich denjenigen, der retten wird: Nämlich Gott. Dieser Glaube ist angesichts der Schreckensbilder und Hiobsbotschaften über unsere Welt eine Zumutung. Doch in Protest gegen diese Erfahrungen sollen wir festhalten: Gott handelt zu unseren Gunsten! Wer das glauben kann, ist ein Kind der Weihnacht.

Und dann dieses Zitat aus dem Alten Testament, das irgendwie vertraut ist, aber auch ganz überraschend und fremd:

„Siehe, die Jungfrau wird im Schoße haben
            und einen Sohn gebären,
            und man wird seinen Namen nennen »Immanuel«,
            (das ist übersetzt: »Mit-uns-Gott«“).

 „Gott mit uns.“ – In der deutschen Geschichte ist dieses Wort schrecklich missbraucht worden: Die Soldaten unserer Armeen trugen es auf dem Koppelschloss, also eingestanzt auf die Gürtelschließe an ihren Hosen. Bis 1945 blieb das so, obwohl Adolf Hitler dies abschaffen wollte – weil er gegen Gott war. Aber durch die Verwendung dieser Worte ist das deutsche Militär geistlich in einer Weise schuldig geworden, wie ich kaum erfassen kann! Solcher Missbrauch darf nie wieder geschehen!

Trotzdem und gerade deshalb gilt uns diese Zusage für Weihnachten 2014 und für das Jahr 2015: Mit uns ist Gott. Wer das zu ahnen und zu glauben beginnt, kann nur erschrecken, aufgerüttelt werden und sich ändern. Wenn Gott mit mir sein mag?! Dann kann ich nur für andere leben! Dann ist mein Leben für mich selbst nur Rast und Wiedererstarken, damit ich mich dann wieder für andere einsetzen kann. Dann erkenne ich in den Bedürftigen Christus und versuche, für sie tätig zu sein – so begrenzt wie es mir eben nur möglich ist.

Unsere Geschichte eröffnet das Matthäusevangelium. Es ist also richtig, einen entsprechenden Pflock gegen Ende des Evangeliums einzuschlagen und den Spannungsbogen wahrzunehmen, durch den unsere Aussage klarer und plastischer wird. Ich schlage vor, bis Mt 25 zu gehen, bis zur Bildrede des Weltgerichts. Dort steht die soziale und zugleich geistliche Dimension, um die es schon zu Beginn des Evangeliums geht:

„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern [und Schwestern], das habt ihr mir getan“ (V. 40).

Weihnachten wird unsere Bereitschaft zur Gastfreundschaft herausgefordert. Dies war schon zu Beginn unseres Nachdenkens gegenwärtig im Hinweis auf die Festgemeinschaft im Studierendenheim des Martin-Luther-Bundes in Erlangen – immer am Abend des 24. Dezember. Schon bei mir zu Hause waren viele Weihnachtsfeste in unserer Familie ähnlich, denn es wurde meist eine alte Dame mit eingeladen, eine Freundin unserer Großmutter, die weiterhin mit in Meiningen lebte. Sie gehörte fest zur Gemeinschaft des Heiligen Abends hinzu, wurde beschenkt und freute sich, wenn wir die Pakete auspacken konnten – auch das von unserer Großmutter aus Westdeutschland. Ich glaube, dass in Gestalt dieser Gastfreundschaft meine Eltern eine wichtige Dimension der Weihnacht gelebt haben. Dazu lade ich auch Sie ein.

Diese ganz familiäre und persönliche Dimension, die gerade am Weihnachtsabend, zur Christnacht also, ihr Recht hat, sei aber zum Abschluss noch einmal aufgebrochen. Der Name des Sohnes „Jesus“ hat eine typische Zielrichtung:

            „[…]denn er wird die Welt von ihren Sünden erretten.“

In der Dezemberausgabe des Kundenmagazins „mobil“ der Deutschen Bahn, das in den ICE-Zügen für die Reisenden frei zur Verfügung gestellt wird, ist eine Werbeseite zu lesen:

„Heute rette ich die Welt. Mit einem Girokonto bei der GLS Bank.“

Um die Kontokarte der GLS-Bank ist zeichnerisch die Erdkugel gestaltet mit verschiedenen Lebenssituationen: ein Bauernhof, eine Bank mit älteren Menschen, ein energetisch modernes Wohnhaus, Symbole für Musik, Wind- und Sonnenkraftwerke.

Merkwürdigerweise hat diese Werbeseite gar nicht mitgeteilt, wer oder was die „GLS-Bank“ ist, und wieso man mit einem Konto bei ihr die „Welt retten“ kann. Es wird nur eine Homepage angegeben: www.sharedichdrum.de, was sowohl auf „schere dich um etwas“, also: „kümmere dich“ hinweist, als auch auf „share“, gleich: „teile“, also engagiere dich zugunsten anderer. Aus den Informationen im Internet habe ich gelernt, dass diese 1974 von Anthroposophen gegründete Gemeinschaftsbank zugunsten freier Schulen und Kindergärten, regenerativer Energien, Behinderteneinrichtungen, nachhaltigem Bauen und Leben im Alter tätig ist, sich aber im Zusammenhang von Alkohol, Atomenergie, Embryonenforschung, Gentechnik, Rüstung, Tabakindustrie, Kinderarbeit und Tierversuchen in keiner Weise finanziell engagiert.[20]

Das alles kann in dieser Predigt nicht diskutiert werden. Aber es gilt: Die Werbung dieses Unternehmens trifft auf die Botschaft von Weihnachten: Obwohl jetzt auch eine früher kirchliche Bank zur GLS-Bank gehört, wird eine Werbung betrieben, die faktisch dem Anspruch unseres Glaubens widerspricht! Jesus wurde in eine Welt hineingeboren, in der sich Herrscher, Politiker und Militärs als „Retter“ verehren ließen. Dem widersprach der Glaube der frühen Christen. Sie entlarvten solche Hoffnungen als Scheinhoffnungen. Denn nur Christus ist Retter. Genau das gilt auch für uns heute: Wenn wir glauben, dass Jesus Christus der Retter ist, dann widersprechen wir Rettungsversprechen in unserer Welt – beziehungsweise schrauben wir solche Rettungsversprechen auf ihr realistisches Maß zurück. Auch so wird Weihnachten!

Amen.

„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“



[1]   Rainer Stahl: »Immanuel« – Gott mit uns?, Mitteilungen und Beträge 8, Forschungsstelle Judentum, Theologische Fakultät Leipzig, 1994, S. 19-36.

[2]   Sekundär hinzugesetzt sind Jesaja 7,8c.15.17a.b.

[3]   A.a.O., S. 30-32.

[4]   A.a.O., S. 29.30.

[5]   A.a.O., S. 34-35.

[6]   Achim Behrens: „Eine Jung(e)frau wird schwanger…“ Jes 7,14 und die „Polyvalenz“ biblischer Texte, Lutherische Theologie und Kirche (LuThK) 37, 2013, S. 88-102.

[7]   Matthias Krieser: „Eine Jung(e)frau wird schwanger…“, zweiter Versuch. Jes 7,14 und Mt 1,23 im Licht des Hermeneutik-Papiers der SELK, LuThK 38,2014, S. 120-133. Zitat: S. 131-132.

[8]   Achim Behrens: Eine kurze Antwort an Matthias Krieser, LuThK 38, 2014, S. 134-138.

[9]   Ingo Broer: Göttliche Zeugung und jungfräuliche Geburt, in: Welt und Umwelt der Bibel 54 – 4/2009, S. 38-39, Zitat: S. 39. Vgl. im selben Heft: Claudio Etti: Leben mit einem Wunderkind, S. 11-17, bes. S. 13. Außerdem verweise ich auf: Markus Lau: „Mit der Geburt Jesu Christi war es so…“, Welt und Umwelt der Bibel 46 – 4/2007, S. 16-21.

[10] Raphael Schulte OSB: Die Herkunft Jesu Christi. Verständnis und Mißverständnis des biblischen Zeugnisses. Eine theologie-kritische Besinnung, Münster 2012.

[11]   A.a.O., S. 95 und 96.

[12]   A.a.O., S. 100.

[13]   A.a.O., S. 111.

[14]   A.a.O., S. 112.

[15]   A.a.O., S. 65.60.64.65.86.103.104.499.

[16]   Die unterstrichenen Passagen geben Textvarianten der syrischen Handschriften „syc“ und „sys“ wieder (vgl. Nestle-Aland: Novum Testamentum graece, Stuttgart 261979).

[17]   Bernhard Lang: Art. „Josephus“, Neues Bibel-Lexikon, Band II, Düsseldorf 1995, Sp. 390. Vgl. auch Christine Gerber: Flavius Josephus und das Neue Testament. Das erste Jahrhundert mit anderen Augen, in: Welt und Umwelt der Bibel, 32 – 2/2004, S. 18-22, bes. S. 22.

[18]   Raphael Schulte OSB: Die Herkunft Jesu Christi. Verständnis und Mißverständnis des biblischen Zeugnisses. Eine theologie-kritische Besinnung, Münster 2012, S. 89.

[19]   A.a.O., S. 93.

[20]   Vgl. GLS Gemeinschaftsbank, Wikipedia, Zugriff am 6.12.2014.

 

Perikope
24.12.2014
1,1-25

Nicht ohne politische Dynamik - Predigt zu Matthäus 1,18-25 von Stefan Knobloch

Nicht ohne politische Dynamik - Predigt zu Matthäus 1,18-25 von Stefan Knobloch
1,18-25

Nicht ohne politische Dynamik

Diese Nacht, die wir die Christnacht oder die Heilige Nacht nennen, ist anders. Auf welche Weise anders als andere Abende, als andere Nächte, ist nicht leicht zu sagen. Es ist ein Abend, an dem wir uns wie sonst an keinem anderen Abend aus dem Raum der Öffentlichkeit zurückziehen, in die eigenen vier Wände. Und wem die eigenen vier Wände zu öde sind, zu sehr Einsamkeit atmen, der sucht nach Menschen, zu denen er Nähe verspürt. Auch die, die kein Dach über dem Kopf haben, sehnen sich für Stunden nach einem Ersatzdach, unter dem die Christnacht auch für sie etwas Licht verbreitet.

Den anderen Charakter dieser Nacht, dieses Abends, in der sich gleichwohl Spannungen aufbauen, die sich manchmal heftig entladen – früher sprach man dann vom „Festtagsteufel“ -, den anderen Charakter erhält dieser Abend aus dem Bezug auf ein Ereignis, das zweitausend Jahre zurückliegt: die Geburt Jesu Christi.

Vielfach ergreift uns dieses Fest über die lange Kette unserer Erinnerungen an Kindheitsweihnachten bis in spätere und späte Lebensjahre herein. Irgendwie berührten wir dabei die Geburt Jesu über die Schiene alter Weihnachtslieder. Ein ganzes Jahr schlummern sie in uns, an Weihnachten aber kommen sie uns aus der Tiefe in den Sinn. Sie singen von der Geburt Jesu. Dieser Geburt wegen haben wir uns hier in dieser Stunde versammelt.

Nimmt uns da das Evangelium dieses Abends, dieser Nacht bei der Hand, um die Geburt Jesu nicht nur wie ein beinahe entleertes Ritual zu begehen, nach der Devise: „the same procedure as every year“? Sondern trifft es uns? Ganz leicht macht es uns das Evangelium dabei nicht. Schon der erste Satz, „Mit der Geburt Jesu Christi war es so“, könnte uns einladen, einer falschen Fährte zu folgen. Als werde uns hier ein Tatsachenbericht darüber geboten, wie es mit der Geburt Jesu wirklich war. Und schon könnten wir – nicht nur Männer, auch Frauen – Solidarität mit den quälenden Gedanken des Josef empfinden, wie Maria an dieses Kind gekommen sei. Dass gerade dieses Element gerne bei uns hängen bleibt, muss uns angesichts der Erfahrungen unserer Lebensverhältnisse heute nicht wundern. Aber um Probleme betrogener Ehemänner geht es dem Evangelium der Christnacht nicht. Den Schlüssel zum richtigen Verständnis legt uns der Rückbezug auf eine Stelle beim Propheten Jesaja in die Hand: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns!“

Um diese Vorgabe aus dem Alten Testament komponiert das Mt-Evangelium seine Darstellung der Geburt Jesu. Die Sätze aus dem Buch Jesaja sieht das Mt-Evangelium in Jesus erfüllt. In ihm, in Jesus, ist der „Gott mit uns“, der Immanuel in die menschliche Geschichte eingetreten. In ihm erfüllte sich eine Verheißung, die im 8. Jahrhundert v. Ch. dem König von Juda, namens Ahas, gegeben worden war. In einer für Jerusalem verzweifelten Situation, in der der König Ahas alle Hoffnung auf Rettung, auf einen guten Ausgang längst aufgegeben hatte. Auf Gott, hieß das, setzte er keine Hoffnung mehr.

Da forderte ihn Gott selbst heraus, so schildert es die Bibel, ein Zeichen der Treue, der Verlässlichkeit Gottes zu verlangen. Aber selbst das konnte der König nicht, er war der Gefangene seiner Verzagtheit und Verzweiflung. In dieser Situation, in der nichts mehr weiterzugehen schien, in der sich Jerusalem am Ende all seiner politischen Künste wähnte und bloß noch das blanke Entsetzen vor Augen hatte, in dieser Situation verheißt Gott in einer unglaublichen Überbietung eine alles überbietende Rettung in einem Menschen, der den Namen Immanuel tragen werde. Er werde der „Gott mit uns“ sein und in ihm werde die Wirklichkeit Gottes mit den Menschen sein.

Einen größeren Gegensatz zwischen der Verzweiflung des Königs und Jerusalems und der alles in den Schatten stellenden überbordenden Verheißung eines „Gott mit uns“ hätte man sich kaum vorstellen können. Genau dasselbe Element taucht in der Darstellung des Mt-Evangeliums auf. Da ist auf der einen Seite Josef, sozusagen restlos bedient von seiner geplatzten Lebensplanung, in Gedanken längst beim Absprung, und auf der anderen Seite Maria, schwanger mit dem Träger aller Verheißungen Gottes! Der, den Jesaja den „Gott mit uns“ nennt, den nennt das Mt-Evangelium den vom Heiligen Geist Empfangenen, den Maria in ihrem Schoß trägt. Und wer er sein wird, als wen er sich zeigen wird, das kleidet das Mt-Evangelium in ein Traumgesicht des Josef. Der, der im Schoß seiner Frau heranwächst, werde Jesus heißen. Denn er werde seinem Volk heraushelfen aus den Untiefen und Verwerfungen der mit den Jahren über Generationen hin gewachsenen strukturellen Ungerechtigkeiten. Er werde heraushelfen aus der Gewalt im öffentlichen wie privat-familiären Lebensbereich, aus der Gewalt gegen Arme, Zukurzgekommene, Unterdrückte, die kaum Luft zum Atmen haben. Der, den Maria in ihrem Schoß trägt, werde, wie es die Bibel ausdrückt, sein Volk von den Sünden erlösen.

Und in der Tat, das ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden. Von ihm ging und geht  Heil, Hoffnung und Licht aus, so dass der Kolosserbrief sagen konnte, in ihm wohnte die Fülle Gottes, oder das Joh-Evangelium ihn so charakterisierte: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ und „Ich und der Vater sind eins“. Jesus hat, etwas unweihnachtlich gesprochen, in unser Leben eine Fackel hineingeworfen, einen Brandbeschleuniger aktiviert, durch den sein Feuer sich schneller in unser Leben ausbreiten sollte. Es ist das Feuer der Befreiung des Lebens, das Feuer der Freiheit des Lebens aller Menschen.

Weihnachten ist nicht nur ein besinnlich-familiär-beschauliches Fest. Weihnachten ist ein politisches Fest, ein Fest mit einer gesellschaftspolitischen Dynamik. Zumal heute, wo so viele Herausforderungen auf den Raum der EU andrängen. Gewiss sind hier die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten verteilt. Wir haben als einfache Leute eine andere Verantwortung als die Politiker an den Schalthebeln der Macht, wobei deren Einflussmöglichkeiten bisweilen auch sehr begrenzt sind. Wie auch immer: Nehmen wir unsere Möglichkeiten wahr, das weihnachtlich-jesuanische Feuer der Befreiung des Lebens aller Menschen in uns zu tragen. Verschließen wir uns nicht, schotten wir uns nicht ab vor den Herausforderungen dieser Tage. Öffnen wir uns vielmehr, von der Weihnachtsbotschaft berührt, mental für die existentiellen Nöte der Menschen, der Familien, der traumatisierten Kinder aus Ländern, die an Gewalt, Unmenschlichkeit, Krieg, kultureller und religiöser Unterdrückung unterzugehen drohen.

Bauen wir Mauern ab, und nicht auf! Feiern wir die Christnacht in der Glaubensgewissheit, dass sich in Christus der „Gott mit uns“ allen Menschen geschenkt hat. Ob sie ihn kennen oder nicht. Auf welchen Wegen, in welchen Kulturen und Religionen sie auch immer den Gott mit uns suchen, in welchen „Schatten und Bildern“ (vgl. die Kirchenkonstitution Lumen gentium 16) auch immer. Zeigen wir einander das menschliche Gesicht Gottes.

 

Perikope
24.12.2014
1,18-25