Predigt zu Matthäus 20,1-16a von Angelika Überrück
Liebe Gemeinde,
„Paul ist acht Jahre alt. Paul braucht Geld: 6,50 €. Er möchte sich dafür etwas kaufen. Verdienen kann er noch nichts. Bitte sagen mag er nicht. Da fällt ihm etwas ein: Er schreibt seiner Mutter eine Rechnung:
Für das Anziehen der kleinen Schwester 1,50 €
Für das Aufpassen 2,00 €
Fürs Einkaufen 3,00 €
Macht zusammen 6,50 €
Vor dem Mittagessen legt er diese Rechnung heimlich unter den Teller der Mutter. Mutter findet den Zettel. Sie liest ihn. Sie schaut Paul an. Sie sagt kein Wort. Sie legt den Zettel in die Kommode. Paul weiß gar nicht, was er davon halten soll. Er ist ganz aufgeregt.
Am Abend liegen unter seinem Teller zwei kleine Briefe. In dem ersten Brief sind 6,50 €. In dem anderen Brief liegt ein Zettel: Rechnung von der Mutter:
Für Essen und Trinken 0,00 €
Fürs Waschen, Plätten und Flicken der Sachen 0,00 €
Für die Pflege bei Krankheit 0,00 €
Für Erziehung 0,00 €
Fürs Liebhaben 0,00 €
Macht zusammen 0,00 €
Als Paul das liest, wird er sehr nachdenklich. Leise steht er auf und geht in die Küche. Leise legt er das Geld auf den Küchentisch. Dann geht er schnell wieder hinaus.“
(Siehe: Vorlesebuch Religion 1, S. 21, Die Rechnung)
Soweit diese Geschichte. Sie kann verdeutlichen, worum es in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg geht. Paul rechnet wie die Arbeiter, die am Ende eines langen Arbeitstages vor dem Verwalter des Weinberges in der Schlange stehen und auf die Auszahlung ihres Lohns warten. Paul möchte, dass seine Arbeit gerecht bewertet wird und versucht den Wert seiner Arbeit selber abzuschätzen. Auch die Arbeiter im Weinberg haben gearbeitet, um einen gerechten Lohn zu erhalten. Die, die den ganzen Tag gearbeitet haben, wissen, was vereinbart ist. Sie haben gearbeitet mit der Überzeugung, dass ihr versprochener Lohn nach den damaligen Maßstäben für einen Tag Lebensunterhalt reichen müsste. Die anderen Arbeiter werden darauf hoffen, wenigstens genug für eine Mahlzeit zu bekommen.
Und dann kommt die Lohnauszahlung: allerdings sowohl in dem Gleichnis als auch in der Geschichte von Paul und seiner Mutter mit einer überraschenden Wendung.
Die Mutter zählt ihre Leistungen genauso wie Paul auf, kommt aber in der Summe zu einem ganz anderen Ergebnis. Denn sie liebt Paul und deshalb rechnet sie nicht auf, deshalb berechnet sie nicht. Die Mutter verschenkt das, was sie hat. Auch der Weinbergbesitzer entlohnt nicht nach Leistung. Sondern er gibt jedem so viel, wie er es für richtig hält. Er beschenkt einige der Arbeiter, damit auch sie genug haben, um durch den nächsten Tag zu kommen. Ihm ist es wichtig, dass es allen gut geht.
Dass die Mutter ihre Leistungen, ihr Handeln in und für die Familie verschenkt, ist für uns selbstverständlich. Der Weinbergbesitzer dagegen verletzt mit seiner Art der Lohnauszahlung unser Gerechtigkeitsempfinden. Nach unseren menschlichen Maßstäben gemessen ist es ungerecht, dass alle, egal wie lange sie gearbeitet haben, den gleichen Lohn erhalten.
Wenn wir dieses Gleichnis mit den Konfirmanden als Rollenspiel nachspielen, dann beginnen immer sofort Diskussionen, wie man diese Ungerechtigkeit beseitigen kann. Die Konfirmanden spielen, dass sich die Arbeiter zusammenschließen, einen Sprecher wählen, der für sie und ihre vermeintlichen Rechte eintritt. Der dafür sorgen soll, dass doch noch alle zu einem gerechten Lohn kommen. Und derjenige, der den Weinbergbesitzer spielt, hat eine schwierige Aufgabe. Denn den anderen klar zu machen, dass ihnen kein Unrecht geschieht, sondern sie den vereinbarten Lohn bekommen, ist nicht einfach. Wenn ich dann frage, welche Überschrift man diesem Gleichnis geben könnte, kommt oft als Vorschlag „vom ungerechten Lohn“ oder „vom ungerechten Weinbergbesitzer“. Die Auszahlungsart dieses Weinbergbesitzers passt eben nicht zu unserer Vorstellung von Gerechtigkeit, von menschlicher Gerechtigkeit, von Bezahlung nach Leistung.
Was gerecht und was ungerecht ist lernen wir von klein auf. Wir lernen es, weil wir eine Ahnung davon haben, dass mehr Gerechtigkeit unser Zusammenleben besser macht. Dabei vergleichen wir und bewerten Abweichungen als ungerecht. Schon kleine Kinder achten darauf, dass kein Kind mehr bekommt. Da wird jedes Gummibärchen, jedes Stück Schokolade abgezählt und geteilt. Wer sich mehr nimmt, auf den sind die anderen sauer. Wir haben letztes Jahr im Kindergottesdienst in einer Einheit zum Thema Gerechtigkeit allen Kindern ein Gummibärchen gegeben und nur einem Kind eine kleine Tüte voll. Das gab Grummeln, Rumoren und Wut. Erst als zum Schluss dann alle auch eine kleine Tüte voll erhielten, war der Friede wieder hergestellt. Wenn nicht alle das gleiche erhalten, ist es ungerecht.
Andererseits ärgern wir uns bei dem Gleichnis gerade darüber, dass alle gleich behandelt werden. Weil Gerechtigkeit, so wie wir sie verstehen, auch immer etwas mit Leistung und Gegenleistung zu tun hat. Und wenn Leistung und Gegenleistung nicht miteinander übereinstimmen, empfinden wir es als ungerecht.
Und so bemühen wir uns ein Leben lang, gerecht zu sein, merken aber immer wieder, dass es nicht gerecht zugeht.
An diesem Wochenende hat es Zeugnisse gegeben. Da erwarten wir, dass die Noten gerecht vergeben wurden. Für gute Leistung gute Noten und für schlechte Leistungen schlechte Noten. Ich kenne viele Eltern, die den Wert ihres Kindes nach den Noten beurteilen und deshalb unbedingt bei den Zeugniskonferenzen dabei sein möchten. Schade, denke ich dann immer, denn wie viel wichtiger wäre es, sich an anderen Stellen für die Kinder zu engagieren und gerade denen zur Seite zu stehen, die nicht so gut sind. Denn manchmal sind Noten gar nicht so gerecht. Da stimmt die Chemie zwischen Schüler und Lehrer nicht und schon wird es schwierig. Da quasselt jemand ständig, weil er sich langweilt, und schon gibt es Probleme. Egal, wie die Noten auch sind, die Kinder haben sich ein halbes Jahr lang angestrengt. Und der Wert eines Kindes bemisst sich nicht an den Noten.
Auch im Berufsleben erwarten wir Gerechtigkeit: Jemandem, der viel arbeitet, wird auch viel Lohn gezahlt, und jemandem, der nichts tut, eben weniger. Daran messen wir auch unseren eigenen Wert, indem wir uns mit anderen vergleichen. Deshalb ärgert uns das Verhalten des Weinbergbesitzers, weil er alle aufgestellten Regeln, die Gerechtigkeit nach Leistung und Gegenleistung oder Belohnung bemisst, auf den Kopf stellt.
Aber wenn wir uns in unserer Welt umsehen, dann merken wir allerdings auch schnell, dass wir es bei allem Bemühen nicht schaffen, wirklich gerecht zu sein. Denn welcher Arbeitslohn heute ist schon gerecht? Es gibt da viele Ungerechtigkeiten, genauso wie damals im Gleichnis. Warum verdient beispielsweise eine Krankenschwester oder Menschen, die im Rettungsdienst und in der Altenpflege tätig sind, so wenig? Warum bekommen Erzieherinnen nicht mehr Gehalt? Arbeitet ein Manager wirklich so viel Stunden mehr als sie? Hat er wirklich so viel mehr Verantwortung? Da sind Asylanten, die bei uns arbeiten wollen, aber es laut Gesetz über Monate hinweg nicht dürfen. Und wie viele Menschen gibt es, die von dem, was sie verdienen, gar nicht leben können? Die Diskussion um den Mindestlohn im letzten Jahr, den es ja nun seit 1. Januar gibt, hat das deutlich gemacht. Das, was man verdient, muss auch zum Leben reichen.
Von daher ist der Weinbergbesitzer unserer Zeit weit voraus. Denn er bezahlt einen Mindesttageslohn, nicht nur einen Mindeststundenlohn. Und unbezahlte Überstunden muss man bei ihm auch nicht machen. Für ihn steht einzig und allein im Vordergrund, dass alle genug zum Leben haben.
Allerdings ist dieses Gleichnis natürlich keine Anleitung zu besserem betriebswirtschaftlichen Handeln. Vermutlich würde der Weinbergbesitzer bei einer solchen Handlungsweise bald keine Arbeiter mehr finden, denn die meisten würden ja erst kurz vor Schluss kommen, wenn sie wüssten, dass sie dann auch noch vollen Lohn erhielten. Die Arbeit im Weinberg würde liegen bleiben. Und dann wäre der Weinbergbesitzer vermutlich schnell pleite, wenn er immer allen den gleichen Lohn auszahlen würde. Dieses Gleichnis ist auch kein Beitrag zur Mindestlohndebatte. Nein, um korrekten Umgang mit Lohn und Gehalt geht es nicht.
Sondern es geht um das das Verhältnis von Gerechtigkeit und Liebe. Das Gleichnis möchte deutlich machen, wie Liebe und Gerechtigkeit zusammenhängen, dass es bei Gott andere Maßstäbe gibt als bei uns. In Gottes Welt, die Bibel nennt es Reich Gottes, wird der Wert eines Menschen nicht durch den Vergleich mit anderen bemessen und er wird auch nicht über die Leistung bestimmt.
Die Mutter in unserer Geschichte tut genau das, was man von einer Mutter erwartet: sie rechnet ihre Liebe, ihr Handeln für die Kinder und für die Familie nicht auf. Das ist für sie selbstverständlich. Sie schreibt es ja nur auf, um ihrem Sohn etwas deutlich zu machen: nämlich, wie viel Liebe, wie viel Zeit sie investiert. Wie viel sie gibt, was er nicht sieht, nicht wahrnimmt.
Gott geht noch weiter als die Mutter: Er rechnet seine Liebe nicht auf. Er schreibt auch nicht auf, wie viel er tut. Er sagt nur: „Ich will euch geben, was recht ist.“ Und das ist mehr als die Arbeiter erwarten. Recht in Gottes Augen ist es, dass es allen Menschen gut geht. Dass alle sich am Leben freuen können. Damit durchbricht Gott alle Erwartungen. Weil er für seine Liebe zu uns Menschen keine Leistung fordert. Gott bemisst unseren Wert nicht nach Leistung. Sondern er beschenkt uns. Wir brauchen nichts zu tun. Wir dürfen uns einfach über Gottes Liebe freuen. So wie wir uns am Geburtstag über ein lang ersehntes Geschenk, über die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches freuen.
Allerdings kennen Sie wahrscheinlich auch alle Menschen, denen es schwer fällt, ein Geschenk einfach anzunehmen. Sie rechnen den Wert des Geschenkes aus und meinen dann, beim nächsten Mal in gleicher Höhe schenken zu müssen. Der Schenkende erwartet das manchmal allerdings auch. So ist das Geschenk der Liebe Gottes nicht gemeint. Gott liebt und wertschätzt uns, ohne dass wir etwas gegenleisten müssen.
Wenn wir Menschen nur nach ihrer Leistung beurteilen und für jede Leistung auch eine Gegenleistung erwarten, dann können wir uns nicht richtig freuen. Dann spüren wir gar nicht, wie schön es ist, beschenkt zu werden. Wir dürfen uns freuen, weil wir beschenkt werden. Weil andere beschenkt werden. Der Weinbergbesitzer fragt am Schluss: „Bist du neidisch, weil ich großzügig bin?“ Und wir müssen eingestehen: Ja, dann, wenn wir uns ärgern über den Weinbergbesitzer, dann sind wir neidisch. Neidisch, weil wir meinen, zu kurz zu kommen. Neidisch, weil die eigene Leistung nicht gewürdigt wird.
Aber vielleicht können wir ja lernen, Gottes Gerechtigkeit zu leben. Sicher eine andere Gerechtigkeit als die nach Lohn und Leistung, aber eine, die den anderen Menschen sieht, der auch ein von Gott geliebter Mensch ist. Eine Gerechtigkeit, die alle Menschen im Blick hat und alle mit den Augen der Liebe ansieht. Die will, dass es allen Menschen gut geht. Wenn wir lernen könnten, diese Gerechtigkeit zu leben, wäre das schon ein Stück Himmel auf Erden. Amen
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Gerecht ist anders, oder? - Predigt zu Matthäus 20,1-16 von Katharina Wiefel-Jenner
Gerecht ist anders, oder?
Erzähl uns mehr, Jesus! Wie wird es sein, wenn wir dir nachfolgen? Wie wird es sein, wenn wir mit dir aufbrechen? Erzähl uns - nur eine Geschichte. Wir lieben deine Geschichten. Eine Geschichte vom Himmelreich - und dann werden wir verstehen, wie der Himmel sein wird. Nur eine Geschichte noch, damit wir begreifen, worauf wir achten müssen; damit wir ahnen, wo wir hingehören. Erzähl uns, Jesus – wir hören dir zu.
„Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der sich früh am Morgen aufmachte, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. 2 Er fand etliche und einigte sich mit ihnen auf den üblichen Tageslohn von einem Denar. Dann schickte er sie in seinen Weinberg. 3 Gegen neun Uhr ging er wieder auf den Marktplatz und sah dort noch andere untätig herumstehen. 4 ›Geht auch ihr in meinem Weinberg arbeiten!‹, sagte er zu ihnen. ›Ich werde euch dafür geben, was recht ist.‹ 5 Da gingen sie an die Arbeit. Um die Mittagszeit und dann noch einmal gegen drei Uhr ging der Mann wieder hin und stellte Arbeiter ein. 6 Als er gegen fünf Uhr ein letztes Mal zum Marktplatz ging, fand er immer noch einige, die dort herumstanden. ›Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?‹, fragte er sie. 7 ›Es hat uns eben niemand eingestellt‹, antworteten sie. Da sagte er zu ihnen: ›Geht auch ihr noch in meinem Weinberg arbeiten!‹
8 Am Abend sagte der Weinbergbesitzer zu seinem Verwalter: ›Ruf die Arbeiter zusammen und zahl ihnen den Lohn aus! Fang bei den Letzten an und hör bei den Ersten auf.‹ 9 Die Männer, die erst gegen fünf Uhr angefangen hatten, traten vor und erhielten jeder einen Denar. 10 Als nun die Ersten an der Reihe waren, dachten sie, sie würden mehr bekommen; aber auch sie erhielten jeder einen Denar. 11 Da begehrten sie gegen den Gutsbesitzer auf. 12 ›Diese hier‹, sagten sie, ›die zuletzt gekommen sind, haben nur eine Stunde gearbeitet, und du gibst ihnen genauso viel wie uns. Dabei haben wir doch den ganzen Tag über schwer gearbeitet und die Hitze ertragen!‹ 13 Da sagte der Gutsbesitzer zu einem von ihnen: ›Mein Freund, ich tue dir kein Unrecht. Hattest du dich mit mir nicht auf einen Denar geeinigt? 14 Nimm dein Geld und geh! Ich will nun einmal dem Letzten hier genauso viel geben wie dir. 15 Darf ich denn mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich so gütig bin? ‹
16 So wird es kommen, dass die Letzten die Ersten sind und die Ersten die Letzten.“
(Neue Genfer Übersetzung)
Nein, Jesus! Das ist keine Himmelsgeschichte. Das passt nicht zu Gott. Gott ist gerecht, Gott ist gut. Und im Himmel geht es gerecht zu. Im Himmel, bei Gott, gibt es wirkliche Gerechtigkeit. Im Himmel muss sich niemand mehr beschweren. Im Himmel fühlt sich niemand übervorteilt. Im Himmel wird niemand betrogen und ungerecht behandelt. So ist der Himmel nicht. Nein, Jesus! Erzähl uns, wie es wirklich im Himmel ist.
Und mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der sich früh am Morgen aufmachte, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen...
Jesus! So etwas gibt es nicht, auch nicht in einer Himmelsgeschichte. Welcher Gutsbesitzer geht denn früh morgens los und stellt selbst die Arbeiter ein. Kein Gutsbesitzer geht mit dem Sonnenaufgang los und sucht sich seine Arbeiter eigenhändig zusammen. Nein Jesus – wenn das der Himmel ist, dann ist das sehr ungewöhnlich. Ein Gutsbesitzer hat seine Leute, seinen Personalchef, der diesen ganzen leidigen Papierkram mit den Bewerbungen, Referenzen, Arbeitszeugnissen und Gehaltsverhandlungen erledigt. Wenn Gott wie dieser Gutsbesitzer ist, dann hieße das doch, dass Gott sich nicht auf irgendwelche Personalchefs oder Diener verlässt, sondern sein Personal direkt rekrutiert. Davon merken wir nur in glücklichen Momenten etwas.
Schon eher nach Himmel klingt freilich, dass der Denar ein ziemlich üppiger Tageslohn ist. Mit einem Denar hat man mehr als doppelt so viel, wie eine Kleinfamilie zum Leben für einen Tag braucht. Geizig ist Gott also nicht – er will mehr als den Mindestlohn zahlen. Aber mal ehrlich Jesus - das ist ohnehin klar: Gott ist kein Ausbeuter, Menschenschinder, kein Lohndrücker. Das reicht so noch nicht für eine Himmelsgeschichte, Jesus. Für eine wirkliche Himmelsgeschichte ist mehr nötig als nur die Aussicht auf mehr als den Mindestlohn.
Und mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der gegen neun Uhr und zur Mittagszeit und um drei Uhr und sogar um fünf Uhr noch einmal losgeht, um neue Arbeiter einzustellen.
Jesus! Der Gutsbesitzer hat keinen Plan. Soll das eine Himmelsgeschichte sein? Gott hat keinen Plan? Das kannst Du nicht gemeint haben, Jesus. Gott soll so fern von den Realitäten sein? Am Morgen weiß man doch, wie viele Leute man braucht. Außerdem gibt es keinen erkennbaren Grund in deiner Himmelsgeschichte, warum der Gutsbesitzer nach drei, sechs, neun und elf Stunden noch einmal neue Arbeiter anheuert. Du hast nichts davon berichtet, dass der Gutsbesitzer den Fortschritt der Arbeit auf dem Weinberg zwischenzeitlich begutachtet hätte. An neuen Aufgaben im Weinberg kann es demnach nicht gelegen haben. Dass die Arbeit im Weinberg unendlich zu sein scheint, wusste der Gutsbesitzer schon vorher.
Das kann nicht das Himmlische an deiner Himmelsgeschichte sein – dass Gott losgeht und immer wieder losgeht und noch einmal losgeht. Oder doch?
Immerhin findet er jedes Mal neue Arbeiter. Männer, die untätig auf dem Parkplatz oder neben der Tankstelle herum stehen, kennen wir auch. Aber die suchen nicht unbedingt nach Arbeit. Wer am Morgen in der Jobvermittlung nichts abbekommen hat, geht wieder nach Hause oder in die Kneipe, aber wartet nicht weiter. Ist das das Himmlische an deiner Geschichte, Jesus? Braucht der Himmel die nicht versiegende Sehnsucht, ausgewählt zu werden? Ist das der Himmel, wenn man in der Hoffnung ausgewählt zu werden, nicht enttäuscht wird? Öffnet das den Himmel, wenn man nicht aufgibt und weiter darauf hofft, beim nächsten, übernächsten oder überübernächstem Mal doch noch dazu zu gehören? Die Männer und Frauen, die kurz vor Sonnenuntergang angestellt werden, stehen zwar den langen Tag untätig herum, bevor Gott sie anspricht. Aber sie geben nicht auf, weil sie die Hoffnung haben, dass da noch was kommt. Sie warten, weil das Leben so nicht alles gewesen sein kann. So gesehen, Jesus, passt das zu Gott und die Geschichte klingt tatsächlich ein wenig nach Himmel.
Aber was du dann erzählst, Jesus, das passt einfach nicht zu Gott. Wieso soll das der Himmel sein?
Die Letzten mögen sich wie im Himmel gefühlt haben. Sie haben mit einer Stunde Arbeit mehr als genug zum Leben verdient. Diese Glückspilze! Die Stunden der Sehnsucht, die verzweifelte Angst einen vergeblichen Tag hinter sich bringen zu müssen, der verzweifelte Versuch, wenigstens etwas Vorzeigbares zu erreichen – alles wurde der Arbeit im Weinberg gleichgestellt und genauso bezahlt. Als ob ihre Schmerzen über ihr untätiges Warten honoriert wurden. Die Wiederherstellung der Würde durch einen Denar. Das ist der Himmel, das ist Gott.
Aber die ersten? So kann Gott doch nicht mit ihnen umgehen? Ist das die himmlische Gerechtigkeit? Wir hätten uns auch beschwert, Jesus. Das ist einfach ungerecht, das ist unfair. Auch wenn der Gutsbesitzer sich mit allem Grund auf die Abmachung vom frühen Morgen berufen kann. Auch wenn der Tarif abgemacht war und der Gutsbesitzer sich korrekt und vertragstreu verhalten hat - das ist doch nicht in Ordnung! So ist Gott nicht! Das ist nicht Gott!
Ist das die Lehre aus deiner Himmelsgeschichte: im Himmel geht es zwar korrekt, aber letztlich ungerecht zu? Willst du uns mit dieser Himmelsgeschichte den Glauben an Gott vermiesen, Jesus?
Paulus hilf du uns doch, du hast Jesus doch immer so gut verstanden? Paulus, schaffst du es, die Meckernden und Murrenden zu besänftigen? Kannst Du uns Jesus erklären?
Du, Paulus meinst, dass es Jesus in dieser Geschichte gar nicht um die Gerechtigkeit geht, sondern darum, dass Gott uns selbst will. Dich und mich, so wie wir hier sitzen. Du meinst: Jesus erzählt uns mit seiner Himmelsgeschichte, dass wir Gott nicht mit unserer Hände Arbeit und mit unseren frommen Gedanken und Gebeten beeindruck können. Du meinst, dass Gott anders rechnet. Du meinst, dass bis kurz vor Schluss die Tore zum Himmel offen bleiben und am Ende werden alle gleichberechtigt sein. Es geht also nicht um Gerechtigkeit, sondern um Gleichberechtigung. Die, die schon immer zu Gott gehalten haben, sitzen im Himmel nicht auf bequemeren Plätzen, trinken keinen köstlicheren Wein, hören keine bessere Musik, haben keine schöneren Stimmen zum Lobgesang, tragen keine strahlenderen Kleider? Im Himmel ist diese elende Hierarchie aufgehoben, die uns schon von Kindesbeinen an in den Wettkampf um die besten Startplätze zum guten Leben schickt. Im Himmel zählt nur noch, da zu sein und bei Gott zu sein. Noch in letzter Minute geht Gott los und engagiert, wer auch immer voller Sehnsucht ist. Es geht nicht um die Arbeit, um die Last der Mittagshitze und die Schufterei unter glühender Sonne. Tatsächlich ist es doch auf andere Art unerträglich schwer und mühsam, untätig herumzustehen und zu warten, sich vor Sorge zu zermartern, zu grübeln, wo das tägliche Brot für morgen herkommen soll, zu berechnen, wie lange die Vorräte reichen und ob jemand im Notfall das Geld für die Apotheke leihen kann, wenn das Kind krank wird. Die Mühen und Plagen des Tages unterscheiden sich von außen, von innen ist die Sehnsucht nach der Schönheit des Himmels das Entscheidende. Und die wird sich erfüllen, genau dann, wenn der Gutsbesitzer-Gott vorbei kommt und sagt: „Los, steh nicht weiter untätig rum, da ist der Weinberg, mache dich auf. Du wirst satt werden, du wirst mehr als genug bekommen, du wirst das Leben finden. Du wirst bei mir sein und alles andere wird unwichtig. Nichts kann dich mehr von meiner Liebe trennen.“ Egal zu welcher Stunde Gott das sagt, es passt zu Gott. Das klingt doch nach Gott!
Wir lieben deine Geschichten, Jesus. Aber am nächsten Sonntag erzähle uns eine Geschichte vom Himmelreich, die wir schneller verstehen werden, bei der wir nicht erst murren und meckern, bevor wir verstehen, wie der Himmel sein wird. Erzähle weiter, damit wir begreifen, worauf wir achten müssen; damit wir ahnen, wo wir hingehören.
Amen.
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Vom Gipfel zum Leben in dieser Welt - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Matthias Riemenschneider
Vom Gipfel zum Leben in dieser Welt
Liebe Gemeinde,
Der Ort ist für die Verklärung wichtig. Es ist der Gipfel eines Berges. In unserem Text wird der Name dieses Berges nicht genannt. Die biblische Tradition kennt nur einen Berg, der dafür in Frage kommt: den Tabor in Galiläa am Ostrand der Jesreel-Ebene.
Heute ist der Tabor für Touristen ein fester Programmpunkt bei der Rundreise in Israel. Schon im Alten Testament wird die Erhabenheit dieses Berges beschrieben und seine Höhe mit der Macht Gottes verglichen. Unvermittelt ragt der Tabor wie ein Kegel aus Ebene heraus. Im Volksmund heißt er deshalb der „Zeigefinger Gottes“.
Die Bilderwelt unseres Predigttextes weist uns den Weg zu einem Geheimnis des Glaubens. Ein Geheimnis ist etwas anderes als ein Rätsel. Ein Rätsel kann man lösen. Ein Geheimnis kann man allenfalls beschreiben und dabei seine Bedeutung jenseits aller rationalen Durchdringung respektieren. Vielleicht liegt hierin auch der Grund, warum Jesus seine drei Jünger auffordert, von diesem Erlebnis erst nach seiner Auferstehung zu reden. Über das Besondere, das Außergewöhnliche – ja auch das Überwältigende kann man nicht ständig reden. Einem geliebten Menschen kann und muss man nicht alle fünf Minuten sagen, wie sehr man ihn liebt. Wie mit der Liebe, so ist es auch mit der Gottesnähe; wir erfahren sie, aber wir reden nicht ständig von ihr.
Nähern wir uns den Bildern, mit denen Matthäus dies Geheimnis beschreibt.
Da ist zuerst der Gipfel des Berges. Solche Gipfel bieten häufig besondere Erlebnisse. Wir können das leicht nachvollziehen, wenn wir etwa auf dem Lemberg einen Sonnenuntergang beobachten und Zeuge werden, wie die Leonberger Höhe in ein leuchtendes Rot getaucht wird und uns dabei noch eine Gedichtzeile Hölderlins in den Sinn kommt.
Berge sind oft auch Orte des Rückzugs, der Besinnung und der Auszeit. Auch das kennen wir aus unserem Leben. Vor wichtigen Aufgaben tanken wir Ruhe, vor schwierigen Entscheidungen ziehen wir uns zurück, um unsere Kräfte zu sammeln mit denen wir „über den Berg kommen“.
Vor den Augen und den Ohren der Jünger wird Jesu Vollmacht bestätigt. In der Dramaturgie des Evangeliums geschieht die Verklärung zwischen der ersten und der zweiten Leidensankündigung Jesu. Gipfelerlebnisse sind immer Wendepunkte. Nach dem Aufstieg zum Gipfel muss man wieder den Weg in die Ebene zurückgehen. Deshalb ist das Ansinnen von Petrus irrig, drei Hütten zu bauen und damit das Besondere und das Überwältigende für die Ewigkeit zu konservieren. Es würde bestenfalls ein Museum dabei herauskommen.
Wir kennen auch die Redewendung „die Mühen der Ebene“. In diese Ebene zurück führt der Weg für den Verklärten, auf dem er seine Jünger mitnimmt. Aber vorher geschieht noch etwas anderes:
„7Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!“
Glaube kann manchmal ein heiliges Erschrecken sein. Jedenfalls machen die Jünger eine im wahrsten Sinn umwerfende Erfahrung. Was sie sehen und hören übersteigt ihre Möglichkeiten der Wahrnehmung. Wie schon Mose und Elia vor ihnen löst die Erscheinung Gottes bei ihnen Furcht und Zittern aus. Aber Jesus berührt sie und richtet sie aus ihrer Demutsgebärde wieder auf. Er gibt ihnen ihr menschliches Maß und damit ihre Würde zurück. Ein Kapitel nach unserem Text muss Jesus freilich den Rangstreit zwischen den Jüngern schlichten und sie von ihren Höhenflügen auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Die Bilder, die Matthäus verwendet, kann man angemessen so zusammenfassen: ‚Ohne Abstieg bleiben Gipfelerfahrungen wertlos. Ohne Gipfelerfahrungen wird jeder Abstieg zu einem Trauermarsch‘.[1]
In unserem individuellen Leben haben wir zu diesen Gedanken einen unmittelbaren Zugang. Für alles, was lange währen soll, brauchen wir immer wieder Gipfelerlebnisse, Erfahrungen des Glücks und der Ermutigung, an denen wir Kraft tanken, damit wir die Mühen des Alltags gut überstehen. Das gilt für das Zusammenleben von Paaren genauso wie für ein langes Arbeitsleben, für das wir auch immer wieder Erfolgserlebnisse und Anerkennung benötigen. An dieser Stelle dürfen wir nicht stehenbleiben. Erfolgserlebnisse beleben den Alltag. Wenn man nur einseitig die Höhepunkte festhalten will, erreicht man am Ende nur Stillstand.
Mit meinen bisherigen Gedanken befinden wir uns ausschließlich in der Welt des persönlichen Erlebens. Haben diese Gedanken eine Bedeutung für das, was uns politisch in diesen Wochen bewegt? Der Terror der selbsternannten muslimischen Gotteskrieger erschüttert die Welt. Um die Hintergründe dieses Terrors verstehen zu können, ist es nötig die Verschränkung der politischen Kultur mit der Religion des Islam zu beleuchten.
Die kulturelle Blüte des Islam lag im Mittelalter, noch bevor mit Reformation und Humanismus sich im Westen eine Loslösung von der kirchlichen Bevormundung abzeichnete. In Philosophie, Naturwissenschaften und Mathematik war die islamisch geprägte Kultur der europäischen sogar in Teilen überlegen.
Die Entdeckung Amerikas ist im Osmanischen Reich, dass die politische Einheit für die Welt des Islam darstellte und zu dieser Zeit seine machtvollste Ausdehnung besaß, überhaupt nicht beachtet worden. Und doch legte die Entdeckung der neuen Welt den Grundstein für den wirtschaftlichen und politischen Niedergang des Osmanischen Reiches – eine Erfahrung von Abstieg und Ausgeliefertsein, das die islamische Welt in weiten Teilen bis heute prägt.
Der Buchdruck, mit dem die Weitergabe von Wissen um ein Vielfaches beschleunigt wurde, durfte im Osmanischen Reich erst 300 Jahre nach Johannes Gutenberg eingeführt werden. Dies hatte vornehmlich religiöse Gründe, weil die arabische Hochsprache, in der der der Koran überliefert ist, eine vorwiegend religiöse und liturgische Bedeutung hat. Deshalb unterliegt die mechanische Vervielfältigung der heiligen Sprache einem Tabu.
An diesem kleinen Beispiel wird deutlich, wie der bis ins Mittelalter hinein selbstverständliche geistige und kulturelle Austausch zwischen Okzident und Orient unterbrochen wurde, weil sich die Entwicklung der Sprache, der Weitergabe von Wissen und damit auch die kulturelle Entwicklung der Gesellschaften getrennt voneinander zu entwickeln begannen.
Für Westeuropa ist die Entwicklung hin zur Moderne mit der Säkularisierung verbunden. Säkularisierung kann man als „Einhegung des Sakralen“ bezeichnen. Das heißt: Vorschriften der Religion und die Erfahrung der Transzendenz bestimmen nicht mehr vollständig das Alltagsleben der Menschen, sondern werden auf bestimmte Bereiche begrenzt. Dies ermöglichte der westlichen Zivilisation eine eigenständige Entwicklung, die weitgehend frei von religiösen Verboten und Einschränkungen ist.
Diese Form der Einhegung des Sakralen hat die Mehrzahl der arabisch-muslimischen Gesellschaften nicht mitvollzogen. Auf der Religion basierende Vorschriften bestimmen bis heute das Alltagsleben vieler Menschen, die gesellschaftliche Ordnung und die staatliche Gesetzgebung. Damit wird weitgehend eine alte Ordnung konserviert, die nicht dynamisch im Zusammenleben der Menschen weiterentwickelt wird.
In der islamischen Kultur kommt noch ein anderes Verständnis des Gesetzes hinzu. In der traditionellen Ethik werden die Vorschriften für das Alltagsleben aus dem Gesetz hergeleitet. Erst die Erfüllung des Religionsgesetzes ermöglicht das „richtige“ Leben des Gläubigen. Wenn dieses richtige Leben erreicht ist, erfüllt sich die Geschichte. Diese Erfüllung der Geschichte ist in der traditionellen Vorstellung mit Bildern verknüpft, die eine Rückkehr in die idealisierte Zeit des Propheten in Mekka und Medina bedeuten. In dieser Lesart des Koran sehnt man sich nach dem Gipfel der Verklärung zurück
Aus diesem religiös motivierten Anspruch heraus das gesellschaftliche Leben zu gestalten wird die eigenartige Spannung sichtbar, die das Verhältnis von Islam und aufgeklärter Moderne kennzeichnet.
Dies erklärt nicht die Ursachen eines fundamentalistischen Terrors, macht aber den Graben sichtbar, der sich in den vergangenen 500 Jahren zwischen der europäisch-christlichen und der arabisch-muslimischen Welt aufgetan hat. Die Aufgabe, die die großen Religionen angesichts dieses Terrors haben, ist den abgerissenen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Dabei kann jede Religion aus dem Reichtum ihrer Tradition schöpfen, ohne den Reichtum der anderen Tradition damit abzuwerten.
„7Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!“ In dieser Aufforderung Jesu an seine Jünger, aufzustehen, den Gipfel der Verklärung zu verlassen und in die Ebene hinabzusteigen, liegt eine besondere Ermutigung. Sie brauchen sich nicht blind der Erhabenheit Gottes zu unterwerfen. Sondern im Gegenteil sind sie aufgefordert, in einem aufrechten, die menschliche Würde wahrenden Handeln ihr Leben zu gestalten und in einer nach vorne hin offenen Zukunft zu entwickeln. Die Begegnung mit Gott ist nicht auf die Offenbarung auf dem Berggipfel beschränkt, sondern geschieht ebenso im Vollzug unseres Alltags.
Amen
Literatur:
Dan Diner, Versiegelte Zeit. Über den Stillstand in der islamischen Welt, Berlin ³2010
Lothar Steiger, Erzählter Glaube. Die Evangelien, Gütersloh 1978, S. 144 – 152.
[1] Hans Joachim Schliep, Predigt zu Matthäus 17, 1-9. In: Göttinger Predigten im Internet, 9. Februar 2003. Dieser Predigt verdanke ich wichtige Hinweise.
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Predigt zu Matthäus 17,1–9 von Irmtraud Ahlers
Liebe Gemeinde,
Die Begegnung mit dem Heiligen hat etwas Faszinierendes und Erschreckendes zugleich. Sie verwirrt, ja, überrascht Menschen, so dass sie sich fürchten und zugleich wundersam berührt sind. Die Begegnung mit dem Heiligen bleibt nicht ohne Folgen, sondern setzt Menschen in Bewegung.
Davon erzählt die Bibel in vielen Geschichten,
Davon können wir selber –vielleicht auch- aus unserem eigenen Erleben Geschichten hinzufügen, die unsere Lebenswege maßgeblich beeinflusst haben.
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?“ ruft der Psalmbeter und richtet seinen Blick sehnsuchtsvoll nach oben, als wäre Gott da anzutreffen. Und, als gäbe er sich die Antwort nach einem Atemzug selber, heißt es dann: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“
Da oben, wo Himmel und Erde sich berühren, ist für die Menschen der Bibel häufig der Ort der Gottesbegegnung.
Mose ist Gott dort nahe gekommen, unverhofft, beim Hüten der Schafe. Viele Jahre später wird er eigens diesen Berg hinaufsteigen, um die Weisungen und Gebote Gottes in Empfang zu nehmen, die das Zusammenleben der Israeliten fortan ordnen sollten.
Und heute, am letzten Sonntag nach Epiphanias, ist es, als stünden wir im Spannungsbogen des Kirchenjahres auch auf einer Höhe, einem Bergkamm gleich. Im Rücken liegt das Tal, dessen Weg aus Bethlehem heraufführte. Wir sehen das helle Licht, dass mit Jesu Geburt in die Welt kam und die Finsternis erhellte. Auf der anderen Seite des Kamms liegt das Tal, dessen Weg am Ende nach Jerusalem und Golgatha führt. Ein anderer, intensiver, Wegabschnitt im Leben Jesu beginnt.
Auch die Predigtgeschichte aus dem Matthäusevangelium führt uns heute hinauf auf einen hohen Berg zu einer besonderen Gottesbegegnung. (Lesung Mt 17, 1 – 9:)
Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich
Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder,
und führte sie allein auf einen hohen Berg.
Und er wurde verklärt vor ihnen,
und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,
und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia;
die redete mit ihm.
Petrus aber fing an und sprach zu Jesus:
„Herr, hier ist gut sein!
Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen,
dir eine, Mose eine und Elia eine.“
Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke.
Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach:
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe;
den sollt ihr hören.“
Als das die Jünger hörten,
fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr.
Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach:
„Steht auf und fürchtet euch nicht!“
Als sie aber ihre Augen aufhoben,
sahen sie niemand als Jesus allein
Und als sie vom Berge herabstiegen,
gebot ihnen Jesus und sprach:
„Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen,
bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“
Liebe Gemeinde,
eine geheimnisvolle Geschichte ist das, mit Anspielungen und verborgenen Verlinkungen, ein religiöses visionäres Gipfelerlebnis, das einen zunächst mehr blendet als einen neuen Verstehenshorizont eröffnet.
Jesus begibt sich auf den Berg in die Abgeschiedenheit. Um welchen Berg es sich handelt, wird nicht gesagt.
Der Erzähler scheint den Gottesberg im Sinn zu haben, auf dem Mose Gott begegnet war. Auch hat er die alten Worte aus dem 2. Buch Mose im Sinn als er seine Geschichte aufschreibt, wo es heißt: „Die Herrlichkeit des Herrn ruhte auf dem Berg und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage. Am siebenten Tage erging der Ruf des Herrn an Mose aus der Wolke.“ (Ex 24,16)
Danach ist Mose wieder hinabgestiegen mit den Geboten in den Händen. Er strahlte. Sein Angesicht leuchtete so sehr vom himmlischen Licht, dass er sich mit einem Schleier bedecken musste, als er sich dem Volk, was unten auf ihn wartete, näherte.
Und noch etwas hat der Erzähler im Sinn: das Bergerlebnis des Profeten Elia. Elia zählte neben Mose zu den angebeteten geistigen Vätern Jesu von klein auf. Hatte nicht auch Elia in der Stunde der Verzweiflung auf dem Berg sein Heil gesucht? Und hatte sich Gott nicht auch dort offenbart- im sanften Sausen der Luft?
Das geschah unverhofft, in tiefster Verzweiflung. Elia bewegte das sehr, in tiefster Verzweiflung so sanft und tief berührt zu werden, keine großen Reden und Vorhaltungen zu hören. Ganz von allein gewann Elia wieder Boden unter den Füßen. Gestärkt und mit neuem Selbstvertrauen begab er sich wieder nach unten in die irdischen Gefilde
Jesus sucht die Nähe Gottes und nimmt auf Weg in die höhere Sphäre drei Jünger mit, Petrus und die Brüder Jakobus und Johannes, Jünger, denen er besonders vertraute.
Oben angekommen verwandelt sich Jesus wundersam. Er beginnt zu strahlen und zu leuchten. Und zu ihm gesellen sich plötzlich zwei Gestalten: Elia und Mose. Die Jünger trauen ihren Augen nicht.
Für Jesus waren Elia und Mose zeitlebens leuchtende Vorbilder gewesen. Sie erscheinen ihm, weil es ihm so sehr nach ihnen verlangte. Er beschwört sie sozusagen selbst. Von Kindesbeinen an hatte er mit ihnen Umgang, stets tauschte er sich mit den beiden geistlichen Väter aus in den alten Schriften aus.
Wohin Jesus auch kam, dachten die Leute an Mose und Elia. „Mose ist wieder unter uns!“ riefen sie, oder: „Elia ist wiedergekehrt!“
Nun erscheinen sie ihm auf dem Berg Gottes. Es ist fast als habe Gott sie geschickt, um ihm beiseite zustehen und zu stärken. Die beiden Gestalten, die ihn von der Wiege an so nahe waren, werden ihn auch auf seinem letzten Lebensabschnitt begleiten.
Jesus strahlt, als er die vertrauten Gestalten sieht,
und sein Angesicht leuchtet wie die Sonne,
und seine Kleider werden weiß wie das Licht.
Ihn erwarten Leiden und Tod, doch auf dem Berg ist für Augenblicke Ostern.
Jesus weiß mit diesen beiden Wegbegleitern an seiner Seite, er wird durchhalten.
Eine Vision in hohen Sphären, liebe Gemeinde.
Die Zeit zählt nicht mehr, die Uhren stehen still. Wenn wir in uns hineinhorchen, kennen wir vielleicht ähnliche Momente, wo uns Ahnengestalten, liebe Menschen aus einer anderen Zeit, in einem besonderen Moment auf einmal so nahe kommen, dass man sie förmlich um sich spürt, man sie vielleicht auch sprechen hört, wie sie einem etwas Wichtiges sagen. Das sind kostbare, heilige Momente, die einem einen wichtigen Impuls geben können, so dass man manches danach wieder klarer sieht.
Und die Jünger, die die Adoption Jesu in den Kreis der geistigen und göttlichen Väter auf dem Berg miterleben, was ist mit denen? Petrus findet zuerst zur Sprache zurück und wartet unvermittelt mit einem praktischen Vorschlag auf, um diesen besonderen Moment noch ein wenig zu halten und zu verlängern. Vielleicht war ihm auch bange vor dem, was vor ihnen lag. So redet er eben drauf los:
„Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen,
dir eine, Mose eine und Elia eine.“
Petrus hatte seine Idee noch nicht ganz ausgesprochen, da überschattet sie eine Wolke, aus der sie eine Stimme, Gottes Stimme, hören:
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“
Es ist die Stimme, mit der alles begann, die Stimme am Ufer des Jordans, die Jesus hörte, als er sich taufen ließ:
„Du bist mein Sohn“.
Nun wendet sich die Stimme an die Jünger. Was sie als Zeugen eben wunderbar miterlebt haben, wird nun noch einmal durch die Stimme erklärt: Wer Gott hören und erfahren will, der höre auf diesen Sohn. Gott spricht und wirkt durch ihn.
Die Jünger packt nicht nur ein heiliger Schauer, sondern die Angst.
Verständlich bei dem, was sie selbst gesehen und gehört haben.
Sie fallen zu Boden und verdecken ihr Gesicht.
Jesus kommt auf sie zu, berührt sie und sagt zu ihnen: „Steht auf, und fürchtet euch nicht!“
Als sie wieder aufblicken, sehen sie nur noch Jesus, so wie er ihnen vertraut war. Und alles andere, die verklärten Gestalten, die Wolke, sie sind nicht mehr da.
Es ist Zeit, wieder hinunterzugehen. Die Jünger wissen, sie haben etwas Wunderbares erlebt und gesehen. Beglückt, verwirrt, und auch ein wenig bange treten sie den Abstieg an.
Jesus ermahnt sie dabei, dass sie dieses Erlebnis zunächst für sich behalten und von der Gottesoffenbarung solange nichts sagen, bis er Leiden und Tod überwunden hat.
Liebe Gemeinde,
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht bei diesem gedanklichen Mitgehen auf den Berg hinauf und schließlich wieder hinunter.
Mir ist ganz wohl, wieder in der Ebene, sozusagen im Alltag der Welt, angelangt zu sein. Das besondere religiöse Erlebnis in der Höhe verlangt nach Erdung und Bodenhaftung.
Petrus meinte ja, die drei Auserwählten könnten in dem Moment, in dem sie des religiösen Spitzenerlebnisses teilhaftig werden, aussteigen und die Erde hinter sich lassen. Aber das ist nicht der Weg Jesu. Der führt ihn – und seine Anhänger immer wieder – hinunter in die Mühsal, in die Verlockungen, die Fruchtbarkeit und die Herausforderungen der Ebene.
Wir können als Christen getrost mit dem Licht und den Glanz Jesu im Herzen unsere Wege gehen und die gesellschaftlichen, privaten und auch politischen Herausforderungen angehen.
Der Glaube ist eine Kraftquelle, nicht nur in angefochtener Zeit, die auf Gebote und biblische Weisungen basiert. Er ist Ausdruck der Barmherzigkeit und Großzügigkeit Gottes gegenüber denen, die es schwer haben im Leben.
Der Glaube an Jesus Christus, dem Licht der Welt, möge uns in dieser dumpfen Zeit, in der Religion und Gottvertrauen fortwährend mit Gewalt und Terror und Fremdenfeindlichkeit durcheinander gebracht wird, helfen, die Geister zu scheiden und nicht irgendwelchen einfachen Erklärungen zu folgen.
Und wenn es dann doch zu wirr wird in der Ebene, mögen wir uns immer wieder Auszeiten gönnen, in denen wir hinaufschauen oder auf den Berg steigen, um dem Heiligen zu begegnen. Danach sieht man meistens klarer.
Der Theologe Jörg Zink drückt das in seinem Gedicht: ‘Was ich Dir wünsche‘ so aus: Ich wünsche dir
…die Kraft zu wachsen.
Du bist noch zu etwas berufen.
Bleib stehen. Schau nach oben
und fühle die Kraft aus Gott,
die wachsen will in dir.
Amen.
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Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Elisabeth Tobaben
Liebe Gemeinde!
Manches verklärt sich wie von selbst - fernab von der alltäglichen Realität;
Hier auf der Insel, weit draußen am Strand,
auf dem Segelboot draußen auf dem Watt,
und erst recht hoch oben auf dem Gipfel eines hohen Berges!
Die Welt erscheint in einem andern Licht: Gipfelerfahrungen.
Alles sieht ganz anders aus, deutlicher irgendwie, klarer als sonst und als anderswo.
Die Welt hüllt sich in Schweigen,
keine gewohnten, vertrauten Geräusche - und wenn, dann nur ganz aus der Ferne,
von weit vielleicht her Kuhglocken, das Rauschen eines Wasserfalls, einer tief unten vorbei gleitenden Eisenbahn.
Die Welt erscheint entfremdet. Verändert.
Gipfelerfahrungen verändern.
Nicht unbedingt gleich die ganze Welt,
nicht unbedingt die Realität des gesamten Alltags,
jedenfalls nicht unbedingt direkt und sofort.
Aber wer schon einmal einen relativ hohen Berg bestiegen hat, der weiß, wie anstrengend das ist, aber auch was für ein tolles Gefühl es ist, wenn man es dann geschafft hat -die 2500, 3000 m oder noch mehr!
Alles ist so weit weg, was mich sonst verfolgt, bedrängt oder ablenkt.
Dazu kommt die Klarheit der Farben und Formen, Blumen und Felsen, die Intensität des Lichtes.
Ein gemeinsamer Anstieg verbindet auch, kann die Gipfelerfahrung noch intensiver machen.
Die Erlebnispädagogik macht sich das zu Nutze, gerade mit Jugendlichen, die sonst kaum Erfolgserlebnisse haben, die gerade in den Bergen entdecken können, was es heißt, sich aufeinander verlassen zu müssen, etwas zu schaffen, was man sich selbst nicht zugetraut hatte.
Gipfelerfahrungen können auch erschreckend sein, aufrührend, können alles Bisherige in Frage stellen und mich zweifeln lassen an der Richtigkeit meiner Pläne.
Aus einem ganz andern Blickwinkel taucht das Zurückliegende wieder auf.
Und: Gipfelerfahrungen können auch ausgesprochen ernüchternd sein.
Ich muss schließlich irgendwann wieder runter vom Berg!
Auch die Empfindungen und Erkenntnisse entgleiten mir nur zu schnell wieder, ich kann sie oft genug dann doch nicht festhalten.
Kein Wunder, dass der Evangelist Matthäus diese ganz unerklärliche Erfahrung der Verklärung Jesu auf einem Gipfel spielen lässt, auf einem hohen Berg.
Lesung: Matth. 17, 1- 9
Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg.
Und er wurde vor ihren Augen verwandelt, sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.
Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elia und redeten mit Jesus.
Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elia.
Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, auf ihn sollt ihr hören.
Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden.
Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst!
Und als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus.
Während sie den Berg hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.
Eine traumhafte Erfahrung!
So etwas wäre mir unvorstellbar auf einem belebten Marktplatz, in einem großen Einkaufszentrum, in einem Wohnhaus oder auch in einer Kirche.
Die Abgeschiedenheit, die Stille und Klarheit der Berge scheint geradezu nötig zu sein, damit die drei überhaupt wahrnehmen können, dass da etwas Besonderes passiert.
Stellen Sie sich vor, die Verklärung Jesu hätte unter dem Flutlichtscheinwerfer eines Fußballstadions oder vor hell erleuchteten Schaufenstern stattgefunden, die drei hätten doch gar nicht bemerkt, was für ein Leuchten das in diesem Moment von Jesus ausging!
Außerdem: es geht ja auch um eine sehr intime Erfahrung.
Offenbar will Jesus gar nicht, dass die Massen dieses Leuchten um ihn schon sehen, nein, nur drei Auserwählte nimmt Jesus mit auf den Berg.
Fast kommt es mir so vor wie ein „Probelauf“, als wollte Jesus schon vorab an einigen ihm besonders Vertrauten einmal testen, wie die Menschen auf ihn als Auferstandenen reagieren werden.
Das blendende Licht, leuchtend weiß erscheinende Kleider, Erscheinungen – das alles klingt schon sehr österlich.
Und was geschieht bei den Jüngern in dem Moment? Festhalten wollen sie ihn!
Einer prescht voran, Petrus, der schon bekannt ist für sein vollmundiges Bekenntnis und seine direkte Art.
Ganz pragmatisch packt er die Sache an.
Natürlich ist auch ihm klar, dass er gerade etwas äußerst Ungewöhnliches miterlebt, und das möchte das er bewahren.
Ich finde es sehr verständlich, dass er sagt: “Ach, wenn‘s doch immer so sein könnte!
Hier bleiben wir, hier ist es gut!“
„Verweile doch, o Augenblick, du bist so schön.“
Hier, so denken die drei, kommen wir unserer eigenen Geschichte nahe, den Wurzeln unseres Glaubens.
Die Licht- Gestalten von Mose und Elia verbinden uns mit unserer Geschichte.
Aber Licht festhalten? Das klingt doch schon sehr nach den berühmten Schildbürgerstreichen, und auch dort war es schon nicht gelungen, das Licht in Säcken in ihr fensterloses Rathaus zu tragen.
Auf dem hohen Berg scheinen die drei und Jesus dem Himmel etwas näher.
Zwei Wirklichkeiten schieben sich in der Verklärungsgeschichte übereinander:
die Macht des Himmels geht auf die Erde über, die Kraft Gottes erreicht diese Welt – sicher, unverfügbar wie zu Pfingsten – manchmal recht verborgen, aber manchmal auch urplötzlich sichtbar, spürbar!
Jemand hat die Szene der Verklärung Jesu einmal mit einer Ikone verglichen:
Da gibt es eine sichtbare obere Schicht mit bunte Farben und ganz zuletzt aufgetragenen Lacken.
Und es gibt eine Tiefenschicht - den Goldgrund - der bei jeder Ikone zuerst auf das Holz kommt und ihr den Glanz des Echten, Wahren und Wertvollen geben soll.
Durch die darauf gemalten Bilder und Motive leuchtet überall immer wieder einmal der Goldgrund hindurch.
Und so leuchtet auch in unserer Welt und in unserem Leben hin und wieder Gottes Gegenwart besonders glänzend durch.
In der Bibel sind übrigens oft Berge der Ort einer besonderen Begegnung mit Gott.
Gerade die beiden in dieser Erscheinung so unvermittelt aufgetauchten Mose und Elia bringen ihre ganz eigenen Bergerfahrung mit:
Mose bekommt auf dem Sinaigebirge, die Anweisungen zum Leben und Glauben, die ihn und sein Volk durch Jahrtausende begleiten sollten, die bei uns bis heute Gültigkeit haben als „die 10 Gebote“.
Und Elia kämpft auf dem Berg Karmel gegen fremde Götter, schießt mit seiner Gewalttätigkeit weit übers Ziel hinaus und macht trotzdem gerade in dieser dunkelsten Stunde seines Lebens eine herausragende Erfahrung:
Er weiß sich getröstet, versorgt und erlebt, dass Gott ihm eine neue, schwierige Aufgabe zutraut.
Und da ist die Lichtwolke.
Licht lag schon auf Moses Gesicht, nachdem Gott ihm die Richtlinien für das Leben und das Miteinander gab, als Mose wieder abgestiegen war mit den schweren Steintafeln unter dem Arm, und die Menschen erkennen daran, dass ihm etwas ganz und gar Außergewöhnliches begegnet ist.
Verhüllt geht Gott mit, nur manchmal leuchtet etwas auf, erstrahlt Lebens- und Glaubensgewissheit auf dem Gesicht eines Menschen,
im Regenbogen vielleicht, Glanz- und Hoffnungszeichen Gottes
über einer neu erstehenden Welt.
Es ist ein schöner Gedanke, dass auch wir unser Lebenspanorama auf einen Goldgrund malen können, wie auf einer Ikone!
Petrus bekommt leuchtende Augen: Hier lasst uns Hütten bauen!
Eine für Christus: festhalten, dass er Herr ist über mein Leben, verlässlicher Halt in meiner schwankenden Lebensgeschichte.
Petrus sucht den Weg des Eindeutigen: Hütten für Mose und Elia, ein Heiligtum, etwas zum Festhalten und Anfassen, einen Ort schaffen, wo Gott verfügbar erscheint.
Heute stehen auf dem „Berg der Verklärung“ in Israel nach langer, wechselvoller Geschichte zwei Kirchen - eine griech. orth. und eine röm. kath., man konnte sich nicht einigen im Streit um das Gelände und um die Darstellung der Verklärung...
Für Petrus sind Mose und Elia die Verbindung zum Früher, Garanten dafür, dass Gottes Zusage sich durchhält, auch damals schon war.
Petrus zielt auf End-Gültiges, will Halt bieten, Autorität, religiöse Heimat.
Damit würde er sicher auch heute bei vielen offne Türen einrennen und auf begeisterte Zustimmung stoßen.
Die Sehnsucht ist groß in unseren Zeiten nach Sicherheit, nach unverbrüchlicher Glaubensgewissheit.
Und zugleich ist die Gefahr ist nach wie vor groß, im Vordergründigen stecken zu bleiben,
Hütten auf dem Berg zu bauen und vielleicht gar nicht mehr zu merken, dass sich der Glanz schön längst verflüchtigt hat...
Festhalten und Festschreiben um jeden Preis: So ist es und nicht anders-
Das ist Gewissheit gegen andere, gefährlich erscheinende Überzeugungen.
Sie macht die Angst nicht kleiner, führt eher dazu, dass jede auch noch so leise Anfrage als Angriff erlebt wird, als ungeheuer bedrohlich;
Führt dazu, dass Menschen (oder sogar ganze Gemeinden) sich abschotten.
Sie verstärkt eher die Anstrengung, Glanz aufrecht zu erhalten nach außen.
Keine tragfähige Kraft für das Leben.
So verläßt Petrus der Mut im Sturm.
‚Er kann das Scheitern nicht aushalten in Gethsemane,
der Angst nicht standhalten, als der Hahn kräht.
Gipfelerfahrungen wie diese - sie sind eben gerade nicht herstellbar, zu erzwingen oder einzufordern, sie sind Geschenk und Herausforderung zugleich.
Gott zeigt sich, und für einen Moment scheint der Goldgrund der Ikone durch, erstrahlt Gottes Zusage in deinem Leben.
Die Frage ist: wie ist das Erlebte zu deuten?
Die Stimme gehört dazu, mysteriös aus den Wolken in diesem Fall,
sonst eher in mir selbst, meinen eigenen Überlegungen und Meditationen zu finden, manchmal auch als zufällig hingeworfener Satz eines andern - Wegweisung - gehört dazu, ("Ihn sollt ihr hören!" hatte übrigens auch schon Maria bei der Hochzei zu Kana gesagt.)
Und: „Dies ist mein lieber Sohn“ sagt die Stimme, - wie schon bei der Taufe im Jordan...
Zum Glauben gehört eben auch das Hin- und -Hergerissensein zwischen Angst und Schrecken und dem Fürchtet - euch - nicht, der österliche Glanz der Verklärung und Erleuchtung und Karfreitag.
Und die Ernüchterung nach der Gipfelerfahrung folgt auf den Fuß: die Erscheinung ist verschwunden, nur noch Jesus zu sehen, und die drei fragen sich vielleicht: haben wir grad „nur“ geträumt?
Jedenfalls müssen sie wieder herunter vom Berg und –was ich mir ziemlich schwierig vorstelle- dürfen noch nichtmal von dem erzählen, was sie erlebt haben!
Nebenbei: vielleicht lässt es sich auch kaum erzählen? Wenn schon die Erfahrungen einer ganz normalen Bergbesteigung so schwer zu vermitteln sind?
Dennoch sind Petrus, Jacobus und Johannes ganz sicher nicht so zurückgekommen, wie sie aufgebrochen sind.
Angerührt sind sie.
Wieder aufgerichtet, nachdem der Schrecken sie zunächst umgeworfen hatte.
War nicht die Gipfelerfahrung, die sie gemacht haben, nun tatsächlich so etwas wie eine vorzeitige Ostererfahrung?
So wie sie Jesus gesehen und erlebt hatten, werden sie ihn erst als Auferstandenen wiedersehen.
Auferstehung mitten im Leben. Aber handfester, alltäglicher jetzt noch: Jesus fasst sie an, um sie aus dem Schrecken zurückzuholen.
Vielleicht legt er ihnen beruhigend die Hand auf die Schulter, ergreift ihre Hand, um sie vom Boden wieder hochzuziehen.
Aber schon Widerspruch gegen die tag- tägliche Gewissheit: "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen..."
Am Übergang von der Epiphaniaszeit zur Passionszeit gewinnt diese Geschichte eine ganz eigene Bedeutung:
Hier schneiden sich die Linien vom herrlich leuchtenden "Morgenstern" und dem elend leidenden Gekreuzigten.
Beides zusammen macht erst das Ganze aus, in Christus wie in jedem einzelnen Menschen.
Gipfel - und Tiefenerfahrungen gehören zusammen.
Sternstunden und der krähende Hahn.
Und manchmal verklärt sich etwas - wie von selbst.
Der Goldgrund scheint durch - Leben wird transparent für Gottes Gegenwart.
Amen
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Gipfeltreffen - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Monika Waldeck
Gipfeltreffen
Wer es auf den Gipfel schaffen will, muss sich anstrengen.
Je höher der Berg, desto mehr Kraft und Ausdauer braucht man.
Ein genauer Zeitplan ist nötig, eine gute Ausrüstung und unbedingt: Durchhaltewillen.
Durchhaltewillen braucht jeder, der etwas vorhat in seinem Leben, der sich Ziele gesetzt hat. Die können manchmal sein wie ein Berggipfel, zu Beginn weit entfernt und scheinbar unerreichbar, mit der Zeit immer ein Stückchen näher rückend, langsam, aber sicher.
Rückschläge sind nie ausgeschlossen. Wer trotzdem seine Ziele nicht aus den Augen verliert, kann Überraschendes erleben.
Durchhaltewillen haben sie, die Drei, die Jesus mitnimmt auf den hohen Berg.
Darüber freuen sie sich sicher, dass er sie auswählt, unter allen Jüngern. Die Aussicht, mit Jesus allein, „ganz für sich“ zu sein, das motiviert zum Anstieg.
Mit dem meditativen Pilgern des Jakobswegs hat diese Bergwanderung wenig zu tun. Der Weg ist hier nicht das Ziel.
Die hier unterwegs sind, die wollen oben ankommen, weil sie etwas erwarten.
Etwas soll sich verändern, das ist ihre Hoffnung.
Was war geschehen?
Das Matthäusevangelium erzählt: Die Jünger Jesu sind besorgt in diesen Tagen. Der äußere Druck wird stärker. Die etablierten religiösen Führer, die Ratsältesten, führenden Priester und Schriftgelehrten beäugen misstrauisch, wie die Jesusbewegung grundlegende religiöse Wahrheiten in Frage stellt.
Die Angst unter Jesu Anhängern wächst, dass ihm etwas zustoßen könnte und nun fängt er sogar selbst davon an zu sprechen, dass er bald hingerichtet werden würde.
Seine Freunde und Weggefährten haben Angst: um ihren Meister, aber sicher auch um sich selbst. Was würde aus ihnen werden, wenn Jesus nicht mehr da wäre?
Äußerer Druck erhöht den inneren Druck, das wissen alle, die sich Sorgen machen um einen anderen Menschen, oder auch um das eigene Leben. Äußerer Druck erhöht das Gefühl eigener Hilflosigkeit. Ob es äußere politische Widerstände sind, eine Krankheit, eine Naturkatastrophe oder finanzielle Sorgen, das ist oft zweitrangig, wenn man selbst betroffen ist. Matthäus weiß, wovon er spricht. Seine Gemeinde wurde verfolgt und in den Untergrund gedrängt.
Manche fangen dann an zu beten, andere ignorieren die Angst, begehren auf und funktionieren weiter, wieder andere brechen zusammen oder fühlen sich wie gelähmt.
Was einen hoffen lässt?
Wenn es einen Menschen in der Nähe gibt, der die Zuversicht behält, sich nicht von Ängsten mitreißen lässt, sondern sie aushält und „überlebt“. Dann können sie auch für einen Ängstlichen verdaulich, erträglich werden. Noch besser: Wenn man mit einer hilfreichen Macht rechnen kann, die einen schützt und trägt.
In unserer Erzählung, da lässt der Evangelist Matthäus Jesus denjenigen sein, der die Ruhe behält. Gegen allen äußeren Druck, gegen alle Widerstände und gegen alle Vernunft weiß er: Am 3. Tag nach seinem Tod würde er auferstehen von den Toten, das sei der Wille Gottes.
Jesu Klarheit und Unbeirrbarkeit macht es Petrus möglich, in dieser belastenden Situation zu sagen: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Ein starkes Bekenntnis in einer unsicheren Zeit.
Und jetzt sind die Jünger auf dem Berggipfel angekommen. Sie warten darauf, dass etwas geschehe, das ihnen helfen würde, mehr Sicherheit zu gewinnen, etwas, das ihnen ihr Selbstvertrauen zurückgebe.
Da passiert es: Jesus verändert sich vor ihren Augen, er erscheint in helles Licht getaucht, ein lichtdurchflutetes Wesen, eine Traumgestalt.
So sehen ihn die Freunde und Weggefährten – in einem neuen Licht. Als ob sie plötzlich eine Erkenntnis haben: Das ist nicht Jesus, der Mensch, den sie kennen, das ist eine Erscheinung direkt aus dem offenen Himmel.
Diese Vision gewinnt an Klarheit: Da kommen zwei wichtige Männer der Geschichte auf sie zu. Beide haben ebenfalls nach Gott gesucht, hatten Kontakt mit ihm, haben ihn in ihrem Leben erfahren, auf sehr unterschiedliche Weise.
Mose, der zu ihm betete und mit ihm redete wie mit einem Freund, der aber nur hinter Gott hersehen durfte. Er rechnete mit Gott, konnte seine Gegenwart aber erst im Nachhinein erkennen. So geht es ja manchmal. Das Wirken Gottes begreift man erst, nachdem sich etwas verändert hat.
Und Elias hat erlebt, dass sich Gottes Kraft nicht in dem verheerenden Auftreten vernichtender Naturgewalten zeigt, sondern in dem sanften Säuseln des Windes.
In ganz kleinen, fast unscheinbaren Zeichen, ganz anders als erwartet, kann sich Gottes Macht im Leben zeigen.
Indem diese beiden großen Gestalten Israels in ein lebendiges Gespräch mit Jesus treten, erkennen sie ihn als Gottes Sohn an. Ganz im Gegensatz zu den derzeitigen religiösen Führern.
Diesen besonderen, glücklichen Augenblick will Petrus festhalten. Am liebsten gleich eine Hütte bauen, dort bleiben und wohnen, für immer. Wie ein Foto, das man sich ins Album klebt. Zu Hause im Glück. Ein Menschheitstraum.
Doch dann berichtet die Erzählung etwas, das alles übersteigt und den drei Männern fast den Verstand raubt. Der Himmel öffnet sich und Gott spricht zu ihnen: „Das ist mein Sohn, ihn habe ich lieb. An ihm habe ich Freude. Hört auf ihn.“ Gott selbst beugt sich herab und spricht zu den Menschen dort auf dem Berg.
Keiner überlebt es, Gott zu sehen. Das wussten die Männer. Sie können sich nur furchtsam auf den Boden werfen, bis Jesus sie aufrichtet und ihnen die Angst nimmt.
Ich muss zugeben, für mich klingt diese Szene aufgeladen, fremd, fast wie aus einem Hollywood-Film. Was ich verstehe: Matthäus will uns zeigen, dass Jesus Gottes Sohn ist. Schon jetzt, vor seinem Tod, soll das ganz klar sein.
Ein Glück, dass die Erzählung nun nicht hier endet, sondern der Abstieg ins Tal beginnt, die Rückkehr in die Realität. Das Gipfeltreffen ist beendet.
Mir ist deutlich: Auf dem Berg des Glücks gibt es kein Zuhause.
Aber die Erinnerung an den Moment des Glücks ermöglicht es, Unglück zu überleben.
Ohne diese Erfahrung fehlt die Kraft für die Zeiten, in denen ich leidvolle Erfahrungen machen muss. Solche Lichtmomente können einen durch lange Durststrecken hindurch tragen.
So werden die Jünger gestärkt für das, was kommt.
Sie werden dem Tod ins Auge sehen müssen, sehr bald.
Sie werden Jesus verraten, und damit alles, was ihnen heute wichtig und wertvoll ist.
Sie werden tiefe Trauer erleben.
Sie werden ihre Gemeinschaft verlieren, einsam und heimatlos werden.
Es ist viel, was man in einem Menschenleben aushalten und ertragen muss.
Niemand kommt darum herum.
Vollständiges Glück, Ganzheit, Beheimatung, wie Petrus sich das wünscht, gibt es nicht.
Manchmal blendet man das aus, wenn man in einer reichen, abgesicherten Gesellschaft wie unserer lebt. Mit wachsender Lebenserfahrung aber wird doch klar: das Leben ist zerbrechlich, fragil, in jedem Moment ist der Tod möglich, Schmerz, Versagen, schuldhaft oder zufällig. Glücksmomente scheinen nicht konservierbar, in der Erinnerung aber wichtig.
Wir leben zwischen Sehnsucht und Verlust, Hoffnung auf Ganzheit und der Erfahrung, dass wir auf andere Menschen angewiesen sind und bleiben.
Und Gott?
Der ist nicht nur stark und vollkommen wie in der leuchtenden Christuserscheinung unserer Erzählung. Schon wenig hängt er zu Tode gefoltert und zerbrochen am Kreuz.
Beides gehört zusammen.
Beide Seiten gibt es in uns, mit beiden müssen wir zurechtkommen.
In beiden Seiten sind wir Ebenbilder Gottes.
Am Widersprüchlichsten ist dabei sicher, dass wir von hierher unsere Menschenwürde erhalten. Seit dem Kreuzestod Jesu wissen wir, dass uns diese Würde zugesagt ist, jedem von uns, ob wir gesund sind oder krank, jung oder alt, weiß oder schwarz, Mann oder Frau.
Und wir sind sie denen schuldig, denen wir begegnen:
Der eigenen Familie und den Flüchtlingen aus Syrien oder Somalia.
Das ist der Grundgedanke unseres christlichen Glaubens, des „christlichen Abendlandes“, von dem auf einmal in letzter Zeit so viel die Rede ist.
Davon zu erzählen ist unsere Aufgabe als Christen, sich davon stärken zu lassen, ist unser Trost.
(Bibelzitate nach der BasisBibel, Das Neue Testament, Stuttgart 2010)
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Sicherheit in schwierigen Zeiten - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Michael Rambow,
Sicherheit in schwierigen Zeiten
Stars und solche, die sich dafür halten oder gerne wären, sonnen sich gern im Blitzlichtgewitter und Lampenglanz der Fernsehkameras. Wichtige Leute umgibt ein besonderer Glanz.
Als es noch keine Blitzlichter, keinen Medienrummel, „Walk of Fame“ oder Paparazzi gab, da malten alte Meister besonderen Personen einen goldenen Strahlenkranz um den Kopf. Jedem Betrachter wird schnell klar: hier ist mehr als irgendein Mensch. Hier leuchtet eine andere Sonne auf. Ein Licht aus dem Himmel.
Jesus, Petrus, Jakobus und Johannes sind hoch oben auf dem Berg. Plötzlich leuchtet Jesu Gesicht in einem seltsamen Glanz. Auch die Kleidung wird weiß. Was für eine Erscheinung! Petrus erfasst es wieder mal zuerst. Er sagt gleich: In diesem Himmelsglanz wollen wir immer bleiben.
Eine seltsame Geschichte erzählt Matthäus vom Licht, vom Himmelsglanz auf der Erde und von der Sehnsucht, dieses Gefühl nie wieder einzutauschen. Keine Finsternis, kein Alltag sollen ihre Schatten je wieder ausbreiten können. Nur Himmel und Glanz und Schein.
Wenige Wochen später sind Petrus und Jakobus und Johannes mit in Gethsemane und teilen mit Jesus die Todesangst der Karfreitagnacht. Werden sie an die Erscheinung auf dem Berg gedacht haben in dieser tiefsten Finsternis?
Auf dem Berg aber erst einmal die Gottesverheißung: „Dem folgt. Er zeigt euch den Weg zum Leben!“ Nichts anderes zeigt sich in Jesus Christus.
Dieser Sonntag schließt die nachweihnachtliche Zeit ab. Kerzen und Lichterglanz sind von den öffentlichen Plätzen, aus Vorgärten und Wohnungen längst wieder verloschen. Die Glühweinstände abgebaut. Die öffentlichen Plätze und Straßen haben Terror und Weltdunkelheiten zurück erobert. Die ersten finsteren Tage oder gar Wochen des Jahres liegen schon hinter uns.
Wir kommen her aus der Feier der Freude und des Lichtes. Noch einmal leuchtet wie auf einem Höhenzug dieser ferne Glanz von weit her, bevor es endgültig in die Ebene des Alltags und Lebens geht. Gerade darum tragen die eine oder der andere und wir alle miteinander die Erinnerung und die Sehnsucht nach dem besonderen Glanz mit den Worten: Jesus zeigt den Weg zum Leben.
Manchmal wünscht man sich, dem Himmel näher zu bleiben. Wer hat sich noch nicht ein Leben gewünscht, das sich nicht allein dem täglichen Kampf verdankt. Viele Ratschläge, viele „Lebensprogramme“ haben das als Hintergrund. Der Ausstieg aus dem Alltag. Man nennt das heute „schwammig spirituelle Erlebnisse“ sagte Helge Adolphsen, der frühere Hauptpastor an der Hamburger Michaeliskirche dazu einmal.
Nur von den Höhepunkten des Lebens aus scheinen die normalen Niederungen des Lebens begehbar und erträglich. Wir erleben Zeiten, in den eigener Mut und innere Kraft und Erfolge tragen. Wie beschwingt hüpft man dann gewissermaßen von Gipfel zu Gipfel.
Nächsten Sonntag beginnt die Passionszeit. Leben zwischen Höhen und Tiefen. Nur das Licht aus der Höhe gibt dann noch Orientierung um einigermaßen durchzufinden durch die grauenvollen leidvollen Erfahrungen.
Wie gut könnten wir die Erfahrung gebrauchen, von der die Verklärungsgeschichte erzählt. Hütten bauen und bleiben können, wo es gut ist. Nicht mehr weiter gehen und schon gar nicht abtsiegen müssen in die Grauzonen.
Als Petrus und die Brüder Jakobus und Johannes gerade diesem Gefühl nachgeben und Baumaterial zusammenschleppen wollen, hören sie die Stimme: „Das ist mein Sohn. Hört auf ihn“. Jesus erscheint in einem ganz andren Licht. Nicht der Rückzug. Nicht das Aussteigen. Nicht das süße niedliche Kindlein. Hier kommt der Himmel ganz nahe. Und mit ihm steigt man herab von den Höhenzügen, den falschen Sehnsüchten, den irrigen Erwartungen. Mit dem Himmel geht es zurück auf die ausgetretenen Wege durch den Alltag. Der Maßstab christlicher Glaubenserfahrung ist die zuversichtliche Rückkehr in den Alltag. Der verheißungsvolle Weg verläuft hoch und fern über allem, das festgehalten werden will. Er führt durch alles hindurch. Sicherheit und Zuversicht kommen aus der Erfahrung, dass Gott in diesem Jesus da ist.
„In mir ist es finster, aber bei Dir ist das Licht;
Ich bin einsam, aber Du verlässt mich nicht;
Ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist die Hilfe;
Ich bin unruhig, aber bei Dir ist der Friede;
In mir ist Bitterkeit, aber bei Dir ist die Geduld;
Ich verstehe Deine Wege nicht, aber Du weißt den Weg für mich“
dichtete Dietrich Bonhoeffer. Am 9. April vor 70 Jahren war er durch Gott an sein Ende geführt worden und wurde in Flossenbürg hingerichtet (zit. Nach GottesdienstPraxis, 2. Reihe, Bd. 1, 1991, 138f).
Warum die schönen Augenblicke, die erhabenen Gefühle, die glanzvollen Eindrücke nicht bleiben lässt sich kaum begreifen.
Matthäus erzählt, dass die Sicherheit für das Leben aus dem Glauben an Gottes menschgewordenes Wort Jesus Christus kommt. Er bringt uns den Himmel näher und der Sehnsucht, wie Leben sein könnte. Das ist die Voraussetzung für das Leben auf der Erde. Jesu Wort verlockt, gegen den Augenschein zu glauben und gegen manche bittere Erfahrung immer wieder aufzustehen, das Baumaterial der falschen Sicherheit und Zufriedenheit liegen zu lassen. Darum ist christlicher Glaube die Rettung. Es ist diese Spannung zwischen Glauben und Zweifeln, Hören und Sehen, Berg- und Talfahrten, die es anzunehmen gilt. Die mit Jesus auf den Berg steigen – und das können wir uns ja bildlich gut vorstellen – Gott damit ein Stück näher gekommen sind, sie machen diese entscheidende Glaubenserfahrung. Wo Menschen unterwegs sind, Ruhe und Sicherheit suchen, auf den mächtigen bewahrenden Gott hoffen, da sehen sie auf Jesus Christus. In ihm leuchten Gottes Nähe und Bewahrung.
Sonntag für Sonntag und manchmal dazwischen gleichen wir den Dreien ja ein bisschen. Und die Frage ist also, ob es etwas gibt, das auch uns herausholt aus dem Schleier der Ohnmacht und wie von einem hohen Berg Gottes Hilfe und Nähe sehen lässt und Hoffnung gibt unten auf der Erde.
„Fürchtet euch nicht“ sagt Jesus zu seinen drei Begleitern.
„Wir können uns…, von diesem Sonntag aus, erneut dem Leben zuwenden, dem alltäglichen Leben…Glaube bedeutet: Normalisierung…Wir können an unsere Arbeit gehen und von ihr ausruhen, jung sein und alt werden, uns freuen und traurig sein, mit uns selbst einig und auch einmal mit uns selbst zerfallen sein, lieben und auch manchmal kräftig verabscheuen“ (M. Trowitzsch: Die bunte Gnade Gottes. Chr. Kaiser, München 1988, 119).
„Fürchtet euch nicht“ ist der typische, immer wiederkehrende Trost Gottes aus dem Himmel. Gott ist da und geht mit. Das erfuhren die Hirten. Das hören die drei auf dem Berg. Es ist die himmlische Botschaft an uns heute.
Vielleicht ist es der eigene Konfirmationsspruch, in dem sie uns manchmal aufleuchtet, ein Lied oder irgendetwas anderes, in denen wir Jesus neu sehen und durch sie hindurch Gottes Stimme hören.
Auf dem Berg zeigt sich den Jüngern, dass Jesu Weg aus dem Glanz in das Dunkel der Weg ist, auf dem Gott mit unterwegs ist. Die Wirklichkeit wird nicht verklärt.
Das hilft aufzustehen, sicher zu werden, den Überblick zu behalten auch in schwierigen Zeiten.
Amen
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Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Walter Meyer-Roscher
Liebe Gemeinde,
„Dort oben über den Wolken, so scheint es, liegt der Ort der Glückseligkeit“. Ein hoffnungsvoller Blick über die eigene Begrenztheit hinaus, ein vielversprechendes Bild!
So hat der römische Dichter Petrarca einmal bei einer Bergbesteigung sich und seine Begleiter ermuntert. Dort oben, über den Wolken!
Die drei Jünger, die Jesus bei seinem Aufstieg auf den Berg Tabor begleiten, erleben es ähnlich. Sie sind überwältigt,
Das letzte Gemälde Raphaels, an dem er bis zu seinem Tod 1520 gearbeitet hat, verdeutlicht es. Wir sehen die Jünger auf dem Gipfel des Berges: Atemlos, in sich versunken, nicht mehr gefangen in den Zwängen der Niederungen des Lebens, entrückt in die Nähe Jesu. Der schwebt in strahlendem Glanz eines göttlichen Lichts über ihnen. Neben ihm, auch sie schwebend, sind Mose und Elia zu sehen als Repräsentanten der Glaubenstradition und Gottesverehrung, aus der die Jünger und auch all die anderen in der Umgebung Jesu kommen. Dort oben, über den Wolken, so scheint es, liegt der Ort der Glückseligkeit.
Raphael hat sein Bild Il trasfigurazione, die Verklärung, genannt. Ja, da oben ist alles verklärt, liegt in einem klaren, glänzenden Licht, das aus den menschlich-allzu menschlichen Niederungen des Lebens und aus den Widrigkeiten der Welt befreit.
Und was ist mit denen, die unten, unter den Wolken, zurückgeblieben sind? Raphael hat sie in seinem Bild nicht vergessen. Sie sind in der unteren Bildhälfte zu sehen, in die der Maler jene Szene hineinkomponiert hat, die Matthäus seinem Bericht von der Verklärung Jesu folgen lässt. In meiner Lutherbibel ist sie überschrieben: Die Heilung eines mondsüchtigen Kindes.
In der Mitte steht, neben dem Vater, der um seinen kranken Sohn bangt, der Sohn selbst – ein junger, kranker, bemitleidenswerter Mensch, der einen Arm hilfesuchend ausstreckt. Seine ganze Gestalt drückt Schmerz und Hilflosigkeit aus.
Jesus ganz oben in Raphaels Bild, zusammen mit seinen drei Jüngern und den beiden Glaubenszeugen, der kranke Junge mit seinem Vater ganz unten. Wo ist denn nun der Ort der Glückseligkeit?
Ich habe jetzt noch ein anderes Bild vor Augen – ein Bild aus der Welt von heute, für viele ein Sinn-Bild der Gegenwart. Ich habe es vor wenigen Wochen mit der Weihnachtspost bekommen. Es zeigt ein Bergpanorama in herrlichem Sonnenschein. Alle Gipfel glänzen über den Wolken. Auf der Bergspitze im Vordergrund thront das übermächtige Logo einer globalen Institution der Finanz- und Wirtschaftswelt. Ein einzelner kleiner Mensch steht vor ihm, überflutet vom Glanz dieses quasi-göttlichen Herrschaftszeichens. Er soll wohl denken und glauben: hier oben, über den Wolken, liegt der Ort der Glückseligkeit und ich habe ihn erreicht. Ich bin dabei. Ich will auch mein Glück genießen, das Geld, Wohlstand und Sicherheit bedeutet, auch Erfolg und Anerkennung, ein wenig sogar Macht über andere, die irgendwo da unten sind – unter den Wolken, im Dunkeln. Aber die im Dunkeln, da hat Bert Brecht schon Recht, sieht man nicht. Es ist, als gäbe es sie gar nicht mehr.
Und doch sind sie da und warten auf uns, so wie sie in Raphaels Gemälde auf den verklärten Jesus und auf die drei Jünger warten. Die würden in diesem Augenblick ihres Glücks gern verweilen, eines Glücks in der Nähe dessen, in dem sie Gottes Licht wie das Licht einer leuchtenden, wärmenden, lebendig machenden Sonne sehen und als Nähe, als Zuwendung, als schützende Begleitung erfahren.
„Verweile doch, du bist so schön“, aber der Augenblick ist nicht von Dauer, auch dieser nicht. Es wird nichts mit den Hütten, die die Jünger da oben über den Wolken gern gebaut hätten. Sie wollen Jesus in dieser verklärten Gestalt, sie wollen die glaubensstarken Zeugen dieses Augenblicks für sich selbst, für den eigenen Glauben festhalten. Gott lässt es nicht zu.
Offenbar liegt ihm nichts an heiligen, weltabgeschiedenen Räumen, an Kathedralen, Kirchen, Häusern und Hütten, in denen Menschen die Glückseligkeit ihres Glaubens festhalten, als unverrückbare Dogmen bewahren und sich damit auch vor den Hilferufen aus der Tiefe unter der Wolke abzukapseln suchen.
Ja, es gibt sie, die Augenblicke des Glücks, Augenblicke der Gewissheit von Lebenserfüllung, von der Ruhe im Sturm der Anforderungen und Erwartungen an uns, unsere Lebenseinstellung und unsere Lebensleistung. Es gibt die Augenblicke auf dem Gipfel, in denen Menschen trotz aller Angst den Zuspruch hören: „Fürchtet euch nicht“.
Aber nach jedem Augenblick des Ausruhens geht es weiter. Der Glaube hat weniger mit Besitzen, Festhalten und Konservieren zu tun, auch nicht mit der kritiklosen Unterwerfung unter Lehrsätze und Frömmigkeitsrituale, mehr jedoch mit Weitergehen, der Hoffnung folgen, sein Leben immer wieder an den Worten und Taten dessen ausrichten, der sagt: Fürchtet euch nicht.
Matthäus lässt da Gott selbst zu Wort kommen, der sich zu Jesus und seinem Auftrag bekennt: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören“. Mit dieser Aufforderung beginnt der Abstieg zu denen, die unten warten.
Dir drei Jünger müssen wieder zurück. Sie müssen absteigen. Jesus, der ihnen für einen entscheidenden Augenblick Gottes Wesen als Licht, als Leben in der Klarheit und in der Wärme einer leuchtenden Sonne enthüllt hat, steigt mit ihnen ab als ihr Menschenbruder. Er steigt ab, um für das Leiden, die Hilflosigkeit, die Ohnmacht seiner Mitmenschen offen zu sein. Er geht auf sie zu und ist für sie da - gerade für die im Dunkeln, die so viele andere Menschen gar nicht sehen wollen.
Die Jünger erleben mit, wie er auf die verzweifelte Bitte eines Vaters eingeht und dessen kranken Sohn heilt. So gibt es der Evangelist wieder. So hat es auch Raphael in seinem Gemälde getan. Die Verklärung da oben über den Wolken wird zu einer Erklärung für alle, die unten warten und auf Hilfe hoffen, zu einer Erklärung Gottes.
Gott erklärt seine Liebe zu dem, an dem er Wohlgefallen hat, Jesus. Er erklärt, dass er auf ihn seine Hoffnung setzt. Und das ist neue Hoffnung auch für alle, denen so viel fehlt zum Menschsein: die Gesundheit und die Kraft mitzuhalten, nicht aufzugeben; die auf menschenwürdige Behandlung warten, um sich in einer solidarischen Gesellschaft aufgehoben zu fühlen, auf ein Zuhause, aus dem man nicht wieder verjagt und das nicht immer in Frage gestellt wird; die vergeblich nach der Möglichkeit fragen, sich friedlich untereinander verständigen zu können, ohne sich vor Gewalt und Brutalität ducken zu müssen.
Auf ihn sollt ihr hören, so erklärt sich Gott denen da unten. Er, Jesus, verkörpert Menschsein und Mitmenschlichkeit. Er lebt es und er fordert unsere Zustimmung, unseren Einsatz für Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit.
Diese Erklärung Gottes brauchen wir zum Leben, zur Lebenserfüllung, die mehr ist als ein Augenblick der Glückseligkeit. Gottes Erklärung bedeutet neue Hoffnung auch für die, die angeblich solche Hoffnung gar nicht brauchen, weil sie schon alles erreicht haben, weil sie doch ihre Glückseligkeit über den Wolken durch Leistung erworben, mit Geld erkauft, mit unerbittlichem Durchsetzungsvermögen verteidigt haben.
Gott sagt: auf ihn sollt ihr hören, der euch aus dieser Verblendung befreien und auch vor dem Absturz in die Unmenschlichkeit eines Lebens im Egoismus bewahren kann. Gottes Erklärung zeigt allen einen Weg, der nicht auf den Gipfeln der Glückseligkeit endet, sondern weiter führt, immer auf andere zu.
Hinter ihnen wird der sichtbar, der Gottes Erklärung angenommen und weitergegeben hat, der den Weg nach Gethsemane und dann nach Golgatha gegangen ist. Dabei hat er wieder gerade die mitgenommen , die seine Verklärung erlebt haben . Er bleibt für sie der, der ihnen an den Grenzen, die sie erfahren mussten, die wir alle erfahren müssen, gesagt hat: fürchtet euch nicht.
Auf ihn sollt ihr hören, hat Gott erklärt. Das gilt in unseren glücklichen Augenblicken da oben über den Wolken von Sorgen und Angst, von Schwermut und Niedergeschlagenheit. Das gilt ebenso, vielleicht noch mehr auf den Abstiegen in die Zwänge, auch in die Niederlagen unseres alltäglichen Lebens. Wir brauchen seine Worte des Zuspruchs, die uns die Angst nehmen und Mut machen, weiter zu gehen – auf die zu, die auf uns warten. Dann ist auch jeder Abstieg ein Weg in die richtige Richtung. Dann bleibt es dabei, dass einer auch dann, wenn wir uns schon am Boden wähnen, sagt: „Steht auf und fürchtet euch nicht“. Dann behält der Evangelist Matthäus Recht, wenn er gegen Ende dieser Geschichte von den Jüngern berichtet: „Und als sie ihre Augen hoben, sahen sie niemand als Jesus allein“. Das ist auch genug. Amen
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18.01.2015, Kiew: "Was ist der Mensch?"
Liebe Gemeinde, wenn ich an das aufregende letzte Jahr hier in Kiew zurückdenke, dann fallen mir immer wieder Bilder und Geschichten von Menschen ein. Da war eine Frau, die ich vorher nicht kannte. Sie kam zu uns in die Kirche und brachte jede Menge Lebensmittel. Sie hat ein kleines Geschäft nicht weit von der Kirche entfernt. Helfen wolle, ja müsse sie, so erklärte sie. Freiwillig. Selbstlose Hilfe. Was ist der Mensch?
Und dann war da jener Mann, der mir am 20. Februar, dem schwärzesten Tag im letzten Jahr, direkt in die Arme lief. Weinend. Sie schießen, rief er. Und gerade habe er zwei seiner Kameraden erschossen von den Barrikaden gezogen. Wer tut so etwas? Fragte er immer wieder. Wer tut so etwas? Was ist der Mensch?
Die Herrschenden nahmen den Willen des Volkes nicht wahr
Größe und Niedertracht. Wir haben beides hier erlebt vor einem Jahr und seither immer wieder. Was ist der Mensch? Jedenfalls ist er ein Wesen, das auf Dauer nicht nur von Tag zu Tag leben kann. Als Ebenbild Gottes, als sein Gegenüber, hat Gott uns Menschen auch Schöpferkraft mitgegeben. Klar, nicht seine großartige und allumfassende Kraft, aber doch eine, die uns dazu treibt, unser Leben gestalten zu wollen. Wir wollen unser Leben planen können, möchten Zukunft in die Hand nehmen können. Wir sind keine Sklaven. Keine Wesen, die sich ewig niedrig halten lassen, ewig unterdrücken lassen.
Diese Freiheit, das eigene Leben zu gestalten, die eigene Zukunft zu planen, ist Millionen von Menschen hier in unserem Land lange Zeit abgesprochen worden. Still sollten sie halten, duldsam sein, sich freuen über die wenigen Brocken, die von der Herren Tische fallen. Und so kann man auch mit Blick auf die Mächtigen fragen: was ist der Mensch?
Die Herrschenden hatten den Willen des eigenen Volkes nicht mehr wahrgenommen, hatten die Lage völlig falsch eingeschätzt. Sie hatten sie beurteilt, wie die Mächtigen das hier immer gewohnt waren: nur vom eigenen Standpunkt aus. Nur von der eigenen Sichtweise aus. Nur aus dem Antrieb heraus, die eigene Macht zu sichern und um sich weiter zu bereichern. Was ist der Mensch?
Mit allem hat uns unser Schöpfer ausgestattet
Eine Qualität, die den Menschen ausmacht, ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Die Fähigkeit zu Mitgefühl, zu Verständnis. Irgendwie schienen die Mächtigen hier in der Ukraine diese Fähigkeit verloren zu haben. Es war ihnen egal, wie die Menschen lebten. Wie sie unter der Korruption litten. Es war ihnen egal, dass das Leben der Menschen im Gesundheitswesen davon abhing, ob sie die Leistung bezahlen konnten. Es war ihnen egal, dass das Recht im Justizwesen auf der Seite desjenigen war, der es sich erkaufen konnte. Es war ihnen egal. Was ist der Mensch?
Wer nicht wenigstens versucht, mit den Augen des anderen zu sehen, wird zu keinen Lösungen kommen. Als Menschen haben wir aber die Fähigkeit uns die Welt nicht nur von der eigenen Perspektive aus anzuschauen, wir können sie auch aus dem Blickwinkel des anderen sehen. Dazu haben wir Verstand, dazu haben wir Mitgefühl, Empathie. Mit dem allen hat unser Schöpfer uns ausgestattet.
Was ist der Mensch, dass Du – Gott – seiner gedenkst. Das ist ja unser Glaube: Dass Gott unser gedenkt. Dass er sieht, spürt, dass er mitfühlt, wie es seinen Menschen geht. Wir befinden uns ja noch im Weihnachtsfestkreis. Wir haben gerade Weihnachten gefeiert. Für die östliche orthodoxe Tradition liegt das Fest erst wenige Tage zurück. Und das, was wir da gefeiert haben, könnte man als den Perspektiv-Wechsel Gottes bezeichnen. Er wollte sich das Glück aber auch das Leid nicht länger von hoch oben anschauen.
Gefährdeter Frieden
Er hat sich auf die ganze Misere eingelassen. Mit dem Blickwinkel und aus dem Empfinden eines Menschen. Nicht von oben herab. Nicht als Besserwisser. Nicht als derjenige, der sein Recht, seine Einflusssphäre auf den Kleineren, den Schwächeren ausnutzt, weil er ja die Macht hat. Er hat sich schlicht auf die Seite des Menschen gestellt. In Jesus Christus, seinem Sohn.
So wirbt er: er sendet seinen Sohn, wird uns gleich und spricht unsere Sprache, damit wir auch ja verstehen - und er hört uns zu.
Er hat uns als würdevolle Geschöpfe ernstgenommen. Einmal versuchen, mit den Augen des anderen zu sehen, mal für eine Zeitlang versuchen, seine Perspektive einzunehmen: Das ist für mich DER Weg, um Frieden auch unter uns zu bewahren: Frieden im Großen in einem Land und auch im Kleinen.
Frieden in den Familien, in den Gemeinden, in den ökumenischen Gemeinschaften. Frieden ist immer dann gefährdet, wenn das geduldige Werben durch Macht, Druck und Gewalt zur Durchsetzung der Interessen in den Hintergrund gedrängt wird. Das haben die Menschen hier erlebt, hier in unserem Land, in unserer Stadt. Es hätte nur ein kleiner Perspektivenwechsel notgetan und die Menschen, die Verantwortung für ihr Volk getragen haben, hätten verstanden, warum da hunderttausende nicht einverstanden waren und bei tiefem Frost auf den Straßen und Plätzen demonstrierend verharrten.
"Mich schmerzen die Schicksale"
Zu einem Perspektivenwechsel, der andere Menschen verstehen und vielleicht sogar gewinnen will, gehört die Bereitschaft, mit wohlwollenden Augen auf den andern zu schauen, die Bereitschaft, um ihn zu werben, die Bereitschaft, den anderen auch zu akzeptieren und gemeinsam nach einem Ausgleich zu suchen. Niemals sollte es beim Miteinander von Menschen dazu kommen, dass der vermeintlich Stärkere dem Schwächeren seinen Willen mit Gewalt aufzwingt.
Auch wir Christenmenschen müssen uns anfragen, ob wir selbst bereit sind, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Wie sieht es mit unserer Bereitschaft aus, die Welt aus dem Blickwinkel des anderen zu sehen? Ich wünsche uns den Mut, die Stimme zu erheben, wenn Unrecht geschieht oder, wie es die Ukraine jetzt erlebt, wenn ein Land seinen Nachbarn nicht achtet und es in einen Krieg zieht. Und ich wünsche uns die Bereitschaft, uns nicht vom Hass leiten zu lassen, sondern von der Liebe. So tut es Gott mit uns.
Im letzten Jahr standen tausende Menschen vor unserer Tür hier in St. Katharina. Tausende Menschen von beiden Seiten. Und mit ihnen stand Christus selbst tausendfach vor der Tür. Wir danken Gott, dass in unserem Hause Frieden bewahrt und Hilfe geleistet werden konnte. Und heute sehe ich die Situation der Menschen hier in der Ukraine. Viele sind auf der Flucht. Und mich schmerzen die Schicksale der Menschen.
Gottes liebendes Werben hört nie auf
Doch ich weiß, dass Christus auch ihre Not sieht. Ich weiß, dass es auch hier Leute gibt, die sich in diese Menschen hineinversetzen, denen die Flüchtlinge, die Kinder in den Heimen, die Alten, die hungern, nicht gleichgültig sind. Es gibt sie, die Menschen, die dem Beispiel Gottes folgen und den anderen Menschen wahrnehmen, ihm würdevoll begegnen und als ein Geschöpf Gottes behandeln.
Es gibt sie, die Menschen, die mutig Gottes Wort ausrichten und auf Sünde hinweisen, die den Frieden gefährdet. Es gibt sie die Menschen, die bereit sind zu hören und die treu und mit Geduld im Gespräch bleiben. Das macht Hoffnung. Auch in dieser schweren Zeit, in der dieses Land durch einen Krieg erschüttert wird. Es macht Hoffnung, weil Gottes liebendes Werben nie aufhört. Christus ist hier, gekommen zu uns und zu ihnen. Öffnen wir ihm die Türen, indem wir selbst uns anderen Menschen zuwenden. Oder wie es auf einer Weihnachtskarte stand: Mach es wie Gott: werde Mensch!
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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Was ist Gottes Wille – und was nicht. Predigt zu Matthäus 3,13-17 – auch zum Terroranschlag in Paris - von Christoph Dinkel
Was ist Gottes Wille – und was nicht
Eine Predigt – auch zum Terroranschlag in Paris
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in Matthäus 3,13-17. Es ist der Bericht über die Taufe Jesu:
Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Liebe Gemeinde!
1. Jesu Taufe und unsere Taufe. Die Taufe Jesu ist die Urszene der christlichen Taufe. Wie Jesus getauft wurde, so wurde heute M. getauft, so wurden wir selbst einst getauft. Wer getauft ist, gehört zu Jesus. Wer getauft ist, gehört zu Gott. Und was für Jesus gilt, gilt auch für uns: Wir sind Gottes geliebte Kinder, seine Töchter und Söhne. Auf uns ruht das göttliche Wohlgefallen. Auch wir werden mit dem göttlichen Geist ausgestattet. Auch für uns steht der Himmel Gottes offen.
Die Taufe Jesu ist die Urszene der christlichen Taufe. Erstaunlich, dass diese Szene dann aber doch nicht ins christliche Glaubensbekenntnis aufgenommen wurde. Die Taufe hätte an sich gut reingepasst: Geboren von der Jungfrau Maria, getauft von Johannes dem Täufer, gelitten unter Pontius Pilatus – so hätte man das formulieren können. Doch offensichtlich gab es da eine Sperre. Die Taufe Jesu war nämlich für die Kirche der ersten Jahrhunderte schwer zu erklären. Wieso lässt sich der sündlose Gottessohn taufen, wo doch die Taufe nach klassischem Verständnis als Ritus der Sündenvergebung und als Zeichen eines neuen Lebens betrachtet wurde? Hatte Jesus das etwa nötig? Und warum lässt Jesus sich taufen von Johannes dem Täufer, der doch nur irgendein sonderbarer Wüstenprediger war? Auch das musste erklärt werden. Matthäus erklärt beides damit, dass Jesus durch seine Taufe „alle Gerechtigkeit“ erfüllen wollte. Das klingt für uns etwas sonderbar, meint aber, dass Gott es eben so gewollt hat und Jesus als gehorsamer Sohn das dann auch so macht. Die Taufe Jesu ist die Urszene, an solchen Urszenen gibt es nichts zu mäkeln. Der Wille Gottes alleine entscheidet.
2. Gehorsam gegen Gottes Willen. Für den Evangelisten Matthäus ist damit die Debatte beendet. Für uns aber ist daran ein Punkt interessant: Der Gehorsam. Ein schwieriges Wort. Unmittelbar sehen wir vor unserem inneren Auge einen strengen Lehrer, der mit erhobenem Zeigefinger den Schüler zum Gehorsam mahnt. Sollte das gemeint sein? Ja und Nein muss man darauf antworten. Ja, weil es dem Evangelisten wirklich darum geht, dass Gottes Wille gilt und dass Gottes Kinder diesen Willen zu befolgen haben. Jesus ist aus Sicht des Evangelisten Matthäus der eine exemplarische Mensch, der diesen Gehorsam in vollem Umfang leistet. Das zeichnet ihn vor allen anderen aus, das macht ihn zum Gotteskind, deshalb hat Gott an ihm auch sein besonderes Wohlgefallen. Und wir sind aus Sicht des Evangelisten gehalten, es Jesus nachzutun. Auch wir sind vor allem dann Kinder Gottes, wenn wir Gottes Willen tun. Der Evangelist Matthäus ist da tatsächlich wie ein strenger Lehrer. Er hat hohe ethische Maßstäbe und klare Vorstellungen davon, was geht und was nicht.
Und dennoch stimmt das mit dem strengen Lehrer dann am Ende nicht. Denn beim Willen Gottes geht es nicht etwa um irgendwelche Kleinigkeiten, die man ausgefressen hat und die besser zu unterlassen wären. Gott ist nicht kleinlich, er ist auch nicht pingelig. Für den Evangelisten geht es beim Gehorsam gegen den Willen Gottes vielmehr um die großen Themen: um Gerechtigkeit, um Frieden, um Barmherzigkeit. In den Seligpreisungen sagt Jesus: Selig sind die Friedensstifter, denn sie sollen Gottes Kinder heißen. Und in seinen Erzählungen zeigt Jesus ja, worum es geht, wenn er Menschen das Leben rettet, wenn er sie gesund macht, wenn er Ausgestoßene in die Gemeinschaft aufnimmt und mit ihnen isst und trinkt, wenn er lebensfeindliche Regeln aufhebt, damit Menschen frei werden und leben können. All das heißt Gott Gehorsam zu sein – und das sind lauter wunderbare Dinge, die die Welt schöner machen und die Menschen zu einem besseren Leben verhelfen. Für den Evangelisten Matthäus zeigt sich der christliche Glaube in der Tat – und Jesus ist uns Vorbild im Tun des Gerechten, des Heilsamen, des Hilfreichen. Denn das ist der Wille Gottes, dem es gehorsam zu sein gilt.
3. Das Gegenteil von Gottes Willen. Es geht dem Evangelisten Matthäus darum, dass wir den Willen Gottes tun. Was das ist wird auch daran erkennbar, wenn man überlegt, was das Gegenteil des Willen Gottes ist. Wenn Gott das Gute ist und das Gute will, dann ist das Gegenteil davon das Böse. Seit alters wird dieses Böse in der Religion in mythologischer Sprache beschrieben. Man spricht vom Satan oder vom Teufel. Dass es den Teufel wirklich gibt, glauben heute in unserem Land zum Glück nur noch wenige. Aber was die Alten mit diesem mythologischen Wort sagen wollten, das verstehen auch wir ganz genau: Der Teufel oder Satan steht für das Böse, für alles Gemeine, für das, was Menschen klein macht und unterdrückt, der Teufel steht für Gewalt und Willkür, für zerstörerischen Mächte und unheilvolle Zusammenhänge, für den Missbrauch von Macht, für Verbrechen und Terroranschläge. Der Terroranschlag vom Donnerstag in Paris gegen die Redaktion des französischen Satireblatts Charlie Hebdo war in der Sprache der Mythologie ein Anschlag des Teufels. Das Morden von Boko Haram in Nigeria, der Krieg in Syrien – all das sind teuflische Anschläge gegen den Willen Gottes, gegen das Gute.
Gleich nach seiner Taufe, so erzählt der Evangelist Matthäus, wird Jesus versucht. Der Teufel erscheint ihm und macht interessante Vorschläge: Jesus soll aus Steinen Brot machen und er soll von der Zinne des Tempels springen. Als Gottessohn müsse er das doch können und Gott habe ihm ja verheißen, dass seine Engel ihn tragen werden. Jesus ahnt schon, dass das keine guten Vorschläge sind und weist sie mit Zitaten aus dem Alten Testament zurück. Da kommt noch ein dritter Vorschlag: Wenn Jesus den Teufel anbete, werde er ihm die Herrschaft über die ganze Welt geben. Auch diese Probe besteht Jesus. Er verweist auf die ersten beiden Gebote: Gott allein soll man anbeten, sonst nichts und niemanden. Da räumt der Teufel das Feld und die Engel Gottes kommen zu Jesus und dienen ihm. (vgl. Matthäus 4,1-11)
Diese mythologische Erzählung macht deutlich: Wer sich erwählt und besonders begnadet fühlt, der ist in besonderer Gefahr: Ich bin Gottes Sohn – was soll mir noch geschehen? Gottes Geist ist mit mir – wie sollte ich mich irren können? Gottes Wohlgefallen ruht auf mir – wie sollte mir nicht alles gehören und alles erlaubt sein? Die Versuchung, die Jesus erlebt, erleben ganz viele Menschen, die sich in besonderer Weise hervorgehoben und auserwählt fühlen, sei es durch Begabung oder durch Erfolg oder durch Herkunft. Ihnen allen zeigt Jesus, welchen Einflüsterungen sie zu widerstehen haben. Maßstab des Guten ist nicht die eigene Großartigkeit, sondern der Wille Gottes, das Tun des Gerechten, des Heilsamen, des Hilfreichen.
4. Gotteskinder – Teufelskinder. Die Taufe Jesu ist die Urszene der christlichen Taufe. An Jesu Taufe sehen wir, was uns Gott verheißt und auch, was damit genau nicht gemeint ist. Gerade auf das Letztere muss heute hingewiesen werden. Es gibt ja in der Kirche die verbreitete Rede, dass Gott alle Menschen bedingungslos liebt und annimmt. „Gott macht keine Unterschiede, Gott hat sie alle lieb“, heißt es im Kinderlied. Das gilt in gewisser Weise tatsächlich: Gottes Liebe gilt den Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung und auch ihrer Religionszugehörigkeit. Wie Christen Gottes Kinder sein können, so können es ganz gewiss auch Muslime, Hindus und Juden sein. Und selbst Menschen, die etwas ausgefressen haben, selbst Verbrecher nimmt Gott an und schließt sie in seine Liebe ein – allerdings nur jene, die ihre Verbrechen bereuen. Wer sich seiner Verbrechen brüstet, wer seine Verbrechen wie die Mörder von Paris gar meint im Namen Gottes zu begehen – der ist kein Kind Gottes, sondern – ich rede in der Sprache des Mythos – ein Kind des Satans und des Teufels. Er ist ein Werkzeug der finsteren Mächte der Zerstörung. Der mythische Ort, an den solche Menschen gehören, ist die Hölle. Dort sind sie dann in der Gesellschaft von Bin Laden, Hitler, Stalin und all den anderen Menschlächtern.
5. Der Glaube der Gotteskinder. Zum christlichen Glauben, zum Leben als Kind Gottes gehört es, dass man den Versuchungen des Teufels widersteht und sich am Willen Gottes orientiert, daran, was gerecht ist, heilsam und hilf-reich für den Nächsten. Zu diesem Glauben wollt Ihr als Eltern und Paten Eure Tochter M. erziehen. Diesen Glauben sollt Ihr als Konfirmandinnen und Konfirmanden verstehen und Euch aneignen. In diesem Glauben bestärken wir uns gegenseitig in diesem Gottesdienst.
Viele von Ihnen und Euch sind erschüttert über die Ereignisse von Paris, über die Welle brutaler terroristischer Gewalt, die seit Jahren über den Globus schwappt. Manchmal fällt es einem schwer, in einem solchen Umfeld die Zuversicht und das Gottvertrauen zu bewahren und auf eine gute Zukunft für die Welt und für unsere Kinder zu hoffen. Die Zeiten, in denen Jesus gelebt hat, werden kaum freundlicher gewesen sein als unsere. Und doch hat Jesus fest daran geglaubt, dass Gottes Macht stärker ist als die des Teufels. In einem Wort Jesu heißt es: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz (Lukas 10,18). Aus diesem mythischen Bild von der schon gebrochenen Macht des Bösen hat Jesus die Kraft geschöpft, den Mächten des Bösen zu widerstehen und entgegenzutreten. Die bösen Mächte sind dabei zu verlieren. Noch toben sie in der Welt, aber wir werden sie zurückdrängen. Für die Getauften steht der Himmel Gottes schon offen, von dort breitet sich Gottes neue Welt aus. Sie nimmt uns in Dienst. Weil ihnen der Himmel offen steht, widerstehen die Kinder Gottes dem Bösen, sie stiften Frieden, wo Gewalt herrscht. Wo Wunden sind, heilen sie, wo Menschen Hilfe brauchen, packen sie tatkräftig an.
Martin Luther hat zur Taufszene Jesu gesagt: „Noch heutigen Tages ist der Himmel offen über die ganze Welt. Merke, dass diese Geschichte nicht zu Ende ist.“ Gottes Geschichte ist nicht zu Ende. Durch die Taufe nimmer er M., nimmt er uns alle mit in diese Geschichte hinein. Er zeigt uns den offenen Himmel und er zeigt uns seinen Willen, damit wir das tun, was gerecht ist, was heilsam ist und was zum Guten hilft. – Amen.
(Zitat von Martin Luther aus Predigt von 1544, zit. nach: Ulrich Luz, Evangelium nach Matthäus, 153, Anm. 25. Auch sonst verdankt die Predigt viele Impulse dem Kommentar von Ulrich Luz)