Predigt zu Offenbarung des Johannes 15,2-4 von Stefan Henrich
Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes:
Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!
Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.
Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?
Denn du allein bist heilig!
Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.
Liebe Gemeinde,
in meinem Zettelkasten fand ich ein altes Zeitungsblatt mit Gedanken des Theologen Fulbert Steffensky über den Traum vom Anfang und vom Ende aller Dinge.
Der Beitrag beginnt so:
„Wo Menschen hoffen und wo sie den Sinn ihres Lebens suchen, singen sie zwei Lieder, das erste: Es war einmal!, das zweite: Einmal wird es sein!“
Steffensky führt die Gedanken von diesen zwei Liedern hin zu dem einen Paradies, das biblisch erinnert und verheißen ist. Ich werde darauf zurückkommen.
Beides zusammen, Erinnerung und zukunftsweisende Hoffnung finde ich in dem Text aus der Offenbarung des Johannes genauso gekoppelt, ohne dass allerdings das Paradies als schönes Bild der erinnerungsreichen Hoffnung bemüht wird. Und dennoch ist Ähnliches ganz anders ausgedrückt, auch eine Kunst der biblischen Theologie.
Johannes, der ekstatische Visionär, sieht ein gläsernes Meer mit Feuer vermengt. Gegensätze mischen sich, Feuer und Wasser gehen endzeitlich schöne Hochzeit ein. Meeresflammen wellen auf und ab, Böses verbrennt und Schönes wird wie im Wasser der Taufe emporgehoben. Klare Sicht der Dinge reicht bis zum Urgrund des Lebens und der Himmel ist nah. Aufrechte mutige Menschen stehen füreinander ein und loben Gott, sie lassen sich nicht knechten durch keine Macht der Welt. Kein böser Wolf und kein tyrannischer Kaiser und keine Teufelszahl finden Gefallen an ihnen, und die Aufrechten sind vereint am Gestade des Ufers, haben aus dem Himmel Gottes Harfen in die Hand bekommen und können spielen und singen und sich freuen ohne Ende. Ein Lied der Erinnerung singen sie, ein neues und dennoch altvertrautes Lied. Es ist das Lied des Mose und das Lied des Lammes, Jesus Christus herrscht als König und Mose hat uns aus dem Lande der Knechtschaft herausgeführt, hat uns die guten Gebote Gottes in Stein gehauen als Orientierungszeichen für gelingendes Leben gebracht.
Lobpreisender Gesang ist die Antwort derer, die sich in der Gottesbeziehung aufgehoben fühlen auch in der bedrängenden Not ihrer eigenen Gegenwart.
Die Not der Christen zur Zeit der Offenbarung des Johannes wog augenscheinlich viel schwerer als die Sorgen, die wir in den Freiheiten unseres Lebens haben.
Uns stellt kein tyrannischer Herrscher nach, wir werden den Löwen nicht zum Fraß vorgeworfen, wir leiden keinen Hunger auch dann nicht, wenn die Lebensmittelpreise steigen und wenn einer in Not ist, dann können wir helfen, medizinisch, sozial, menschlich und christlich, Gott sei Dank.
Allerdings, was hier möglich ist, gilt beileibe nicht für alle Teile der Welt. Wie sehr muss es im 21 Jahrhundert erschüttern, dass terroristische Gruppierungen hunderte von meist christlichen Schülerinnen anscheinend spurlos entführen, um sie auf nicht auffindbaren Sklavenmärkten zu verkaufen.
Und wie beschämend ist es zu erleben, dass wir den Flüchtlingen und Asylsuchenden aus den Kriegs- und Hungergebieten unserer Welt oftmals keine herzliche Aufnahme und Hilfe gewähren, sondern sie mit kalter Schulter und ebensolchem Herzen abweisen oder aber überall haben wollen, nur nicht im eigenen Viertel.
Merkwürdig ist, dass gerade unter den Bedingungen der Freiheit auch die Unfähigkeit zur Hilfe gewachsen scheint, Freiheit scheint auch Orientierungslosigkeit und Egoismus zu wirken, sofern sie sich nicht gebunden weiß an Verantwortung und Rückbesinnung.
Die Christen zur Zeit des Sehers Johannes singen Lieder gegen die widrigen Umstände ihrer Zeit an.
Im Singen kommt Mut zu, Erinnerungsreiches taucht in den Textes auf. Bindung an Gott, den allmächtigen und barmherzigen wird erneuert und Zukunft gerade so eröffnet.
Es ist, als sei das ein Rezept auch für uns.
Die heilsame Kraft der Musik und des Singens ist vielfach beschrieben. Klar wird sie, wenn kleine Kinder allein und im Dunkeln die Stimme erheben und Angst einfach weg singen.
Und wer gut sich in der Bibel auskennt weiß, dass die Karriere des großen König Davids damit begann, dass er als Hirtenjunge zu dem alten König David gerufen wurde, um dessen böse Geister der Niedergeschlagenheit mit Harfenspiel und Gesang zu vertreiben. Und viel besser noch, weil alle Welt bewegend, ist die Weihnachtserinnerung, dass frohe Botschaft zur Erde kommt durch den Lobgesang der Engel, die den Hirten große Freude verkünden, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus.
Martin Luther hat später deutlich schön in Worte kleiden können, was heute auf Ärztekongressen als die therapeutische Kraft der Musik und des Gesangs wissenschaftlich bedacht wird (nebenbei gesagt: Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Ärztekongreß und dem Kirchentag? Auf dem einen gibt es ein Streichquartett zur Erholung, auf dem anderen sperren wir selber singend den Schnabel auf...):
Ich liebe die Musik, sagt Luther, und es gefallen mir die Schwärmer nicht, die sie verdammen, weil die Musik 1. ein Geschenk Gottes und nicht der Menschen ist, und 2. weil sie die Seelen fröhlich macht , und 3. weil sie den Teufel verjagt, und 4, weil sie unschuldige Freude weckt. Darüber vergehen die Zornanwandlungen, die Begierden, der Hochmut. Ich gebe der Musik den ersten Platz nach der Theologie.
Und dann speziell an anderer Stelle speziell zum Singen sagt Luther:
„Singen ist eine feine, edle Kunst und Übung. Singen hat nichts mit der Welt und nichts mit der Streitsucht zu tun. Wer singt, der sorgt nicht viel. Er schlägt alle Sorgen aus und ist guter Dinge.“ (vgl. Martin Luther, Tischreden, hg. Kurt Aland, Reclam Stuttgart 1996, S. 276)
Anders gesagt und vielen sicher gut bekannt: Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder.
Auch wenn letzteres nicht so ganz stimmt, Schlacht- und Streitgesänge gibt es eben auch, und es kommt immer auch auf die Inhalte der Lieder an, aber so oder so: Singen gibt Mut und Kraft, ist gesund und kostet gar nichts, außer ein wenig Überwindung vielleicht.
Zurück zu Fulbert Steffensky und zu seinen Gedanken an Erinnerung und erwarteter Hoffnung, in die er kühn den Paradiesesgedanken einträgt und ihn paart mit eigener Arbeit und Anstrengung. Steffensky sagt:
„Das Paradies ist nichts (von der Wirklichkeit aus gesehen) völlig Anderes, es ist die Musik, die hier schon gesungen werden soll.
Es soll im Himmel wie auf Erden sein und auf Erden wie im Himmel. Gottes Wille soll geschehen, (…) wie die Vaterunser-Bitte sagt. Himmel heißt nicht nur, eine Herkunft haben, es heißt nicht nur eine Zukunft haben. Es heißt, eine Arbeit auf der Erde haben. Die große Würde des Menschen: er ist nicht nur nacktes Spatzenjunges, das den religiösen Schnabel aufsperrt und auf die tägliche Gnadenfütterung Gottes wartet. Der Mensch ist Mitarbeiter und Koautor des Paradieses. Er soll den von Gott eingerichteten Garten bebauen (…). So soll er auch in der Gegenwart Mitarbeiter an der Versöhnung des Lebens sein; Koautor des Trostes, der Gerechtigkeit, des Friedens auf dieser Welt.“
Soweit Steffensky (in der Nordelbischen Zeitung vom 17.04.2008 (?) )
Mit dem Schrei nach Futter fängt diese Arbeit an, und nur wer den Schnabel aufreißt, merkt auch, dass er singen kann.
Egal wie die Töne kommen, ob glockenhell und schön oder quitscheschief und brummbärbeißig tief, eines ist sicher bei uns in der Kirche: wir singen selber, wir loben Gott, wir tun uns damit Gutes und anderen hoffentlich auch, wir tragen Erinnerungsreiches in die Zukunft hinein und füllen so die Gegenwart mit Schönem. Deshalb: „Kantate Domino, Jubilate Deo..."
Amen
Lieder:
EG 501 Wie lieblich ist der Maien
EG 306 Singt das Lied der Freude
EG 341 Nun freut euch, lieben Christeng‘mein
EG 583 Jubilate Deo
EG 123 Jesus Christus herrscht als König
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„Die Welt gerät zurück in die Fugen“ - Predigt zu Offenbarung 15,2-4 von Klaus Pantle
„Die Welt gerät zurück in die Fugen“
1
Ich stehe auf einer Klippe am Rand einer Insel und schaue über das Meer. Die Wellen schlagen gegen die Felsen, die Gischt spritzt auf. Am Ende des Horizonts zerfließt der milchig blaue Himmel mit dem Meer. Die Weite scheint grenzenlos. Mein Blick verliert sich in der Ferne. So klein bin ich, so verletzlich und endlich und so weit ist der Raum um mich, dass mir schwindlig wird. Ausgesetzt und einsam fühle ich mich, ein winziger, unbedeutender Teil des Kosmos. Aber zugleich empfinde ich mich in dieser Weite auch unendlich geborgen.
Johannes, der Empfänger der nach ihm benannten „Offenbarung“, sitzt in ein rotes Gewand gekleidet auf einer Klippe am Rand der Insel Patmos. Sein Blick verliert sich in der Ferne. Zugleich scheint er nach innen zu schauen. Unzählige Künstler haben ihn so gemalt. Manche haben Visionen, von denen er in seiner Offenbarung erzählt, gleich mit ins Bild gesetzt. Andere Maler lassen die faszinierenden wie erschreckenden Einzelheiten seiner Schau weg. Bild-Betrachtende sehen ihn dann nur als einsamen Mann buchstäblich am Rande der Welt. Die Gestalt lädt sie ein, sich in sie einzufühlen und die ihnen nahe liegenden apokalyptischen Visionen in sich aufsteigen zu lassen.
Johannes blickt auf das unruhige Meer, auf das uralte Sinnbild des Chaos, und sieht in ihm das Monstrum auftauchen - den Leviathan, den Chaosdrachen, den Antichrist - die wesenhafte Verkörperung der alles verschlingenden Macht des Bösen. Dazwischen drängen sich ihm andere Bilder ins Bewusstsein, die Erinnerung an Schiffsflotten voller römischer Soldaten, die über das Meer kamen und sein Land eroberten. Ihm erscheint das „Tier“, ob es Nero oder Domitian heißt, bleibt sich gleich. Das „Tier“ verfolgt die Christus bekennenden Schwestern und Brüder auf grausame Weise. Überall im Römischen Imperium sind die Standbilder des „Tiers“ platziert und müssen verehrt werden auf eine Weise wie die Christus-Bekennenden nur Gott verehren können. Die Geheimpolizei des Religionsamtes ist allgegenwärtig. Sie spioniert die Leute aus, verhört sie, nimmt Verdächtige fest und wirft die, die an ihrem Bekenntnis zu Christus festhalten, den wilden Tieren zum Fraß vor. Wie viele sind schon gestorben? Wer kann das wissen? Um dem zu entkommen ist Johannes auf diese abgelegene Insel in der Ägäis geflohen. Bilder von seiner Flucht über das Meer tauchen auf, vom schwankenden Schiff im Unwetter, das den Verfolgern gerade noch entwischen konnte. Fast wie den Israeliten bei deren Flucht aus Ägypten ist es ihm ergangen, der Flucht vor ihrem „Tier“ – dem Pharao. Mit knapper Not waren sie heil durch das Schilfmeer gekommen. Gott, verborgen in einer Wolken- und Feuersäule, hatte sie herausgeführt und ihre bestialischen Verfolger vernichtet. Gott wird auch das gegenwärtige „Tier“ und alle kommenden Bestien vernichten. All ihre Helfershelfer wird er überziehen mit neuen Plagen. Mit Blitz und Donner, mit Feuer und Wasser wird er sie und mit ihnen ihre verrohte und verdorbene Welt untergehen lassen. Denn Gott ist ein gerechter Richter. Er wird die „Überwinder“, die nicht von ihrem Bekenntnis zu Christus abfallen und die darüber zu Märtyrern werden oder bereits umgekommen sind, ewiges Leben schenken. Vor seinem inneren Auge sieht sie Johannes schon gerettet - die Schar der abgerissenen, von der Verfolgung Erschöpften, wie sie jetzt - ja jetzt, in diesem Augenblick! - schon existieren, jenseits dieser verkommenen Welt – lebendig und frei:
Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes:
„Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!
Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.
Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?
Denn du allein bist heilig!
Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir,
denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.“
2
Wenn ich mich der pulsierenden Stadtgesellschaft, in der ich lebe, entziehe und mir das, was sich in unserer Welt abspielt, vergegenwärtige, steigen in mir Bilder und Phantasien auf, die denen des Johannes gar nicht so fern sind. Nur ist das „Tier“ heute nicht so leicht zu identifizieren und noch viel schwerer zu personalisieren und beim „Namen“ zu nennen. Dafür ist es aber nicht weniger mächtig. Auch dieses „Tier“ hat „Zahlen“. Zahlen stehen für das Tier. Sie scheinen alles zu beherrschen: Euro- und Dollarzahlen, Börsendaten, Aktienindices, Gewinn- und Verlustrechnungen, Erfolgs- und Misserfolgsstatistiken, Arbeitslosenberechnungen, Wachstumsprognosen, Schulden- und Zinsquotienten. Alle Lebensbereiche, alle Dimensionen irdisch-menschlicher Existenz sind heute, so scheint es, „finanzialisiert“ (Saskia Sassen). Hoch lebe die Gier! Nicht nur das Arbeits- und Sozialleben sind davon geprägt, auch die Umwelt und das Klima fallen ihr zum Opfer. Zu oft kennen Egoismus und Gier kein Mitleid und keine Rücksicht mit anderen, auch keine Schonung der eigenen Person, sondern benutzen Menschen und Ressourcen allenfalls wie Spielgeld, um mit ihrer Hilfe und auf ihre Kosten das eigene Kapital zu erhöhen. Die unter die Räder kommen sind Legion. Fassungslos machen mich nicht allein die ganz „normalen“ Opfer von ganz „normalen“ Kriegen und Bürgerkriegen. Fassungslos macht mich der Blick auf die ganz „normalen“ Opfer des kapitalistischen Systems. Beispielhaft sehe ich die für die Betroffenen wahrhaft apokalyptische Bilder der brennenden Rana-Plaza in Savar in Bangla Desh von vor einem Jahr. 1134 Billigstarbeiter, die für 50 Euro Monatslohn für Kunden bei uns Kleidung sowohl für Billig-Ladenketten in unseren Hauptstraßen wie auch für teure Marken produzierten, verbrannten eingesperrt in einer bruchbudenartigen Fabrik. Mehr als 2000 überlebten verletzt und warten bis heute auf Hilfe und Entschädigung. Es war nicht die erste Katastrophe dieser Art – und nicht die letzte. Die Apokalypse findet statt, in unserer Gegenwart. Man braucht dafür noch nicht einmal die Bilder von den durch die Klimaerwärmung und die Abholzung der Regenwälder sich ausbreitenden Wüste auf diesem Planeten bemühen.
Die Vorstellung von Gott, der Gerechtigkeit einfordert und die Frevler an Mensch und Natur straft, ist in unserer Welt verblasst. Gottesfurcht scheint in diesem Zusammenhang kein Thema mehr zu sein. Johannes dagegen setzt noch auf einen Gott, der gegen die widergöttlichen Mächte streitet, der diese besiegt und vernichtet. Johannes sieht, wie in dieser Welt ein Machtkampf stattfindet zwischen Gut und Böse, zwischen, wie er es nennt: Gott und dem „Tier“, zwischen Christus und „Antichrist“, zwischen dem „Lamm“ und der Bestie. Dieser Machtkampf führt zu blutigen Opfern. Die widergöttlichen Mächte haben Gesichter und Namen, man kann sie benennen und identifizieren. Vor Gericht wird jeder nach seinem Namen und seinem individuellen Vergehen gefragt. Allerdings ist die Macht des Bösen größer als einzelne Menschen oder Gruppen in ihrem frevlerischen Handeln sie ausüben. Aber die Apokalypse findet sich nicht ab. Sie enthüllt. Sie fragt nicht nur, wer hinter dem Frevel steht. Sie fragt auch nach den Opfern. Sie hält die Erinnerung an die Toten aufrecht und verspricht ihnen und allen Bedrängten Gegenwart und Zukunft. Denn sie weiß um die zweite Wirklichkeit hinter und in der ersten Wirklichkeit. Sie kennt auch den Himmel. Sie weiß um das gelingende Leben. Ihr ist auch das Glück in der Gemeinschaft der Lebenden und der Toten gegenwärtig, die Brot und Wein teilen, die Gemeinschaft, in der man die Pracht der Welt feiert und die Schönheit Gottes besingt.
3
Die Welt gerät zurück in die Fugen. Es gibt diese zweite Wirklichkeit. Es gibt sie auch. Die abgerissene Schar der „Überwinder“ singt das Lied der Freiheit und alle stimmen ein. Himmlischen Harfen entlocken sie himmlische Klänge. Die martialische Musik, die das monströse „Tier“ verherrlicht, ist verstummt. Verhalten erklingt der Jubel eines Anderen, das „Lied des Lammes“: „Es ist vorbei, es ist vorbei, vorbei... und alles ist gut.“ Wenn alles vorbei ist, bleibt die Erleichterung. Man muss um nichts mehr bitten und braucht nicht mehr zu klagen. Es bleibt das Soli Deo Gloria – der Lobpreis der Heiligkeit Gottes: „Sie, die Heiligkeit, ist die erste ohne Anfang, und sie ist die letzte ohne Ende, zu der fürwahr nicht einmal unsere Gedanken kommen können“ (Johannes Reuchlin). Annähernd zu erfassen ist Gottes Heiligkeit am Ende nur in der Musik. Die Saiten der himmlischen Harfen werden angeschlagen „und das Eis bricht vom Himmel, der am Ende offen sein wird. Was geschieht, ist einfach. Die Stimmung, die Willkür wird aufgegeben, und die Gesetze werden gefunden. Die Welt gerät zurück in die Fugen“ (Ingeborg Bachmann).
In Kay Pollacks Film „Wie im Himmel“ zieht sich der berühmte Dirigent Daniel Daréus nach seiner Apokalypse, einem Herzinfarkt, zurück in das nordschwedische Dorf seiner Kindheit. Es dauert nicht lange und er lässt sich überreden, die Leitung des örtlichen Kirchenchors zu übernehmen. In diesem Chor versammeln sich Menschen, die fast alle mitten in persönlichen Apokalypsen stecken oder schon welche durchlebt haben. Zum Teil sind sie selbst Ursache für ihre eigenen Apokalypsen oder die der anderen. Da sind die bigotte alte Jungfer, das sexuell vielseitige und doch nicht wirklich geliebte Blondchen, der ewig herumgeschubste Dickmops, der zynische Geschäftemacher, der geistig behinderte Dorfdepp, die fast taube Alte, die misshandelte Ehefrau und andere mehr oder weniger blasse und verkrümmte Menschen. Zu Beginn des Films sagt Daniel, auf die Frage, was er als berühmter Dirigent in so einem gottverlassenen Kaff suche: „Ich bin gekommen, um zuzuhören“ - zuzuhören, auf die Stimmen der Menschen zu hören, nicht nur darauf, was sie sagen, sondern auch wie sie es sagen. Nach und nach verhilft er ihnen dazu, ihre eigenen Stimmen zu finden. Das gefällt nicht jedem, wenn Menschen ihre eigene Stimme finden. Und das kann zu heftigen, zu notwendigen Konflikten führen, wenn man sich endlich einmal die Wahrheit zu sagen traut und die alltäglichen Spielchen sozialer Demütigung durchbricht. „Jeder Mensch hat seinen eigenen einzigartigen Ton“, sagt Daniel. Der ist schon da. „Alles ist schon da.“ Man muss den Ton nicht machen, man muss ihn nur finden.
Am Ende des Films nimmt der Chor an einem Wettbewerb in Salzburg teil. Die Chorsänger/-innen haben sich im Konzertsaal aufgestellt und warten auf ihren Dirigenten. Aber der erscheint nicht. Die Spannung steigt ins Unerträgliche, bis einer der Sänger, der Dorfdepp Tore, einen Ton anstimmt, seinen Ton, und die anderen nach und nach einstimmen, mit ihrem Ton. Das im ersten Moment irritierte Publikum erhebt sich und am Ende lassen alle ihre eigenen Stimmen mit einfließen. So entsteht ein improvisierter himmlischer Klang, der die Menschen miteinander verbindet und sie über sich hinaus hebt. Es ist eine unvergleichliche, eine kosmische Harmonie aus Menschenmund, eine Musik „wie im Himmel“. Daniel liegt nach einem erneuten Herzinfarkt in der Toilette des Konzerthauses. Über einen Lautsprecher hört er den Klang aus dem Saal und in diesem Himmelsaugenblick huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Solche Musik wollte er lebenslang finden: „Eine Musik, wie sie noch nie je ein Mensch gehört hat.“ Wo sie erklingt, da gibt es keinen Tod.
Noch immer stehe ich auf der Klippe am Rand einer Insel, schließe die Augen und lausche. Was ich höre ist ein unvergleichliches Zusammenspiel der Klänge von Wasser, Wind und Stein. Es rauscht und gurgelt, plätschert und klatscht. Gleich einer atmenden Bewegung schwillt der Klang an und wieder ab, wogt hin und her und findet seinen eigenen unregelmäßigen Rhythmus. Darüber und dazwischen schieben sich die Stimmen der Vögel, gellende langgezogene Schreie, kurze, kräftige Töne, feines Tschilpen, Gilpen, Zwitschern und Pfeifen. Der Klang meines Atems fügt sich ein. Ich bin Teil einer umfassenden Klanglandschaft – die eine dynamische Sinfonie spielt. Ich imaginiere die Klänge unter Wasser dazu, die Klänge, für die man andere Ohren braucht als ich sie habe, von denen ich aber weiß, dass sie da sind: die Klangsignale der Fische, das Schnarren der Krebse, die saugenden und schmatzenden Geräusche der Seeanemonen, das Lied von Buckelwal, Blauwal und Glattwal, das so mächtig ist, dass ihr Klang in nicht einmal 7 Stunden einmal die Erde umrundet.
In diesem Moment kann ich sie hören, diese kosmische Sinfonie. In diesem Augenblick bin ich Teil von ihr. Und ich kann meine Stimme begreifen als „eine Stimme in einem vielgestaltigen Orchester, (das) keinen wichtigeren Auftrag hat als die Feier des Lebens selbst“ (Bernie Krause). Dieser große, unendliche Gesang des Lebens wird mir in diesem Moment zum Lobgesang Gottes. Und meine Welt gerät zurück in die Fugen.
Pfarrer Klaus Pantle, Stuttgart
Literatur:
Made in Bangladesh. Das schmutzige Geschäft mit den Billigklamotten, Süddeutsche Zeitung 24. April 2014
Im Stich gelassen, Süddeutsche Zeitung Magazin vom 25. April 2014
Ingeborg Bachmann, Die wunderliche Musik, in: Über Musik, hg. von Eckart Kleßmann, Stuttgart 1986, S. 248
Johannes Reuchlin, in: Mark Andre, wunderzaichen, Programmheft der Staatsoper Stuttgart, Spielzeit 2014/15, S. 44
Wie im Himmel, Regie: Kay Pollack, Schweden 2004
Bernie Krause, Das große Orchester der Tiere. Vom Ursprung der Musik in der Natur, München 2013, S. 14 und 245
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"Fürchte dich nicht!" ZDF-Osterpredigt über Offenbarung 1,17-18
Liebe Gemeinde,
Ostern, das ist Freude. Jubel. Ausgelassenes Feiern. Sogar Tanzen, wie wir es bei unseren äthiopischen Mitchristen eben gesehen haben. Ostern macht aber auch skeptisch. Die Behauptung "Jesus ist auferstanden" ist eine intellektuelle Herausforderung sondergleichen. Eine echte Zumutung für uns aufgeklärte Zeitgenossen. Ein Toter kommt zurück ins Leben? Wie soll das bitte gehen? Tot ist tot. Wer etwas anderes behauptet, stellt unsere Lebenserfahrung und unser Weltbild auf den Kopf. Wenn nicht einmal der Tod totsicher sein soll – worauf kann man sich denn dann noch verlassen?
Ostern hat darum immer schon irritiert. Und auch verunsichert. Manchen sogar richtig Angst eingejagt. Etwa den Frauen am Grab, denen der Engel sagte: Jesus ist nicht hier! Er ist auferstanden! Diese Nachricht fuhr ihnen durch Mark und Bein. Johannes, einem der Jünger Jesu, ging es ähnlich. Das letzte Buch der Bibel beschreibt sein ganz persönliches Ostern. Da sieht Johannes Jesus, den Auferstandenen, in einer Vision. Dieser Anblick wirft Johannes um. Da ist keine Spur von Freude. Nur großes Erschrecken. Was hat ihn so überwältigt?
Wahrscheinlich war es seine eigene Erwartung. Dass Jesus ihm jetzt mit unbestechlicher Miene die Leviten liest. Doch seine Befürchtungen treten nicht ein. Stattdessen streckt Jesus seine Hand nach Johannes aus. Berührt ihn liebevoll und richtet ihn auf. Wie eine Mutter, die ihren Arm um ihr Kind legt und es tröstet, ihm zuhört, ihm Mut macht. Wie ein Vater, der sein Kind auffängt, ihm versichert, dass er es liebt.
Und dann spricht Jesus mit ihm. "Fürchte dich nicht!" sagt er. Kein Vorwurf? Kein vernichtendes Urteil? Nur dieser eine liebevolle Satz bleibt: "Fürchte dich nicht!" Scheitern, Versagen, Schuld lösen sich auf.
"Fürchte dich nicht!" Dieser Satz aus Jesu Mund kann alles in uns verändern. Wie oft hat mich das Urteil eines anderen Menschen verletzt! Wie schnell sind meine Zukunftsträume wie Seifenblasen geplatzt. Wie stark kann eine ärztliche Diagnose meinem Lebensmut die Flügel beschneiden. Doch Jesus sagt: Fürchte dich nicht!
Ein Satz, der Leben verwandelt. Ein Satz, der heil macht. Das haben die Menschen zu biblischen Zeiten auf wundersame Weise erlebt. Darum kamen sie mit allem zu Jesus, was sie quälte und bedrückte. Sie ahnten: Jesus kann uns gesund machen. Gesund, an Leib und Seele. In ihm begegneten sie Gott. Und so suchten sie seine Nähe, seine Macht und sein befreiendes Wort. Damit er den Schatten des Todes, eine Krankheit zum Beispiel, aus ihrem Leben vertreibt. Das Neue Testament enthält viele solche Geschichten. Wie Jesus Menschen heil gemacht hat. Manche Menschen erleben dies auch heute.
Girma Kelboro: Mein Name ist Girma Kelboro. Ich bin in einem kleinen Dorf in Äthiopien geboren. In Äthiopien gibt es viele verschiedene Religionen. Viele Einwohner sind christlich orthodox oder muslimisch, andere gehören Naturreligionen an. Sie leben alle friedlich miteinander, auch sehr oft unter einem Dach. Meine Familie war ursprünglich muslimisch. Bis zu jenem Tag 1992, als in unserer Familie ein Wunder geschah: Damals war mein kleiner Bruder sehr krank. Er lag im Bett und hatte sehr starke Schmerzen. Keine Medizin hat ihm geholfen. Dann kamen Christen, die an Jesus Christus glaubten und haben für ihn gebetet. Ihr Gebet hat meinen Bruder geheilt. Diese Erfahrung überzeugte unsere Familien und wir entschieden uns, an den Namen Jesus Christus zu glauben. Meine ganze Familie hat Jesus Christus als ihren Retter und Heiland angenommen. Wir glauben, dass durch Jesus Christus alles möglich ist. Das macht uns bis heute sehr glücklich.
Pastor Andreas Fehler: Eine erstaunliche Geschichte. Eine "Spontanheilung", die medizinisch nicht erklärt werden kann. Bei einigen ruft sie sicherlich Kopfschütteln hervor. So etwas kann es doch nicht geben! Doch, nicht oft. Aber hin und wieder. Für Girma und seine Familie muss dieses Erlebnis nicht naturwissenschaftlich erklärt werden. Für sie ist klar: Gott hat ein Wunder getan. Jesus hat eingegriffen. Dies zu erleben und das Gebet der anderen hat Girma und seine Familie so überzeugt, dass auch sie ihr Leben Jesus Christus anvertraut haben. Lassen Sie uns mit einem alten Osterchoral in dieses Vertrauen einstimmen:
Lied: Jesus lebt, mit ihm auch ich! EG 115
Jesus lebt! Ich bin gewiss, nichts soll mich von Jesus scheiden,
keine Macht der Finsternis, keine Herrlichkeit, kein Leiden.
Seine Treue wanket nicht; dies ist meine Zuversicht.
Pastor Andreas Fehler: Keine Finsternis soll mich von Jesus scheiden! Und wenn doch? Was ist mit den vielen, die solch eine Heilung wie in Girmas Familie nicht erleben? Die sich Gesundheit wünschen und krank bleiben? Die darum gebetet haben – aber ihr Gebet wurde nicht erhört? Auch ihnen gilt Jesu Zuspruch "Fürchte dich nicht!" Aus gutem Grund. Denn das Gespräch zwischen Jesus und Johannes geht noch weiter. Jesus sagt zu ihm: "Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle." (Offenbarung 1,17b.18)
Dafür, liebe Gemeinde stehen diese beiden Buchstaben, A und O. Jesus sagt von sich, dass er A und O, Alpha und Omega, ist. Davor ist nichts. Und es kommt nichts mehr nach. Diese beiden Buchstaben rahmen Gottes große Liebeserklärung ein. Zuerst erging sie an sein Volk Israel. Durch Jesu Christus, Gottes Sohn, sind wir in diese Liebesgeschichte mit hineingenommen. Denn auch mit uns will Gott sich verbünden. Auch uns gilt sein Versprechen, dass wir leben sollen. Jesus ist konsequent dafür eingetreten, hat dafür sogar den Tod am Kreuz auf sich genommen. Und Gott hat ihn, seinen Sohn, neu ins Leben gerufen. Als ersten, der alle Verstorbenen nach sich zieht. Jesus Christus verkörpert Gottes Versprechen. Darum ist sein Wort so mächtig.
Es entkräftet alle anderen Worte. Weder Eltern, noch Lehrer, Arbeitgeber, Nachbarn, oder Ärzte sprechen das letzte Wort. Jesus spricht das letzte Wort. Die Sünde, der Tod, die teuflischen, lebenszerstörenden Mächte, die dieser Welt Hass und Schmerz bringen, wie gerade in der Ukraine und auf dem Meer vor Südkorea. Nachrichten wie über dieses Fährunglückerschrecken uns zutiefst. Und dennoch wissen wir: diese Gewalten entmachtet. Gewiss, wir sehen sie noch. Denn auf dieser Erde ist unser Leben immer begrenzt. Am Tod kommen wir nicht vorbei. Immer wieder wirft er seine Schatten auf uns. Aber er hat nicht das letzte Wort. Jesus hat die Gesetzmäßigkeiten dieser Erde ausgehebelt. Er besitzt die Schlüssel des Todes und der Hölle. Ein starkes, triumphierendes Bild: Jesus mit Schlüsselgewalt.
Wer dieser Botschaft vertraut, kann heil werden, selbst wenn er nicht gesund wird. Zugegeben, das klingt paradox. Doch gesund und heil sein sind zwei verschiedene Dinge. Das erlebe ich immer besonders intensiv, wenn ich Menschen auf ihrem letzten Weg begleite. Zum Beispiel auf einer Palliativstation oder im Hospiz. Dort ist der Tod allgegenwärtig. Und zugleich steht Jesu Satz "Fürchte dich nicht! Ich habe die Schlüssel des Todes" im Raum. Das gibt Sterbenden und ihren Angehörigen eine tiefe Hoffnung.
Ein väterlicher Freund, den wir im letzten Jahr verloren haben, hat diese Hoffnung sogar auf seinen Grabstein meißeln lassen. "Jesus lebt, mit ihm auch ich!" steht da. In trotzigem, frohen Glaubensmut. Diese Zeile stammt aus demselben Osterchoral, den wir gerade schon angestimmt haben. Lassen Sie uns die nächsten beiden Strophen singen:
Lied: Jesus lebt, mit ihm auch ich! EG 115
Jesus lebt, mit ihm auch ich! Tod, wo sind nun deine Schrecken?
Er, er lebt und wird auch mich von den Toten auferwecken.
Er verklärt mich in sein Licht; dies ist meine Zuversicht.
Jesus lebt! Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben.
Welchen Trost in Todesnot wird er meiner Seele geben,
wenn sie gläubig zu ihm spricht: "Herr, Herr, meine Zuversicht!"
Text: Christian Fürchtegott Gellert 1757,
Melodie: Johann Crüger; mehrstimmiger
Satz: Johannes Schmidt (*1988), 2014, nicht verlegt
Pastor Andreas Fehler: Weil Jesus lebt und auch uns das Leben blüht, hat der Tod für viele Menschen seinen letzten Schrecken verloren. Es ist, als würde Gott ihre Zukunft schon in ihre Gegenwart strahlen lassen:
Hans Diebel: Ich bin oft Menschen begegnet, die durch Worte gebunden waren. Solche Worte habe ich vorhin ja auch selbst gesagt, so etwa wie: Niemand kann Ihnen helfen, Sie müssen sterben. Aber das ist nur die eine Seite. Es gibt zum Glück auch andere, göttliche Worte in dieser Welt. Jesus sagt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt." Dieses Wort befreit. Bereits im Leben. Und sogar vom ewigen Tod. Unser Kreuz hier zeigt das sehr schön. Für mich ist es ein Sinnbild. Schauen wir zuerst auf diesen dunklen, horizontalen Balken.
Er zeigt mein Leben, mit allem, was da an Dunklem dazugehört. Aber: Das Dunkle ist durch den Glauben an Jesus vom goldenen Balken umschlungen! So werde ich jetzt schon durch Jesus gehalten und gleichsam ein Stück zu ihm nach oben gezogen. Trotzdem bleiben Schwäche, das Älterwerden, Krankheit und Tod Teil meines Lebens. Doch durch Jesus, der den Tod überwunden hat, wird es am Ende gut. Er spricht das letzte Wort über mich und sagt: Komm zu mir, denn ich habe auch für Dich den Tod überwunden!
Pastor Andreas Fehler: Ostern löst große Freude aus, aber auch nagenden Zweifel, so habe ich zu Beginn meiner Predigt gesagt. Das Wunder der Auferstehung lässt sich nicht beweisen. Das Gegenteil aber auch nicht. Ich bin überzeugt: Es macht wenig Sinn, mich mit meiner Vernunft an diesem Wunder aufzureiben.
Es erschließt sich mir viel mehr, wenn ich es als Gottes Liebesgeschichte betrachte. Als sein Versprechen, mir, seinem geliebten Geschöpf, die Treue zu halten. Durch Schwäche, Schuld und Scheitern hindurch. Für mich A und O zu sein. Darauf will ich mich immer wieder neu einlassen. Und wie das bei der Liebe so ist, lebt sie vom Vertrauen.
Nicht von der Rückversicherung oder der Wahrscheinlichkeitsberechnung. Darum beende ich meine Predigt mit der Frage: Was würden Sie Jesus antworten, wenn Sie Johannes wären und Jesu Worte hörten: "Ich bin das A und O. Fürchte dich nicht!?"
Amen.
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Predigt zu Offenbarung 3,1-6 von Jörg Egbert Vogel
1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
2 Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert.
5 Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Liebe Gemeinde,
mit sieben Sendschreiben an sieben Gemeinden in Kleinasien beginnt das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes. Die sieben Sendschreiben sind quasi Briefe, die der Seher Johannes im Auftrag Gottes an die Gemeinden richtet und die auf ganz spezielle Situationen in den betreffenden Gemeinden eingehen.
Der Brief, der heute Predigttext ist, ist an die Gemeinde in Sardes gerichtet und nicht an die Hoffnungskirche in Berlin.
Aber dennoch drängen sich bei der Lektüre dieses Briefes nach Sardes Fragen auf, die auch unsere Gemeinde betreffen könnten. Und auch wenn das alles, was an die Gemeinde in Sardes geschrieben wurde auf uns nicht zutreffen sollte, können wir uns dennoch fragen, was würde in einem entsprechenden Brief an die Gemeinde in Neu-Tegel stehen, was würde der Seher dem Engel der Hoffnungskirchengemeinde schreiben?
Bis auf einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben, kommt diese Gemeinde in dem Schreiben nicht gut weg: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
Es handelt sich hier offensichtlich um eine Gemeinde, in der eine Menge los ist, in der viel Leben herrscht, von außen und oberflächlich betrachtet jedenfalls.
Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
Für Gott ist diese oberflächliche Lebendigkeit jedoch kein Kriterium für die wahre Lebendigkeit einer Gemeinde.
Denn diese Gemeinde in Sardes wird zwar lebendig genannt, aber sie ist eben doch tot.
Was genau der Grund ist für diese negative Einschätzung bleibt im Dunklen für den heutigen Leser. Einziger Anhaltspunkt ist, dass die Werke der Gemeinde als nicht vollkommen erachtet werden: ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
Immerhin ein kleiner Anhaltspunkt ist dies. Es geht um Werke, also um das, was in der Gemeinde tatsächlich getan wird.
Und was tut eine Gemeinde so? Sie kümmert sich um Kranke und Sterbende, sorgt für Arme. Sie ist offen für Menschen mit Nöten. Sie sorgt dafür, dass alle in Frieden miteinander auskommen. Sie ist für die Kinder da. Sie ist offen für andere. Sie bleibt nicht bei sich selbst, sondern wirkt in die Gesellschaft hinein mit ihren Engagements. Sie bereichert das soziale und gesellschaftliche Leben.
Vielleicht war die Gemeinde in Sardes zu sehr mit sich selbst beschäftigt, vielleicht haben nur einige Einzelne, vielleicht nur die Wohlhabenden das Sagen gehabt. Vielleicht wurden die Armen nicht geachtet, vielleicht wurde nicht für die Witwen und Waisen gesammelt, vielleicht litten einige Not und das wurde in der Gemeinde nicht wahrgenommen.
Dieses oder andere Gründe führten jedenfalls zu dem Urteil: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
Ein hartes Urteil. Kann man es wirklich so schwarz-weiß sehen? Nur weil die Gemeinde nicht perfekt ist, ist sie doch nicht gleich tot.
Dieser Brief ist kein Urteil. Er ist eher so eine Art Schuss vor den Bug, eine Warnung. Denn es folgt ja das Wort: Werde wach und stärke das andre, das sterben will.
Es gibt also etwas, das noch nicht tot ist, es gibt die Chance, wach zu werden und damit lebendig. Es gibt die Möglichkeit zur Umkehr zum Leben.
Wir wissen heute leider auch nicht, was aus der Gemeinde in Sardes geworden ist. Was dort im Gemeindekirchenrat nach Empfang dieses Briefes diskutiert wurde, kann ich mir aber ganz gut vorstellen. Von: „Wir sind doch gar nicht so schlecht“, bis: „Wir müssen unbedingt etwas ändern!“, wird die Spanne der Meinungen gereicht haben.
Und jeder, der diesen Brief bis heute liest, stellt sich natürlich die Frage: Wie steht es mit uns? Welchen Brief bekämen wir, unsere Gemeinde?
Dass wir eine lebendige Gemeinde sind, denken wir ja auch. Viele Gruppen und Kreise treffen sich regelmäßig, es gibt viele besondere Events über das Jahr verteilt. Gerade erst haben wir den Basar erlebt, heute schon wieder ein besonderer Gottesdienst. Eine große Aktion folgt auf die andere.
Das ist ja fast schon zu lebendig, manchmal.
Also stellt der Predigttext auch an uns die Frage, sind wir wirklich lebendig, oder scheint es nur so zu sein?
Wenn wir wie in Sardes das Kriterium der Werke zugrunde legen, dann könnten wir die Frage durchaus mit Ja beantworten, denke ich. Wir besuchen Alte und Kranke, kümmern uns um Sterbende, sind offen für Menschen mit Nöten.
Aber vielleicht sind wir andererseits auch noch zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Vielleicht können diese Überlegungen zur Lebendigkeit unserer Gemeinde auch dazu führen, dass wir darüber nachdenken, wie wir als Gemeinde und auch die verschiedenen Kreise und Gruppen und die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter noch mehr nach außen wirken in die Gesellschaft hinein.
Wir befinden uns gerade in der Reformationsdekade im Themenjahr „Reformation und Politik“. Wie sehr beeinflussen wir als Gemeinde, als Kirche überhaupt, die Politik? Wie wirken unsere vielfältigen Engagements in der Gemeinde über die Gemeinde hinaus?
Zur Lebendigkeit einer Gemeinde heute gehören für mich ein klar erkennbares Profil und eine große Offenheit. Alle Generationen sollen sich wiederfinden und Raum haben.
Besonders sichtbar wird das bei der Taufe eines Kindes, wenn Eltern, Familien, Mütter, den Wunsch haben, dass ihr Kind durch die Taufe in die besondere Gemeinschaft mit Gott hineingenommen wird.
Für Sie Frau J. war das eine Selbstverständlichkeit, dass Sie Luca taufen lassen wollten. Sie haben gesagt, dass der Glaube, dass Gott ganz wichtig ist für ihr Leben, und dass sie schon oft erlebt haben in ihrer Familie, dass Gott auf ihrer Seite ist, dass er Sie trägt und durchs Leben geleitet.
Nach schwerer Schwangerschaft und mehreren Versuchen, ein Kind zu bekommen, ist Luca nun für Sie ein großes Geschenk. Deshalb hat es auch bei dem Taufspruch, den Sie sich ausgesucht haben, gleich „Klick“ gemacht: (Psalm 139,13+14) Du hast mich geschaffen - meinen Körper und meine Seele, im Leib meiner Mutter hast du mich gebildet. Herr, ich danke dir dafür, dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast! Großartig ist alles, was du geschaffen hast - das erkenne ich!
Im Advent feiern wir die Erwartung des Kommenden, wir feiern, Gott kommt uns nahe, er kommt uns in der Taufe besonders nahe. Er will uns auch in unserem Alltag, in unserem alltäglichen Leben, in all unseren Höhen und Tiefen nahe kommen. Die Adventszeit erinnert uns an diese Nähe, die Gott zu uns sucht und die wir innerlich auch immer suchen und die wir vielleicht auch in dieser Zeit besonders spüren.
Als lebendige Gemeinde feiern wir diese Nähe Gottes auch in dem heutigen Gottesdienst. Wir lassen Gott uns nahe kommen und uns von ihm lebendig machen, damit wir auch anderen die Nähe Gottes weitergeben können.
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Predigt zu Offenbarung 3,1-6 von Stefan Kläs
Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert.
Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! (Luther 1984)
Liebe Gemeinde!
„Ich mache mir Sorgen“, sagte Pep Guardiola, der Trainer des FC Bayern nach der 2:3-Niederlage gegen Manchester City am Dienstagabend, dem 6. Spieltag der Champions League. Zwar ist der FC Bayern Gruppensieger, aber in diesem Spiel hat sich der Triple-Sieger verwundbar gezeigt. Die Niederlage gegen Man City bleibt also zunächst folgenlos, aber sie gilt als Weckruf zur richtigen Zeit. „Eine Niederlage ist nie gut", sagte Guardiola weiter, „aber vielleicht braucht dieser Verein, der Trainer und die Mannschaft eine Niederlage, um zu wissen, wie schwierig es ist, die Spiele zu gewinnen."
Ein Weckruf zur richtigen Zeit erklingt auch in der Offenbarung des Johannes:
„Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach …, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott“, spricht der Geist Gottes zu uns.
Zugegeben, wir sind als Kirche und Gemeinde nicht ganz so erfolgsverwöhnt wie der FC Bayern. Dennoch fühlt sich dieser Weckruf wie eine empfindliche Niederlage an. Denn er trifft uns im Kern unseres Selbstverständnisses: Wir verstehen uns ja als „lebendige Gemeinde“ und tun alles dafür, es auch tatsächlich zu sein. Da ist die Ansage „Du bist tot“, du bist nicht, wofür du dich hältst, schon ein herber Rückschlag auf dem Punktekonto.
Doch wir wollen nicht empfindlich sein. Was Pep Guardiola recht ist, soll uns billig sein. Verschließen wir also unsere Ohren nicht und fragen stattdessen, ob denn etwas dran sein könnte an diesem Weckruf.
„Lebendige Gemeinde“, das ist ein Idealbild, das vor allem die aktiven Kirchenmitglieder, die sich in Gruppen treffen, vor Augen hat.[1] In unserer Gemeinde gibt es viele Gruppen, die sehr unterschiedlich sind. Eine Gruppe ist weder von sich aus gut, noch ist sie per se problematisch. Will sie jedoch Teil der „lebendigen Gemeinde“ sein, muss sie einen Beitrag leisten. Einen Beitrag, der auch nach außen hin ein klar wahrnehmbares christliches Profil aufweist. Eine Gruppe der „lebendigen Gemeinde“ muss die Lebensführung ihrer Mitglieder im Sinne des Evangeliums prägen. Tut sie dies nicht, weil sie gar keinen Bezug zum Evangelium hat, oder weil sie ihre Aufgaben nur noch zum Schein erfüllt, ist sie kein Teil der „lebendigen Gemeinde“ mehr, sondern tatsächlich tot. Das mag ungewöhnlich hart klingen, aber diese Diagnose gehört wohl zu einem realistischen Blick auf uns selbst. Ein Blick, den wir von der Bibel lernen können.
Wenn also eine Gruppe nur noch durch ein diffuses Wir-Gefühl zusammengehalten wird, wenn Gemeinschaft nur noch vorgegaukelt, aber nicht mehr gelebt wird, dann ist es Zeit für einen Weckruf. Wenn man nur noch so tut, als ob man lebendig wäre, wenn die Atmosphäre schön, aber schal ist, wenn sich nur noch das Altbekannte wiederholt und der depressive Kleingeist die Führung übernimmt, wenn man sich noch wohlfühlt und doch schon zu viel fehlt, nämlich etwas Anstößiges, nicht bloß Nettes, dann ist es Zeit für einen Weckruf.
Und wenn eine Gruppe nur noch durch ein Feindbild zusammengehalten wird, durch die Angst vor der „bösen Welt da draußen“ oder „den Anderen“, die geschürt wird, um die Reihen im Inneren dicht zu schließen, auch dann ist es Zeit für einen Weckruf.
Die Adventszeit bietet manchen Anlass, wehmütig-genüsslich in Feindbildern zu schwelgen. „Früher war alles besser“, sagt sich mancher. „Damals gab es noch keine Weihnachtsmänner im August. Die stille Zeit am Ende des Kirchenjahres bedeutete den Menschen etwas. Niemand wäre auf die Idee gekommen, schon vor der Adventszeit an Weihnachten zu denken“[2], und so weiter und so fort, die Reihe der Klagen ließe sich mühelos verlängern.
Wahr daran ist: Viele Gemeinden und die Kirche als ganze haben manchen Verlust erlitten. Die selbstverständliche Kirchlichkeit vergangener Jahrhunderte ist passé, und die Zeiten, in denen wir eine Kirche nach der anderen gebaut haben, weil wir nicht wussten, wohin mit dem Geld, ist auch vorbei. Doch wahr ist auch: Wer die Vergangenheit verklärt, verpasst die Gegenwart und verspielt die Zukunft. Wer immer nur zurückschaut, der zieht sich zwangsläufig auch zurück aus der Welt, die ihm allzu bedrohlich erscheint. Dann ist es wieder Zeit für einen Weckruf.
Der Geist Gottes – gelobt sei er – stößt uns aber nicht nur auf unsere toten Stellen und blinden Flecken, sondern er weist uns auch den Weg zum Leben, schenkt uns neue Lebensgeister, indem er uns ermutigt:
„So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße.“
Buße tun, das klingt in unseren Ohren nach ultimativer Spaßbremse oder bestenfalls nach einem längst abgeschafften und fast schon vergessenen Feiertag.[3] Doch die Bibel meint etwas anderes. Metánoia heißt das griechische Wort und meint etwas ebenso Einfaches wie Grundlegendes: ‚sich besinnen‘ und ‚seinen Sinn‘ ändern. Buße tun in diesem Sinne muss auch Pep Guardiola, wenn er sich fragt, was nach der 20. Minute schiefging und warum seine Mannschaft nach dem 2:0 so selbstzufrieden war, dass sie in der zweiten Halbzeit überhaupt nicht mehr ins Spiel fand. Buße tun bedeutet also nichts anderes als neu nachzudenken. Und das müssen wir alle immer wieder!
Der Karmeliterpater Reinhard Körner umschreibt Buße mit folgenden Worten:
„Denkt größer / von Gott, / voneinander, / von euch selbst, / vom Leben, / von allem … // Denkt größer / – über alles bisher Gedachte hinaus / … Und lebt größer / – über alles bisher Gelebte hinaus![4]
Die Adventszeit bietet manchen Anlass dies tatsächlich zu tun, größer zu denken und größer zu leben. Denn im Advent erwarten wir die Geburt Gottes – nicht bloß in unsere Kirche, in unsere Gemeinde oder in unsere Gruppe, sondern mitten hinein in unsere Welt. Mitten hinein in unsere Welt, die uns manchmal so sehr ängstigt, dass wir uns aus ihr zurückziehen oder uns lieber gleich ganz totstellen wollen.
Wann immer sie diesen Reflex in sich spüren, denken sie daran:
Gott kommt in die Welt und hilft uns, die Angst zu überwinden. Die Angst vor dem, was sich ändern wird. Aber auch die Angst vor dem, was nie so schön gewesen ist, wie es in der Verklärung erscheint.
Gott kommt in die Welt und zeigt uns ihre wahre Schönheit.
Liebe Gemeinde!
Wir verstehen uns als „lebendige Gemeinde“ und tun alles dafür, es auch tatsächlich zu sein. Beginnen wir mit dem Hören! Alles, was es dafür braucht, sind offene Ohren. Offene Ohren für Gott und für die Menschen an unserer Seite.
Nehmen wir einander neu wahr als Menschen, die nicht nur Teil einer Gruppe oder eines Gemeindebezirks sind, sondern Einzelne mit ihren Gaben und ihren Schwächen, mit ihren Verletzungen und ihren Bedürfnissen, mit ihren Ängsten und mit ihren Träumen. Dafür braucht es weder intensive Gemeinschaftsgefühle noch gemeinsame Interessen, sondern Lust auf Überraschungen und Begegnungen mit lebendigen Menschen. Es braucht Offenheit für den Anderen, der so ganz anders ist als ich selbst und trotzdem Gottes geliebtes Kind. Und es braucht Offenheit für den „ganz Anderen“, der uns gegenübertritt und sich selbst zur Geltung bringt mit Weckrufen, aber auch mit Trostrufen.
„Ich mache mir Sorgen“, sagte Pep Guardiola, der Trainer des FC Bayern nach der 2:3-Niederlage gegen Manchester City am Dienstagabend
„Fürchtet euch nicht“, sprach der Engel zu den Hirten, „denn euch ist heute der Heiland geboren.“ Amen.
[1] Vgl. E. Hauschildt, U. Pohl-Patalong: Kirche. Gütersloh 2013, S. 145 ff.
[2] C. Jaeger: Situationshermeneutik zum 3. Advent. In: Predigtstudien 2013/2014. Perikopenreihe VI, Erster Halbband, S. 46.
[3] Vgl. M. Neumann: Der Buß- und Bettag. Geschichtliche Entwicklung, aktuelle Situation, Bedingungen für eine erneuerte Praxis. Neukirchen-Vluyn 2011.
[4] R. Körner: Metanoeite! In: Karmelimpulse. Quartalsschrift zur Vertiefung des geistlichen Lebens 23 (2013), S. 13.
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Predigt zu Offenbarung 3,1-6 von Frank Fuchs
Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert. Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Liebe Gemeinde,
eine Freske im Chorraum unserer Stadtkirche stammt aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts und zeigt das Weltgericht. Oben thront Christus, der Gericht hält. Neben ihm befinden sich zwei Engel, die die Posaune blasen. In den Gräbern sind Tote zu sehen und es sieht so aus, dass sich die Menschen aus den Gräbern erheben. Zwei Menschengruppen sind dargestellt, die hintereinander in zwei Richtungen laufen. Auf der rechten Seite laufen sie in den Schlund eines Ungeheuers. Sie sind gefangen durch ein Seil und werden hineingezogen. Auf der linken Seite ist die Freske teilweise verloren gegangen. Man sieht nicht, wohin die Menschengruppe läuft. Es sind aber oberhalb noch einige Dächer zu sehen, die eine Stadt darstellen. Vermutlich ziehen sie ins himmlische Jerusalem ein, wie die Stadt in der Offenbarung beschrieben wird.
Auch in unserem Predigttext geht es um ein Gericht. Derjenige, der den Ruf hat, dass er lebt, so heißt es, ist in Wirklichkeit tot. Deshalb wird er dazu aufgerufen, sich zu ändern. Werke sind zwar vorhanden, aber sie wurden nicht als vor Gott vollkommen befunden. Deshalb gilt es aufzupassen und wachsam zu sein. Wenn das nicht geschieht, dann wird der Herr kommen zu einer Stunde, von der es niemand weiß, wann sie eintritt. Diese Menschen wären auf der rechten Seite auf unserer Freske zu verorten. In der Gemeinde in Sardes gibt es aber auch noch diejenigen, die auf unserer Freske zur linken Seite gehören. Das sind diejenigen, die mit weißen Kleidern angezogen werden und ins himmlische Jerusalem einziehen. Sie werden nicht aus dem Buch des Lebens gestrichen und der Engel bekennt sich zu ihnen.
Was sind eure Werke? So fragt unser heutiger Predigttext. Diese Frage lässt sich genauso gut auf heute beziehen. Was sind eure Werke? So wurden wir als Vertreter von verschiedenen Kirchengemeinden vor 10 Tagen sinngemäß auf dem Rathaus gefragt. Anwesend waren Vertreter der freien Gemeinden, der evangelischen und der katholischen Kirchengemeinden. Bei dem Gespräch ging es um das vom Land Hessen initiierte kommunale Entwicklungskonzept. Durch dieses Modellprojekt soll erreicht werden, dass verschiedene Institutionen in einer Stadt und im Umland stärker zusammenarbeiten, um sich gemeinsam besser gegen den demographischen Wandel aufzustellen. Eine Stadt und die umliegenden Dörfer werden dann attraktiv bleiben, so der Gedanke dieses Konzepts, wenn sie ihren Bewohnern etwas bieten können. Was sind also deine Werke? Heißt es, du lebst, bist aber tot? Hast du zwar Werke, aber die sind lau? In dem Gespräch ging es um die besonderen Werke einer christlichen Gemeinde, also die Werke, die über das Kerngeschäft wie Gottesdienste und Kasualien hinausgehen. Es wurde sichtbar, dass alle Gemeinden auf je ihre Weise Probleme haben. Die freien Gemeinden haben zwar einen großen Mitarbeiterstamm, können aber meistens über ihre Zahl ihrer Mitglieder kaum hinauswirken. Die großen Gemeinden wie die katholische und evangelische Kirchengemeinde haben zwar recht viele Mitglieder, die aber Jahr für Jahr weniger werden. Als ich für die evangelische Gemeinde gesprochen habe, konnte ich immerhin einige Werke vorweisen: Ein Gemeindebus, der alte Menschen zu den Einkaufsmärkten bringt und wieder heimfährt, die Betreuung von Grundschülern nach der Schule, in diesen Tagen der Adventsbasar der Frauenhilfe zugunsten von behinderten Menschen und schwerkranken Kindern, ein Mittagessen für Bedürftige im Gemeindehaus. Auf das Jahr zurückblickend fielen mir eine Kinderbibelwoche und ein Kinderkirchentag als besondere Veranstaltungen ein.
Das alles klingt gar nicht schlecht. Es sind ganz sicher gute Werke. Aber sind sie wirklich beseelt von der Liebe zu Gott und dem Nächsten? Als Jesus nach dem höchsten Gebot gefragt wurde, antwortete er: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese. (Markus 22,29-31) Seine Gebote sind nicht schwer, heißt es in einem Brief des Neuen Testaments, der ebenfalls einem Johannes zugeschrieben wird. (1.Joh 5,3) Wenn wir glauben und in der Liebe zu Gott leben, halten wir seine Gebote, so der Verfasser im 1. Johannesbrief. In der schweren Situation, in der sich die Gemeinde in Sardes befand, fiel das anscheinend nicht leicht. Es wird angenommen, dass die Apokalypse in der Zeit der Christenverfolgung unter Domitian am Ende des 1. Jahrhunderts entstand. Die Christen wurden vom römischen Staat bedrängt. Es fiel schwer, am Glauben festzuhalten. Es bröckelte an den Rändern und manche waren vom Glauben abgefallen. In dieser Situation richtet Johannes auf Patmos Sendschreiben an sieben Gemeinden in Kleinasien, um zum treuen Glauben an Jesus Christus zu ermutigen. Er schreibt auf, was er gesehen hat. Wahrscheinlich werden diese Gemeinden im westlichen Kleinasien genannt, weil Johannes in diesem Bereich gewirkt hat. Symbolisch ist durch die Zahl sieben die ganze Kirche angesprochen. Symbolisch sind diese Worte der Ermutigung auch an uns gerichtet.
Können wir das einlösen und damit anders als die Gemeinde in Sardes vor Gott bestehen? Sind unsere Werke in unserem Umfeld und in unserer Gemeinde beseelt von der Liebe zu Gott? Lieben wir wirklich den Nächsten genauso wie uns selbst? Jeder und jede prüfe sein und ihr Herz. Vielmehr sind wir angewiesen auf Gott, der uns Schuld und Schwäche vergibt.
Der heutige Predigttext erinnert uns daran, dass wir im Advent Christus nicht als das süße Kind in der Krippe erwarten, sondern vielmehr als den kommenden Weltenrichter. Die Apokalypse ist voll von Bildern der kommenden Endzeit und dem Gericht Gottes. Diese Bilder von den Wehen der Endzeit wurden immer wieder auf geschichtliche Ereignisse bezogen. Damit wurde versucht, das Weltende vorauszusagen. Doch letztlich bleiben die Bilder offen für verschiedene Deutungen. Was sich in der Welt ereignet an Katastrophen und Unglücken, wurde im Vertrauen auf Gottes Wirken gesehen, dessen Heilsplan letztlich die Oberhand behält. Zu seinem Heilsplan gehört es, dass Christus wiederkommen wird. Bei seiner Wiederkehr wird Christus kommen wie ein Dieb in der Nacht, wie es im Brief an die Gemeinde in Sardes heißt, so dass niemand die Stunde wissen kann.
Im Glaubensbekenntnis sprechen wir von Christus, der kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten. Doch heute scheint uns der Gedanke an ein Weltgericht recht fremd zu sein. Martin Luther hatte es am eigenen Leib erlebt, dass diese Erwartung Angst macht hat und die Seelen knechten kann. Wer das Gefühl hat, vor Gott nicht bestehen zu können, lebt in ständiger Angst. So erging es damals vielen Menschen. Deshalb hat sich Luther ganz an die Offenbarung von Gottes Liebe gehalten. Im Glauben bin ich gewiss, dass ich zur Menschengruppe auf der linken Seite gehöre.
Namhafte Theologen lösen das Problem so, dass sie von der Allversöhnung sprechen. Weil Gott in seiner Liebe allmächtig ist, wird er am Ende alle Menschen zu sich nehmen. Der Weg auf die rechte Seite des Weltgerichts ist dann lediglich eine Möglichkeit, die aber jeden treffen müsste, weil niemand bestehen könnte. Diese Möglichkeit wird durch Gottes Liebe überwunden.
Doch der Gedanke an ein Gericht ist auch tröstend. Denn es steht für eine letzte Gerechtigkeit, durch die auch die Opfer von anderen Menschen zu ihrem Recht kommen. Das gilt auch für diejenigen, die Opfer von Verfolgung wurden. Sie sind nicht umsonst gestorben, sondern Gott nimmt sich ihrer an.
Der Advent ist die Vorbereitungszeit auf das Kommen Christi. Noch bleibt Zeit, mit guten Taten die innere Haltung nach außen zu kehren. Noch bleibt Zeit für Werke, die nicht lau sind. Gott sei Dank. Die Adventszeit öffnet den Blick dafür, dass wir auf eine andere Zukunft warten.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Hinweis: Bei dem Gottesdienst wird die Freske vom Weltgericht als Lichtbild gezeigt, weil sich auf der Seite des Chorraums der Stadtkirche Babenhausen befindet und vom Kirchenschiff aus nicht sichtbar ist. Die Freske vom Weltgericht ist auf der Homepage der Evangelischen Kirchengemeinde zu sehen: www.babenhausen-evangelisch.de
Literatur: Philipp Vielhauer: Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin 1978, S. 494-507
Zum Gedanken der Allversöhnung vgl. z.B. zuletzt Paul Zulehner: Kirchenvisionen. Orientierung in Zeiten des Kirchenumbaus, Ostfildern 2012², S.57ff.
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Predigt zu Offenbarung 3,7–13 von Eberhard Schwarz
7 Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf:
8 Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.
9 Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden und sind's nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.
10 Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen.
11 Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!
12 Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen.
13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Liebe Gemeinde,
im Winter 1992 / 1993 rannte der kleine Yasmin mehrere Male am Tag um sein Leben. Wenn er Wasser holte oder Holz suchte; oder wenn er Ausschau hielt nach etwas Essbarem für seinen Hund. Yasmin war damals dreizehn Jahre alt. Seine Heimat war das von bosnisch-serbischen Truppen belagerte Sarajewo. Sein Alltag war der Kampf ums Überleben. Schnell losrennen, sich wegducken oder zu Boden werfen, wenn Scharfschützen in der Nähe waren oder Granatenbeschuss. Eineinhalbtausend Kinder starben in diesen Monaten gewaltsam. Mehr als 11.000 sollen es bis jetzt im syrischen Bürgerkrieg sein. Yasmin gehörte zu denen, die überlebten. Was ihn am meisten berühre, wenn er sich erinnere, wird er 20 Jahre später gefragt. Die Antwort kommt ohne, dass er überlegen muss: „Dass ich lebendig bin“, sagt er. Dass ich lebendig bin!
Was Leben ist, grundsätzlich, in seinem Wesen, das können wir nur schwer beschreiben. Aber was lebendig Sein ist, das wissen wir aus Selbsterfahrung. Yasmin weiß es. Und wir wissen es auch. Besonders deutlich wissen wir es dort, wo unser Freiheit, unsere Entfaltungsräume eingeschränkt, bedroht oder gefährdet sind. Und das sind sie ja nicht nur im Krieg. Überall, wo unser Leben klein und eng wird, wo unser Dasein wert- und ziellos zu werden droht, spüren, ahnen wir: wir sind gar nicht mehr wirklich lebendig.
Noch einmal: Was Leben ist, das wissen wir nicht wirklich. Sogar die Wissenschaften haben oft nicht viel mehr als ein paar biochemische Formeln und tun sich schwer, es zu beschreiben und zu erklären. Aber Lebendigkeit: davon haben wir alle eine Ahnung.
Heute, an diesem zweiten Sonntag im Advent, geht es darum, dass wir unsere Lebendigkeit nicht verlieren; dass wir sie nicht übersehen oder schlimmer noch: verleugnen. Wir kommen dabei sehr nahe zu den Kleinen, zu den Schwachen, sehr nahe zu Yasmin und zu den Kindern dieser Welt. Zu denen, die kaum eine Chance haben in dieser Welt des Kämpfens. „Du hast eine kleine Kraft!“ Wer sieht sie? Durch diesen alten biblischen Text hindurch sehen wir sie: wie sie um ihr Leben laufen müssen, wie sie um ihr Dasein und um ihre Würde kämpfen in den blutigen Spielen aller Zeiten um Macht und Geld. Damals, am Ausgang des ersten christlichen Jahrhunderts war das so. Immer war das so. Diesen Menschen mit einer kleinen Kraft gilt die Verheißung: Sie sollen Leben.
Ihnen gilt das Evangelium dieses Sonntags: Du wirst nicht untergehen, du wirst leben, du, mit deiner kleinen Kraft, wirst zur tragenden Säule in einem neuen Lebenshaus, in einer Stadt der Lebendigen!
Sieben Briefe sind es, sieben Sendschreiben in diesen ersten Kapiteln der Johannesoffenbarung, sieben Botschaften an die sieben Gemeinden Kleinasiens! Diese Briefe mahnen und trösten und unterweisen die jungen Kirchen in schwierigen, bedrohlichen Zeiten. Es sind, genau besehen, auch unsere Kirchenthemen: Müdigkeit und Erschöpfung steht neben spirituellem Reichtum und großen Zeugnissen von Menschlichkeit. Perspektivlosigkeit und Lauheit stehen neben Standhaftigkeit und Mut. Lasst Euch nicht entmutigen. Bleibt Lebendig. Bleibt Botschafterinnen und Botschafter von Ostern. Das ist immer wieder die Mahnung dieser Sendschreiben.
Zu Philadelphia ist es anders gesagt als zu dem lauen Laodicea, anders als zu der Kirche in Sardes, die behauptet, sie lebe, aber in Wahrheit ist sie tot. Anders als diese selbstbewußten Kirchen erscheint die Kirche in Philadelphia im Herzen Kleinasiens zwar äußerlich schwach – „Du hast eine kleine Kraft“. Aber in dieser Ohnmacht ist sie stark! Sie ist stark, weil sie sich auf ein Wort verlässt und einen Namen nicht verleugnet. Du „hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.“ Der, der hier spricht, das ist der Gekreuzigte und Auferstandene selbst. Seinen Namen haben sie nicht verleugnet und sind deshalb zu angefochtenen, schwachen Menschen geworden. Sein österliches Wort bewahren und tragen sie in ihrem Herzen in ihrer ganzen Zerbrechlichkeit. Und gerade so sind sie Zeuginnen und Zeugen seines Lebendigseins.
Liebe Gemeinde,
wer diese Sendschreiben im letzten Buch der Bibel liest, der liest die ganze Bibel mit. Wir hören im Hintergrund die Worte des Apostels Paulus über Schwachheit und Stärke: „Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark“ (2. Korinther 12,10). Da ist ein Echo aus dem Jesajabuch: Wie der gewissenhafte Hofmeister Eljakim die Schlüsselgewalt über den Königlichen Palast Jerusalem bekommt (Jesaja 22) – auch er ein Angefochtener, Zerbrechlicher; wir hören, wie nun ein anderer in Erscheinung tritt, der die Schlüssel zum Lebendigsein in Händen hält. „Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf“. Der Gekreuzigte und Auferstandene selber hat eine Tür zum Leben hin geöffnet, die niemand mehr schließen kann!
Dieses letzte Buch der Bibel ist entstanden, als der römische Kaiser Domitian den Kaiserkult als Religion durchsetzen will. Als „dominus et deus“, - als Herr und Gott lässt er sich anreden und verehren und bringt damit sowohl Juden als auch die frühen Christen in große Not. Sie beten nur den einen Gott an. Sie verleugnen diesen Namen nicht. Und deshalb erklärt ihnen Domitian den Krieg. Aber das Buch der Offenbarung erzählt nun nicht, wie umgekehrt die Christen ihrerseits dem Kaiser den Krieg erklären.
Hier erhebt ein urchristlicher Prophet mit großen Bildern seine Stimme und erklärt dem Römischen Reich das Leben! Ein Leben, das man hier auf Erden nicht mehr kennt. Ein Leben, das sich vom Himmel her durchsetzt. Ein Leben, das gerade in seiner Schwachheit stark ist: Der Gekreuzigte und Auferstandene, das Lamm, Gott selber - gegen unser mörderisches Tun. Das wird hier erklärt. Und am Ende werden die Lebendigen in einer Stadt des Lebens Heimat haben! Kein zweites Rom. Und Gott wird die Tränen von den Augen der Klagenden wischen. Und der Tod wird nicht mehr sein.
Und die Zeuginnen und Zeugen dieses Lebens, denen die Zukunft gehört, sind Menschen wie die in Philadelphia, die in ihrer Schwachheit stark sind.
Es gibt in diesem Sendschreiben an die Kirche von Philadelphia rätselhafte Sätze, die bis heute schwer zu deuten sind. Das gilt besonders für die Warnung vor Leuten aus der "Synagoge des Satans", die, so scheint es, kommen, um die Adressatinnen und Adressaten infrage zu stellen oder gar zu denunzieren. Vielleicht ist damit eine der frühchristlichen Gruppen gemeint, die sich selber als die wahren Juden sehen. Schon im Schreiben an die Stadt Smyrna spielen sie eine Rolle. Wer sie waren: Wir wissen es nicht genau - auch weil die Trennung von Kirche und Synagoge noch nicht vollzogen ist. Aber was zu den Menschen in Philadelphia gesagt ist, das verstehen wir sehr gut: lasst euch auch durch die inneren Kritiker nicht dazu bringen, zu glauben, das ihr nichts wert seid. Dass die mit den kleinen Kräften keine Würde hätten. Im Gegenteil: ihnen gilt die Verheißung des Lebendigseins. Im Hintergrund hören wir wieder deutlich biblische Resonanzen - diesmal aus der Bergpredigt Jesu: „Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“
Wir denken noch einmal an Yasmin, wir denken an die Kinder dieser Welt, an die Schwachen, die sich nicht wehren können, an die Opfer. Wir denken auch an den erwachsen gewordenen Mann Yasmin, der von sich sagen kann: Was mich am meisten berührt, ist, dass ich lebendig bin. Wir spüren, das damit nicht nur gesagt ist: dass mein Herz schlägt oder dass ich atme oder dass ich essen und trinken kann und auf zwei Beinen durch diese Welt gehe. Wir spüren, dass dahinter auch ein Wissen vom anderen Leben liegt, vom anderen Lebendigsein in dieser Welt der Gewalt. Und dass ihm dieses Wissen geschenkt ist, weil er seine Ohnmacht gespürt hat. Ihm - uns - ist heute, an diesem zweiten Adventssonntag, gesagt: Bleibe ein Zeuge des Lebens. "Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!" Lass dir die Bilder des Lebendigseins nicht stehlen.
Wer heute Ohren hat zu hören, der hört: in dieser mörderischen Welt ist noch die kleinste Kraft ein Zeugnis von Lebendigkeit. Ein Zeugnis der Hoffnung und verheißenen Lebens. Das sagt uns der Gekreuzigte und Auferstandene, der uns in der Taufe seinen Namen schenkt, den wir mit Würde tragen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Pfarrer Eberhard Schwarz
eberhard.schwarz@elk-wue.de
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Woraus die Krone eines Menschen besteht – Predigt zu Offenbarung 3,7-11 von Ulrich Kappes
Woraus die Krone eines Menschen besteht
Mit 1700 Kilometern pro Stunde rotiert die Erde um sich selbst. Zugleich rast sie mit 29,8 km pro Sekunde um die Sonne, die ihrerseits mit 275 km pro Sekunde um den Mittelpunkt der Milchstraße jagt. I1I Es würde eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes nach sich ziehen, wenn es hier auch nur geringste Abweichungen gäbe.
Sind diese Geschwindigkeiten sicher? Ist die Möglichkeit einer kosmischen Katastrophe abwegig oder müssen nachdenkliche Menschen mit ihr leben können?
Diese Frage wurde im Verlauf der Menschheitsgeschichte bis heute unterschiedlich beantwortet.
Die Texte von Epistel und Evangelium richteten sich an Menschen, die mit einem nahen Weltende und einem katastrophalen Weltuntergang rechneten.
Es ist der zweite Adventssonntag. Wir hätten gern etwas Besinnliches dazu gehört. Und nun dieses Worte.
Seit Jahrhunderten ist es in der Christenheit aber so, dass wir uns in den Gottesdiensten im Advent nicht allein an das Kommen des Gottessohnes in Bethlehem erinnern, sondern auch sein künftiges Kommen „am Ende der Tage“ bedenken. Besonders der 2. und 3. Advent haben diesen Schwerpunkt. Versuchen wir, uns dafür zu öffnen.
Text:
7 Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe:
Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der die Schlüssel Davids hat, der öffnet und niemand wird zuschließen und der verschließt und niemand öffnet.
8 Ich kenne deine Taten – siehe, ich habe dir eine Tür geöffnet, welche niemand verschließen kann. Du hast eine geringe Kraft und hast (dennoch) mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet.
9 Siehe, ich füge es so: aus der Synagoge des Satans, von den Leuten, die sich Juden nennen, aber es nicht sind, sondern lügen - siehe ich füge es so, dass sie kommen und vor deinen Füßen niederfallen werden, weil sie erkannt haben, dass ich dich geliebt habe.
10 Weil du das Wort, immer auf mich ausgerichtet zu sein, bewahrt hast, werde auch ich dich in der Stunde der Versuchung bewahren, die über die ganze Erde kommen wird, zu versuchen die Bewohner der Erde.
11 Siehe, ich komme bald, halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme. (Übersetzung: U.K.)
Sieben sogenannte „Sendschreiben“ gibt es im Buch der Offenbarung. Ein Apostel namens Johannes (der ein anderer ist als der Jünger Johannes) hatte in Kleinasien, auf dem Gebiet der heutigen Türkei, sieben Gemeinden gegründet. An sie schrieb er „Sendschreiben“ während seiner Verbannung auf die Insel Patmos. I2I In ihnen gibt er wieder, was er als Worte des Herrn, des „Heiligen und Wahrhaftigen“, hörte. Heute geht es um das Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia.
Beginnen wir mit einer Passage aus dem Mittelteil des Textes, die uns wohl am meisten befremdet.
„Siehe, ich füge es so: aus der Synagoge des Satans, von den Leuten, die sich Juden nennen, aber es nicht sind, sondern lügen, - siehe ich füge es so, dass sie kommen und sich vor dir niederwerfen …“
Was ist gemeint?
Es hat in der antiken Stadt Philadelphia Juden gegeben. Dabei ist zwischen den wahren Juden und solchen, die sich „Juden nannten“, zu unterscheiden. Was taten die, die sich nur „Juden nannten“ und zur „Synagoge des Satans“ gezählt wurden?
Der Text selbst sagt es nicht. Möglicherweise erklärten sie, wie einst Saulus, die Christen zu Feinden, die man nur verfolgen und töten könnte. Denkbar ist, dass sie dabei einen kalt administrativen Weg einschlugen und daraufhin arbeiteten, Christen aus der Synagogengemeinde auszuschließen. Da im römischen Reich, wozu Philadelphia zählte, der Kaiser nur mit den Synagogengemeinden Staatsverträge abgeschlossen hatte, bedeutete der Verlust der Mitgliedschaft in einer solchen Synagogengemeinde Rechtlosigkeit. Die Entlassenen waren vogelfrei. Sie waren ein Nichts.
Zu beachten und festzuhalten ist: Die Kesseltreiber der Feindschaft gegenüber den Christen waren nicht „die Juden“, sondern solche, die sich „Juden nannten“. Ein wirklicher Jude handelt so nicht. Für ihn gilt, was 3. Mose 19,18 steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ I3I
Ein Zweites:
Jedes Sendschreiben, so auch das uns vorliegende nach Philadelphia, beginnt mit den Worten: „Dem Engel der Gemeinde schreibe.“
Wer oder was ist der „Engel“?
Einige Ausleger sagen, dass damit der Gemeindevorsteher gemeint sei. Dagegen spricht, dass es der Bibel fremd ist, einen Menschen als „Engel“ zu bezeichnen. Da es sich in jedem Sendschreiben entweder um sehr irdisches Lob oder eine zum Teil vernichtende Kritik handelt, kann der Engel auch nicht ein geistlicher Lehrer oder Heiliger gewesen sein.
Am überzeugendsten finde ich die Auslegung, wonach der „Engel“ für die gesamte Gemeinde steht, die Gemeinde also als solche im Bild des Engels beschrieben wird.
Wie ist das gemeint, eine Gemeinde soll sich wie einen „Engel“ sehen und verstehen.
Ein Engel steht vor Gott. Er betet ihn an. Er empfängt eine Anweisung und führt sie aus.
Ein Engel ist kein Mensch. Wie er ist und was er ist, lässt sich nicht definieren.
„Dem Engel der Gemeinde schreibe.“
Eine Gemeinde ist keine Versammlung von Vereinsmitgliedern.
Wie sie ist und was sie ist, lässt sich nicht mit menschlichen Worten definieren. Es gibt sie, weil Gott sie will. Ihre ganze Wesensart ist darin begründet. Wer ihre Versammlungen besucht, vernimmt keine vernunftlosen Worte, aber, was hier gesagt wird, kann menschliche Logik und menschliche Vernunft letztlich nicht ergründen.
Insofern ist eine Gemeinde etwas Fremdartiges in der Welt. Eine Gemeinde ist mit ihrer Predigt, ihrem Gotteslob und dem heiligen Mahl ebenso wenig von der Welt wie ein Engel.
Ein drittes.
Christus sagt zu seiner Gemeinde:
„Siehe, ich habe dir eine Tür geöffnet, welche niemand verschließen kann.“
„Ich habe dir eine Tür geöffnet.“
Halten wir als Gemeinde und als einzelne einen Moment inne und fragen uns, ob es auch in unserem Leben hier und da eine offene Tür gab, da wir dachten, es sei alles verschlossen. Wie sich der kleinasiatischen Gemeinde immer wieder eine Tür auftat und es weiter ging, so werden auch wir gefragt, ob wir uns an Zeiten erinnern, da Gott eine verschlossene Tür für uns öffnete. I4I
War es die Tür zu einem guten Arzt, die sich auftat?
Fand ich einen Freund, einen wirklichen Freund, der ein Ohr für mich hatte und es gab ein gutes Gespräch, wonach ich es nicht mehr ausweglos war?
Ich las in einem Buch, was ein Menschen in einer vergleichbaren Situation dachte und so fand auch ich einen Weg aus dem Gefängnis
„Ich habe dir eine Tür geöffnet.“
‚Erinnere dich als Gesamtheit der Gemeinde und als einzelner, dass und wie ich in deinem Leben gegenwärtig war. Ich war greifbar in deinem Leben da. – Sollte das nicht künftig auch geschehen und Zuversicht geben?
Schließlich ein Viertes.
„Weil du das Wort, immer auf mich ausgerichtet zu sein, bewahrt hast, werde auch ich dich in der Stunde der Versuchung bewahren …“ I5I
„Weil du das Wort, immer auf mich ausgerichtet zu sein, bewahrt hast …“
Andere Übersetzungen lauten:
„Weil du das Wort vom standhaften Warten auf mich bewahrt hast …“ (Hermann Menge)
Oder:
„Weil du das Wort vom Harren auf mich bewahrt hast …“ (Jerusalemer Bibel)
Was ist der Gemeinde aufgegeben?
Das Schriftwort heute am 2. Advent ruft uns auf, „immer auf Christus ausgerichtet zu sein“. „Immer“ oder „standhaft“ oder ‚ohne Unterbrechung’.
Jedem von uns wird unablässig gesagt, was helfen kann. Es gibt ungezählte Worte und gut gemeinte Ratschläge.
Keine Tages, - keine Wochenzeitung, die nicht Hinweise und Tipps zu einem sinnvollen und glücklichen Leben enthält.
Eine unübersehbare Menge an Theaterstücken, Romanen und Filmen wollen beitragen, das Leben zu bestehen. Kunst und Philosophie sind dazu da, uns das Leben zu erklären und die Zeit, die uns gegeben ist, sinnvoll zu gestalten.
Wer wollte das bestreiten?
Das Schriftwort heute am 2. Advent ruft uns auf, „immer auf Christus ausgerichtet zu sein“.
Was heißt das? Ich versuche es mit einem Bild zu sagen, das oft in Predigten verwendet wird.
Wer mit einem Segelschiff auf hoher See fährt, schaut zu den Sternen, weil sie ihm die Richtung anzeigen. Er beachtet den Wind und wie sein Boot im Wind liegt. Die Sonne ist es, die ihm die Richtung der Segelfahrt im Groben vorgibt. Er unterlässt es auch nicht, die Strömung des Meeres zu beachten. Das ist gut und richtig.
Entscheidend aber ist sein Kompass. So wichtig der Stand der Sterne und der Sonne auch ist, so erforderlich eine Kenntnis der Meeresströmung und der Windrichtung ist, entscheidend für seinen Kurs ist der Kompass. Ihm hat er sich immer von neuem zuzuwenden. Er gibt die Richtung vor. Er korrigiert. Ohne ihn würde er den Kurs verlieren.
Nach jedem Windstoß muss er sein Boot nach seinem Kompass ausrichten. Schlagen Wellen über sein Boot, so weiß er, dass er vor allem den Kompass retten muss. Er ist sein ein und alles.
Das Wort aus der Offenbarung des Johannes ruft uns auf, wie ein Bootslenker zu seinem Kompass immer wieder zu Christus zurück zu kehren, „immer auf Christus ausgerichtet zu sein …“
Es kann ein Kreuz an der Wand sein, das mich anhält, am Morgen für den kommenden Tag zu beten. Eine Kerze kann ich entzünden, wenn ich ihn bitte, dass ich Licht in die Welt trage und keine Finsternis verbreite. Ich kann an das Bild denken, dass ich im Inneren von Christus habe und das mich anhält, Friedensstifter zu sein.
„Weil du das Wort, immer auf mich ausgerichtet zu sein, bewahrt hast …“, so heißt es, werde ich dich in der Stunde der Versuchung bewahren.’
Die immer neue Ausrichtung auf Christus bedeutet, dass Christus mir in der Folge davon etwas übereignet, das ich nicht in mir selbst trage.
Darum ist die immer erneute Ausrichtung auf Christus nicht Erfüllung einer Moral, sondern dient dazu, mir eine Zuversicht zu geben, ein Mensch des Widerstandes gegen die Versuchung zu werden.
Der Text schließt mit den Worten: „Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.“
Welche Krone?
Nach allem, was wir bis jetzt sagten, kann es nur heißen: Unsere Krone, das Wertvollste, was wir in den Händen halten, ist, auf Christus ausgerichtet zu bleiben … und dann zu glauben, was er verheißen hat: Ich komme in dein Leben, wenn die Stunde der Versuchung kommt. Es gibt meinen Advent in deinem Leben. Mein Advent ist deine Rettung.
I1I Nach Kurt Marti, Die Psalmen. Annäherungen, Stuttgart 2004, S. 132.
I2I Übernommen aus Akira Satake, Die Offenbarung des Johannes, Göttingen 2008, S. 47.
I3I Vgl. dazu Klaus-Peter Hertzsch, Pred. med. z. Stelle, in: Göttinger Predigtmeditationen, 56.Jg., 2001/2002, Göttingen 2002, 12-17, S. 15: „Aber obwohl ihre Gegner … als Satansschule bezeichnet werden, geht es hier nicht um Antisemitismus. Nein, wird hier gesagt, so handeln Juden nicht. Wenn sie sich als Juden bezeichnen, eignen sie sich diesen Ehrennamen fälschlich an.“
Ebenso Klaus Berger, Pred.med. z. St., in: Calwer Predigthilfen, 1.Halbband, Reihe VI,1, Stuttgart 1995, 19-16, S. 22: „Es geht daher nicht … um das ‚Judentum’, sondern nur um bestimmte, angepasste oder mit der heidnischen Obrigkeit … kollaborierende Juden.“
I4I A. Satake, a.a.O., S. 182, schreibt, dass die „Aussage ‚ich gab vor dir eine geöffnete Tür’ … darin einzigartig (ist), dass sie auf eine schon vollzogene Einzelgnadentat Christi hinweist; in den übrigen Sendschreiben wird von der Gnade Christi nur in Form von Verheißung gesprochen.“
I5I Luthers Übersetzung von hypomone mit „Wort von der Geduld“ kann missverstanden werden. Im gesamten Artikel zu hypomone von Friedrich Hauck, in: ThWB 4, Stuttgart 1942, 585-593, wird hyponome nicht ein einziges Mal mit „Geduld“ übersetzt.
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Die angemessene Kraft - Predigt zu Offenbarung 3, 7-13 von Martin Weeber
Die angemessene Kraft
Die Gemeinde in Philadelphia war eine kleine Gemeinde.
Nicht so bedeutend wie Rom oder Korinth oder Jerusalem.
Eher so wie unsere eigene Gemeinde.
Aber immerhin: Es ist uns ein apostolisches Schreiben an diese kleine Gemeinde überliefert.
Und das ist unser heutiger Predigttext:
Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf: „Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden und sind's nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“ (Offenbarung 3, 7-13)
Der Verfasser der Johannesoffenbarung schreibt in einer wundersamen Bildersprache.
Es fällt nicht immer leicht, diese Bilder im einzelnen zu entschlüsseln.
Aber man kann trotzdem meistens die Absicht ziemlich genau herausfinden, die er mit seinem Schreiben verfolgt.
Auch die Absicht des kurzen Briefes nach Philadelphia kann man klar erkennen.
Er will die kleine und verzagte Gemeinde trösten und stärken.
Die Gemeinde sieht allerlei Krisen auf sich zukommen.
Die Zukunft scheint düster.
Der Briefschreiber nimmt die Sorgen der Gemeinde ernst.
Aber er weist auch darauf hin, dass doch gute Gründe für einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft bestehen.
Der Gemeinde braucht es nicht bange zu sein.
Denn die Gemeinde ist eine treue Gemeinde:
Sie hat das Wort Gottes bewahrt.
So drückt sich der Briefschreiber aus.
Die Gemeinde hat an dem festgehalten, was für eine Gemeinde wesentlich ist:
An ihrem Vertrauen auf Gottes Wort.
Glanzvolle Veranstaltungen kann die kleine Gemeinde nicht auf die Beine stellen.
Prunkvolle Gebäude konnte sie sicherlich auch nicht errichten.
Alles geschah äußerlich in ganz kleinem Maßstab in Philadelphia.
Aber offensichtlich war alles auf den Kernpunkt zentriert, auf die Mitte.
Das Vertrauen auf Gott und sein Wort:
Das stand in Philadelphia im Mittelpunkt.
Und dieses Vertrauen auf Gott und sein Wort soll bis zum heutigen Tag im Mittelpunkt des Lebens einer Gemeinde stehen.
Drumherum darf sich manches ansiedeln.
Aber das, was die Gemeinde zur christlichen Gemeinde macht, das darf nicht verloren gehen:
Das schlichte Vertrauen auf Gott und sein Wort.
Manche sind der Meinung, das sei doch ein bisschen wenig.
Aber der apostolische Briefschreiber ist sich sicher:
Genau das genügt.
„Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.“
Unverkennbar:
Eine biblische Variante des Sprichworts vom Spatzen in der Hand und der Taube auf dem Dach.
„Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.“
Dieses Wort ist immer wieder benutzt worden, um einen kirchlichen Konservativismus zu begründen, der nur ja nichts verändern will.
Alles soll so bleiben, wie es immer schon gewesen ist.
Nur ja nichts Neues.
Solch eine Haltung muss einem nicht völlig unsympathisch sein, gerade in einer Zeit, in der sich alles immer schneller wandelt.
So völlig falsch ist es da vielleicht nicht, wenn die Kirche einen Ruhepunkt darstellt.
Trotzdem:
Der einzige Gesichtspunkt dürfte das nicht sein.
Denn alles, was lebendig ist, verändert sich.
Und die Kirche ist nach wie vor lebendig.
Sie bleibt lebendig, wenn sie bei dem bleibt, was ihr Kraft gibt.
Sie bleibt lebendig, wenn sie bei dem Vertrauen auf Gott und sein Wort bleibt.
Wenn an dieser Mitte festgehalten wird, dann kann sich außenherum ganz vieles ändern.
Das Vertrauen auf Gott und sein Wort gibt der Gemeinde Kraft.
Das ist heute noch genau so wie es damals war.
In unseren Gemeinden heute ist das nicht anders als in Philadelphia.
Freilich:
Gott gibt seinen Menschen diese Kraft in einem klugen Maß:
Nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel.
So, wie es im Predigttext heißt:
„Du hast eine kleine Kraft.“
Damit wird kein Tadel ausgesprochen.
Da schwingt nicht der Vorwurf mit:
„Du müsstest eigentlich eine größere Kraft haben.“
Nein, offensichtlich ist gerade die kleine Kraft das angemessene Quantum an Stärke.
Es ist wohl bei der Gemeinde nicht anders als bei den einzelnen Menschen:
Wenn einer gar keine Kraft hat, dann ist das schlecht.
Wenn einer aber zu viel Kraft hat, dann wird das schnell gefährlich.
Wer zu viel Kraft hat, der verliert leicht den Blick für seine Grenzen.
„Er wird größenwahnsinnig“, so sagen wir dann.
„Er entwickelt Allmachtsphantasien.“
Solch ein Mensch hebt dann leicht ab. Er verliert die Verbindung mit der Realität.
Die Bodenhaftung geht verloren.
Sich allmächtig zu fühlen, das tut Menschen nicht gut.
Genau so wenig, wie sich ohnmächtig zu fühlen.
Die „kleine Kraft“ ist es offensichtlich, die uns Menschen angemessen ist.
Und für Gemeinden gilt das gleiche.
Es gab Zeiten, in denen war die Kirche mächtig und hatte großen Einfluss in der Gesellschaft.
Das hat der Kirche meist nicht gutgetan. Und der Gesellschaft auch nicht immer.
Philadelphia, das kleine Philadelphia, ist eher das geeignete Vorbild für eine christliche Gemeinde als Rom, das große und mächtige Rom.
Es ist ein schönes und ermutigendes Zeichen, wenn der gegenwärtige Bischof von Rom sich die Kirche nicht als eine äußerlich machtvolle Institution vorstellt.
Ich stelle mir vor, dass er sich in Philadelphia gut aufgehoben fühlen würde. In der Gemeinde mit der kleinen Kraft, die völlig ausreicht.
Es ist die kleine Kraft, die uns von Gott zugedacht ist.
Die Kraft, die um ihre Grenzen weiß.
Am Ende ist es das gleiche, was für die Einzelnen und für die Gemeinden das Heilsame ist:
Das Vertrauen auf jene angemessene Kraft, die aus dem Glauben erwächst.
Gott will uns weder ohnmächtig noch allmächtig.
Auch das ist ein Aspekt der Botschaft, über die wir in der Advents- und Weihnachtszeit nachdenken:
Der Gott, der Mensch wird, stellt uns die Frage, was das heißt: Ein Mensch zu sein – weder mit Allmacht ausgestattet, noch zur Ohnmacht verdammt.
Wir sollen nicht Nichts sein, aber wir sollen auch nicht Gott sein.
Wir sollen einfach nur Menschen sein.
Die kleine Kraft, die wir haben: die genügt.
Sie genügt uns als Einzelnen.
Und sie genügt uns als Gemeinde.
Amen.
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Predigt zu Offenbarung 3,7-13 von Antje Marklein
Es ist Advent, der zweite heute; wir sind schon auf dem Weg auf Weihnachten zu, aber es ist noch Zeit, viel Zeit. Zeit zum Backen und Putzen, Zeit zum Einkaufen und Briefe schreiben, Zeit für spontane Besuche und lang aufgeschobene Telefonate. Zeit für äußere und innere Vorbereitungen. Zeit für melancholische Rückblicke und traurige Erinnerungen, Zeit für fröhliche Begegnungen und für freudige Erwartung.
Adventszeit.
‚Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht‘. Der Wochenspruch bringt Bewegung in den zweiten Advent: Er fordert uns auf, den Blick zu heben, uns aufzurichten und nach vorn zu schauen, ‚weil sich unsere Erlösung naht‘. Jetzt kommt Bewegung in den Advent. Wir bewegen uns und es bewegt sich etwas auf uns zu. Unsere Erlösung.
Adventszeit. Gespannte Endzeitstimmung.
Auf diesem Hintergrund hören wir den Predigttext für den 2. Advent, einen endzeitlichen Text des Visionärs Johannes aus der Offenbarung im 3. Kapitel. Es ist eines der sieben sogenannten Sendschreiben an Gemeinden. Der Seher Johannes bekommt sie von dem Auferstandenen Christus in die Feder diktiert. Erst auf den zweiten Blick ist es ein adventlicher Text. Hören Sie selbst.
Dem Engel der Gemeinde in "Philadelphia" schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf:
Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet….
Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen.
Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!
Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen.
Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
(Offb. 3, 7-13 in Ausschnitten)
Eine Vision, ein Tagtraum des Sehers Johannes. Was sieht er?
Christus hat die Schlüsselgewalt. Er öffnet mir die Tür und niemand kann sie zuschließen. Er kommt auf mich zu und macht mich zum Pfeiler seines Tempels im neuen Jerusalem.
Eine überraschende Botschaft.
Eigentlich sind wir es doch, die Türen öffnen im Advent? Verschenken Adventskalender in allen Varianten, öffnen kleine Türchen, hinter denen sich geheimnisvolle weihnachtliche Symbole verstecken; wir singen ‚Macht hoch die Tür‘ und stimmen uns darauf ein, Jesus in uns aufzunehmen. Wir öffnen unsere Türen beim Lebendigen Adventskalender, öffnen unsere Herzen für Menschen in Not.
Aber Advent ist mehr als das Warten auf die Geburt im Stall. Advent ist Warten auf die Wiederkunft Christi – am Ende der Zeit, morgen, immer wieder neu. Und das Warten lohnt sich, weil der auferstandene Christus uns die Tür öffnet und niemand kann sie zuschließen.
Die Bewegung kommt von außen: Uns wird eine Tür geöffnet, uns als christlicher Gemeinde, die mit kleiner Kraft versucht, Gottes Wort zu bewahren und seinen Namen zu bekennen.
Uns wird zugesagt: weil ihr geduldig seid, werde ich wiederkommen.
Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen
Eine Botschaft gegen den Augenschein. Ein Blick in eine Zukunft, die uns in unserem Alltag verschlossen bleibt.
Es ist schwer zu glauben. Was ich in meinem Alltag sehe, sind verschlossene Türen. Verschlossene Türen an den Grenzen Europas, wo nur wenige Einlass bekommen und das erst nach penibler Kontrolle; verschlossene Türen für Millionen Menschen, die Zugang haben möchten zu einem menschenwürdigen Leben, zu Nahrung und Bildung. Verschlossene Türen für Menschen aus Syrien, die sich in Nachbarländern auf eine lange Zeit im Flüchtlingslager einrichten müssen. Verschlossene Türen, hinter denen unsere gewählten Politiker/innen sich auf faule Kompromisse einlassen, um ihre Wählerschaft nicht zu verlieren.
Und die Schlüsselgewalt liegt in der Hand der Regierungen, der Banken, der Wirtschaft.
Ich sehe die verschlossene Wohnungstür einer alten Frau, die es nicht mehr schafft, dem Besuch zu öffnen, geschweige denn ihre Wohnung zu verlassen. Ich sehe die verschlossene Tür der Intensivstation, hinter der Menschen sich an einen Funken Lebenshoffnung klammern; ich sehe die verschlossenen Türen vieler Seniorenheime, in denen sich Menschen auf einsames Sterben vorbereiten. Wer hat da die Schlüsselgewalt?
Wenn die Zukunft so verriegelt scheint, wie gut ist es da, im Advent der Sehnsucht Raum zu geben, der Sehnsucht nach Türen die sich öffnen in eine neue, ganz andere Zukunft. Wenn wir diese Sehnsucht in uns nicht mehr spüren, dann ist doch alles verloren.
Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen.
Advent ist seit alters schon die Zeit der Buße und der Umkehr. Beim melancholischen Rückblick stelle ich fest, was ich versäumt habe in meinem Leben; in traurigen Erinnerungen denke ich an Türen, die verschlossen blieben. Melancholie und Traurigkeit gehören zum Advent. Wenn ich mich dann aber einlassen kann auf die freudige Erwartung des Advent, wenn ich mich aufrichten kann und nach vorn schaue, entdecke ich neue offene Türen, die darauf warten, von mir durchschritten zu werden. Wenn ich mich einlasse auf ungewohnte Begegnungen, auf gewagte Entscheidungen, wenn ich meine Sehnsucht offen teile mit anderen, dann wächst etwas. Dann öffnen sich überraschende neue Türen.
Advent. Wir bewegen uns und es bewegt sich etwas auf uns zu. Unsere Erlösung. Eine Tür öffnet sich einen Spalt. Zukunft, die wir jetzt nur erahnen.
Da öffnet sich eine Tür im Stadtteil, wo Nachbarn, Politiker und Vereine für die neu angekommenen Flüchtlinge einen Runden Tisch und ein Willkommensfest planen. Da öffnet sich eine Tür im Seniorenheim, wo eine alte, sehr kranke Frau nicht mehr künstlich am Leben gehalten wird, sondern in Frieden und begleitet sterben darf. Da öffnet sich eine Tür einen Spalt, wo ein ganzer Stadtteil sich mutig gegen Rechtsradikalismus stellt. …
Die Vision des Johannes ist ein adventlicher Text. Am Ende des Sendschreibens aus der Offenbarung steht der schöne Schlusssatz: Halte was du hast, dass niemand deine Krone nehme. Halte, was du hast, deine Krone, das kostbarste, das heißt für mich im Advent: halte fest an den liebgewonnenen Traditionen, die den Advent so besonders machen; halte fest an deinem Glauben, der dir kostbar ist und der dich trägt durch das Kirchenjahr mit allen Höhen und Tiefen; aber auch: halte fest an der unerschütterlichen Hoffnung, dass sich dein Leben nicht in dem erschöpft was du im Alltag erlebst, halte fest an einer hoffnungsvollen Zukunft, auch wenn die Gegenwart verriegelt scheint. Und schließlich: Übe Geduld und werde nicht müde im Engagement für ebendiese Zukunft.
Pfeiler des Tempels Gottes im neuen Jerusalem werden wir, welch eine großartige Verheißung!
‚Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!‘
Literatur: Predigtstudien 2013/1014 Perikopenreihe VI, Erster Halbband, 32 ff