Predigt aus dem ZDF-Fernsehgottesdienst in Menden vom 28.02.2016

Predigt aus dem ZDF-Fernsehgottesdienst in Menden vom 28.02.2016
6,3-8

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommen wird. Amen.

 

Teil I

Liebe Gemeinde,

alles wird anders. Mit den Flüchtlingen kommen immer mehr Muslime zu uns, die hier in Deutschland bleiben wollen. Das macht vielen Einheimischen Angst und sie ziehen sich zurück in ihre eigene Welt, in der sie sich gut auskennen. Denn vertraute Lieder, Rituale- und Bräuche - geben Sicherheit.

Aber Rückzug tut nicht gut. Weder Einheimischen noch Einwanderern.  Parallelgesellschaften spalten, grenzen ab und grenzen aus. Oft sind sie Nährboden für gegenseitige Anschuldigungen. Im Extremfall sogar für Übergriffe und Brandbomben. Deshalb müssen wir über Religion reden. Miteinander.

Wo?

Zum Beispiel in der Schule.

Ich habe gute Erfahrungen damit. Seit  vielen Jahren arbeite ich als evangelische Schulpfarrerin am Berufskolleg und unterrichte im Religionsunterricht auch muslimische Schülerinnen und Schüler. Sie kommen aus den verschiedensten Herkunftsfamilien und –ländern, sind zusammen groß geworden und miteinander befreundet. Und lernen zusammen für’s Abitur oder Fachabi.

Im Religionsunterricht begegnen wir uns als Gläubige aus verschiedenen Religionen. Besuchen uns in Kirche und Moschee und diskutieren viel miteinander. Manchmal hitzig, mit gegensätzlichen Ansichten. Denn wir kommen ja nicht nur als Lehrerin und als Lernende miteinander ins Gespräch und reden über irgendeinen Unterrichtsstoff. Wir sind Menschen, denen der Glaube am Herzen liegt, manchmal sogar unter den Nägeln brennt.

Dabei lerne auch ich dazu. Zum Beispiel, dass für Muslime das  Wasser  ein Zeichen für Gottes Güte ist. Besonders seine reinigende Kraft hat für sie eine große Bedeutung. Darum sind die Waschungen für sie so wichtig. Wir haben eben davon gehört.

Wir Christen haben auch ein Ritual der Reinigung. Wie viele Muslime spüren wir die Sehnsucht, ein reines Herz zu haben. Darum begießen wir in der Taufe ein Menschenkind mit Wasser, sprechen ein Bekenntnis und segnen es.

Viele halten dies dies für eine  niedliche Tradition, die man in den ersten Lebensmonaten so mitnimmt. Doch die Taufe weit ist mehr. Der Apostel Paulus sieht darin einen Machtkampf um Leben und Tod. Es geht hier um‘s Ganze! Aber hören Sie selbst aus - seinem Brief  an die Gemeinde in Rom:  

Lesung:

Röm 6,3-8
 

Teil II

Ganz normales Wasser wie in unserem Krug wird in der Taufe zu einem heiligen Zeichen. Denn das Wasser verbindet die Täuflinge mit Jesus Christus. Mit seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung.

 Alle, die „in Jesus Christus hinein getauft“ wurden - so sagt es der Apostel – werden mit ihrer Taufe auch in seinen Tod hineingetauft. Darum wurden die Täuflinge früher  komplett untergetaucht, so wie Jesus im Jordan. Mit der Überzeugung: Jetzt  wird meine  Sünde abgewaschen.  Ja mehr noch: Sie wird  „ersäuft“. Ein für alle Mal. So erlöst uns Jesus Christus von der  Macht des Bösen.

Zugegeben: Dass winzige Säuglinge reingewaschen werden sollen, ist für viele schwer nachvollziehbar. Aber dass in uns allen – in jedem Menschenkind - die Möglichkeit zum Bösen steckt, wird niemand bestreiten. Welche Macht das Böse und die „Sünde“ haben, sehen wir ja täglich bei einem Blick in die Nachrichten. Bekannte und Unbekannte, Vorbilder und Durchschnittsmenschen wie Sie und ich – niemand ist davor gefeit. Und niemand kann sagen, wann sie von uns Besitz nimmt.

Darum taufen wir Christen bereits unsere kleinen  Kinder. Und sagen ihnen damit:  Ihr seid  Töchter und Söhne Gottes. Ihr gehört in Gottes neue Welt. Dort haben weder die Sünde noch der Tod das letzte Wort. Sondern die Liebe und das Leben. So wie Christus gestorben und ins Leben auferstanden ist, sollt auch Ihr leben. Rein und unschuldig. Mit reinem Herzen.

Die schönen weißen Taufkleider sind ein Zeichen dafür. Oft sind sie jedoch viel zu lang. Das ist Absicht. Denn  die Täuflinge müssen ja erst noch in ihre neue Rolle als Christ oder als Christin hineinwachsen.

Davon in der Taufe zu hören, als Eltern und Paten oder als Täufling selbst, ist das Eine. Es will aber auch verinnerlicht werden, jeden Tag auf’s Neue. In der Familie, in der Gemeinde und in der Schule.

Hier können wir voneinander lernen, wie wir als Söhne und Töchter Gottes leben können. Wir alle können einander von Gottes neuer Welt erzählen und uns gemeinsam für sie stark machen. Gottes Welt, in der  es keine Furcht und keine Vertreibung mehr gibt, keine Not, kein Leid, keinen Hass. Gottes neue Welt, in der das Wasser des Lebens fließt und die Völker geheilt werden.

Diese Zeit steht noch aus. Noch haben wir nicht den Himmel auf Erden. Unsere Welt ist noch nicht erlöst. Aber Gott sieht uns schon als neue Menschen im Licht der Ewigkeit und deshalb sollen wir uns auch so sehen. Und etwas aus der neuen Welt, in unsere „alte“ Welt hineinbringen. Uns mit Sanftmut statt Gewalt begegnen, mit Freundschaft statt Hass  und Respekt statt Verachtung.

Denn Gottes Liebe gilt allen seinen Geschöpfen. Bedingungslos. Egal wo sie herkommen und unabhängig davon, woran sie glauben.

Solch eine Haltung schließt klare Standpunkte nicht aus. „Wie stehen Sie denn eigentlich dazu?“ werde ich z.B. oft im Religionsunterricht gefragt. Beide, christliche und muslimische Schülerinnen und Schüler wollen Bescheid wissen. Dann kann ich nicht Drumherum reden, dann muss ich Rede und Antwort stehen, Farbe bekennen und oftmals auch christliche Glaubenssätze verteidigen.

Dann ist mir mein Taufbekenntnis ein Anker . Etwas, das mich festhält, das mir Halt gibt und mich auch mal gegen den Strom schwimmen  und - wenn es nötig ist – vielleicht sogar unbequeme Ansichten vertreten lässt.

In solchen Momenten unterrichte ich besonders gerne, die Getauften und die Ungetauften. Denn gerade unsere Vielfalt trägt zu lebhaftem Unterricht bei.

Unser  Gespräch schult die Auseinandersetzung, fördert das Argumentieren und schafft ganz oft auch Verständnis füreinander.

Unsere Begegnung als Gläubige verschiedener Religionen hat auch meinen eigenen Glauben bereichert. Vor allem habe ich Respekt gewonnen vor dem, was anderen heilig ist.

Und: Im Dialog wird mir mein eigener, mein christlicher Standpunkt viel klarer. Ich erfahre, worin wir uns einig sind und was uns trennt.

Deshalb finde ich es gut, wenn Christinnen  und Muslime zusammen Religionsunterricht haben. Denn hier können wir uns - respektvoll und friedlich  über unseren Glauben austauschen.

Aber er sollte nicht der einzige Ort sein. Das Gespräch zwischen den Religionen  ist so wichtig für unser Zusammenleben und wird darum schon so lange mit guten Erfahrungen bei uns gepflegt. Es sollte überall stattfinden. In Kirchen- und Moscheegemeinden. Auf Bürgerversammlungen und Festen. In Parteien und Vereinen….

Wer sich dem entzieht, dem entgeht etwas.                   

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle - Vernunft, der bewahre – eure  Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.                              

Perikope
28.02.2016
6,3-8

Reminiscere – Gedenke

Reminiscere – Gedenke
5,1-5

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geists sei mit euch allen. Amen.

I.

„Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit!“ so heißt es in Psalm 25 im sechsten Vers. Von diesem Vers leitet sich der Name des zweiten Sonntags in der Pas­sionszeit ab. Nach dem lateinischen Wort Reminiscere – Gedenke ist der heutige Sonntag benannt.

Wenn ich das Wort gedenke höre, entsteht das Bild des Regenbogens vor meinem inneren Auge. Nach der Sintflut hat Gott ihn über der Erde ausgespannt, mit den Worten:

„Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem, was lebt.“

Der Regenbogen – Ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes: Er lässt den Himmel wieder aufgehen nach den Stürmen und den Leiden der Zeit.

Reminiscere. Denkt daran und bewahrt es im Herzen: Der Himmel voll neuer Hoffnung geht auf – über allen Menschen. Ein Regenbogen kennt keine Gren­zen. Der Bogen am Himmel ist Gottes Zeichen der Hoffnung, des Friedens und der Liebe für die ganze Welt. Ein Regenbogen leuchtet nicht nur für einzelne Menschen und er macht nicht Halt an Grenzbefestigungen oder Zäunen, die hochgezogen werden.

II.

An diese weltumspannende Dimension der Liebe Gottes wollen wir heute beson­ders erinnern, wenn wir in diesem Gottesdienst für und mit bedrängten und verfolgten Christinnen und Christen beten. Wir spannen einen Bogen von uns selbst – den eigenen Herausforde­rungen in unseren Ge­meinden und in unserem Land – hin zu den Christinnen und Christen und zu allen bedrängten Menschen in der Welt. Ihr Schicksal ist uns nicht egal.

Ja, wir müssen unserer Verantwortung hier vor Ort gerecht werden, wenn Men­schen bei uns Zuflucht suchen, weil sie vor Krieg und Gewalt fliehen mussten. Aber zugleich erheben wir unsere Stimme für diejenigen, die in ihren Ländern verfolgt und bedrängt werden. Wir verschließen die Augen nicht. Schon zum siebten Mal nehmen wir hier in St. Marien diesen zweiten Sonntag in der Passi­onszeit zum Anlass, um an das Leiden unserer bedrängten und verfolgten Glau­bens­geschwister zu erinnern und für sie zu beten.

Wir dürfen es nicht hinnehmen, wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens ver­folgt werden. Es ist wichtig, klar zu benennen, wo Länder und politische Sys­teme Menschen aufgrund ihrer Religion bedrängen. Und wir müssen auch hier bei uns für diese Fragen sensibel sein. Wir beobachten mit Sorge, dass es auch in Flüchtlingsunterkünften bei uns Vorfälle gibt, wo Christen bedrängt werden. Wir weisen darauf hin, sorgen dort, wo wir können, dafür, dass Konflikte bei­ge­legt werden, wie etwa in den Unterkünften der Stadtmission. Aber wissen auch, dass es Menschen gibt, die diese Vorfälle dazu benutzen wollen, Misstrauen zu schüren, weil sie eben nicht das Ziel des friedlichen Zusammenlebens von Men­schen unterschiedlicher Religion und Kultur vor Augen haben, sondern bewusst Stimmung machen wol­len gegen Flüchtlinge und besonders gegen die Muslime unter den Flüchtlinge. – Wer sich aber an Gottes Verheißungen ausrichtet, der hat den Regenbogen vor Augen: Der Bogen am Himmel ist Zeichen der allum­spannenden Barmher­zig­keit Gottes, die jedem Menschen gilt. Und das Ziel ist deshalb der Friede, der jedem Menschen gilt, gleich welcher Religion er oder sie angehört. Und deshalb ist es ein gefährliches Unterfangen, wenn gefordert wird, Men­sch­en, die nach Deutschland kommen, nach ihrer Religion zu trennen. Wir müssen vielmehr von Anfang an klar machen, dass das Zusammenleben nur fried­lich und in Anerken­nung der anderen Person möglich ist. Wo Menschen bedrängt werden, müssen wir sie schützen; aber wir dürfen das nicht zum Anlass nehmen, um die Religio­nen gegeneinander auszuspielen. Denn wir sind in dieser globa­li­sierten Welt mehr denn je darauf ange­wie­sen, unter dem einen Himmel zu leben.

III.

Wir spannen einen Bogen, hinein in die Welt. Ich freue mich besonders, dass wir diesen Gottesdienst heute mit Geschwistern aus der eritreisch-orthodoxen Gemeinde von Berlin feiern. Den Chor der Gemeinde haben wir schon gehört. Und ich bin dankbar, dass auch Almaz Haile und Priester Msgun Tamzgi diesen Gottesdienst mitgestalten. Wir sind verbunden im Gebet. Etwa 400 Mitglieder umfasst ihre Gemeinde in Berlin derzeit. Und ich bin sicher, Sie schauen mit großer Sorge auf Eritrea. Sieben Prozent der Bevölkerung sind auf der Flucht. Ungefähr 11.000 Menschen sind im vergangenen Jahr aus Eritrea nach Deut­sch­land geflohen, circa 1.000 davon sind nach Berlin ge­kommen. Oft sind es junge Männer, die sich dem totalitären Regime und dem zeit­lich unbegrenzten mili­tärischen Pflichtdienst entziehen, zu dem alle gezwun­gen werden. Das Land ist stark abgeschirmt und mittlerweile international iso­liert. So ist es oftmals schwie­rig, überhaupt an verlässliche Informationen zu kommen. Die Men­sch­en­rechte sind stark eingeschränkt und auch die Religions­freiheit ist davon be­trof­fen. Es sind oftmals die Angehörigen religiöser Minder­heiten, darunter viele christ­liche Glaubensgeschwister, die unter dem Regime leiden. Etwa zwei- bis dreitausend Menschen sind um ihres Glaubens willen in Haft.

Reminiscere – Betend gedenken und erinnern wir miteinander, was noch aus­steht in Eritrea und in der gesamten, globalen krisengeschüttelten Welt. Der Regenbogen erinnert uns dabei daran, dass die Welt ein Ziel hat, sie lebt auf die Barmherzigkeit und Liebe Gottes zu. So spannen wir betend einen Bogen zu Gott, der unser Herz schon jetzt mit Hoffnung füllt.

IV.

Auch Paulus spannt im Predigttext für den heutigen Sonntag einen großen Bo­gen zu dem Frieden, der durch die Barmherzigkeit Gottes kommt. Dort heißt es:

„Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frie­den mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.“

So wie der Regenbogen, so kennt auch Gottes Gerechtigkeit keine Begrenzun­gen. Das macht Paulus in den ersten vier Kapiteln des Römer­briefes deutlich. Paulus betont, dass Gottes Recht­ferti­gung unab­hängig von der religiösen Praxis der Tora gelte und auch die Völker einbeziehe. Denn Abraham ist auch der Vater der nicht-jüdi­sch­en Gläubigen. Und mit der Auferstehung Jesu Christi be­ginnt eine neue Welt­zeit, eine neue Schöpfung Gottes. Die Auferstehung Jesu von den Toten, das ist der Anbruch einer neuen Welt, in der neue Maßstäbe gel­ten. Frieden mit Gott zu haben be­deutet, mit­ten in der alten gewalttätigen Welt, bereits in der neuen Welt des Frie­dens zu leben und das Leben nach neuen Maß­stäben auszurichten. Frie­den mit Gott ist das wichtigste Merk­mal der kommen­den Zeit. Wir Christinnen und Christen können aus dieser Perspektive leben und auch in den aktuellen, bedrängenden Erfahrungen die Hoffnung bewahren.

V.

Als die Menschen in der Gemeinde in Rom das Wort „Frieden“ hörten, hatten sie sicherlich die Propaganda des römischen Imperiums in Ohr. Der Kaiser ver­sprach Frieden und Sicherheit: „Pax et securitas“, das war der Kern der römisch­en Staatsideologie. Hochaktuell ist das, denn die Pax Romana war auf Kosten von Abschottung und Krieg an den Außengrenzen er­kauft. Diesem abgründigen Frieden stellt Paulus in seinem Brief nun eine Gegen­realität gegenüber. Leben aus Rechtfertigung. Ein anderer Friede kommt da zum Vorschein. Einer, der aus der Zuversicht des Glaubens lebt. „Shalom“ – ein umfassender Friede, der die Beziehung zu sich selbst, zur Welt und den Mit­menschen und zu Gott um­fasst. Paulus bekennt diesen Frieden, obgleich er ihn in seinem äußeren Leben wohl kaum jemals erfahren hat. Erst hatte er selbst die Minderheit der Christen ver­folgt, getrieben von der fanatischen Überzeugung, er müsse diese neue Denk­ungs­art ausrotten. Dann fand er seinen Frieden in Chris­tus und wurde zum Pre­diger des Shalom, allerdings, nun selbst ohne Ruhe, ver­folgt von Anders­denken­den, Anders­glaubenden. Aber in seinem getriebenen, gehetzten Leben hält er daran fest: In der Gnade stehe ich schon jetzt gegründet in diesem umfassenden Frieden. – Paulus hat ein Bild vor Augen, das die Juden seiner Zeit, die in der griechischen Kultur gebildet waren, gerne benutzten: Ein Mensch gewinnt Halt und Kraft, wenn er in Gott seinen Standpunkt gefunden hat. Er ist wie ein Fels in der Brandung, der trotz der Stürme und Wellen fest bleibt. In Christus hat Paulus diesen Fels gefunden.

VI.

Auch wir brauchen diese Standfestigkeit, um in einer offensichtlich unver­söhn­ten Welt weiter an den Frieden zu glauben, für ihn zu beten und zu arbeiten. Wir haben es heute bei uns zwar nicht wie die ersten Christen mit einer Staatspro­pa­ganda zu tun, aber mit der Propaganda einer rechtspopulistischen Bewegung. Sie versucht sich christlich zu geben, aber säet doch nur Unfriede mit ihren Parolen. Inzwischen beschimpfen die führenden Köpfe dieser Bewegung in aller Offen­heit die Kir­chen. Verlogen seien wir. Für bedrängte Christen würden wir uns zu wenig einsetzen. Wir würden die Ängste der eigenen Bevöl­kerung nicht ernst nehmen. Alle diese Parolen zeigen nur, dass hier Menschen das Wort er­grei­fen, die weder Ahnung haben von dem, was die Kirchen in unserem Lande und welt­weit leisten, noch von der Botschaft Jesu Christi. Was wir für die christ­lichen Flüchtlinge tun, geschieht schon seit Jahren in enger Abstimmung mit den Bisch­öfen der Heimatländer. Wir erheben unsere Stimme für die Menschen, wie wir es heute in diesem Gottesdienst tun. Wir helfen mit der Diakoniekatas­tro­phen­hilfe in den Flüchtlingslagern weltweit. Wir unterstützen die Gemeinden fremder Sprache in Deutschland, die sich für die Flüchtlinge aus ihren Heimat­ländern ein­setzen. Rechtspopulisten geben vor, sich für das Chris­tentum und für die Christen einzusetzen, und verkehren dabei das Evangelium Jesu in sein Gegenteil: Denn das Besondere des Christentums ist es gerade, den anderen, den Fremden, denen, die in existentieller Not Hilfe brauchen, zu helfen. Natürlich müs­sen wir auch die Belastungen für unser Land im Blick behalten, die nicht übermäßig  werden dürfen. Natürlich brauchen wir geregelte Zugangs­wege für Asyl­suchen­de und Migranten. Und natürlich brauchen wir europäische Lösun­gen. Alle ver­antwortlichen Politiker arbeiten an diesen Lösungen. Nicht aber die Rechts­po­pulisten. Sie machen Stimmung, und säen Hass. Wer die Ängste der Menschen in unserem Land ernst nehmen will, muss deshalb vor den Rechtspo­pu­listen warnen: Denn sie nehmen die Ängste gerade nicht ernst, son­dern spie­len mit der Angst, ohne Lösungen anzubieten. Weil die Kirchen die Ängste der Menschen ernst nehmen, warnen sie klar und mit einer Stimme vor den unver­ant­wortlichen Parolen der Rechtspopulisten!

VII.

Sonntag Reminiscere. In dieser Welt der Bedrängnisse und der ge­fährlichen Stimmungsmacher suchen wir aus unserem christlichen Glauben her­aus nach Wegen des Friedens.

„Erinnert euch an den Regenbogen“ – so heißt ein Buch mit Gedichten und Tex­ten von Dorothee Sölle. Darin schreibt sie:

„Man kann das Geheimnis des Glau­bens nicht verstehen, wenn man nichts von den Schmerzen der Welt weiß […] Das Lamm Gottes trägt die Sünde der Welt ja nicht, damit wir sie über­sehen könnten oder aufhören könnten, an ihr zu leiden, sondern es will uns in den glei­chen Prozess des Tragens, des Für-andere-Daseins hineinziehen.“

Sonntag Reminiscere – Gedenktag für die bedrängten Christen. In der Passions­zeit lassen wir uns mit hineinnehmen in den Lei­dens­weg Jesu. Und zugleich gedenken wir an den Bogen der Hoffnung und der Barmherzig­keit, den Gott über den Himmel spannt. Auf ihn hin sind wir unter­wegs mit Jesus Christus. Er ist der Spannungsbogen unseres Lebens und der blei­ben­de Grund unserer Hoff­nung.

Amen.

Perikope
21.02.2016
5,1-5

Predigt zu Römer 5,1-5 von Stephan Lorenz

Predigt zu Römer 5,1-5 von Stephan Lorenz
5,1-5

„Wegen unseres Glaubens nimmt Gott uns als Gleichwertige an. Jesus Christus hat zwischen uns und Gott vermittelt. Frieden mit Gott.  Jesus hat uns einen Zugang zu Gottes Thron vermittelt, wir stehen in der Gunst Gottes, des Königs, bekennen voller Stolz unsere Hoffnung: wir werden an Gottes Glanz und Herrlichkeit teilhaben.

Aber wir sind auch stolz darauf, jetzt noch Trübsal erdulden zu müssen. Da lernt man Geduld. Wer weiß, was Geduld ist, besteht auch jede Bewährungsprobe. Das ist wieder Grund zur Hoffnung. Wir wissen: mit unserer Hoffnung sind wir nicht auf dem Holzweg. Gott hat uns mit seinem Heiligen Geist auch seine herzliche Liebe zugewandt.“

Paulus schreibt diese Zeilen an die römischen Christen, aus dem Gefängnis. Er ist zum Tode verurteilt und wartet auf seine Revision, die in Rom stattfindet. Er kennt die Christen in Rom nicht. Will sich Ihnen mit diesem Brief vorstellen. Seht her: so glaube ich, so denke ich über mein Leben vor Gott.

Gott hat uns durch Christus gleichwertig gemacht. Ihm gleichwertig. Wir haben Frieden mit Gott.  Haben Anteil an Gottes Herrlichkeit. Unsere Hoffnung ist (1)  tragfähig. Wir haben Gottes Geist empfangen. Er hat sich uns liebevoll zugewandt.

So schreibt einer, der zum Tode verurteil worden ist. Erstaunlich! Er blendet die schlimmen Seiten  seines Lebens nicht aus. Wir müssen Trübsal erdulden und Geduld lernen, Hoffnung finden.

Ich weiß ja nicht, wie Sie ihre augenblickliche Situation hier im Krankenhaus erleben. Aber ich könnte mir vorstellen:

Wenn sie ihre Situation anschauen, könnten sie zu dem Schluss kommen: Gott hat uns vergessen! Wir sitzen im Elend. ER  auf seinem Thron. Was immer ER da macht. Uns erblickt ER jedenfalls nicht. So fühlt es sich an. Wir abgeschnitten. Nicht einen Blick wert. Verlassen. Aus der Welt gefallen. So ist Trennung. Trennung von der Familie, von zu Hause, Freunden, allem, was einem lieb und wert war. Trennung von Gott.

Trennungen ertragen ist schwer.  Das weiß jeder aus eigener Erfahrung. Trennung tut weh.  Das wird im Text Trübsal genannt.

Trübsal, dieses  Wort  kennen wir. Eine Flüssigkeit ist trübe, das Wetter oder die Stimmung.  Was trübe ist, ist unklar.  Wer unklar ist, ist verwirrt. Im Herzen und im Kopf. Trübsal bezeichnet im Ursprung den Vorgang, wenn der Bodensatz einer Flüssigkeit aufgerührt wird. (2)

In unserer Seele hier ist vom Bodensatz her aufgerührt. Vieles ist unklar. Die Stimmung oft trübe. Wir erleben uns getrennt.  Wir leiden. Nicht nur an unserer Krankheit, die uns hierher gebracht hat, sondern viel mehr in unserer Seele.

Wie kann man solche Trennung aushalten? 

Luther sagt in seinem Kommentar zu diesen Zeilen:  Trübsal ist ein Indikator. Daran wird die seelische Verfassung deutlich: wer vorher ungeduldig war, wird noch ungeduldiger. Trübsal verstärkt Ungeduld, sogar bis zur Verzweiflung. Und wenn man erstmal auf dieser Schiene ist, dann wird man auch auf den Gedanken kommen: Gott ist an „allem“ Schuld: an dem, was mir passiert ist, an dem was ich erleiden muss.

Gott kann nicht allmächtig sein, weil mein Ohnmächtig-Sein unerträglich ist. Trennung erleiden und nichts dagegen tun können, ohnmächtig sein, macht unsere Seele, unsere Gedanken, unser Herz trübe. 

Luther war auch Seelsorger. Er macht darauf aufmerksam: in Zeiten der Trübsal erkennt man sich selbst. Erkennt, wer man ist. Wie man in schwierigen Situationen reagiert. Was man vom Leben hält. Von seinen Beziehungen. Von sich selbst.

Luther sagt: Paulus beschreibt einen seelischen Lern- und Erfahrungsprozess. Denn in der Trübsal nicht (3)

zu versinken, kann  dazu verhelfen, dass sich Geduld einstellt. Nicht alles lässt sich sofort erreichen. Geduld ist eine Haltung, von der man hier sehr viel braucht. Die Rehabilitation des Gehirns ist etwas anderes als

das Ausheilen einer Erkältung. Wer Geduld aufbringen kann, der „bewährt sich“.

Darin steckt das Wort Bewahrung.  Wer Geduld lernt bewahrt sich vor schnellen, manchmal falschen Schlüssen und Entscheidungen. Bewahrt sich vor Gefühlen, die einen herunterziehen. Wer Geduld hat, hält sich die Zukunft offen. Und deshalb, so Paulus, führt dieser Lernprozess letztlich zur Hoffnung Gott zu vertrauen. Keine Hoffnung, die ein Hirngespinst ist. Keine Illusion. Tragfähige Hoffnung.

Wir wissen, schreibt Paulus: mit unserer Hoffnung auf Gott sind wir nicht auf dem Holzweg. ER hat seinem Heiligen Geist in unser Herz gegossen, sich uns in herzlicher Liebe zugewandt.

Wie kann man solche Trennung aushalten?  Antwort: wenn man sich geliebt, getragen fühlt.

Das leuchtet einem sofort ein:  wer sich geliebt und getragen fühlt von seiner Familie, seinen Angehörigen, Mann, Frau, Kindern, kann eher Geduld aufbringen, bewahrt sich vor unklugen Schlussfolgerungen und hat Hoffnung. 

Wir alle wissen aber auch, dass unsere menschliche Liebe manchmal überfordert ist. Unsere Geduld (4)

miteinander hat Grenzen. Unsere Hoffnungen sind brüchig.

Dann ist es gut, sich vor Augen zu halten: Gottes Liebe zu uns kennt kein Ende. Sein Herz ist größer als unseres. Seine Hoffnung für uns trägt.  Wir sind Abrahams. Das alte Land haben wir verlassen müssen. Es nährt uns nicht mehr. Wir gehen, ohne zu wissen wohin. Gehen in dem Glauben, dass Gott einen Weg weiß, wo wir keinen sehen.

Gottes Heiliger Geist leitet uns,  seine herzliche Liebe ist uns zugewandt. Das können wir getrost glauben, gerade dann, wenn uns unsere Geduld strapaziert wird, wir uns schwerlich bewahren können, unsere Hoffnung uns zu verlassen scheint.

Vertrauen wir Gott, werden wir an Gottes Glanz und Herrlichkeit teilhaben.

Gottes Heiliger Geist befestige diese Wort in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf daß euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen

Anmerkung zum Hintergrund: Die Andacht wird gehalten in einer neruologischen Akut- und Rehabiltationsklinik. Schaganfälle, Verletzungen des Gehirns, operierte Tumore, gut- und bösartige. Überlebte Aneyrismen sind einige Krankeheitsbilder. Mit oft langwiergen bleibenden Schädigungen. Lebenspläne sind zerstört. Zukunft fraglich. Berziehungen auf äußerte beansprucht.

 

Perikope
21.02.2016
5,1-5

Predigt zu Römer 5,1-5 von Thomas Bautz

Predigt zu Römer 5,1-5 von Thomas Bautz
5,1-5

Liebe Gemeinde!

Es kann vorkommen, dass Sie mit bestem Wissen und Gewissen eine bestimmte Entscheidung getroffen haben und Ihnen dann vorgeworfen wird, Sie hätten verantwortungslos gehandelt. Jemand, der die Situation überblickt und Sie als Menschen gut genug kennt und Ihnen vertraut, könnte aber sagen: „Sie müssen sich nicht rechtfertigen! Ich glaube an Ihre Rechtschaffenheit und Redlichkeit.“

Es geschieht auch öfter, dass jemand eines Fehlers beschuldigt wird oder einer Unterlassung bezichtigt, ohne das eine oder das andere überhaupt begangen zu haben. Unvermittelt  gerät ein Mensch auf die Anklagebank, obwohl er im Allgemeinen als unbescholten gilt. Aber dann springt jemand mit Autorität (Ansehen, auctoritas) für ihn in die Bresche, hält der geifernden Meute entgegen: „Ihr seid im Unrecht! Diese Person ist vertrauenswürdig, zuverlässig und war stets absolut integer“, und zum Betroffenen: „Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen.“

Wenn wir uns nicht rechtfertigen müssen, weil uns jemand gut genug kennt und selbst so viel Rückgrat und Zivilcourage hat, dass er Gerechtigkeit widerfahren lässt oder uns zum Recht verhilft, dann haben wir allen Grund dankbar zu sein. Wir dürfen uns glücklich schätzen, wenn wir in diesem Sinne Rechtfertigung erleben. Ich weiß nicht, wie oft das geschieht!

Freilich kommt es auch öfter vor, dass sich jemand zu Unrecht selbst rechtfertigt, eine Person, die genau weiß, dass sie sich schuldig gemacht hat, nun aber versucht, mit fadenscheinigen Argumenten, mit Lügen und mit Schuldverweisen auf andere, sich rauszureden. Dieser Person  halten wir völlig zu Recht entgegen: „Sie wollen sich ja nur reinwaschen!“ In solchen Fällen müssen Umstände und Motive geprüft, eventuelle Zeugen befragt, die Schuld nachgewiesen und schließlich von einem neutralen Richter Recht gesprochen werden.

Rechtfertigung in menschlichen, nachvollziehbaren und vor allem erfahrbaren Kontexten - positiv und negativ: Sich nicht rechtfertigen müssen, oder der Versuch, sich zu rechtfertigen. In Familie, im Kindergarten, beim Spielen auf Straßen und Plätzen, in Schulen, in Ausbildung, am Arbeitsplatz - in der Gesellschaft - erleben und praktizieren Menschen als soziale Wesen Rechtfertigung auf die eine oder die andere Weise.

Wenn wir in einem Schutzraum aufwachsen, erfahren wir schon früh, wie unser Verhalten - meist durch die nächsten Bezugspersonen - natürlich nicht immer gut geheißen wird, aber wie man uns selbst in jedem Fall ernst nimmt, uns mit Vertrauen, nicht mit Vorurteilen begegnet. Kinder und Jugendliche, die in einer solchen Atmosphäre der unverbrüchlichen Zuwendung aufgewachsen sind, werden es in der Regel im weiteren Leben als Erwachsene leichter haben und es auch weniger nötig haben, sich für dieses oder jenes zu rechtfertigen. Sie halten sich nicht für perfekt, aber sie sind bemüht, sich in die Gemeinschaft einzubringen, ohne freilich dabei selbst zu kurz zu kommen. - Zugegeben, ich beschreibe hier den Idealfall!

Wem das Privileg einer beschützten Kindheit und Jugend nur sehr begrenzt oder gar nicht beschert worden ist, dieser Mensch hat ganz andere Voraussetzungen. Häufig muss er viel körperliches und seelisches Leid durchstehen: er fühlt sich emotional einsam, er sucht nach Geborgenheit, nach geistiger Heimat; er ist anfällig für verschiedene Surrogate wie Nikotin, Alkohol, Drogen. Bei günstiger Veranlagung wird ihn sein Verstand vor dem Schlimmsten bewahren. Da er aber geistig und vor allem seelisch noch nicht verwurzelt ist, besteht eine größere Verführbarkeit und die Gefahr, sich in zweifelhafte religiöse Anschauungen zu verlieren und zu verstricken. Dann funktionieren religiöse Inhalte wie eine Droge.

Wer als Kind und Jugendlicher wesentliche Zuwendung und Geborgenheit entbehren muss, könnte unterschwellig oder bereits offenkundig Aggressionen nach Außen oder nach Innen (Depressionen) entwickeln. Er könnte zum Egozentriker oder Philanthropen heranwachsen. Den Menschenfreund wird man ihm allerdings nicht abnehmen, weil er diese Rolle spielen, aber nicht glaubhaft verkörpern kann. Er muss sie aber nach außen vertreten, weshalb diese Menschen oft einen helfenden Beruf ergreifen. Das ältere, aber faktisch noch aktuelle Buch von Wolfgang Schmidbauer: „Die hilflosen Helfer“ ist bahnbrechend und hilfreich!

Im Beruf und in Beziehungen suchen Menschen aus einer defizitären Kindheit Anerkennung und Bestätigung; einige gehen viel zu früh und unreif eine partnerschaftliche Bindung ein. Die Sehnsucht nach Anerkennung mag in den geschilderten Fällen übertrieben erscheinen, das ist es aber für die Betroffenen keineswegs. Für ein besseres Verständnis brauchen wir uns nur vor Augen zu führen, dass wir alle, auch wenn wir mit relativ optimalen Voraussetzungen haben aufwachsen dürfen, auf Achtung und Wertschätzung angewiesen sind:

„Anerkannt und gerechtfertigt zu werden, sich rechtfertigen zu lassen, oder durch Gedanken, Gesinnungen, Worte und Taten sich selbst zu rechtfertigen, sein Dasein rechtfertigen zu müssen, oder einfach dasein zu dürfen und sich dafür nicht rechtfertigen zu müssen, das macht unser Glück oder Unglück aus und gehört unaufhebbar zu unserem Menschsein. (…) Darin sind wir schon immer soziale Wesen.“ (O. Bayer: Aus Glauben leben, 14)

Wir haben einiges über Rechtfertigung aus den Niederungen menschlicher Existenz gehört; mögen wir uns nun in die geistigen Höhen paulinischer Rechtfertigungslehre begeben, wobei ich Ihnen frei bekenne, dass ich kein besonders geeigneter Bergführer bin. Ob Paulus diese Anschauung ins Zentrum seines Denkens und Glaubens gestellt hat, oder ob sie nur einen Teil im Rahmen seiner theologischen Themen ausmacht, darüber sind sich die Ausleger nicht einig. Gravierender ist die Tatsache, dass sich seit der Reformation die Rechtfertigungslehre zum Kern christlicher, genauer: protestantischer Theologie entwickeln und etablieren konnte.

Lässt sich „das paulinisch-lutherische Begriffsmassiv predigen“, oder bleibt es „nur den theologischen Hochgebirgssteigern zugänglich“?  - Rechtfertigung heute: Rechtfertigung heute predigen (V. Drehsen), 46. Paulus schreibt an die Gemeinde zu Rom (Röm 5,1-5; Übersetzung, W. Schmithals, 149):

„Weil wir nun gerechtfertigt sind aus Glauben, laßt uns Frieden mit Gott halten durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir ja auch im Glauben den Zugang zu dieser Gnadengabe bekommen haben, in der wir stehen, und uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes rühmen. Aber nicht nur das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse; denn wir wissen: Die Bedrängnis bewirkt Standhaftigkeit, die Standhaftigkeit aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung, die Hoffnung aber wird nicht enttäuscht werden; denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben wurde.“

Wenn wir uns nun schon nicht (mehr) rechtfertigen müssen, weil wir trotz unserer ererbten, unausweichlichen Verderbtheit angenommen sind; weil wir so akzeptiert werden, wie wir sind und auch vorläufig bleiben werden, wollen wir Frieden halten mit „Gott“ (cf. O. Kuss: Römerbrief, 200f).

Wir dürfen darauf vertrauen, dass wir im Glauben an Jesus als den Christus, der das Neue Sein ermöglicht (Paul Tillich), Zugang haben zu dieser Gnadengabe (Schmithals, 153,157). Paulus identifiziert diese Gnadengabe als höchste unter den Charismen (1 Kor): „Gott hat die Liebe als vornehmste Gabe seines Geistes in die Herzen der Glaubenden ausgegossen.“ Das „Herz“ ist eine Instanz „des Wollens und des Entscheidens“ (Schmithals, 158). Natürlich zielt Paulus hier auf die Liebe zu den Brüdern und Schwestern in der Gemeinde; daran sind alle Inhalte des christlichen Glaubens zu messen: Rechtfertigung, Glaube, Gnade, Herrlichkeit („Gottes“), Hoffnung.

Vermutlich lässt sich die Nächstenliebe nicht erwerben oder erlernen; sie wird als Charisma geschenkt, bildhaft gesprochen: „eingegossen“. Für Martin Luther verhält es sich ebenso mit dem Glauben: „Der erworbene Glaube ohne den eingegossenen ist nichts, der eingegossene ohne den erworbenen ist alles.“ Der erworbene Glaube ist nur Schmuck, „der eingegossene aber ist der Geist des Lebens.“ „Auch ist allein der eingegossene Glaube hinreichend für die Rechtfertigung des Gottlosen.“ - M. Luther: Propositiones de fide infusa et acquisita (1520)

Im gleichen Zusammenhang stellt Luther auch klar: „Die Werke folgen der Rechtfertigung aus Glauben unfehlbar, da dieser nicht müßig ist.“ Denn: „‘Der Glaube ohne Werke ist tot‘, ja, er ist gar nicht Glaube.“ (Luther: op.cit.) Das Verhältnis aber zwischen Glauben, Werken und Rechtfertigung stellt sich bei Luther als ambivalent dar, erschwert durch sein Verständnis von „Sünde“ und „Unglauben“ - s. Quaestio, utrum opera faciant ad iustificationem; Frage, ob die Werke etwas zur Rechtfertigung beitragen (1520).

„Wie ausschließlich der Glaube rechtfertigt, so sündigt ausschließlich der Unglaube“ (op.cit.). „Der Glaube macht nur gerecht“, wenn und insofern er sich auf keinerlei Werke stützen kann, ansonsten wäre es kein Glaube. Doch ist es unmöglich, dass der Glaube nicht ständig „viele und große Werke“ hervorbringt. Luther konstatiert aber (op.cit.):

„Weder machen die nach der Rechtfertigung getanen Werke gerecht“, selbst wenn in der Schrift eine Tat als Gerechtigkeit angerechnet wird, „noch machen die vor der Rechtfertigung getanen Werke schuldig, auch wenn sie in der Schrift ‚Sünden‘ heißen.“ Wer im Unglauben befangen und deshalb „gottlos“ ist, gilt als verderbt; sein Tun oder Lassen ändert nichts an seiner prinzipiellen, den ganzen Menschen bestimmenden Sündhaftigkeit.

„Der aus Gott geborene (aber) sündigt nicht und kann auch nicht sündigen.“ Problematischer kann man es kaum formulieren; vor allem, weil Luther anfügt: „Wer sagen wollte, er sündige nicht, ist ein Lügner, und die Wahrheit ist nicht in ihm“ (op.cit.). Die Gedanken findet Luther im 1. Brief des Johannes (3,6a.9; 1,8).

Zu Recht gibt es Einwände gegenüber den Grundgedanken der Rechtfertigungslehre. Da ist zunächst das negative Menschenbild anzusprechen, das wiederum auf einer Voraussetzung beruht, die nur allzu selbstverständlich erscheint: der Mensch als Gegenüber zu „Gott“; cf. Rechtfertigung heute: Rechtfertigung heute (W. Härle), 69 und 71. Ich weiß nicht, wer oder was „Gott“ ist, aber ich betrachte mir kritisch die konstruierten Gottesbilder und frage nach ihren Funktionen. Es handelt sich um übersteigerte, überhöhte Ängste, Ideale, Wünsche - um Projektionen dessen, was uns Menschen ausmacht.

Es hat nahezu seit Menschengedenken funktioniert, sich eine Gottheit vorzustellen, die mit Strenge, Zorn, Gerechtigkeit, aber auch mit Milde, Liebe, Treue das Leben eines Volkes zu lenken versucht. Angesichts verschiedener Gottheiten und Religionen gestaltet sich das Miteinander der Völker ungleich schwieriger und realisiert sich oft als ein Gegeneinander.

„Gott“ als Herrscher, Richter und Vater (selten als Mutter) bildet menschliche Erfahrungen ab, nur in übermächtiger Form, die den Menschen klein, unbedarft, minderwertig erscheinen lässt, weil er von vornherein niemals an das Ideal der „Gottheit“, des Übervaters, heranreichen wird. Der „sündige“, sein Ziel („Gott“) verfehlende Mensch bedarf einer von „Gott“ ausgehenden (Er-)Lösung, damit eine für „Gott“ akzeptable Beziehung zustande kommt: ein „Sühneopfer“, was dann durch den gekreuzigten und gleichermaßen erhöhten „Christus“ erbracht wird. Eine Vorstellung, die in der ev. Theologie, bes. in der Praktischen, sehr hinterfragt wird und bereits zu alternativen Entwürfen, auch für die Abendmahlliturgie geführt hat.

Brauchen wir wirklich solche Gottesbilder und Bilder vom Menschen? Warum müssen wir gerechtfertigt werden? Warum muss ein Gott zu seinem Recht kommen? Wir wissen doch, dass wir unvollkommen und widersprüchlich sind. Zum Teil haben wir erforschen können, warum wir so sind wie wir sind; zum Teil bleibt das vielleicht ein Geheimnis. Jedenfalls haben kein Gottesbild, kein Glaube den Menschen bislang verbessert. Man zeige mir, worin sich ein Frommer menschlich wesentlich von einem Unfrommen unterscheidet; weist das Leben eines Christen eindeutig andere, hilfreichere, überzeugendere Qualitäten auf, als man sie im Leben eines Nichtglaubenden vorfinden kann?

Seit langem fällt mir immer wieder auf, dass sich die Unterschiede zwischen Nichtchristen und Christen einzig und allein im Denken und im Sprachgebrauch zeigen. Deshalb versuche ich häufig, die „Kirchensprache“ in allgemein verständliche Sprache zu übersetzen, wenn ich mit Menschen zu tun habe, die sich an den Rändern kirchlicher Gemeinschaft bewegen. Das Ansinnen für eine Gottesdienstgemeinde am Sonntag durchzusetzen, wird unterschiedlich aufgenommen, meist sogar höchst widersprüchlich. Viele aus der Kerngemeinde hängen am gewohnten Sprachgebrauch, vor allem was die liturgischen Stücke betrifft.

Ich vermute, dass traditionelle Gottesbilder für manche Christen eine Entlastungsfunktion haben: ein „Gott“, der den Menschen mit sich versöhnt; der den Menschen rechtfertigt; ein Christus, der für den Menschen gestorben ist; ein „Gott“, der Liebe ist, usw. Ich gebe nur zu bedenken: dies alles setzt voraus, dass Menschen „sündig“, verderbt sind; dass es notwendig ist, dass sich eine Gottheit mit ihnen versöhnt, sie rechtfertigt, dass „Christus“ für sie stirbt, dass „Gott“ sie liebt. Längst ist vielen Menschen klar, wie fragwürdig und widersprüchlich diese Gottesvorstellungen sind. Die Gottesbilder sind zum Teil auch völlig überfrachtet, weil sich ihre Inhalte und Konsequenzen im Leben der Menschen nicht spürbar auswirken.

Wo Menschen es wagen, überlieferte Gottesbilder infrage zu stellen, weil sie merken, dass sie mit der erlebten Wirklichkeit kollidieren, wird ihnen manchmal bewusst, dass Vorstellungen von „Gott“, von seinen Eigenschaften oder gar von seinem Wesen nichts Verbindliches oder Wahres oder Zuverlässiges erklären. Ich bin längst davon überzeugt, dass die Gottesbilder aber sehr viel über diejenigen aussagen, denen wir diese Bilder verdanken.

Man bedenke, wie oft Herrschaftsstrukturen durch kirchlich vermittelten „Glauben“ bis in die Erziehung und Familie, bis in die Gestaltung von Bildung und Wissen, bis in die Organisation von Staat und Gesellschaft hinein bestimmend waren und es in abgeschwächter Form immer noch sind. Bei sensiblen Menschen kann diese Bevormundung zur „Gottesvergiftung“ führen (Tilman Moser). Es ist schrecklich und belastend, etwas quasi glauben zu müssen, was man im Grunde gar nicht glauben kann. Es kann einen Menschen zerreißen, wenn niemand seine Zweifel am herkömmlichen „Glauben“ wirklich ernst nimmt und sich seinen Fragen stellt.

„Du musst dich nicht rechtfertigen!“ - Es sind doch häufig gerade die Menschen, die alles versuchen, für sich und für die ihnen anvertrauten Menschen und ebenfalls noch für andere das Notwendige und Beste herauszuholen, sofern möglich -, die dabei bescheiden genug sind. Sie verspüren dann oft den Drang, im guten Sinn ihre Defizite zu „rechtfertigen“, wenn sie einfach nicht alles schaffen. Ihnen täte es gut, wenn jemand sagte: „Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen!“ - „Ich weiß doch, wir wissen es, dass Sie sich alle Mühe geben!“

Es bedarf keines religiösen Überbaues, damit sich Menschen angenommen fühlen. Ich finde es lebenswichtig, einem Menschen den Eindruck zu vermitteln, dass sein Leben einen Sinn hat, dass er gebraucht wird, dass ich etwas von ihm lernen kann. Das setzt allerdings voraus, dass ich ihn oder sie kennenlerne, dass ich bereit bin zu hören, was mir mein Gegenüber zu sagen hat. Vielleicht will mir mein Gesprächspartner etwas anvertrauen oder ein schlimmes, ihm widerfahrenes Leid klagen. Womöglich darf ich aber auch an einem freudigen Ereignis teilhaben und kann mich sogar mitfreuen. So oder so - Menschen begegnen einander auf Augenhöhe, im Idealfall in einem „herrschaftsfreien Dialog“ (Jürgen Habermas).

Ich wünsche mir, dass Menschen, die den Mut aufbringen, traditionelle Gottesbilder und überlieferte Lehren zu hinterfragen und ihren Sinn zu bezweifeln, in den Kirchen deswegen nicht (mehr) in Bedrängnis geraten ausgegrenzt werden. Sie sind oder wären m.E. durchaus eine Bereicherung, weil sie zum Nachdenken anregen und aus falschen Sicherheiten führen. Ein lebendiger, „eingegossener Glaube“ muss und wird es verkraften, wenn er erschüttert wird; ein lediglich „erworbener Glaube“ wird jegliche Erschütterung gar nicht erst zulassen. Außerdem, liebe Gemeinde: Worauf sollte ich hoffen, wenn ich schon alles im Glauben wüsste?

Amen.

 

Literatur

Walter Schmithals: Der Römerbrief (1988); Ulrich Wilckens: Der Brief an die Römer, EKK VI/1 (1978); Otto Kuss: Der Römerbrief (1957); Martin Luther. Lateinisch-Deutsche Studienausgabe. Band 2: Christusglaube und Rechtfertigung, hg. u. eingel. v. Johannes Schilling (2006); Rechtfertigung heute. Warum die zentrale Einsicht Martin Luthers zeitlos aktuell ist, hg.v. Friedrich Hauschildt/ Udo Hahn (2., verb. u. erw. Aufl. 2008); Wilfried Härle/ Eilert Herms: Rechtfertigung. Das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens (1979); Oswald Bayer: Aus Glauben leben. Über Rechtfertigung und Heiligung (2., überarb. Aufl. 1990); Elsa Tamez: Gegen die Verurteilung zum Tod. Paulus oder die Rechtfertigung durch den Glauben aus der Perspektive der Unterdrückten und Ausgeschlossenen (1998).

 

Perikope
21.02.2016
5,1-5

Predigt zu Römer 5,1-5 von Antje Marklein

Predigt zu Römer 5,1-5 von Antje Marklein
5,1-5

Der Sonntag heute heißt ‚Reminiscere‘ . Gedenke. Erinnere dich.

Erinnere dich, Gott, an deine Barmherzigkeit und deine Güte – so haben wir es im Psalm 25 gebetet. Erinnere dich, Mensch, an den Gott, der dich durch das Leben begleitet.   So werden wir es gleich im Predigttext des Sonntags hören. Gleich.

Der Sonntag der Erinnerung.

1: Heute vor 100 Jahren begann die Schlacht von Verdun. Vom 21.2.1916 an führten Deutsche Truppen einen  monatelangen und quasi ergebnislosen Belagerungskrieg gegen die französische Stadt Verdun. Bis heute wird in Verdun an diesen Tag erinnert, und diese Erinnerung verhindert hoffentlich, dass Menschen gleichgültig werden gegenüber Krieg und Gewalt.

Nun werdet ihr fragen. Na und? Vor 100 Jahren? Nicht mal mein Großvater war daran beteiligt, was habe ich damit zu tun?

2: Heute vor 3 Wochen kam Manfred aus der Kur zurück. Burnout, war die Diagnose gewesen, eine ‚Erklärung‘ dafür, dass er nicht mehr er selbst war. In der Kur lernte er, auf sein eigenes Leben zu schauen. Er hat sich erinnert an all das, was ihn zum Zusammenbruch  geführt hat. Die Ausbildung, der Beruf, Familie und Haus, dann die Krise, Frau und Kind sind ausgezogen, in der Firma hat er umso verbissener seinen Mann gestanden, und dann ist er zusammen gebrochen.

Nun werdet ihr sagen: na und, es wird einen Grund gegeben haben für die Krise…

3: Heute vor 14 Jahren kam Nathalie zur Welt. Sie war vom ersten Tag an körperbehindert. Für die Eltern ein Sorgenkind. Immer schon fühlt sie sich isoliert. Wenn ihre Klassenkameradinnen Sport haben, schaut sie zu. Gehen die anderen shoppen,  bleibt sie im Rollstuhl sitzen. Und die mitleidigen Blicke, das gekünstelte Lächeln von Möchtegernverstehern erträgt sie schon lange nicht mehr.

Und nun werdet ihr sagen, naja, wir haben ja auch unsere Probleme…

Heute geht es  um das Erinnern. Was hat das, was war zu tun  mit dem was ist und dem, was morgen sein wird. 

Und bei all dem Erinnern  spielt heute der Apostel Paulus eine große Rolle. Von ihm stammt der Bibeltext für diesen Sonntag. Paulus erinnert uns. An den Gott der uns mit seinem Frieden durch das Leben begleitet. Paulus drückt das aber kompliziert aus.

Rö 5, 1-5

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Noch einmal:

Nochmal lesen als Collage /Echo-Text mit im Raum verteilten Sprechende: Person 1 liest den gesamten Text, unterbrochen jeweils von Person 2,3,4 mit dem Echo.

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus;    wir haben Frieden mit Gott!    Frieden mit Gott?    Frieden mit Gott!

durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Wir stehen in der Gnade.   Wir stehen in der Gnade?   Wir stehen in der Gnade!

Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Bedrängnis bringt Geduld

Geduld aber Bewährung, Geduld bringt Bewährung

Bewährung aber Hoffnung, Bewährung bringt Hoffnung

Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Gottes Liebe in unseren Herzen. Gottes Liebe? Gottes Liebe!

Ein Satz bleibt bei mir besonders im Ohr. Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.

Nehmen wir diesen einen Satz einmal als Folie, auf der wir unser Leben ansehen. Oder die drei Geschichten von eben.  Vielleicht wird dann das theologisch abstrakte greifbarer.  Gedenke, erinnere dich, Mensch, zwischen dir und Gott ist Frieden. Den musst du nicht jeden Tag neu machen. Der Friede ist schon da.

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.

Der Satz also als Folie unter unserem Leben. Durch all die Höhen und Tiefen, die Freuden und Katastrophen unseres Lebens hindurch: Wir haben Frieden mit Gott. Dieser Frieden ist schon da, vor uns sozusagen. Wir machen ihn nicht. Gott macht ihn. Wir haben Frieden mit Gott. Trotz und in allem.

Und jetzt  folgen die vielen großen Worte, für die Paulus so bekannt ist.

Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung.

Lassen sich die großen Worte auch zusammen bringen mit  unserer Lebenswirklichkeit?  Erinnern wir uns an Verdun, an Manfred, an Nathalie.

Bedrängnis

Bedrängnis ist ein altes Wort für Not, Leiden. In Verdun haben sie gelitten, die Bewohner der Stadt, an der monatelangen Belagerung durch deutsche Soldaten. Heute leiden Menschen in Aleppo, fliehen aus Angst vor einer Belagerung, aus Angst vor dem Tod. Bedrängt.

Bedrängnis empfindet Manfred, wenn er in sein leeres Haus zurückkehrt und die Kinderzimmertür öffnet. Da stehen noch die Spielsachen, das Bett, die Bilder hängen an der Wand. Das tut Manfred weh.

Bedrängnis empfindet Nathalie im Rollstuhl  immer, wenn sie auf Hilfe anderer angewiesen ist. Eine geschlossene Tür, eine Schwelle, der Gang zur Toilette in fremden Gebäuden.

Noch ein großes Wort:

Geduld

Geduld haben die Menschen im ersten Weltkrieg aufbringen müssen, Geduld bis zur Verzweiflung bringen Menschen an den aktuellen Kriegsschauplätzen auf, sie halten aus, was eigentlich nicht auszuhalten ist. Weil sie leben wollen. Weil der Überlebenswille stärker ist als die Verzweiflung.

Geduld muss Manfred aufbringen mit seinem Kind, das ihn bis heute ablehnt. So sehr hofft Manfred, dass sich das ändert. Dass sein Sohn einmal sagen wird: Ich verzeihe dir, Papa.

Geduld bringt Nathalie vor allem für ihre Eltern auf. Wenn sie sie wieder wie ein kleines Kind bemuttern. Wenn sie ihr etwas nicht zutrauen. Wenn sie sie zum wiederholten Mal mit dem Auto von der Schule abholen, obwohl Nathalie doch endlich Freundinnen hat, die den gleichen Weg fahren.

Und dann: Bewährung

Das Wort kennen wir aus der Rechtssprechung: 3 Jahre auf Bewährung,  eine Zeitspanne in der sich etwas oder jemand bewähren muss.  Aus der Geschichte in Verdun haben die folgenden Generationen  gelernt zumindest dort in Verdun wird das Gedenken an die Opfer bewahrt und die deutsch-französische Aussöhnung hoch gehalten. Das gemeinsame Gedenken hat sich bewährt.

Vielleicht  ist Manfred bei seinem Sohn auch ‚auf Bewährung‘,  und es gibt irgendwann eine Annäherung zwischen den beiden.

Nathalie muss jeden Tag neue Bewährungsproben bestehen. Über mitleidige Blicke hinwegsehen. Hindernisse überwinden, Pläne schmieden und sie als unrealisierbar wieder verwerfen. Und dabei den Kopf oben behalten.

Und schließlich: Hoffnung

Die erschütternden Nachrichten aus Syrien sprechen nicht für Hoffnung.  Und doch denke ich, dass das Erinnern an die Schrecken der Kriege Europa wach hält und verhindert, dass leichtfertig kriegerische Auseinandersetzungen riskiert werden.

Manfreds Hoffnung leuchtet in seinen Augen, wenn er sich an den einen Urlaub mit seinem Sohn erinnert.

Nathalies Hoffnung  wird sich in den nächsten Wochen erfüllen: Sie wird mit ihren Freundinnen gemeinsam konfirmiert. Zum Segen werden sie zusammen vor den Altarstufen knien und sitzen, ganz selbstverständlich.

Bedrängnis bringt  Geduld, Geduld bringt Bewährung, Bewährung bringt Hoffnung. Und dann münden diese großen Worte in der Liebe. Denn, so sagt Paulus, die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen.

Nicht, dass jetzt alles mit dem Mantel der Liebe verdeckt wird, was vorher noch da war an Schmerz und Hoffnung. Nein, da schreibt einer so abstrakt, der doch  Bedrängnis und Leid erlebt hat. Paulus klammert nicht aus, dass das Leben von Christen leidvoll und mühselig sein kann. Aber er legt gleichsam unter dieses harte Leben die weiche Folie: Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.

Gedenke also, Mensch, der Liebe deines Gottes. Und wenn du verzagt bist und in Bedrängnis, dann erinnere dich an Gottes Barmherzigkeit, und dann erinnere auch Gott an seine Barmherzigkeit.

Vorhin  habe ich  von Verdun erzählt, und von Manfred und Nathalie. Vielleicht heißt Verdun auch nicht Verdun, Manfred nicht Manfred und Nathalie nicht Nathalie. Vielleicht werde ich heute angestoßen, mich  auch zu erinnern. Was hat das, was war zu tun  mit dem was ist und dem, was morgen sein wird.  Vielleicht, l.G. ist die Fastenzeit vor Ostern so eine Zeit des Erinnerns.  Erinnern kann weh tun, erinnern kann auch alte Kräfte neu wecken. Auf jeden Fall soll unser Erinnern getragen sein von der Folie: Wir haben Frieden mit Gott durch Jesus Christus.

Den Frieden mit Gott müssen wir nicht machen. Den Frieden mit Gott haben wir in Jesus Christus.

Treffend hat das Dietrich Bonhoeffer formuliert:

Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
so viel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.
 

Perikope
21.02.2016
5,1-5

Predigt zu Römer 5,1-5 von Lucie Panzer

Predigt zu Römer 5,1-5 von Lucie Panzer
5,1-5

Hand aufs Herz, liebe Gemeinde: Eigentlich geht es uns gut. Die allermeisten können nicht klagen. Wir leben in einem der wohlhabendsten Länder der Welt, in einer der wohlhabendsten Städte Deutschlands, in einer der wohlhabendsten Wohngebiete dieser wohlhabenden Stadt. Wir leben seit 70 Jahren in Frieden. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekord-Niedrigstand. Kein Kind bei uns muss mehr an Diphterie sterben oder an Mumps, schon gar nicht am Hunger, keine Frau mehr am Kindbettfieber. Die meisten Krankheiten kann man wenigstens lindern. Natürlich, noch ist nicht alles gut, der Wohlstand sehr ungleich verteilt, noch immer nicht alle Krankheiten besiegt. Und viel Unglück gibt es, weil Menschen sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Aber trotzdem: Verglichen mit den Generationen vor uns in unserem Land, verglichen mit den Menschen in anderen Ländern, geht es uns unverdient gut.

Manchmal schaue ich mich um in meinem Leben und denke: Was für eine Gnade!

Ich nehme an, genau das wollte der Apostel Paulus den Christen in Rom deutlich machen. In Zeiten, die viel unsicherer waren als unsere, es gab große Armut, man starb an Tuberkulose und den Pocken, das Durchschnittsalter war so irgendwo Mitte 30. In Rom waren die Christen von ersten Verfolgungen bedroht. Trotzdem schreibt Paulus ihnen in seinem Römerbrief: Eigentlich geht uns Christen doch gut. Und wir haben Hoffnung, dass es noch besser wird. Hoffnung auf die kommende Herrlichkeit Gottes.

Ich lese vom Predigttext, zuerst einmal die ersten beiden Verse: Rö 5, 1+2

Wir haben Shalom. Es geht uns gut.

Wir haben Frieden, sagt er den Christen in Rom. Frieden. Shalom. Das ist der umfassende Zustand von Glück und Wohlergehen, den Paulus der Jude, als Geschenk empfunden hat. Wir haben das Jesus Christus zu verdanken, schreibt er. Er hat es uns möglich gemacht, im Shalom zu leben. Was für eine Gnade.

Ja, Paulus schreibt sogar: Wir stehen in der Gnade. Wie in einem geschützten Raum stehen wir in der Gnade Gottes und es geht uns gut. Paulus hat das für die christlichen Gemeinden ganz real gemeint. Inmitten der gewalttätigen Welt leben wir nach neuen Maßstäben, in einer Welt des Friedens. Und wenn ich Paulus recht verstehe, dann meint er: das kann in unseren Gemeinden wirklich erlebt und erfahren werden. Die Christen haben sich um Ausgleich der sozialen Gegensätze bemüht, arm und reich, upper class oder prekäre Verhältnisse, das spielte in der Gemeinde keine große Rolle. Gastfreundschaft wurde groß geschrieben, man sorgte nach Kräften für die Armen und Konflikte versuchte man friedlich zu lösen. Christen stehen einander bei auch das zu ertragen, was einem allein zu schwer ist. Die Liebe ist die größte unter den christlichen Tugenden, hatte Paulus eingeschärft. Er ging davon aus, dass in den christlichen Gemeinden Gottes schöne neue Welt schon spürbar werden konnte. Trotz Kindersterblichkeit und Armut und Bedrohung durch Christenverfolger.

Einwand: Es gibt Grund zur Sorge. Kaum Grund zur Hoffnung

Aber, liebe Frau Panzer, denken Sie jetzt vielleicht, da hat Paulus sich doch was vorgemacht. Sich und erst recht den Gemeinden, denen er seine Briefe schreibt. Er kann doch nicht einfach so tun, als ob es das andere nicht gäbe: Mütter, denen damals jedes Jahr ein Kind gestorben ist, Väter, die in den Verliesen der Staatsgewalt verschwanden, Gefängnis und Tod, nur weil man Christ war, ein paar wenige Superreiche und Mächtige in der Stadt und alle anderen waren rechtlos und Sklaven?

Das konnte Paulus doch damals so wenig übersehen wie wir heute unsere Situation: Krieg und Gewalt im Nahen Osten, das reichste Prozent der Weltbevölkerung – das sind ungefähr 70.000 Menschen – besitzen mehr als die übrigen 99 Prozent (also fast 7 Milliarden) zusammen. Millionen Menschen auf der Flucht, viele davon bei uns im Land, die Probleme, die das bringt, muss ich nicht aufzählen. Die Menschen auch in unserer Stadt machen sich Sorgen und haben Angst vor der Zukunft – wahrscheinlich nicht anders als die Menschen in Rom zur Zeit des Paulus. Und der schreibt: Eigentlich geht es uns doch gut! Und wir haben Hoffnung. Aber nichts von Sorgen und Angst.

Paulus kennt einen Weg aus der Angst

Stimmt aber gar nicht. Paulus kennt die Angst und die Sorgen. Er schreibt auch von Not. Von Leid. „Trübsal“ übersetzt Luther. Paulus weiß, wie einem das zu schaffen machen kann. Paulus kennt die Einwände gegen sein: Eigentlich geht es uns doch gut. Die Einwände gegen die Hoffnung, die einem Kraft gibt: einmal wird Gottes Herrlichkeit über uns aufgehen. Wie soll einer an so einer Hoffnung festhalten, wenn es allen Grund gibt, sich Sorgen zu machen?

Paulus kennt diese Einwände, Und er zeigt einen Weg, wie man aus Trübsal zu Hoffnung und zu neuer Kraft kommt. Die fällt ja nicht einfach vom Himmel. Paulus macht klar: Das ist richtig Arbeit!

Ich lese ihnen vom Predigttext die Verse 3 bis 5

Was hilft aus der „Trübsal“

Trübsal lehrt durchzuhalten. Trübsal lehrt Geduld, übersetzt Luther. Aber Paulus meint mehr, als passives Dulden, bis es vorbei ist. Nicht mal eine Grippe muss man einfach bloß aushalten und abwarten. Sogar da kann man manches tun, dass es erträglicher wird, dass es nicht verschleppt wird und immer schlimmer, dass man schneller wieder auf die Beine kommt und vor allem: dass es einen nicht gleich wieder erwischt. Also nicht aufgeben: Ich habe ja immer so ein Pech, jetzt habe ich mich schon wieder erkältet. Sondern inhalieren und Tee trinken, wenn es sein muss Bettruhe oder Obst und frische Luft und Bewegung. Dann geht es einem bald wieder gut und oft sogar besser als vorher.

Und das gilt erst recht für die großen und existentiellen Krisen. Manche werden aus der Bahn geworfen, geben auf, werden depressiv, entwickeln posttraumatische Belastungsstörungen. Und andere verarbeiten dieselbe Notlage relativ problemlos. Manche Menschen scheinen an existentiellen Krisen sogar zu wachsen und innere Stärke zu gewinnen. Natürlich kann ich jetzt nur die prominenten Beispiele nennen  - aber wahrscheinlich kennen Sie auch Menschen in ihrem persönlichen Umfeld, für die das gilt.

Prominent ist Nelson Mandela, der nach 27 Jahren Haft Präsident in Südafrika geworden ist und das Apartheitsregime überwunden hat. Oder Malala Yousafzai, der die Taliban in den Kopf geschossen haben und sie setzt unbeirrt ihren Kampf für Mädchenbildung fort. Manchmal frage ich mich: Wo nehmen solche Menschen bloß diese Geduld her, diese Standhaftigkeit, die sie durchhalten und weitermachen lässt?

Resilienz

Resilienz nennt man neuerdings diese Kraft. Resilienz erspart einem nicht, dass etwas passiert, dass ein Unglück geschieht, dass es einen sogar selber trifft. Aber Resilienz hilft einem, die Trauer, die Sorge, die Angst, die mit solchem Unglück einhergehen, besser zu bewältigen. Resilienz hilft also nicht gegen die Probleme der Welt. Aber Resilienz hilft durchhalten.

Und wie gewinnt man Resilienz? Gesundheitspsychologen sagen: Beziehungen helfen. Menschen, die am besten schon in früher Kindheit erfahren, dass wenigstens ein Mensch für sie da war, an sie geglaubt und ihnen geholfen hat. Solche Menschen haben gute Aussichten, resilient zu werden. Das können Freunde sein, die Familie. Aber natürlich auch die Gemeinde, zu der man gehört. Dass andere mir zuhören, zu mir halten, für mich beten – das macht resilient. „Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand“ – dieses Vertrauen hat einer bekannten Protestantin Kraft gegeben, ihre Krise durchzuhalten und wieder auf die Beine zu kommen statt sich beleidigt, verletzt oder beschämt zurück zu ziehen.

Und da, denke ich, da können wir Christen einander helfen. Gerade wenn es uns unverdient gut geht, können wir anderen helfen, durchzuhalten, denen es nicht gut geht. Einander helfen durchzuhalten – wahrscheinlich ist das ein ganz wichtiger Teil von diesem Shalom, von dem Paulus spricht. Shalom heißt ja unter den Bedingungen unserer Welt nicht, dass alles gut ist. Shalom heißt viel eher, dass wir einander helfen können, durchzuhalten. Damit Menschen sagen können: Das schaffe ich! Und auf ihre Kraft vertrauen können, anstatt zu sagen: Das schaffe ich sowieso nicht. Wer so anfängt – der kann es am Ende wirklich nicht schaffen, fürchte ich. Paulus schreibt: dazu hat Gott uns seinen Geist geschenkt – damit wir durchhalten und es schaffen!

Was mir besonders aufgefallen ist: Paulus schreibt: Wir sind froh, auch über die Betrübnisse. Wie das? Sollte man nicht alles tun, die Schwierigkeiten des Lebens zu vermeiden? Ich jedenfalls versuche meistens, den Schwierigkeiten irgendwie aus dem Weg zu gehen. Mir scheint: Paulus weiß, dass die Durchhaltekraft, die Resilienz nur da wächst, wo ich mich dem Stress stelle und der Betrübnis. Wenn ich weglaufe, wenn ich die Augen verschließe, wenn ich mich einschließe, damit mir nur nichts passiert – dann können die Widerstandskräfte nicht wachsen. Wie bei der Grippe.

Durchhalten also, nicht mutlos aufgeben. Ich glaube: Dazu können wir einander helfen. Dazu brauchen wir Christen einander. Nicht dazu, einander in unseren Ängsten zu bestärken.

(Übrigens auch dazu, dem anderen zu sagen: Hör auf. So geht es nicht. Du machst dich kaputt. Wir müssen nach einem anderen Weg suchen. Auch das ist wichtig, dass einem das jemand sagt. Damit man sich nicht überfordert. Viel zu oft allerdings sage ich mir das selber: Gib auf – hat doch keinen Zweck. Da, fürchte ich, überwältigt mich dann einfach meine Mutlosigkeit. Und am Ende bin ich frustriert, weil ich wieder mal nicht geschafft habe, was ich mir vorgenommen hatte)

Durchhalten macht ein gutes Gefühl

Denn, schreibt Paulus, das ist ja das Nächste. Wer durchgehalten hat, der kriegt ein gutes Gefühl. Dieses Gefühl: Ich hab es geschafft. Wir haben es hingekriegt. Ich hab durchgehalten. Durchhalten schafft Bewährung. Beim Fasten kann man das beobachten. Im Radio wurde ein Moderator gefragt, ob das nicht eine furchtbar schwere Zeit ist, wenn er sich jetzt vorgenommen hat, 7 Wochen auf sein Feierabendbier zu verzichten. Nein, hat er gesagt, überhaupt nicht, im Gegenteil: Es ist ein tolles Gefühl, wenn man da an etwas arbeitet und jeder Tag gibt einem mehr das Bewusstsein: Ich schaff‘s. Ich kann’s! Und die Ärzte bestätigen das: Fasten wirkt grundsätzlich gegen depressive Phasen und es sind grundsätzlich mehr Glücks- als Stresshormone im Körper unterwegs. Wenn man durchhält und sich bewährt, das ist ein tolles Gefühl. Auch in den großen Krisen, die einen treffen können: Da reden Menschen nicht länger davon, dass sie passiv und hilflos Opfer geworden sind. Opfer einer Krankheit, eines Krieges, Opfer eines Verbrechens. Sondern sie begreifen sich als Überlebende. Ich habe überlebt. Ich bin stark. Ich habe es geschafft. Ich habe durchgehalten.

Manchmal denke ich, genau das ist es, was den einen Aussätzigen, der zu Jesus zurück gekommen ist, von den 9 anderen unterscheidet. Die bleiben Opfer. Die haben Angst, dass ihnen bei nächster Gelegenheit wieder etwas passiert. Der eine hat die Krise überlebt. Das ist anders. Er fühlt sich jetzt stark. Er kann hoffen. Wenn es wieder einmal schwierig wird: Er weiß – Gott wird mir beistehen. Jesus sagt: Diesem einen hat sein Glaube geholfen. Paulus sagt, ein bisschen abstrakter: Bewährung bringt Hoffnung.

Bewährung bringt Hoffnung

Hoffnung auf Gott. Hoffnung, die nicht darauf angewiesen ist, dass alles so bleibt, wie es ist. Weil es uns jetzt ja gut geht. Und wir uns sorgen, dass es anders werden könnte. Hoffnung, die aus der Bewährung kommt, die vertraut auf Gott. Die weiß: Es werden Krisen kommen. Aber Gott wird mit uns gehen. Er wird seine Liebe auf uns ausgießen und sein Heiliger Geist wird uns beflügeln. So werden wir uns bewähren, auch in kommenden Krisen. Und müssen die Hoffnung nicht aufgeben.

Dazu schenke Gott uns seinen Geist.

Amen.

Perikope
21.02.2016
5,1-5

Standhaft, zuversichtlich, voller Hoffnung - Predigt zu Römer 5,1-5 von Jens Junginger

Standhaft, zuversichtlich, voller Hoffnung - Predigt zu Römer 5,1-5 von Jens Junginger
5,1-5

Standhaft, zuversichtlich, voller Hoffnung

Glauben, der Resignation zum Trotz.
Hoffen, den Gegebenheiten zum Trotz.
Handeln, der Angst zum Trotz.
Leben, aller Sorge zum Trotz.

Von Menschen, die auf ihre ganz besondere Weise diese Haltungen verkörpert und gelebt haben erzählt der Publizist Christan Nürnberger. Mutige Menschen nennt er sie.
Er erzählt von Frauen und Männern, die den Mut hatten Hitlers Pläne zu durchkreuzen, Befehle zu verweigern, Menschenleben zu retten:
Er erzählt von Menschen, die den Mut zeigten manche Dinge anders zu sehen, etwas Neues zu wagen, die den Mut hatten mit einer Tradition zu brechen oder einer Übermacht die Stirn zu bieten:
Von 24 mutigen Persönlichkeiten erzählt er. Und doch ist es nur eine Auswahl von weit mehr Menschen, die es gab und gibt, zu allen Zeiten.
Aber einfach mal 24 Namen mit ihren mutigen Lebensgeschichten gebündelt vor sich zu haben, von Menschen, die sich nicht beugen ließen, die für etwas eingestanden sind, das hat was. Das ist wie ein Kraft- oder Energiebündel, das Faszination auslöst, heilige Begeisterung. 

Zugleich frage ich mich:
Kennst du selbst nicht vielleicht auch so jemand?
Jemand, der nicht so bekannt ist und vielleicht ganz unscheinbar der Resignation, der Angst, der der Sorge die Stirn zeigt, der Hoffnung und Zuversicht ausstrahlt?

Der mir eingefallen ist, ist Fußballtrainer einer Flüchtlingsmannschaft.
Kritisch, skeptisch wird er manchmal beäugt, sagt er. Warum er gerade Flüchtlinge trainiert. „Ich mach‘s weil‘s mir Spaß macht und weil es den Jungs gut tut“.
Und er freut sich über die Turniere, zu denen er Vereins- und Firmen- und weitere Flüchtlingsmannschaften gewinnt. Er gibt sich rein, allem abfälligen Geschwätz zum Trotz. Das steckt an.

Indem wir von solchen mutig trotzigen Menschen hören, von ihnen erzählt bekommen oder lesen, lassen wir uns unser Wissen anreichern und speisen unsere Hoffnungsquellen, angesichts unserer mitunter schwankenden inneren Gewissheit.

Das Gefühl der Ohnmacht und Verunsicherung ist oft so viel stärker, dass wir starke innere Bilder und Gewissheiten brauchen.
Unglaubliche Geschichten von mutigen, standhaften, trotzigen Menschen. Die brauchen wir.
Damit das manchmal beinahe erstickende Pflänzchen Hoffnung immer wieder gewässert wird. Damit der mitunter gerade noch glimmende Docht frischen Wind bekommt um neu Feuer zu fangen.
Die kürzlich ausgezeichnete Journalistin Dunja Hayali gehört für mich zu solchen trotzig mutigen Menschen. Sie hat die auf Facebook geschriebenen persönlichen Anfeindungen und die beleidigenden Hassbotschaften veröffentlicht. Sie hat sich an prominenter Stelle als gebürtige Irakerin klar und mutig öffentlich dagegen positioniert.
Und von noch einem möchte ich erzählen:  
Das Leben kann man nicht verlängern, aber man kann es verdichten – so beschrieb der kürzlich verstorbene Roger Willemsen seine Lebensphilosophie, mit einer abgewandelten Selbstaussage Jesu (Vgl. Mk 8,35 par). Der umtriebige, selbstlose und hoch engagierte immer sprudelnde Intellektuelle, verstand sich selbst als ein Mitarbeiter an einem Engagement des radikalen Liebens. Bei Amnesty International, Care, in und für Afghanistan.
Du würdest keinen anderen in mir finden als jenen den du kennst, sagte er geradlinig und ungebrochen, noch vor kurzem in seiner stets trotzig schwärmerischen Haltung. Und fügte hinzu: Es sei Zeit für einen energischen Aufstand.[1]
Von solchen Menschen zu erzählen, das sind wir uns selbst schuldig. Das sind wir erst recht Menschen schuldig, die bisweilen davon überzeugt sind, Glaube, Liebe, Hoffnung habe keinen Sinn mehr.
Wir sind es uns schuldig, auch weil die überwältigende Macht der medialen Bilder und Botschaften, deren Anzahl stetig wächst, einen erschlägt.

Christenmenschen, so sagt Paulus, die der Resignation, der Angst und der Skepsis mit Zuversicht und Hoffnung entgegentreten, tun dies, weil sie aufgrund des Glaubens ihren Frieden haben, Frieden in Gott und mit Gott.
Er sagt es auf Grund seiner innersten Haltung heraus und aufgrund seiner persönlichen Erfahrung. Und er will diese Gewissheit weitergeben.
   
In Frieden mit Gott leben, sich im tiefsten Glauben von ihm angenommen, geliebt zu empfinden – egal was kommt. Das – und davon bin ich überzeugt -  das setzt Kräfte frei. Das stärkt die Zuversicht.

Ich erinnere mich an persönliche Begegnungen mit Menschen, bei Besuchen und Gesprächen, die diese unglaubliche Glaubenshaltung hatten und ausgestrahlt haben. Obwohl ihre Lage so schwer war, dass es mir selbst sehr schwer fiel die Situation und die Belastung mit auszuhalten.

Als von Gott angenommener Mensch Widrigkeiten und Anfechtungen standzuhalten, Zuversicht zu haben das umschreibt Paulus mit: Aufgrund des Glaubens Frieden in Gott und mit Gott haben.

Er führt seine Gedanken noch weiter aus. Er schreibt im 5.Kapitel des Briefs an die Freunde in Rom:

Weil wir also aufgrund des Glaubens als gerecht gelten,
haben wir
Frieden,
der auch bei Gott gilt.
Das verdanken wir unserem
Herrn Jesus Christus.
Durch den
Glauben hat er uns
den Zugang zur
Gnade Gottes ermöglicht.
Sie ist der Grund,
auf dem wir stehen.
Und wir dürfen stolz sein
auf die sichere Hoffnung,
zur
Herrlichkeit Gottes zu gelangen.
Aber nicht nur das.
Wir dürfen auch auf das stolz sein,
was wir gegenwärtig erleiden müssen.
Denn wir wissen:
Das Leid lehrt, standhaft zu bleiben.
Die Standhaftigkeit lehrt,
sich zu bewähren.
Die Bewährung lehrt zu hoffen.
Aber die Hoffnung macht uns nicht zum Gespött.
Denn Gott hat seine Liebe
in unsere Herzen hineingegossen.
Das ist durch den
Heiligen Geist geschehen,
den Gott uns geschenkt hat.


Trotz alledem!
Das könnte als Überschrift über diesem Abschnitt stehen.
Denn wer so inständig von der Hoffnung spricht, von Standfestigkeit, von Bewährung in gegenwärtigem Leid, der lässt erkennen, dass sich Resignation, Angst, Sorge breitmachen und dass Gefährdung in der Luft liegt.
Paulus setzt dagegen trotzig zuversichtliche Gelassenheit. „Weil Gott uns nicht gegeben hat den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“(2.Tim 1,7)

Das Gefühl, das Empfinden von Resignation, Angst, Sorge und Gefährdung liegt seit geraumer Zeit auch bei uns in der Luft, wenngleich die Situationen nicht unmittelbar vergleichbar sind.
Dennoch:
Da fliehen wieder Tausende aus Aleppo
Da stehen Tausende sehnsüchtig und Aufbruchbereit an der türkischen Mittelmeerküste
Sie hoffen auf Europa!
Es ist die Bewährung, die sie das Hoffen lehrt
und Ihr Leid, das sie lehrt standhaft zu bleiben.
Und da sind Tausende, die rufen nach einem bewaffneten Festung Europa, nach Stopp, nach Abgrenzung.
Ihre Bewährung lehrt sie auf Abgrenzung, auf Zurückweisung und auf eine national-völkische Gemeinschaft zu hoffen und zu setzen.
Sie leiden an Angst vor Überfremdung, Werteverlust, vor möglichem Jobverlust an weniger Wohnraum, an weniger staatlicher Sozialhilfe. Und das macht sie standhafter in der Entschiedenheit, im Hass und in der Gewaltbereitschaft
Und es sind wiederum Tausende, die leiden an der Hetze, an der aufheizten Stimmung, an fehlender Organisation und fehlendem Personal, am Mangel an Menschlichkeit.
Die Bewährung in dieser Lage lehrt auch sie das Hoffen und das Standhalten
Da ist Resignation, Angst und Skepsis gleich in mehrfacher Weise da.
Wir ahnen und spüren, dass da gerade etwas Historisches passiert.
Dabei geht es – so scheint es - weniger darum was wirklich ist, was real ist, wie die Fakten liegen. Viel entscheidender ist derzeit, was wird empfunden, gefühlt und was könnte evtl. zu erwarten, zu befürchten sein? 

Dem mit Zuversicht und Hoffnung zu widerstehen, das können wir als Christen als christliche Gemeinde, als Kirche – in dem wir uns von Paulus Gewissheit zusprechen lassen, uns vergewissern lassen,
dass wir den Frieden haben, und aus dem Frieden zuversichtlich und gelassen handeln können, dem Frieden, der bei Gott gilt.

Diesen Frieden – daran erinnert uns Paulus im weiteren - den verdanken wir unserem Herrn Jesus Christus.  
Nun, inwiefern?
Indem wir schauen, wie Jesus mit bedrängenden Fragen umging?
Ich bin ein Fremder gewesen, sagt er. Und: Ihr habt mich aufgenommen (Mt 25,31) und Jesus erinnert dabei an die Heiligen Schriften, wo es heißt:

Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken.
Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.
(Lev 19,33-34)

Die göttliche Zusage mit denen zu sein, die fliehen und eine neue Heimat suchen müssen, ist Ausdruck christlicher Nächstenliebe.
Wir aber tun uns schwer mit grenzenloser Gastfreundschaft.
Das soll uns für einen Moment innehalten lassen:

Ist es denn nicht so?
Man weiß doch nur, wer man selbst ist, wenn man sich der Unruhe der Fremdheit aussetzt. Und man lernt den eigenen Reichtum und den eigenen Mangel erst kennen, wenn man auf den Reichtum und den Mangel der Fremden stößt.
Wer unter sich bleiben will, bleibt unter seinen Möglichkeiten.
  
Als im vergangenen Sommer der Rapper Fard zur Flüchtlingsdebatte interviewt wurde, platzte ein kleiner Junge in die Video-Aufzeichnung: Der vierjährige Niklas.
Ob er schon im Kindergarten sei, wollte Fard von ihm wissen. Und ob es dort gut sei.
„Ja“, antwortet der Junge. „Sind da auch Ausländer?“, fragt Fard weiter. „Nein“, sagt Niklas, „da sind Kinder!“ [2]
Der Junge übersetzt, was Jesus meinte, wenn er sagte: Und ihr habt mich aufgenommen. Der kleine Niklas vermittelt uns den Frieden Gottes, aus dem heraus Christen entsprechend handeln.

Ein anderes Mal macht Jesus, nach einem langen anstrengenden Tag, die Erfahrung, dass eine Menge ihm hinterhergeht, obwohl er sich zurückziehen will. Sie sind nicht abzuschütteln. Sie haben nichts zu verlieren, weil sie einem Hoffnungsschimmer folgen. Es werden immer mehr.
Die Jünger beginnen sich zu sorgen: So viele Mäuler können wir nicht stopfen. So viele können hier nicht übernachten.  Mehr geht nicht!  Sie hielten es für besser, dass sie zurückgehen, wo sie hergekommen sind. Doch Jesus hat ein grenzenloses Vertrauen, Gottvertrauen.
Er sagt:
„Es ist nicht nötig, dass sie fortgehen; gebt ihr ihnen zu essen.“ Er blickte zum Himmel, so wird erzählt – und sah keine Grenzen. Nur das große Schöpferherz, das allen schenkt, was jeder und jede zum Leben braucht. Er sagte Danke für unser täglich Brot. Danke Gott, dass Du uns von der Sorge befreist, wir könnten es nicht schaffen, es könnte nicht für alle reichen.
Auch die Jünger merken, es ist gar nicht so wenig da, wie sie dachten. Und die Menschen, die kamen, haben auch selbst etwas zu geben.
Am Ende war viel mehr da, als sie dachten.
Es ist viel mehr da, als wir denken. Nur: Es ist es recht ungleich verteilt. Wenn wir gleicher verteilen, fairer, bekommen am Ende alle, was sie brauchen. Es reicht für alle.
In der Gemeinschaft werden wir wirklich satt.[3]
Halten wir im Glauben also daran fest, an diesen beiden einfachen klaren Sätzen:
Da sind Kinder. 

Und:
Es reicht für alle.

Standhaft, trotzig, mutig, zuversichtlich, voller Hoffnung
Aus der Gewissheit:
Aufgrund unseres Glaubens haben wir Frieden in Gott,
Aufgrund unseres Glaubens an Jesus,
an seine Hingabe, an seine Hoffnung
und an sein Handeln
haben wir Gnade.

Das ist der Grund, auf dem wir stehen.
Das macht uns Mut.
Das lässt uns
Glauben, der Resignation zum trotz
Hoffen, den Gegebenheiten zum trotz
Handeln, der Angst zum Trotz
Leben, aller Sorge zum Trotz
Fromme Träumerei, naive Weltsicht!
Mögen manche Vorwürfe lauten.
Sollen sie doch!
Die Bewährung lehrt zu hoffen.
Die Hoffnung macht uns nicht zum Gespött
.
Denn Gott hat seine Liebe
in unsere Herzen hineingegossen.
Das ist durch den
Heiligen Geist geschehen,
den Gott uns geschenkt hat.

Amen

 

 

[1] „Jörg, hier ist Frohsinn“; Die ZEIT, 11.02.2016; S.39

[2] Vgl. Ralf Meister, Andachtsimpuls, in: Themenheft zur Fastenaktion der Evangelischen Kirche, edition chrismon, Frankfurt 2015, S.37

[3] Vgl. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Andachtsimpuls, in: Themenheft zur Fastenaktion der Evangelischen Kirche, edition chrismon, Frankfurt 2015, S.35

 

Perikope
21.02.2016
5,1-5

Predigt zu Römer 5,1-11 von Rainer Stahl

Predigt zu Römer 5,1-11 von Rainer Stahl
5,1-11

Liebe Leserin und lieber Leser!
Liebe Schwestern und Brüder!

Diese Passage aus dem Römerbrief des Apostels Paulus gibt uns ein wichtiges Problem auf: das Problem der Zeit, genauer: das Problem unserer eigenen Zeit in Bezug zur Zeit Jesu Christi auf unserer Erde.

Vor Jahren hatte ich dazu eine Art spontane geistliche, ja: ich will das so sagen: „geistliche“ Eingebung. Im Juli 2002 war ich zu einem Wanderurlaub ganz oben im Ötztal in Tirol, in Obergurgel. An einem Tag haben wir eine Busfahrt hinüber nach Italien, nach Bozen, gemacht. Dort konnten wir das „Südtiroler Archäologiemuseum“ besuchen, in dem der „Mann aus dem Eis“, der so genannte „Ötzi“, ausgestellt ist: die Mumie dieses über 5.000 Jahre alten Mannes, der an der Flanke des Similaun gefunden worden war. Wir sind nach dem Museumsbesuch auch wieder in Richtung Österreich zurückgefahren und zum Similaun-Pass aufgestiegen. Am Tag danach, dem 18. Juli 2002, ging es zur Fundstelle dieses Mannes aus der Steinzeit auf 3.300 Metern Höhe. Nun aber zurück zum Museumsbesuch: Dort sind die Geräte ausgestellt, die bei ihm gefunden worden sind, auch seine Fellkleidung. Und dann ist da die Wand mit einem Fenster, hinter dem in einem speziell klimatisierten und temperierten Raum der Gefundene liegt. Vor mir war eine Schülergruppe von vor allem Mädchen, die wegen des nackten Mannes herumkicherten. Dann konnte ich an das Fenster treten, sehe den Mann da liegen und denke nur eines – völlig unvorbereitet, ganz spontan –: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes.“ Mit diesem Bekenntnissatz sprechen wir unsere Glaubensüberzeugung aus, dass Christus auch für diejenigen gestorben und auferstanden ist, die zeitlich vor ihm gelebt haben, also auch für diesen Mann, der 3.000 Jahre vor Christus in den Alpen umgekommen war. Christus hat den Zeitunterschied zu denen vor sich überbrückt. Sie sind auch einbezogen in die Einladung zu seinem Heil, in die Gemeinschaft mit Gott.

Paulus ringt in unserem Abschnitt seines Briefes an die Gemeinde in Rom mit demselben Problem: Er spricht mit seinem Brief aus dem Jahr 56 nach Christus Menschen an, die vielleicht in den Jahren 10 vor Christus bis 25 nach Christus geboren sind – und er rechnet sich selbst mit hinzu, gehört er ja diesen Generationen mit an. Für ihn, für diese alle, gilt schon rein zeitlich: Sie sind vor dem Kreuzestod Jesu geboren, sie schauen also auf lange Jahre zurück, in denen sie noch nichts von Gottes Liebe in Jesus Christus ahnten, in denen sie noch – wie Paulus schreibt – „Sünder waren“, in denen sie noch – ein anderer Ausdruck des Paulus – „Schwache waren“.

Christi letzter Schritt seines Lebens auf unserer Erde für uns Menschen war ein Schritt gerade ohne jede Voraussetzung auf unserer Seite. Er hat sich für uns geopfert, als wir dieses Opfer noch gar nicht verstehen konnten – bitte: „verstehen“ mit ganz starken Anführungsstrichen geschrieben (!) –, als wir überhaupt noch nicht ahnen konnten, dass dieser Tod ein Opfer für uns war!

Hier müssen wir noch etwas bei unserem Nachdenken bleiben: Die Menschen, die Jesus von Nazaret erlebt haben, die geheilt worden sind, die von einer Heilung durch ihn gehört hatten, die wunderhaft mit Nahrung versorgt worden waren – mit ausreichender Nahrung, die satt gemacht hatte (!) –, die seine Predigten gehört hatten – die waren vielleicht ein wenig vorbereitet. Wie die beiden Jünger, die nach seiner Kreuzigung auf dem Weg nach Emmaus waren und dem sie begleitenden Fremden – in Wahrheit dem Auferstandenen (!) – erzählten: „Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde“ (Lukas 24,21). Aber gerade, dass sein Tod Bedeutung für sie hat, das hatten sie nicht verstanden. Also, auch für sie gilt diese große Einsicht des Paulus: Christus ist für uns gestorben, als wir noch schwach waren, noch sündig, also: noch ohne Zugang zur innersten Gemeinschaft mit Gott waren, noch ohne Zugang zur Einsicht in den Rettungswillen Gottes.

Und genauso gilt diese Situation für Paulus selbst, der während des Opferleidens Christi als Saulus in Tarsos gelebt hatte und nichts von Jesus wusste. Und sie gilt für alle in Rom, denen er schreibt, deren Eltern vielleicht das Reich des Herodes verlassen hatten und in die römische Hauptstadt umgezogen waren, um dort ihr Glück zu machen: Als sie alle noch Ahnungslose waren, da hat Gott in Jesus Christus schon das Wichtigste und Entscheidendste für sie getan! Das hat Paulus wie in einer Offenbarung begriffen. Wie es mich angesichts des „Ötzi“ im Sommer 2002 in Bozen überfallen hat.

Nun aber stellt sich die große Frage: Wie ist das bei uns Nachgeborenen? Die wir vielleicht als ganz kleine Kinder getauft wurden. Die wir dadurch überhaupt keine Entschuldigung haben: Denn lange vor meinem Leben und lange vor meinem Getauftsein ist Christus gestorben. Was ist dann, wenn ich diese große Rettungstat nicht auf mich beziehe? Wenn sie mich nicht interessiert? Wenn ich sie ablehne?

Eine Lebenssituation ist ganz einfach: Wenn ich von diesem großen Angebot nichts gehört habe, nichts begriffen habe, nichts verstanden habe, dann bin ich in der gleichen Situation wie Saulus, wie seine Adressaten in Rom, wie der „Ötzi“. In dieser Lebenssituation ist Christus auch für mich gestorben, als ich noch nichts von Gott wusste, als ich noch „Schwacher“ war. Und dies, obwohl ich erst lange nach seinem irdischen Leben geboren bin!

Aber wie ist es mit mir persönlich? Mit Euch hier in den Kirchenbänken in Český Těšín? Mit Ihnen an den Computerbildschirmen, die Sie diese Predigt lesen?

Vielleicht kann uns mein eigenes Leben einen Hinweis geben: Ich wurde im März geboren, musste dann sofort in eine Frühgeburtenklinik und konnte erst im Juni getauft werden. Vorher war ich für diese Feier tatsächlich zu schwach. Ich kann also bezogen auf mein persönliches Leben sagen: Christus ist für mich gestorben, als ich noch schwach war. Ich bringe keinerlei Voraussetzungen mit. Ich kann nur – und das ist ganz wichtig – dieses Opfer als reines Geschenk annehmen. Und ich versuche auch immer wieder ein solches voraussetzungsloses Annehmen dieses Opfers.

Das bleibt nämlich auch nach unserer Taufe. Hier müssen wir die Kategorie „Zeit“ verlassen. Jetzt haben wir uns der Kategorie „Wesen“ zu stellen. Dieses Opfer ist von einer Art, dass es keine Annäherung daran von unserer Seite aus geben kann. Keine hinführende Leistung. Keine Aktivitäten, die etwa so etwas wie eine Mitwirkung wären!

Deshalb beginnt Paulus unseren Briefabschnitt mit der grundlegenden Feststellung: „Als aus Glauben Gerechtfertigte haben wir Frieden mit Gott auf Grund des Opfers unseres Herrn Jesus Christus“ (Vers 1).

Deshalb ist es wichtig, sich auf Jesus Christus zu konzentrieren, sich auf ihn zu beziehen, ihn anzusprechen, ihm mit völlig leeren Händen zu vertrauen, um Hoffnung haben zu können in der Stunde des Todes.
Amen.

„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“
 

Perikope
21.02.2016
5,1-11

Gott nimmt den Druck vom Herzen - Predigt zu "7 Wochen Ohne" von Susanne Breit-Keßler

Gott nimmt den Druck vom Herzen - Predigt zu "7 Wochen Ohne" von Susanne Breit-Keßler
8,38-39

"Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge"

Eröffnungsgottesdienst der evangelischen Fastenaktion in Nassig-Wertheim

 

Mit seiner unnachahmlichen Handschrift hat er mir einen Zettel geschrieben. Mein bester Freund, Martin. Es war kurz vor einer Flugreise. Und, liebe Gemeinde, ich fliege nicht gerne. Was alles passieren kann – meine Phantasie und die Realität haben leider keine Grenzen. Martin gab mir diesen Zettel hier. Darauf steht: "Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn." (Römer 8,38-39)

 

Ich habe den Zettel in meinen Geldbeutel gepackt – in ein extra Fach. Da liegt er seit Jahren. Damals hat mir dieses Bibelwort geholfen, getrost meine Reise anzutreten. Getrost, nicht furchtlos – denn natürlich habe ich mir immer noch meine Gedanken gemacht. Aber es war mir nicht mehr gar so eng ums Herz. Das Bibelwort, das mir mein Freund aufschrieb, dieser Denk-Zettel, hat alle meine Sinne, meinen Horizont geweitet: Nichts kann mich letztlich trennen von Gott. Dieses Vertrauen – das brauche ich. Dringend. Und täglich erinnere ich mich daran.

Ich erinnere mich daran – gerade weil dieses Vertrauen zutiefst erschüttert werden kann. Das schreckliche Zugunglück in meiner bayerischen Heimat, in Bad Aibling, erfüllt mich mit tiefer Trauer. Ich bitte Gott, dass er bei den Angehörigen ist, bei den Verletzten. Bei den Rettungskräften, bei Polizei und Feuerwehr, bei den Seelsorgenden, die alle mit den Bildern in ihrer Seele fertig werden müssen. Ja, gerade jetzt schaue ich wieder auf meinen Zettel und lese ihn mir vor: Ich bin gewiss, dass nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes.

Er ist da, wenn ich nicht zurechtkomme, wenn ich mich sorge um mich oder meine Liebsten, wenn es mit meinem oder ihrem Leben tatsächlich irgendwann zu Ende ist. Es gibt eben vieles, das einem Angst machen kann, wo einem richtig eng ums Herz wird... Die Liste der Kriege und Krisen, der gesellschaftlichen Herausforderungen und persönlichen Nöte ist lang. Das alles ist wahrlich nicht leicht zu ertragen. Ich weiß von mir und selbst vielen anderen Menschen, dass ihr Lebensgefühl derzeit aus gutem Grund nicht gerade gegen Himmel hoch jauchzend tendiert.

Was würde geschehen, wenn wir einen solchen Denk-Zettel wirklich im Herzen mit uns tragen? Wenn wir ihn in Trübsal, Angst, Verfolgung oder Gefahr mit Leib und Seele durchbuchstabieren? Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Das ist tiefes Vertrauen. Es verscheucht Enge. Es macht ein großes Herz, wie unsere Fastenaktion sagt. 

Klar: Ich weiß schon, dass man Vertrauen manchmal nicht in großen Portionen hat und das Herz nur zögernd aufmacht. Vertrauen muss wachsen. Es ist manchmal nur leise, tastend. Kann nicht größer sein. Und dann wieder kommt es herzhaft oder trotzig daher: Nichts, nein nichts, null kann mich trennen von der Liebe Gottes. Das gibt die Kraft, schwere, leidvolle Situationen auszuhalten und irgendwann vielleicht zu bewältigen. Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes… So ein Versprechen macht das Herz groß und weit. Ahhh – und ich kann atmen…

Manchmal meint jemand: Es gibt keinen Ausweg in die Weite. Keine Chance für ein großes Herz. Doch! Es gibt eine Menge, was wir selbst tun können, damit unser Herz groß und weit wird. Denken wir daran, wie unser Land im letzten Jahr die Flüchtlinge willkommen geheißen hat. Das war grandios und kreativ. Anderes kriegen wir manchmal nicht so gut hin: Echtes Interesse zu haben für Partner und Kinder. Alten, langsam gewordenen Menschen mit Güte zu begegnen. Da ist unser Herz gelegentlich eng. Wir haben wenig Vertrauen ins Miteinander.  

Auch dieses Vertrauen – dass unsere Liebe Bestand hat, aus Söhnen und Töchtern etwas wird und die, die alt sind, uns so viel bedeuten können – es muss wachsen. Auch dieses Vertrauen ist ein zartes Pflänzchen, darf mal zaghaft sein. Kann trotzig herausposaunt werden: So, wie mich nichts trennen kann von der Liebe Gottes, soll mich nichts trennen von meinen Liebsten, von denen, die mich brauchen. Auch nicht Angst, Enttäuschung, Sorge, Streit. Solches Vertrauen kann wirklich helfen, das Herz wieder groß und das Miteinander weiter zu machen.  

Wer sich und anderen Zeit gönnt, wenn das Herz eng ist, der wird irgendwann den Umschwung spüren. Es braucht Geduld… und das in einer schnelllebigen Zeit, die ein zügiges Funktionieren verlangt. Da müssen wir hartnäckig Widerstand leisten. Im Alten Testament mit seinem Gespür für den Zusammenhang unseres Lebens mit allen inneren Organen wird das Herz als Sitz nicht allein von Gefühlen beschrieben. Wenn die Bibel vom Herzen spricht, dann meint sie auch alles, was wir mit Kopf und Hirn verbinden: Unsere Vernunft, den Verstand, die Fähigkeit zu erkennen.

Herz, das sind unsere Einsicht und unser Gedächtnis; das, was wir wissen und wollen, worüber wir nachdenken und urteilen, woran wir uns orientieren. Die Frage nach einem großen Herzen ist die Frage nach dem ganzen Mann, der ganzen Frau. Ein großes Herz: Das ist die Fähigkeit, zuzuhören, nachzudenken und anderen beizustehen, wenn sie leiden. Ein Mensch mit einem engen Herzen schottet sich ab, macht dicht. Einer mit großem Herzen ist hellwach für die Wirklichkeit. Er oder sie weiß um die Sorgen anderer, nimmt Anteil und kümmert sich darum.

So wie es jetzt - Gott sei Dank - Menschen gibt, die denen nahe sind, die bei dem Zugunglück einen Angehörigen verloren haben. Viele Menschen zeigen in diesen schweren Tagen ein großes, ein mitfühlendes Herz. Ein solches Herz – das ist auch vergnügtes Lachen und echte Lebensfreude. Ein großes Herz ist Neugier auf Mensch und Gott. Was denkt die andere? Was fühlt er? Was treibt sie um? Woran glaubt er? Jemand mit einem großen Herzen freut sich mit anderen mit und gönnt ihnen alles, was sie haben. Einer mit einem weiten Herzen ist attraktiv – anziehend. Mit so jemand mag man gerne beisammen sein.

Aber es ist uns nicht immer danach, für alles offen  zu sein und Größe an den Tag zu legen. Dann, wenn das Herz eng ist, wenn wir hin und her gerissen sind zwischen Missmut, Ungeduld und erschöpfter Abwehr, dann hilft Gottvertrauen. Eines, in dem man nicht die Hände in den Schoß legt, sondern sie faltet und betet – so  weitet sich das Herz ganz allmählich. Zuerst merkt man oft gar nicht, wie einem wieder kleine Flügelchen wachsen, die irgendwann, nach langer Zeit, große Schwingen sind, mit denen man sich neu in ungeahnte, lichte Höhen erheben kann.

Übrigens: Nicht nur wir haben ein Herz. Auch Gott. Und ausgerechnet Hiob, der wirklich ein elend schweres Leben hatte, dem alles genommen wird, dieser Hiob staunt: "Was ist der Mensch, Gott, dass du so groß ihn achtest, und gar dein Herz auf ihn setzt?" (Hiob, 7,17). Eine bewegende Einsicht: Gott hat ein Herz. Und noch dazu ein Herz für uns – ist das zu fassen? Er hat uns, er hat Sie, er hat Dich auserwählt und uns fest in sein Herz geschlossen. Da wird es einem gleich warm ums eigene - an diesem Valentinstag heute… Gott feiert ihn mit uns ewig – aus lauter Liebe.

Gott hat uns Leben und Zukunft versprochen, die mehr sind als alles, was wir selbst schaffen können. Sehen tun wir das nicht immer. Aber wir können daran glauben, dass Gott sich mitnichten von uns abbringen lässt – nicht im Leben. Nicht im Tod. Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr, Schwert – alles, was der Apostel Paulus an einengenden Erfahrungen aufzählt, ist nach wie vor beinharte Wirklichkeit. Wir wissen das - und das kann das Herz immer wieder beklommen machen. Aber unser Glaube, unsere Liebe und Hoffnung sind größer als alles das.

Wirklich groß und offen wird unser Herz, wenn Kreuz und Schatten nicht weggewischt werden. Schmerzliche Erlebnisse sind der Hintergrund für die Weite, die sich mit Gott Bahn bricht. Ja, wir wissen um unseren gefährdeten Lebensraum, um bittere Erlebnisse persönlicher und gemeinsamer Geschichte. Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten, Engpässe in unserem Leben, ein wüstes Gedränge von Gedanken in unserem Kopf und Gefühlen im Herzen, das alles gibt es – genauso wie Angst durch das, was an Schrecken um uns herum und in unserer Welt geschieht.   

Und dennoch kann uns nichts scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Der leidenschaftlich lebt und liebt – bis ans Kreuz. Aus dem Glauben heraus ist es möglich, Enge und Angst hinter sich zu lassen und ein großes, hoffnungsvolles Herz zu bekommen. Verrückt? Ja, weil es die üblichen Maßstäbe verrückt. "Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein" hat Wolf Biermann in seinem Lied für Tochter Marie gedichtet. Und er singt: "Um deine Wiege drumherum / Wuchern die Waffenwälder / Du liegst im Schlachtfeld mittendrin…"

"Und trotzdem: "Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein / Marie, du dunkle Sonne / Dass wir dich warfen in diese Welt - / schlaf ein, du Dickmadonne / Schlaf ein mit einem hellen Traum / Von Milch und nassen Küssen / Du wirst noch bald genug aus deiner Wiege steigen müssen". Ja, wir müssen alle aus unseren engen Wiegen steigen – und dürfen in Gottes Namen vor Hoffnung verrückt sein, uns vom Fleck bewegen, uns mit Milch, mit Wein und Brot stärken und uns mit respektvoller Zärtlichkeit und liebevoller Fürsorge verwöhnen. Ein großes Herz…

Der Gott, der Steine von Gräbern wälzt, der kann den Druck von unseren Herzen nehmen und sie weit und groß machen. So, dass wir Luft zum Atmen haben und anderen den Raum zum Leben gönnen. Das Leben, die Weite haben einen Vorsprung bekommen. Sie laufen vorneweg, dem Tod und der Enge davon, lassen sich von ihnen nicht mehr überholen. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi. Das Leben eines jeden Menschen ist so viel wert, dass es niemals verloren gehen wird. Wer einer und eine ist, das ist aufgehoben bei Gott – für immer und ewig.

Amen.

Perikope
14.02.2016
8,38-39

Hingabe an Gott – der dem Wort entspringende Gottesdienst - Predigt zu Römer 12,1-3 von Bogislav Burandt

Hingabe an Gott – der dem Wort entspringende Gottesdienst - Predigt zu Römer 12,1-3 von Bogislav Burandt
12,1-3

Hingabe an Gott – der dem Wort entspringende Gottesdienst
 

Predigttext (in eigener Übersetzung):
Ich ermahne euch nun, Schwestern und Brüder, angetrieben durch die Barmherzigkeit Gottes: Bringt euch mit Leib und Seele als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dar. Das sei euer dem Wort entspringender Gottesdienst.
Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr ein sicheres Urteil darüber gewinnt, was der Wille Gottes ist: nämlich das Gute und ihm Wohlgefällige und das Vollkommene.
Aufgrund der Gnade, die mir gegeben ist, sage ich einem jeden unter euch: Denkt nicht höher von euch, als zu denken sich gebührt, sondern seid auf eine besonnene Selbsteinschätzung bedacht nach dem Maß des Glaubens, das Gott einem jeden zugeteilt hat.


Liebe Gemeinde,
Vor gut einer Woche haben wir die Menschen, die uns lieb und teuer sind, besonders gegrüßt. Gerade Weihnachten und der Jahreswechsel sind für uns in unserem Leben Einschnitte, an denen wir Kontakt suchen. Und so haben wir das unbekannte Gelände des neuen Jahres nicht betreten, ohne mit Familienangehörigen oder Freunden zusammen zu sein oder mit ihnen zu telefonieren. Auch E-Mails, Briefe und die gegenseitigen Geschenke dienen der gegenseitigen Wertschätzung und machen deutlich: Wir wollen miteinander verbunden bleiben.

Und wie steht es mit unserem Kontakt zu Gott? An Weihnachten haben wir von Gottes Gnade und Barmherzigkeit gehört, die uns in dem kleinen Kind in der Krippe zugute kommt. Und wie reagieren wir darauf? Der Apostel Paulus ruft uns folgendes zu: Ich ermahne euch nun, Schwestern und Brüder, angetrieben durch die Barmherzigkeit Gottes: Bringt euch mit Leib und Seele als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dar. Das sei euer dem Wort entspringender Gottesdienst.

In der Antike gehörte das Opfer ganz selbstverständlich zum Umgang mit den verehrten Gottheiten. Die Menschen suchten mit den heiligen Göttern in Kontakt zu treten, und sie taten dies, indem sie den Göttern Opfer darbrachten. Übrigens auch in Jerusalem, wo zur Zeit des Paulus im Tempel der Gott Israels verehrt und mit Opfern bedacht wurde. Wie gesagt: Opfern war normal. Die Opfergaben von Einzelnen und Gemeinschaften, sie dienten der Kontaktpflege zu den Göttern.

So gesehen haben die Christen in Rom, an die der Brief des Paulus geschickt wurde, sich über das Stichwort „Opfer“ nicht gewundert. Und sie hatten in den 11 Briefkapiteln vor unserem Text ja auch ausführlich dargelegt bekommen, was es mit der Barmherzigkeit Gottes durch Jesus Christus auf sich hatte:
Gott hat sich aller Geschöpfe erbarmt. Gott hat gegen die Dunkelheit von Bosheit, Sünde und Schuld seinen Sohn Jesus Christus in diese Welt gesandt. Er hat ihn gesandt, um Mensch und Kreatur von Angst und Todverfallenheit zu befreien. In Jesus Christus, in seinem Tod am Kreuz hat Gott sich selber als Opfer hingegeben für uns. Dadurch hat Gott neues Leben eröffnet, so dass nun gilt: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.

Von dieser Barmherzigkeit Gottes weiß Paulus sich angetrieben, so dass er seinerseits zu Opfern aufruft. Allerdings: Die Christen sollen sich selber als Opfer darbringen! Darüber freilich werden die Christen in Rom nicht wenig gestaunt haben. Und ihr Erstaunen reicht bis in unsere Zeit hinein! Statt eines toten Tieres sollen die Christen sich selber als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darbringen!

Was damit gemeint ist? Ich denke, Paulus geht es mit diesem Ausdruck um die menschliche Entsprechung zum Handeln Gottes. So wie Gott durch die Sendung seines Sohnes in diese Welt persönlichen Einsatz gezeigt hat, so sollen wir - auf menschliche Art und Weise - durch persönliche Hingabe an Gott unser Christsein bewähren. Das geht nur durch lebendiges Engagement von unserer Seite, darum das Stichwort „lebendig“.

Die persönliche Hingabe an den heiligen Gott verdient das Stichwort „heilig“. Damit schließt Paulus zugleich aus, dass irgendjemand, der nicht unser Gott ist, uns zu Opfern aufrufen darf. – Ich erspare Ihnen und mir die unerfreulich lange Geschichte vom Missbrauch des Begriffs „Opfer“...

Und schließlich soll unser Engagement Gott „wohlgefällig“ sein. Das Gute, das gefällt unserem Gott. Und „Wohlgefallen“ hat Gott an seinem Sohn, wie uns das Evangelium von der Taufe Jesu (Mt 3,17) erzählt. Das heißt: Wenn wir uns in unserem Tun an Jesu Worten und Taten orientieren, dann sind wir auf dem richtigen Weg; auf dem Weg, der Gott gefällt.

Persönliche Hingabe an Gott. Das sei euer dem Wort entspringender Gottesdienst, sagt Paulus. Gottesdienst ist eben nach christlichem Verständnis nicht das Opfern von Tieren oder gar Menschen. Sondern Gottesdienst hat es mit Wort und Antwort zu tun. Gottesdienst ist menschliche Antwort auf den Anruf Gottes, menschliche Antwort auf das Wort der Weihnachtsbotschaft, menschliche Antwort auf die mir von Gott zugesprochene Liebe. Gottesdienst ist nach christlichem Verständnis weder blinder Gehorsam oder das Ableisten von Ritualen oder Pflichten sondern menschliche Erwiderung des durch Gottes Barmherzigkeit eröffneten Gespräches.

Und diese Aussagen gelten übrigens sowohl für unseren Gottesdienst am Sonntag als auch für unseren Gottesdienst im Alltag der Welt. Die persönliche Hingabe gegenüber Gott, zu der Paulus aufruft, beschränkt sich nicht auf eine Stunde am Sonntagvormittag!

Möglicherweise wird jetzt der eine oder die andere ungeduldig und fragt, wie denn bitteschön die Aufforderung des Paulus umzusetzen ist: Bringt euch mit Leib und Seele als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dar. Diese Frage kann ich freilich nur an jeden von Ihnen zurückgeben. Denn in die persönliche Hingabe des einzelnen Christen gegenüber seinem Gott darf sich niemand von außen einmischen!

Immerhin. Als ein Beispiel, das mich vor einiger Zeit sehr beeindruckt hat, kann ich auf das Internationale Cafe in Winsen an der Luhe verweisen. Da sind engagierte evangelische Christen mit Unterstützung des Gemeindepastors und des Superintendenten 2013 auf die Idee gekommen, ihr Gemeindehaus an Samstagen für die Begegnung mit Flüchtlingen zu öffnen. Und so kommen fast 60 fremde Menschen jeden Samstag dorthin, um mit Einheimischen in Kontakt zu treten. Da gibt es Gelegenheit, die neue Sprache zu sprechen und voneinander zu erzählen. Und endlich trauen sich auch einige der älteren Deutschen, von ihren eigenen Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung zu erzählen...[i] Doch. Ich denke, die Ehrenamtlichen im Internationalen Cafe in Winsen leisten dort wie Paulus sagt einen dem Wort entspringenden Gottesdienst.

Natürlich. Das ist nur ein Beispiel. Das uns anrufende Wort Gottes, dem unser antwortender menschlicher Gottesdienst entspringt, stellt verschiedene Möglichkeiten bereit. Es gibt verschiedene Befähigungen, die uns nach dem Maß des Glaubens zugemessen werden. Davon handeln dann übrigens die an unseren Predigtext anschließenden Verse.

Immerhin können wir dem Apostel, was die vom ihm geforderte persönliche Hingabe an Gott angeht, noch drei grundsätzliche Überlegungen entnehmen: Er findet es notwendig, auf Abstand zu achten von den landläufigen Meinungen. Er empfiehlt ein den eigenen Sinn erneuerndes Nachdenken über Gottes Barmherzigkeit, um dadurch dem Willen Gottes auf die Spur zu kommen. Und er warnt vor Selbstüberschätzung im persönlichen Urteilsvermögen.

Abstand zu landläufigen Meinungen. Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an, sagt Paulus. In der Wortwahl des Apostels schwingt mit, was wir als Fremdwort aus dem Griechischen kennen: Schema. Haltet euch als Christen vom Schema F fern meint Paulus. Gerade zu Beginn dieses neuen Jahres empfinde ich das als einen christlichen Weckruf, damit wir Abstand von der Gehirnwäsche der allgegenwärtigen Werbung um uns herum bekommen und uns nicht von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten einlullen lassen. Und das Wörtchen „alternativlos“ ist aus einem christlichen Wortschatz zu streichen!

Guter Gott,
erneuere meinen Sinn, damit ich das Gute, das Du willst, erkenne,
gib mir die Kraft, das Gute auch zu tun,
bewahre mich vor falscher Anpassung an den Zeitgeist,
hilf mir zu besonnener Selbsteinschätzung
steh mir mit Deinem guten Geist bei in allem,
was ich rede oder tue.
Das bitte ich Dich in Jesu Namen.
AMEN
 

 

Perikope
10.01.2016
12,1-3