Nun aufwärts froh den Blick gewandt ... - Predigt zu 1. Korinther 9,24-27 von Sven Evers
Nun aufwärts froh den Blick gewandt – oder auch: Such, wer da will, ein ander Ziel
24Ihr wisst doch: Die Läufer im Stadion, sie laufen zwar alle, den Siegespreis aber erhält nur einer. Lauft so, dass ihr den Sieg davontragt! 25Wettkämpfer aber verzichten auf alles, jene, um einen vergänglichen Kranz zu erlangen, wir dagegen einen unvergänglichen. 26Ich laufe also, aber nicht wie einer, der ziellos läuft, ich boxe, aber nicht wie einer, der ins Leere schlägt; 27vielmehr traktiere ich meinen Körper und mache ihn mir gefügig, denn ich will nicht einer werden, der anderen predigt, sich selber aber nicht bewährt. (Zürcher Übersetzung)
Ein ganzes Jahr lang hat er sich konzentriert, fokussiert, alles diesem einen Ziel untergeordnet. Jeden Tag hat er trainiert. Stundenlang, bis es nicht mehr ging. Ausgegangen ist er schon lange nicht mehr – dazu war er abends zu müde und morgens zu früh zum Joggen unterwegs. Nicht nur den Alkohol hat er weggelassen, sondern alles, was auch nur ansatzweise seine Leistung beeinträchtigen, schmälern könnte. Ein Jahr der Entbehrungen, ein regelrecht asketisches Jahr. Nur dieses eine Ziel vor Augen. Alles andere unwichtig. Jetzt steht er hier im Stadion. Die Menschenmassen applaudieren. Gleich wird es los gehen. Den Startblock unter den Füßen. Das Ziel im Blick. Endlich!
Beneidenswert, solch eine Disziplin, oder? So eine Zielstrebigkeit, solch eine Konzentration auf dieses eine, was wirklich wichtig ist. Alles wird diesem einen untergeordnet, alles auf dieses eine Ziel hin fokussiert – einfach weil es zu wichtig ist, als dass es Ablenkung vertragen könnte oder noch andere, konkurrierende Ziele.
Dieses eine Ziel – für Paulus natürlich nicht der Sieg bei den Olympischen Spielen – bei allem, was wir über Paulus wissen – ein großer Sportler war er wohl nicht.
Dieses eine Ziel – für Paulus nicht der Lorbeerkranz, der doch irgendwann verwelkt, die Medaille, die doch irgendwann ihren Glanz verliert – sondern der unvergängliche Siegeskranz des ewigen Lebens, des Lebens in der Gegenwart Gottes, die jetzt schon Wirklichkeit ist, und die doch im Alltag – also genau dort, wo das Leben stattfindet, genau dort, wo der tägliche Kampf stattfindet um die vielen kleinen und großen Ziele, genau dort, wo so viele Ziele miteinander konkurrieren – so leicht in Vergessenheit gerät.
Vielleicht genau das die große Sorge des Paulus.
Ich laufe nicht aufs Ungewisse, sagt er – nein, das Ziel ist gewiss – und doch weiß Paulus, wie leicht dieses Ziel aus den Augen geraten kann.
Ich glaube – ja, natürlich tue ich das. Aber reicht es nicht, wenn ich das am Sonntag Vormittag tue?
Ich vertraue auf Gott – natürlich tue ich das. Aber es schadet doch nichts, wenn ich mir hier und da noch die ein oder andere zusätzliche Sicherheit einbaue?
Es reicht nicht, einmal theoretisch oder meinetwegen auch praktisch sich zum „Glauben“ entschlossen zu haben.
Kämpft, sagt Paulus, wie jemand, der um den Siegeskranz in der Arena rennt.
Ja, das Heil (die Gegenwart Gottes) ist gewiß – aber lasst sie nicht beliebig werden, sondern fokussiert Euch immer wieder neu darauf! Laßt Gott, laßt Euer Leben in der Perspektive des Glaubens nicht beliebig werden. Es ist nicht „egal“, ob da jemand auf Gott vertraut oder nicht. Es ist nicht „egal“, ob Ihr nach Gottes Willen fragt oder nicht.
Jeder, der kämpft, jeder, der ein wirkliches Ziel hat, enthält sich aller Dinge – eben um genau dieses eine Ziel zu erreichen und sich nicht zu verheddern in so vielem, das ablenkt.
Paulus wählt drastische Worte: Ja, auch ich, sagt er, kenne es, dass mich Dinge ablenken, das mich Gedanken ablenken von dem einen Ziel. Es gibt ja so vieles, das beansprucht, wichtig zu sein – da braucht es immer wieder die ganz bewusste Orientierung auf Gottes Gegenwart. Deshalb, so Paulus, boxe ich mich selber, schlage meinen Leib – lassen wir die hier vielleicht zu erwartenden Ausführungen über angebliche oder tatsächliche Leibfeindlichkeit bei Paulus einfach mal beiseite und übertragen: zwinge mich, mich immer wieder auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt und mit Macht alles von mir zu schieben, was nur angeblich wichtig ist und mich in Wahrheit doch nur von meinem Ziel entfernt.
Haben wir diese paulinische Ziel-Orientiertheit? Und vor allem: Haben wir das paulinische Ziel? Denn wie gesagt, es gibt ja so vieles, das im Leben wichtig zu sein scheint; es gibt ja so viele, die uns Ziele vorgeben, vorschlagen, vorschreiben. Die Frage ist: Welches Ziel ist es wert, sich wirklich mit Haut und Haar dafür einzusetzen und ihm alles unterzuordnen?
Ist es der Sport? Ist es wirtschaftliches Wohlergehen? Ist es Gesundheit? Oder ist es Gottes Gegenwart, die auch dann nicht vergeht, wenn alles andere in Stücke fällt?
Was ist DEIN Ziel? Was ist Dir im Leben wirklich wichtig? Wem oder was ordnest Du alles andere unter?
Ich will ganz ehrlich sein: Wenn mich jemand fragt, dann sage ich natürlich, dass mein Vertrauen in den Gott Jesu Christi ganz oben in meinem Leben steht; dass mein Glaube meine Perspektive auf mich, auf meine Mitmenschen und auf das, was in unserer Welt geschieht, bestimmt. Und doch weiß ich, dass mich im Alltag dann immer so vieles gefangen nimmt, das auf einmal in einer Wichtigkeit erscheint, die theologisch betrachtet vielleicht lächerlich, aber eben doch sehr mächtig ist.
Ich kann mich munter ärgern über Fehler, die andere in ihrer Arbeit machen (über meine eigenen übrigens genauso sehr). Ich rücke Dinge wie Einfluss, Anerkennung, Geld in einen Fokus meines Denkens und Handelns, der ihnen – theologisch gesprochen (und eigentlich sehe ich das ja natürlich auch so, wenn man mich fragt) – nicht zusteht. Ich verwechsle immer wieder die Bedeutung des Vorletzten – also dessen, was in unserer Welt, in unserer Gesellschaft, in unserem persönlichen Leben von Bedeutung ist – mit dem Letzten, dem Reich Gottes.
Ja, ich brauche immer wieder diese paulinische Mahnung, ich brauche immer wieder dieses Bild, das er mir vor Augen malt: Schau auf Dein Ziel, schau nicht auf anderes, lass Dich nicht ablenken – von anderen nicht und von Dir selber nicht, und dann lauf los.
Und vielleicht bin ich ja nicht der einzige, dem das so geht...
Und unsere Kirche? Ist das nicht die Institution, deren einziger Seinsgrund geradezu darin liegt, dass sie uns immer wieder dieses Ziel vor Augen malt? Und doch frage ich mich oft: Tut sie das wirklich? Tun wir, die wir in der und für die Kirche arbeiten, das wirklich? Ist das Ziel der Kirche wirklich die Predigt des Reiches Gottes in Wort und Tat, oder ist sie nicht auch so oft abgelenkt und gefangen von so vielem anderen. Da sind die sinkenden Kirchenmitgliedszahlen, die weniger werdenden Kirchensteuern; da ist das stetige Streben um den Selbsterhalt der Institution und das immer schnellere um sich Kreisen eines immer unüberschauberer werdenden Verwaltungsapparates... auch unsere Kirche kann wohl immer wieder diese Mahnung des Paulus gut vertragen: Lauft so, dass Ihr den Siegespreis erlangt! Er liegt bereit für Euch – also lauft draufzu und nicht daran vorbei.
Von unserer Gesellschaft ganz zu schweigen. Hier habe ich – vielleicht besonders im Moment, und vielleicht ja auch hier nicht als einziger – ganz besonders viele Fragen, stehe oft ganz besonders ratlos da. Was ist eigentlich das Ziel dieses Gebildes, das sich Bundesrepublik Deutschland nennt? Die Sicherung oder Gewinnung von so etwas wie Identität durch Abschottung von denen, die als Gäste oder auch zum Bleiben zu uns kommen? Wie soll ich es verstehen, dass auf der einen Seite die Verfechter eines – angeblich – christlichen Abendlandes vor einer – angeblichen – Islamisierung zur Wehr setzen, und zugleich Gottesdienste durch Feuerwerk und (zum Glück nur Feuerwerks)raketen stören oder gar zu Gewalt greifen gegen die, die Schutz suchen. Ist das christlich? Wie soll ich es verstehen, dass die christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft als ungeheuer wichtig behauptet werden und zugleich viele Menschen am liebsten an sieben Tagen in der Woche in den eigentlichen Tempeln unserer Gesellschaft – den Supermärkten und Einkaufszentren – ein und aus gehen wollen? Wie soll ich es verstehen, das „Identität“ oder gar „Christliche Identität“ gesagt und eigentlich nur „mein Geld“ gemeint wird?
Es braucht wohl immer wieder beides – ein festes Ziel vor Augen – und die immer wieder aufbrechende, nie abzuschließende Diskussion darüber, welches Ziel es denn eigentlich wert ist, fest vor Augen zu stehen und mit aller Kraft verfolgt zu werden...
Lauft so, dass ihr den Sieg davontragt! 25Wettkämpfer aber verzichten auf alles, jene, um einen vergänglichen Kranz zu erlangen, wir dagegen einen unvergänglichen. 26Ich laufe also, aber nicht wie einer, der ziellos läuft, ich boxe, aber nicht wie einer, der ins Leere schlägt; 27vielmehr traktiere ich meinen Körper und mache ihn mir gefügig, denn ich will nicht einer werden, der anderen predigt, sich selber aber nicht bewährt.
Sucht das Ziel – nein, richtig muss es heißen: Lasst Euch von DEM Ziel ergreifen – denn Gott ist schon da, auch in Deinem Leben, auch im Leben der Kirche und sogar im Leben unserer Welt gegenwärtig zu sein und immer wieder zu werden.
Streitet um die Ziele, wenn andere andere Ziele verfolgen. Aber streitet so, wie es einem Leben in Gottes Gegenwart entspricht.
Lasst Euch ziehen von EUREM, von diesem EINEN Ziel. Verliert es nicht aus den Augen, lasst Euch nicht ablenken, lasst Euch nicht irre machen.
Und – der letzte Satz, den Paulus schreibt: Seid glaubwürdig in dem, was Ihr tut. Verfolgt Euer Ziel nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Oder – wie es im Alten Testament so kurz und so prägnant und so richtig und umfassend heißt:
Der HERR, unser Gott, ist der einzige HERR. 5Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft. (Dtn 6,5)
Amen.
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Predigt zu 1. Korinther 4,1-5 von Ralph Hochschild
Liebe Gemeinde,
er ist noch in Papier eingeschlagen, der Blumenstrauß in seiner Vase auf dem Tisch. Ein später Sonnenstrahl leuchtet am Freitagnachmittag im Zimmer auf. Dämmerung. Aufgeräumte Willkommensstimmung. Ein Blick zur Uhr. In einer halben Stunde müsste ihr Flugzeug endlich gelandet sein. Dann noch die Fahrt nach Hause. Ob sie erschöpft und müde von ihrer Geschäftsreise nach Hause kommen wird? Ob sie erfüllt von ihren Erlebnissen erzählen wird? Ob sie sich freuen wird? Ein prüfender Blick zieht durch das Zimmer. Alles schön genug? Die Augen richten sich auf das Gesicht, das sich im Fenster spiegelt. Wartend. Sich Musternd. Fragend: “Haben wir ein gutes Leben? Stimmen unsere Ansprüche und unser Leben überein? Was sollten wir noch tun? Und: Wofür halten uns die Leute?”
Es braucht nicht das große Weltgericht. Es braucht kein öffentliches Tribunal und keinen großen Prozess. Nicht einmal ein kurzes Feedback braucht es, dass wir uns fragen: “Was bin ich wert? Wofür soll ich mich halten? Für wen werde ich gehalten?” Je mehr wir uns mit der Vorstellung eines großen Weltgerichtes schwertun, um so schwerer scheint ein inneres Gericht auf uns zu lasten, das Herz schwer zu machen und die immer gleichen Fragen auszulösen: “Entspreche ich den Anforderungen? Sehe ich gut genug aus? Bin ich professionell? Strahle ich das aus, was die anderen in mir sehen sollen? Für wen werde ich gehalten?”
“Dafür halte uns jedermann”, schreibt Paulus im ersten Brief an die Korinther, “für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.” So Paulus im 1. Brief an die Korinther im 4. Kapitel in den Versen 1-5, unserem heutigen Predigttext.
Liebe Gemeinde,
Paulus kennt unsere Fragen. Er hört sie leise in seinem Inneren, wenn er sich selbst befragt: “Müsste mir etwas bewusst sein?” Er hört sie tuschelnd und manchmal sehr laut von seinen Korinthern, mit denen er gerade zu kämpfen hat: um Respekt für seine Person, um die Würdigung seiner Leistungen, um die Anerkennung seiner Begabungen und Talente. Nicht anders als wir sieht er sich mit den Urteilen anderer konfrontiert und den Fragen, die sie auslösen. Es geht ihm wie einem Schüler mit den Noten seiner Lehrerin, wie einer Mitarbeiterin mit der Beurteilung ihres Vorgesetzten, wie einer Pfarrerin mit Rückmeldungen aus ihrer Gemeinde, wie dem Mitbürger mit den Einschätzungen seines Nachbarn: “Was bin ich wert? Wofür soll ich mich halten? Für wen werde ich gehalten?” Paulus kennt unsere Fragen. Aber er weiß auch: Wir sind ihnen nicht ausgeliefert. Wir müssen sie nicht beantworten. Wir müssen uns von ihnen nicht abhängig machen. Denn vor Gott sind solche Fragen und Urteile egal. Sogar unsere Selbsteinschätzungen. Deshalb schreibt Paulus: “Auch richte ich mich selbst nicht.” Das Tribunal von Welt und Nachbarschaft interessiert ihn genauso wenig: “Mir ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht.” Paulus lässt sich nicht mehr von seinem oder anderer Leute Urteil gefangen nehmen. Er ist frei - auch gegenüber seiner Gemeinde in Korinth. Er ist frei und so entzieht er sich leichten Herzens jedem Casting als Korinths nächstem Top-Apostel und bewirbt sich nicht um die Rolle eines dieser Supergläubigen, die die Gemeinde gerade so sehr beeindrucken. Paulus wählt eine andere Rolle. Er will den Korinthern als “Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse” begegnen. Nicht als Sklave seines Renommees, sondern als Mitarbeiter Christi in aller Freiheit, nicht als abhängiger Knecht eigener und fremder Ansprüche, sondern als eigenständiger Verwalter von Gottes Geheimnissen, der nur von einem beurteilt wird, Jesus Christus. Der nur nach einem Kriterium beurteilt werden wird, seiner Treue.
Es ist Bindung an Jesus Christus, die Paulus frei macht, die Paulus unabhängig macht, die Paulus das Leben leicht macht. Denn mit der Bindung an Jesus Christus verschieben sich die Maßstäbe. Normalerweise genießen mächtige Menschen Respekt, aber Gott kommt in einem wehrlosen Kind in der Krippe in die Welt. Normalerweise haben die in reichen Palästen wohnen großes Ansehen, aber Gott kommt in einem Stall in die Welt. Normalerweise werden die Klugen und Weisen bewundert, aber Gott tritt in einem unmündigen Kind in unser Leben. Wir sehen es am Kind in der Krippe, am gekreuzigten Christus sieht es Paulus: Gott legt an sich selbst andere Maßstäbe an, Gott legt an uns andere Maßstäbe, seine Maßstäbe an. Und befreit uns von dem Druck, allein den Ansprüchen anderer genügen zu müssen, um etwas wert zu sein.
Wo sich Maßstäbe verschieben, ändern sich Beziehungen. Wo Gottes Maßstäbe gelten, gibt es besondere Beziehungen. Paulus beschreibt sie mit einem Bild aus der Welt der Wirtschaft. Er möchte für einen “Diener Christi und Haushalter der Geheimnisse Gottes” gehalten werden. Einem “Haushalter”, auf griechisch einem “Ökonomen” werden Sachwerte anvertraut, ein Kredit gewährt, weil der Gläubiger glaubt, dass er nach einer gewissen Zeit für seine Vorleistung eine Gegenleistung erhält, seinen Gewinn. Das gelingt nur, wenn der Haushalter das anvertraute Gut nicht veruntreut, wenn er “treu” ist. Es kommt nicht äußere Eindrücke an, nicht auf Erfolge, nicht auf Glanz. Es geht um Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit. Paulus spielt an dieser Stelle ein wenig mit dem Wort “Glauben”, weil es in der Beziehung von Gott und Mensch viel weniger als von Gerichten und Tribunalen auf Rechte und Normen, Gesetze und Regeln ankommt als auf Glauben, auf Vertrauen. Aber wie im Wirtschaftsleben gilt auch: Vor der vereinbarten Frist, vor Vertragsende, zu früh, kann nicht mit einem Ökonomen abgerechnet werden, auch nicht mit dem “Haushalter über Gottes Geheimnisse”. “Darum”, schreibt Paulus, “richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt.”
Menschen, die einander vertrauen, freuen sich, einander wieder zu begegnen, sie freuen sich auf das Kommen des anderen. Das gilt auch für das Kommen des Herrn, jetzt in den Tagen des Advents. Der nicht nur Licht ins Dunkel unserer Welt bringt, sondern auch hell machen wird, was in meinem Leben noch im Verborgenen liegt. Die Dinge, die mir selbst ein Rätsel sind, mit denen ich ringe, die ich an mir selbst nicht verstehe, für die ich mich vielleicht sogar verurteile. Nicht, um sie in die Öffentlichkeit zu bringen, nicht um mich zu blamieren oder bloß zustellen. Er bringt sie ins Licht, um einzulösen, um mir zu eröffnen, was uns Gott nach den Worten des Paulus verspricht: ein Lob, dass am Ende jedem “von Gott sein Lob zuteil werde”. Das muss dann so ähnlich wie bei dem Menschen sein, der den eingeschlagenen Blumenstrauß auf dem Tisch öffnet und sich an ihm freut, weil er spürt: Ich bin willkommen, ich bin geschätzt, ich bin geliebt. Amen.
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Paulinisches Maßwerk: Geheimnis, Treue, Herz - 1. Korintherbrief 4,1–5 von Ulrich Kappes
Paulinisches Maßwerk: Geheimnis, Treue, Herz
1. Korinterbrief, Kap. 4, 1–5
1 Dafür halte uns jedermann: für Diener Gottes und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie treu befunden werden.
3 Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht.
4 Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr aber ist’s, der mich richtet.
5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.
Vergleicht man die Bibel mit einem gotischen Dom, so ist dieser Text das Maßwerk in einem der Bögen. Es ist ein Maßwerk aus drei einzelnen Blättern: Geheimnis, Treue, Herz.
Die erste Frage, die an diesen Text zu stellen ist, lautet: Wer ist mit „uns“ gemeint: „Dafür halte uns jedermann, für … Haushalter über Gottes Geheimnisse“. Es liegt zunächst nahe, das „uns“ auf Paulus und den anderen Missionar der Korinther, auf Apollos, zu beziehen. Schreibt Paulus aber einen Brief an die Gemeinde, um sich selbst darzustellen? Richtiger ist es, das „uns“ auf die Adressaten des Briefes und seinen Verfasser gemeinsam zu beziehen. ‚Dafür mögen die Bewohner von Korinth (und wer auch immer) uns halten: Christen sind Bewahrer göttlicher Geheimnisse’
Im Advent, in der Zeit der Kerzen und der Selbstbesinnung werden wir „Haushalter über Gottes Geheimnisse“ genannt. Was heißt das?
Zunächst: Nicht nur hier, sondern auch an anderen Stellen des Neuen Testamentes, wird unser Glauben mit dem Wort „Geheimnis“ beschrieben. An erster Stelle steht das Jesuswort, wonach den Jüngerinnen und Jünger das „Geheimnis der Königsherrschaft Gottes über diese Erde anvertraut“ wurde (Mk.4,11 par.). Paulus sieht seinerseits das Geheimnis der Herrschaft Gottes über die Erde in der Gestalt und Person Jesu selbst. Deshalb heißt es gleich zu Beginn des 1. Korintherbriefes, den gekreuzigten Christus zu verkündigen (1.Kor. 1,23) die Weisheit Gottes als Geheimnis zu verkündigen (1.Kor. 2,7) heißt. I1I
Was bedeuten die Worte, nach denen wir ein Geheimnis anvertraut bekamen und es bewahren sollen?
Die Weihnachtsgeschichte, die wir am Heiligen Abend verlesen, kann als Hörspiel gestaltet und verfilmt werden. Man kann Bethlehem erläutern und beschreiben, den Stern, die Hirten, die Engel, Joseph und Maria vor der Herberge und im Stall schildern. Das ist nicht schwierig. Den Mittelpunkt aber, das innere Zentrum von Weihnachten, die Menschwerdung des Gottesssohnes kann man nicht darstellen, schildern, erläutern. Es entzieht sich alledem.
Haushalter dieser überlieferten Ereignisse zu sein, bedeutet, das Unvermögen zu kennen, die Tiefe all dieser Bilder in Worte fassen zu können. Das ist das erste Blatt im paulinischen Maßwerk, das Geheimnis.
Tritt ein Mensch mit dem Wissen an die Krippe, dass ein „Geheimnis“ vor ihm ausgebreitet ist, dann tritt er behutsam heran. ‚Hier kann ich stehen und anbeten. Ich kann mir aber das Wunder, dass Gottes Sohn in einem Kind in der Krippe liegt, nicht aneignen wie einen Gegenstand. Das da ist kein „Objekt“, dessen ich mich bemächtigen kann.’
Diese Behutsamkeit gegenüber der offenbarten Wahrheit Gottes wird in die gesamte Lebenseinstellung übergehen. Ist es verinnerlicht, dass die entscheidenden Worte und Themen des Glaubens ein Geheimnis sind, färbt das – sozusagen – durch bis in alle Verhaltensweisen. Es wächst daraus eine Behutsamkeit und Achtbarkeit gegenüber den Menschen und der Welt.
Der schwedische Bischof Lönnebo wurde in den Ruhestand versetzt. I2 I Immer und immer wieder dachte er nun nach, wie man dem heutigen Menschen den Glauben so nahe bringen könnte, dass es einfach und wahr ist. In seinem Grübeln kam er auf die Idee von den „Perlen des Glaubens“. Sie werden auf ein Band gereiht, das man am Arm tragen kann. Was eine (r) von Gott und seinen Mitmenschen weiß, füge sie/ er als Perle auf ein Band. Gut ist, wenn die Perlen eine unterschiedliche Form und Größe und Farbe haben. Jede und jeder trage diese Perlen nicht als ein Dogma, bei dem Vollzähligkeit zählt, sondern sie/er trage nur diese Perlen, die sie/ihn berühren und ansprechen. In einer Beschreibung dieser Perlenkette ist von „Geheimnisperlen“ die Rede. Der Bischof selbst trägt verschiedene Armbänder. Gefragt, wie viel Geheimnisperlen gegenwärtig auf seinem Perlenarmband seien, antwortete er: „Ich habe drei Perlen. Sie stehen für meine Kinder. Das sind meine drei Geheimnisse.“
Verbunden und verwachsen mit dem „Blatt“ Geheimnis ist das „Blatt“ der Treue in dem paulinischen Maßwerk, das als Bild für diesen Text steht.
Paulus hebt hervor, dass Haushalter über Gottes Geheimnisse „treu“ sind. „So erwartet man von Haushaltern nicht mehr, als dass sie treu erfunden werden.“ Das klingt leicht, ist es aber nicht. Was ist gemeint?
In der letzten Woche, am 2.12.2015, geschah das Verbrechen in San Bernardino in Kalifornien. Mit dem Ruf „Es lebe der IS“ wurden vierzehn Menschen mit einer Entwicklungsbeeinträchtigung erschossen, einundzwanzig sind noch verletzt. Das geschah während einer Weihnachtsfeier. Danach wurden die Schützen getötet.
Nach der Explosion des russischen Flugzeuges über Ägypten, nach Paris und San Bernardino leben wir in einer Zeit der Schreckenstaten, die von fundamentalistischen Muslimen begangen wurden. Wie gehen Christinnen und Christen damit um?
Ein Streiflicht auf das Dunkel, das diese Frage aufwirft, sei geworfen.
Am Ort des Schreckens in San Bernardino treffen sich täglich Menschen zum Gebet. Es gibt ein Foto der französischen Nachrichtenagentur AFP davon. Junge und Alte, Männer und Frauen stehen im Kreis und halten sich an den Händen. Sie haben die Augen geschlossen, die Köpfe sind nach unten gesenkt.I3I
Was sind treue Haushalter der Offenbarung Gottes, die in Jesus Christus geschehen ist?
Es sind Menschen, die gegen den Trend zusammen kommen und beten. Beten gegen den Trend, ist ihre Losung. Ihr Gebet steht gegen einen Trend der Verunglimpfung oder Verachtung des Islam und seiner Anhänger. So geht ihr Bild um die Welt.
Treu an der Offenbarung festzuhalten, heißt gegen einen Trend, ein Zeichen zu setzen. Wer die Hände faltet, ballt keine Faust.
„So erwartet man von Haushaltern nicht mehr als dass sie treu erfunden werden.“. Die andere Hälfte des „Blattes“ Treue ist die Treue gegenüber der Schrift.
„Gottes Geheimnisse“ sind nicht als spannende Geschichten überliefert. Sie enthalten keinen Nervenkitzel, den eine gute Story kennzeichnet. Die „Truhe“, in der die Geheimnisse überliefert werden, ist spröde und nicht einfach zugänglich. Es gibt auch die andere Truhe, die Gottes Geheimnisse birgt. Sie ist von Gold umgeben. Das ist aber nicht die Regel.
Wie kommt es zu diesem Mut einer Einseitigkeit, sich immer wieder der Schrift zuzuwenden und nicht auf andere Worte zu bauen?
Dieser Mut ist in erster Linie die Frucht von Erfahrung. Die Haushalterin /der Haushalter über Gottes Geheimnisse haben erfahren, dass es in wirklichen Konflikten und Krisen des Lebens das Wort der Schrift ist, das Kraft gibt und Richtung weist. Deshalb nehmen sie immer wieder die „Urkunde des Glaubens“ zur Hand. Anderes hilft ihnen nicht.
Nun folgt das dritte Blatt im Maßwerk.
Der Schluss des Briefabschnittes versetzt in Erstaunen. Es erging Paulus ähnlich, wie es von Johannes dem Täufer im Evangelium geschildert wird. Johannes fragte sich, ob er denn vergeblich auf den kommenden Messias hingewiesen hatte: „Bist du der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ War alles umsonst? Die Frage des Johannes war auch die Frage des Paulus, freilich mit einer anderen Blickrichtung.
Paulus war etwa 49 n. Chr. nach Korinth gekommen und ganze achtzehn Monate hier geblieben. Er gründete die erste christliche Gemeinde und bezeichnete sich als ihr Vater: „Ich habe euch gezeugt durch das Evangelium.“ (4,15) Dann verließ er seine geistlichen „Kinder“ und ging nach Ephesus. Hier brachte ihm im Jahre 54 n. Chr. ein junge Frau namens Chloe die Nachricht, wie zerstritten die Gemeinde war: es gab nunmehr eine Apollos-Partei, eine Kephas-Partei und eine Paulus-Partei. Die Gemeinde drohte zu zerfallen. –‚ Habe ich umsonst eineinhalb Jahre missioniert?’
Heruntergebrochen auf uns, kann das heißen: War es umsonst, dass ich versuchte in meinem bescheidenen Rahmen die Geheimnisse Gottes weiter zu geben? Habe ich den eigenen Kindern, den Bekannten und Freunden das Evangelium nahe gebracht oder war alles nur ein Reden im Wind? Was bedeutet ihnen in ihrem Leben das „Geheimnis“ Gottes in der Schrift? Müssen wir, so wie die Dinge stehen, vielmehr auf nichts mehr warten?
Ich wiederhole: Der Schluss des Briefabschnittes versetzt in Erstaunen.
Paulus schrieb: „Ich richte mich selbst nicht … Der Herr ist’s aber, der mich richtet.“ Soweit so gut, wenn auch das schon sehr steil klingt. Aber dann lautet der Schlusssatz: Bei dem Gericht am Ende der Tage wird „einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden“.
Warum wird das so sein?
Paulus setzt mit einer erstaunlichen Sicherheit sein Vertrauen darauf, dass Gott alles gut Gewollte nicht vergessen hat. Gott kennt das Herz, auch wenn manches, was das Herz plante und bewirken wollte, misslang. Dieses Wissen Gottes ist ein größeres Gewicht in der Wagschale der Bilanz eines Lebens als Niederlagen und Versäumnisse. Und darum kann Paulus trotz der Hiobsbotschaften, die Chloe ihm brachte, unverdrossen und unentwegt an seinem Brief an die Korinther arbeiten.
Was kommt nach diesem Leben und seinen Fehlschlägen? Es kommt Gott und Gott wird „loben“, weil er das Herz sieht und daran alles misst. Das Herz, das das Geheimnis wahrt und die Treue erstrebt, gibt dem gotischen Maßwerk das dritte Blatt.
I1I Vgl.Günter Bornkamm, misterion, in: ThWb, 4. Band, Stuttgart 1942,809–834, S. 823 ff.
I2I Nach einem Hinweis von Marcus Ansgar Freidrich, in: Pred.med. z. St, in: Predigtstudien R. II, 2009/2010, Stuttgart 2009,29–32, S. 32.
I3I Abgedruckt in der Märkischen Allgemeinen Zeitung, 7.12.2015.
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„Von all unseren Schuldzuweisungen ablassen…“ - Predigt zu 1. Korinther 4,1-5 von Karin Latour
„Von all unseren Schuldzuweisungen ablassen…“
An einem eiskalten Wintermorgen kommt Vianne Rocher mit ihrer Tochter in einem kleinen Provinzstädtchen irgendwo zwischen Bordeaux und Toulouse an.
Ruhelos zieht sie lange schon umher- seit Jahren. Sie mietet ein leerstehendes Haus und eröffnet- dazu auch noch in der Fastenzeit - eine Chocolaterie.
Der bigotte Bürgermeister, der selbst dem jungen Pfarrer die Predigttexte sichtet und in seinem Sinne abändert, sieht in ihr, der zudem alleinerziehenden Frau die Verkörperung des Bösen.
Und als sie sich auch noch auf ein Verhältnis mit einem - wie man sagte- Zigeuner einlässt, der am Fluss kampiert, ruft der Bürgermeister zu einem Boykott auf, die „Flussratten“ müssen weg.
Boykott gegen die Unmoral!
Schließlich kommt es zur Zerstörung ihres kleinen Ladens und beinahe zu einem noch größeren Unglück- aber wie das in Märchen so ist- selbst in den ganz modernen- hat diese Geschichte am Ende ein Happy- End.
Liebe Gemeinde,
die meisten von Ihnen haben ihn längst erkannt, den Film „Chocolat“ aus dem Jahr 2000, ein modernes Märchen für Erwachsene und gleichzeitig ein Appell zur Toleranz.
Solche Geschichten gehen nicht immer gut aus und klar ist, in jedem Fall: sie beinhalten viel Schmerz, viele Auseinandersetzungen, viel Kraft, viel Leid - ja und wie gesagt- sie haben nicht immer ein Happy- End.
Und die Menschen, die darin vorkommen, heißen auch nicht unbedingt Vianne, sondern haben durchaus andere Namen- Namen wie damals Friedrich, heute vielleicht Amanda oder Agim. Sie heißen Marc oder Klaus und sind homosexuell oder sind Menschen, die einer bestimmten Religion angehören oder einer bestimmter Volksgruppe, ja, Menschen eben, die anders leben, ihre Sexualität, ihren Glauben, ihren Alltag und ihre Feste, irgendwo anders geboren sind, eine andere Sprache sprechen.
Und die dadurch scheinbar den Frieden stören oder Menschen mit ihrer Art zu glauben oder zu leben oder zu reden oder zu sein in Frage stellen, tiefste Ängste hervorkommen lassen, verunsichern.
Und es könnte sein, liebe Gemeinde, dass auch Menschen wie Sie und ich oder auch wie Paulus in dieser Geschichte vorkommen, einer Geschichte, in der gerichtet wird:
Am Anfang eines jeden Gottesdienstes beten wir in unserer Gemeinde:
Lass uns nicht meinen wir wüssten schon alles, was Du uns zu sagen hast.
Was hast Du uns zu sagen, Gott, heute an diesem 3. Sonntag im Advent?
Predigttext: 1. Kor 4, 1-5
Ja, es hatte Streit gegeben in Korinth. Es gab verschiedene Lehrer, Apostel, die aufgetreten waren, die gepredigt und gelehrt hatten, auf die sich die einen und die anderen beriefen.
Paulus ist einer, den Namen Apollos erfahren wir auch.
Diese Worte unseres Predigttextes sind ein Teil einer längeren Rede, in der Paulus, der von den Korinthern angegriffen wurde, vielleicht sogar vor ein Gemeindetribunal gezerrt werden sollte, sich verteidigt.
Er verteidigt sich gegen - nein, eigentlich nicht direkt gegen die Vorwürfe, sondern gegen das Gerichtet- Werden.
Waren es also andere Prediger, waren es andere Lehren, war es seine Art, die ihn zum Objekt der Kritik machte oder die Selbstsicherheit einiger Gemeindemitglieder in Korinth, die scheinbar genau wussten, was Gott zu sagen hat und was richtig und falsch ist- so hält Paulus entgegen:
Niemand hat zu urteilen und zu richten als Christus allein.
Er ist der, der kommt.
Er ist der, auf den wir warten.
Er ist der, der ans Licht bringen wird, auch was im Finstern verborgen ist.
Ihm gegenüber sind wir verantwortlich, seine Beurteilung können wir nicht vorwegnehmen. Wir sind nicht kompetent über andere zu urteilen und zu richten, ja nicht einmal über uns selbst.
Mag sein, dass damals innergemeindliche Querelen im Blick gewesen sind, Unsicherheit- oder zu viel Sicherheit, was die richtige Lebensweise und Glaubensweise der Christen betraf- Paulus Wort vom Richten ist aber doch nicht nur gültig im Blick auf Meinungsverschiedenheiten in einer frühen christlichen Gemeinde.
Es ist doch so, auch heute:
Wir werden beurteilt und wir beurteilen.
Wir werden verurteilt und wir verurteilen.
Nicht nur bei der Eröffnung einer Chocolaterie in der strengen Fastenzeit.
„Guck dir die an, und die wollen Christen sein.“
Es wird gelästert über den Kollegen, der heute nicht da ist.
Es wird geschimpft über die Mitarbeiterin, der man alles dreimal sagen muss, und die immer noch nichts versteht.
Wir regen uns über Lehrer auf, die nichts mehr von den Schülern verlangen oder zu viel.
Wie schimpfen über Ärzte und Pfarrer,
oder es wird über Asylbewerber hergezogen, die sich hier ein schönes Leben machen wollen, und über die Arbeitslosen, die gar nicht wirklich arbeiten wollen oder über die Jugend, die keine Werte mehr hat und die Politiker, die erst mal anfangen sollen bei sich selbst zu sparen…
Und wenn man ganz verdreht ist möchte man allen Muslimen die Einreise ins Land verbieten. Und wieder am liebsten auch bei uns meterhohe Mauern bauen, damit keiner mehr, der nicht hier geboren ist, in dieses Land hinein kommt.
In dem Roman: Der Fall von Albert Camus sagt ein Anwalt:
Sie sprachen vom Jüngsten Gericht? Gestatten Sie mir ein respektvolles Lachen.
Ich erwarte es furchtlos. Ich habe das Schlimmste erfahren und das ist das Gericht der Menschen.
Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten, mein Lieber.
Warten Sie nicht auf das Jüngste Gericht. Es findet alle Tage statt.
Es findet alle Tage statt.
Wenn es so ist- warum ist es dann so?
Dass wir Menschen- und ich kann mich auch nicht frei sprechen , dass wir es nötig haben miteinander ins Gericht zu gehen.
Menschen zu verurteilen, manchmal ohne, dass es uns bewusst ist, ohne dass wir es noch merken?
Aus Angst? Aus Neid? Oder weil uns der andere mit seinem Anderssein in Frage stellt ?
Oder weil wir wirklich glauben, wir wüssten schon alles?
„Es gibt nur einen einzigen Weg“, schreibt Drewermann, „aus diesem erbarmungslosen Richten und der Rivalität herauszukommen.
Statt, dass wir einander messen wie die Raubtiere im Rivalitätskampf, sollten wir die Augen richten auf Gott, dem wir uns verdanken und von dem alles, was wir sind, empfangen wurde.
Dies allein befreit uns von den Minderwertigkeitsgefühlen, von den Neidkomplexen, von den Frustrationen, den Hassreaktionen.
Solange wir fragen: Bin ich besser oder schlechter als andere? werden wir immer jemanden treffen, der geringer ist, um ihn zu verachten…
Aber wenn wir einmal denken könnten, es komme in unserem Leben wesentlich überhaupt nicht darauf an, wie wir in Bezug zu anderen abschneiden, die einzig wesentlich sei die Frage sei, was Gott uns gegeben hat- dann zöge, auf der Stelle und zum ersten mal, Frieden in unser Herz ein.“
Was hat er uns gegeben?
Liebe Gemeinde, was hat er uns gegeben und zugetraut:
Haushalterschaft, sagt Paulus, dass wir seine Diener sind und Haushalter.
In seinem Sinne treu zu verwalten, was uns anvertraut ist.
Das heißt sorgsam umgehen mit unserem Leben, mit unserem Gut, mit der Welt, in der wir leben und auch den Menschen, die uns anvertraut sind.
Das heißt nicht, dass wir schweigen sollen über das Tun unseres Nächsten.
Mit jemandem über sein Tun ins Gespräch kommen ist nicht ihn richten.
Mit jemandem um die Wahrheit streiten ist nicht verachten.
Mit jemandem um die Wahrheit ringen heißt nicht den anderen abschreiben.
Die Gleichgültigkeit und das Schweigen sind vielleicht der größte Feind der Gerechtigkeit und des Friedens.
So sollen wir Gemeinden wohl dran bleiben an den Auseinandersetzungen um Energie, um Schonung der Umwelt, um Arbeitsplätze und menschliche Arbeitsbedingungen etwas in der 3. Welt.
Wir sollen und werden uns weiter einmischen in gesellschaftliche Fragen der Integration und des Umgangs mit Flüchtlingen, der sozialen Lage hier ebenso wie in anderen Ländern der Welt- wir tun es im Moment vielleicht sogar viel zu wenig.
Wir wollen Unrecht beim Namen nennen, uns sachkundig machen um mitreden zu können, weil der, der gekommen ist und kommt uns einlädt seiner Solidarität mit den Schwachen und Leidenden nach zu gehen.
Das alles sollen wir. Und zwar nicht, weil wir die Besserwisser sind. Sondern Haushalter und Diener Christi.
Diener, das ist ein demütiges Wort. Ein sehr demütiges Wort.
All das sollen und dürfen wir tun.
Aber eines sollen wir nicht tun. Das ist uns verwehrt:
Das Richten über andere. Das Verurteilen des Anderen.
Das Abschreiben eines anderen- wie anders sein Weg auch ist zu glauben, zu reden, zu leben.
Überlassen wir Gott das Urteil über andere und auch uns. Und hoffen wir, dass er uns dann alle gnädiger ansieht als wir es oft vermögen.
Das moderne Märchen von Vianne und Annouk Rocher und Roux geht am Ende gut aus, ein Happy - End. Es wird sogar zu einer Liebesgeschichte.
Passt es in unsere zerrissene und zerstritten Welt. In unsere so zerrissene und geschüttelte und verfeindete Welt? In der wir voller Angst auf die Entwicklungen und Geschehnisse sehen!
Ja. Ja!
Denn in diese Welt, genau in diese ist unser Herr und Richter und Erlöser geboren. Damit unser aller Geschichte im ganz realen Leben ein gutes Ende nimmt. Nicht ein Happy –End, aber ein gutes Ende.
Ich möchte schließen mit einem Segen von Hanns Dieter Hüsch- nicht nur, aber auch zur Adventszeit zu sprechen:
Im Übrigen meine ich
Dass Gott uns das Geleit geben möge immerdar.
Auf unserem langen Weg zu unserer Menschwerdung
Auf dem endlos schmalen Pfad zwischen Gut und Böse
Herzenswünschen und niedrigen Spekulationen.
Er möge uns ganz nah sein in unserer Not
Wenn wir uns im dornigen Gestrüpp der Wirklichkeit verlieren
Er möge uns in den großen anonymen Städten wieder an die Hand nehmen
Damit wir seiner Fantasie folgen können
Und auf dem weiten flachen Land
Wollen wir ihn auf unseren Wegen erkennen
Er möge uns vor falschen Abgründen bewahren.
Und all die Vorwürfe, die wir uns machen
Möge er in herzhaftes Gelächter verwandeln
Und unsere Bosheiten in viele kleine Witze auflösen.
Wir bitten ihn Zeichen zu setzen und Wunder zu tun.
Dass wir von all unseren Schuldzuweisungen ablassen
Und jedwedem Gegner ein freier Gastgeber sind.
Er möge uns von seiner Freiheit ein Lied singen
Auf dass wir alle gestrigen Vorurteile außer Kraft setzen
Er möge sich zu uns allen an den Tisch setzen und erkennen
Wie sehr wir ihn alle brauchen
Überall auf der ganzen Welt
Er möge sich unser erbarmen
Am Tage und in der Nacht.
In der großen Welt und in der kleinen des Alltags.
In den Parlamenten, in den Chefetagen der Industrie, auf den Schulhöfen und in unseren Küchen.
Er möge uns unsere Krankheiten überstehen lassen
und uns in der Jugend und im Alter seine Schulter geben,
damit wir uns von Zeit zu Zeit
von Gegenwart zu Gegenwart an ihn anlehnen können
getröstet, gestärkt und ermutigt.
Amen.
Quellen:
Drewermann, Eugen, aus Wenn der Himmel die Erde berührt, S. 106f
Hüsch, Hanns Dieter, aus Das Schwere leicht gesagt, S. 151f
EKK VII/1, Wolfgang Schrage, Der erste Korintherbrief,1991,S.318ff
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Gott hat den größeren Kopf, das größere Herz - Predigt zu 1.Korinther 4,1-5 von Matthias Loerbroks
Gott hat den größeren Kopf, das größere Herz
1 So rechne jeder Mensch mit uns: als Diener des Christus und Haushalter der Geheimnisse Gottes.
2 Nichts anderes sucht man bei Haushaltern, als dass sie treu gefunden werden.
3 Mir ist es ein Geringes, dass ich von euch beurteilt werde oder von einem menschlichen Gerichtstag. Aber auch ich selbst beurteile mich nicht.
4 Mir ist nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerecht gesprochen, der Herr ist es, der mich beurteilt.
5 So richtet nicht vor dem entscheidenden Augenblick – ehe der Herr kommt: der wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und aufleuchten lassen das Wollen der Herzen. Dann wird ein jeder Lob bekommen von Gott.
Von dort wird er kommen zu richten – so haben wir es gerade mit den Worten unseres Glaubensbekenntnisses gesagt. Das ist der erste Zukunftssatz, der erste Hoffnungssatz dieses Bekenntnisses. So ein Bekenntnis ist ja keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Vertrauensvotum. Angesichts unserer so verzweifelt und blutig zerrissenen Welt vertrauen wir darauf, dass sie nicht gottverlassen ist, darum auch nicht verlassen von allen guten Geistern, sondern Gottes gute Schöpfung – geschaffen von dem Gott, von dem die Bibel erzählt, der nicht preisgibt das Werk seiner Hände. In seinem Sohn ist er uns ganz nah gekommen, denn der wurde selbst ein Mensch, wurde allen Menschen zum Mitmensch – davon werden wir zu Weihnachten viel singen und sagen. Der hat alles auf sich genommen, uns weggenommen, was uns von Gott trennt, geriet darum selbst in grässliche Gottesferne, in finsterste Finsternis. Doch er wurde auferweckt, herausgerissen aus dem Reich des Todes, er sitzt zur Rechten Gottes und vertritt uns, entschuldigt uns, redet Gutes von uns, kehrt alles zum Besten. In ihm, mit ihm sind alle Menschen schon bei Gott – ob sie das wissen, ob sie das glauben, es darum auch ihr Tun prägt oder nicht. Dann der Zukunftssatz, buchstäblich ein Zukunftssatz, denn er redet davon, dass Jesus auf uns zukommt: Von dort wird er kommen zu richten.
Er wird kommen – das ist das Thema der Adventszeit. Dass er kommen wird, um zu richten, das ist in der Geschichte christlichen Predigens und Predigthörens immer wieder als Schreckensnachricht verstanden worden, eine Botschaft, die Angst macht. Für Paulus aber ist es eine frohe, eine befreiende Botschaft, reines Evangelium. Der Herr ist es, der mich richtet – das bedeutet für ihn: es kann mir ein bisschen egal sein und es ist mir auch egal, was andere über mich denken oder gar sagen, wie sie mich beurteilen, ob sie mich verurteilen, mit welchem Recht, nach welcher Richtschnur sie mich richten. Er rechnet damit, dass das Gericht, das Jesus Christus halten wird, der Gottessohn, der Menschensohn wurde, in dem die Menschlichkeit Gottes aufleuchtete, ein menschliches, ein gnädiges Gericht sein wird – sehr im Unterschied zu den sehr unmenschlichen Urteilen, die wir Menschen an menschlichen Gerichtstagen sprechen – also: jeden Tag.
Stell dir eine Gemeinde vor, liebe Gemeinde, eine größere oder kleinere Gruppe von Jesusjüngern und Jesusjüngerinnen, die es in ihrem persönlichen Leben wie in ihrem Zusammenleben als Gemeinde ganz gelassen lassen können, sich zu verteidigen, alles Mögliche richtigzustellen, zurechtzurücken – und sich selbst ins rechte Licht –, denen es einfach wenig oder nichts bedeutet, was andere über sie sagen und denken, die darum auch nicht öffentlich ausposaunen, jedenfalls mehr oder weniger – meist weniger – unverhohlen durchblicken lassen müssen, wie edel, hilfreich und gut sie sind, die darum auch darauf verzichten können, ihre Mitmenschen zu ermahnen, doch bitte nicht zu vergessen, was sie Gutes getan haben und noch tun. Das wäre eine Gemeinde freier, befreiter Menschen, sie wäre schon ein Vorschein und Vorgeschmack des Reiches Gottes, des Reichs der Freiheit.
Leider ist es ja so, dass auch wir evangelischen Christen gerade dafür sehr viel Zeit und Kraft verwenden, obwohl doch gerade wir wissen oder wissen könnten oder wissen sollten, dass Selbstrechtfertigung ein völlig aussichtsloses, überdies überflüssiges Unterfangen ist. Seit fast genau fünfhundert Jahren hören und reden wir davon, dass Gott durch seinen Sohn Sünder gerecht spricht; dass wir das weder verdienst haben noch uns verdienen oder erdienen können; dass Gott uns nicht so sieht, wie wir uns sehen oder wie wir von anderen gesehen werden, sondern so, wie er Jesus Christus sieht; dass er ihn gelten lässt als unseren Vertreter; dass er ihm, dem Menschensohn, sein Gericht übertragen hat. Ein großer Namensvetter des Paulus, der Dichter und Pfarrer Paul Gerhardt singt und sagt es so: „In ihm kann ich mich freuen, hab einen Heldenmut, darf kein Gerichte scheuen, wie sonst ein Sünder tut.“ Doch so ganz scheinen auch wir dem Frieden nicht zu trauen, den – wie wir verkünden – Jesus schon gemacht hat.
Nun sind unsere Versuche, uns – in mehrerer Hinsicht: wider besseres Wissen – doch selbst zu rechtfertigen, zwar oft unfreiwillig komisch, aber harmlos. Es gibt ja leider fürchterlich fromme Menschen, die nicht nur in jeder Sekunde bereit, geradezu begierig darauf sind, gekränkt zu sein, sondern auch meinen, dass ihre ständig verletzte Ehre, die ihnen immer wieder neu zugefügte Schmach es ihnen erlaubt oder sogar gebietet, morden zu gehen; die sich als Gottes Gerichtsvollzieher verstehen und betätigen; die meinen, Gott einen Dienst zu tun, wenn sie möglichst viele Menschen umbringen, die sie für ungläubig halten.
Tatsächlich hat ja die frohe Botschaft, dass Jesus kommt, um zu richten, etwas Kränkendes. Sie verdrängt uns von unserem Lieblingsplatz: dem des Richters, der Richterin. Kaum etwas tun wir ja lieber als zu urteilen und zu verurteilen. Nicht urteilsfähig zu sein, das empfinden wir als Armutszeugnis. Darum war und ist ja die Verheißung der Schlange im dritten Kapitel der Bibel so verführerisch, so wirksam: ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist – endlich selbst Gott sein, endlich selbst richten, urteilen, verurteilen! Doch dieser Platz, sagt uns das Evangelium, ist besetzt. Den müssen wir räumen. Denn er kommt zu richten. Darum hat das fröhlich unbekümmerte Bekenntnis des Paulus, es ist mir ziemlich egal, was andere von mir denken, als kritische Kehrseite auch den Appell: richtet nicht! Überlasst das Gott. Der hat nicht nur den größeren Kopf, auch das größere Herz.
Wenn er kommt zu richten die Lebenden und die Toten, dann wird er, so sieht es Paulus voraus, ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und aufleuchten lassen das Wollen der Herzen. Für manche von uns ist das eine etwas unangenehme, ungemütliche Vorstellung. Nicht ohne Grund halten wir Manches verborgen, und es wäre uns ganz lieb, wenn es auch verborgen bliebe. Über Einiges lassen wir auch uns selbst lieber im Unklaren. Wir sind nicht geradezu erpicht darauf, dass all die Wünsche unseres Herzens, einige davon sind ihrerseits recht finster, hell aufleuchten. Doch Paulus ist überzeugt: dann wird ein jeder, eine jede Lob bekommen von Gott.
Das ist nun nicht nur für uns unsichere und verängstigte Menschen überraschend. Sondern wohl auch für diejenigen, die von keinerlei Selbstzweifel geplagt sind; die im Gegenteil finden, dass es Zeit wird, längst Zeit ist, dass wenigstens Gott einmal all das Gute, das sie dauernd tun, angemessen würdigt, zum Leuchten bringt, wertschätzt, lobt, das ihre übelwollenden und Übel tuenden Mitmenschen so beharrlich übersehen oder gar madig machen. Doch auch sie werden etwas überrascht sein zu hören, dass wirklich jeder und jede, dass alle Lob von Gott bekommen wird. Denn sie haben doch recht klare Vorstellungen davon, wer jedenfalls nicht gelobt, sondern mindestens schwer getadelt, wenn nicht hart bestraft werden wird oder werden müsste.
Statt unseres ständigen sei es ängstlichen, sei es eitlen und selbstzufriedenen Schielens danach, was andere von uns denken und sagen, wie wir bei anderen ankommen oder wie wir rüberkommen, empfiehlt uns Paulus, auf etwas ganz anderes zu achten: dass wir treue, verlässliche Diener des Christus und Hausverwalter der Geheimnisse Gottes sind. Uns wurde was anvertraut, Großes und Wichtiges wurde uns anvertraut, Gott hat uns ins Vertrauen gezogen. Paulus will, dass wir dem treu sind, das nicht veruntreuen, was uns anvertraut wurde. Er nennt es: Geheimnisse Gottes. Das Evangelium, das er verkündet, das zu verbreiten auch uns aufgetragen ist, ist nichts, was offensichtlich sonnenklar ist, auf der Hand liegt, sich von selbst versteht, was auch ohne unser Reden und Tun längst allen Menschen aufgeleuchtet ist und eingeleuchtet hat.
Es gibt ja so ´ne und solche Hausverwalter: mürrisch abweisende, abwimmelnde, überdies nörgelnde und herzliche, hilfsbereite und auch tatsächlich hilfreiche. Treue Hausverwalter sind so oder so diejenigen, die dem Stil des Hauses und des Hausbesitzers entsprechen. Treue Hausverwalter der Geheimnisse Gottes heißt darum nicht, mit dem Evangelium knausrig umzugehen, sparsam, damit bloß ja keine einzige Perle womöglich vor die Säue gerät, sondern genauso großzügig, so barmherzig, geduldig und von großer Güte und Treue, wie uns das Evangelium Gott schildert. Es wäre ja ein lächerlicher Widerspruch, würden wir angesichts des Evangeliums vom Freispruch der Sünder darauf bestehen, unsere Mitmenschen, unsere Mitsünder zu verurteilen; angesichts der uns verkündeten Feindesliebe Gottes hartnäckig auf unsere Feindseligkeiten zu bestehen.
Die frohe Botschaft, dass er kommen wird, um zu richten, wird uns heute verkündet als Anweisung dazu, diesem Kommen den Weg zu bereiten, und zwar mitten in der Wüste, mitten in unserer Wüstenei. Wir denken bei dieser Aufforderung an große und schwere Aufgaben, denken an unsere zerrissene Welt, die es zu heilen, an all die viel zu hohen Höhen und tiefen finsteren Täler, die es auszugleichen gilt, und das ist ja auch wahr. Doch wir übersehen dabei, wie hartnäckig wir selbst das Hindernis sind, das seinem Kommen im Weg steht, das wir darum aus dem Weg räumen sollten: unsere beharrliche Weigerung, den Platz freizugeben, den er einnehmen will und soll, wenn er kommt zu richten die Lebenden und die Toten.
Amen.
Zum Gottesdienst:
Da die Epistel Predigttext ist, kann an ihrer Stelle die alttestamentliche Lesung, Jesaja 40,1-11 gelesen werden. Sie stellt den Wochenspruch in seinen Kontext und unterstreicht ihn.
Lieder:
Nach der Begrüßung mit dem Wochenspruch aus Jes 40: 10,1-3(4);
nach der ersten Lesung, wenn sie Jes 40 ist: 20,1-3;
wenn sie 1. Kor 4 ist: 6,1.2.5;
nach Evangelium und Credo: 279,1-2;
nach der Predigt: 286,3-4;
zwischen Abkündigungen und Gebet: 283,3-6 (Nachdichtung des Wochenpsalms);
als Schlussstrophe zwischen Gebet und Segen: 10,4 oder 6,5.
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Predigt zum Gedenken an den 70. Jahrestag des Atombombenabwurfs über Hiroshima und Nagasaki
"Kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit dem lieben Gott!". So hat mich mal eine Mutter begrüßt, als ich zum Trauerbesuch kam. Ihr Sohn war gestorben und sie war voller Abwehr. Ein Bibelspruch wie: "Gottes Gnade wird nicht von dir weichen." hätte sie in diesem Moment brüskiert, statt getröstet.
Vielleicht können Sie das nachvollziehen, liebe Gemeinde. Auch tröstende Worte haben ihre Zeit. Und manchmal sind sie eben nicht dran. Dann ist nur noch das Schweigen angemessen. Weil das Leid die Sprache verschlägt.
Auch in den großen Katastrophen der Menschheit . Wenn dann jemand sagt: "Das musste ja so kommen, weil der Mensch sich als Gott aufspielt" ist das zynisch. Und ein durchsichtiger Versuch, mir etwas erträglich zu reden, was in Wirklichkeit nicht zu ertragen ist. Aber es wird gar nicht erträglicher dadurch. Weil es das Leid derjenigen, die von der Katastrophe betroffen sind, nicht erklären kann.
Sollten wir dann nicht einfach aufhören, nach Antworten zu suchen auf die Frage nach dem "Warum?" Manchmal scheint mir das tatsächlich wie ein gedanklicher Notausgang. Weil dieses Suchen mich immer wieder an die Grenzen meines Glaubens führt. Ja, ich mich regelrecht wundreibe an diesem Suchen.
Darum kann ich nachvollziehen, wenn Menschen ihr Vertrauen in Gott und die Welt aufgeben. Und doch lässt mich diese Frage einfach nicht los. Weil ich in dieser Welt mit all ihrem Leid leben will.
Der Künstler Johannes Schreiter versucht, mit seinem "Physikfenster" eine Antwort anzubieten. Eine Antwort, in der beides Platz hat: Die Deutung des Atombombenabwurfs als Gottes Gericht. Und die tröstende Zusage von Gottes bleibender Gnade.
Damit baut er einen Widerspruch mit einer ungeheuren Spannung auf. Sie zieht die Menschen vor diesem Fenster in ihren Bann. Der sechste August 1945 als Gottesgericht? Da stellen sich mir alle Nackenhaare auf. So glaube ich Gott nicht! Wofür hätte Gott die Menschen in Hiroshima zur Rechenschaft ziehen sollen? Hier haben doch Menschen an Menschen gehandelt! -
Gleichzeitig fordert mich das Fenster dazu heraus, weiter zu fragen. Nach Gott zu suchen mitten in der "Gottesfinsternis". Und dabei die Frage nach unserer menschlichen Verantwortung offen zu halten
Wie sehr Johannes Schreiter selbst um Antwort ringt, wie vorsichtig er damit ist, lese ich daraus, dass er sie in seinem Fenster auf einem Notizzettel formuliert hat. Ein angekohltes kleines Blatt Papier. So, als wäre diese Antwort ein erster Versuch, der noch in eine Reinschrift gebracht werden muss. Das gefällt mir. Das ist keine in Stein gemeißeltes Dogma, das Zustimmung verlangt. Das ist ein vorsichtig tastender Versuch eines suchenden Menschen, der sich bewusst ist, dass es auch ganz anders sein kann.
Auch die Gnadenzusage aus dem Prophetenbuch Jesaja steht auf diesem Notizzettel. Zwei so gewichtige, widersprüchliche Worte miteinander. Übereinander. Auf einem Notizblatt.
Sie legen mir die Antwort nahe: Keiner von uns darf sich anmaßen, die letztgültige Deutung zu kennen. Weil unsere Erkenntnis immer nur ein Teil unserer Wirklichkeit erfasst. Das hat der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth formuliert:
Fumiko Nishino-Friedewald, Lesung (1.Korinther, 13, 9-13)
9 Unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. 10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. 12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez:
Unser Wissen ist Stückwerk. Was wir heute sicher zu wissen meinen, ist morgen vielleicht schon ein alter Hut. Das klingt so banal. Aber wenn ich überlege, wie viel Leid schon durch angeblich todsichere Erkenntnisse entstanden ist, - z.B. Röntgentrahlen - dann scheint mir das eben doch keineswegs banal. Unser Wissen ist begrenzt und vorläufig – das gilt für Fragen des Glaubens genauso wie für Erkenntnisse der Naturwissenschaft. Beide können sich nicht auf absolute Wahrheiten berufen, sondern müssen immer davon ausgehen, dass unsere menschliche Erkenntnis bruchstückhaft ist und bleibt.
Warum dann dieses sperrige Bruchstück, dieses Wort von Gottes Gericht? Johannes Schreiter wagt damit den stammelnden Versuch, sogar diesen unheilvollen Tag mit Gott zu denken. Dass selbst in diesem schrecklichen Ereignis Gott bei den Menschen und nicht von ihnen abgewandt gewesen ist. Er verstärkt diese Hoffnung noch, indem er das Notizblatt mit einem kräftigen Rot rahmt. In diesem Rot lässt er Gottes Liebe aufleuchten. Sie umgibt alles. Sie wirkt über, unter und rund um alles Geschehen.
Der Künstler hält damit kühn und gegen allen Augenschein an dem Glauben fest, dass es kein Ereignis und keinen Ort der Erde gibt, in dem Gott nicht mehr zu finden ist. Selbst in der größten Not hält Gott an seiner Gnadenzusage fest. Mit drei Kreuzen bekräftigt der Künstler sein Vertrauen in diese Zusage. Es sind keine Friedhofskreuze, die vom Tod erzählen. Sie sind geöffnet und lassen das Osterlicht durchscheinen. Das Licht, das davon erzählt, dass der Tod nicht das letzte ist, was wir zu erwarten haben. Dass dort, wo wir von Leid, Schmerz und Tod überwältigt sind, auf etwas hoffen dürfen, was in uns die Sehnsucht nach dem Leben wach hält. Dass wir tatsächlich getröstet werden können in Allem, was uns und unserer Welt widerfährt.
Dieses Osterlicht breitet sich aus, wo immer Menschen einander in echter Zuwendung begegnen. Wenn Menschen wie Albert Einstein gemeinsam versuchen, ihre Mitschuld an Ereignissen zu suchen, um damit zukünftige Katastrophen zu verhindern, bricht sich die Sehnsucht nach dem Leben ihre Bahn. Wo Menschen Trauernden zur Seite stehen, ohne sie vorschnell zu vertrösten, kann wirklicher Trost langsam und zart in deren verwundeten Herzen wachsen.
In diesem Osterlicht kommt Beides zusammen: Unsere menschliche Verantwortung für das, was geschieht in unserer Welt, und Gottes Zusage, dass er diese Welt nicht unserem den Folgen unseres Handelns überlassen wird. Als seine Ebenbilder erfüllt er uns mit seiner Schöpferkraft. Es liegt an uns, welche Wege wir beschreiten. Die Katastrophe vom 6. August 1945 mit ihrem fürchterlichen Leid für ungezählte Menschen muss uns dazu herausfordern, mit allen Mitteln den Frieden in der Welt zu fördern.
Mit Gottes Gnade, die nicht von uns weicht, können wir in dieser Welt leben. Leid und Schmerz bleiben uns nicht erspart. Aber wir können getröstet werden und trösten. Anderen zur Seite stehen. Mit ihnen aushalten und sie Gottes Gnade spüren lassen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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(Konfirmations)Predigt zu 1.Korinther 2,12-16 von Jörg Egbert Vogel
12 Wir haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der von Gott kommt, damit wir verstehen, was uns von Gott geschenkt worden ist.
13 Und davon reden wir, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern mit Worten, wie der Geist sie lehrt, indem wir für Geistliches geistliche Bilder brauchen.
14 Der natürliche Mensch aber erfasst nicht, was aus dem Geist Gottes kommt, denn für ihn ist es Torheit; und er kann es nicht erkennen, weil es nur geistlich zu beurteilen ist.
15 Wer aber aus dem Geist lebt, beurteilt alles, er selbst aber wird von niemandem beurteilt.
16 Denn wer hätte die Gedanken des Herrn erkannt, dass er ihn unterwiese? Wir aber haben die Gedanken Christi.
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gäste, liebe Gemeinde,
der Apostel Paulus beschreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth mit etwas komplizierten Worten eine eigentlich ganz einfache Beobachtung:
Wer sich auf den Glauben an Gott einlässt, wer sich – wie ihr in den letzten 2 Jahren – mit Inhalten des Glaubens beschäftigt und sie in sich aufnimmt, der erlebt eine Veränderung seines Lebens.
Paulus beschreibt das mit der Gegenüberstellung des natürlichen Menschen mit dem, der aus Gott lebt.
Ihr habt das in der Konfirmandenzeit erlebt, wie sich eurer Blick auf das Leben verändert, wie sich eurer Horizont erweitert hat, was es heißt, aus Gott, mit Gott zu leben.
Wir haben die Gedanken Christi, schreibt Paulus, d.h. für euch ist Gott nicht mehr nur eine irgendwie anonyme fremde Idee, sondern Gott ist konkret geworden, so wie Jesus es seinen Schülern gezeigt hat. Ihr habt Gott etwas besser kennengelernt, habt Vertrauen aufgebaut, so wie es Jesus gelehrt hat.
Ihr habt gelernt, dass er euer Freund, euer Vertrauter sein kann, der euch Kraft gibt für euer Leben, der euch hilft in euren in Zukunft auch immer schwieriger werdenden Entscheidungen.
Ihr habt Glauben gelernt, indem ihr Bibel gelernt habt und Kirche und Tradition und Liturgie.
Ja ihr habt sogar gelernt selbständig einen eigenen Gottesdienst zu gestalten, ein selbst gewähltes Thema in Anspiel und Predigt umzusetzen.
Und ganz wichtig ist, ihr habt erfahren, dass Glaube nicht etwas ist, das man für sich alleine lebt, sondern dass die Gemeinde, die Kirche, die Gemeinschaft der Glaubenden ein Teil des Glaubens ist.
Wer versucht, ohne die Gemeinschaft zu glauben, wird immer nur seinen Kinderglauben behalten. Glaube entwickelt sich in der Gemeinschaft, im Gespräch, im miteinander Leben.
In den letzten 2 Jahren seid ihr zu einer immer vertrauteren Gemeinschaft zusammengewachsen, so unterschiedlich ihr auch seid. Ihr habt euch besser kennengelernt und auch, wie jeder mit seinem Glauben umgeht, wie sie oder er seinen Glauben ausdrücken kann, als ihr in Gruppen zu bestimmten Themen zusammengearbeitet habt. So z.b. als ihr euch mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis beschäftigt und dann eigene Glaubensbekenntnisse geschrieben habt, von denen wir eines heute auch gemeinsam sprechen.
Besonders gut seid ihr als Gruppe zusammengewachsen als ihr auf der Konfireise nach Erfurt und Eisenach in Teams Referate zu den besuchten Orten, Kirchen, Synagogen, die Wartburg und zu damit verbundenen Themen vorbereitet und gehalten habt.
Viele ganz unterschiedliche Gottesdienste hier in eurer Gemeinde konntet ihr miterleben, den „etwas anderen Gottesdienst“, normale Gottesdienste, Taizégebete, Open-Air-Gottesdienste, Jugendgottesdienste. Und zum Teil seid ihr an der Vorbereitung und Durchführung beteiligt gewesen.
Ihr habt so Erfahrungen gesammelt mit dem Glauben und der Kirche und wurdet so zu mündigen Christen, je nachdem wie weit jede und jeder von euch bereit ward, euch auf dies alles einzulassen, der eine mehr, der andere weniger.
Wenn ihr aus dem Geist lebt, wie Paulus schreibt, so wie ihr es jetzt gelernt habt, dann beurteilt ihr das Leben auf eine neue Weise, nämlich durch die Gedanken Christi, und lebt als Menschen, denen der Glaube an die Liebe Gottes zur Lebenskraft geworden ist.
Dieses Leben aus dem Geist Gottes ist besonders mit dem Pfingstfest verknüpft.
Die Freunde Jesu, seine Schüler, sind zunächst durch seinen Tod geschockt und haben sich ängstlich zurückgezogen. Dann machen sie Glaubenserfahrungen mit ihm, dem Auferstandenen. Und plötzlich haben sie den Mut, vor vielen Menschen ihren Glauben zu bekennen, ihren Glauben daran, dass Jesus aus Nazareth der Messias ist, der Erlöser, der nun bei Gott ist und durch Gottes Geist weiter wirkt unter ihnen.
Später wird das dann mit der Geschichte von der Ausgießung des Heiligen Geistes von Lukas in der Apostelgeschichte literarisch in Szene gesetzt.
Durch die Kraft des Geistes Gottes entsteht innerhalb der jüdischen Gemeinde eine neue Gemeinschaft, der an den Messias Jesus Glaubenden, die sich in kürzester Zeit über das ganze römische Reich ausbreitet und später zur Kirche wird.
Diese neue Bewegung gründet im Pfingstfest, zu dem ungefähr im Jahr 33 Tausende Menschen in Jerusalem zusammen kamen, weil sie zu einem der großen jüdischen Feste gepilgert sind, zum Wochenfest, Schawuot. Es ist das Frühjahrserntefest und das Fest des Dankes für die Tora, für die Gabe der 10 Gebote an Mose auf dem Berg Sinai.
Auch genau am heutigen Tag feiert die jüdische Gemeinde in diesem Jahr dieses Fest.
Es ist kein Zufall, dass die Gabe des Geistes Gottes, die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Jünger Jesu, mit dem Wochenfest verbunden wird.
Es bedeutet, alle wichtigen Dinge im Leben bekommen wir geschenkt.
Dass sich die Kirche so schnell ausgebreitet hat, war ein Geschenk, für das es zu danken galt. Diese Ausbreitung des Glaubens unter die Völker ist wie eine große Ernte.
Und das ist es bis heute.
Deshalb feiern wir Pfingsten Konfirmation. Dies hat eine tiefe urchristliche Bedeutung. Nicht nur für die Konfirmanden, sondern auch für die Gemeinde.
Die Gemeinde feiert so die Frucht ihres Wirkens in der Welt als „Erntefest“. Denn, dass es Konfirmandinnen und Konfirmanden immer wieder gibt, ist die Folge des Daseins der Gemeinde vor Ort. Gäbe es keine Gemeinde oder wäre die Gemeinde versteckt, unsichtbar, unauffällig und kraftlos, dann gäbe es auch keine Konfirmanden. Dann hätte die Gemeinde keine Zukunft.
So jedoch „erntet“ unsere Gemeinde jedes Jahr die Früchte ihres Wirkens, indem sie junge Menschen durch die Taufe und Konfirmation in die Gemeinde aufnimmt.
Das ist Grund zum Feiern.
Der Geist der grenzenlosen Liebe Gottes, der Pfingsten über die Freunde Jesu gekommen ist und der seit den Tagen des Mose das Verständnis für die Tora, für die Bibel öffnet, wird so von Generation zu Generation weitergegeben, eine Bewegung der Begeisterung durch die Zeiten.
Ihr Konfis 2015 seid Teil dieser Bewegung durch die Zeiten. Ob die Kirche eine Zukunft hat, hängt auch von euch ab, und davon, dass ihr euren Glauben in der Welt lebt, indem ihr euch selbstbewusst einmischt und die Geschehnisse in der Welt geistlich beurteilt.
Ich glaube, dass ihr das könnt, und dass wir gemeinsam als Gemeinschaft der Glaubenden Veränderungen bewirken können in der Gesellschaft und in der Kirche.
Denn: Wir haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der von Gott kommt, damit wir verstehen, was uns von Gott geschenkt worden ist.
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Predigt zu 1. Korinther 3,9-15 von Claudia Bruweleit
(Predigt anlässlich der Goldenen Konfirmation)
Liebe Gemeinde!
Eine riesige Feuerwalze hatte sich durch die Wälder des Yellowstone Nationalparks in Amerika gefressen Ende der Achtziger Jahre. Nicht nur kleine Buschbrände hier und da, wie in jedem Jahr – nein, im heißen Sommer 1988 hatten sich die Feuer zusammengeschlossen und vernichteten alles mit ihrer Kraft. Die Menschen waren entsetzt - das würde das Ende des Nationalparks sein, das Ende seiner Wälder zumal, befürchteten sie. Es war die größte Feuersbrunst seit dem Beginn der Aufzeichnungen im Yellowstone Park. Mehr als ein Drittel der Parkfläche dieser weitläufigen Vulkanlandschaft mit riesigen Waldflächen und seltenen Tieren im Staat Wyoming verbrannte, 3.213 [1]Quadratkilometer. Zunächst sah es auch so aus, als wäre ein großer Teil dieser besonderen Landschaft und Vegetation unwiederbringlich zerstört. Doch schon im nächsten Sommer zeigten sich unzählige Schösslinge der sogenannten Drehkiefer gleichmäßig auf den verkohlten Flächen, auch die Walderdbeere eroberte sich den Raum. Und 25 Jahre danach konnten wir bei unserem Besuch im vergangenen Jahr erleben, dass eine neue Landschaft aus dem Feuer entstanden ist. Auf weiten Flächen finden sich grüne junge Nadelwälder, zwischen denen die verkohlten Überreste alter Bäume hervorstehen.
Wie war das möglich, dass so schnell die Natur sich dieses Gebiet zurückeroberte, dass sie, durch das Feuer geläutert, schön und jung und kräftig grün die verbrannten Flächen mit Wald bedeckt. Eine besondere Vorrichtung der Natur, so erklärte uns die Nationalparkhüterin Erica, sorge dafür, dass die Küstenkiefer einige Früchte ausbilde, die besonders fest harzverklebt seien. Diese Kiefernzapfen könnten Jahre lang am Baum verbleiben -auch eine Feuersbrunst zerstöre sie nicht, sondern ihre Schuppen öffneten sich erst nach einem Feuer aufgrund der hohen Temperaturen. Nach der Feuersbrunst hätten sie sich geöffnet und ihre Samen mit den Aschewinden weit über das Land tragen lassen. So kommt es, dass die Wälder des Yellowstone Parks schneller und gleichmäßiger wieder wuchsen, als Menschen es je hätten schaffen können.
Was ist das für ein Boden im Yellowstone Nationalpark – dass er immer wieder neue Pflanzen nährt und trägt? Aus Vulkanen entstanden, gibt er Halt und Mineralien und lässt besondere Pflanzen gedeihen, die an das karge Leben in großer Höhe angepasst sind.
Scheinbar gleichmütig bietet er die Grundlage für immer wieder neues Leben. Menschen glaubten, eine Katastrophe hätte mit dem Feuer alles zerstört, doch der Boden trägt neues Leben, junge Bäume, gibt der Landschaft neue Gestalt und erhält so langfristig die Artenvielfalt und Schönheit dieser Region.
Ist das ein Bild auch für unser Leben? Etwas verbrennt, stürzt ein – und neues keimt und wächst?
Sie sind heute hier, um die Goldene Konfirmation zu feiern. Fünfzig oder mehr Jahre liegen zwischen dem Tag, an dem Sie hier in der Kirche sich zu Ihrem Glauben zu Jesus Christus bekannten und gesegnet wurden, und heute. Was ist seitdem in Ihrem Leben gewachsen, was zerstört worden? Und was hat sich behauptet, obwohl Sie es kaum für möglich hielten?
Wie ist es Ihnen gelungen, Schweres zu überstehen, Herausforderungen zu meistern, die wie ein Feuer alles zu verbrennen drohten?
Der Predigttext heute fragt nach dem, was einen guten Boden gibt für das Leben. Einen Boden, der Halt gibt und Leben ermöglicht auch in Bedrohungen. Es ist der Apostel Paulus, der hier spricht. Er hat viele Gemeinden in Kleinasien und Süd-Europa gegründet, auch Korinth. Dieser jungen Gemeinde schreibt er in dem Wissen, dass jetzt ein anderer Gemeindeleiter dort das Sagen hat, Apollo – mit dessen Entscheidungen ist er nicht in allem einverstanden. Von ihm und sich selbst schreibt er:
Übersetzung: Basisbibel
Wir sind (...) Gottes Mitarbeiter.
(...)Ihr seid Gottes Ackerland –
oder besser: Gottes Bauwerk.
10Weil Gott mich in seiner Gnade dazu befähigt hat,
konnte ich als weiser Bauleiter das Fundament legen.
Jetzt baut ein anderer darauf weiter.
Aber jeder muss aufpassen,
wie er weiterbaut.
11Denn niemand kann ein anderes Fundament legen
als das, das schon gelegt ist.
Und das ist Jesus Christus.
12Es spielt keine Rolle,
womit auf dem Fundament weitergebaut wird:
mit Gold, Silber oder Edelsteinen,
Holz, Heu oder Stroh.
13Es wird sich zeigen,
was das Werk eines jeden Einzelnen wert ist.
Der Tag des Gerichts wird es aufdecken,
denn mit Feuer wird er hereinbrechen:
Das Feuer wird prüfen,
wie das Werk eines jeden Einzelnen beschaffen ist.
14Wenn das Werk, das jemand erbaut hat,
dem Feuer standhält,
wird er belohnt.
15Verbrennt das Werk,
wird er seinen Lohn verlieren.
Er wird zwar gerettet werden –
aber nur wie jemand,
der gerade noch dem Feuer entkommen ist.
Der gute Boden ist es, der Halt gibt und rettet – auch durch das Feuer hindurch. Paulus redet recht gelassen davon, was passieren kann. Es kann sein, dass alles verbrennt und nichts bestehen bleibt. Es kann auch sein, dass Edelsteine darunter sind und dass doch noch Lohn übrig bleibt – Paulus will sich nicht mit seinem Nachfolger vergleichen. Sie sind alle Gottes – die beiden Männer, die diese Gemeinde leiten und die Menschen, die in ihr leben. Was wächst, ist Gottes Bauwerk, sagt Paulus. Was aus den Menschen wird, ist nicht seine Aufgabe – auch nicht das, was sie aus ihrem Lebensgebäude machen, nicht die Früchte, die sie bringen. Er hat nur eines getan: den Menschen von Jesus Christus erzählt. So hat er das Fundament gelegt für ein gutes, nachhaltiges Leben. Da reicht. Da braucht er sich mit niemandem mehr zu messen. Alles andere überlässt er Gott. Diese Ruhe sollen auch die Menschen in Korinth finden – eine Ruhe, die auf Gott vertraut. Auch sie haben darauf vertraut, dass Gott ihr Leben trägt und sie brauchten um diesen Grund nicht zu fürchten,
Denn, so sagt Paulus, niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das schon gelegt ist.
Und das ist Jesus Christus.
Wir stehen immer schon auf dem guten Boden.
Was heißt guter Boden?
Es heißt, dass Gott uns liebt. Und dass seine Liebe gilt. Auch durch Krankheit und Schuld und selbst durch den Tod hindurch bleibt sie der gute Boden unseres Lebens.
Wenn Sie zurückblicken, was ist bestehen geblieben in Ihrem Leben? Und was wird weiter stark sein und tragen oder kräftig sein und wachsen? Sind es die Beziehungen zu besonderen Menschen? Sind es Begabungen, die Sie haben, die Sie an verschiedenen Stellen einsetzen konnten? Freunde zu gewinnen, vielleicht?
Worauf konnten Sie in schwieriger Zeit vertrauen?
Ich habe das erkennen können, als ich mit nur wenig über Vierzig Jahren schwer erkrankte, meine Kinder waren noch jung. Ich brauchte viel Geduld. Ein ganzes Jahr lang währten die Therapien. Ein weiteres Jahr brauchte ich, um mich davon zu erholen. In der Zeit halfen mir die alten Gebete. „Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du mich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast und bitte dich, du wollest mich diesen Tag hinfort auch behüten....“ So hat schon Martin Luther gebet und seit ihm viele, viele andere.
Das Vertrauen in Gott kann ein Grund sein im Leben. Mir flogen in jenen Tagen aber auch kleine Samen für neues Vertrauen zu – Briefe von Frauen, die es schon Ende der Sechziger Jahre geschafft hatten, den Krebs zu besiegen. Dass man ihn überleben kann, sehen Sie an mir, schrieb die alte Dame mit einem Lächeln... Menschen, die sich als Freunde zeigten und da waren, einfach so. Die Familie, die um mich war und mit mir bangte... Und viele Momente, in denen wir uns geborgen fühlten trotz aller Unsicherheit.
Sie werden, liebe Goldene Konfirmandinnen, liebe Gemeinde, Ihr Leben mit Ihren ganz eigenen Höhen und Tiefen vor Augen haben. Ich wünsche Ihnen, dass Sie es so annehmen können, wie es ist. Mit der Gelassenheit, dass es auf gutem Grund gebaut ist. Vielleicht können Sie es gut sein lassen, obwohl einiges nicht so Bestand hatte, wie Sie es gehofft hatten. Vielleicht finden Sie sich in veränderter Umgebung wieder, in neuen Aufgabenfeldern.
Auch Ihr Leben lässt sich rückwärts lesen durch Feuer und durch die grünenden Phasen hindurch als eines, das die Handschrift des Lebendigen Gottes trägt.
Jesus Christus hat uns genau das vorgelebt – Vertrauen in Gott und Liebe oder Verständnis für seine Mitmenschen. Kurz vor seinem Tod dachte er an den Mörder, der neben ihm gekreuzigt wurde und tröstete ihn. Obwohl er sich elend und gottverlassen fühlte, rief er nach Gott. Und Gott war bei ihm. Er erweckte ihn zu neuem Leben.
Das können wir lernen. Auf Gott zu vertrauen. Und versuchen, herauszufinden, was bestehen wird. Liebe macht unser Leben wertvoll – Liebe, die nicht für sich etwas erreichen will, sondern für den andern.
Vielleicht geht ja manche Frucht in unserem Leben erst rückblickend auf. Vielleicht ist ja auch in manchen Dingen, die wir tun, der Same der Liebe aufbewahrt. Die vielen Male, die Sie geduldig nach einer kranken Nachbarin gesehen haben, auch wenn sie immer wieder dasselbe erzählte. Die Liebe, mit der Sie Ihren Enkelkindern Bücher vorgelesen haben oder mit ihnen gebetet haben. Die stillen Stunden, in denen Sie sich um jemand Krankes gesorgt haben. Die glücklichen Tage, in denen Sie von Luft und Liebe haben leben können oder auch die Feste, an denen Sie sich mit anderen freuen konnten. Sie werden irgendwann aufgehen und ihre Früchte ausstreuen. Gott hat Großes daraus gemacht und gibt unseren bescheidenen Versuchen, unser Leben zu gestalten, Halt und Tiefe.
So segnet Gott uns Menschen durch die Jahre unseres Lebens und gibt uns einen Grund, den niemand uns nehmen kann – Jesus Christus, der voller Gottesliebe war und ist. Er begleite Sie.
Amen.
[1] Vergleiche auch http://de.wikipedia.org/wiki/Küsten-Kiefer, abgerufen am 2.9.2014.
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Predigt zu 1. Korinther 3,9-15 von Martina Janßen
Liebe Gemeinde!
Ich sitze am Schreibtisch und sehe die Post durch. Rundverfügungen. Evaluationsbögen. Werbeprospekte: Für Fundraising. Für Ehrenamt. Für Gemeindeaufbau. Ich ordne alles zu kleinen Häufchen zusammen und seufze. Immer dieser Papierkram! Was denken die sich als nächstes aus? Bald kommt vielleicht ein Evaluationsbogen für Gemeindeaufbau! So was würde mich als Pastorin – oder um im Bild zu bleiben: als Baumeisterin einer Gemeinde - unter Druck setzen, denn auch in unserer Gemeinde gibt es viele Baustellen. Mir fällt die KV-Sitzung von gestern Abend ein: Auf was bauen wir im Miteinander? Was ist unsere Vision? Steht die Tür unseres Hauses allen offen oder mauern wir uns ein? Gemeinden sind wie Häuser. Einladend oder abweisend. Und weiter: Unsere Gemeinde ist ja nicht das einzige Haus in der Region. Wir haben Nachbarn. Lässt lokale Kirchenentwicklung auch in Zukunft noch Raum für unser Haus? Wie hoch wird man unsere Immobilie bewerten? Sind wir denkmalgeschützt oder abbruchreif?
Nein, heute möchte ich weder über die Feinheiten unserer fragilen gemeindlichen Beziehungsarchitektur noch über die kirchlichen Bebauungspläne für die Zukunft nachdenken. Lieber was Erbauliches tun. Lieber die Predigt für Sonntag schreiben. In der Hoffnung auf Ablenkung lese ich den Predigttext. Na, toll! Seufzend klappe ich die Bibel wieder zu. Auch du, Paulus, auch du!
Lesung 1 Kor 3,9-15
Liebe Gemeinde! „Ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau (1 Kor 3,9)!“ Auch Paulus schreibt über Gemeindeaufbau. Gemeinden sind wie Häuser. Das Fundament ist gelegt. „Ein jeder sehe aber zu, wie er darauf baut!“ Wenn das keine Aufforderung zum Gemeindeaufbau vom Rohbau bis zum letzten Nagel in der Wand ist- was dann sonst? Bauen wir unser Haus! Schön und liebevoll. Nachhaltig und zukunftsfähig. Als Heimat für viele und Zuflucht für Fremde. Sicher, da knallt schon mal eine Tür, da lässt schon mal einer was liegen und der Rasen müsste auch mal wieder gemäht werden. Aber die Räume sind voller Leben. Gemeinden sind wie Häuser. Sie geben Schutz und müssen selbst geschützt werden. Von außen und von innen. Damit kein Orkan das Dach abdeckt und keiner im Streit von innen die Tür eintritt. Achtsamkeit ist gefragt. Man muss lüften, damit es nicht muffig wird. Doch die Fenster müssen dicht sein, wenn Sturm und Regen kommen.
Gemeinden sind wie Häuser. Das Fundament ist gelegt. „Ein jeder sehe aber zu, wie er darauf baut (1 Kor 3,10)! “ Es braucht jede Hand beim Hausbau. Jeder nach seinen Gaben. Pflastern und Streichen. Chorsingen und Gitarre am Lagerfeuer. Zimmern und Montieren. Kuchenbacken und Geschichten erzählen. Bohren und Schleifen. Eine Hand halten und Sehnsucht wecken. Sägen und Fräsen. Glauben stärken und Tränen trocknen. Alles ist nötig. Gemeinden baut man wie Häuser. Jeder wird gebraucht. Der eine legt den Grund, der andere baut weiter. Der eine gießt Beton, der andere schmückt die Wand. Der eine organisiert ein Fest, der andere besucht die Kranken. Jeder nach seinen Gaben. Nur gemeinsam kann es gelingen, Hand in Hand, mit Herz und Verstand. Sind wir ein gutes Team? Oft, aber nicht immer. Da gibt es schon Konkurrenz im Haus: Wer ist hier die tragende Säule? Wer der Fußabtreter? Wer hat das Sagen auf der Baustelle, wer schleppt die Steine und wessen Pläne werden umgesetzt? Manchmal scheiden sich auch die Geschmäcker und manchmal widersprechen sich die Kompetenzen. Dann streiten wir. Das ist beim Gemeindeaufbau nicht anders als im Bauausschuss. Sanieren wir das Dach von innen oder von außen? Investieren wir ins Jugendcamp oder in die Palliativarbeit? Welche Akzente setzen wir in der Inneneinrichtung?
„Ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau (1 Kor 3,9)!“ Gemeinden sind wie Häuser. Dass die einzelnen Häuser verschieden sind, macht den Charme einer Stadt oder eines Dorfes aus. Nur Villen, nur Plattenbauten, nur die ewig gleichen Geschäftsgebäude – wie langweilig! Sowohl für die Stadtentwicklung als auch für die kirchliche Landschaft. Luxusloft, Fachwerkhaus mit Jägerzaun, Jugendstilvilla, der Bauwagenplatz – alle bunt und vereint auf einem Fundament. Das wäre eine Stadt Gottes, das wäre eine Kirche ganz nach meinem Geschmack! Das Fundament ist gelegt. „Ein jeder sehe aber zu, wie er darauf baut (1 Kor 3,10)!“
Gemeinden sind wie Häuser. Sie sind nie fertig. Immer geht etwas kaputt und muss repariert werden. Zugegeben – ein undichtes Fenster ist einfacher heil zu machen als eine verletzte Seele. In Gemeinden und Häusern muss immer wieder alles gepflegt und angepasst werden. Und das möglichst ohne Leichen im Keller zu hinterlassen oder dass jemand den Notausgang nimmt. Häuser und Gemeinden leben und wandeln sich. Immer ist etwas im Bau. Und Baustellen können gefährlich sein. Man kann sich selbst oder andere verletzen, man kann die Kraft, die Lust und in all dem Kleinklein auch den Blick für’s Ganze verlieren. Dann muss man sich fragen, was und warum man es tut. Es gibt eine schöne Geschichte. „Drei Steinmetze arbeiten auf einer Baustelle. Ein Passant fragt sie danach, was sie tun. Der erste Steinmetz räumt mürrisch Steine zusammen und sagt: ‚Ich verdiene meinen Lebensunterhalt.‘ Der zweite Steinmetz klopft mit wichtiger Miene weiter auf seinen Stein, während er antwortet: ‚Ich liefere die beste Steinmetzarbeit weit und breit.‘ Der dritte Steinmetz aber schaut den Fragenden ruhig und mit glänzenden Augen an und sagt: ‚Ich baue eine Kathedrale.‘ (http://studieren.de/auszeit.0.html)“ Warum und wofür bauen wir? Für Brot und Geld? Für’s eigene Ego? Für eine Sehnsucht, einen Traum…
Liebe Gemeinde! „Ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau (1 Kor 3,9)!“ Paulus schreibt den Korinthern über Gemeindeaufbau. Er hat allen Grund dazu. Es gibt Streit in der Gemeinde in Korinth. Parteiungen haben sich gebildet. Das Bauprojekt scheint gefährdet zu sein. Die einen sagen, sie gehören zu Apollos, die anderen sagen, sie gehören zu Paulus. Solches Verhalten zerstört mehr als dass es aufbaut. Darum spricht Paulus der Gemeinde ins Gewissen. Baut euer Haus! Am Ende zeigt sich, ob es Bestand haben wird. Am Ende wird evaluiert. „Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen (1 Kor 3 13)!“ Da scheidet sich dann professionelle Wertarbeit vom Baupfusch. Wie ist das mit uns? Bestehen wir die Feuerprobe oder bleibt kein Stein auf dem anderen? „Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden (1 Kor 3,12).“ Ich stelle mir so einen Evaluationsbogen zum Gemeindeaufbau vor, so einen, wo man sich selbst einschätzen muss. Was sind wir? Palast oder Hütte? Oder so dazwischen? Sind wir ein Haus aus „Gold, Silber, Edelstein“, eine Leuchtfeuergemeinde, best-practise-Beispiel, zukunftsfähig und vorbildlich – könnte ich da für uns das Kreuz machen? Oder sind wir eher ein Haus aus „Holz, Heu, Stroh“, ein kleines Licht, allenfalls ausbaufähig, vielleicht sogar ein Kandidat für eine kirchenaufsichtliche Baubegehung – muss ich etwa da das Kreuz für uns machen? „Der Tag des Gerichts wird’s klar machen, denn mit Feuer wird er sich offenbaren (1 Kor 3,13).“ Immerhin. Ich muss das nicht entscheiden und die Landeskirche auch nicht. Immerhin. Ganz so offensichtlich ist es nach außen nicht mit dem Gold, Silber, Edelstein, Holz, Heu und Stroh, mit der Beständigkeit und der Baufälligkeit. Am Baumaterial hängt nicht alles, auch nicht am schönen Schein. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und bekanntlich gilt: „Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar (F. Schiller)“. So einfach ist die Entscheidung nicht. Ein Evaluationsbogen bringt nicht wirklich ans Licht, ob eine Gemeinde eine Traumvilla oder ein Trümmerhaufen ist, ob alles auf Sand gebaut, ob die Architektur stimmig ist oder ob die Säulen tragen. Da braucht es schon den Tag des Herrn, damit die Wahrheit offenbar wird. Palast oder Hütte? Bestandsschutz oder Abbruch? Heimat oder Ruine? Darüber entscheidet Gott - und kein Auswertungsbogen, keine landeskirchliche Bauaufsicht und kein Perspektivgespräch!
Liebe Gemeinde!
„Ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau (1 Kor 3,9)!“ Bauen wir an unserem Haus nach bestem Wissen und Gewissen! Mit unserer kleinen Kraft und großen Sehnsucht! Vieles kann gelingen, einiges bleibt vielleicht auf ewig eine Baustelle und das ein oder andere kann auch wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Wir können scheitern, das ist wahr, gewiss. „Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch (1 Kor 3,15).“ Doch auch wenn die Mauern brüchig werden, die Wände einstürzen und uns das Dach auf den Kopf fällt, wir selbst werden leben. Und können neu beginnen. Immer wieder neu. Denn wir haben einen Grund, der uns alle trägt, unerschütterlich und ewig, „der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus (1 Kor 3,11).“
Amen
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Predigt zu 1. Korinther 3,9-15 von Christian Stasch
Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
1.
Es riecht muffig, sagt meine Frau Anfang April.
Wir müssen mehr lüften, sage ich.
Wir lüften doch schon viel. Sagt sie.
Ja, halt noch mehr.
Es bringt aber nichts.
Es riecht immer noch muffig, sagt meine Frau Anfang Mai,
Wir müssen die Teppiche rausschmeißen, sage ich.
Die sind doch recht neu, sagt sie.
Versuchen wir es.
Es bringt aber nichts.
Es riecht immer noch muffig, sagen wir beide, Anfang Juni, und merken:
Die Tapeten sind von innen nass, in einem Zimmer, nein, in zweien, schau mal: auch da, ja und dort auch. Nasse Wände in vier Zimmern, jetzt wundert uns gar nichts mehr.
Den Leckorter anrufen, der sucht, prüft, forscht, probiert. Nach drei Stunden mühsamer Arbeit hat er es: Ein Leck im Bad, in einer Kaltwasserleitung, ganz klein, ca. 10 mal so klein wie ein Fingernagel. Kleine Urschache, großer Schaden. „Das kann schon ein Jahr lang hinter den Fliesen gelaufen sein, ohne dass Sie was bemerken konnten“, sagt uns der Fachmann.
Das Wasser läuft vom Leck aus in der Wand herunter, es sammelt sich unten auf dem Fundamentboden, läuft darauf weiter, und steigt hier und da, wo es ihm gefällt, die Wände wieder hoch. Die Wände und Zimmertüren, nass, schimmelig, reparaturbedürftig, das haben wir jetzt hinter uns, hat runde drei Monate gedauert, mit den brummenden Trocknungsmaschinen und den Maler, Fliesenleger – und Tischlerarbeiten. Das Fundament des Hauses aber, das war nicht angegriffen. Dem konnte das alles nichts anhaben. Das stand und steht wie eine Eins. Guter Grund. Zum Glück.
Na ja, ein weiters „Fundament“ ist bei so etwas eine Wohngebäudeversicherung, die den Schaden aufnimmt, einem Mut zuspricht für die nervigen kommenden Wochen und den Schaden reguliert. „Auf uns als Versicherung können Sie sich fest verlassen.“ Fest.
2.
Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Vollmundig klingt das. Ganz fest !! Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Stolz und robust wie eine Eiche.
Paulus erinnert die Korinther an das Zugrundeliegende.
Nicht wahr, darin sind wir uns doch wohl einig, oder ?
Das sagt er den christlichen Teilgruppen, den Anhängerschaften in der damals jungen und wachsenden Gemeinde Korinth. Er findet, dass sie auseinander driften – und betont die Einheit.
Es gibt Anhänger des Missionars Apollos, durch ihn zum Glauben gekommen, nennen wir sie Apollospartei. Es gibt Anhänger des Missionars Paulus, durch ihn zum Glauben gekommen, nennen wir sie Pauluspartei. Diese Aufteilungen sind, so sagt Paulus, nichts wert, verglichen mit der Basis, dem Fundament, auf dem wir doch alle stehen. Erst das Fundament, dann erst die Aufbauten darauf, von unterschiedlichen Leuten ausgeführt, mit unterschiedlichen Materialien, und man wird erst am Ende sehen, was dieser oder jener Bauabschnitt so gebracht hat. Noch mal: Macht euch immer wieder und zuallererst das Fundament bewusst..
CDU oder SPD; Grüne oder Linke, das ist zweitrangig, wenn es um Grundlegendes geht, das die ganze Nation berührt.
FC Bayern, Borussia Dortmund oder Hannover 96, das ist zweitrangig, wenn man gemeinsam der Nationalmannschaft die Daumen drückt.
Vergesst das gemeinsame Fundament nicht.
Die Aufteilungen in der Kirche heute, Lutheraner, Reformierte, Freikirchler, Katholiken.
Na klar gibt es Unterschiede, na klar möchten wir Evangelischen keinen römischen Papst über uns haben und sind froh, dass Pastorinnen und Pastoren heiraten dürfen und: dass es Pastorinnen überhaupt gibt, Frauen in jeder Ebene der Kirche – dennoch tut es den christlichen Gruppierungen auch heute gut, das Verbindende, das Gemeinsame zu sehen, auf dem alles andere aufbaut.
3.
Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Sind wir uns über diesen Grund einig, liebe Loccumerinnen, liebe Loccumer, liebe Gäste?
Was ist dieser Grund, Christus, genau?
Wir als Christinnen und Christen heute im Jahr 2014,
Da wir nach „Christus“ heißen (Christen), geht es um ihn,
aber: Was heißt das genau? Wer ist Christus?
Im Glaubensbekenntis sprechen wir: gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben. Kurz zuvor heißt es: Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria. Und ich kenne nicht wenige, die sprechen das zwar mit aus Respekt vor der Tradition, hängen ihr Herz aber weiß Gott nicht daran: denn die Rede von der Jungfrauengeburt scheint für den Glauben doch entbehrlich.
Also: wer ist das für mich, für dich? Christus: Das Kind in der Krippe, elend, nackt und bloß, schutzlos, in diese Welt geworfen, solidarisch.
Holder Knabe mit lockigem Haar oder der der alle Krankheit trug?
Ein Wunderheiler, Magier, Herrscher über Dämonen und die Stürme des Meeres?
Der Sohn Gottes?
Das Opferlamm?
Ein Rabbi und Gesetzeslehrer?
Ein Provokateur und ein Kritiker der Gesetzlichkeit?
Ein guter Hirte?
Der Gründer der Kirche?
Der Weltenherrscher?
Den Menschen nah oder den Menschen fern?
Ein zärtlicher Freund, sanftmütiger Bruder?
Vorbild für andere, v.a. in Sachen Friedfertigkeit?
Gegner des Leidens, oder Erdulder des Leidens?
Auch wenn Sie vielleicht sagen: „Na ja, da sind mehrere Beschreibungen dabei, die ich passend finde, und die nebeneinander stehen können.“
Geschenkt. Aber jedenfalls ist die Schwerpunktsetzung unterschiedlich. Und unsere Christusbilder sind es offensichtlich auch.
Das finde ich auch nicht schlimm. Es macht uns als Christen bunt, vielstimmig, facettenreich.
Und es ist kein Widerspruch zu der Feststellung des Paulus:
Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Einen Grund gefunden zu haben, ist ein Glück und ein Segen. Eine Basis fürs Leben. Wie Grundvertrauen. Etwas, das hält und trägt, wenn es mir gut geht und auch wenn es mir dreckig geht. Wenn mir Dinge gelingen und auch wenn alles schief läuft.
„Ich habe nun den Grund gefunden, der meinen Anker ewig hält.
Der Grund, der unbeweglich steht, wenn Erd und Himmel untergeht.“
„Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich. So oft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich.“
Der Junge, der mit 15 Jahren das Elternhaus verlässt, seinen Freundeskreis aufgibt, die Kleinstadt, die er kennt, sich aufmacht ins Unbekannte, weil er eine besondere Chance wittert, Sport-Internat in Thüringen, vielleicht kann ich mich stark weiter entwickeln, vielleicht schaffe ich es, den geliebten Sport zum Beruf machen. Vielleicht. Ungewiss natürlich. Was gewiss ist, trägt er um den Hals und legt es in all den Jahren nie ab: ein Kreuz.
„Such wer da will, ein ander Ziel, die Seligkeit zu finden. Mein herz allein bedacht soll sein, auf Christus sich zu gründen.“
„Alles vergehet, Gott aber stehet, ohn alles Wanken. Seine Gedanken, sein Wort und Wille hat ewigen Grund.“
4.
Fundiert. gefestigt, stabil sein, die Ruhe bewahren, sich nicht aus der Bahn werfen lassen – so können Früchte des Glaubens aussehen, Früchte der Zugehörigkeit zu Christus – solche Früchte sind aber kein Automatismus. Manchmal bleibt es auch nur ein Wunsch und eine Sehnsucht danach. Eine Bitte.
Wunsch, Sehnsucht, Bitte, das klingt nun etwas zurückgenommen, vorsichtig und leise.
Manche, die den Grund gefunden zu haben meinen und für sich in Anspruch nehmen, ganz besonders fest auf diesem Fundament zu stehen, sprechen lauter, offensiver.
Und sind der Meinung, dass dieses Fundament nicht nur für sie selbst, sondern für jeden Menschen verbindlich sein muss. Alles andere ist vom Teufel, ist Abfall, Sünde und Gottlosigkeit. Deshalb wollen sie ihr Glaubensfundament zur allgemeinen Richtschnur machen und das alltägliche private Leben und das gesellschaftliche Zusammensein mit strengen religiösen Regeln und Vorschriften überziehen. Die Regeln entstammen der Heiligen Schrift, egal ob Bibel oder Koran, sind angeblich eindeutig und nicht hinterfragbar oder diskutierbar. Es ist ein ins Maßlose gesteigerter Umgang mit dem Glaubensfundament, es ist Fundamentalismus. Es gibt ihn bei frommen christlichen Kreisen in Deutschland und in den USA, es gibt ihn bei der Bewegung „Islamischer Staat“. Bei beiden Ausprägungen gibt es nichts zu deuteln und schon gar nichts zu lachen. Um Wahrheit wird nicht gerungen, sondern Wahrheit steht fest bzw. wird von oben festgelegt.
Fundamentalismus ist es, wenn jemand das Fundament, das ihm wichtig ist, zur Allgemeinnorm erhebt, und wenn er anderen abspricht, dass ihr ganz anderes Fundament auch seine Berechtigung hat. Und weil das ja so schön einfach und übersichtlich ist, wächst der Einfluss von Fundamentalisten. Und ihre Bedrohung. Leider.
5.
Wollen mal sehen, was dabei rauskommt. Alle werden sich am Ende für ihr Tun verantworten müssen. Dinge werden ans Licht kommen, die Folgen des Tuns werden klar. Jeder wird sich dann zumindest ein paar Fragen gefallen lassen müssen. Die Fundamentalisten, genau wie diejenigen, die konstruktiv-kritisch ihr Fundament bewahren und auch die, die das Fundament für nicht mehr so tragfähig halten.
Paulus denkt sich das so:
„Wenn jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh,
so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird's klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen.
Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen.
Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden.“
Ich will nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Was ich einmal präsentiert bekomme und welche Fragen mir von Gott gestellt werden, und er dazu dann ein Feuer braucht oder nicht, weiß ich nicht.
Was ich nur weiß: Ich bin ich dankbar für den Grund, auf dem ich stehen kann. Der stabiler ist als die Wasserschäden des Lebens. Und mich nicht einigelt, sondern mir Freiheit schenkt.
Amen.