Gotteswahrnehmung - Predigt zu 1. Korinther 11,23-26 von Rainer Kopisch

Gotteswahrnehmung - Predigt zu 1. Korinther 11,23-26 von Rainer Kopisch
11,23-26

Gotteswahrnehmung

23  Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot,
24 dankte und brach's und sprach:2 Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.
25 Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.
26 Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Liebe Gemeinde,
ungefähr 10 Jahre nach dem Tod Jesu wird Paulus in Antiochia mit der  Überlieferung der Ereignisse aus dem Leben Jesu bekannt. Die Berichte über Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen waren zunächst die wichtigen Überlieferungen, die die Entwicklung des Glaubens der ersten Christen an Jesus Christus bestimmten.
 
Von Jesus selbst vor Damaskus berufen, war es für Paulus von brennendem Interesse, sich aus der Überlieferung ein Bild seines neuen Herrn zu machen und seinen eigenen Glauben zu entwickeln. Die Überlieferung war ihm eine Richtschnur des eigenen Denkens. In seiner Tätigkeit als Apostel hat  er auch den Gemeinden gegenüber keinen Zweifel gelassen, dass es darum geht, aus der Überlieferung über Jesus und dem entsprechenden Glauben Konsequenzen für das Leben der Einzelnen und das Zusammenleben in den Gemeinden zu ziehen.
Paulus hat dies in seinen Briefen an die Gemeinden immer wieder betont.
Der Episteltext am Gründonnerstag, der heute auch Predigttext ist,  ist aus dem 1. Brief an die Korintherbrief. Er beginnt mit einem Stück Überlieferung, die mittelbar auf Jesus selbst zurückgeht. Mittelbar sage ich, weil der Bericht über die Worte Jesu bei seinem letzten Passahmahl mit seinen Jüngern ein Ausschnitt aus der überlieferten Leidensgeschichte Jesu ist und die Worte Jesu aus der aramäischen Sprache inzwischen in das Griechische übersetzt wurden. Dieser Ausschnitt wurde in der Liturgie des Abendmahls der Gemeinden verwendet, so wie es Jesus seinen Jüngern aufgetragen hat.
Ein Bericht über die Einsetzung des Abendmahls findet sich an vier Stellen im Neuen Testament: Kor 11,23-25/Mk 14,22-25/Mt 26,26-29/Lk 22,15-20. Dabei ist der Paulus-Text die älteste Quelle.
Martin Luther schreibt im kleinen Katechismus:
So schreiben die heiligen Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und der Apostel Paulus
Und dann ergänzt er den Paulus-Text nach dem Wort Blut um die Worte: das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Außerdem ändert er  die Worte Neuer Bund in die Worte Neues Testament.
Jesus hat beim letzten Passahmahl mit seinen Jünger etwas gestiftet, was seine Jünger und mit ihnen die späteren Christen nicht nur an das Ereignis der Einsetzung dieser Stiftung erinnern soll, sondern ihnen auch die Möglichkeit gibt, seine Gegenwart im Glauben erleben dürfen. Leib und Blut sind Ausdruck für die ganze Person Jesu.  Diese Person Jesu wandelt sich mit Jesu Geschichte von Leiden, Sterben und Auferstehen in der Sicht des Glaubens seiner Anhänger. 
Jesus weiß um diesen Prozess des Glaubens. Darum fordert er seine Jünger auf, zu wiederholen, was er ihnen gestiftet hat. Wir sagen in unserem Verständnis:
Jesus hat das Sakrament des Heiligen Abendmahls gestiftet.
Paulus hat das gut verstanden, wenn er schreibt: Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von diesen Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
Es geht für uns Christen auch um das Bewusstsein einer Zeitspanne bis zum Kommen des Herrn. Die frühen Christen haben das Kommen des Herrn und den Anbruch des Reiches Gottes innerhalb ihrer eigenen Lebenszeit erwartet.
Wir Christen sind heute in einer anderen Situation. Die macht uns allerdings nicht hilflos, denn wir haben als Geschenk Gottes unseren Glauben. Dieser Glaube ist von seiner Eigenart her ein lebendiger. Eine wichtige Eigenschaft des Lebens ist, dass das Leben in verschiedenen Prozessen abläuft.
Dem Prozess des eigenen Glaubenslebens Aufmerksamkeit, Energie und Zuwendung zu geben, sollte für Christen eine Selbstverständlichkeit sein. Die Gemeinschaft der Christen, die Gemeinde oder die Kirche kann dabei Unterstützung geben. Die Feier des Heiligen Abendmahles ist eine der wichtigen Gelegenheiten, uns in der Gemeinschaft nicht nur dem lebendigen Glauben zu öffnen, sondern auch die Gegenwart Jesu Christi zu erleben.
Jesus hat in der Nacht, da er verraten wurde, gewusst, dass der irdische Weg mit seinen Jüngern zusammen in absehbar kurzer Zeit zu Ende geht. Um seine Jünger aber auf seinem Weg hin zu Gott durch Tod und Auferstehung teilhaben zu lassen, hat er als sein Vermächtnis das Sakrament des heiligen Abendmahles gestiftet.

Wir hören noch einmal den Wortlaut der von Paulus überlieferten  Sätze:
Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe:
Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot,
dankte und brach's und sprach:
Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.
Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach:
Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut;
das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.
Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Mit dem letzten Satz weist Paulus auf die Mitte des Sakramentes. So oft wir von diesem Brot essen und aus diesem Kelch trinken, verbinden wir uns im glaubenden Erleben mit dem Weg Jesu, den er allein durch Leiden, Tod und Auferstehung gegangen ist.
Die Spiegelwirklichkeit ist, dass Jesus Christus sich an unseren Weg bindet.
Paulus drückt das kurz und knapp aus, indem er sagt: wir sind der Leib Christi.

Gott unterliegt nicht wie wir im irdischen Leben der Bindung an die Zeit.
Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit ein liebender Gott.
Wenn wir sagen, dass Gott als sein Sohn in die Welt gekommen ist, um uns zu erlösen, können wir aufgrund unserer Gebundenheit an die Zeit nur wahrnehmen, was sich zu bestimmten Zeitpunkten ereignet. Wir sagen dazu: wir leben in der Gegenwart und haben eine Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft.
Dieses weiß Jesus, als er das Heilige Abendmahl stiftet. Er schenkt seinen Jüngern und denen, die ihnen nachfolgen, die Gelegenheiten, in ihrer eigenen jeweiligen Gegenwart die Gegenwart des liebenden Gottes glaubend zu erfahren.

Glaube ist mehr als „Wissen von Glaubensinhalten“ und „Für-wahr-halten von Informationen und Gedanken“.
Glaube ist darüber hinaus in seiner lebendigen Form auch eine Wahrnehmungsfähigkeit für Geschehnisse und Begegnungen, die außerhalb unseres üblichen Verstehens erfassen können.
Diese Wahrnehmungsfähigkeit ist Voraussetzung für jede erneute Gottesbegegnung.
Jesus war ein Meister dieser Wahrnehmungsfähigkeit und hat auch seine Jünger gelehrt, sie bei sich zu entwickeln. Deshalb war er auch ganz sicher, dass seine Jünger verstehen, was geschieht, wenn sie dieses kultische Mal  mit Brot und Wein zukünftig als eine besondere Tradition feiern werden.
Natürlich hat die Ausübung dieser kultischen Handlung durch die „Wahrnehmungen im Glauben“ der Beteiligten Veränderungen in der Gestaltung des Ritus und im Verständnis hervorgerufen. Allein im Neuen Testament haben wir vier verschiedene Einsetzungsberichte des Abendmahles, die wir bereits aufzählten.
So ist es auch verständlich, dass wir in verschiedenen Kirchen und Gemeinden unterschiedliche Gewohnheiten oder auch Vorschriften haben, das Abendmahl zu feiern.
Das Entscheidende für uns Christen aber ist der Wille des Stifters Jesus, dass wir in der Feier des Abendmahles Gott begegnen.
Wir begegnen dabei aber nicht dem unbekannten Gott sondern dem liebenden Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat.
Unsere eigene Glaubensgewissheit, dass Jesus, der Sohn Gottes, für uns gestorben und auferstanden ist, gibt uns die Voraussetzung, Gott im Abendmahl als dem liebenden Gott zu begegnen.
Zu einer Begegnung gehört auch das Gespräch. Über die rituellen Gebete im Abendmahl hinaus, steht es uns nicht nur frei, mit Gott in unserem Herzen zu sprechen, sondern diese Begegnung auch zu genießen.
Dazu gehört, den einziehenden Frieden und die Freude in unserem eigenen Herzen wahrzunehmen und  die Stärkung unseres eigenen Herzens zu erleben.
Dieses Geschehen  ist natürlich keine Selbstverständlichkeit, sondern es muss von uns gewollt und unterstützt werden.
Paulus sagt vor und nach dem Bericht von der Einsetzung des Abendmahles einige tadelnde und mahnende Worte an die Gemeinde in Korinth. Der Kern dieser Worte ist der Hinweis darauf, dass wir nur in würdiger Weise am Abendmahl teilnehmen sollen.
Wenn wir eigentlich keine würdige Begegnung mit Gott wollen, dann sollten wir auch am Abendmahl nicht teilnehmen.
Das Vaterunser hat mit Recht einen besonderen Platz im Ablauf der Feier des Abendmahles. Wie Martin Luther in seinen Erklärungen zum Vaterunser im kleinen Katechismus betont, bitten wir in diesem Gebet um die Gegenwart Gottes in unserem Leben und stellen sie im Dank und Lob gleichzeitig fest. Gerade in der Teilnahme am Abendmahl können wir den Schluss des Gebetes im Glauben wahrnehmen:
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

 Amen
 

Perikope
24.03.2016
11,23-26

Abendmahl: Entzaubertes Geheimrezept oder Wegzehrung für alle Zukunft - Predigt zu 1. Korinther 11,23-26 von Markus Kreis

Abendmahl: Entzaubertes Geheimrezept oder Wegzehrung für alle Zukunft - Predigt zu 1. Korinther 11,23-26 von Markus Kreis
11,23-26

Abendmahl: Entzaubertes Geheimrezept oder Wegzehrung für alle Zukunft

Das Ende ist nah, liebe Gemeinde. Und was für ein Ende. Menschen erheben sich von ihren angestammten Plätzen, sie stehen auf, gehen los, ja, zuweilen strömen sie geradewegs. Nur um dann doch wieder anzuhalten. Und sie warten beharrlich. Sie wollen hineinkommen in die in sich sich gekehrte Runde der Auserwählten. Sie wollen teilhaben an dem Reichtum, der sich in dieser Welt zeigt.

Und sie kommen dran, kommen an die Reihe. Es wird Rücksicht genommen, sie bekommen etwas ab. Nehmen ihren Teil an sich und zu sich. Flüchtende, die es aus den dunklen Ecken ihres Lebens in eine gute, lichte Welt zieht. Menschen, die ihr Leben im Guten und Bösen miteinander teilen und darin Frieden suchen.

Jedes Mal, wenn eine christliche Gemeinde Abendmahl feiert, ereignet sich das,  dieses nahe Ende: das Aufstehen, Losgehen, Anstehen, Rücksicht nehmen, Bekommen, Teilhaben. Das nahe Ende der Welt. Dieses eine nahe, welches jedoch das ferne Ende im Voraus erschaut und vorweg nimmt. In der Feier des Abendmahls kommt Gottes fernes Ende und Ziel uns nahe: die Wallfahrt allen Volkes und aller Völker nach Jerusalem zu einem großen Festmahl.

Hat doch Gott in Jesu Kreuz den Weg in das begonnen und begangen, was ihm fremd war: in den Tod und zu den Heiden. Und von da ist er mit den Fremden als vergrößerte Gefolgschaft zu sich Heim gekehrt. Das gewährt, dass wir im Abendmahl die Überwindung der Distanz zwischen Fremden vorweg nehmen und feiern.

Dieses ferne Ende kommt nahe in der Feier des Abendmahls, Gottes gutes Ende für alles Volk und alle Völker. Gottes gutes Ende, so wie es sich im Glauben der Kirche zeigt und darstellt. Auch wenn es angesichts der aktuellen politischen Ereignisse schwer fallen mag, dies als Gottes gutes Ende zu erkennen. Das erscheint manchem doch recht utopisch in dieser bewegten Welt.

Andererseits: Wer lebt schon ohne Utopien oder Ideale? Ist das in unserer Gesellschaft herrschende persönliche Gesundheitsideal nicht auch utopisch? Und wird doch von nahezu jedermann erachtet als rechtens und als befolgenswert. Und zwar unbeschadet dessen, dass kein Mensch dem biologischen Gesundheitsoptimum entspricht. Auch die Tatsache, dass Operationen und Therapien den ursprünglichen Gesundheitszustand selten wieder herstellen, tut diesem Ideal keinen Abbruch.

Krankheit und Erkrankung wird man nicht ausmerzen können, genauso wenig wie Dummheit und Faulheit. Und trotzdem glauben und verfolgen wir diese Utopie, die Ideale von persönlicher Gesundheit und Bildung. Wir erdenken und tun alles Mögliche, um dem Gesundheitsideal näher zu kommen. Das gilt auch für das Bildungsideal. Was die Völkerfriedensutopie angeht, da schaffen wir das nicht so gut, der wird mit mehr Misstrauen begegnet.

Was der Glaube als wahr behauptet, das ist in der Bibel klar formuliert und liegt eigentlich offen zutage. Und doch gilt: Was der Glaube behauptet, erscheint je nach den in der Welt herrschenden Zuständen recht geheimnisvoll und befremdlich. Das gilt auch für das nahe und ferne Abendmahl und sein Verständnis. Doch wie bereits beschreiben und gesagt: Es handelt sich bei diesem Sakrament nicht um das Geheimrezept eines Wunderdiätmittels.  

Völkerwallfahrt nach Jerusalem mit Festmahl: das wäre wie Nahosttourismus – bloß ganz ohne Gewalt im Hinterkopf. Nur lauter Vergebung. Das wäre wie ein Galadiner – ganz ohne Widerwille, bloß eine gesellschaftliche Pflichtveranstaltung über sich ergehen lassen zu müssen - mit Conveniencefood und lästigen Tischnachbarn. Nur lautere Freude aneinander und muntere Gespräche.

Was zieht uns mehr in den Bann? Was spricht uns heuer mehr an? Das Märchen von der Versöhnung fremder Personen und Kulturen? So wie es im Film namens Ziemlich beste Freunde erzählt wird? Wo der eine dem anderen trotz dessen fragwürdiger Vergangenheit nicht laufend mit Generalmisstrauen begegnet. Und der andere jenem echtes Mitgefühl erweist. Und zwar indem er ihm gangbare Wege aus seiner Opferrolle zumutet. Und ihm Nähe und Hilfe dabei leistet.

Oder bannt uns die Story, die erzählt, wie wilde Wanderwölfe alle Guten aus dem deutschen Märchenpersonal auffressen? Schön in Blauweiß mit vielen roten Einsprengseln.

Viele Kirchen und Gemeinden jedenfalls wollen das ihre zur Versöhnung von fremden Kulturen und Personen beitragen. Und so helfen sie. Und machen und tun. Hören zu und sprechen an.

Christen kennen auch eine andere Erfahrung als guten Mut und Zuversicht: Es gibt einige, die verlieren den Glauben trotz dessen Fremdheit nicht - im Gegenteil. Sie tun alles, was in ihrer Kraft steht, um zu bezeugen, dass Gottes Menschenwelt und unsere Konflikt beladene Menschenwelt vereinbar sind. 

Aber sie scheitern, sie verzweifeln dabei, weil sie mit ihrem Tun aus Glauben den offensichtlichen Gegensatz nicht zu überwinden vermögen. Sie verzweifeln an der Unversöhnlichkeit dieser gegensätzlichen Wirklichkeiten. Sie leiden unter der offensichtlichen Vergeblichkeit und Absurdität. Denn ihr Vorhaben wird allzu oft von Menschen gemachten Umständen torpediert – ganz anders als im Film ziemlich beste Freunde

Es gibt noch ein weiteres. Wie Verzweiflung ist Glaube ist eine inwendige Angelegenheit. Und manchmal wird der Glaube so sehr inwendig, dass er keinen Weg zu unserem Bewusstsein findet. So dass wir ihn offensichtlich verloren haben. Innere Emigration, Auswanderung in die bewusste Innerlichkeit – aber nicht wie in der NS Zeit wegen gottloser Verhältnisse in der Heimat. Sondern ins gottlose Exil trotz ausgeglichener Verhältnisse in den Kirchengemeinden.   

Oder der Glaube wird aus dem Bewusstsein verdrängt, wenn er gar zu Ungeheuerliches oder Unwahrscheinliches behauptet. Da wird ruckzuck der Fremde von der Liebe ausgeschlossen und Nächstenliebe in Hass für Glaubensfeinde verwandelt. Dann hängen wir ersatzweise irgendeinem Irrglauben oder aberwitzigem Wahn an. Und mit dem erklären wir uns dann Gott und die Welt so hin, wie wir es gern hätten.

Aber der Glaube herrscht in uns. Auch wenn wir nichts davon mitkriegen. Gottes Glaube bestimmt uns, auch wenn wir uns explizit gegen das aussprechen, was er beansprucht. Gottes Glaube regiert in uns ohne unser Wissen. Auch wenn wir das nicht glauben können.

Das Abendmahl ist nicht nur das entzauberte Geheimrezept, sondern auch Gottes Lebensmittel. Das Abendmahl ist Gottes Wegzehrung für uns. Proviant, der beim Überwinden der Distanz zwischen fremden Kulturen und Personen hilft.

Für Katholiken ist das vielleicht etwas leichter einzusehen als für Protestanten. Distanzüberwindungsproviant. Unter ihrem Dach dürften sich mehr verschiedene Kulturen und Typen finden als bei den evangelischen Kirchen.

Andererseits: Kolossale Fremdheit soll es sogar zwischen alteingesessenen Bewohnern eines evangelischen Dorfes gegeben haben. Und immer noch geben. Ebenso allerdings deren Überwindung in der Abendmahlsfeier.

Gottes gibt uns in Brot und Wein seine Wegzehrung. Denn der Weg zum Fremden zehrt an uns. Angst essen Seele auf. Wir verlieren den Glauben. Wir glauben, aber wir verzweifeln an der Vergeblichkeit unserer Bemühungen. Wir flüchten in Wahn und Aberglaube vor den Realitäten. Die Distanz zum Fremden zu überwinden - das kostet uns so einiges an Überwindung.

Diese Dienstreisekosten gleicht Gott mit seiner Wegzehrung aus. Irrglaube und Wahn verlieren sich. Verlorener Glaube findet sich wieder. Der Glaube an sich und an seine Talente stellt sich wieder ein. So wie der Glaube an die eigene Aufgabe vor Gott. Mitsamt dem Glauben an die Menschlichkeit auch noch so fremder Menschen. Egal, ob sie aus dem eigenen Quartier oder von den Enden der Erde stammen.

Verzweiflung und Vergeblichkeit münden in der Bitte um Vergebung für eigene unerkannte Fehler. Ja, es gibt noch mehr zu hoffen: Verzweiflung und Vergeblichkeit verwandeln sich durch Einsicht des Gegenüber in die eigene Vergebungsbedürftigkeit.

Der Andere, der Fremde erahnt seine Unzulänglichkeit und bittet um Vergebung. So kann aus Verzweiflung und Ohnmacht Mut und Ausdauer entstehen. Keiner muss in der Opferrolle verharren. Denn der andere verhilft ihm zu gangbaren Wegen daraus. Keiner wird bei seiner Vergangenheit behaftet,

denn er zahlt kleine Vertrauensvorschüsse mit gleicher Münze zurück. Kleine Fortschritte überwinden große Distanzen.

Als echte Himmelsspeise versiegt Gottes Proviant für uns erst, wenn der Herr kommt. Will sagen: Gottes Wegzehrung für uns wirkt immer stärker als die menschlichen und unmenschlichen Kräfte, die uns auf Gottes Weg zusetzen. Die Überwindung der Distanz wird gelingen.

So gesehen enthält das Abendmahl als göttliche Wegzehrung noch eine dritte Bedeutung: Die Distanz verzehrt sich. Der Weg wird sich von selbst verzehren. Die Distanz zwischen fremden Personen und Kulturen wird sich zwangsläufig aufheben in ein neues Miteinander. Unaufhaltbares Überwinden. So wie im Frühling Wurzeln ihre Triebe aus dem Dunkel ins Licht winden. Ein Wunder.

Kein Wunder. Hat doch Gott in Jesu Kreuz den Weg in das begonnen und begangen, was ihm fremd war: in den Tod und zu den Heiden. Und von da ist er mit den Fremden als vergrößerte Gefolgschaft zu sich Heim gekehrt. Das gewährt, dass wir im Abendmahl die überwundene Distanz zwischen Fremden vorweg nehmen und feiern. Das zeigt, dass wir in der Abendmahlsfeier auf Gottes guten Wegen wandeln. Amen.

 

Perikope
24.03.2016
11,23-26

Predigt zu 1. Korinther 11,23-26 von Jochen Riepe

Predigt zu 1. Korinther 11,23-26 von Jochen Riepe
11,23-16

I
‚Alles hat seine Zeit‘, alles Schritt für Schritt und nacheinander. Das Weinen. Das Lachen. Reden. Schweigen. Was aber, wenn die Zeit ‚kurz‘, ‚zusammengedrängt‘* ist oder die Zeiten sich gleichsam übereinander legen? Erinnerung und Erwartung. Trauer und Freude. Dann ist die Zeit des Liebes-Mahls, ja, die Zeit einer großen Sorglosigkeit.

II
Die Liebe geht durch den Magen, der Glaube auch. In der Art, wie, mit welchen Worten und Gesten, wir essen und trinken, spricht sich sehr vieles vom dem aus, was der Seele wichtig ist. Beim jüdischen Passamahl stehen neben dem Brot, dem Fleischknochen, dem Fruchtmus auch immer Kräuter auf dem Tisch. Ihr bitterer Geschmack erinnert an die bittere Knechtschaft in Ägypten. Auf dem Tisch stehen aber auch vier Kelche mit Wein und ein weiterer für den Propheten Elia, den Vorläufer des Messias. Der bittere Nachgeschmack der Knechtschaft und der süße Vorgeschmack der Erlösung gehören zusammen.

III
Paulus schreibt nach Korinth. Jener Gemeinde, der er als ‚ihr Vater‘, eine besondere Liebe und Aufmerksamkeit schenkt und unter deren Missständen und Nöten er leidet. Die schwierige Situation in Korinth lässt sich durch einige Fragen beschreiben: Hatten manche Gemeindeglieder vergessen, was am Ursprung des christlichen Abendmahls steht und was sein Sinn ist? Hatten andere sich unwürdig beim gemeinsamen Sättigung- und anschließenden Heiligen Mahl verhalten? Hatten die Reichen mit ihren mitgebrachten Speisen die Armen beschämt oder hatten sich die Armen über unsolidarisches Verhalten der Reichen beschwert? Paulus erinnert jedenfalls eindringlich an das letzte Mahl Jesu vor seinem Tod und an die Worte, die der Herr über Brot und Wein gesprochen hatte: ‚Mein Leib – für euch gegeben. Das tut zu meinem Gedächtnis. Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut‘. Die Erinnerung wird schließlich zum Appell und zur Bitte: Diese Nacht des Verrats, darf nicht vergessen werden. Bei jedem Mahl sollt ihr den Tod des Herrn verkündigen.

IV
Der Apostel geht aber weiter. Das ist nicht alles. Der, der damals starb, ist ja der lebendige Herr und von ihm glauben wir, dass er wiederkommen wird. Die Vergangenheit greift sozusagen in die Zukunft in dem Augenblick, da wir Brot und Wein teilen: ‚bis er kommt‘. Über den Speisen und dem Trank des Weinstocks eröffnen sich mit dem Blick zurück die Erwartung und die Hoffnung, er, der Erlöser möge kommen. ‚Maranatha‘ so heißt der gottesdienstliche Gebetsruf, den Paulus am Ende des 1.Korintherbriefs (16,22) zitiert und der wohl von der Gemeinde sehnsuchtsvoll-laut und inbrünstig gerufen wurde: ‚Unser Herr komm(t).‘ Er möge kommen sichtbar für alle Welt an seinem Tag und doch auch schon in dieser Stunde der Feier zu seiner Gemeinde! Zusammenfall der Zeiten und zugleich: Öffnung der Zeit. So wie die jüdische Festtafel den Becher Wein für den Vorläufer des Messias bereitstellt, so halten die Christen einen Platz frei für den Messias Jesus. Unsere Abendmahlsrunde ist nie eine geschlossene Runde oder interne Veranstaltung. Sie ist offen für den, der kommen soll und für alle, die er mitbringt.

V
‚Alles hat seine Zeit‘ – was aber ist, wenn die Zeit, wie Paulus schreibt, ‚kurz‘ oder ‚zusammengedrängt‘ ist? Erinnerung. Erwartung. Bitternis. Süßigkeit. Trauer. Freude. Dann ist die Zeit des Liebesmahls, an dem die Teilnehmenden wirklich ‚sehen und schmecken‘ sollen und sich einer großen Sorglosigkeit überlassen dürfen. Es ist genug für alle da, denn der Herr des Mahls teilt unter Brot und Wein seine Gaben mit uns allen. Kurz zuvor in seinem Brief nennt Paulus die dieser Zeit  entsprechende Haltung: ‚haben, als hätte man nicht‘: Ich kaufe, aber wer sagt mir, dass ich es behalten muss? Ich bin verheiratet, aber wer sagt, dass meine Frau mir gehört (7,31)? In Christus kann man die Dinge dieser Welt in Freiheit annehmen, aber auch lassen! Sozusagen eine besitzfreie Zeit, in der wir dem nahekommen, wie der Herr selbst gelebt hat. Alle ängstlichen Klammergriffe dürfen sich lösen zugunsten der unaufgeregten, ‚geduldigen‘ und ‚freundlichen‘ Macht der Liebe. Die ‚kurze Zeit‘ ist in einem die Zeit der ‚Langmut‘ und Großzügigkeit, in der wir füreinander da sind, Zeit-teilen und einander ‚auf-warten‘, so dass jeder das bekommt, was er braucht.

VI
‚Ich will aber, dass ihr ohne Sorge seid…‘ (7,32), und gerade um dieser Sorglosigkeit Willen ist es so wichtig, dass die Mahlzeiten der Christen offen bleiben, keine Hürden oder Vorbehalte aufbauen und vor allem: nicht beschämende Situationen schaffen; dass alle, wirklich alle, an ihr teilnehmen können. Hatten in Korinth die Reichen die Armen beschämt und damit in der Zeit des Christus sich ‚unwürdig‘ verhalten? Manche Schriftausleger meinen, dies erkennen zu können. Wie kann man am Tisch des Herrn zusammenkommen, wenn die reicheren Gemeindeglieder ihr Mitgebrachtes nicht mit den Armen teilen, nicht einander ‚auf-warten‘, sondern für sich bleiben und für sich essen? Dann wird das Mahl des Glaubens ein Spiegel der ungerechten Mahlzeiten der Gesellschaft und  die Zeit des Christus wird verspielt zugunsten der kruden Weltzeit. Manche reiche Dame aus Korinths Oberschicht, die gern die Versammlungen der Christen besuchte, konnte sich vielleicht nur schwer daran gewöhnen, dass der von ihren Sklaven bereitete Proviant von den groben Händen der Hafenarbeiter ergriffen wurde – vielleicht heftig und gierig ergriffen wurde. Ja, wo Er erwartet wird, wo sein Tod erinnert wird, da wird die Zeit ‚kurz‘ und man kann ergänzen: der Raum ‚eng‘ und gerade darin weit. Man kann einander nicht ignorieren. Arm und Reich sitzen an einem Tisch und übernehmen Verantwortung füreinander.

VII
Die Liebe geht durch den Magen und der Glaube auch. Die bitteren Kräuter. Der süße Wein. Gedächtnis des Todes. Erwartung des Kommenden. Maranatha – die Zeit des Liebesmahls. Das Gedächtnis sei der nährende Magen der Seele**, meinte Augustinus, und Erwartung und Hoffnung, so mag man hinzusetzen, sind ihre beschwingenden Flügel. Wenig später in seinem Brief wird Paulus das Hohe Lied der Liebe anstimmen. Die reichen Griechen und Römer lobten nach der Sättigung beim Symposion den Eros, den Gott der sinnlichen Liebe. Paulus singt über die Liebe, jene Gottesmacht, die den Tod aufgesucht hat und die ‚niemals aufhören‘ wird. Aus Liebe, aus ‚alles ertragender‘ Liebe ist der Herr gestorben, aus ‚langmütiger und freundlicher Liebe‘ wird er kommen – heute und hier uns seine Zeit schenken. Aus dieser Liebe teilen wir mit denen, die zu uns gehören und mit denen, die (noch) nicht dazugehören.

Macht euch keine Sorgen. Der Herr ist nah.

*1.Kor.7,29
**Augustinus , Confessiones -Bekenntnisse , 3.Aufl. 1966, S.519 (X 14,21)

Perikope
24.03.2016
11,23-16

KONFI-IMPULS zu 1. Korinther 15,1-11 von Ulrich Erhardt

KONFI-IMPULS zu 1. Korinther 15,1-11 von Ulrich Erhardt
15,1-11

Konfi-Impuls für den Ostersonntag zu 1. Korinther 15,1-11

Mit jedem Konfi-Jahrgang mache ich die Umfrage, welchen Aussagen des Glaubensbekenntnisses sie zustimmen können. „Am dritten Tage auferstanden von den Toten“ und „Auferstehung der Toten und das ewige Leben“ finden durchweg die niedrigsten Zustimmungswerte. Auf meine Rückfrage, woher das kommt, höre ich meist die Gegenfrage: „Gibt es dafür irgendwelche Anhaltspunkte?“ Paulus benennt hier zumindest Zeugen für seine Auferstehungsbotschaft (vv.5-8).

Daraus ergibt sich für mich die erste Idee, wie man mit Konfirmanden diesen Text im Gottesdienst gestalten kann. Sie können im Unterricht ein Anspiel erarbeiten: Ein Reporter befragt zunächst Menschen, warum sie Ostern feiern. Dabei wird er an die ersten Zeugen verwiesen, die er dann interviewt: Paulus (v.9, dazu Apg.9,1-18), Petrus (v.5, dazu Ostergeschichten der Evangelien) und vielleicht noch einige der hier namenlosen (v.6), zu denen auch die „Schwestern“ gehören: Maria Magdalena, Salome … Das kann in der Predigt aufgegriffen werden: Ein starker Hinweis auf die Auferstehung sind Menschen, die ihr Leben verändert haben und sogar zum Martyrium bereit waren nach dieser für sie entscheidenden Begegnung mit dem Auferstandenen.

Eine zweite Möglichkeit ist, mit Konfirmanden der Aussage: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“ (v.10) nachzudenken. Zunächst zusammentragen: „Wem verdanke ich entscheidende Impulse, dass ich so bin, wie ich bin?“ Die Antworten (Eltern, Familie, Freunde, Lehrer, Trainer …) können auf Pfeile aus Plakatkarton geschrieben werden, die im Gottesdienst um eine Figur gelegt werden. Danach ein Band mit dem Bibelvers darum herum legen. In diesen Impulsen wirkt Gott, um mich zu dem zu machen, der ich bin. Aber auch noch darüber hinaus: Durch die Auferstehung gibt uns Gott Lebensimpulse, die über das irdische Leben und Sterben hinausweisen.

 

Perikope
27.03.2016
15,1-11

Predigt zu 1. Korinther 13,1-13 von Christiane Borchers

Predigt zu 1. Korinther 13,1-13 von Christiane Borchers
13,1-13

Rita betritt den Raum. Es hat sie Überwindung gekostet, diesen Schritt zu tun. Aber es ist ihre Aufgabe, hierher zu kommen, sich mit diesen Menschen und ihren Lebensgeschichten zu befassen. Es wird von ihr nicht viel verlangt, genauer genommen gar nichts, außer, dass sie kommt, sich kurz vorstellt und ansonsten zuhört. Die Gesprächsrunde beginnt. Es geht nach einfachen Regeln zu. Einer leitet die Sitzung, jede/r darf sich melden und erzählen. Niemand ist verpflichtet, etwas zu sagen. Zögerlich heben die Ersten die Hand. Wer an der Reihe ist, beginnt von sich zu reden, erzählt aus dem eigenen Leben. Niemand unterbricht, niemand kritisiert, niemand argumentiert dagegen. Es wird zugehört, einfach nur zugehört. Carsten ergreift das Wort. Er redet und redet und hört gar nicht auf. Rita guckt auf die Uhr: Geschlagene zwanzig Minuten hat er gesprochen. Dass er überhaupt so viel über sich reden kann, verwundert sie. Sie könnte es nicht. Es ist aber durchaus interessant, was er erzählt. Der Gesprächsabend ist zu Ende. „Kommst Du wieder?“, fragt Carsten Rita. Alle duzen sich hier. Ohne direkt darauf einzugehen, verabschiedet sie sich. Nachdenklich geht Rita nach Hause. Es hat sie bewegt, was die anderen gesagt haben. So manches hat sie bei sich wieder entdecken können.

Als der nächste Gesprächsabend kommt, stellt sie überrascht bei sich fest, dass sie sich darauf freut. Sie geht hin. Die ersten fangen an zu sprechen. Dann meldet sich Carsten. Wieder redet und redet und redet er und hört nicht auf. Ein Blick auf die Uhr: Zwanzig Minuten vergehen, bis er fertig ist. Rita lehnt es für ab, dass er so viel Zeit beansprucht. Das hält sie allerdings nicht davon ab, wieder zu kommen. Regelmäßig geht sie zu den Gesprächsabenden.  

Das nächste Mal kann Rita es nicht vermeiden, dass sie neben Carsten sitzt. An seiner Seite ist der einzig freie Stuhl im Raum. Etwas unwillig nimmt sie Platz. Der Abend beginnt, mehrere reden und natürlich auch Carsten, wie immer zwanzig Minuten, als ob er die Uhr danach stellt. Während er spricht, geschieht bei Rita eine Verwandlung. Sie kann sich an seinen Worten nicht satthören. Sie liebkosen ihre Seele. Sie fühlt sich mit Carsten verbunden. Jetzt wird ihr die Zeit nicht lang. Sie vergeht wie im Flug. Nachdem Carsten aufgehört hat zu reden, dreht er sich leicht zu ihr und lächelt sie an. Beglückt lächelt Rita zurück. „Ich fühle mich so wohl, wenn du neben mir sitzt“, sagt er am Ende des Abends zu ihr. Eine große Liebe beginnt; rein, licht und klar. Er gesteht ihr, dass es ihn schon ganz zu Anfang, als er sie das erste Mal zur Tür hereinkommen sah, wie ein Blitz vom Himmel durchfuhr.   

Die Liebe ist das Allerwichtigste und das Größte. Hätte ich allen Glauben und könnte Berge versetzen und hätte die Liebe nicht, wäre ich nichts. Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe glaubt alles und hofft alles. Die Liebe hört niemals auf.

Rita wünscht sich von ganzem Herzen und mit aller Kraft, dass ihre Liebe für immer bleibt. Unvermittelt und voller Panik überfällt Rita plötzlich der Gedanke, dass Carsten sie verlassen könnte. Die bloße Vorstellung, ohne ihn zu sein, versetzt sie in große Furcht. Sie spricht mit Carsten darüber, teilt ihm ihre Ängste mit. „Ich werde immer bei dir sein“, tröstet Carsten die verzagte Rita. „Ich bin auch dann noch da, wenn ich nicht mehr da bin.“ Da sind sie wieder, diese wohltuenden Worte aus seinem Mund, die nur er sprechen kann. Nichts und niemand kann sie trennen, nicht einmal der Tod.  „….bis dass der Tod euch scheidet“. Der Tod wird sie nicht scheiden. Er wird immer bei ihr sein. Und sie bei ihm. Diese Erkenntnis brennt sich als Schatz in ihr Herz ein.

Paulus redet in seinem Hohen Lied von einer großen Liebe, die kein Ende hat. Die Liebe hört niemals auf. Ohne sie kann er nicht existieren. Ohne sie hat sein Leben keinen Sinn.

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte alle Erkenntnis und wüsste alle Geheimnisse und hätte die Liebe nicht, wäre ich nichts, schreibt Paulus. Paulus ist von einer Liebe durchdrungen, die ihn Dunkles und Schweres ertragen lässt. Bei ihm trägt die Liebe den Namen Christi. Aus der Liebe zu Christus schöpft er seine Kraft. Er hält sich an den lebendigen Christus, der vom Tod auferstanden ist. Die Liebe zu Christus kennt die Grenze des Todes nicht. Sie hört niemals auf.

„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe“, schreibt Paulus in seinem Hohen Lied. „Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Warum ist die Liebe die Größte von allen? Glauben und Hoffnung sind nicht minder wichtig. Sie sind lebensnotwendig. Ohne Glauben und Vertrauen, dass ich gehalten und tragen werde, kann ich nicht leben. Wenn ich meinen Glauben verliere, bin ich in meiner ganzen Existenz bedroht. Ohne Hoffnung, dass ich eine Zukunft habe, kann ich nicht sein. Hoffnungslosigkeit führt letztlich in den Tod. Glaube und Hoffnung gehören zu den Grundpfeilern meiner Existenz. Ohne Glauben und Hoffnung sind wir nicht lebensfähig. Warum aber ist die Liebe größer als Glaube und Hoffnung? Weil Glaube und Hoffnung ein Ende haben, die Liebe aber nicht. Die Liebe bleibt. Wenn das Reich Gottes anbricht, sind Glaube und Hoffnung überflüssig geworden. Auf Erden leben wir im Glauben, im Himmel schauen wir die Herrlichkeit Gottes. Auf Erden leben wir in der Hoffnung, im Himmel hat sich die Hoffnung erfüllt. Die Liebe aber durchwaltet Himmel und Erde. Auf Erden ist die Liebe, aller Gewalt und Bosheit zum Trotz, vollkommen erfahrbar. Im Himmel sowieso.

Noch sind wir nicht im Himmel, noch sind wir auf der Erde. Noch sehnen wir uns nach Erlösung und Erfüllung. Die gesamte geschundene Kreatur sehnt sich nach Frieden und Erlösung.

Die Liebe ist allumfassend. Sie beschränkt sich nicht auf einen Menschen. Meine Grundhaltung gegenüber allen Menschen kann von Liebe geprägt sein. Liebe kann ich gegenüber Tieren und der Natur empfinden. Die Erde trägt und erhält uns. Tiere bereichern mich. Sie bringen Freude in mein Leben. Eine schnurrende Katze löst Wohlbefinden bei mir aus. Ein treuer Hund wird zum Gefährten. Eine Kuh blickt mich mit ihren sanften Augen an.  Wer in den Tieren Geschöpfe Gottes sieht, wird ihnen kein Leid antun. Liebe kann ich auch zu Bäumen entwickeln. Das kann ich einüben. Ich gehe aufmerksam durch einen Wald, lausche auf Geräusche, atme Gerüche, umarme einen Baum, höre, ob er eine Botschaft für mich hat. Bäume haben ihre Lebensgeschichte. Mit aufmerksamen, liebenden Blick durch die Welt gehen, aufnehmen, was sie zu sagen hat, mich ansprechen lassen, verwandelt mein eigenes Leben.  

Die Liebe ist freundlich und langmütig, sie eifert nicht und bläht sich nicht auf. Sie sucht nicht das Ihre, sie erfreut sich an der Wahrheit. Die Liebe erträgt alles und duldet alles. Ich kann alles unterschreiben, was Paulus in seinem Korintherbrief über die Liebe sagt, bis auf dieses: Die Liebe erträgt alles und duldet alles. Diese Aussage widerstrebt mir. Die Gefahr ist groß, dass eine Liebe, die alles erträgt und duldet, ausgenutzt wird. Wo jemand ausgenutzt wird, ist die Liebe verschwunden. Die Liebe treibt nicht Mutwillen und nutzt niemanden aus. Ich könnte mir vorstellen, dass Paulus diese Worte geschrieben hat, weil er in seiner persönlichen momentanen Lage Trost sucht. Er wird von einigen Gemeindegliedern in Korinth hart angegangen. Seine Gegner stellen sein Apostelamt in Frage und machen ihm Schwierigkeiten. Um Christi und des Evangeliums Willen erträgt er ihre Anfeindungen und erduldet ihre Anschuldigungen.

„Jetzt sehen wir wie durch einen dunklen Spiegel, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ Im Himmel sind Freude und Licht. Mit Christus strahlt schon jetzt das Himmelslicht auf die erlösungsbedürftige Erde. Wir ahnen die Herrlichkeit und den Glanz Gottes in der neuen himmlischen Welt, sehen aber noch nicht klar. Paulus verwendet das Bild von einem dunklen Spiegel. Der verdunkelte Spiegel lässt den Himmel nur undeutlich und verschwommen erkennen. Das Reich Gottes ist uns noch verhüllt. Mir will scheinen: Manchmal lichtet sich der dunkle Spiegel an kleinen Stellen und der Himmel wird sichtbar. Manchmal fällt strahlendes Himmelslicht auf die Erde und legt sich auf Menschen nieder. Das sind die beglückendsten Momente, die ein Mensch auf Erden erlebt. Dann aber verdunkelt sich der Spiegel wieder und lässt keine klare Sicht frei. Unsere Erkenntnisse sind wieder unvollkommen und Stückwerk bis der dunkle Spiegel weggenommen wird und Gott uns für immer sein Licht und seine Sonne sehen lässt. Amen.

Mögliche Lieder:

Ich bete an die Macht der Liebe

Gott liebt diese Welt und wir sind sein Eigen

Morgenglanz der Ewigkeit

Perikope
07.02.2016
13,1-13

Hallo? Hört mich jemand? - Predigt zu 1. Korinther 12,31b-14,1a von Katharina Wiefel-Jenner

Hallo? Hört mich jemand? - Predigt zu 1. Korinther 12,31b-14,1a von Katharina Wiefel-Jenner
12,31-14,1

Hallo? Hört mich jemand?

Und ich will euch einen noch besseren Weg zeigen.
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.
Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. 1Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Strebt nach der Liebe!


Hallo? Hört mich jemand?
Hallo, Du! Hör mir zu: Ich bin die Liebe!
Hör mir zu! Hör, wenn meine sanfte Stimme dich warnt.
Hör auf meine leisen Worte, auf mein vorsichtiges Fragen.
Hör mir zu! Ich will dir einen viel besseren Weg zeigen. Ich will dir zeigen, wo die Lügen ihr Recht verlieren. Ich will dir zeigen, wo die Wahrheit zuhause ist. Ich will dir zeigen, wie die Welt besser wird. Ich will dir zeigen, was Bestand hat.
Du! Hör mir zu: Ich bin die Liebe!

Ich bin nicht die, an die du vielleicht denkst, nicht die mit den Schmetterlingen im Bauch. Hübsche Formen führen mich nicht in die Irre. Ich bin nicht die, die den Verstand vernebelt. Ich denke messerscharf.
Ich bin die Liebe und gegen Kumpanei bin ich immun. Mich kann man nicht missbrauchen.

Ich bin die, die in allem Leben klingt, die zart an das Herz des Menschen anklopft, die leise und behutsam über hohe Mauern steigt. Ich bin diejenige, die die Augen aufleuchten lässt, die den Worten einen neuen Klang gibt. Ich bin die, die mehr als alles weiß. Ich durchschaue sofort, wo man meine Güte ausnutzt. Ich erkenne es, wo man sich fälschlich auf mich beruft. Ich enttarne Gier und Hass. Und dann mache ich den Gewitzten einen Strich durch die Rechnung. Ich zeige es ihnen. Ich bekehre die kühlen Strategen; verwandele die Herzlosen. Ich bin die Schwache mit der unbezähmbaren Kraft. Ich bin die Liebe.

Du! Hör mir zu! Hör nicht auf die Angst, nicht auf den Neid, nicht auf die Sorge. Hör auf mich und der Hass verschwindet.

Wenn Hass tobt, dann bin ich die einzige, die ihn wirklich besänftigen kann. Wenn Wut um sich greift, kann nur ich sie wirklich zähmen. Wenn Sorgen den Atem verschlagen, kann nur ich das Herz weit machen. Wenn die Lüge sich als Wahrheit ausgibt, bin ich die einzige, die sie entlarven kann. Ich bin die Liebe. Nur ich kann das – denn ich bin die Liebe.

Glaub mir! Auch mich erschreckt der allgegenwärtige Hass. Auch mich verletzt die freche Gewalt. Auch mich verstört die widerliche Hetze. Auch mich quälen die Sorgen. Ich weine über die hasserfüllten Worte, die mir geschrieben werden. Ich weine über die gehässigen Kommentare, die ich über mich lese. Ich weine über die niederträchtigen Parolen, die aus Lautsprechern vor meiner Tür bellen. Ich weine über den Hass, der mich anschreit, wenn ich mit Kopftuch in der U-Bahn sitze. Ich weine, wenn nachts Feuer das vor meiner Tür gelegt wird, mich obdachlos macht. Ich weine, wenn meine Unterkunft angegriffen und zerstört wird. Ich weine vor Schmerzen. Ich weine, aber ich lösche das Feuer, ich baue mein Haus wieder auf. Ich schleudere den Pflasterstein nicht zurück. Ich lächele tapfer dem ins Gesicht, der mich anschreit. Ich singe ein Lied. Ich schreibe von Schönheit und Glück, von Liebe und Wahrheit. Und dann wische ich meine Tränen ab und halte weiter Stand – denn ich bin langmütig und freundlich. Ich lass mich einfach nicht von Hetzparolen und Lügen erbittern. Nein – ich bin die Liebe und ich bin stärker als aller Hass. Gegen mich sind sie machtlos. Der Hass kann sich aufführen und toben, so viel er will; darauf hoffen, dass ich ihm mit meiner Gegenwehr noch mehr Energie schenke. Nein – den Gefallen tue ich ihm nicht. Ich bin die Liebe, von meinen Sorgen und meinen Schmerzen kann sich der Hass nicht nähren. Ich erlaube ihm das nicht. Ich bleibe einfach die Liebe und gebe nicht auf.

Du! Hörst du mich?
Ich bin unbeugsam und erinnere mich daran, wie es begann. Ich bleibe geduldig und sehe, wie einst Hungernde satt wurden. Ich erinnere mich, wie einst die Wunden der Verletzten verbunden wurden. Ich erinnere mich, wie einst die Einsamen Freunde fanden. Ich erinnere mich, wie einst die Flüchtenden beschützt wurden. Und ich erinnere mich, wie einst Feinde Frieden schlossen. War nicht ich es? Rührte nicht ich die Herzen der Wohlhabenden an? Machte nicht ich die Friedliebenden mutig? Riss nicht ich die Mauern ein, baute Häuser und ebnete den Weg zum Frieden? Ja, ich war es und ich bin es noch immer. Ich freue mich und sehe, wie es weiter gehen könnte. Ich bin der bessere Weg. Ich kann es immer noch. Ich werde es immer können, denn ich bin unbeugsam und ewig.

Das kannst du mir glauben! Hörst du mich? Selbst wenn du mich nicht verstehst; wenn du mich für unvernünftig hältst; selbst wenn du in mir nur eine erfolglose Träumerin siehst. Ich bin die Liebe und ich bin so, wie ich bin, weil ich zu Gott gehöre. Gott macht es wie ich. So wie ich bin, so ist Gott auch: ewig, geduldig, wahr.
Darum höre auf meine leisen Worte, auf mein vorsichtiges Fragen, auf meine sanften Warnungen. Sie mögen dich aus der Sicherheit des Erfolgs reißen. Du! Höre meine Worte. Halt dich an mir fest. Dafür verspreche ich dir: Ich lass dich nicht allein. Es gibt so viel zu tun und ich bleibe bei dir. Du kannst dich an mir festhalten, wenn die Lügen von Mund zu Mund weitergereicht werden. Du kannst dich an mir festhalten, wenn der Hass die Fäuste gegen dich und vor deinen Augen ballt. Du kannst dich an mir festhalten, wenn die Brandstifter unterwegs sind. Und wenn sich eine bettelnde Hand dir entgegenreckt, dann schau auf mich  – du kannst sie füllen. Wenn du an die Zukunft denkst, dann schau auf mich  – du brauchst dich nicht zu fürchten. Und wenn es weh tut, dann schau auf mein Kreuz – ich lasse dich nicht allein. Ich werde deine Tränen abwischen, dich trösten, in die Arme schließen und alles neu machen.

Du! Hast du mir zugehört? Die Lügen werden vor der Wahrheit erbleichen. Nichts, was aus Hass geboren ist, hat Bestand. Ich habe dir aber einen viel besseren Weg gezeigt, denn ich bin die Liebe. Mein Name ist Jesus Christus. Amen.
 

Perikope
07.02.2016
12,31-14,1

Spiegelungen - Predigt zu 1. Korinther 13 von Klaus Pantle

Spiegelungen - Predigt zu 1. Korinther 13 von Klaus Pantle
13,1-13

Spiegelungen

12,31b Und ich will euch noch einen besseren Weg zeigen:

13,1 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, 5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, 6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; 7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

8 Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. 10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.

11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.

12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

1

Péter Nádas schickt seine Romanfigur Frau Erna auf eine lange Taxifahrt durch das nächtliche Budapest. Neben ihr saß Gyöngyvér, die Geliebte ihres Sohnes. Telefonisch hatte man ihnen aus der Klinik mitgeteilt, dass ihr dementer Mann im Sterben lag. Auf dem Weg dorthin stiegen in ihr Erinnerungen auf aus wechselhaften Zeiten, die sie als Frau aus einer großbürgerlichen deutsch-ungarisch-jüdischen Familie durchlebt und durchlitten hatte. Und Gefühle wurden wieder wach. Die körperliche Nähe zu der schönen Gyöngyvér an ihrer Seite rissen sie hinein in einen wilden Strudel aus Hass und Verachtung und Erregung und Anziehung. Unversehens berührten sich beide auf intime Weise. Dabei „saßen sie sich zugewandt wie Spiegelbilder“. Durch diese Berührung fand sich Frau Erna zurückversetzt in eine Jahrzehnte zurückliegende Erfahrung, die sie überflutet hatte. In einem Hotel in Groningen war sie einer anderen blonden Frau begegnet. Die konnte sie nie mehr vergessen. Alle späteren Beziehungen, auch die Ehe mit ihrem Mann, einem Windbeutel erster Güte, der Karriere machte zuerst unter den ungarischen Nationalisten, dann unter den Nazis und schließlich unter den Kommunisten, ließen sie diese abgrundtiefe Erfahrung nie mehr einholen. All die Jahre seither schaute Frau Erna  „nach einer einzigen jungen Frau aus, einem ganz besonderen Geschöpf, in dem sie sich ein einziges Mal, aber in aller Deutlichkeit, wie in einem Spiegel, erblickt hatte. Immer stellte sie in sich jene Einzige wieder her, der sie jahrzehntelang nie mehr begegnet war, von der sie aber wusste, dass sie noch lebte, auch wenn sie sie in ihrer physischen Realität gar nicht mehr wiederzusehen wünschte, sie konnte sie ja in anderen Frauen sehen.“

Ist das Liebe, wovon hier erzählt wird? Was ist das, Liebe? Einfach auf den Begriff zu bringen ist sie nicht. Paulus sagt im Predigttext vor allem was die Liebe nicht ist. Positiv begreift er Liebe als „erkannt“ werden und sich „erkennen“ zweier Personen im direkten Gegenüber. Paulus jedenfalls lässt seine hymnische Beschreibung der Liebe in dieser – ja: urexistentiellen - Erfahrung kulminieren: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“

Wer im biblischen Sprachgebrauch von Gott „erkannt“ wird ist von Gott erwählt (1. Korinther 8,3). Aber dieser Ausdruck erscheint in der Bibel auch noch in einem anderen Zusammenhang.  „Und Adam erkannte Eva...“ (Genesis 4,1) - und Eva ganz sicher auch Adam - und „sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN.“ Zwei Personen „erkannten“ sich – einander und sich selbst, und sie wurden erkannt – mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele, in allen Dimensionen ihres Seins - in der tiefsten Weise, wie sich zwei Menschen überhaupt begegnen können.

Insofern ist es konsequent, dass Paulus‘ Beschreibung der Liebe im „Erkennen von Angesicht zu Angesicht“ kulminiert. Gesichter spielen eine zentrale Rolle bei der Kommunikation und Interaktion von uns Menschen. Das gilt vor allem für Liebende. Wir schauen uns in die Augen und erkennen uns: „Dein blaues Auge hält so still,/ ich blicke bis zum Grund./ Du fragst mich, was ich sehen will./ Ich sehe mich gesund“ (Johannes Brahms). Wir blicken uns an und unsere Gesichter werden zu Spiegeln. Wer in einen Spiegel blickt, sieht darin sich selbst. Wer ins Antlitz eines geliebten Gegenübers schaut, sieht darin auch sich selbst – in der Reaktion des Gegenübers auf ihn. Aber das Bedürfnis geht tiefer.  „Das stumme Verlangen nach Spiegelung“ ist „in Wahrheit ... mein Begehren, ein einziges Mal, für einen einzigen Augenblick der Andere zu sein“ (Péter Nádas). Wir schauen uns an – von Angesicht zu Angesicht – und wir versinken ineinander. Ich bin Du – Du bist Ich – Wir sind eins. Es ist die höchste wie die tiefste Erfahrung in der Liebe und im Leben: die Vereinigung, die Auflösung der Grenzen unseres Ichs, die Verschmelzung miteinander zu einer Einheit. Es ist diese totale Erfahrung, die wir in der Liebe erstreben, aber bestenfalls nur für Momente erreichen. Dass das „jetzt“ so selten vorkommt, ja vielleicht kaum wirklich umfassend gelingt, das wissen wir. Und trotzdem sehnen wir uns danach lebenslang und darüber hinaus. Dass man die Momente, in denen das wenigstens annähernd gelingt, nicht festhalten kann, das ist das Drama unseres irdischen Lebens. Deshalb ist die Literaturgeschichte voller Erzählungen über gescheiterte und verlorene Liebe. Und trotzdem ist die Hoffnung auf „ewige“ Erfüllung unzerstörbar: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“

2

Frau Erna in Péter Nádas’ Roman ist eine traumatisierte Person. Sie ist geprägt von der Erfahrung des 2. Weltkrieges. Ihre Tochter wurde als Widerstandskämpferin von den Nazis ermordet. Im Nachkriegskommunismus zerfiel ihre großbürgerliche Lebenswelt vollends. Ihrem Mann blieb sie in einer veritablen Hassliebe verbunden. Weite Teile ihres Lebens spielten in einem Gewaltraum. Das führte zu Lücken und Brüchen in ihrer Biographie und zu Deformationen in ihrer Persönlichkeit. Aber eine gewisse Herzenswärme hat sie nie verloren. Und der Traum von der Liebe wurde in ihr nicht zerstört und auch nicht die Sehnsucht nach der Existenz in einem Liebesraum, vielleicht irgendwann für „ewig“.

Auch Paulus ist eine traumatisierte Person. „Es gibt in den Briefen des Paulus keine Gesichter“ (Christian Lehnert). Nicht ein einziger ihm nahestehender Mensch gewinnt Gestalt. Auch die Schönheit der Natur, der mediterranen Landschaften und Städte, die er bereiste, schien er nicht wahrzunehmen. Paulus, so empfängt man bei der Lektüre seiner Briefe den Eindruck, lebte als Person wie in einer Blase, eingeschlossen in sich selbst. Was diese Blase schließlich zum Platzen brachte liest man im Predigttext. Es ist die ihn überflutende Erfahrung der Liebe.

Es ist das Begreifen: Nicht wir „machen“ Liebe. Nicht der Mensch, sondern die Liebe selbst erscheint als Subjekt. Die Liebe „persönlich“ ist es, die agiert. Wie das eine Mal bei Frau Erna in einem Hotel in Groningen bricht sie ein in das Leben von Menschen und wirbelt alles durcheinander. Die Liebe ist durch und durch dynamisch. Ihr Charakter äußert sich bei Paulus in (15!) Verben. Die Liebe erscheint wie der Wind – ja wie ein Wirbelsturm. Sehen kann man sie nicht. Wie beim Wind oder beim Wirbelsturm erkennt man sie nur an den in ihrem Wirkungsfeld sichtbaren Erscheinungen. Die Liebe kommt über einen und ist da, verwirbelt einen und verschwindet wieder, jedenfalls in dieser Welt. Dabei fragt sie nicht um Erlaubnis und auch nicht nach Sitten, Gebräuchen und Konventionen und schon gar nicht nach Kosten und Nutzen. Sie folgt keinem Willen und keiner Begründung und ist auch an keine Bedingungen geknüpft: „Ich liebe dich, weil ich dich liebe!“ Die Liebe entzieht sich dem Apostel Paulus. Er kann nur feststellen, dass sie da ist und sich nicht einfangen lässt, weder durch Gefühle noch Begehren und schon gar nicht durch Moral oder religiöse Praxis. Ist sie aber da, dann überlässt sie sich dem Anderen ganz und gar, ohne „das Ihre zu suchen“.

Paulus weist seine Hörerinnen und Leser auf diesen „anderen Weg“ hin, der sich einem eröffnet, wenn man sich vom Wirbel der Liebe ergreifen und treiben lässt. Dabei ist er sich über die Konsequenzen im Klaren. Die Liebe ist „kein langer, ruhiger Fluss“. Sie kann „unseren Körper biegen“ und „ihm gewaltige Qualen bereiten“ (Alain Badiou). Die Liebe erfüllt uns mit Glück und lässt uns leiden. Zwischen beidem, so scheint es, gibt es hier in dieser Welt eine direkte und unmittelbare/untrennbare Verbindung. Liebe in dieser Welt ist nicht nur Glück sondern auch Passion. Wohin das führen kann, dass führt uns Jesus, von dem es heißt, dass er die Inkarnation der Liebe sei, mit seinem Schicksal vor.

Theologisch gesprochen ist die Liebe eine Gabe Gottes. Geistgewirkt ist sie Gottes Empfängnis. Denn „Gott IST Liebe“ (1. Johannes 4,16). Die Göttliche Liebe erscheint als unverfügbares, überwältigendes, alles in sich bergendes und alles Dunkle und Schmerzvolle, alle Traumata, alle qualvolle Zerrissenheit hinwegblasendes Geschenk. Erfahrene Liebe, tiefe Liebe zwischen Menschen in dieser Welt ist ein Abglanz dieser Liebe, vorläufig, fragmentarisch, „Stückwerk“, im besten Fall Spiegelung.

3

„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ Paulus sieht ein Spiegelbild. Wovon? Das sagt er nicht. Man hat Spiegel aus der Zeit des Paulus gefunden. Ihre Qualität war exzellent. Was Paulus sah, sah er scharf! Aber was er erblickte, war dunkel. Wer in den Spiegel schaut, erblickt sich selbst! Was er sah, war überschattet.

Unsere Identität und unsere Selbsterkenntnis, unser Glauben und unser Hoffen, aber auch unser Lieben und dass wir uns als geliebt erfahren – all das ist verschattet. „Jetzt“ ist es nur bruchstückhaft einholbar und erlebbar. Vollständiges Einssein mit uns selbst und Einssein mit einem geliebten Menschen ersehnen wir. Und unser Einssein mit Gott und der Welt erhoffen wir. Vom Anspruch auf die vollkommene und  ewige Liebe lassen wir nicht. Dass es möglich ist, dass „dann“ Gott „alles in allem“ (1. Korinther 15,28) sein wird und wir in ihm, das möchten wir glauben.

Paulus glaubt daran. Das Ich kann in seinen Augen ohne die Liebe keinen Bestand haben. Endlich hat er begriffen: Ich bin schon jetzt angesehen von Gott. „Ich bin der, als der ich angesehen werde, erkannt in Liebe und von der Liebe, in euren Augen und in den Augen des (gegenwärtigen und) kommenden Gottes“ (Christian Lehnert). Christus durchschaut mich durch alle Konstruktionen meines Selbstbewusstseins hindurch bis auf den Grund. Er erkennt mich, liebt mich und konstituiert meine Identität als geliebter und liebender Mensch.

Deshalb ruft Paulus uns dazu auf, dass wir der Liebe nicht ausweichen, wenn sie über uns kommt, dass wir uns von ihr bewegen und auf den Weg bringen lassen: „Dann aber werde ich erkennen wie ich erkannt bin.“ Dann werde ich lieben wie ich geliebt bin.

Literatur:

Alain Badiou, Lob der Liebe, Wien 2009, S. 71

Johanns Brahms, Dein blaues Auge, Op. 59/8

Christian Lehnert, Paulinische Brocken. Ein Essay über Paulus, Berlin 2013, S. 215; 209; 206f.

Péter Nádas, Parallelgeschichten, Reinbek 2013, S. 252 und 254

Péter Nádas, Von der Himmlischen und der irdischen Liebe, Reinbek 1999, S. 7 und 38

 

Perikope
07.02.2016
13,1-13

Pyrrhussiege – oder – entsagungsreicher Headhunter auf Trophäenkurs - Predigt zu 1. Korinther 9,24-27 von Markus Kreis

Pyrrhussiege – oder – entsagungsreicher Headhunter auf Trophäenkurs - Predigt zu 1. Korinther 9,24-27 von Markus Kreis
9,24-27

Pyrrhussiege – oder – entsagungsreicher Headhunter auf Trophäenkurs

Kämpfe gewinnt man im Kopf. Das stimmt nicht nur für das Schachspiel, das gilt für jeden Sport und Wettbewerb. Und diese Erkenntnis heißt nicht, dass körperliches Training damit zweitrangig geworden ist. Allein schon deshalb, weil das Gehirn in dieser Hinsicht ein wesentliches Element des Kopfes ist. Und das Gehirn ist bekanntlich ein Körperteil. Mentales Training und körperliche Ertüchtigung gehören zusammen.

Kämpfe gewinnt man im Kopf. Das gilt erst recht für die Trophäe, um die es Paulus geht. Der begehrte Siegeskranz ist ihm nämlich nicht aus Lorbeer geflochten, sondern aus Dornen. Will sagen: Der größte Sieg besteht mitunter darin, offensichtliche Niederlagen hinzunehmen in stiller Größe. Das gilt bei Siegen übrigens auch.

Eins ist klar: In der heutigen Mediengesellschafft kommt man nicht umhin, im Falle eines großen Erfolgs ein paar Worte darüber in Mikrofone und Kameras zu verlieren. Oft genug gilt das auch für die Inhaber weniger edler Metall- oder gar Holzmedaillen, für die Verlierer.

Aber in diesen Interviews kann man so oder so sich ausdrücken, so oder so einem Publikum begegnen, sich als solcher oder solcher Mensch erweisen. Kämpfe gewinnt und verliert man im Kopf.

Und in so einem Interview drückt sich ein Kopf aus. Da zeigt sich, was in ihm vorgegangen sein könnte, in diesem Kopf, bei seinem mehr oder minder erfolgsgekrönten Tun. Selbst der offizielle Sieger kann mit seinem Kopf aus einem Interview letztlich wie ein Verlierer raus kommen.

Kämpfe gewinnt man im Kopf. Denn mit dem Kopf können wir unseren Leib bezwingen wie Paulus sagt. Wobei das Bezwingen nicht nur ein Widerstehen und Unterdrücken meint, sondern auch ein Formen und Gestalten.

Paulus nennt das Unterdrücken und Widerstehen in seinem Text Enthaltsamkeit: Wir können leibliche Bedürfnisse und Entwicklungen, die uns nicht in den Kram passen, unterdrücken und hemmen - durch Diäten zum Beispiel.

Beim Boxen kennt man zum Beispiel das sogenannte Abkochen: Der Sportler hungert oder schwitzt sich Kilos oder auch nur ein paar Gramm vom Leib, damit er einer bestimmten Gewichtsklasse zugehört. Wir wissen bei all dem nur zu gut: Was Diäten betrifft, da gibt es Übertreibungen, die nicht mehr die körperliche Ertüchtigung fördern.

Und wir können auch zulegen. Durch Training und neue Reize gewünschte Entwicklungen anfeuern und fördern. Paulus spricht in seinem Text das Laufen an, als ob er die heutige weit verbreitete Jogging- und Marathoneuphorie erahnt hätte. Und er nennt daneben das Boxen.

Für meinen Geschmack irrt er sich da ein bisschen. Nicht nur mit Sparring kann man sich trainieren, auch mit Schlägen in die Luft. Bei den meisten Sportarten kommt es auf eine exakte und schnelle Bewegungsausführung an. Das kann und muss man beim Boxen trocken vor dem Spiegel trainieren. Immer und immer wieder. Oder denken wir nur an den partnerlosen Drill der Schattenboxer.

Auch hier wissen wir bei all dem nur zu gut: Was das Gestalten und Trainieren betrifft, da gibt es Übertreibungen, die nicht mehr die körperliche Ertüchtigung fördern, die, zumindest langfristig, die Gesundheit eher schädigen. Zum Beispiel durch Doping. Doping produziert Sieger, die in Wahrheit Verlierer sind. Auch wenn es zunächst nicht so rüber kommt.

Kämpfe gewinnt man im Kopf. Der Kampf, um den es Paulus eigentlich geht ist die Buße. Moderner gesagt, die Empfänglichkeit für Kritik. Die Texte von und über Paulus bezeugen direkt oder indirekt, dass er dauernd im Clinch mit sich und seiner Umgebung gelegen ist. Und wie darauf reagiert hat in Gedanken und Werk, was für uns heißt: Schriftwerk.

Im Anliegen des Paulus geht es um Buße. Also um die Fähigkeit, Einsicht zu zeigen für von außen an meine Person heran getragene Kritik. Umso mehr, wenn so ein kritisches Urteil letztlich von Gott kommt und getragen wird.

Natürlich gibt es auch unzutreffende oder unberechtigte Kritik. Man muss sich nicht jeden Schuh anziehen. Man kann ihn anschauen, in die Hand nehmen, ihn darin drehen und wenden, auch ausprobieren, ob er denn passt. Und dann anziehen oder gegebenenfalls wieder zurück ins Schuhregal stellen oder gar in die Altkleidersack stecken. Manchmal wiederholt man das Ganze auch mehrmals.

Wenn es Paulus darum geht, sich kritischen Anfragen an die eigene Person zu stellen, dann ist Enthaltsamkeit erforderlich, genauer gesagt: Entsagung. Und das heißt: Verzicht auf sofortige Abwehr durch Beleidigt sein zum Beispiel. Verzicht auf Bezichtigung des Kritikers. Verzicht auf Verdrängung.

Wenn es Paulus darum geht, sich kritischen Anfragen an die eigene Person zu stellen, dann heißt Training: Nachdenken, Nachfragen, Abwägen, tätige Reue, Dank an den Absender für das Angebot an Hilfe zur Selbsthilfe.

Sich kritischen Anfragen an die eigene Person zu stellen ist alles andere als leicht. Auch und gerade wenn diese Anfrage letztlich von Gott kommt. Das fällt schon rein emotional schwer. Gut, das kann und weiß man in gewisser Weise zu trainieren. Aber auch unsere Entsagungsfähigkeit kennt Grenzen. Und hinter den Lippen schimmert Aggression und Abwehr statt Empfänglichkeit und Offenheit auf.

Auch rein kognitiv gibt es manche Hürde. Denn nahezu jeder weiß aus eigener Erfahrung: Auch die gründlichste Gewissenserforschung verhindert nicht notwendig, dass ich einer Verblendung unterliege. Dass ich etwas nicht einsehe, obwohl ich es Recht und genau besehen einzusehen hätte. Ich kann mich irren und täuschen. Das Bewusstsein vermag einem arglistige Streiche bei zu bringen.

Kämpfe gewinnt man im Kopf. Aber das gelingt nur unzulänglich ohne Gottes Hilfe. Ein Sündenbekenntnis sprechen und die eigene Sündigkeit von Fall zu Fall wahrhaft einsehen, das ist zweierlei. Wenn es ein und dasselbe ist, dann ist es Gnade.

Jeder von uns kann letztendlich nur Gott darum bitten, ihm solcherlei blinde Flecke für Kritik zu ersparen. Und in eins damit die persönliche und wahrhaftige Entsagung zu fördern, also den Verzicht auf Verdrängung, Abwehr, Gegenbeschuldigung.

Zum guten Glück ist Gott wie ein Headhunter, der die rechten Leute schon findet. Nehmen wir nur den Paulus. Der hat zu Lebezeiten wohl eher nicht wie ein Sieger gewirkt, wenn man den biblischen Zeugnissen trauen darf.

Oder denken wir an König David und all das Üble, was er in der Bathseba Geschichte angerichtet hat. Und denken sie an das Gleichnis vom armen und reichen Schäfer, das ihm der Prophet Nathan darauf hin erzählte. Hätten sie als ein Mensch, der über sehr viel Macht und Einfluss verfügt, genauso reagiert wie David auf Nathan? Sind sie sich dessen ganz sicher?

Welch ein Lebenswandel bei David! Zuerst ganz viel pralles Leben - mit allen seinen schönen und finsteren Seiten: Begehren, Liebe, Lüge, Meuchelmord - letzterer alles andere als nur verbal und Rufmord. Und dann doch noch mehr Wandel: Empfänglichkeit, Offenheit, Umdenken, Einsicht, tätige Reue.

Lesen sie mal wieder Psalm 51 in diesem Zusammenhang. Oder führen sie sich einfach einen anderen Bußpsalm zu Gemüte. So etwas Ähnliches gehörte sicher zum wöchentlichen Trainingsprogramm von Paulus. Denn der wusste, was jeder ernsthafte Sportler auch weiß: Das richtige Leben und der richtige Wandel - der Lebenswandel ist Kopfsache.

Und: Kein rechter Gewinn ohne Gottes Hilfe. Davon zeugt das ruinöse Ende mancher  Sportler, deren Karrieren von Erfolg gekrönt waren. Und ruinös ist hier nicht unbedingt nur finanziell gemeint.

Noch so ein Sieg und wir sind verloren! In solcher Rückschau gesehen lässt der alte Pyrrhusspruch manchen Sieg der Gewinner von heute in einem neuen Licht erscheinen. Noch so ein Sieg und wir sind verloren! Denkspruch für alle auf dem Karriereweg, wo auch immer – Denke so an dich und denke so an dein Unternehmen.

Gott ist ein entsagungsreicher Headhunter auf Trophäenkurs. Darauf dürfen wir hoffen. Wir genießen dieselben Aussichten und Verheißungen wie Paulus oder David. Kämpfe gewinnt man wie die zwei im Kopf. Denn Gott ist seinem Wesen nach ein entsagungs- und erfolgreicher Headhunter.

Hat er mit seinem liebevollen Wort doch Kopf und Körper des gekreuzigten und auferstandenen Jesus gewonnen. Und so jegliche menschliche Niederlage gewandelt und jeglichen verlorenen Kopf besiegt. Also mit Glaube, Liebe und Hoffnung bedacht.

Hat er mit seinem liebevollen Wort in Jesu Leben und Tod doch seinerseits auf willkürliche Beziehungsaufnahme und Stillstand verzichtet, ihnen entsagt. Und uns stattdessen einen Lebenswandel in seiner ewigen Liebe ausgesprochen. Amen.

Perikope
24.01.2016
9,24-27

Zu Siegern bestimmt - Predigt zu 1. Korinther 9, 24-27 von Karsten Matthis

Zu Siegern bestimmt - Predigt zu 1. Korinther 9, 24-27 von Karsten Matthis
9,24-27

Zu Siegern bestimmt

Liebe Gemeinde,

„ich bin dann mal weg.“ nicht nur Prominente wie „Hape“ Kerkeling sind aufgebrochen, um auf dem Jakobsweg zu pilgern, sondern unbekannte Zeitgenossen werden zu Pilgern. Die Zahl derjenigen, die sich nach Santiago de Compostela aufmachen, steigt von Jahr zu Jahr. Im letzten Jahr betrug sie nach Schätzungen über 200.000 Pilger, davon rund 10% aus Deutschland. Mittlerweile wurde das Buch Kerkelings „Ich bin dann mal weg.“ kurzweilig verfilmt, was zu einem weiteren Anstieg der Pilger führen könnte. Die Motive aufzubrechen sind vielfältig. Einige  Pilger möchten „einfach mal weg“, aussteigen, aus dem Kreislauf des Alltags entfliehen. Für andere ist es ein langer Weg der Selbsterfahrung.

Der 800 km lange Pilgerweg ist nicht gerade bequem zu erwandern. Auf steinigen und schmalen Pfaden über die Pyrenäen hinweg geht es dem einen Ziel entgegen: Dem Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela in Galicien. Um die Stempel an den Stationen im Pilgerpass und am Ende eine Urkunde zu erhalten, ist viel Disziplin und Geduld notwendig. Einige Pilger müssen vor Erschöpfung aufgeben und versuchen es im Jahr darauf, den Pilgerweg zu schaffen.

Liebe Gemeinde, unser heutiger Predigttext aus dem 1. Korintherbrief hat ebenfalls mit einem großen Ziel zu tun, welches nur mit viel Ausdauer und Disziplin erreicht werden kann. Am Ende eines langes Laufes oder eines herausfordernden Faustkampfes in der Arena gibt einen Siegerkranz begleitet vom Beifall und Jubel der Zuschauer.

Paulus liebte es, seinen Gemeinden in anschaulichen Bildern zu schreiben. Im 9. Kapitel des 1. Korinther Briefes greift er Bilder aus dem antiken Sport auf. Der Apostel erinnert an Laufwettbewerbe, Boxkämpfe und an die begehrten Siegerkränze. Damals wie heute war Sport populär und mobilisierte die Massen. Vor den Toren Korinths gab es alle zwei Jahre die Isthmischen Spiele, welche auf der Landenge, dem Isthmus, abgehalten wurden.

Es ist gut möglich, dass Paulus im Jahr 51 n. Chr. Zuschauer bei diesen Spielen gewesen ist. Ob der Apostel begeistert von den Wettkämpfen war und sich von der Stimmung im Stadion mitreißen ließ, darüber wissen wir nichts. Jedenfalls waren die Bilder so faszinierend für ihn, dass er die Wettbewerbe in Worte festgehalten hat.

Sportler werden als Vorbilder beschrieben: Sie trainieren ihre Körper und leisten tagtäglichen Verzicht. Sie essen wenig und entsagen dem Alkohol. Sie sind auf den Wettkampf fixiert und streben dem Wettbewerb konzentriert entgegen. Sie haben sich auf einen langen Lauf eingestellt, den sie als Sieger beenden wollen.

Paulus sieht die Christen auf einer ähnlich langen Strecke als Wettkämpfer im Glauben. Christen sollen danach streben, ein tieferes Verständnis im Glauben zu gewinnen. Die Enthaltsamkeit und der Verzicht der Sportler auf übermäßige Nahrung und Wein ist für die Christen ein Vorbild. Wer sich nach dem Glauben ausstreckt, der leistet Verzicht und verfolgt konsequent sein Ziel, Vertiefung im Glauben zu erlangen. Der Glaube will gelebt, erlernt und trainiert werden, um die Krone des Lebens zu erreichen, über die der Seher Johannes in seiner Offenbarung (Offb. 2,10) schreibt.

Dies hört sich sehr nach individueller Leistung an, aber Paulus ist es ernst mit dem Glauben. Er selbst ist ein Langläufer im Glauben mit einem ganz langen Atem. Der Apostel war ein Wanderer auf steinigen und staubigen Straßen der Antike. Vor weiten Reisen schreckte er nicht zurück. Bis zum äußersten Westen der antiken Welt nach Spanien will er reisen (Röm. 15, 24 u. 28). Vielleicht waren ihm die Säulen des Herakles auf Gibraltar geläufig. Nach Rom, Athen, Ephesus und Korinth und anderen Orten im römischen Reich hat er es geschafft.

Er schont sich nicht, wird geprügelt, erkrankt und wird gefangen gesetzt - nur um des Evangeliums willen. Der Apostel nimmt keinerlei Rücksicht auf seinen kranken Körper und missioniert bis hin zur Selbstaufopferung. Er will anderen nicht zur Last fallen, legt seine Hände nicht in den Schoß, sondern übt sein Handwerk des Zeltmachers weiter aus. Trotz dieser Mehrfachbelastungen schreibt und schreibt er.

Nicht alle Briefe hat er mit eigener Hand geschrieben, vielmehr seinen Schülern diktiert. Voller Konzentration, Poesie und Sprachwitz diktiert er seine Briefe an die frühen christlichen Gemeinden. Immer vom Ernst getrieben. So schreibt Paulus: Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predige (1. Kor. 9, 16).

Die gute Nachricht seines Heilandes soll Gestalt in Korinth gewinnen. Im Alltag der Gemeinde hat der Geist des Evangeliums spürbar zu sein. In Freiheit sollen die Glieder der Gemeinde zusammenkommen, nicht streiten und nicht übereinander richten, sondern dem Siegeskranz des Glaubens gemeinsam entgegengehen. Doch dieser Siegerkranz ist noch viel mehr wert, als es im Sport der Fall ist. Jener Siegerkranz verwelkt nicht. Der Kampf um den Glauben ist viel mehr wert. Dieser Weg des Glaubens bedeutet in der Gemeinschaft mit Gott zu sein und damit in Freiheit zu leben. Die Gesetzmäßigkeiten der Welt mit seinen Forderungen nach Leistung und Gegenleistungen, sind im Glauben aufgehoben.

Diese geschenkte große Freiheit, in der die Kinder Gottes leben dürfen, darf nicht dazu führen, dass man den Glauben nicht ernst nimmt. Die Ernsthaftigkeit des Sportlers, sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, soll für die Korinther Ansporn sein.

Liebe Gemeinde, diese Worte und Bilder aus dem Sportlerleben klingen nicht nach dem Paulus, der alles allein vom gnädigen Gott abhängig macht, der die Menschen gerecht sprechen kann. Nicht die individuelle Lebensleistung macht gerecht: Allein aus Gnade seid ihr gerecht geworden (Röm. 3,28). 

Vielleicht ist der Apostel an jener Stelle des 1. Korinther Briefes mit seinen sportlichen Vergleichen beim ersten Hören missverständlich. Paulus spielt aber gar nicht auf mögliche Leistungen im Glauben an, nicht auf fromme Werke, nicht auf eine antrainierte Frömmigkeit. Es geht dem Apostel um die Ernsthaftigkeit und Konzentration auf den Glauben. Glaube ist für Paulus kein Wettbewerb, der Vergleichspunkt ist nicht der sportliche Sieg, sondern die Eigenschaften des Sportlers: Zielstrebigkeit und Enthaltsamkeit.

Paulus will keinen Leistungswettbewerb „Frömmigkeit“ zu etablieren, sondern ihm ist darum gelegen, dass der Glaube sich auf der langen Strecke des Lebens bewähren muss. Wie im Stadion, in dem große Hitze herrschen kann und die Bahnen staubig sind, so gibt es im Leben der Christen viele Stolpersteine, die das Ziel unerreichbar erscheinen lassen. Zur Zeit der frühen Christen waren die Gemeinden vielen Anfeindungen seitens des Staates und der heidnischen Bevölkerung ausgesetzt. Misstrauisch blicken Römer und Griechen auf diese vermeintlich neue Sekte. Synagogengemeinden haben die Jesus-Anhänger in ihrer Mitte nicht mehr akzeptieren können. Es kam zu schmerzlichen Trennungen und Verwerfungen.

Standhaft im Glauben zu sein, dazu bedarf es wie bei einem Boxer echte Nehmerqualitäten. Nackenschläge sind wegzustecken und das Bekenntnis zu Christus, dem Auferstandenen, gilt es mutig zu verkünden. Letztendlich müssen Christenmenschen in ihrem damaligen feindlichen Umfeld einen langen Atem haben, um den Siegerkranz zu erringen. Die Ernsthaftigkeit im Glauben qualifiziert Christen für das Reich Gottes, welches jetzt schon zu erahnen ist und einst vollendet werden wird.

Wir Christen sind Pilger, keine bleibende Stadt ist uns  gegeben, eine künftige suchen wir (Hebr. 3,14). Unser Ziel ist klar, aber wir haben lange Wege zu gehen. Wir kämpfen mit vielen widrigen Umständen, die wir nicht vorhersehen können. Oft kommen wir zu spät, wie auf einer Pilgerreise zu einer Herberge, die schon geschlossen hat. Ein Starkregen hält die Pilger oft tagelang auf. Wenn sie sich eine Verletzung zuziehen, dann müssen sie pausieren, und warten bis sie jene Blessur ausgeheilt haben. Krankheiten werfen uns aus der Bahn, danach müssen wir den Weg ins Leben zurückfinden. Unsere Pilgereise durchs Leben, der lange Lauf über die Jahrzehnte, ist voller Überraschungen und glücklichen Wendungen. Mit viel Rückenwind überschreiten wir Täler, finden Abkürzungen und genießen herrliche Ausblicke.

Liebe Gemeinde, füge Gott, dass wir Geduld und Ausdauer im Glauben nicht verlieren- mit anderen und mit uns selbst. Dass wir aber das Ziel unsere Lebens erreichen, dies hat Gott für uns vorherbestimmt. Der Sieg ist uns gegönnt, denn bevor wir richtig gestartet sind, hat Gott die Hand in der Taufe auf uns gehalten.  Anders als im Sport oder auf einer Pilgerreise hat Gott uns längst zu Siegern bestimmt.

Bleib uns gnädig Gott, führe uns auf der rechten Bahn, schütze und begleite auf dem Weg des Glaubens. Amen

 

Perikope
24.01.2016
9,24-27

Predigt zu 1. Korinther 9,24-27 von Bert Hitzegrad

Predigt zu 1. Korinther 9,24-27 von Bert Hitzegrad
9,24-27

Liebe Gemeinde!

Die Gegner haben sich durchgesetzt. Hamburg wird sich nicht bewerben für die Olympischen Spiele 2024. Die einen jubeln, die anderen sagen: Verpasste Chance. Trotzdem wird das Olympische Feuer nicht verlöschen – Budapest, Paris, Los Angeles und Rom sind noch im Rennen. Sicher ist, dass wir 2020 die Wettkämpfe via Satellit  aus Tokio ins Wohnzimmer geschaltet bekommen. Aber bereits 2016 ist ja ein Olympia-Jahr. Die Blicke richten sich auf die Stadt am Zuckerhut. Rio de Janeiro ist in diesem Jahr Austragungsort.

Vom 5. Bis 21. August geht es wieder um Medaillen und Höchstleitungen. Auf den Internetseiten gibt es den Countdown mit Tagen, Minuten und Sekunden – 194 Tage (am 24.1.2016) noch und die Flamme wird entfacht. Schneller, höher, weiter, das werden dann die Meldungen im August sein, wenn neue Weltrekorde gelaufen, geschwommen und gesprungen werden.

Wer dann die Sieger auf dem Podest sieht, mit Freudentränen in den Augen, wenn die Nationalhymne gesungen wird und die Medaille feierlich übereicht wird, wer das sieht, wird kaum an die mühe- und entbehrungsvollen Wochen und Monate davor denken, in denen sich die Sportler vorbereitet haben, unter einem ungeheuren Leistungsdruck, mit eiserner Disziplin und einem klar gesteckten Ziel. „Dabei sein ist alles!“ – das mag zwar für viele stimmen, aber letztendlich geht es doch um Sieg und Niederlage, um Medaillensegen oder den Frust des Verlierers.  

Hochleistungstraining, sportlicher Wettkampf, Medaillenhunger, Siegerpose - Sie werden sich wundern, was das in der Predigt an einem entspannten Sonntagmorgen zu suchen hat, was das mit unserem Glauben zu tun hat …

Paulus sagt in unserem Predigttext: Sehr viel hat beides miteinander zu tun. Wenn Christen sich so hineingeben würden in ihr christliches Leben wie eben ein Sportler und Wettkämpfer, dann wäre es besser um den christlichen Glauben und um seine Verkündigung bestellt.

Wir hören den Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem 1. Korintherbrief im neunten Kapitel - und fragen natürlich: Deckt Paulus damit alle Aspekte des Evangeliums Jesu Christi ab!?

24 Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den  Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.
25  Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen  unvergänglichen.
26 Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt,
27 sondern  ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.
Und Gott segne dieses sein Wort an uns und lasse es durch uns zu einem Segen werden!

Paulus schreibt uns Christen ins Stammbuch: "Strengt Euch an, lauft so, dass Ihr gewinnt!" Christliches Leben, das Verkünden der frohen Botschaft Gottes als ein Wettkampf mit einer Siegesprämie, dem Kranz oder der Goldmedaille im Himmel und einer Leibeszüchtigung als Trainingsprogramm - das ist schon ziemlich harter Stoff.

Leistung nun auch in der Kirche - statt der von Luther so viel gerühmten und verteidigten Gnade und Rechtfertigung ohne Werke? Werden hier nicht weltliche Kategorien und christliche Werte durcheinandergeworfen? Wo bleiben z.B. die Verlierer, die, die im Schatten der drei Medaillen-Gewinner stehen? Die, die sich ärgern, dass es wieder einmal nicht gereicht hat? Die, die dem psychischen und physischen Stress nicht gewachsen waren? Die, die der Versuchung nicht widerstehen konnten, sich mit unerlaubten Mitteln zu dopen? Die, die erst gar nicht das Ticket nach Rio erhalten haben oder die, die eben keine Sponsoren gefunden haben, um die lange Trainingsphase auch finanziell zu überstehen ...? Kennt Paulus diese Seite des Lebens nicht? Die der Verlierer, der Looser, derer, die eben immer die Verliererkarte ziehen?

Paulus kennt sie, er kennt das Wort vom Kreuz, das eben nicht im Medaillengold glänzt, sondern an dem die Spuren von Leiden, Tod und Sterben kleben. Er kennt es an sich selbst, wie oft ist er selbst verspottet worden und stand auf der Verliererseite. 

Nein, er weiß, dass Gottes Wort von der Barmherzigkeit Christi handelt und nicht von Leistungsdruck und Erfolgserwartungen. Gerade er betont die Gnade, die unverdiente Gnade, und nur die Gnade, die uns den reichen Lohn des Himmelreiches schenkt. Das ist doch gerade die Größe und Souveränität Gottes, dass er nicht – wie sonst in unserem Leben – auf Leistung und Erfolg pocht. Bei ihm gilt gerade die Umkehrung der Werte: Die Ersten werden die Letzten sein und die Ersten die Letzten … Sie haben vielleicht noch die Worte des Weinbergbesitzers im heutigen Evangelium in den Ohren. Was wäre das für ein Wettkampf! Was wären das für Olympische Spiele. Aber – und das will Jeus mit seinem Gleichnis sagen: So ist Gottes Maßstab - befreiend und erlösend, entlastend und entspannend! Du musst nicht mehr erster oder zweiter, dritter oder vierter sein - das zählt gar nicht, sondern nun wirklich gut sportlich heißt es: „Dabei sein ist alles!“ Dann gehört der Sieg, der Lohn Dir schon ganz. Dabei sein - dabei in der Liebe Gottes, in der Gemeinschaft der Heiligen, der Gläubigen, in der Nachfolge Jesu Christi.

Aber genau da setzt Paulus nun an, da fordert er uns heraus und sagt uns: Strengt Euch an, lauft so, dass Ihr gewinnt. Setzt Euch ein, für eine Sache, die sich lohnt.

In Zeiten, da es auch für die Kirchen enger wird, finanziell und personell, werden solche Fragen nach Leistung, Wettkampf und Erfolg natürlich laut. Marktforschungsinstitute, die sonst Wirtschaftsunternehmen beraten, werden beauftragt, auch das Unternehmen Kirche auf seine Wettbewerbs- und Marktfähigkeit hin zu untersuchen. Das Produkt sei gut - sagen sie in ihrer Sprache - die Menschen suchen nach der Wahrheit des Evangeliums, nach Liebe, Gnade und Barmherzigkeit, doch dieses Produkt der Kirche wird oftmals so eckig und kantig herübergebracht, so dass Menschen wie vor den Kopf gestoßen sind und keiner mehr zuhören mag und die Pastoren und Pastorinnen oftmals vor leeren Kirchenbänken kaum einen Siegeszug zu verzeichnen haben.

Deshalb: Strengt Euch an, lauft so, dass Ihr gewinnt!  Sagt das Evangelium so weiter, dass die Euch anvertrauten Menschen es hören und verstehen können. Und dafür sollte Euch keine Anstrengung zu groß, kein Weg zu weit und kein Trainingsprogramm zu hart sein. Für Paulus selbst bedeutet es: Glaubwürdig zu sein - und Glaubwürdigkeit wird dran gemessen, wie sich Wort und Tat, wie sich Reden und Handeln zueinander verhalten.

Paulus erinnert an den Wettkämpfer, der um der Leistung willen eben auch Verzicht übt, der sich eine harte Trainingsdisziplin auferlegt, um an das Ziel zu kommen.

Ich kann nicht von der Liebe Gottes zu den Menschen reden und dann Frauen allein lassen, die nicht wissen, ob sie jemals das Kind lieben können, das da in ihrem Bauch wächst.

Man kann nicht von Nächstenliebe und Gastfreundschaft sprechen und dann die Menschen, die aus Angst vor Terror und Krieg an unsere Tür klopfen, draußen vor dieser Tür stehen lassen .

Man kann nicht immer fordern „Kirche müsste doch“ und „Kirche sollte doch" und zugleich den christlichen Glauben für ein Konsumgut halten ohne Verpflichtungen und Konsequenzen.

Es geht um Glaubwürdigkeit, um ein Engagement, das vom unserem Glauben, unserer Hoffnung getrieben wird, das auch auf Erfolg aus ist, denn wir haben etwas zu bieten, wir können etwas weitergeben, für das sich der Einsatz lohnt. Doch das wird man nur spüren, wenn man auch die Schweißperlen auf der Stirn sieht, weil uns die Menschen am Herzen liegen, um die wir kämpfen und eifern.

Den Juden bin ich ein Jude geworden - so sagt Apostel kurz vor unserem Predigttext, den Schwachen, ein Schwacher, ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette!

Dem Jugendlichen ein Jugendlicher, dem Senioren ein Senior, dem Suchenden ein Wegbegleiter, dem Traurigen ein Halt, an dem er sich lehnen kann. Paulus würde sagen: Sagt den Menschen, die Euch anvertraut sind, das Evangelium so weiter, dass sie es gern hören und verstehen können, zeigt ihnen in Eurem Leben, was es bedeutet, zu Christus zu gehören - dafür strengt Euch an, lauft so, dass Ihr gewinnt, lauft so, dass Ihr einander gewinnt.

194 Tage müssen wir noch warten, bis in Rio de Janeiro der sportliche Wettkampf  beginnt. Er wird wieder Millionen, ja Milliarden Menschen weltweit fesseln und begeistern. Leistung und Siege sind gefragt. Der aktuelle Medaillenspiegel, täglich in der Tageszeitung abgedruckt, wird dann wieder zählen. Doch irgendwann wird der Rummel auch vergessen sein, der Goldtaumel wieder abgeflaut, das Glück des Sieges vergangen!

Und unser Siegespreis? Paulus sagt: Er ist unvergänglich, weil es ein Gewinn für das Leben ist, das Leben, das uns Christus schenkt, ein Leben im Licht des Evangeliums!

Wir werden wohl nicht gleich Millionen begeistern, aber wenn jemand in meinem Leben dieses Licht spürt, dann lohnt sich der volle Einsatz und die Anstrengung. Dann wird solch ein Sieg zum Segen. Amen!

Und der Friede Gottes, der höher ist alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.

Perikope
24.01.2016
9,24-27