Wir sind Schatzsucher - Themapredigt zum "Geocaching" von Karsten Willemer
Wir sind Schatzsucher
Unterwegs mit Gott, Glauben, Vertrauen
Liebe Gemeinde,
wir sind Schatzsucher! Wir sind unterwegs auf der Suche nach dem Schatz unseres Lebens. So lässt sich die Botschaft des Hebräerbriefes zusammenfassen. Der Schatz, das ist für ihn die Stadt Gottes, das himmlische Jerusalem, die „Stadt mit den festen Grundmauern, die Gott selbst entworfen und gebaut hat.“ Die Stadt ist ein Bild für das Ziel unseres Lebens. Ein Bild für alles Gute, das wir uns vorstellen können. Für das, was am wertvollsten ist. Ein Schatz eben. Der Schatz unseres Lebens.
Es gibt verschiedene Bilder, die dasselbe beschreiben wollen: Einige sagen: Der Himmel. Andere reden vom Paradies. Manche nennen es das Reich Gottes. Manchmal sagt man: Die Ewigkeit. Oder: Die neue Welt Gottes. Oder: die Vollendung. Der Hebräerbrief sagt: Die Stadt. Die zukünftige Stadt Gottes, die Stadt mit den festen Grundmauern. Er sagt damit auch: Es wird anders sein als unser Leben jetzt. Jetzt sind wir unterwegs. Auf der Suche. Jetzt leben wir wie Nomaden auf der Wanderschaft. Dann, eines Tages, werden wir am Ziel sein. Dann haben wir einen Ort, an den wir gehören. Dann hat die Suche ein Ende. Dann ist alles gut.
Jetzt ist es der Glaube, der uns trägt. Das Vertrauen auf das Ziel. Auf den Schatz, der uns erwartet.
Der Hebräerbrief erinnert an Abraham. Wer kennt ihn nicht, den berühmten Abraham aus der Bibel. Als ihren Erzvater sehen sie ihn alle an, die Christen, die Juden und die Muslime. Abraham ist der Mann, der auf die Wanderschaft gegangen ist, weil er Gott vertraut hat. Er hat seine Heimat verlassen und ist losgezogen, ohne zu wissen wohin. Allein mit dem Versprechen Gottes im Gepäck: Ich will dir ein Land und eine Zukunft geben.
So wie Abraham sind auch wir unterwegs, sagt der Hebräerbrief. Wir wandern wie er durch das Leben, ohne zu wissen wohin es uns führt. Alles, was uns bleibt ist das Versprechen Gottes: Ich will dir eine Zukunft geben.
Am 7. Februar 2013 hat ein neuer Mensch seine Wanderschaft begonnen. Der kleine Lukas hier kam an jenem Tag auf die Welt. Es war ein etwas verfrühter Aufbruch, und Lukas hatte die ersten Wochen ordentlich zu kämpfen. Nun ist er schon über ein Jahr unterwegs und steht doch noch ganz am Anfang.
„Ich will dir eine Zukunft geben.“ Das alte Versprechen Gottes: Heute gibt er es noch einmal ganz neu. Ich will dir eine Zukunft geben, Lukas. Ich will dich begleiten auf deiner Wanderschaft durch das Leben. Ich will dabei sein und mitgehen. Will dich stützen, wenn du stolperst und aufrichten, wenn du fällst. Wenn die Dunkelheit über dich hereinbricht, will ich dich ermutigen, und wenn die Verzweiflung dich befällt, will ich dich trösten. Ich will dich behüten wie einen Augapfel. Ich will dich beschirmen unter dem Schatten meiner Flügel.
Dieses Versprechen gibt Gott heute Lukas. Und er besiegelt es mit dem Wasser der Taufe. So kann Lukas in dem Vertrauen auf Gott aufwachsen, von dem der Hebräerbrief spricht. In dem Vertrauen, das bereits Abraham durch das Leben getragen hat.
Manch einem fällt es schwer, solch ein Vertrauen zu haben. Manch einer hält nicht viel von dem Glauben an Gottes Versprechen.
„Ich glaube nur, was ich sehe!“ So sagen manche Kritiker des Glaubens. Sie halten sich für vernünftig und wollen nur das für wahr halten, was sie sehen und begreifen können.
„Ich glaube nur, was ich sehe!“ Je länger ich diesen Satz höre, desto mehr wundere ich mich darüber. Kann man das wirklich ernst meinen? Will man sein Leben tatsächlich auf die Umweltreize begrenzen, die die eigenen Sinnesorgane wahrnehmen?
Es gibt so vieles, das ich nicht sehe, und doch würde kaum einer seine Existenz anzweifeln. Elektrischer Strom etwa: Ich sehe vielleicht seine Auswirkungen, wenn die Lampe brennt. Aber den Strom fließen sehe ich nicht.
Die Liebe kann man nicht sehen. Ich sehe zwar das Leuchten in ihren Augen und spüre das Kribbeln in meinem Bauch, das Gefühl der Verliebtheit. Aber die Liebe selbst, sie bleibt geheimnisvoll und unsichtbar.
„Ich glaube nur, was ich sehe“? Ich halte diesen Satz für eine völlige Überschätzung unserer Sinnesorgane. Bereits für mich als Brillenträger würde er bedeuten: Ich habe einen begrenzten Glauben. Begrenzter als meine Söhne, die zwei echte Adleraugen sind.
Und denken wir an Sotschi in diesen Tagen. Denken wir an die Blinden, die dort bei den Paralympics Höchstleistungen erbringen beim Langlauf und beim Biathlon. Ich habe bis heute nicht kapiert wie das funktioniert mit dem Schießen, wenn man nichts sieht. Wenn der Satz „Ich glaube nur, was ich sehe!“ wahr wäre, dann wären alle jene Athleten in Sotschi arme glaubenslose Gesellen. Keine Augen, kein Vertrauen.
Das Gegenteil ist ja der Fall. Wer sich als Skiläufer auf einen Begleitläufer verlässt, den er ebenso wenig sieht wie die Loipe, der zeigt ja mehr Vertrauen als jeder Sehende.
Nein, ich kann diesem Satz nichts abgewinnen. Umgekehrt müsste er lauten. Umgekehrt wird ein Schuh draus: „Ich sehe nur, was ich glaube!“
Ich kann nur das wahrnehmen, von dessen Existenz ich wenigsten eine Ahnung habe. Ich will das mit einem ganz praktischen Beispiel erklären.
Die Welt ist voller Schätze, die gefunden werden wollen. Es sind kleine Schätze, nicht besonders wertvoll. Aber meistens liebevoll gemacht und versteckt. Bis vor etwa 2 Jahren habe ich nichts von diesen Schätzen gewusst. Und natürlich habe ich auch nie so einen Schatz gesehen. Und wenn ich ihn zufällig gefunden hätte, dann hätte ich ihn vielleicht gar nicht erkannt. Heute finde ich fast jeden Tag so einen Schatz. Denn inzwischen weiß ich, dass es sie gibt.
Ich rede von meinem Hobby, und Sie haben es vielleicht schon gemerkt.
Beim Geocaching verstecken wir kleine Schätze, die sogenannten Caches. Und wir suchen die Caches, die andere verstecken. Zum Reiz dieses Spiels gehört es, dass die Caches oft dort versteckt sind, wo viele Menschen sind. Und doch sehen die meisten Leute die Caches nicht.
„Ich sehe nur, was ich glaube!“ Ich erkenne nur das, von dem ich ahne, dass es da ist.
Ein anderes Beispiel: Als meine Frau das erste Mal schwanger war, begann ich plötzlich überall schwangere Frauen zu sehen. Dabei waren es nicht mehr als in den Jahren zuvor. Meine Wahrnehmung hatte sich verändert.
Noch ein Beispiel: Als ich 15 war, erschienen mir 30jährige als alt und faltig.
Wenn ich heute 30jährige anschaue, bin ich manchmal neidisch auf die Attraktivität der Jugend.
Was ich damit sagen will: Das entscheidende passiert nicht in unseren Augen, sondern im Kopf oder im Herzen oder in der Seele. Und deshalb meine ich, dass es heißen muss: „Ich sehe nur, was ich glaube!“
Sein Glaube, sein Vertrauen in Gott, hat Abraham den Mut gegeben, sein altes Leben hinter sich zu lassen und aufzubrechen in die Zukunft, die Gott ihm versprochen hat. Und ich bin sicher: Er hat es gesehen. Abraham hatte das Land vor Augen, das Gott ihm verheißen hat. Er hat es gesehen, und er war überzeugt, dass er es auch betreten werde, eines Tages.
Wer die Geschichte von Abraham gelesen hat – und es ist eine lesenswerte Geschichte – der weiß, dass Abraham sein ganzes Leben lang unterwegs war. Er blieb ein Wanderer, unterwegs auf der Suche nach dem Schatz seines Lebens.
Oft brauchte er viel Geduld, um am Vertrauen auf Gott festzuhalten. Gott hatte ihm unter anderem eine reiche Nachkommenschaft versprochen. Es dauerte lange, bis Abraham überhaupt einen Sohn bekam. Und dabei hatte er auch noch geschummelt, denn er hatte mit der Magd seiner Frau geschlafen, nach dem Motto: besser einen unehelichen Sohn als gar keinen.
Schließlich ist auch seine Frau Sara schwanger geworden, und sein Sohn Isaak wurde geboren.
Doch kaum hatte der ein ordentliches Alter erreicht, sollte Abraham ihn opfern. So sagte es Gott.
Eine finstere Geschichte ist das. Sie ist nur vom Ende her zu verstehen. Und auf dem Hintergrund, dass es damals wirklich Menschenopfer gab.
Wenn am Ende Gott den Ziegenbock schickt und befiehlt: Ihn sollst du opfern und nicht deinen Sohn, dann erkennen wir: Die Geschichte ist ein Protest gegen jedes Menschenopfer.
Und doch bleibt ein bitterer Beigeschmack. Auch weil wir wissen, dass seitdem tausende von Söhnen und Töchtern geopfert wurden. Nicht nur auf den Schlachtfeldern, sondern auch dort, wo sich Männer und Frauen sogenannten höheren Zielen unterordnen mussten.
Oder wir denken an die vielen Kinder, die jung sterben mussten. Die nicht so ein Glück hatten wie Isaak. Wir denken an die vielen Eltern, denen Gott keinen Ziegenbock schenkte, der für ihren Sohn oder ihre Tochter hätte sterben können.
Wer so etwas erlebt, und deshalb am Glauben zweifelt, der kann viel mehr auf mein Verständnis hoffen als die sogenannten Vernünftigen, von denen vorhin die Rede war.
Abraham hat es geschafft, seinen Glauben nicht zu verlieren. Er hat es geschafft, sein Vertrauen auf Gott zu bewahren so lange er lebte. Es gab zwar kritische Momente, doch insgesamt hat ihn der Glaube an Gott sein Leben lang getragen.
So ist er zum Vorbild geworden. Für den Schreiber des Hebräerbriefes ebenso wie für uns heute.
War es ein leeres Versprechen, auf das Abraham sein Vertrauen gesetzt hat? War der Glaube an das Land der Verheißung hohl und ohne Substanz? Der Hebräerbrief sagt: Nein! Denn das Land der Verheißung – oder mit den Worten des Hebräerbriefes: „die Stadt mit den festen Grundmauern“ wartet in der Zukunft auf uns. In der Zukunft, die dieses Leben übersteigt.
Zurzeit Abrahams dachte man vor allem an die Zeit zwischen Geburt und Tod. Wer ein gutes Leben hatte, der spürte das ganz direkt, und man nahm an: ein solcher Mensch ist von Gott geliebt. Zurzeit des Hebräerbriefes hatte man bereits erkannt. Unser Leben ist eingebunden in einen größeren Zusammenhang. Die Zeit zwischen Geburt und Tod ist nur ein Teil eines längeren Weges. Und den Schatz finden wir am Ende des Weges.
Das ist keine Jenseitsvertröstung. Jenseitsvertröstung würde ja bedeuten: In diesem Leben ist alles schlecht und im Himmel ist alles gut. Ja, im Himmel ist alles gut, das stimmt wohl. Aber hier ist eben nicht alles schlecht. Es gibt Zeiten im Leben, da kommt mir das so vor, als ob alles schlecht sei. Wenn die Freundin Schluss macht etwa. Oder wenn ein lieber Mensch stirbt. Das eigene Kind gar. Oder ich selbst erkranke an einer schlimmen Krankheit. Habe einen schweren Unfall.
Es gibt Situationen, da sehe ich keine Zukunft mehr. Da kann ich nicht glauben, dass irgendetwas jemals gut sein könnte. Viele Menschen erleben solche Situationen, Jeden Tag. Viele haben es erlebt. Und die meisten von ihnen haben die Erfahrung gemacht: Irgendwann ist es besser geworden. Nicht immer gut. Aber besser. Zumindest an guten Tagen.
Die leidvollen Erfahrungen bleiben. Doch sie stehen nicht alleine. Neben ihnen stehen die Erfahrungen von Glück die wir an anderen Tagen gemacht haben.
Alle unsere Erlebnisse, die guten und die schlimmen, sie ordnen sich ein in den größeren Zusammenhang des Lebens.
Und für den Glaubenden heißt das: Auch in den größeren Zusammenhang, der über das irdische Leben hinausgeht. Wir sind in Gottes Hand, sagt der Glaube. Und weil wir in Gottes Hand sind, geht unser Leben gut aus. Das ist Glück in seiner ursprünglichen Form: Dass es gut ausgeht.
Ja, wir sind Schatzsucher. Wir sind unterwegs nach dem Schatz unseres Lebens. Zum Glück sind wir nicht alleine auf der Suche. Gott ist bei uns. Er geht mit.
Amen.
Der Ablauf des Gottesdienstes:
Vorspiel
Begrüßung
Eingangslied EG 346,1-3 Such, wer da will, ein ander Ziel
Psalm 17, 1-9+15 (Im Wechsel gesprochen)
Gloria patri
Entfaltetes Kyrie mit EG 178.11 Herr, erbarme dich
Eingangsgebet
Lesung Hebräer 11,8-10
Lied EG 607,1-5 Vertrauen wagen
Predigt
Predigtlied EG 395,1-3 Vertraut den neuen Wegen
Taufe
Lied Danke-Tauflied
Fürbitten
Lichterbaum: Die Gemeindeglieder haben die Möglichkeit in einer Gebetsstille Kerzen am Lichterbaum zu entzünden)
Vaterunser
Abkündigungen
Segenslied EG 171,4 Bewahre uns, Gott
Entlassung und Segen
Nachspiel
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Predigt zu Hebräer 13,20-21 von Jan Hermelink
Liebe Gemeinde,
„der gute Hirte“ –
so lautet, in der Tradition der Kirche, das Thema dieses Sonntags;
und Sie haben schon gemerkt, wie heute alle Texte dieses Thema umkreisen – der Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte ... auch wenn ich wandere im finstern Tal ...“,
– die Zusage Gottes an den Propheten, die zerstreute Herde
des Volkes Israel wieder zu sammeln, sie wieder auf den Bergen
und in den Tälern des Landes wohnen zu lassen,
– und die Rede Jesu nach dem Johannesevangelium: „Ich bin der gute Hirte, ich kenne die Meinen, und die Schafe hören meine Stimme ...“
Hört man genau hin, dann geht es in diesen Texten allerdings weniger um den Hirten als vielmehr: um die Schafe, oder genauer:
um uns, um uns Christen, die wir hier in St. Nikolai –
wie in vielen anderen Kirchen – versammelt sind.
Heute werden wir einmal nicht als freie Christenmenschen,
als mündige Christen angesprochen, sondern als Schafe, als Herdentiere:
– im Plural, nicht im Singular,
– als Geführte und nicht etwa als Führungskräfte, wie es sonst in der Universität üblich ist.
Die Christen als Schafe – dieses Bild mutet uns zu,
das eigene Leben recht anders zu sehen,
als man das als Akademikerin oder als künftiger Akademiker
für gewöhnlich tut.
Die Christen, wir Christen als Schafe –
mit diesem Bild wird uns eine andere Perspektive auf unsere Lebensführung und unsere Lebensziele zugemutet –
und zwar, wenn ich recht sehe, in mindestens drei Hinsichten.
Das will ich mit Ihnen zunächst bedenken,
ehe wir uns – im zweiten Teil der Predigt – dem Predigttext für diesen Sonntag zuwenden.
Das erste Umdenken, die erste ungewohnte Perspektive
zeigt sich schon in dem Psalm 23.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln ...“ –
ein Bekenntnis, bei Gott behütet und geborgen zu sein –
und zugleich ist das ja ein Bekenntnis dazu,
wie sehr, wie vielfältig diese Geborgenheit bedroht ist:
Wer den Psalm 23 betet, erinnert sich daran, spricht aus,
wie es ist, durch ein „finsteres Tal“ zu gehen,
wie oft man angewiesen auf Trost und auf Ermutigung.
Wer Psalm 23 betet, benennt die „Feinde“, in deren Angesicht, vor deren Augen man sich befindet – nicht immer mit einem gedeckten Tisch.
Meine Feinde: das sind nicht immer konkrete Menschen oder Gruppen.
Das können auch Ängste sein – vor dem Versagen, vor der Überforderung:
Ängste, die sich in Traumgesichtern verdichten, in bedrohlichen Bildern.
Wir sind bedroht – durch finstere, feindliche Mächte,
und dazu – wie Schafe eben – auch durch mangelnde Orientierung;
wir sind unsicher, wo der richtige Weg ist;
oft wissen wir nicht, welchen Wegweisern, welchen Stimmen wir vertrauen sollen.
Autonom, mündig, selbstbewusst –
das trifft unsere Lebenserfahrung doch nur zum Teil.
Immer gibt es auch eine andere Seite – die Angst, die Unsicherheit,
die Abhängigkeit von Stimmen und Stimmungen.
Diese Lebenserfahrung,
dieses Wissen darum, wie abhängig, wie unsicher, wie bedroht wir leben –
diese Erfahrung, so gerne wir sie beiseite schieben, ist im Bild des Hirten und der Schafe verdichtet.
Auch in einer weiteren Hinsicht erinnert uns das Bild von den Schafen
an eine Einsicht, die wir (die einen mehr, die anderen weniger) verdrängen.
Wenn die Beterin in Psalm 23 bekennt
„Der Herr ist mein Hirte ... er weidet mich auf grüner Aue“,
dann wird ausgeblendet, dass das Schaf normalerweise nicht allein ist.
Die Gottesgläubigen, Juden und Christen als Schafe – das heißt auch:
wir sind Teil einer Herde: Herdenmenschen, Gruppentiere.
In unserer Gesellschaft, und daher auch in unserer Universität
wird uns zunächst eine andere Sicht vermittelt:
Wichtig bist Du als Einzelner – als Leistungsträger oder als Sozialfall,
als Erstsemester, als Stipendiat, als Doktorandin, als Verwaltungschef – stets wird gefragt, was Du zum Gelingen des Ganzen – des Studiums,
der Lehre wie der Forschung – beiträgst, oder eben nicht beiträgst.
Gewiss, die Forschung geschieht in Arbeitsgruppen und Kollegs;
im Studium ermuntern wir zur Gruppenarbeit, zum team building –
aber am Ende, bei der Prüfung wie bei der Anstellung, der Berufung
wird mit jedem Einzelnen abgerechnet.
Das prägt unser Miteinander: akademisch wie gesellschaftlich.
Das Bild von den Schafen macht die andere Seite stark, die Seite der Herde:
Wir sind aufeinander angewiesen – am Lehrstuhl wie in der Forschergruppe,
beim Übungsprotokoll wie in der Fachschaft.
Wenn die Arbeit sich vor allem am Schreibtisch vollzieht –
so ist es jedenfalls für Geisteswissenschaftler, auch Theologieprofessoren – dann muss man sich an diese andere Seite
immer wieder erinnern und erinnern lassen:
Wir leben nicht vereinzelt, wir lernen und arbeiten auch nicht als Einzelne und keineswegs nur auf eigene Rechnung.
Gemeinsames Suchen, einander Fragen und miteinander Finden –
das ist, oder das sollte im akademischen Leben mindestens ebenso wichtig sein wie das einsame Lernen.
Gemeinsames Suchen und Finden, einander Fragen und Anvertrauen,
sich zusammen Irren und einander Wiederfinden –
das ist im menschlichen Leben allemal wichtiger
als die individuelle Leistung, als der individuelle Erfolg.
Für viele mag das selbstverständlich sein.
Aber ich habe den Eindruck: Je höher man auf der Karriereleiter steigt,
je mehr man riskiert, je mehr man führen darf und führen muss –
um so mehr wächst die Gefahr, sich nur noch als Hirte, und eben nicht mehr sich als ein Schaf unter anderen Schafen zu sehen.
Allerdings, wenn wir uns in diesem Bild der Schafe wiedererkennen,
wenn wir uns – auch in der Kirche – als Herdentiere begreifen,
dann wird uns vom Evangelium dieses Sonntags noch ein weiterer,
ein dritter Blickwechsel zugemutet.
Denn da redet Jesus von „anderen Schafen,
die sind nicht aus meinem Stall, und auch sie muss ich herführen,
... und es wird eine Herde und ein Hirte werden.“
Von Anfang an hat die christliche Gemeinschaft es mit dieser Erfahrung zu tun: Zu den Gläubigen, zu den Schafen, die Jesus ihren Hirten nennen,
gehören nicht nur die, die sich immer schon kennen
und einander vertraut sind,
In der Gemeinde Jesu gibt es immer auch jene „Schafe aus einem anderen Stall“ – jüdische und heidnische Christen, östliche und westliche,
Altgläubige und Protestanten, Engagierte und Distanzierte.
Oft sind wir in der Kirche – und vielleicht auch in anderen Lebensgemeinschaften – vor allem mit dieser irritierenden Erfahrung beschäftigt:
Da sind welche, die kommen woanders her –
aus anderen Milieus, aus anderen Traditionen,
vertraut mit fremden Bildern, Liedern, Gewohnheiten.
Auch sie haben die Stimme Jesu gehört; auch sie zählen sich zu Jesu Herde – und sie leben doch so anders, und glauben auch ganz anders.
Auch darum geht es an diesem Hirtensonntag, an dem Sonntag der Schafe – einander als Schafe zu erkennen,
einander als Schafe einer Herde anzuerkennen, unter einem Hirten.
Und nun hat die Weisheit der Kirche uns für diesen Sonntag
einen weiteren biblischen Text ans Herz gelegt:
Zwei Verse aus dem Schlusskapitel des Hebräerbriefs
sollen heute die Predigt grundieren.
Diese Verse wollen die Botschaft des Hebräerbriefes zusammenfassen,
und sie summieren damit auch die Botschaft des ganzen Neuen Testaments. Es ist – so hat es ein Kommentator genannt –
eine ‚Kurzformel des Glaubens’, die uns hier zugerufen wird.
Wieder spielt das Bild von den Schafen eine Rolle – wenn auch in ein zunächst sehr fremden Sprache. Hören wir die beiden Verse aus Hebräer 13:
Der Gott des Friedens,
der den großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus Christus,
heraufgeführt hat von den Toten,
kraft des Blutes eines ewigen Gottesbundes –
der bereite euch zu allem Guten,
damit ihr seinen Willen tut,
indem er unter uns tue, was wohlgefällig ist vor ihm
durch Jesus Christus – dem sei Ehre in alle Ewigkeiten.
Eine solche ‚Kurzformel des Glaubens’ kann man nicht als Ganze predigen;
zu kondensiert ist diese Sprache, zu voraussetzungsvoll, auch zu fremd.
Die Vorstellung des Opferkultes, in dem Gott durch Blut versöhnt wird
und wo es wichtig ist, dass dieses Opfer „wohlgefällig“ ist –
das ist eine Bildwelt, zu der wir kaum noch Zugang haben.
Ich will von diesem kurzen, dichten Text daher nur drei Motive betrachten,
die das Bild vom Hirten und den Schafen noch etwas weiter entfalten.
Zunächst und vor allem wird hier klar,
was – oder besser: wer die Herde des „Großen Hirten“ zusammenhält:
der „Gott des Friedens“, des Shalom, wie es im Hebräischen heißt.
Shalom, Versöhnung, Friede –
das ist die erste und wesentliche Gabe Gottes,
ja das ist in gewisser Weise sein Wesen: Frieden zu stiften, Frieden zu sein.
Wo in einer Familie, in Arbeits- und Lerngruppen,
auch in einer christlichen Gemeinde Menschen zusammenfinden,
obwohl sie einander fremd sind, obwohl sie sich immer wieder missverstehen, einander kränken und verletzen können –
wo diese Kräfte des Bösen die Menschen nicht auseinander bringen:
da wirkt der Gott des Friedens.
Wo eine Einzelne trotz aller Ängste, aller inneren Finsternis nicht verzweifelt, wo sie sich geborgen und behütet fühlt –
da wirkt der Gott des Friedens.
Und wo ein Bürgerkrieg nicht weiter eskaliert, wo die Gewalt durch Abkommen begrenzt wird,
wo Menschen – und sei es nur für einige Tage – einander zuhören,
wo sie ihre Gefangenen freilassen –
da wirkt, zerbrechlich und doch hoffnungsvoll, der Gott des Friedens.
Dieser Frieden ist zerbrechlich und gefährdet;
das erleben wir in diesen Wochen und Tagen sehr schmerzlich.
Um so wichtiger scheint mir ein zweites Motiv aus jener Kurzformel des Glaubens, die ich – etwas verkürzt – nochmals wiederhole:
Der Gott des Friedens,
der den großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus Christus,
heraufgeführt hat von den Toten ...
der bereite euch zu allem Guten,
damit ihr seinen Willen tut,
indem er unter uns tue, was ihm gefällt
durch Jesus Christus – dem sei Ehre in alle Ewigkeiten.
Gott, der Gott des Friedens ist der erste Akteur:
Er hat Jesus Christus von den Toten erweckt,
er wirkt hier und heute den Gottesfrieden „unter uns“,
unter seinen Schafen, unter allen Menschen.
Aber diese feierliche Zusage, dieser Friedensgruß zielt doch darauf,
dass wir etwas tun, dass die Christen handeln.
Die Schafe sind hier nicht einfach passiv gedacht,
sondern sie sind fähig, das Gute zu tun – oder zu lassen;
sie müssen Entscheidungen fällen, große und kleine,
in denen der Friede Gottes Gestalt gewinnt.
Ob die Gemeinschaft am Lehrstuhl gelingt,
ob die Forschergruppe ihre Einsichten teilt,
ob eine Arbeitsgruppe die Schwächeren ermutigt,
ob man Freundschaften pflegt, auch wenn die Entfernung wächst –
das alles liegt auch in unserer Hand.
Gottes Friede geschieht ‚unter uns’, heißt es im Hebräerbrief.
Er geschieht nicht allein durch uns; aber er geschieht nie ohne uns:
nicht ohne unsere großen und kleinen Beiträge,
nicht ohne unsere Ideen, unsere Geduld,
unseren Willen, selbst das Gute zu tun.
Noch einmal anders gesagt:
Der große Hirte nimmt es uns nicht ab, unser eigenes Leben zu führen.
Die Herde der Christen ist keine willenlose Masse,
sondern sie ist – als Ganze und in jeder Einzelnen – dafür verantwortlich,
dass Gottes Friede Gestalt gewinnt.
Noch eine dritte, eine letzte Einsicht entnehme ich
jener Kurzformel des Glaubens:
Die Herde des Großen Hirten befindet sich auf einem bestimmten Weg;
die Schafe, die die Stimme Jesu hören – sie sind unterwegs, sie sind
– um es mit dem Osterlied zu formulieren, das wir vorhin gesungen haben –
„mit Freuden zart“ auf einer „Fahrt“:
auf dem Weg in das neue, das ewige Leben.
Der Hirte der Schafe, Jesus Christus, ist von Gott aus dem Tod gerettet;
er ist von den Toten heraufgeführt worden in das Leben.
Das ist die Richtung, sozusagen die Laufrichtung, die nun, seit Ostern,
auch für die christliche Herde gilt:
Als Christen sind wir – seit unserer Taufe – auf dem Weg vom Tod zum Leben, aus der Gefangenschaft in die Freiheit der Kinder Gottes.
Auf diesem Weg gibt es Zwischenstationen:
Erfahrungen des Friedens, wechselseitige Ermutigung,
Momente gelingender Gemeinschaft auch und gerade unter Fremden.
Das sind Zwischenstationen, nicht mehr und nicht weniger.
Als Christen ist uns zugesagt:
In und unter diesen Erfahrungen des Friedens wirkt Gott,
der uns am Ende – wenn alles getan ist –
in seinen ewigen Frieden geleiten wird.
Amen.
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Predigt zu Hebräer 13,20-21 von Christiane Borchers
Liebe Gemeinde!
Der heutige Sonntag wird der Hirtensonntag genannt. Hirten, die ihre Schafherden weiden, gibt es in Deutschland nur noch selten zu sehen. Schafe grasen wohl am Deich in Ostfriesland oder in der Lüneburger Heide, aber die Hirten fehlen. Das heißt nicht, dass die Schafe sich selbst überlassen sind. Ein guter Schäfer sieht nach seinen Tieren; er weiß, wenn ihnen etwas fehlt; schafft Abhilfe. Er versorgt kranke Tiere, führt schwache Schafe in den Stall. Dort bleiben sie so lange, bis sie wieder stark genug sind, draußen bei der Herde zu sein. Aber das gibt es auch: dass ein Hirte sich nicht um seine Schafe kümmert. Ich habe ganze Schafherden am Deich laufen sehen, wovon die meisten Tiere lahmten. Bei einer Landbegehung einer Kirchengemeinde in Ostfriesland entdeckten wir das Gerippe eines verstorbenen Schafes. Der Schäfer hatte noch nicht einmal gemerkt, dass eines seiner Tiere tot war. Nicht jeder Hirte ist ein guter Hirte.
Dass das so ist, wissen schon die Propheten des Ersten Testaments. Sie spielen auf die Hirten an, die das Volk Israel führen. Gott richtet sein Wort an die falschen Hirten und spricht durch den Mund des Propheten Hesekiel: „Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht ihre Herde weiden? Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. Das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht. Das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, das Verlorene sucht ihr nicht. Was stark ist, tretet ihr nieder mit Gewalt“ (Ez 34,1ff).
Als ob der Text direkt zu uns spräche. Beinahe nahtlos können wir ihn übertragen auf bestimmte Verhaltensweisen einflussreicher Menschen unserer Zeit. Verantwortliche in Wirtschaft, Politik, ja selbst in der Kirche, lassen sich bei wichtigen Entscheidungen, die weitreichende Folgen haben, von Kriterien leiten, die egoistisch, kurzsichtig und oft genug ihnen selbst am meisten nützen.
Gott zürnt den schlechten Hirten, setzt sie ab, richtet sie und will selbst der Hirte seines verlorenen Volkes sein, der sich kümmert und für die Menschen sorgt: „Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen, das Verwundete verbinden und das Schwache stärken. Was fett und stark ist, will ich behüten: Ich will weiden, wie es recht ist. (Ez 34,16). Gott zeigt sich seinem Volk voller Güte und Barmherzigkeit. Unsere Situation ist nicht die Situation des alten Israels, aber auch wir hoffen auf die Zuwendung Gottes und sein gütiges Erbarmen, wenn wir Hilfe und Rettung brauchen; wenn wir Schafen gleichen, die verwundet, geschwächt und verloren gegangen sind.
Miserikordias Domini - das Erbarmen Gottes - so heißt der 2. Sonntag nach dem Osterfest, der der Hirtensonntag genannt wird. Ein rechter Hirte kennt seine Herde; sieht, wenn ihr etwas fehlt; greift ein, wenn sie bedroht ist; erbarmt sich einzelner Tiere, wenn sie Hilfe oder besonderer Fürsorge bedürfen. Einen Mangel, eine Not entdecken und Abhilfe schaffen geht mit Erbarmen einher. Wer eine Not erkennt, sich aber davon nicht anrühren lässt, greift nicht ein und hilft auch nicht, sieht er doch dafür keinen Anlass.
Jesus selbst wird im Zweiten Testament als der gute Hirte bezeichnet, der sich erbarmt und hilft. Das hat nichts mit der romantischen Vorstellung von Jesus als dem guten Hirten zu tun, der in der einen Hand seinen Hirtenstab hält und mit der anderen Hand ein kleines Lamm auf dem Arm trägt. Jesus ist der gute Hirte, der die Seinen kennt und sein Leben für sie lässt (Joh 10,11b).
Das Gleichnis vom verlorenen Schaf kommt mir in den Sinn. Jesus als der gute Hirte geht dem Verlorenen nach und sucht so lange, bis er es findet (Lk 15,1ff).
Hirten waren die Väter der Vorzeit: Abraham, Isaak und Jakob. Als Nomaden zogen sie mit ihren Herden durch die Steppe. Ihre Herde ist ihr Reichtum. Sie leben von den Tieren, von ihrer Milch, ihrem Fleisch, ihrer Wolle und ihren Fellen. Doch die Herde lebt auch von ihnen, von ihrer Fürsorge und Erfahrung.
Ein Hirte ist auch König David. Als er zum König gesalbt werden soll, findet der Priester Samuel ihn auf dem Feld bei den Herden. Der König im alten Israel hat zugleich das Hirtenamt über sein Volk, das in erster Linie mit Verantwortung verbunden ist. Ein guter Hirt stellt das Wohl der ihm Anvertrauten hinter sein eigenes. Gott selbst kann zum Bild des guten Hirten werden: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ (Ps 23). Der ersehnte Messias erscheint im Bilde des Hirten: „Er wird seine Lämmer in seinem Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen“, so die Vorstellung des Propheten Jesaja (Jes 40,11). Mose hat die Herde seines Schwiegervaters Jethro gehütet. Hirten auf den Feldern von Bethlehem wird die frohe Botschaft zuerst verkündet. Nach dem Johannes-Evangelium wird Jesus als Erwachsener von sich sagen: „Ich bin der gute Hirte“
(Joh 10,11a).
Ein Hirte, der sich um die Seinen sorgt, sich um sie kümmert und sie in sichere Obhut nimmt, ist auch heute noch in unserer modernen technisierten Welt ein Bild, das als wohltuend empfunden wird. Viele sehnen sich nach Geborgenheit, Wärme, Schutz und Zuwendung, eben weil ihnen diese fehlen. Mit dem Bild des Schafes, das notwendigerweise zu einem Hirten dazugehört, können wir uns weniger identifizieren, wenn wir die Vorstellung damit verbinden, dass ein Schaf gedankenlos einem Anführer hinterherläuft. Unkritisch und gedankenlos will niemand sein, das wäre auch fatal. Mit dem Bild eines Schafes hingegen in dem Sinne, das jenes bewahrt und behütet wird, können wir durchaus etwas anfangen. Die Sehnsucht nach einem friedvollen beschützten Leben ist auch heute groß. Das Bild vom guten Hirten hat nichts von seiner Anziehungskraft verloren.
Im heutigen Predigttext steht das Bild des guten Hirten neben anderen theologischen Begriffen: „Der Gott des Friedens, der den großen Hirten der Schafe, Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten … durch Christus, welchem Ehre sei von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
Vom Gott des Friedens ist die Rede, von den Toten heraufgeführt, vom Blut des ewigen Bundes, von Gottes Willen, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Die Aneinanderreihung von theologisch großen Begriffen wirkt floskel- und formelhaft und könnte eher ein Teil der Liturgie in einem Gottesdienst sein als ein Predigttext, der ausgelegt werden soll. Der Verfasser des Hebräerbriefes nimmt mit diesen liturgisch klingenden Formulierungen Worte auf, die in frühen christlichen Gemeinden im Gottesdienst verwendet wurden. Er hat sie in seinem Brief bewusst an den Schluss gesetzt. Am Ende will er noch einmal das Wesentliche sagen und es der Gemeinde ins Gedächtnis einprägen. Hinter den formelhaft wirkenden Worten steht das ganze Heilswerk Christi mit den daraus resultierenden Konsequenzen für die Nachfolge.
Von den Toten heraufgeführt: Gott hat Christus nicht im Tod gelassen, er hat ihn aus der Tiefe heraufgeführt und in den Himmel erhoben. Der Bund des Blutes ist ein ewiger Bund, der den Zugang zum Heiligtum des neuen Lebens im Himmel bei Gott und Christus eröffnet. Das Blut des ewigen Bundes erinnert aber auch an das Blut, das die Israeliten an die Türpfosten ihrer Häuser strichen in der Nacht, als sie in Ägypten aufbrachen und die Sklaverei hinter sich ließen. Das Blut am Türpfosten hat sie vor dem Todesengel bewahrt. Christus ist der zweite Mose, der die Seinen rettet.
Christus, der von den Toten heraufgeführt worden ist, der mache euch tüchtig in allem Guten: In Jesus hat sich Gottes Wille noch einmal offenbart. Das Gute soll sich in der Nachfolge zeigen. Was das Gute ist, in dem wir tüchtig gemacht werden, führt der Hebräerbrief am Anfang des Kapitels aus: Wir sind befreit, um geschwisterliche Liebe zu üben. Wir dürfen Gastfreundschaft gewähren. ......Wir brauchen nicht geldgierig zu sein und auch nicht falschen Lehren nachzulaufen..., denn Gott hat unser Herz fest gemacht (vgl. Hebr 13,1-9). Wir sind nicht überfordert mit dem Tun des Guten. Der ganze Predigttext ist ein Segenswunsch. Der Gott des Friedens möge uns tüchtig machen. Der Wunsch richtet sich nicht als überhöhte Forderung an uns, sondern der Wunsch richtet sich an Gott selbst. Gott möge wirken, dass Christinnen und Christen tüchtig werden in allem Guten.
Gottes Heilstat für uns hat Auswirkungen auf unsere Verhaltensweisen. Wir können Gott nicht loben und gleichzeitig unseren Nächsten missachten. Gott schenkt uns seinen Frieden. Der Frieden ist nicht begrenzt auf unsere engste Familie, auf Menschen, mit denen wir gut auskommen, der Friede ist umfassend. Er betrifft auch die Menschen, die ich nicht leiden kann. Der Frieden Gottes betrifft Menschen, die weit weg von mir sind, die ich gar nicht kenne. Gott kennt sie. Gottes Frieden betrifft Arme und Reiche, notleidende Schwache und einflussreiche Starke. Gottes Friede betrifft Völker und Nationen, den Frieden mit der Kreatur und der Schöpfung. Gottes Frieden ist ebenso der Frieden, der uns in Ewigkeit erwartet. In der Nachfolge Christi können wir selbst die guten Hirtinnen und Hirten sein, durch die der Friede Gottes in der Welt aufleuchtet. Wir suchen das Verlorene, schenken Menschen und Tieren, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, Zuwendung und Erbarmen. Wir merken auf, wo jemand verwundet ist, helfen und heilen.
Christus und Gott gebühren Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Mit diesem großen Gottespreis endet der Hebräerbrief. Das Gotteslob wird bekräftigt mit einem abschließenden Amen.
Die letzten Worte des Hebräerbriefes sind so etwas wie ein Testament: Der Gott des Friedens führt uns heraus aus der Tiefe des Todes und schenkt uns das Leben. Christus verbürgt sich dafür: Er ist unser gute Hirte, der auf uns achtet und auf uns aufpasst, uns beschützt, behütet und bewahrt.
Auf seinem Arm getragen zu sein, gibt Trost und Zuversicht.
Im Bausch seines Gewandes behütet zu sein,
schenkt Wärme und Schutz.
Bei ihm zu sein, schenkt Geborgenheit und Frieden. Amen.
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„Tüchtig zum Guten“ - Predigt zu Hebräer 13,20-21 von Dörte Gebhard
Liebe Gemeinde, liebe Gäste, all Ihr Tüchtigen von nah und fern,
heute sind Menschen unter uns, die die ganze Bibel durchgelesen haben, diese ganze Bibliothek von Schriften, die überhaupt nur dank unserem ultradünnen Papier handlich zu haben ist.
Die Heilige Schrift entstand, so weit wir das wissen können, ungefähr in einem Zeitraum von 1000 Jahren – und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Bibelfernkurs haben ungefähr in 1000 Tagen, also in etwas mehr als zweieinhalb Jahren tatsächlich alles gelesen! Von vorn bis hinten, auch die langweiligen Stellen und dann auch noch die Kirchengeschichte gleich hinterher studiert. Damit nicht genug, sie haben sich wohl 1000 Fragen gestellt und mindestens 800 in den dazugehörigen Lehrbriefen auch beantwortet, genau hingeschaut, wohl nicht nur einmal zweimal gelesen und manchmal beim dritten Mal immer noch gestaunt, dass so etwas alles in der Bibel steht. Die Korrigierenden, von denen heute auch einige hier sind, haben die Antworten studiert, und mussten nicht ganz selten wieder mit Fragen kämpfen, die aus den Antworten hervorkamen wie aus unversiegbaren Quellen.
Solche tüchtigen Leute hat die Christenheit nötig: die sich Zeit nehmen, einmal alles zu lesen, nicht nur die Lieblingsstellen, nicht nur das Liebreizende, nicht nur das, was man vorher schon gern hatte und gern hörte.
Solche tüchtigen Leute hat die Christenheit nötig: die sich in Diskussionen nicht auf ihre eigenen Vorurteile verlassen müssen, die nur so eine vage Ahnung haben, sondern die wissen, wovon die Rede ist, wenn gestritten wird über den Sinn und Zweck von Glauben und Tun, um das Potential zum Frieden, um die Kriege, die zwar im Namen Gottes geführt werden, aber gewiss nicht sein Wille sind.
Wir anderen haben tüchtig etwas nachzuholen! Daher habe ich eine kurze Zusammenfassung gesucht und bin im Hebräerbrief fündig geworden. Was wir „Hebräerbrief“ nennen, ist ursprünglich eine lange Predigt, die man dann am Schluss mit einer „Briefmarke“ versehen hat und losgeschickt hat – und alle, die den Brief bis heute erhalten haben, wissen nicht mehr, wer ihn zuerst bekam.
Im 13. Kapitel heisst es – alles in allem in nur zwei Versen:
Gott ist es, der Frieden schenkt.
Er hat den grossen Hirten der Schafe,
unsern Herrn Jesus,
heraufgeführt aus dem Totenreich.
Durch sein Blut
hat er den ewigen Bund in Kraft gesetzt.
Gott mache euch [tüchtig] zu allem Guten,
damit ihr tun könnt,
was er will.
Er schaffe in uns,
was ihm gefällt,
durch Jesus Christus.
Der regiert in Herrlichkeit
für immer und ewig.
Amen.
(Hebr 13, 20f., Basisbibel; „tüchtig“ aus Martin Luthers Übersetzung)
Liebe Gemeinde,
nun habe ich nicht einmal 1000 Minuten, sondern nur 1000 Sekunden Zeit hier oben auf der Kanzel, um das zu predigen. Ich werde mir tüchtig Mühe geben. Ziemlich genau in der Mitte wird gewünscht: Gott mache euch tüchtig zu allem Guten, damit ihr tun könnt, was er will.
Tüchtig zu allem Guten – also fähig und kompetent, das Böse zu lassen und das Unsinnige und Dumme auch.
Tüchtig zu allem Guten – also einwandfrei tauglich, das Gute genau zu erkennen, herauszufinden aus dem Wust aus Gut und Böse und allen Halbheiten und Ambivalenzen dieser Welt.
Tüchtig zu allem Guten – also effizient und mit geeigneten Mitteln anderen hilfreich beizustehen, dann auch bald die Tüchtigkeit der Nächsten zu fördern.
So weit - so klar - so wunderbar.
Weit dahinter und darunter tönt noch eine Basslinie, die man nicht überhört, weil sie tendenziell dissonant klingt:
Gott mache euch tüchtig, damit ihr tun könnt, was er will.
Er schaffe in uns,
was ihm gefällt ...
Ich weiss nicht, wie es Ihnen und Euch geht, aber für meine Tüchtigkeit, glaube ich, bin ich doch immerhin selbst zuständig! Wer denn sonst?!
-
Gott.
So weit? Wirklich wahr? Das ist sonderbar!
Liebe Gemeinde,
das nehmen wir nicht so leicht hin! Wer macht hier was bei wem, wer ...?
Daran arbeiten und „hirnen“ [Schweizer Mundart] die Gelehrten schon etwas mehr als 1000 Jahre. Eine extreme Antwort hat sich im Laufe der Zeit gebildet:
„Dann kann man gar nix machen!“
Gott ist zuständig:
Gott ist es, der Frieden schenkt.
Gott war auch tüchtig:
Er hat den grossen Hirten der Schafe,
unsern Herrn Jesus,
heraufgeführt aus dem Totenreich.
Dann ist alles ziemlich übersichtlich und für uns für’s Erste konsequenzenlos:
„Alles, was geschieht, geschieht so, wie es geschieht, allein deswegen, weil Gott es so gewollt und bewirkt hat. Und darum ist alles, was ist, so, wie es ist, weil Gott es so gewollt und bewirkt hat.“[1]
Da kann man nix machen, da muss man auch nix machen ...
Manchmal begegnet einem diese Haltung:
„Eigentlich wollte ich die Welt retten ... aber es regnet.“
Nichts zu machen!
Warum sollte man nach dem Guten fragen, Gebote halten, Busse tun, die Zukunft ins Auge fassen, Urteile bilden, Verantwortung für irgendetwas übernehmen?
In einem Lehrbuch [zur Dogmatik] steht allerdings in der Fussnote: „Vermutlich hat es noch nie einen Menschen gegeben, der auch nur einigermassen konsequent nach dieser Theorie gelebt hat.“[2]
Offenbar ist ein derart tatenloses Leben viel zu anstrengend, um wirklich durchgehalten zu werden.
So nehmen wir unsere ganze Tüchtigkeit zusammen und hören noch ein drittes Mal genau zu:
Gott mache euch tüchtig, damit ihr tun könnt, was er will.
Wir werden von Gott „ertüchtigt“, aber tüchtig sein müssen wir dann schon selbst. Dafür sind wir in der Tat und mit Wort und Tat zuständig.
Wir können, was Gott wohlgefällig ist, nicht mehr und nicht weniger.
Wir können, was Gott gut gefällt, aber wir sind frei, tatsächlich.
Immer gibt es mindestens zwei Möglichkeiten, tüchtig zu sein oder eben auch nicht.
Das Bild vom Hirten ist alt. Es ist völlig zu Unrecht mit idyllischen Farben angepinselt. Der Hirte hat es mit höchst Lebendigem zu tun, auch mit Wölfen, die Hunger haben. [3]
Das Bild vom Hirten ist mehr als gut.
Der gute Hirte macht schon Feuer, wenn das Schaf noch gar nicht ahnt, dass es wieder Nacht werden wird. Aber ob das Schaf im Dunkeln bei der Herde bleibt, entscheidet es selbst. Ein Schaf wird nicht ferngesteuert, sondern behütet.
Der Hirte sucht die Weide aus, aber ob das Schaf an jedem Kraut einzeln herumnörgelt und mäkelt oder unterdessen schon tüchtig frisst, liegt ganz bei ihm.
Ein Schaf wird nicht gefüttert, sondern zu Gras und Wasser gebracht.
Gott befiehlt und bestimmt nicht einfach, sondern „macht tüchtig“.
Gott ist es, der Frieden schenkt.
Das hat nun einen fragenden Klang: Sind wir in der Lage, Frieden zu erhalten? Sind wir tüchtig friedliebend?
Sind wir tüchtig - also fähig und kompetent, das Böse zu lassen und das Unsinnige und Dumme auch?
Sind wir tüchtig – an den guten Gott überhaupt zu glauben angesichts der „Tatsachen“?
„Die Toren sprechen in ihrem Herzen:
Es ist kein Gott.
Sie leben anders, die Aufgeklärten.
Sie zucken die Schultern:
Gott – was soll’s?
...
Die klagen nicht mehr,
denen niemand erzählt hat,
von mehr als dem,
was halt „normal“ ist.
Was aber ist normal?
Die Rose, die Liebende
in den Händen halten,
oder die Bombe,
die sie zerfetzt?
Das Kreuz am Strassenrand,
unsinniges Opfer,
oder die Blumen,
die jemand
liebevoll gedenkend
zu dem Kreuz stellt?“ [4]
Liebe Gemeinde,
was aber ist normal?
-
Sind wir tüchtig – also einwandfrei tauglich, das Gute genau zu erkennen, herauszufinden aus dem Wust aus Gut und Böse und allen Halbheiten und Ambivalenzen dieser Welt?
Jetzt stellen sich selbstverständlich noch 1000 weitere Fragen über Gott und die Welt.
Belegen Sie also den Bibelfernkurs, dann haben Sie zwar nicht plötzlich alle Zeit der Welt, aber wenigstens 1000 Tage Zeit, herauszufinden, was Sie immer schon wissen wollten.
Dazu und für alles andere bitten wir:
Gott mache uns [tüchtig] zu allem Guten,
damit wir tun können,
was er will.
Er schaffe in uns,
was ihm gefällt,
durch Jesus Christus.
Der regiert in Herrlichkeit
für immer und ewig.
Amen.
[1] W. Härle, Dogmatik, Berlin/New York 1995, S. 289 zum Determinismus.
[2] Ebd.
[3] Vgl. H. Albertz, Blumen für Stukenbrock, Stuttgart 1981, S. 277f.
[4] G. Schneider-Flume, Grundkurs Dogmatik. Nachdenken über Gottes Geschichte, Göttingen 2004, S. 17f.
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Predigt zu Hebräer 13,20-21 von Winfried Klotz
Luther:
20 Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, Joh 10,11; 1. Petr 2,25
21 der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Gute Nachricht Bibel:
20 Gott ist es, der Frieden bringt. Er hat den großen Hirten der Schafe aus dem Reich der Toten heraufgeführt, Jesus, unseren Herrn, durch dessen Blut er den ewigen Bund in Kraft gesetzt hat. (Hirt) Jes 63,11; Joh 10,11S; (Bund) Hebr 9,12S; 8,6S
21 Er mache euch fähig, all das Gute zu tun, das er haben will; er schaffe in uns durch Jesus Christus, was ihm gefällt. Ihm gehört die Herrlichkeit für alle Ewigkeit! Amen.
Liebe Gemeinde!
„Die Erde ist voll der Güte des HERRN.“ So sagt es der Name des Sonntags Misericordias Domini, der aus Psalm 33, 5 genommen ist. Diese Güte des Herrn ist offenbar geworden im Sterben und Auferstehen von Jesus Christus für die Welt, für uns. ER ist der gute Hirte, der sein Leben für die Seinen gegeben hat. So wird der heutige Sonntag auch der Sonntag vom Guten Hirten genannt.
Lobpreis und Bekenntnis, Fürbitte und Segenswunsch, das macht unsere beiden Verse am heutigen Sonntag vom guten Hirten aus. Noch einmal werden wir also daran erinnert und damit darin befestigt, dass Jesus Christus auferstanden ist. Gott, er wird der Gott des Friedens genannt, hat „den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt“. Jesu Auferstehung ist Gottes Tat. Gerade in der Auferweckung des Gekreuzigten und damit von den Menschen Verworfenen, erweist sich Gott als der Lebendige, dessen Gedanken und Wege nicht unsere sind. „Soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ (Jesaja 55, 9)
Das ist mir ganz wichtig, dass wir gegen alle Skepsis, gegen alle Verflachung unseres Glaubens und Denkens im Säkularismus bekennen: „Gott hat den großen Hirten der Schafe aus dem Reich der Toten heraufgeführt!“ Wir feiern an Ostern nicht das Frühlingserwachen, sondern eine unvergleichliche, alles Irdische überschreitende Tat Gottes!
Im Hinschauen auf den auferstandenen Jesus, im Bekenntnis zu ihm, sollen unsere Herzen weit werden, soll ein Glanz des ewigen Lebens uns jetzt in dieser Zeit schon erfüllen. Was haben wir denn sonst als Christen? Auf was sonst gründet unsere Hoffnung auf Gott?
Eine Geschichte erzählt:
Es war in Moskau im Gefängnis der Geheimpolizei. Eine der Gefangenen - Frau von Arsenjeff - erzählt von einem Erlebnis, das sie an diesem Ort des Schreckens hatte:
"Eines Abends flüsterte mir meine junge Mitgefangene in der Zelle zu: ,Wissen Sie, was morgen für ein Tag ist? Morgen ist Ostern!'
War das Osterfest tatsächlich schon so nahe? Ostern ist Freude für die ganze Menschheit. Nur wir waren von dieser Freude ausgeschlossen. Trostlos ging ich den Korridor entlang.
Plötzlich durchbrach ein Schrei die bedrückende Stille: ,Christus ist auferstanden!' Wer hatte es gewagt, unseren Ostergruß zu rufen? Ich sah meine Gefährtin an. Die großen Augen leuchteten in dem blassen Gesicht. Da erklang schon die Antwort. Aus jeder Zelle ertönten die freudigen Stimmen: ,Er ist wahrhaft auferstanden!'
Die Wächter waren sprachlos, vor Staunen versteinert. Solch eine Frechheit, wie sie meinten, war ihnen noch nicht vorgekommen. Sie stürzten sich auf das junge Mädchen und schleppten es mit sich.
Nach vier Tagen kehrte sie in meine Zelle zurück. Das Gesicht sah elend und abgemagert aus. Man hatte sie die Ostertage über in einer ungeheizten Strafzelle frieren und hungern lassen.
,Ich habe aber doch die Osterbotschaft im Gefängnis verkündet', sagte sie zu mir mit leuchtenden Augen, ,alles andere ist ja nicht wichtig!'" (Hoffsümmer, Kurzgeschichten II64)
Das ist doch nicht stures Festhalten an alten Traditionen, wenn wir bekennen: Gott hat Jesus auferweckt von den Toten. Das ist doch die Botschaft, die durchträgt, gerade in den schweren und angefochtenen Tagen. Der Auferstandene wird zum hellen Licht in unserem Leben, wenn wir uns zu ihm bekennen, wenn wir Gott loben über seiner großen Tat. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in unseren Gottesdiensten alte und neue Loblieder singen, dass wir uns stärken und ermutigen im Singen, Beten und Hören. Und dieses Bekenntnis auch da wagen, wo unser Leben eingesperrt ist wie in einem Gefängnis.
Gefängnisse, die uns den Mund verschließen wollen für das lobende Bekenntnis ‚Gott hat Jesus von den Toten heraufgeführt‘, gibt es viele. Sei es der Wüstenwind des Säkularismus, also der Behauptung: nur die wissenschaftlich erkannte Welt ist wirklich, alles andere ist subjektive Vorstellung; und darauf gegründet die Ideologie eines Humanismus, der den Menschen an Gottes Stelle setzt. Nun weiß der Mensch nicht nur, was gut und böse ist, sondern er legt es selbst fest in seiner Freiheit von Gott. Maßgabe ist, was brauche ich für ein erfülltes Leben?
Oder das Gefängnis eines Lebens, in dem Gott die wichtigste Nebenrolle spielt, aber eben nur eine Nebenrolle. Was soll ich mit Gott anfangen, wenn ich ihn nicht brauche. Was soll ich mit der Botschaft anfangen, dass Gott Jesus auferweckt hat? Wann brauche ich diese Botschaft? Auf dem Friedhof? Wie wäre es, wenn wir das Bedürfnischristentum verabschiedeten und uns der Botschaft stellten: Gott hat Jesus von den Toten heraufgeführt. Wenn wir anfingen zu Fragen: Gott, wenn das wahr ist, was ist das dann für mich, für mein Leben? Wenn Jesus lebt, was willst Du, Jesus, dann aus meinem Leben machen?
Es gibt viele Gefängnisse, die uns den Mund verschließen wollen für das Bekenntnis: Gott hat Jesus auferweckt! Leid, Schuld, Krankheit können uns dieses Bekenntnis unmöglich machen. Die Botschaft hören und gegen Widerstände, gegen mein Gefühl, gegen erdrückende Skepsis sich trotzdem dazu zu bekennen, kostet etwas, aber macht zugleich auch frei. Frei in Gott, frei für Gott, befreit zur Gemeinschaft der Christen.
Wenn ich es recht sehe, so ist in unseren beiden Versen nicht nur insofern die Gemeinschaft der Christen angesprochen, als Segenswunsch und Bitte sich an eine solche richten, sondern gerade auch dadurch, als vom „Blut des ewigen Bundes“ die Rede ist. „Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes“, heißt es in Vers 20. „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“, so in den Abendmahlsworten, überliefert vom Apostel Paulus in 1. Kor. 11. Um Versöhnung und Gemeinschaft geht es im Abendmahl, gegründet auf den Tod Jesu am Kreuz. Da ist die Schuld gesühnt, da hat Gott uns Frieden geschaffen mit ihm. Das verbindet zur Gemeinschaft mit Gott und in der Gemeinde des neuen Bundes. Welch eine Gnade! Gott hat sich unerschütterlich und fest mit uns verbunden durch Jesus, der sein Leben gegeben hat am Kreuz und es neu empfangen hat in der Auferstehung. Durch Jesus wird uns neues Leben geschenkt! In diesem Sinne verstehe ich den Hinweis auf das „Blut des ewigen Bundes“.
Auf dieser Basis sagt der Segenswunsch: „der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“
Warum krebsen aber viele Gemeinden und Christen unfroh und unfrei dahin? Warum sind sie nicht tüchtig zu allem Guten? Warum ist in der Kirche Jesu so viel Sand im Getriebe? Glauben wir zu wenig, beten wir zu wenig, tun wir zu wenig?
Was ist los mit uns Christen in Deutschland? Ob fromme oder weniger fromme Gemeinde, eines beobachte ich häufig: Christen streiten miteinander! Ich meine nicht sachliche Diskussionen. Nein, Grabenkriege werden geführt und das heißt: es gibt kein gegenseitiges Vertrauen, sondern Intrigen, argwöhnisches Beobachten, üble Nachrede. Keine Spur von Frieden und Einigkeit, sondern rangeln um die Macht. Wer darf was bestimmen, wer hat Recht, wer hat einen Fehler gemacht und kann dafür abgestraft werden. Die, die durch die Vergebung ihrer Schuld Frieden haben sollten, sind unfähig zum Frieden miteinander. Sie zählen die Sünden ihrer Nächsten, freuen sich am Scheitern des anderen, sind neidisch, wenn ihm etwas gelingt.
Was ist los mit uns Christen und Gemeinden?
Warum diese Lieblosigkeit? Warum sind wir nicht in der Lage, uns etwas gefallen zu lassen? Warum können wir uns gegenseitig nicht ertragen? Warum muss Gemeinde nach unserer Vorstellung funktionieren? Sind wir Herren der Gemeinde? Haben wir vielleicht deshalb die Regierung übernommen, weil Jesus tot ist, also nicht auferweckt von den Toten?
Ich übertreibe und karikiere, gewiss. Aber was wird sichtbar durch die Friedlosigkeit unter Christen? Doch dies: Wir sind nicht so nah dran an dem Gott, der durch Jesus Frieden gemacht hat für die Welt und der uns befähigen will zu tun, was ihm gefällt. Wir sind sehr bei uns selbst und nehmen uns sehr wichtig. Wir haben keine Geduld und vor allem kein Vertrauen, dass Jesus Christus seine Gemeinde regiert. Im Gegensatz dazu aber wollen uns Segenswunsch und Bitte unseres Bibelwortes aus Hebr. 13 ausrichten auf Gottes Ziel und Absicht für uns:
„Er mache euch fähig, all das Gute zu tun, das er haben will; er schaffe in uns durch Jesus Christus, was ihm gefällt. Ihm gehört die Herrlichkeit für alle Ewigkeit! Amen.“
Wie macht Gott uns fähig? Doch nur, indem wir vertrauen und im Vertrauen bitten! Vertrauen heißt, sich selbst und die Sache dem Herrn Jesus anvertrauen, überlassen. Geduldig auf sein Handeln warten. Im Blick auf sein Kreuz sich auch unrecht antun lassen, nicht wort- und wehrlos, aber doch in großer Zurückhaltung. Und akzeptieren, wenn man selbst als der Verlierer dasteht. Kommt es denn darauf an, vor Menschen sich zu behaupten? Reicht es nicht, dass der Herr Jesus schon sein Ziel erreichen wird? Und das wir bittend und vertrauend mit IHM darauf zugehen?!
Also: Gott ist es, der Frieden bringt. Er hat den großen Hirten der Schafe aus dem Reich der Toten heraufgeführt, Jesus, unseren Herrn, durch dessen Blut er den ewigen Bund in Kraft gesetzt hat. 21 Er mache euch fähig, all das Gute zu tun, das er haben will; er schaffe in uns durch Jesus Christus, was ihm gefällt. Ihm gehört die Herrlichkeit für alle Ewigkeit! Amen.
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Das war zu viel für den Tod - Predigt zu Hebräer 2,10-15 von Katharina Wiefel-Jenner
Das war zu viel für den Tod
10 So entspricht es dem Wesen Gottes, der Ursache und Ursprung von allem ist:
Er will ja viele Kinder in seine Herrlichkeit bringen. Deshalb hat er den, der sie zur Rettung führen sollte, durch Leiden zur Vollendung gebracht.
11 Denn er, der heilig macht, und sie, die heilig gemacht werden, stammen alle von dem Einen ab. Aus diesem Grund schämt er sich auch nicht, sie Brüder und Schwestern zu nennen.
12 Er sagt ja: "Ich will meinen Brüder und Schwestern von deinem Namen erzählen. Im Kreis der Gemeinde will ich dich loben."
13 Und an anderer Stelle: "Ich werde mein Vertrauen auf Gott setzen."
Und wieder an anderer Stelle: "Sieh doch, da bin ich mit den Kindern,
die Gott mir gegeben hat."
14 Weil die Kinder Menschen aus Fleisch und Blut sind, ist er ein Mensch genauso wie sie geworden. Denn er sollte durch seinen Tod den vernichten, der Macht über den Tod hat. Das ist der Teufel.
15 Und er sollte die Menschen aus der Angst vor dem Tod befreien. Denn die hielt sie ihr Leben lang in Knechtschaft. (Übersetzung der Basisbibel)
Draußen geht das geschäftige Treiben weiter. Draußen treiben Lüge und Verleumdung ihr Unwesen. Gier und Verrat sind stets zu Diensten, um die geliebten Kinder Gottes ins Unglück zu stürzen. Draußen lauert der Tod. Draußen. Aber wir sitzen hier um den Tisch. Wir essen. Wir trinken. Wir beten und danken. Wir singen. Wir sind alle da und Er ist bei uns. Hier drinnen kommt die Welt zur Ruhe. Hier drinnen ist Er und die Welt fühlt sich so an, als wäre sie neu. Hier ist Frieden.
Nein! Auch hier sucht der Frieden noch nach Raum. Es ist wie in der Nacht, als Er verraten wurde. Da war auch noch kein Frieden. An unseren hoffnungsvollen Augen und Herzen vorbei hatten sich Lüge und Verleumdung eingeschlichen. Draußen der Tod und drinnen die Angst vor seinen widerlichen Handlangern. Gier und Verrat hatten sich in unserer Mitte niedergelassen. So sind wir weiter Sklaven des Todes. Unsere Angst hält uns in Sklaverei und der Frieden gewinnt keinen Raum.
Doch Er wäscht uns die Füße. In Ihm ist Frieden. Er bricht das Brot. Er teilt den Wein mit dem, der ihn verrät. Er sieht, wo wir versagen. Er spricht mit uns. Er erlebt unsere Not, sieht unsere Tränen, wenn der Tod uns das Liebste nimmt. Seine Augen sehen, wie in unseren Träumen die Bilder vom Leid der Hungernden monströs werden, wie die Wut der Betrogenen anschwillt und doch nichts bewirkt. Bis ins Mark trifft es Ihn selbst - und dann wäscht Er unsere Füße. Wie ein Sklave benimmt Er sich und redet dabei wie ein Herr. Er dient wie der letzte Sklave und ist doch frei. Er ist der Herr.
Uns muss Er es nicht sagen, dass Er kein Sklave ist. Wie wissen, dass Er der Herr ist. Heute Nacht allerdings – heute Nacht wird er durch Lüge, Verrat und Gier von den Sklaventreibern des Todes gefangen gesetzt. Er wird zum Sklaven gemacht der Er doch nicht ist. Noch heute Nacht wird Er ausgepeitscht, gequält, gefoltert. Noch heute Nacht werden die Sklaventreber des Todes Ihn niederschreien. Er wird leiden, die Angst vor dem Tod schmecken, Tränen der Verzweiflung weinen, zittern. Und doch ist Er kein Sklave und er scheut sich nicht, ihnen das offen ins Gesicht zu sagen: „Nein, ich bin kein Sklave des Todes. Die Angst kann mich nicht töten. Ich bin frei. Und die, die zu mir gehören, sind auch keine Sklaven. Auch sie sind frei. Auch sie gehören nicht dem Tod.“
Nur Er konnte so sprechen. Nur Er konnte im Angesicht des Todes von Freiheit sprechen. Deswegen töteten sie ihn auch. Mitten in der Nacht kamen sie, um ihr grausames Werk zu vollenden. Er starb den Tod am Kreuz. Und sie dachten, dass sie es damit geschafft hätten. Sie dachten, dass sie ihn zum Verstummen gebracht hätten. Sie dachten, dass sie seine Glaubwürdigkeit beschädigt hätten. Sie dachten, dass ihm nun niemand mehr glauben würde. Ein getöteter Sklave würde ihnen nicht mehr gefährlich werden können. Tot ist tot. Wer tot ist, kann nicht mehr gegen den Tod und seine Hässlichkeit protestieren. Wer tot ist, kann Gott nicht mehr loben, kein Zeugnis von Gottes Macht ablegen, nicht mehr davon singen, dass Gott die Machthaber von ihren Thronen vertreiben und die Hungrigen mit Gütern füllen wird. Tot ist tot – so dachten sie. Die Lektion würden auch wir lernen – dachten sie. Fast hätten wir ihnen recht gegeben. Hatten wir doch nicht die Kraft, mit Ihm zu wachen, obwohl Er uns so sehnsüchtig darum gebeten hatte.
Die Angst vor dem Tod sichert ihre Macht – so dachten sie. Die Angst, der große Sklaventreiber, ist uns stets zu Diensten – so dachten sie und merkten selbst nicht, wie der Tod sie einfach nur benutzt, um seine Macht aufrecht zu erhalten. Nicht sie bedienten sich der Angst vor dem Tod. Nicht sie spielten die tödlichen Spiele der Machthaber. Der Tod lässt sie sein Spiel spielen. Sie sind seine Vollstrecker und der Tod ihr Herr.
Mit Gott aber haben sie nicht gerechnet. Sie haben nicht gesehen, was Gott entspricht. Ihre liebsten Methoden gehören zum Tod. Angst, Leiden, Hunger, Folter, Hass – all das entspricht dem Tod. Zu Gott aber gehören Frieden, Gerechtigkeit, Brot und Wein, Wasser, Licht, Liebe, Heiligkeit, Barmherzigkeit. Das Leben entspricht Gott. Gott und das Leben gehören unauflöslich zusammen. Gott ist das Leben. Glaubten die Sklaventreiber des Todes, dass sich Gott das gefallen lässt? Glaubten sie wirklich, dass der Tod einfach so davon kommt und weiter hässlich und stinkend sein Unwesen treiben darf. Sie glaubten es. Sie haben Ihn gekreuzigt und nicht damit gerechnet, dass das Konsequenzen hat.
Tot ist tot? Nein – zu Gott gehört das Leben und Er gehört zu Gott. Da kann der Tod machen, was er will. Mit Seinem Tod hat der Tod sich selbst umgebracht. An Seinem Tod hat sich der Tod einfach verschluckt. Das war zu viel für ihn. Zu viel Leben, zu viel Gerechtigkeit, zu viel Liebe, zu viel Barmherzigkeit, zu viel Heiligkeit. Der Tod ist durch den Tod besiegt. Gott hat an Seinem Kreuz das Leben über den Tod siegen lassen.
Die Sklaventreiber des Todes damals glaubten, dass der Tod einfach so weiter machen darf. Sie glauben es sogar noch heute. Mit ihren Methoden fühlen sie sich sicher. Niemand kann ihnen etwas anhaben – so denken sie. Solange die Angst vor dem Tod herrscht, haben wir Macht – so denken sie und wissen doch nicht, dass sie nur den Spielregeln des Todes folgen. Solange die Angst vor dem Tod herrscht, haben wir Macht – so denken sie – und wissen doch nicht, dass der Tod längst an Christus gestorben ist.
Wir sitzen hier um den Tisch. Wir essen. Wir trinken. Wir beten und danken. Wir singen. Wir loben Gott. Wir sind alle da. Christus ist bei uns und wir gehören nur noch ihm. Hier drinnen kommt die Welt zur Ruhe. Hier drinnen ist Christus und die Welt fühlt sich so an, als wäre sie neu. Hier hat der Tod keine Macht mehr. Hier ist Frieden. Amen.
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Predigt zu Hebräer 12,1-3 von Uwe Tatjes
Liebe Gemeinde,
Lisa kommt heute zum ersten Mal zum Chor. Gesungen hat sie ja schon immer gerne. Aber bislang hatte sie noch nie daran gedacht, auch einmal in einem Chor zu singen. Schon gar nicht in der Kirche. In ihrer Konfirmandenzeit, ja, da waren im Kirchenchor immer Damen mit einem strengen Haarknoten gewesen. Und Herren mit schütterem Haar. Und der Gesang war ernst und dünn gewesen. Sie hatte Gottesdienste mit dem Kirchenchor gefürchtet. Aber als Konfirmand musste man ja hin. Aber neulich bei der Konfirmation, das war ein ganz anderer Chor gewesen. So frisch und lebendig, so strahlend und positiv. Mit schmissigen Liedern, die Spaß machten. Und die Sänger waren bunt gemixt gewesen. Gar nicht so, wie man das in der Kirche erwartet. Sogar ihre Kollegin Meike, die sie aus der Schule kannte, hatte da mitgesungen. Als sie nach der Kirche nach Hause ging, war Lisa ganz beschwingt gewesen. So schön hatte sie Kirche noch nicht erlebt. Und als sie Meike am Montag ansprach und ihr ein Kompliment für den Gesang ihres Chores machte, da hatte sie gelacht, sich bedankt und Lisa eingeladen, doch auch mal zu kommen. Und jetzt steht Lisa in der Tür zum Gemeindesaal, die Gespräche und das Lachen der Sänger klingen wie ein Bienenschwarm. Lisa ist ein wenig unsicher, doch die Chorleiterin bemerkt sie und kommt auf sie zu, begrüßt sie und sagt, dass sie sich über das neue Gesicht freut. Meike winkt Lisa freundlich zu. Und dort hinten sitzt Frau Meier, eine rüstige Alte, die Lisa aus der Nachbarschaft kennt. Sogar Hannes entdeckt sie, der in der Stadt einen Bioladen betreibt. Hätte nicht gedacht, dass die alle in der Kirche sind, denkt Lisa, als die ersten Töne erklingen.
Schlussgottesdienst beim Kirchentag in Dresden. Direkt am Elbufer, gegenüber den Silhouetten der Altstadt treffen sich die Gläubigen. Aus allen Richtungen füllen sich die Elbwiesen um die Bühne, auf der der Gottesdienst stattfinden wird. Einige junge Leute waten bei dem fast sommerlich warmen Wetter in das kühle Elbwasser, man hört Stimmengewirr, Lachen, Kinderweinen, Helfer wuseln umher, Menschen treffen sich. Es scheint einen heimlichen Wettbewerb für den orignellsten Sonnenschutz zu geben. Kirchentagszeitungen werden auf verschiedene Weise gefaltet, Schals wie Turbane gewickelt. Ich komme mit einem älteren Mann neben mir ins Gespräch. „Das tut mal gut“, sagt er, der aus Ostdeutschland stammt, „normalerweise sind wir ja am Sonntag nur wenige. Aber so sieht man mal, dass wir Christen doch nicht so wenige sind und nicht nur alte Leute.“ Ich nicke. „Und beim nächsten Kirchentag,“, fährt er fort, „da fahren wir einfach die Elbe runter. In Hamburg sehen wir uns wieder. Ich bin dabei. Für mich ist das immer wie Auftanken.“ Ich blinzle ihm zu. Tatsächlich. Solche Erfahrungen tun doch gut. Kirche, das sind nicht wenige. Kirche, das sind mehr, als ich wahrnehme. Und viel mehr Menschen und Erfahrungen, als ich mir vorstellen kann.
Ich lese den Predigttext für den heutigen Palmsonntag, aus Hebräer 12, 1-3.
1 Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist,
2 und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
3 Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.
Liebe Gemeinde,
die „Wolke der Zeugen“, das ist ein schönes Bild für die Kirche und unseren Glauben. Mag die „Wolke der Zeugen“ auch ein bisschen altbacken und kirchlich-antiquiert klingen, die Erfahrung, die sich darin ausspricht, ist doch up to date: Kirche ist wesentlich mehr als wir wahrnehmen, und kann ganz anders sein, als wir es uns vorstellen. Eine positive Erfahrung mit Kirche, die Entdeckung, da gehören mehr Menschen dazu, als ich mir vorgestellt habe, zum Beispiel. In unseren Gemeinden wirken Menschen auf unterschiedlichste Weise mit, durch alle Generationen hindurch, von den Männern, die beim Gemeindefest Bier zapfen oder einen Arbeitseinsatz auf den gemeindeeigenen Grünanlagen hinlegen, bis zu Kindergottesdiensthelfern und Johannitern, die Konfirmanden einen Erste-Hilfe-Kurs geben. Von ehrwürdigen Damen bei Altennachmittag, bis zu engagierten Besuchsdiensthelfern und Teilnehmern an Glaubenskursen, von fröhlichen Bläsern oder Sängerinnen bis zu Besucherinnen und Besuchern der Gottesdienste. Vom Austräger des Gemeindebriefes bis zum Spender für ein neues Projekt der Gemeinde.
Auf den ersten Blick hat dieses Bild ja nicht viel zu tun mit der Passionszeit, in der wir mittendrin stehen und auch nicht mit der Karwoche, die nun beginnt. Vielleicht schon eher mit der Erfahrung, die der Mann in Dresden aussprach: Warum sind wir normalerweise so wenige? Warum gelingt es uns scheinbar oft nicht, den Glauben attraktiv und überzeugend zu vermitteln? Auch an diesem Wochenende werden viel nicht in unsere Gottesdienste strömen, sondern eher im Stau auf den Autobahnen stehen, um in die Osterferien zu fahren. Passionszeit scheint heutzutage manchmal zu heißen: an der Bedeutungslosigkeit von Kirche zu leiden. Am Schwund und stellenweise an der Überlastung derer, die sich engagieren.
Erfahrungen, die der Verfasser des Hebräerbriefes auch anspricht: den Glaubenskampf und die Verfolgung, das sind Erfahrungen, die wir in unserer Kirche und Situation nicht oder kaum machen müssen. Andernorts, zum Beispiel zunehmend in islamisch geprägten Ländern haben Christen mit großen Schwierigkeiten zu rechnen, ja vielfach mit Verfolgung und Bedrohung des eigenen Lebens.
Unsere Situation scheint dagegen öfter von Müdigkeit geprägt zu sein, fehlendem Glaubenseifer, Visionen und Motivation, so dass wir schon eher einen Anstoß brauchen, „damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“, wie es in unserm Predigttext heißt.
Heutzutage ist Cloud-Computing in aller Munde. Für nichttechnische Menschen einfach erklärt: Cloud heißt „Wolke“ und im Zusammenhang mit Computern und Daten bedeutet dies, dass das Sichern von Daten nicht mehr an einen festen Ort gebunden ist. So wie Wolken über den Himmel wandern, so wandern die Daten mit und sind über das Internet überall verfügbar, über jeden Rechner mit Internetverbindung. Das ist praktisch, denn so können verschiedene Menschen an verschiedenen Orten am selben Dokument arbeiten können oder ich auch unterwegs auf wichtige Dokumente oder auch Bilder und Musik zugreifen kann.
Ich möchte diesen Gedanken mit dem Bild von der „Wolke der Zeugen“ verbinden. Auch wir als Christen sind vernetzt. Uns steht ein ungeheurer Erfahrungsschatz von unzähligen Generationen vor uns und auch von Menschen, die mit uns leben zu Verfügung. Verbunden sind wir durch die Hoffnung, die wir teilen. Auch wenn das Christentum auf der Welt überall unterschiedliche Gesichter hat, können wir durch den Glauben und die gemeinsame Hoffnung schnell Kontakte knüpfen, Gemeinschaft erleben, neues erfahren und lernen. Christen in anderen Ländern, die Verfolgung erleiden, die um ihren Glauben kämpfen müssen, können sich durch unsere Unterstützung und unsere Gebete getragen fühlen. Sie erinnern uns daran, dass Glauben auch Einsatz und Auseinandersetzung bedeuten kann. Uns stehen die Erfahrungen und Zeugnisse der Generationen von Menschen vor uns und neben uns zur Verfügung. Sie haben sich auch durch den Glauben getragen gefühlt. Sie haben Gott ihr Leben anvertraut, sie haben ihm ihr Leid geklagt, sie haben ihm für Segen und Bewahrung gedankt, sie sind mit ihm im Glauben und im Leben gewachsen. Es ist diese gute Erfahrung: ich stehe nicht allein mit meinem Glauben. In einer Gemeinde sah ich eine Installation von Schwarzweiß-Fotografien in der Kirche überall an den Wänden entlang. Ich fragte, was das sei. man sagte mir, das seien Gesichter von Gemeindegliedern. Es waren Hunderte. Mir gefiel das. Große und Kleine. Sehe hübsche und nicht ganz so hübsche, unschuldige Gesichter und vom Leben gezeichnete Gesichter. Nahe und Ferne. Sogar einige, die gar nicht zur Gemeinde gehörten, sagte man mir, Gäste eben oder Leute, die bei der Photoaktion zufällig vorbei kamen und so Teil dieser Installation wurden. Alle vereint in der Kirche, so verschieden sie sind. Eine „Wolke der Zeugen“. „Gemeinschaft der Heiligen“, wie wir es im Glaubensbekenntnis ausdrücken. Ein Netzwerk der Hoffnung.
Kirche kann mehr sein, als ich in meinem manchmal doch eher schwachen Glauben erkenne. Gemeinde viel mehr, als das was ich vielleicht gerade vor Ort erkenne. Glaube sieht über den Tellerrand hinaus, fühlt sich durch andere ermutigt und getragen. Der Glaube sieht mehr als den Augenschein, er hofft auf das, was Gott in jedem von uns schon sieht: So wie wir sind, und doch mehr als wir glauben können. Gott sieht in uns unentdeckte Möglichkeiten, er glaubt an uns, auch wenn wir alles andere als perfekt sind.
Dieser Glaube kommt aus dem Vertrauen zu Jesus, der uns nicht aufgibt und der diese Welt nicht aufgab. Der sich bis zum äußersten hinein gab in diese Welt, voller Liebe und Vertrauen, auch bereit, diesen Weg bis in die tiefste Tiefe zu gehen. Jesu Weg führt an die dunkelsten Stellen dieser Welt, er führt durch das Leid. Aber er ist ein Hoffnungsweg, auf den er uns mit nimmt. Weil seine Liebe und sein Vertrauen am Ende stärker sind als der Tod, die Resignation, die Ablehnung. Er kommt, um uns mit hinein zunehmen in dieses große Netzwerk der Hoffnung, „die Wolke der Zeugen“, „damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“
Mit ihm fängt unser Glaube an, in ihm weitet sich unser Blick. Wir sehen neue Horizonte. Er ist der „Anfänger und Vollender des Glaubens“, an seinen Weg denken wir in dieser Woche.
Eine Frau aus Lisas Chor, in respektablen Alter, schrieb mir neulich, sie sei so froh, dass sie in ihrem Alter noch mitsingen könne. Nach dem Tod ihres Mannes habe ihr das geholfen, wieder ins Leben zu finden und das singen gebe ihr so viel Kraft und Freude. Ich frage mich, wie es wohl Lisa gefallen wird in ihrem Chor. Ich hoffe, für sie wird es ähnlich schön wie für die Briefschreiberin. Ein klingendes und singendes Netzwerk der Hoffnung eben.
Beim Abschlussgottesdienst des Kirchentages in Hamburg im Stadtpark, mit 130.000 Menschen, musste ich an den älteren Mann aus Dresden denken. Wie hatte er gesagt? Wir fahren einfach die Elbe herunter... Ob er jetzt wohl mit feierte? Wie es ihm wohl ging? Gesehen habe ich in nicht in Hamburg, aber als das erste Lied aus vielen, vielen Kehlen angestimmt wurde, da fühlte ich mich mit ihm verbunden und fühlte mich selber getragen von einer Wolke der Hoffnung. Amen
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"Damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem Teufel" - Predigt zu Hebräer 2,10-18 von Christoph Römhild / mit einer Lichtermeditation von Klaus Eulenberger
Liebe Gemeinde,
heute an Gründonnerstag erinnern wir uns daran, wie unser Herr Jesus Christus an diesem Abend das Sakrament des Abendmahls einsetzte. Jesus feierte das Abendmahl mit seinen Jüngern.
Sie sind ins Gespräch vertieft, sind einander zugewandt, sind Jesus zugewandt, verschiedene Gesichter und ebenso verschiedene Charaktere und Lebensgeschichten.
Wenn wir nun hier zusammen sitzen, so verlängern wir den Tisch Jesu und setzen uns dazu an seine Tafel. Wir haben Gemeinschaft mit den ersten Jüngern aus dieser Nacht.
Der Predigttext für heute steht im Hebräerbrief. Der Hebräerbrief findet in unserer normalen Bibellese oft wenig Beachtung. Wir wissen wenig von ihm: Weder der Autor noch die Adressaten sind uns bekannt.
Er ist aber ungeheuer kenntnisreich und bezieht sich immer wieder auf das Alte Testament und seine Rituale, woher er auch seinen Namen haben mag.
Der jüdische Autor Shalom Ben-Chorin hat daher auch spekuliert, dass der Hebräerbrief doch von Paulus sein könnte und dass er auch tatsächlich an Hebräer schreibt und deswegen so kenntnisreich auf das Alte Testament rekurriert.[1] Er verwendet das Alte Testament im Hebräerbrief so, dass er die Wahrheit des Glaubens an Jesus als den Messias nachweist – und gleichzeitig dessen Überlegenheit[2].
Der Hebräerbrief ist auch eine wundervolle Quelle von Bibelworten, die sehr bekannt ist, und von denen uns manchmal gar nicht bewusst ist, dass sie aus dem Hebräerbrief stammen:
· Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
· Jesus ist Anfänger und Vollender des Glaubens, so hören wir.
· Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.
· Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.
· Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
· Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer
Auch der heutige Predigttext ist aus dem Hebräerbrief.
Ich verlese aus Kapitel 2 die Verse 10-18:
Denn es ziemte sich für den, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, dass er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden vollendete.
Denn weil sie alle von "einem" kommen, beide, der heiligt und die geheiligt werden, darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen,
· und spricht (Psalm 22,23): »Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen.«
· Und wiederum (Jesaja 8,17): »Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen«;
· und wiederum (Jesaja 8,18): »Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat.«
Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel,
und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten.
Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an.
Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes.
Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.
– Gott segne sein Wort, das an uns ergeht –
Sie sehen, liebe Gemeinde, bei diesem Text geht es ums Ganze! Hier wird alles angesprochen, woran wir glauben.
Weihnachten wird angesprochen, also warum Gott Mensch wurde, und Ostern wird angesprochen, also warum Jesus leiden musste.
Das Ganze wird durch Schriftbelege aus dem Alten Testament belegt. Dabei ist es keine Exegese in unserem Sinne. Vielmehr wird ein Wort aus der Bibel herangezogen und aus seinem Kontext genommen und völlig umgedeutet. Dabei ist Paulus, oder wer auch immer der Autor sein mag, sehr bewusst, dass der ursprüngliche Kontext und die ursprüngliche Bedeutung des Bibelwortes eine andere ist. Dennoch kann er den Vers aber aus dem Kontext herauslösen und ganz neu verwenden.
Paulus weiß ganz genau, was er hier tut. Das hinter dieser Methode stehende Denken scheint zu sein: Wenn es einen Vers in der Bibel gibt, der in meine Argumentation passt, so ist das ausreichend. So heilig, ja, so lebendig ist die Bibel, dass ihre Heiligkeit schon in einem einzelnen Vers ausreicht, um etwas zu beweisen.
(Das verbindende Element der drei Schriftworte, ist das Wort „Ich“. Dabei werden die Worte Jesus in den Mund gelegt. Diese Art der Schriftauslegung erinnert an jüdische Midraschim; auch ihre Autoren wussten exakt, was sie taten.)
Ich will den Text noch einmal mit meinen eigenen Worten wiedergeben:
· Es war richtig für Gott den Schöpfer, dass er Jesus durch Leiden am Kreuz vollendete.
· Jesus heiligt uns und führt uns zur Herrlichkeit.
· Er nennt uns seine Brüder und Schwester, denn so wie er kommen auch wir von Gott her.
· Jesus verkündigt uns Gott, er lobt Gott vor allen Menschen.
· Jesus setzt sein Vertrauen völlig auf Gott.
· Wir sind als Gottes Kinder Jesus anvertraut und er steht für uns ein. (mit Jes 8,18)
· Weil Jesus uns retten will und wir aus Fleisch und Blut sind, musste auch er Leib und Blut annehmen.
· Durch seinen Tod hat er dem Teufel die Macht genommen.
· Bis dahin hatte der Teufel die Macht über den Tod.
· Bis dahin waren wir alle durch unsere Todesangst für unser ganzes Leben Diener des Teufels.
· Nun aber sind wir freie Menschen. Wir haben keine Angst mehr vor dem Tod und müssen keine Diener des Bösen mehr sein.
· Jesus nimmt sich unser an. Nicht der Engel, sondern uns, die wir Nachkommen Abrahams sind (Engel sind nicht aus Fleisch und Blut, Abrahams Nachkommen aber schon, daher musste Jesus Fleisch und Blut annehmen).
· Damit Jesus seine Aufgabe erfüllen konnte, musste er daher Leib und Blut annehmen und werden wie wir. Nur so konnte er Mitleid mit uns haben und uns als Hohepriester retten vor der Macht des Bösen.
· Denn er litt und wurde in Versuchung geführt so wie wir, deswegen konnte er uns helfen.
Sie sehen, liebe Gemeinde, wie wundervoll der Text die Rettungstat Jesu am Kreuz ins rechte Licht rückt: Es geht nicht darum, einen zornigen Gottvater zu besänftigen, der uns sonst in einem Gericht in die Hölle senden würde. Nein, Gott liebt uns und geht neben uns auf unserem Weg.
Es geht auch nicht kleinformatig[3] um meine individuellen Fehler, nicht um meine individuelle kleine Moral. Mein Neid, meine Gier, meine Trägheit, die kleinen und großen Sünden, die dunklen Ecken in meinem Leben sind hier nicht im Blick.
Nein, es geht um einen weltumspannenden Herrschaftswechsel[4]. Jesus ist radikal im Wortsinne, er setzt an der Wurzel an.[5] Von hier her kann er alles ändern.
Die Todesmächte sind zwar stark in der Gegenwart[6] – das Destruktive, das Zerstörerische hat die Oberhand. Kollektive Habsucht und Herrschsucht bestimmen das Bild. Die Gier bestimmt das Leben, politisch, wirtschaftlich und ökologisch.
Das ist die Macht des Bösen, die Macht der Sünde – sie zeigt sich auch am Individuum, hat aber ihre Ursache in einer weltumspannenden Machtsphäre. Einer Machtsphäre, deren Wirksamkeit an Karfreitag gebrochen wurde. Seitdem sind wir frei, umzuziehen, in einen ganz anderen Machtbereich. Denn in dem Jesus Leib und Blut annahm wie ein Mensch konnte er die Macht der Todesmächte brechen.
Und im Abendmahl werden wir gleich Anteil haben an diesem Leib und an diesem Blut.
Denn er nahm unsere Gestalt an, war unserem Leiden und unseren Versuchungen ausgesetzt, wie es im Predigttext heißt.
Durch sein Leiden und durch seinen Tod konnte er die Macht des Bösen, des Teufels wie der Predigttext es sagt, bezwingen und wieder die Sphäre der Freiheit und der Liebe ins Recht setzen.
Dann wie handelte Jesus gegenüber dem Verrat am heutigen Abend, seiner Gefangennahme in der heutigen Nacht, seiner Kreuzigung am morgigen Karfreitag?
Er beantwortet Gewalt nicht mit Gegengewalt. Er ist mutig und offen. Bei der Gefangennahme gibt er sich offen zu erkennen und fordert seine Häscher auf, seine Jünger gehen zu lassen. Sie will er schützen, sich selber nicht. Er setzt sich für andere ein.
Er spricht aufrecht und mutig mit dem Hohepriester und seinem Knecht. Noch am Kreuz sorgt er sich um seine Mutter und seinen Lieblingsjünger und bindet sie aneinander als Mutter und Sohn. Er will beide der Fürsorge des anderen versichern.
Jesus nimmt die Aggressionen auf, ohne von ihnen vergiftet zu werden. Er kann sich anspucken lassen, ohne seine Würde zu verlieren. Die Verzweiflung hat bei ihm keinen Platz. Schmerzen hindern ihn nicht, seine Hoffnung auf Gott zu setzen.
- Seine Antwort auf die Aggressionen ist die Bitte um Vergebung für die Aggressoren.
- Seine Antwort auf die Verzweiflung ist die Hoffnung auf das Paradies.
- Seine Antwort auf die Dunkelheit ist die Solidarität.
- Seine Antwort auf die Schmerzen und die Todesangst ist das Vertrauen auf Gott.
Weil Jesus in der Verzweiflung, unter tödlichem Schmerz, dies vermochte: den Hass und die Aggression, die Verzweiflung und die Sinnlosigkeit, all das Unreine aufzusaugen und mitzunehmen ans Kreuz,
ohne selbst unrein zu werden,
ohne selbst aggressiv zu werden,
ohne selbst verzweifelt zu werden,
sondern all dies aufzunehmen
und es zu Nichts werden zu lassen,
selber nur Liebe zu äußern
und Vergebung zu erbeten für seine Feinde
und Übeltätern das Paradies zu verheißen:
Deshalb hat Gott in ihm tatsächlich etwas fundamental
Neues begonnen, dass die Welt in ihrem Innersten,
im Grundsätzlichen verändert hat.
Die Gewaltspirale ist zerbrochen und ist nun ohne Belang. Die ruinöse Kraft der Verzweiflung ist abgetan. Der Hass hat seine Macht verloren. Das Böse ist vom Thron gestoßen. All diese Mächte sind nur noch Schatten ihrer selbst und auch wenn sie vordergründig noch herrschen mögen: Wir wissen, dass sie nichtig sind.
Dies hat Jesus für uns getan. An Karfreitag, da nimmt Gott, da zerbricht Jesus diese Machtsphäre des Bösen, die sich von unserer Todesangst nährte, die sich speiste aus unserer Angst vor der eigenen Endlichkeit, der eigenen Begrenztheit. Er absorbiert diese Macht und die Angst am Kreuz. Befreit von der Macht des Bösen können wir neu leben.
Und im Abendmahl haben wir leiblich Anteil daran.
Er sagt uns,
er sagt dir und mir:
· Deine Feigheit, gib sie mir.
· Deine Selbstsucht, gib sie mir.
· Deine Enttäuschung, gib sie mir.
· Deine Kraftlosigkeit, gib sie mir.
· Deine Mutlosigkeit, gib sie mir.
· Deine Trauer, gib sie mir.
· Deine Hilflosigkeit, gib sie mir.
· Deinen Zorn, gib sie mir.
· Deine Sucht, gib sie mir.
· Deine Unreinheit, gib sie mir.
· Deine Distanz, Deine Ironie, Dein Abstandhalten, gib sie mir.
· Deinen Hass, gib ihn mir.
Jesus kann uns all dies abnehmen, wenn wir ihn darum bitten. Wir können es in seine Hände legen und es abgeben. Es muss uns nicht mehr beschweren. Er nimmt es für uns mit ans Kreuz und es bleibt dort. Unser gütiger Gott befreit unsere Seele aus ihrer Gefangenschaft, er nimmt uns unsere Angst, er schenkt uns die Möglichkeit zur Wahrheit, er lindert unsere Einsamkeit und bringt uns in das Land der Freiheit.
Gott gibt uns in Christus die Nähe und die Liebe, den Geist, dass wir spüren, dass er da ist und uns liebt und uns erlöst hat und wir in Freiheit leben können.
Und weil dies so ist, deswegen wollen wir in diesem Gottesdienst das Abendmahl feiern. Am heutigen Gründonnerstag hat Jesus das Abendmahl eingesetzt. Im Angesicht von Verrat und Verleugnung, im Angesicht dessen, dass alle männlichen Freunde nun bald in die Nacht fliehen werden, feiert er mit uns.
Die Tafel von damals ist ausgezogen und verlängert, so dass wir an ihr Platz nehmen können. In Gemeinschaft mit seinen Jüngerinnen und Jüngern, mit seinen Freundinnen und Freunden. Er gibt uns als seinen Brüdern und Schwestern, uns als seinen Geschwistern, die er zur Heiligkeit und zur Herrlichkeit führen will, Anteil an seinem Leib und seinem Blut.
Denn in ihm verdichtet sich, was vielleicht so mancher auch von Ostern dieses Jahr erhofft:
Das Erlösung nicht nur gewusst wird,
sondern spürbar wird.
Dass wir etwas miteinander teilen, was uns miteinander verbindet,
dass wir den Geschmack des Heils und des Segens erleben.
Amen.
[1] Paulus. Der Völkerapostel in jüdischer Sicht. von Schalom Ben-Chorin (Januar 1992) (Trilogie „Die Heimkehr“ über Jesus, Paulus und Maria aus jüd. Sicht).
[2] Was wir heute so nicht mehr mitsprechen können.
[3] Vgl. zum Folgenden Manfred Josuttis, Das Opfer Jesu und die Opfer der Zeugen [in Bezug auf den Bußtag], Dt. Pfr.blatt, 3/2014, S. 134.
[4] Josuttis.
[5] Formulierung Landesbischof Bedford-Strohm.
[6] Zum Folgenden: Josuttis, a.a.O.
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Dreizehn Lichter / Lichtermeditation von Klaus Eulenberger
Klaus Eulenberger bringt eine Inszenierung ein, die zu Gründonnerstag passt:
Nach dem Abendmahl fliehen die Jünger in die Nacht.
Jesus bleibt alleine zurück.
Zur Inszenierung sind 13 Kerzen aufzustellen: Jesus und seine Jünger.
Eine Kerze nach der anderen wird verlöscht, bis nur die Kerze Jesu übrig bleibt.
Es kann mit verteilten Rollen bspw. von vier Personen gelesen werden, jede Person stellt reihum einen Jünger vor. Am Ende erfahren Sie mehr zu den Hintergründen.
Dreizehn Lichter:
Jesus und seine Jünger.
Sie werden ihn verlassen und werden fliehen in dieser Nacht.
Er wird allein bleiben;
er allein wird bleiben.
Wer könnte von sich sagen,
er – sie – hätte standgehalten in dieser Nacht?
Wer kann von sich sagen,
er – sie – werde standhalten, wenn eine solche Nacht kommt?
Dreizehn Lichter:
Jesus und seine Jünger.
Der erste verlässt ihn schon,
während er mit ihnen Brot und Wein teilt.
Er geht in die Nacht, um ihn zu verraten.
Er wird es mit einem Kuss tun.
Zärtlichkeit wird zum Mittel des Verrats.
Nicht einmal der Kuss ist davor geschützt,
missbraucht zu werden.
(Die erste Kerze wird ausgelöscht.)
Der zweite, später im Garten,
mag Nachteile für Frau und Kinder fürchten:
Wenn sie mich festnehmen, denkt er, wird es ihnen schlecht ergehen.
Er flieht – und macht es den anderen leicht,
Gründe für ihre Flucht zu finden.
(Die zweite Kerze wird ausgelöscht.)
Dem dritten wird in einem Augenblick klar,
dass Jesus doch nicht Recht hat;
denn er hat ja keinen Erfolg.
Der Gang der Dinge spricht gegen ihn.
Warum soll ich mich für den Gescheiterten opfern?
(Die dritte Kerze wird ausgelöscht.)
Der vierte, so denke ich mir,
hat zuerst und vor allem Gehorsam gelernt
und erst später etwas von der Freiheit der Söhne und Töchter Gottes.
Mit der Macht vielleicht – aber mit den Mächtigen sollte man sich nicht anlegen.
Den Schwertern muss man sich fügen.
Er fügt sich – und flieht.
(Die vierte Kerze wird ausgelöscht.)
Den fünften sehe ich gar nichts denken.
Er hat nur Angst:
grimmige, kopflose, panische Angst.
Er tut, was sein Fluchtinstinkt ihm eingibt.
(Die fünfte Kerze wird ausgelöscht.)
Der sechste, vielleicht, läuft fort,
weil er sich der Nachwelt erhalten will.
Wenn ihm, dem Gefangenen, schon jetzt nicht zu helfen ist
(so denkt er),
will ich jedenfalls dafür sorgen,
dass hinterher die Wahrheit über ihn verbreitet wird.
(Die sechste Kerze wird ausgelöscht.)
Den siebenten, so stelle ich mir vor,
befällt ein unwiderstehliches Gefühl des Überdrusses:
Er hat die unablässigen Zumutungen nun endlich und endgültig satt.
Damit soll es ein Ende haben.
(Die siebente Kerze wird ausgelöscht.)
Der achte sehnt sich, wie ich vermute,
in diesem Augenblick der größten Müdigkeit zurück:
nach Hause, ans Ufer des Sees,
von dem er sich einst wegholen ließ
und wo die Familie schon lang auf ihn wartet.
(Die achte Kerze wird ausgelöscht.)
Der neunte mag sich von Gewalt distanzieren.
Er will nichts damit zu tun haben,
dass Schwerter gezogen werden.
(Wird nicht durchs Schwert umkommen, wer das Schwert nimmt?)
Er empfiehlt sich unauffällig.
(Die neunte Kerze wird ausgelöscht.)
Dem zehnten wird in diesem Augenblick klar,
dass er sich getäuscht hat
und dass alles bis hierher ein Irrweg war:
drei verlorene Jahre.
Aber noch ist es nicht zu spät,
umzukehren und das Leben zu gewinnen.
(Die zehnte Kerze wird ausgelöscht.)
Der elfte, so lese ich in seinem Gesicht,
traut sich alles zu,
aber nicht, gefoltert zu werden.
Er hat mit sich gekämpft;
nun gibt er auf.
(Die elfte Kerze wird ausgelöscht.)
Der zwölfte,
jener, der zuerst mit den anderen flieht
und dann doch in einigem Abstand dem Gefangenen nachgeht,
der zwölfte möchte solidarisch bleiben,
doch unmerklich und unerkannt.
Bis der Hahn kräht,
hat er gelernt, dass darin ein unlösbarer Widerspruch liegt.
(Die zwölfte Kerze wird ausgelöscht.)
Ein Licht ist übrig geblieben.
„Ich bin das Licht der Welt“, sagt der, der bleibt, von sich.
„Wer mir nachgeht, wird nicht in der Finsternis bleiben,
sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12)
Über ihn sagt Jesaja in einer Vorahnung:
„Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53,4.5)
Hinweis:
Der Brief, in dem Bonhoeffer Bethge vorschlägt, am Gründonnerstag nach St. Peter zu gehen, ist am 23.02.44 geschrieben: „Wenn Du Gelegenheit hast, in der Karwoche nach Rom zu kommen, so würde ich Dir raten, am Gründonnerstag den Nachmittagsgottesdienst (etwa von 2-6) in St. Peter mitzumachen; das ist, da die Römische Kirche die Feste mit dem Vortag um 12 Uhr Mittag beginnen lässt, der eigentliche Karfreitagsgottesdienst; soviel ich mich erinnere, ist auch am Mittwoch schon ein großer Gottesdienst. Am Donnerstag findet das Auslöschen der 12 Kerzen am Altar – als Symbol der Flucht der Jünger – statt, bis in dem riesigen Raum nur noch die eine Kerze in der Mitte – Christus – brennt; außerdem die Reinigung des Altars …“ Das ist die Stelle, die mich damals (1983) auf diese Idee gebracht hat.
(Klaus Eulenberger)
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Kollektengebet
Ewiger Gott,
wir sind jetzt in deinem Haus.
In deiner Gegenwart.
Lass den Alltag von uns abfallen.
Aller Staub, alles Kleinliche bleibt draußen, vor deinem Haus.
Das Alte lassen wir zurück.
Schmach, die wir erfahren haben.
Häme und Kleinmut, die wir erfuhren.
Es fällt von uns ab.
Beleidigungen, Misstrauen, Missgunst lassen wir zurück.
Die Kränkungen bleiben draußen.
Wir kommen zu dir wie neu geboren.
Lass in uns sein der Glaube an dich, Herr.
Lass in uns sein die Hoffnung auf dein Reich, Herr.
Lass in uns sein die Liebe zu denen, die nun hier um mich sind.
Lass uns jetzt Gemeinschaft haben mit dir und untereinander. Denn Jesus spricht: »Für euch gegeben - für euch vergossen.«
Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, der mit dir und dem Heiligen regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen
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Das sieht Ihm ähnlich - Predigt zu Hebräer 2,10-18 von Matthias Loerbroks
Das sieht Ihm ähnlich
Es geziemt ihm, passt zu ihm, dessentwegen Alles ist und durch den Alles ist, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anführer ihrer Befreiung durch Leiden zu vollenden.
Denn der, der heiligt, und die, die geheiligt werden, sind alle aus Einem. Aus diesem Grund schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen.
Er sagt: ich verkünde deinen Namen meinen Brüdern,
inmitten der Gemeinde werde ich dich preisen.
Und wiederum:
Ich werde da sein, ich, der auf ihn vertraut hat.
Und wiederum:
Siehe, ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat.
Da nun die Kinder Teilhaber sind an Fleisch und Blut, so hatte er selbst auch in gleicher Weise Anteil daran, auf dass er durch den Tod den abtue, der die Herrschaft des Todes hat, das ist der Teufel,
und die freibekomme, die durch die Furcht vor dem Tod das ganze Leben lang Sklaven waren.
Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern des Samens Abrahams nimmt er sich an.
Darum musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er barmherzig werde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, um zu sühnen die Sünden des Volkes.
Denn dadurch dass er litt als einer, der selbst versucht wurde, kann er denen helfen, die versucht werden.
Die ersten drei Evangelien sind sich darin einig, dass das Essen Jesu mit seinen Jüngern am Abend seiner Verhaftung, am Vorabend seiner Kreuzigung ein Pessachmahl war: das Fest zur Erinnerung an die Befreiung aus der Sklaverei – Erinnerung an die Urgeschichte Israels: ein Essen, da alles, was auf dem Tisch ist, etwas zu bedeuten hat: lauter Gedächtnisstützen. Jesus, so erzählen diese drei, hat das Thema Gedächtnis aufgegriffen, hat die Mazzot und den Wein der Pessachnacht zu Gedächtnisstützen seines Todes erklärt und diesen Tod so im Zusammenhang mit diesem Erinnerungsfest selbst als ein befreiendes Geschehen gedeutet, eine erneute Tat Gottes zur Befreiung von Sklaverei. Johannes, der vierte Evangelist, erzählt es anders, zieht aber denselben Vergleich: er datiert den Tod Jesu auf die Stunde, da im Tempel die Pessachlämmer geschlachtet werden, vergleicht Jesus so mit jenem Lamm, dessen Blut Israels Türen kennzeichnete, damit in der Nacht des Schreckens und der Befreiung der Tod an ihnen vorübergehe. Und er unterstreicht diesen Vergleich, indem er aus dem zweiten Buch Mose die Anweisung zur Zubereitung jenes Lamms zitiert: ihr sollt ihm keine Knochen brechen, und sie auf Jesus bezieht.
Auch unser Abschnitt aus dem Hebräerbrief deutet den Tod Jesu als Befreiungsgeschehen: durch seinen Tod hat er den Machthaber des Todes abgetan, abgeschafft, um die freizubekommen, die durch Furcht vorm Tod ihr ganzes Leben lang Sklaven waren. Der Tod Jesu hat darum jene Befreiungsgeschichte nicht nur fortgesetzt, indem er weitere Sklavenhalter, Tod und Teufel, besiegte, sondern geradezu verewigt, den Bund zwischen Gott und seinem Volk unverbrüchlich gemacht.
Um deutlich zu machen, dass das, was in und mit Jesus geschah, im Einklang ist mit der Bundesgeschichte zwischen Gott und Israel, beginnt er mit den kühnen Worten: es geziemt dem, dessentwegen Alles ist und durch den Alles ist. Es geziemt ihm, es passt zu ihm, es sieht ihm ähnlich. Schon das Kommen Jesu sieht der Verfasser als Solidarisierung Gottes mit seinem Volk: der Sohn Gottes wird ein Mensch von Fleisch und Blut, wird ein Sohn Abrahams und damit zum leiblichen Bruder, zum Blutsverwandten aller Nachkommen Abrahams: der Heiligende und die, die geheiligt werden – aus einem stammen sie. Und der Briefschreiber unterstreicht: er nimmt sich ja nicht der Engel an, sondern Abrahams Samen nimmt er sich an. Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen, macht sich mit ihnen gemein. Und so greift der Hebräerbrief jenen 22. Psalm auf, dessen verzweifelten Anfang – Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? – die Evangelisten Matthäus und Markus dem sterbenden Jesus in den Mund gelegt haben. Doch unser Briefschreiber erinnert daran, dass dieser Psalm nach einer klagenden ersten Hälfte plötzlich in Jubel umschlägt, und zitiert aus dieser zweiten Hälfte: ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde dich preisen. Er sieht im Leiden und Sterben Jesu keine Widerlegung der Geschichte Gottes mit seinem Volk, sondern ihre Vollendung.
Wenn es nach dem großen Theologen Schleiermacher gegangen wäre, hätte die Menschwerdung Jesu, das Wunder der Weihnacht, schon genügt, hätte es der Kreuzigung nicht bedurft. Dass Gott selbst oder jedenfalls sein Wort, sein Sohn ein Mensch von Fleisch und Blut wurde, darin sah er bereits die ausgesprochen friedliche Vereinigung von Gottheit und Menschheit. Das entsprach seiner optimistischen Sicht der Menschheit und der seiner Zeit, und er hat damit Schule gemacht: Weihnachten ist viel erfolgreicher als Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern. Der Hebräerbrief aber und das ganze Neue Testament machen sich die Sache etwas schwerer, versuchen, auch dem Tod Jesu Sinn abzugewinnen, auch ihn als frohe Botschaft zu hören und zu verkünden: erst dieser Tod hat sein Volk von versklavenden, von gott- und menschenfeindlichen Mächten befreit.
Und auch darin sind sich die Autoren des Neuen Testaments einig: die Bestätigung und Befestigung des Bundes zwischen Gott und seinem Volk durch Jesus Christus hat diesen Bund auch geöffnet für die Völker. Daran erinnern die Einsetzungsworte des Abendmahls: für euch und für viele: für euch, das meint Israel, repräsentiert in den 12 Jüngern – die vielen, das sind die Völker. So erinnert uns das Abendmahl, so oft wir es feiern, daran, dass nun auch wir zu leiblichen Geschwistern, zu Blutsverwandten Jesu und seines Volkes geworden sind, befreit von den Sklavenhaltern Sünde, Tod und Teufel, befreit zur Bundesgenossenschaft mit Gott und seinem Volk.
Amen.
Vorschläge zum Gottesdienst:
Begrüßung mit Psalm 111,4
1. Lied: 83,4-6 oder 218,1-4 oder 323 oder 405,1-3
Psalm 111
Gebet
1. Lesung: Ex 12,1-14 passt besser zum Predigttext als die Epistel
2. Lied: 498 oder 101,5-7 oder 36,3-4 oder 290,4-6
2. Lesung: Johannes 13,1-16
3. Lied: 27,3-5 oder 78,1-3
Predigt
4. Lied: 223,1-5 oder 217 oder 213,1-3 oder 70,4-7 oder 257
Gebet
Abendmahl
5. Lied: 85,5 oder 82,7 oder 87,3 oder 240 oder 222
Segen
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„…damit ihr den Mut nicht sinken lasst“ - Predigt zu Hebräer 12,1-3 von Heinz Janssen
„…damit ihr den Mut nicht sinken lasst“
Liebe Gemeinde!
„Eine Wolke von Zeugen haben wir um uns“ – es ist, als ob uns diese Worte aus dem Hebräerbrief wohltuend einhüllen möchten. Welch ein schönes Bild. Ich stelle mir eine leuchtend weiße Wolke unter dem klaren Blau des Himmels vor. Von Abraham, Noah, Mose und anderen biblischen Personen hören wir im vorangehenden Zusammenhang unseres Predigtwortes. Menschen, die uns bezeugen, was es für sie bedeutete, ihren Lebensweg mit Gott zu gehen. Sie konnten „ablegen“, was sie „beschwerte“ – im Hebräerbrief ist von der „uns ständig umstrickenden Sünde“ die Rede, sie behindert unsere Orientierung, so dass wir vom Weg abkommen und das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren. Es ist das unschöne, das negative Bild einer Wolke: wenn sie uns die Sicht nimmt, als wären wir in einen dichten Nebel geraten. Menschen können einander wie eine dunkle Wolke die klare Sicht, den Durchblick, versperren: wenn wir einander nicht mehr wahrnehmen und nur noch uns selbst sehen, wenn eigene Zwecke, Ideologien und Prinzipien wichtiger sind als der Mensch, der meine Zuwendung und Hilfe braucht. Dies kann durchaus unter dem Deckmantel der Christlichkeit oder eines anderen Glaubens geschehen. Wie leicht ist es möglich, die eigene Art der Frömmigkeit absolut zu setzen und damit jeden anderen Weg für falsch zu erklären – ich denke an die Enge fundamentalistischer Einstellungen (in Religion und Politik), sie widersprechen der Weite Gottes und der lichten Wolke seiner Zeugen.
„Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist“, ruft uns der Autor des Hebräerbriefes auf. Das Leben – ein Kampf? „Leben heißt kämpfen“, sagt ein Sprichwort. Was für ein Kampf ist gemeint? Kämpfen, sich anstrengen, um die Anforderungen des Lebens in Schule, Beruf, Familie zu bestehen? Kämpfen, an mir arbeiten, um den dunklen Seiten in mir und der Welt nicht zu erliegen? Kämpfen, innerlich ringen mit schicksalhaften Geschehnissen, die mich überfielen? Der Hebräerbrief meint mit dem Wort „Kampf“ das Bild von einem sportlichen Wettkampf. Wir gebrauchen das Bild, wenn wir von unserem „Lebenslauf“ sprechen. In diesem Sinn bedeutet kämpfen: mit Herz und Verstand mein Bestes geben, um das gesteckte Ziel zu erreichen, meine Bestimmung, den Sinn meines Lebens, nicht zu verfehlen. Ich muss mich dafür anstrengen, muss üben und im Training bleiben, mich auf meinen Lebenslauf immer wieder einstellen und dafür die richtigen Voraussetzungen schaffen. Kein verbissenes Kämpfen, sondern ein „sportliches“: Ich kann dabei gewinnen und mich darüber freuen, und ich kann verlieren, gebe dann aber nicht auf. Meine Sicht auf meinen Lebenslauf verändert sich: Verlieren hat keinen Makel mehr, weil ich das Ziel vor Augen habe. Geduld, Durchhalten, auch Aushalten, sind gefragt. Wenn ich verliere, gewinnt ein Anderer, der sich freut, und ich habe ein anderes Mal die Chance zu gewinnen. Beide, Gewinner und Verlierer, haben Verständnis füreinander.
„Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens.“ Den Aufruf zur Geduld bei unserem Lebenslauf verbindet der Verfasser des Hebräerbriefes mit der Einladung, zu Jesus aufzusehen. Es ist ein vertrauensvolles Aufsehen zu Jesus, auf seinen Weg, wir dürfen uns an ihm orientieren. Denn Jesus von Nazareth ist der „Anfänger und Vollender des Glaubens“, mit anderen Worten: Jesus begründet und bekräftigt den Weg des Glaubens, des Vertrauens auf Gott, und er vollendet diesen Weg, führt ihn zum Ziel. Was uns Jesus von Nazareth gelehrt und vorgelebt hat, zeigt uns, was ihn mit Gott und uns Menschen verbindet: ein grenzenloses Vertrauen auf Gottes langen Atem, seine Kraft, die allem Unguten, Zerstören und Tod Bringenden ein "So nicht", ein „Trotzdem“ entgegensetzt. Darum ist Jesus für uns „der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Weil er „das Kreuz erduldete“, kann ihn unser menschliches Auge als Verlierer ansehen, als Gescheiterten. Aber in Wahrheit hat Jesus gewonnen, er nahm dem Leiden und Schicksal, der Sünde und dem Tod die Macht, er „erduldete das Kreuz und achtete die Schande gering“,
„obwohl er hätte Freude haben können“. Der griechische Wortlaut lässt noch eine andere Übersetzung zu: „um der vor ihm liegenden Freude willen“. Jesus hatte die „Freude“, die „Vollendung“, das himmlische „Ziel“, vor Augen. So umgibt Jesus uns in der „Wolke von Zeugen“, mit ihnen zeigt er uns: Die Kreuze im Leben sind da, ganz real. Jeder Mensch muss ein Kreuz tragen. Aber das Kreuz, das Leid, die Ungereimtheiten des Lebens, sind nicht der Endpunkt. Menschen, deren Leben vom Kreuz nicht verschont war und sich dennoch von der Wolke der Zeugen umhüllt und getragen wussten, lenken unseren Blick durch das Kreuz hindurch. Der Himmel ist weit offen. Der das Kreuz auf sich nahm, sitzt zur Rechten des Thrones Gottes, an Gottes Seite. Die Ostersonne leuchtet in deinen Lebenslauf, wärmt dich und gibt dir neue Kraft zum Weitergehen. Du bist nicht allein, bist umhüllt von einer schützenden Wolke, Gott geht vor dir her, um dich auf gutem Weg zu führen (2.Mose 13,21).
„Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich erduldet hat.“ Noch einmal ein Aufruf, einladend wie die vorangehenden Aufrufe, anspornend, den Glauben, das Vertrauen stärkend, dass unser Lebenslauf sich lohnt. Denkt an Jesus, bedenkt, wie er seinen Weg ging. Wie hat man ihm widersprochen, seinem Rufen im Namen Gottes, Verachtung, Spott und Schläge hielt er aus. Unter Hosianna-Jubel zog Jesus in Jerusalem ein (Markus 11,1-11), später die Schreie "Kreuzige ihn" (Markus 15,13). Aber da war auch jener römische Hauptmann, der Jesus gegenüber stand und ausrief: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“ (Markus 15,39) Verlassen von Vielen, denen seine ganze Zuwendung galt, hielt Jesus in seinen schwersten Stunden an Gott fest,
„damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst“. In der Orientierung an Jesus von Nazareth wachsen uns Kräfte zu, sie stärken und beflügeln uns für unseren Lebenslauf. Wir geben nicht vorschnell auf, wir behalten das Ziel vor Augen, die umfassende Freude im Himmel. Diese vollkommene Freude steht noch aus, aber sie berührt uns schon jetzt auf Wegen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Gott sei Dank.
Lieder:
Gott liebt diese Welt (EG 409)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Lasset uns mit Jesus ziehen (EG 384)
Von Gott will ich nicht lassen (EG 365)
Bewahre uns, Gott (EG 171)