Zur Ruhe finden - Predigt zu Hebräer 4,9-11 von Anke Fasse

Zur Ruhe finden - Predigt zu Hebräer 4,9-11 von Anke Fasse
4,9-11

Zur Ruhe finden

Liebe Gemeinde,

RUHE

Lasst uns zur Ruhe kommen und miteinander Gottesdienst feiern; loslassen, was uns gefangen nimmt; und offen werden für Gott, für sein Wort und seinen Segen. Denn unser Leben ist mehr als das Alltägliche. Gott, lass uns jetzt offen sein für Dich. Rühr Du uns an. - Mit diesem Gebet haben wir, die wir diesen Gottesdienst gestalten, vor Beginn des Gottesdienstes innegehalten.

RUHE

Eine quälende Ruhe liegt in der Wohnung. Zwei Monate ist der Ehemann jetzt schon tot. Aber immer noch wartet sie darauf, seine Schritte zu hören, sein Räuspern, sein Rufen. Vergeblich! Kein Gespräch am Küchentisch. Überall nur quälende Ruhe.

RUHE

„Nun seid doch endlich mal ruhig“, fleht die Mutter und fragt sich dabei: Wann habe ich das nächste Mal einfach mal wieder Zeit in Ruhe zu frühstücken, zu lesen? Zeit und Ruhe einfach nur für mich. Ohne Terminkalender, ohne Büro, ohne das die Familie ständig etwas von mir will. Einfach nur mal ein bisschen Ruhe für mich allein.

RUHE

„Papa, warum ist es so still hier? Ich höre euch ja gar nicht. Seid Ihr noch da? Ich habe Angst, wenn es so still ist.“ Schon am Nachmittag hatte sich der Junge beschwert, dass es zu still sei. Da meinte er noch, wenn alles so ruhig ist, sei es ganz schön langweilig.

RUHE

Oft denkt sie sehnsüchtig zurück an alte Zeiten als es noch nicht so still und ruhig hier war. Als das Durcheinander der Kinder die Wohnung erfüllte, als viel Besuch kam und ging, als das Telefon oft nicht still stand. Immer gab es etwas zu besprechen oder zu regeln. Aber jetzt, die Kinder sind längst aus dem Haus. Die Freunde sind auch alt geworden oder schon verstorben. Sie ist zurückgeblieben. Allein, einsam oft, in einem schwarzen Loch aus Ruhe.

RUHE

„Nun hat er endlich seine verdiente Ruhe gefunden,“ sagt die Tochter, nachdem ihr Vater nach langer schwerer Krankheit verstorben ist.

RUHE, liebe Gemeinde, so unterschiedlich kann Ruhe empfunden werden. Auch in der Bibel Ist Ruhe ein zentraler Begriff, der Ruhe häufig vor. Heute blicken wir in den Hebräerbrief.

Es ist also noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes. Denn wer zu Gottes Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen. So lasst uns nun bemüht sein, zu dieser Ruhe zu kommen. (Hebr. 4, 9-11a)

GOTTES RUHE

Eine besondere Art der Ruhe. Ruhe, die in Verbindung steht mit Gott, dem Vater und Schöpfer. Ruhe die in Verbindung steht mit Gott, dem Sohn und Erlöser. Eine Ruhe, die in Verbindung steht mit Gott, dem Geist und Tröster.

Lasst uns zu Gottes Ruhe finden.

Gott schuf Himmel und Erde und alles Leben, was darauf ist. Am Ende des sechsten Tages sah Gott alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Und so vollendete Gott am siebenten Tag seine Werke, die er gemacht hatte, und ruhte am siebenten Tag. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken. 

Ein Ruhetag nach getaner Arbeit. Zeit zum Zurückschauen, zum Begreifen, was geworden und entstanden ist, Zeit zum Danken. Ruhe, die erfüllt ist vom „Siehe, es ist alles gut.“

Ruhe, die alles andere als quälend ist. Ruhe, die nicht Stillstand bedeutet. Ruhe, die Zeit und Raum gibt, innezuhalten, zu betrachten, nachzufühlen, in Verbindung zu sein mit IHM, dem Schöpfer. Ruhe, die zur Schöpfung gehört, wie sie der Vater gemacht hat. Lasst uns zu Gottes schöpferischer Ruhe finden ….bei einer gemeinsamen Mahlzeit, im Gottesdienst, am Ende eines Tages, am Ende des Lebens. Und Gott sah an, alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Und Gott ruhte.

Lasst uns zu Gottes Ruhe finden.

Fürchte dich nicht. Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.

 Fürchte dich nicht. Ich kann alles in meinem Leben angucken. Das Gute, aber gerade auch das Schwere. Die Schuld. Die Fragen. Die Traurigkeit. Die Trauer um einen geliebten Menschen. Denn all das lässt mir sowieso keine Ruhe. Ich kann es anschauen – fürchte dich nicht, sagt ER. Denn Du bist nicht allein. Und dann, dann kann ich aufschauen und sehe. Ich sehe wieder, was um mich herum ist. Ich sehe, wer an meiner Seite ist. Ich spüre neue Kraft. Das ist dann, wie auf das Kreuz zu schauen. Alles, was mich belastet, alle meine Fragen, meine Unruhe, meine Trauer kennt Gott. Ich trage es nicht allein. Jesus ist nichts fremd und fern, was mich belastet, beschwert, unruhig macht. Alles ist dort aufgehoben. Und ich höre: Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein. Eine erlösende Ruhe durchströmt mich. Ruhe, die ich nicht selbst machen kann. Ruhe, die sich Gott, dem Sohn und Erlöser verdankt. Diese Ruhe zu finden, ist ein Geschenk Gottes. Es ist ein Weg. Lasst uns zu Gottes erlösender Ruhe finden, die er für uns bereit hält.

Lasst uns zu Gottes Ruhe finden.

„Was ist mit unseren lieben Verstorbenen? Was wird einmal mit mir sein? Unsere Zeit ist begrenzt. Der Tod trennt schmerzhaft, beendet. Und dann? Stille? Leblose Stille? Woher kommt Trost? In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, Euch die Stätte dort zu bereiten“, sagt Jesus. Jesus ist vorausgegangen. Zum Kreuz. Ins Grab. Aber er blieb nicht im Grabesdunkel. Im Licht eines neuen Morgens ist er auferstanden. Die Frauen, die zu seinem Grab kamen, wurden getröstet, konnten singen und rufen, hinaus in alle Welt: Er ist auferstanden! Und die Welt, die Menschen sind erfüllt von Licht, von Vertrauen, von einer tröstlichen Ruhe. Die tröstliche Ruhe am Ostermorgen.

Und ich? und Du? Ich höre das, heute am letzten Sonntag des Kirchenjahres, am Totensonntag, am Ewigkeitssonntag. Auch, dass dies alles auch uns gilt, den Menschen, um die ich trauere. Sein Geist durchdringt auch uns. Lasst uns zu Gottes tröstlicher Ruhe finden, denn ER ist vorausgegangen.

Aber - ich erlebe nicht jeden Morgen die tröstende Ruhe des Ostermorgens. Spüre nicht pausenlos dieses Vertrauen in ihn den Schöpfer, den Erlöser, den Tröster. Manches Mal bleibe ich einfach zurück in der weltlichen Ruhe und Unruhe.

Es ist diese Spannung in der wir leben. Das schon jetzt etwas zu spüren, von dem, was Gott uns Menschen verheißen hat, was hier und da durch die Unruhe der Welt, und ihre verschiedenen Formen von Ruhe hindurchscheint, aber eben noch nicht ganz da ist: Gottes Ruhe, die einfach nur gut ist. Eine Ruhe voller Geborgenheit, Frieden und Wohlbefinden. Eine Ruhe, in der ich mich jetzt schon immer wieder bergen kann. Eine Ruhe, in der ich meine geliebten Verstorbenen gut aufgehoben weiß und auf die ich selbst vertrauensvoll zugehen kann.

Liebe Gemeinde, wir sind auf dem Weg. Ein Weg voller Herausforderungen. Aber nicht ziellos und ruhelos. Denn ER ist an unserer Seite. Er stärkt uns. Er hilft uns. Und lässt uns immer wieder spüren:

RUHE

Es ist noch eine Ruhe vorhanden. Gottes Ruhe. Schöpferisch. Erlösend. Tröstend. Zu dieser Ruhe lasst uns kommen, mit Gottes Hilfe. Amen

Perikope
23.11.2014
4,9-11

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes – Predigt zu Hebräer 4,9-11 von Dieter Koch

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes – Predigt zu Hebräer 4,9-11 von Dieter Koch
4,9-11

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Es ist noch eine Ruhe vorhanden, Ruhe, Ruhe. Liebe Gemeinde, wie viel bricht hier auf. Ruhe - ersehnte und begehrte Erholung, Ruhe - die ersehnte und begehrte Herauslösung aus Sorgen, Kümmernissen. Freiwerden von  Hektik – für Momente, für immer tiefer reichende Momente. Ruhe ist mehr, mehr als Abwesenheit von Qual und Schmerz, mehr: Sie ist Einkehr in das Glück der Vollendung.

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Es ist noch eine Ruhe vorhanden, Ruhe, Ruhe. Liebe Gemeinde, am heutigen Sonntag, dem Gedenktag der Entschlafenen, bricht der letzte Horizont auf, die Frage: Wo sind unsere Toten? Wo sind sie angekommen? Bei Gott? Im Haus aus Licht, darin viele Wohnungen sind? Bei unserem Herrn und Heiland Jesus Christus? An dessen Herzen wir ruhen dürfen wie einst der Lieblingsjünger Johannes? Sind unsere Toten in der Ruhe angekommen, der ewigen, aller Begrenzungen entnommenen Ruhe? Wir hoffen es ,wir glauben es, denn wir können die, an denen unser Herz hing, die mit uns durchs Leben gingen und die der Tod mit sich nahm, nicht verloren sehen, nicht verloren geben. Wer liebt, sagt: Du wirst nicht sterben, auch wenn soviel Tod um einen steht, soviel Schmerz, soviel Qual. Wer liebt, sagt: Du wirst nicht sterben – um Gottes willen. Er lässt dich nicht vergehen. Du bist sein! Finde heim in seine Ruhe, finde zu Gott selbst. Trete ein in das Haus aus Licht, da viele Wohnungen sind.

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Verheißung wird laut, die Verheißung der Heimat. Ankommen dürfen und Bleiben. Tief geschöpft aus den Grundbildern des Alten Testaments.

Einst ersehnte das wandernde Gottesvolk Israel die so begehrte Ruhe im verheißenen Land. Die Wüstengeneration starb darüber. Aber die nächste Generation kam an, im Land, da es Milch und Honig gab. Das wandernde Gottesvolk in der Hoffnung auf ihr Ziel: Das Land, in dem man zur Ruhe kommen kann, Felder bestellen, Häuser bauen, Kinder zeugen,  und also leben, leben und  feiern und das Glück teilen. Ein Bild vollendeter Erfüllung bricht auf und ist doch irdisch und zeitlich nur sehr bruchstückhaft zu haben. Wir sind schon froh, wenn sich im Rhythmus der Woche wenigstens am Sonntag etwas Ruhe über einen legt und man aufatmen kann, vielleicht im Genuss jener großen Werke unserer Kultur, die wir Requiems heißen, jene Totenmessen, die im Durchgang durch die Schmerzen des Lebens immer wieder neu die inneren Tore öffnen in das Land der Verheißung, das Land der Ruhe, Tonwerke, die uns in der Kraft der Musik vor den Thron der Gnade führen und bei Gott ankommen lassen, der absoluten Ruhe.

Ruhe, Requies, Katapausis, Menucha, es sind erfüllte Worte, die alle um das Eine kreisen: das Geschenk echter Heimat. Menucha, Katapausis, Requies, Ruhe, sie umkreisen das Wunder des Friedens, der bei uns anklopft, dem wir uns öffnen können, jenes Friedens, der nicht in Waffenruhe besteht, sondern in einer inneren, letzthin völlig entgrenzten Harmonie, da wir mit Gott eins geworden sind. Denn er selbst ist unser Frieden, er selbst ist unsere Ruhe, er selbst ist unser Los.

Menucha, ist das hebräische Wort. In ihm erklingt die Verheißung des Landes.

Katapausis ist das griechische Wort. Es taucht eigentlich bis auf eine zu vernachlässigende Stelle in der Apostelgeschichte nur hier im Hebräerbrief auf und bestimmt den Gedankengang, der in Auslegung des Alten Testaments von Christus her und auf Christus hin dem Glauben Weisung gibt, auf die Ruhe, die Christus bereitet hat, fest zu hoffen und ihr würdig zu leben.

Requies, das ist die Ruhe, die sich als Frieden buchstabiert, aus der lateinischen Sprache und dann verdichtet im letzten Gewissensruf gegenwärtig, wenn wir am Grab beten: Requiem aeternam: Requiescat in pacem - Ruhe in Frieden oder Herr, gib ihnen die ewige Ruhe

Und dann Ruhe, das deutsche Wort mit seiner Abendstimmung, dem Anklang der Waldesstille und schließlich der letzten, tiefen Ruhe, dem Schlaf der Gerechten, die ruhen in Gottes Hand.

Menucha, Katapausis, Requies, Ruhe, was hier zur Sprache kommt verbindet der Hebräerbrief mit dem Sabbat, dem göttlichen Sabbat. Es ist eine ganz singuläre Verbindung im Neuen Testament, obwohl im zeitgenössischen Umfeld des damaligen Judentums durchaus bedacht. Der eine große Sabbat, der 7.Tag des Schöpfungsgedichts am Anfang der Bibel, da Gott ruhte von seinen Werken, wie er sah, dass alles sehr gut ward, wird zum Hoffnungsbild für den ewigen Sabbat, dem wir entgegen gehen, der nicht der Zeit angehört, sondern dem, was die Zeit aufbricht, was wir Ewigkeit nennen. Gottes Sabbat – das ist ER selbst in der inneren Ruhe seines Wesens, Gottes Sabbat – das ist ER selbst in der unendlichen Liebe. Dem Glaubenden eröffnet sich diese ewige Liebe. Er kehrt in sie ein. Im Abbruch des Lebens öffnet sich der Anbruch des von Gott erfüllten Lebens.

Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Sie ist Raum und Ziel zugleich und  umschreibt doch nur den letzten inneren Grund des Lebens: zur Gemeinschaft  mit Gott selbst im Geist zu finden, in jenem Geist, aus dem Jesus lebte. In seinem Geist, in der Hoffnung des Glaubens erbitten wir für unsere Toten solche Ruhe, den ewigen Sabbat, die nicht mehr aufhebbare Gemeinschaft mit Gott und schließen uns zugleich mit ein: Möge uns der Glaube tragen. Mögen wir schon heute Gottes Gnade vertrauen. Mögen wir schon heute der Verheißung der Ruhe uns öffnen, in der Einkehr des Betens, in erfüllter Gemeinschaft, in der Stille, die am Waldrand blüht, jene Ruhe, da man aller Hektik los, frei ist, würdevoll mit sich selber umgeht, sich Entspannung, Entschleunigung, inneren Genuss gönnt und spürt: Das ist die Wahrheit des Lebens, zur Ruhe zu finden inmitten des Strömens. Es darf sich dann das Geheimnis der echten, erfüllten Ruhe mitten auf unser Tun und Lassen selbst legen. Es ist möglich, wenn wir inmitten der Anforderungen, dem mühseligen Hin- und Hergezerre unseres Alltags um Gott wissen, um den ewigen Sabbat, der schon hier und jetzt anbricht, um das Haus aus Licht, darin viele Wohnungen sind, eine für mich, eine für dich, für jeden eine, für jeden, der es wagt, immer neu wagt, zu glauben, zu lieben, zu hoffen.

Die Totenruhe kommt von alleine. Die Gottesruhe ist sein Werk: Ein Haus aus Licht. „Die Ruhe eines ungestörten Bleibens. Sie kann nur von Gott hineingegossen werden in unser Herz.“(Rainer Strunk)

Wer zu Gottes  Ruhe gekommen ist, der ruht von seinen Werken. Die Gottesruhe gibt es schon hier und jetzt, anfanghaft, keimhaft, im Jenseits des Todes, im Jenseits der Zeit west sie ganz und gar.

Reiner Strunk zitiert nach www.calwer-stiftung.com/cws/predigt/236797

Perikope
23.11.2014
4,9-11

KONFI-IMPULS zu Hebräer 4,9-11 von Christina Hirt

KONFI-IMPULS zu Hebräer 4,9-11 von Christina Hirt
4,9-11

Ruhe

Ruhe tut gut, wenn sie als Gegenteil von Stress oder Lärm empfunden wird. Viele Konfis geben „chillen“ als Hobby an. Oft sehnen sie sich nach Ruhe, wenn es zu laut, zu verwirrend, zu anstrengend wird. „Lass mich in Ruhe!“ ist bei Jugendlichen ein recht häufig geäußerter Wunsch. Ein Konfirmand meinte: „Ich bin glücklich, wenn ich schlafen kann und nichts zu tun habe.“ Viele Konfis geben „chillen“ als Hobby an

Andererseits ist Ruhe oft schlecht auszuhalten. Ruhen ist langweilig. Da passiert nichts.

Im Gottesdienst zum Totensonntag wird es vor allem um die „letzte Ruhe“ gehen. Tatsächlich verbinden Hinterbliebene den Tod eines geliebten Menschen oft mit einem zur Ruhe kommen können, vor allem, wenn die Person schwer krank war. „Endlich darf sie ausruhen“, höre ich oft und nehme auch das Aufatmen der Angehörigen wahr. Aber die sich anschließende Totenstille ist oft nur schwer zu ertragen.

mit Motiven des Textes arbeiten

Im Predigttext wird die Ruhe als etwas sehr Positives beschrieben. Zwei Erzählungen aus dem Alten Testament werden dafür aufgegriffen: Das Ankommen der Israeliten im verheißenen Land. Und der Abschluss der Schöpfung.

Im Konfirmandenunterricht können diese Motive aufgegriffen werden, um über das Thema Tod – Auferstehung nachzudenken:

1. Das Motiv der Lebenswanderung. Und die Erfahrung, anzukommen. Vielleicht kennen manche Konfis den Ausdruck: „Über den Jordan gehen“, der genau diesen Aspekt des Hinübergehens in ein Verheißungsland aufgreift.

2. Das Motiv der Vollendung. Der Himmel als Ort, an dem nichts mehr fehlt und alles gut geworden ist.

Im Hebräererbrief wird auch die Möglichkeit erwähnt, dass Menschen nicht an der Gottesruhe teilhaben werden. Auch dieser Aspekt sollte mit den Jugendlichen bedacht werden.

Aktion

Im November ist in vielen Konfigruppen ein Gang auf den Friedhof eingeplant. Dort kann die Ruhe dieses Ortes thematisiert werden: Warum soll man sich auf dem Friedhof still verhalten (oft weist die Friedhofsordnung am Eingang darauf hin)? Wie wirkt die Ruhe an diesem Ort auf dich? Auf alten Grabsteinen kann man oft lesen: Hier ruht in Gott (nicht: hier ruht im Grab). Was bedeutet das?

 

Perikope
23.11.2014
4,9-11

Predigt zu Hebräer 13,15-16 von Søren Schwesig

Predigt zu Hebräer 13,15-16 von Søren Schwesig
13,15-16

15 Lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn das sind die Opfer, die Gott gefallen.

Liebe Gemeinde,

jetzt ist Erntezeit. Allerdings: Wo wird das noch so empfunden? Wir, die wir in der großen Stadt Stuttgart leben, leben fernab von den Orten, wo sich die Ernte vollzieht. Wer von uns atmet in diesen Wochen den Duft ein von zertretenen Äpfeln und Birnen auf Feldwegen? Und je mehr wir bei uns Obst, Gemüse und Getreide aus fernen Anbaugebieten einkaufen und verzehren, desto mehr verlieren wir das Empfinden für eine Zeit der Ernte. Denn ganzjährig ist alles verfügbar. Kühlketten halten alles bereit. Erdbeeren im Januar? Kein Problem. Tomaten im Februar? Warum nicht? Orangen im März? Sie müssen nur zugreifen.

Das ist unsere Realität. Wir verlernen es, in Rhythmen zu leben. Und das tut uns nicht gut.

Am vergangenen Mittwoch war der Weihnachtsmann unterwegs. Mit einem Schlitten zog er durch Schlossgarten und Königstraße. Der Hintergrund war folgender: Ein SWR-Team drehte einen Beitrag darüber, dass die Vorweihnachtszeit immer mehr in den Herbst vorwandert. So bot ein als Weihnachtsmann verkleideter Schauspieler Passanten Stollen und andere Weihnachtsleckereien an  und fragte, ob sie ihre Weihnachtsgeschenke schon besorgt hätten. Die Reaktionen der Passanten waren eindeutig. Die große Mehrheit zeigte sich verärgert, dass uns schon Ende September in den Kaufhäusern Weihnachtslieder und Weihnachtssüßigkeiten umgeben. Damit bestätigten sie, was eine Emnid-Umfrage vor Jahren ergeben hat: Dass sich 45% der Deutschen Weihnachtsprodukte erst ab dem 1. Advent in den Supermärkten wünschen.

Zum Glück spüren wir noch hier und da, dass uns das Leben in Rhythmen verloren zu gehen droht und dass uns das nicht gut tut.

Dennoch gibt es auch dies: Menschen, die sich der Verfügbarkeit der unterschiedlichsten Lebensmittel zu jeder Zeit im Jahr entziehen wollen. Die den Anbau vor Ort stärken und landwirtschaftliche Produkte aus der Region kaufen. Wer so lebt, für den rückt wieder stärker ins Bewusstsein, dass da etwas übers Jahr gewachsen ist und Frucht gebracht hat. Wo dafür die Wahrnehmung wächst, kann die Zeit der Ernte wieder zu einer Festzeit werden. Auch religiös. Die Fruchtbarkeit des Feldes, die Erträge der Ernte – all das hat seinen festen Platz im religiösen Empfinden. Und es wächst das Bedürfnis, Gott zu danken für das, was er wachsen lässt.

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Wie feiert man also christlich das Erntedankfest? Unser Predigttext will uns eine Hilfe geben. Da heißt es im Hebräerbrief: 15 Lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn das sind die Opfer, die Gott gefallen.

Zunächst ist die Rede von Opfer. Fragen wir nach. Was ist eigentlich ein „Opfer“? Wenn ich etwas opfere, gebe ich etwas weg, was mir lieb und wert ist.

  • Opfere ich Zeit, gebe ich etwas von dem Gut ab, das durch die Umstände eines angestrengten Arbeitslebens knapp und kostbar ist.
  • Opfere ich Geld, dann habe ich weniger Sicherheit im Leben, habe es nicht mehr für Dinge, die mir Spaß machen.

Aber wer opfert, gibt nicht nur etwas hin, der empfängt auch etwas. Wer opfert, der erfährt, dass das eigene Tun einen Sinn hat. Dass er mit seiner Gabe anderen Leben ermöglicht.

Ich habe von einem Mediziner gelesen, der als Chirurg an einem deutschen Krankenhaus arbeitet. Im vergangenen November nahm er sich drei Wochen Urlaub und flog auf eigene Kosten nach Mali. Nicht um zu entspannen, sondern um zu helfen. Dort in Mali in einer Region, in der es kaum medizinische Versorgung gibt, behandelte er zusammen mit einem Kollegen aus der Anästhesie mehrere Hundert Patienten und führte rund 70 Operationen durch – oft unter abenteuerlichen Bedingungen. Gefragt, warum er dieses Opfer von Geld und Zeit gebracht habe, antwortete er, die Reise nach Mali habe sein Weltbild wieder zurechtgerückt. Und er fährt fort: "Wir denken in Deutschland, dass alles so normal ist und vergessen dabei, dass - was wir unter normales Leben verstehen - vielleicht für 100, 200 oder 300 Millionen Menschen gilt. Aber wenn wir an die gesamten sieben Milliarden dieser Welt denken, ist die Situation, wie ich sie in Mali getroffen habe, eher das Normale.“

Unser Predigtwort fordert uns auch auf, ein Opfer zu bringen. Da heißt es: 15 Lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Wir sollen Gott ein Lobopfer bringen, sprich: wir sollen Gott Dank sagen. Und wir haben allen Grund Gott zu danken. Schließlich verdanken wir ihm alles: unsere Gesundheit, unsere Familie, unseren Wohlstand, unser Leben. Wir verdanken ihm nicht nur die großen Dinge, auch die kleinen. Schauen Sie selbst in ihr Leben: Ist da nicht vieles, wofür sie Gott danken können?

Allerdings ist Dank keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr ist – wie es das Sprichwort sagt - Undank der Welt Lohn. So erging es schon Jesus. Als Jesus einmal zehn Aussätzige heilt, kehrt nur einer zu ihm zurück, um sich zu bedanken. Die anderen neun haben, nachdem die Überraschung der Heilung verklungen ist, das Geschehene vergessen und ihre Gesundheit für selbstverständlich genommen. Warum also die Mühen auf sich nehmen, um sich beim Geber aller Gaben zu bedanken? Undank hat mit Vergesslichkeit zu tun, mit Nicht-dran-Denken. Vergesslichkeit, Undankbarkeit, das ist wie ein Gift. Es vergiftet uns.

Wir als Christen sollen es anders machen. Nicht dem Gift der Vergesslichkeit und der Selbstverständlichkeit erliegen, sondern Gott im Blick haben und das, was er an uns getan hat, und dann sprechen: Gott, ich danke dir von Herzen.

Denn das Wunderbare ist ja, dass unser Dank einen Adressaten hat. Das unterscheidet uns Christen von religionslosen Menschen. Der Berliner Philosophieprofessor und bekennende Atheist Herbert Schnädelbach sagte einmal: „Ich würde mich gerne beklagen oder ich würde mich gerne bedanken – aber ich weiß nicht bei wem! Die Stelle, an der andere für sich ‚Gott‘ einsetzen, ist für mich leer.“ Wie wunderbar, dass wir Christen eine Anlaufstelle haben – nicht nur für unsere Klagen, sondern auch für unseren Dank. Gott sei Dank können wir Gott danken. Darum – „lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.“

Dann ist aber auch diese wichtig: Unser Predigtwort fährt nach der Aufforderung zum Dank fort mit dieser Aufforderung: 16 Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn das sind die Opfer, die Gott gefallen.

D.h. Ein Lobopfer zu Gott kann es nicht geben, ohne eine Hinwendung zum Mitmenschen. Wir können nicht Gott danken, ohne nach unserem Nächsten Ausschau zu halten. Du kannst nicht Gott dienen, ohne den Menschen zu dienen – das ist eine der Kernbotschaften der Bibel. Jesus selbst hat dies bekräftigt. Als er nach dem höchsten Gebor gefragt wurde, antwortete er: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Das ist, liebe Brüder und Schwester, unsere Bestimmung. Das ist unsere Aufgabe als Christen. Das ist unser Amt: Das Lob und den Dank Gott gegenüber nicht vergessen, und unserem Nächsten zur Seite stehen. Anders können wir nicht mit Ernst Christen sein.

Der Arzt, der nach Mail gereist war, nannte in einem Interview als Hauptgrund für sein Engagement seinen christlichen Glauben und zitierte eben diese Forderung Jesu: "Liebe Gott von ganzem Herzen (…) und deinen Nächsten wie dich selbst". Und er fährt fort: "Wenn ich das übersetze auf mein normales Leben, bedeutet das in erster Linie, Gott zu dienen, aber auch meinem Nächsten zu helfen, ihn zu unterstützen – ihn zu lieben. Und wenn ich das eben als Arzt tun kann (…) das motiviert mich natürlich (…) nicht nur jetzt in Mali (…) sondern auch in meinem ganzen normalen Leben."

Das ist unser Amt: Gott zu loben und dem Nächsten zu dienen. Und dieses Tun – davon bin ich überzeugt. Es wird Glück und Segen nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst bedeuten. So will ich enden mit einer anderen Geschichte des Dankens. Sie erzählt von einem anderen Arzt. Ein über Jahrzehnte sehr erfolgreicher Mensch. Eines Tages setzte er sich hin und schrieb einen Dankesbrief an seine ehemalige Lehrerin, die ihn sehr ermutigt hatte, als er ihr Schüler war. Eine Woche darauf erhielt er eine mit zittriger Hand geschriebene Antwort. Darin stand: „Mein lieber Willi, ich möchte, dass du weißt, was dein Brief mir bedeutet hat. Ich bin eine alte Frau in den 80ern, lebe allein in einem kleinen Zimmer, koche mir meine Mahlzeiten selbst, bin einsam und komme mir vor wie das letzte Blatt an einem Baum. Vielleicht interessiert es dich, Willi, dass ich 50 Jahre lang Lehrerin war und in der ganzen Zeit ist dein Brief der erste Dank, den ich je erhalten habe. Er kam an einem kalten, blauen Morgen und hat mein einsames, altes Herz erfreut, wie mich in vielen Jahren nichts erfreut hat.“

Darum: Lasst uns durch Christus Gott allezeit ein Lobopfer bringen und vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn das sind die Opfer, die Gott gefallen. Amen.

Eingangsgebet 

Herr, unser Gott,

wir haben gearbeitet, jeder an seinem Ort.
Der Eine steht gut da und hat Erfolg.
Der andere hat Angst um seinen Arbeitsplatz,
der Dritte hat Sorgen, wie es weitergeht mit der Gesundheit,
und der Vierte traut sich nicht unter die Menschen.
So stehen wir da vor dir.
Nicht jeder kann Erfolge vorweisen.
Nicht jeder hat alles getan,
was er hätte tun können.
Herr wir bitten dich,
segne die Gaben, die wir bringen,
die Ergebnisse unserer Arbeit.
Vergib uns unsere Undankbarkeit,
vergib uns den Neid und Streit um den Erfolg.
Vergib uns die Flüche
und vergib uns die Faulheit.
Herr, wir stehen da, wie wir sind.
Nimm uns an und unsere Gaben.
Amen

 

Perikope
05.10.2014
13,15-16

Predigttext zu Hebräer 13,15-16 von Karin Klement

Predigttext zu Hebräer 13,15-16 von Karin Klement
13,15-16

Lasst uns nun durch Christus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.
Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergeßt nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.


Liebe Erntedank-Gemeinde!
Liebe frucht-bringende Mitmenschen, geboren aus der Liebe des Schöpfers!
Liebe Gottes-Menschenkinder!

Erntedank ist ein Fest für Augen, Ohren, Mund und Nase, wie wir heute deutlich wahrnehmen. Ein geschmackliches Fest für alle Sinne. Vor unserem Altar leuchten glänzend-rote Tomaten, dicke Kürbisse in sonnigem Orange. Ich stelle mir vor, wie die Äpfel saftig knacken, wenn jemand kräftig hineinbeißt. Angenehm zarte Blumendüfte durchziehen den Altarraum. Darunter schwebt – fast noch warm – das Aroma eines backfrischen Brotes.
Erntedank berührt nicht nur die Seele oder unseren Geist, vielmehr den ganzen Körper, sinnlich und belebend. Vielleicht kommen wir auch deshalb so gern zu diesem Fest zusammen, um einmal mehr als nur Worte zu genießen. Mehr als die schöne Orgelmusik und den Klang der vielen Stimmen. Um das Gefühl von Dankbarkeit von innen nach außen sprudeln zu lassen – mit betenden Worten, die leuchten wie die wärmende Herbstsonne; mit Gesang, der aus unseren Herzen strömt, uns verbindet mit Gott und untereinander. Wir feiern Gemeinschaft, Zusammenhalt, Einigkeit – zumindest für diesen kostbaren Moment.
Erntedank ist ein Dankesfest mit allen Sinnen zu Ehren des Schöpfers und zur Freude seiner Geschöpfe.

„Gott sei Dank!“ atmet die junge Frau erleichtert auf, als alles gut ausgegangen ist. Ein böses Schicksal wurde abgewendet. Wie ein schwer-drückender Stein fällt die Sorge von ihrem Herzen, leicht fließt ihr Atem ein und aus. „Gott, ich danke dir!“ jubelt sie innerlich mit dankbarem Blick zum Himmel. Aber dann ist bald wieder alles vergessen. Lieber den Blick vorausrichten auf die Zukunft; was war, wegwischen, als hätte es die Angst, Sorge, Furcht nicht gegeben. Wo bleibt ihr Dank? Wie wachsen Früchte aus dem, was mit der Lobeshymne in ihr aufgeblüht war?

„Gott sei Dank!“ flüstert der alte Mann und nimmt seinen Sohn nach langer Zeit der Trennung in die Arme. Endlich können sie sich gegenseitig ihre Herzen ausschütten, mit einander sprechen, sich gegenseitig mitteilen, wie es ihnen ergangen ist. Mit dem Streit, den Schuldzuweisungen, den eigenen Schuldgefühlen. Endlich aufdecken und ablegen, was an Trennendem solange zwischen ihnen währte. Samenkörner der Dankbarkeit – wo finden sie einen Raum, sich weiter zu entwickeln, damit ihr strahlendes Leuchten nicht einfach verlöscht, sondern Funken sprüht auch im Leben der Mitmenschen?

GOTT sei Dank! Für diese und viele weitere Geschenke, die wir uns nicht selbst machen können. Und bitte nicht vergessen, diesem Gefühl und dem Wissen um die eigene Dankbarkeit auch äußerlich einen Raum zu geben! Einen Ort, an dem die Dankbarkeit ihren festen Platz hat, und uns erinnert an erfreuliche Erfahrungen, die sich wiederholen können.

So schreibt der Autor des Hebräer-Briefes kurz vor Schluss in altertümlich klingenden Worten, die ihren aktuellen Sinn dennoch nicht verloren haben: Lasst uns nun durch Christus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.
Lob aussprechen, positive Gefühle, freudige Erfahrungen, gefühlte Dankbarkeit nicht für sich behalten, sondern offen „darbringen“. In aller Öffentlichkeit von guten Erfahrungen berichten; einmal loben anstelle der sonst eher nach vorn geschobenen Kritik. Gewiss, auch sie hat ihren berechtigten Platz. Doch, wenn es etwas Gutes zu loben gibt, warum dann nicht – ohne Einschränkung, Abwertung – das Gelungene, Erfreuliche, das Lebensfördernde einfach ehrlich und frei bekennen? Gott will es hören und sich daran freuen, wie jeder Mitmensch ebenso.

Durch Christus – GOTT das Lob opfern“. Wobei ich das Verb „opfern“ in Anführungszeichen setze. Lob und Dankbarkeit sollen uns keine Mühe kosten; sie wollen nicht als Leistung verstanden und mit Anstrengung erbracht werden. Vielmehr sollen sie wie von selbst aus uns herausströmen, weil das Herz übervoll ist, die Freude überfließt und nicht bei sich selbst bleiben kann. Loben aus Lust und Lachen heraus. Von unserer Dankbarkeit gegenüber Gott sprechen: „Lieber Mitmensch, weißt du, wie felsenfest ich davon überzeugt bin, dass Gott mir in dieser Situation geholfen hat! Unsichtbar ist sein Wirken, aber spürbar seine Kraft. Als ob meine Seele Flügel bekommt, Aufwind, um alles Schwere hinter sich zu lassen.“ Lob wirkt ansteckend positiv, tut mir und meinem Nächsten gut.

Durch Christus – opfern. Wir können uns an Jesus ein Vorbild nehmen; an seiner Unmittelbarkeit und Leichtigkeit im Umgang mit seinen Mitmenschen. An seiner offenen Direktheit. Er lacht mit den Glücklichen; er weint mit den Traurigen; er diskutiert ernsthaft mit den Fragenden. Er kritisiert auch Menschen, wenn sie unrecht handeln. Aber auf eine Weise, die sie nicht als Person verdammt, sondern lediglich ein falsches Verhalten hinterfragt und in eine lebensfördernde Richtung verweist.
Lob „opfern“ bedeuten keinen Verzicht, keinen Verlust, sondern Überfluss. Wenn jemand sagt „Ich opfere mich auf für dich“, höre ich darin nicht die Erwartung „nun musst du mir dafür dankbar sein“. Sondern die Betonung der Wertschätzung: „Merkst du, wie sehr ich dich liebe?! Ich gebe mich ganz und gar für dich hin, und es macht mir Freude!“ Wir verlieren nichts; wir geben her, um zu danken für das, was uns längst geschenkt ist. Sei es ein Gefühl der Liebe oder des Glücks, das uns innerlich ausfüllt. Oder sei es das Bewusstsein, dass uns alles Wichtige für das Leben schon immer gegeben ist.

Durch Christus – GOTT das Lob opfern“. Unser Glaube an Christus bedeutet, dass wir grundsätzlich frei sind von jeder Art von Opferungen, freiwillig oder nicht. Gegenüber den Mächten dieser Welt, die uns einschüchtern, Gewalt antun, erniedrigen und Gehorsam einfordern – ob in Realität oder nur in unseren Befürchtungen – gilt ein für allemal: Wir brauchen ihnen nichts zu opfern, keine Zeit, keine Unterwerfung und erst recht keine Liebe; wir sind frei von erzwungenen oder selbstgewählten Opferungen.
Denn GOTT, der Einzige, der wirklich Macht über uns und die Welt besitzt, hat sich für uns und alle Welt selbst am Kreuz geopfert. Christus ist Opferlamm, Lebensbrot und Weinstock. Von seinen Früchten zehren wir. Und wenn wir mit Herz und Mund bekennen, was wir ihm verdanken, dann ist das unser Lob-Opfer. Gott loben – für den Sonnenschein dieser Herbsttage. Für die Freundlichkeit des Nachbarn, der mir heute einen Sitzplatz an seiner Seite angeboten hat. Für den tiefen, gesunden Schlaf der letzten Nacht. Für das Lachen der Kinder, das keineswegs selbstverständlich ist. Für die Luft, die ich noch immer atmen und riechen kann; für alles, was mich glücklich macht: meine Augenweide, den Nervenkitzel, die Gaumenfreude. Für alles, was mich spüren lässt, ich lebe: Gott sei Dank!

Aus dem Bewusstsein, wie reich beschenkt ich bin, wächst das Mit-Fühlen mit jenen, denen so viel Gutes mangelt. Wächst das Mit-Leiden, die Sym-Pathie mit der unheilen Welt, mit den schmerzhaft Verwundeten, den Trauernden, den Zerbrochenen. Dann blicke ich über unseren reichgedeckten Tisch hinaus zu den leergeräumten Regionen der Hungernden – an Leib und Seele. Aus Dankbarkeit wächst auch das Mitgefühl für jene, die keine Freude spüren, keinen Dank kennen. Wir arm sind sie dran! Wie nötig meine Hilfe – und wie bereichernd für mich, wenn ich helfen kann!

Es ist nur folgerichtig, wenn dann das Herz überfließt, um andere am Reichtum unseres Lebens  teilhaben zu lassen. Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott. Schreibt der Hebräerbrief am Ende. Leicht und locker plätschern seine Worte dahin, genauso leicht und einfach soll es uns von der Hand gehen: Das Teilen, Hergeben, Verschenken, Freude bereiten. Die Fürsorge um andere. Die ausgleichende Gerechtigkeit gegenüber jedem erkennbaren Mangel. Wo genau  und auf welche Weise wir Gutes tun können, sagt uns sehr schnell das persönliche Gewissen; sofern wir ehrlich mit uns selbst umgehen. Wem wir helfen sollten – und helfen können, entdecken wir, wenn wir aufmerksam werden. Und kostbar ist alles, was wir schenken. Denn es fließt aus einem übervollen Herzen.

Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht! Erntedank ist ein Fest für unsere menschlichen Sinne, für unsere Dankbarkeit gegenüber Gott; aber auch ein Fest gegen die Vergesslichkeit. Wir leben nicht ohne die anderen, nicht ohne jene, die wir lieben. Erst recht nicht ohne jene, die uns nerven, ärgern, zornig machen oder auf sonstige Weise nicht in unser Menschenbild passen. Wir leben nur gemeinschaftlich – oder wir bleiben einander etwas schuldig. Vergesst nicht Gutes zu tun! Nicht um irgendwelcher Verdienste willen, sondern, weil wir es selbst brauchen. Wenn es meinem Nachbarn gut geht, bin auch ich entlastet von Sorgen, frei, das Leben zu genießen. Wenn ich der jungen Frau geduldig zuhöre, wie sie von den schweren Steinen erzählt, die ihr vom Herzen fielen, spüre ich diese beglückende Erfahrung in meiner eigenen Seele. Ihre Worte stärken meine Zuversicht, dass wirklich alles gut werden kann; dass Gott immer wieder unerwartet nahe ist.
Wenn ich den alten Mann und seinen Sohn, Arm in Arm eingehakt, durch die Straße gehen sehe, entdecke ich, dass Versöhnung möglich ist. Und frage mich, ob ich nicht auch mal wieder anrufen, auf jemanden zugehen soll. Ob es mich nicht auch glücklicher macht, wenn ich es schaffe, über meinen Schatten zu springen …

Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.  Der Hebräerbrief legt uns ans Herz, wie wir Danke sagen können gegenüber Gott – im stillen Kämmerlein, in unserer Kirche, wie in der Öffentlichkeit des alltäglichen Lebens. Er  ermuntert uns, dass wir miteinander teilen – unsere Zeit, unsere Zuwendung, unsere materiellen Güter und die vielen Ideen, die uns durch den Kopf gehen.
Denn das Ziel ist: Leben für alle Welt. Gott gefallen solche Opfer, die das Leben fördern. Damit bleibt das Leben für alle Geschöpfe ein wunderbares Geschenk unseres Gottes.
AMEN
 

Perikope
05.10.2014
13,15-16

Von solchen, die Gottes Wohlgefallen suchen - Predigt zu Hebräer 13,15–16 von Ulrich Kappes

Von solchen, die Gottes Wohlgefallen suchen - Predigt zu Hebräer 13,15–16 von Ulrich Kappes
13,15-16

Von solchen, die Gottes Wohlgefallen suchen

So lasst uns nun durch Christus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.
Gutes zu tun und Gemeinschaft zu halten, vergesst nicht, denn solche Opfer gefallen Gott wohl.

Ich habe vor einigen Wochen die Stadt Wiedenbrück besucht.
Es ist eine alte Stadt in Ost – Westfalen, unweit von Bielefeld. Viele Fachwerkhäuser, alte gotische Kirchen, ein barockes Schloss mit einem großen Park prägen das Stadtbild.
Auf dem Markt steht ein Denkmal. Man sieht auf einer Säule einen jungen Bauern stehen. Sein Gesicht wirkt sehr gesammelt. Ein Fuß ist auf seinen Spaten gestützt. Der Kopf ist gesenkt. Die Hände sind über der Mütze, die er über den Spaten gehängt hat, gefaltet. „Betender Landmann“ heißt die Skulptur. Nach getaner Feldarbeit faltet ein Bauer seine Hände, um Gott für Feld und Frucht zu danken und um Segen für seine Arbeit zu bitten. Dann erst kann der Feierabend kommen.

Eine rührselige Statue aus vergangener Zeit? Viele Wiedenbrücker scheint der Vorwurf  nicht zu stören, sonst hätte dieses Standbild nicht im Herzen der Stadt ihren Platz behalten.

(Foto der Statue: s. unten "Downloads")

Wenn wir auf den geschmückten Altar heute am Erntedanktag sehen, dann leuchten unsere Augen. Das dunkle Brot, die hellgrünen Weintrauben, die goldgelben Birnen und roten Äpfel erfreuen uns.
Mancher unter uns mag aber auch nachdenklich werden.
„Es ist ja wieder einmal alles gut gegangen. Wir haben eine gute Ernte an Gemüse und Obst und Getreide. Die extrem heißen Wochen aber im Juni / Juli dieses Jahres machten schon bange, ob im Herbst des Jahres wieder die gute Ernte wartet.  
 
Die Worte des Predigttextes knüpfen an eine nachdenkliche Einstellung an. Der „Betende Landmann“ mit seiner in sich gekehrten Haltung könnte über ihnen stehen.  Sie sperren sich gegenüber einer frohen Erntedanktagstimmung. Nach meinen Unterlagen sind sie, gerade sie aber, ein uralter Predigttext am Erntedanktag. I1I So bitte ich, der Weisheit  zu vertrauen, die meinte, das sei genau das Richtige am Erntedanktag für uns.
„Lasst uns durch Christus Gott ein Lobopfer darbringen … Gutes zu tun und Gemeinschaft zu üben, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott wohl!“

Was ist eigentlich ein „Opfer“?

Opfere ich etwas, dann gebe ich etwas weg, das mir lieb und wert ist.
Opfere ich Zeit, gebe ich etwas von dem Gut ab, das durch die Umstände eines angestrengten Arbeitslebens knapp und kostbar ist.
Opfere ich Geld, dann habe ich weniger Sicherheit im Leben, habe es nicht mehr für Dinge, die mir Spaß machen.

„Opfern“, „Sich- Aufopfern“ geht nur, wenn es sich lohnt, es für ein Ziel zu tun. „Wenn du weißt ‚warum’, erträgst du jedes ‚wie’“, sagt ein Sprichwort. Wenn du weißt, warum du etwas opferst, ist das möglich. Opfer um des Opfers willen geht in der Regel nicht.

Gleichzeitig hat ein „Opfer“ eine nicht zu unterschätzende Nebenwirkung. Ich habe ein Ziel, das dem Leben Richtung und Sinn gibt. Das Ziel liegt außerhalb von mir und das bedeutet, ich höre auf,  um mich zu kreisen. Menschen, die sich für eine Aufgabe hingeben, sich für eine Aufgabe „opfern“, nehmen sich selbst nicht wichtig. I2I
 
Das Wort „Opfer“ hat freilich auch eine schillernde, ja gefährliche Seite. Es ist ein Lieblingswort der Demagogen und Verführer, der Fundamentalisten und Sektierer.
Wir erinnern uns:
Das deutsche Volk opferte sich bis zum Wahnsinn für seinen „Führer“.
Die Todesschützen an der Berliner Mauer nannte man Helden, nachdem man sie infiltriert hatte, ihre Gesinnung der sozialistischen Sache zu opfern.
Selbstmordattentäter opfern ihr Leben, weil ihnen ein sicherer Platz in Allahs Himmel versprochen wurde.
Nie fordert die Schrift ein Opfer von uns, das nicht vor der Instanz unseres Gewissens geprüft wurde. (1.Thess. 5,21) Kraft der Urteilskraft, die ich habe, und im Hören auf das Gewissen, ist zu entscheiden, ob ein Opfer gut oder schlecht, gefordert oder schädlich ist.

„Lasst uns Gott durch Christus ein Lobopfer darbringen … Gutes zu tun und Gemeinschaft zu üben, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott wohl!“

Was ist ein Lobopfer? Ich lasse mir von dem 50.Psalm (Vers 23) helfen. Hier heißt es:
„Wer Dank opfert, der preiset mich und das ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil unseres Gottes.“ Dank ist zu „opfern“. D.h.: Es gilt sich hinüberzuarbeiten zum Dank gegen die eigene Gleichgültigkeit und Müdigkeit. Dankopfer und Lobopfer geschieht dann, auch wenn mir nicht danach zumute ist. Ich opfere, ich überwinde meine Gleichgültigkeit und Passivität, falte die Hände wie der „Betende Landmann“ und danke „trotzdem“.

Im Tempel opferte der Priester ein geschlachtetes Tier und verbrannte es. Er gab übergab etwas von sich oder im Auftrag anderer dem heiligen Feuer.
Erklingt das Lobopfer der Lippen, dann sind – sozusagen - Trägheit und Stumpfsinn  zu verbrennen, damit die so erlösten Lippen Gott ein Lob- und Danklied singen können.

„Lasst uns Gott ein Lobopfer durch Christus darbringen. Gutes zu tun und Gemeinschaft zu üben, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott wohl!“
Beide Sätze bilden eine Einheit, sind gedanklich durch ein dickes „und“ verbunden. Es geht um die Einheit von einem geistlichen Lob und dem Leben im Alltag. „Lasst uns Gott ein Lobopfer darbringen …“ und „Gutes zu tun und Gemeinschaft zu üben, vergesst nicht!“ Das Eine, das Lobopfer gegenüber Gott, hat kein Daseinsrecht ohne das Opfer, das in einem Leben der Nächstenliebe besteht. I3I

Nichts ist dem Christentum abträglicher als fromme Menschen, die hartherzig sind.
Es macht Kirche und Gemeinde kaputt, wenn Christen zum Gottesdienst gehen, aber kein Interesse an ihren Mitmenschen haben.
Unser Ruf steht grundlegend auf dem Spiel, wenn es Christinnen und Christen gibt, die sich fromm geben, aber gleichzeitig anderen Schaden zufügen. Das treibt Menschen scharenweise aus der Kirche.

Neben das Lobopfer, das ein Mensch darbringt, der Gott bekennt, stellt der Hebräerbrief das Opfer der Tat, das Liebesopfer. Dazu zählt er die Wahrung von Gemeinschaft.
Der rote Faden des Neuen Testamentes beginnt beim Vaterunser, wo die Personalfürwörter „ich“ und „mein“ fehlen und immer nur „uns“ oder „unser“ gesagt wird. Er geht weiter bis hierher. Die gute Tat zu tun und Gemeinschaft zu halten, vergesst nicht. Solches Opfer gefällt Gott wohl. Gemeinschaft zu halten mit sympathischen Leuten ist kein Opfer.
Es sieht anders aus bei den Schwierigen. Gemeinschaft zu haben und zu teilen ist auch am Krankenbett oder Altersheim nicht immer erfreulich. Zum Christ - Sein gehört das Gemeinschaft - Halten, das Zusammensein mit anderen und das kann in der Tat manchmal ein Opfer sein.

Wir hatten gesagt, dass das Opfer ein Ziel braucht.
Warum überwinden wir uns – bisweilen geht es nicht anders – zum Dankgebet?
Warum üben wir Gemeinschaft auch dann, wenn es schwerfällt?
„Solche Opfer gefallen Gott wohl“, sagt der Hebräerbrief. Das Ziel ist, das Wohlgefallen Gottes zu erlangen. Der Hebräerbrief beschreibt uns Christinnen und Christen als Pilgerinnen und Pilger. Das Ziel am Ende des Weges heißt: Ich möchte das Wohlgefallen Gottes finden.
Darum das Opfer.
Amen


Lied: EG 324, 1 + 10-14 – Ich singe dir mit Herz und Mund


I1I Die Predigthilfen, II, von Wilhelm Stählin, Kassel 1959 (504-507) behandeln die Perikope als Erntedanktagstext.
I2I „… Eine Opferhandlung (ist) … die Absage an alle Selbstherrlichkeit …“ W. Stählin, a. a. O., S. 504.
I3I Erich Gräßer, An die Hebräer, 3. Teilband, Zürich, Neukirchen-Vluyn 1997,S. 392: „V 16 … macht deutlich, dass ohne die ihr zugeordneten ‚Opfer der Liebe’ die thysia aineseohs leeres Geplapper bleibt …“
 

Perikope
05.10.2014
13,15-16

Opfer - Predigt zu Hebräer 13,15-16 von Matthias Loerbroks

Opfer - Predigt zu Hebräer 13,15-16 von Matthias Loerbroks
13,15-16

Opfer

Durch ihn – Jesus – lasst uns nun allezeit Gott ein Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen derer, die sich zu seinem Namen bekennen.
Gutes zu tun und die Gemeinschaft vergesst nicht, denn durch solche Opfer wird Gott erfreut.

Mit dem Wort Opfer, das zweimal in diesem kurzen Abschnitt fällt, ist es merkwürdig: wir verwenden es für höchst unterschiedliche, auch höchst unterschiedlich wichtige Gegenstände und Vorgänge, ohne uns klar zu machen oder klar zu werden, was wir mit diesem Wort meinen und warum wir gerade dieses Wort wählen. Es kann ganz harmlos klingen, etwa wenn ich etwas Geld oder – was ja angeblich dasselbe ist – etwas von meiner Zeit einer guten Sache, einem hilfesuchenden Menschen opfere. Ich entschließe mich da, auf etwas zu verzichten zugunsten von etwas anderem, was mir wichtiger ist – und meist fallen solche Opfer auch nicht schwer, geschehen spontan, ohne viel Abwägung oder gar Kalkulation. Mit etwas mehr Zögern und Zähneknirschen sind Verhandlungen verbunden, in denen ich manche meiner Ziele opfern muss, um andere zu erreichen, einen Kompromiss zu erzielen, mit dem beide Seiten leben können. Doch merkwürdigerweise sprechen wir auch da von Opfern, wo von freiwilligem Verzicht keine Rede sein kann: Todesopfer bei Unfällen und Katastrophen, Menschen, die Terroristen und anderen Mördern zum Opfer gefallen sind, die Opfer von Kriegen und auch die des Straßenverkehrs, Opfer von Vergewaltigungen, Folteropfer. Es gehört zu den entsetzlichsten Zeichen unserer Zeit, dass inzwischen unter unseren Jugendlichen „Du Opfer“ ein spöttisches Schimpfwort geworden ist. Aber es ist wohl kein Zufall, dass wir mit Opfer und opfern, wenn auch unbewusst, Worte aus dem Bereich der Religion verwenden. Göttern wird geopfert, sei es um sie günstig zu stimmen, zu beschwichtigen, sei es um ihnen zu danken und zeichenhaft deutlich zu machen, dass wir unser Leben und auch unsere Lebensmittel nicht uns selbst zu verdanken haben, wir darum auch nicht uns selbst gehören. Unsere Rede von Opfern verrät, was unsere wahren Götter, unsere höchsten Güter sind.

Bis zum Jahre 70, als die Römer den Tempel in Jerusalem und auch die Stadt Jerusalem zerstörten, wurde auch in Israel geopfert. Erstlingsgaben der Ernte wurden dargebracht und damit daran erinnert, dass nicht nur die Früchte des Landes, sondern auch das Land selbst nicht einfach natur-, sondern gottgegeben ist. Und um zu demonstrieren, dass auch das Volk nicht sich selbst, sondern seinem Gott gehört, wurden die Erstgeborenen durch Tieropfer ausgelöst. Lukas erzählt, dass auch die Eltern Jesu es so hielten. Es gab auch Sühnopfer, die Reue anzeigten, und tägliche Opfer, die die ständige Verbindung zwischen dem Gott Israels und seinem Volk symbolisierten. Der berühmte Sündenbock gehörte übrigens nicht zu den Opfertieren – der wurde in die Wüste geschickt.

Mit all diesen Opfern war nun im Sommer des Jahres 70 Schluss. Was war da zu tun? Die ganzen biblischen Vorschriften, besonders im 3. Buch der Bibel, einfach abzuschaffen, kam natürlich überhaupt nicht in Frage. An allen möglichen, nicht von Gott, sondern von Menschen erwählten Orten zu opfern, auch nicht. Stattdessen machten sich die Rabbiner daran, alle diese Opfer durch entsprechende Gebete, z.B. Morgen- und Abendgebete, zu ersetzen – und sie prägen jüdisches Leben bis auf den heutigen Tag.

Der ganze Hebräerbrief ist ein Versuch, etwas Ähnliches auch für die frühe Christengemeinde zu leisten, die ja überwiegend aus Juden und Judengenossen bestand. Der Verfasser will mit theologischen Mitteln ihr helfen, mit dem Verlust fertig zu werden, auch ihr ein Leben ohne Tempel zu ermöglichen. In keinem anderen Buch des Neuen Testaments ist so viel von Opfer die Rede. Der Verfasser unternimmt den kühnen Versuch, Jesus zugleich als Priester und als Opfer zu deuten: durch seinen Tod habe er Versöhnung, eine unzerstörbare Verbindung, einen unverbrüchlichen Bund zwischen Gott und seinem Volk bewirkt – und so jedes weitere Opfer überflüssig gemacht und auch jeden weiteren Priester. Natürlich weiß der Briefschreiber, dass dem Gott Israels jedes Menschenopfer ein Gräuel ist, und so behauptet er auch nicht, dass irgendwelche sündigen Menschen zu ihrer Entlastung und um Gott zu versöhnen den Menschen Jesus geopfert hätten – er würde sich schier schütteln bei diesem Gedanken. Und so müsste er sich auch schütteln angesichts der katholischen Messe, wo der Priester immer wieder stellvertretend für die Gemeinde die Opferung Jesu vollzieht. Etwas ganz anderes als ein Menschenopfer ist, wenn jemand sein eigenes Leben einsetzt, zum Martyrium sich genötigt sieht, jüdisch ausgedrückt: zur Heiligung des Namens. Leider ist der Begriff Märtyrer in unseren Tagen auf den Hund gekommen, weil er in einer benachbarten und verwandten Religion zum Selbstlob von Massenmördern geworden ist. Der Hebräerbrief will nicht einen heroischen Menschen glorifizieren, sondern versteht den Tod Jesu als priesterlich, nicht nur weil er in seinem Tod sein Volk vertritt, für sein Volk eintritt, sondern auch weil in und mit dem Menschen Jesus Gott selbst sich mit seinem Volk solidarisiert.

Nachdem er in langen Ausführungen dargelegt hatte, dass seit und mit dem Tod Jesu alle Opfer zum Schluss gekommen sind, fordert er uns im letzten Kapitel plötzlich dennoch dazu auf, Opfer darzubringen – und zwar durch ihn, durch Jesus. Wir sollen den Weg gehen, den Jesus uns gebahnt hat, die Verbindung zwischen uns und Gott nutzen, die Jesus geknüpft hat. Das Opfer besteht darin, Gott zu loben und zu preisen – hier ist der Hebräerbrief den Rabbinern und ihrer Umwandlung von Opfern in Gebete ganz nah. Diesen Lobpreis nennt er Frucht der Lippen, sieht also neben all den Früchten des Feldes und des Gartens und der menschlichen Arbeit, die wir hier als Zeichen unseres Dankes ausgebreitet haben, auch in unserer Sprache etwas Fruchtbares, etwas, was nahrhaft und heilsam sein kann: Frucht der Lippen. Nicht nur uns, auch der Bibel ist deutlich, dass es auch viel fruchtloses Gerede, unnütze Worte gibt, und gewiss auch, dass Lippen nicht nur zum Sprechen da sind, sondern beispielsweise zum Lächeln und zum Küssen – was aber beides auch vielsagend ist – und zum Singen, was aber auch ein Beitrag zum Lobe Gottes sein kann. Doch die Bibel legt großen Wert auf unser Sprechen und unsere Sprache – Lippe bedeutet im Hebräischen zugleich Sprache. Als Gott Mose dazu beruft, sein Volk zu befreien, antwortet der in einem merkwürdigen Sprachbild, er habe unbeschnittene Lippen, um anzudeuten, dass seine Sprache vom Hof des Pharaos geprägt, also ganz unjüdisch sei. Jesaja bekennt bei seiner Berufung sogar, er habe unreine Lippen, seine Sprache sei nicht geeignet, Gottes Wort weiterzusagen. Und in einem berühmtem Bußgebet, im 51. Psalm, wird nicht nur um Vergebung, ein reines Herz, einen neuen Geist gebeten, sondern auch: HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkünde. Die Formulierung, Frucht der Lippen als ein Opfer darbringen, hat der Verfasser ebenfalls einem Sündenbekenntnis entnommen. Beim Propheten Hosea heißt es: Vergib uns alle Sünden und tu uns gut, so wollen wir opfern die Frucht unserer Lippen. Durch Jesus werden auch wir Nichtjuden dazu in die Lage versetzt, unsere Sprache Gott zur Verfügung zu stellen, gelangen in eine Sprachschule des Glaubens. Wir verstehen das Wort Lippenbekenntnis negativ als ein zwar gesprochenes, aber nicht ernst gemeintes Bekenntnis. Auch dies geht auf die Bibel zurück. Der Prophet Jesaja hatte Gott sagen hören: dieses Volk ist mir nah nur mit seinen Lippen, mit seinen Herzen aber fern. Der Hebräerbrief aber versteht es positiv, findet auch unsere Lippenbekenntnisse einen Beitrag zum Lob und zur Verherrlichung Gottes, zur Heiligung seines Namens: Frucht der Lippen derer, die sich zu seinem Namen bekennen. Es ist darum eine gute Sache, dass auch viel beschäftigte Menschen etwas von ihrer Zeit opfern, um Gott zu loben und zu preisen, sei es in Morgen- und Abendgebeten, sei es im wöchentlichen Gottesdienst.

Die zweite Aufforderung zum Opfer lenkt unseren Blick von der Vertikalen – unserem Gotteslob – zur Horizontalen, zu den Verhältnissen unter uns: Gutes tun und die Gemeinschaft vergesst nicht. Das ist der zweite Appell gegen unsere Vergesslichkeit in diesem Kapitel. Zu Beginn hieß es: Die Gastfreundschaft vergesst nicht. Denn durch sie haben etliche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt. Beides gehört zusammen, erinnert uns daran, dass Jesus uns nicht nur zur Gemeinschaft mit Gott befreit hat, sondern auch zur Gemeinschaft unter einander, befreit zur Solidarität, befreit vom Geiz wie vom Ehrgeiz, von der Heidenangst zu kurz zu kommen – was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? – und darum auch vom ständigen Streben nach oben – religiös wie gesellschaftlich. Kein Christentum ohne Gemeinschaft, so hatte es der Graf Zinzendorf wiederentdeckt: ein Christentum, das nicht praktisch gesellschaftlich wirksam wird, sich nur auf Gott und die Seele, die Seele und ihren Gott beschränkt, trocknet auch in dieser vertikalen Beziehung aus, und das ist vielen ja auch schon passiert. In diesen Tagen, da der Kapitalismus, die Religion der Einzelkämpfer, der selfmademen und selfmadewomen, eine Religion, die viele Opfer fordert, in die Krise geraten ist, werden christliche Gemeinden als Orte angstfreier Solidarität, Orte unserer Sozialisierung noch wichtiger.

Der Appell zu gedenken und nicht zu vergessen gehört auch in der übrigen Bibel zu den häu­figsten Aufforderungen, ist angesichts unserer Vergesslichkeit besonders dringlich. Auch unser Erntedankfest dient nicht nur dem Danken, sondern auch dem Gedenken. Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen. Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Amen

 

Liedvorschläge

Nach der Begrüßung mit dem Wochenspruch aus Psalm 145: 512,1-4 oder 304,1-5

Zwischen Epistel und Evangelium: 494,1-4

Nach dem Evangelium: 449,3-6.10 oder 303,1-4

Nach der Predigt: 83,4-6 oder 446,5-6.8-9

Zwischen Abkündigungen und Gebet: 325,1.2.5-7 oder 324,1-3.12-15

Zwischen Gebet und Segen: 512,6 oder 447,6

 

Perikope
05.10.2014
13,15-16

20.07.14 Berlin: "Dem Gewissen folgen"

20.07.14 Berlin: "Dem Gewissen folgen"
3, 7-13

Gnade und Friede von Gott, unserem Vater,
und von unserem Herrn Jesus Christus sei mit uns allen. Amen
"Ihr trugt die Schande nicht, Ihr wehrtet Euch,
Ihr gabt das große ewig wache Zeichen der Umkehr,
opfernd Euer heißes Leben für Freiheit, Recht und Ehre".

So steht es auf dem Ehrenmal an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, liebe Gemeinde.
Der etwas pathetische Ton gehört vielleicht zu einem Ehrenmal.
Er mag auch ein Reflex sein auf die Schwierigkeiten, die viele Menschen in der jungen Bundesrepublik Deutschland mit den Attentätern des 20. Juli hatten. Die Frauen und Männer des aktiven Widerstandes gegen Hitler und seine Schergen mussten lange darauf warten, nicht mehr als Verräter, sondern als Gerechte angesehen zu werden. 
Heute ist uns die Ehrung der Frauen und Männer des Widerstandes ein wichtiges Anliegen geworden.
Auch weil es uns entlastet, daran zu erinnern:
Nicht alle Deutschen haben tatenlos zugesehen, sind mitgelaufen oder haben begeistert mitgemacht, als die Nationalsozialisten das eigene Land und weite Teile der Welt mit Krieg und Terror überzogen.
Nicht alle Deutschen sind der Stimme der Nazi-Barbarei gefolgt.

Es gab Menschen in unserem Land, die auf eine andere Stimme gehört haben – im Getöse des Gebrülls am Volksgerichtshof, im Geschrei der großen Aufmärsche und Hallen, inmitten der Lügen und der Propaganda in den Medien.
Auf eine Stimme, die dem Leben dient und nicht dem millionenfachen Tod.
Auf eine Stimme, die Menschen zu Frieden und Gerechtigkeit ruft und nicht zu Terror, Gewalt und Barbarei.
Auf Gottes Stimme!
Und ich freue mich, dass unter uns heute auch Angehörige derer sind, die damals auf diese Stimme gehört und sich zum Widerstand entschlossen haben".
Biblische Texte versuchen die Herzen der Menschen für diese Stimme Gottes zu öffnen. So heißt es im Predigttext aus dem Hebräerbrief:
"Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht…".
Denn das gab es schon zu biblischen Zeiten, das gab es im nationalsozialistischen Deutschland vor 70 Jahren und das gibt es heute:
Menschen verstocken ihre Herzen gegenüber den Stimmen des Lebens.
Im griechischen Originaltext des Neuen Testamentes steht für "verstocken" das Wort sklero’o. Sklerose kennen wir als ein lebensbedrohliches Krankheitsbild. Sklerotische Herzen sind Herzen mit verengten Blutgefäßen.
Verstockte Herzen sind eine Todesgefahr.
Sie sind so eng, dass Mitgefühl und Mitmenschlichkeit keinen Raum haben.
Es fehlt der lebensnotwendige Sinn für Anstand, Recht, Demut und Barmherzigkeit.
Die Herzen sind verstopft von verkehrten Idealen und Überheblichkeit – aber auch von Hass, Angst oder Unsicherheiten. 
Verstockte Herzen verbiegen unsere Gewissen.
Verstockte Herzen führen zum Tod.
Der Hebräerbrief nennt diese Herzen böse und ungläubig.
Weil sie sich gegenüber der Stimme Gottes verschließen.
Die Stimme, die uns dazu ruft und befähigt, dem Bösen zu widerstehen.
Es gehört ja zu den wirklich erschreckenden Erfahrungen unserer Geschichte, dass wir Menschen zu schlimmen Taten fähig sind und uns dabei selbst ein gutes Gewissen machen.
"Ich konnte ja nicht anders." "Ich kann mich doch nicht um alles kümmern." "Und überhaupt: die anderen machen das ja auch so." 
Wir haben die Sätze am Beginn des Gottesdienstes gehört und wir kennen sie alle – auch von uns selbst.
Viele, die im zweiten Weltkrieg Kriegsverbrechen begangen haben, haben ihre Herzen verstockt und ihre Gewissen verbogen, obwohl sie die 10 Gebote kannten und sich auch als Glieder der Kirche verstanden.  Das menschliche Gewissen braucht das immer neue Hören auf die Stimme Gottes. Damit es als korrigierende Kraft wirken kann – und nicht als Selbstbestätigung in bösem Tun.
Unser Gewissen kann irren, wenn unsere Herzen verstockt sind.
Darum schreibt der Hebräerbrief:
heute – wenn ihr seine Stimme hören werdet – verstockt eure Herzen nicht.

Unsere Bindung an Gott und an sein lebendiges Wort – das ist die wirksame Arznei gegen die Verstockung unserer Herzen!
Mit Dietrich Bonhoeffers Hilfe will ich dem genauer nachdenken.
An der Wende zum Jahr 1943 hat er sich Rechenschaft darüber gegeben, wer dem Bösen der Nazizeit standhalten kann.
Dietrich Bonhoeffer geht dabei verschiedene Lebenshaltungen durch, die alle nicht tragen. Und er kommt zu dem Ergebnis:
"Wer hält stand? Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist, der Verantwortliche, dessen Leben nichts sein will als eine Antwort auf Gottes Frage und Ruf." (D.Bonhoeffer, Nach zehn Jahren, in: Christian Gremmls und Wolfgang Huber, Dietrich Bonhoeffer Auswahl, Band 4, Konspiration, 1939 – 1943, Gütersloh 2006, S. 215)
Es kommt also alles darauf an, Gottes Stimme zu hören.
Sich von Gott rufen zu lassen.
Und dann auf diesen Ruf mit eigener und tätiger Verantwortung zu antworten.
Dazu brauchen Menschen eine innere Freiheit von äußeren Zwängen und äußeren Bedrohungen. 
Eine solche Freiheit erwächst uns aus der Bindung an Gott.
Auch heute. In unserer jeweiligen Gegenwart. 
Wie unsere Bindung an Gott gestärkt und gelebt werden kann – darüber können wir in "normalen" Zeiten viel nachdenken, reden und predigen.
In entscheidenden Momenten aber, gerade wenn die Bosheit regiert und triumphiert, wird sich das Hören auf Gottes Wort und das Tun des Gerechten für uns gleichsam "ereignen".
Dann kann nicht mehr erwogen und das Für und Wider in Ruhe bedacht werden. Dann ist ohne "wenn und aber" die gehorsame Entscheidung des gläubigen Herzens notwendig.
Und sie ist auch möglich. "Heute, wenn ihr seine Stimme hört"  wird sie dann dem gläubigen Herzen geschenkt. Durch alles Erwägen, Nachdenken, Beraten, Beten und Hören auf Gottes Wort hindurch.
"Heute" – das war für die Frauen und Männer des Widerstandes beides:
eine Zeitspanne der Gespräche und Beratungen im Kreis der Vertrauten.
Aber auch ein Zeitpunkt – etwa vor dem Volksgerichtshof.
Auch für uns gibt es manchmal ganz besondere Zeitspannen und Zeitpunkte, in denen wir von Gott angesprochen werden. Verpassen wir sie nicht!
Damit wir nicht um unserer eigenen Karriere willen zu Ungerechtigkeiten an unserem Arbeitsplatz schweigen.
Damit wir nicht in unserer eigenen Alltagsgeschäftigkeit die Nöte unserer fernen und nahen Mitmenschen übersehen und verdrängen.
"Solange es heute heißt…", so mahnt uns der Predigttext.
Auch wir werden in unserer Lebenszeit von Gott angesprochen.
Jeder und jede Einzelne von uns.
Begabt und befähigt zum Hören und zum verantwortlichen Tun.
Verstocken wir unsere Herzen nicht!
Lassen wir unser Herz durch Gottes Stimme berühren!
Im Südportal des Berliner Doms befindet sich seit 1992 eine eindrucksvolle Bronzetür, von dem Künstler Siegfried Krepp gestaltet.
Wir sehen, wie eine Menschenmenge einem Redner zuhört, wie Fahnen fliegen und die Hände zum Hitlergruß gereckt sind.
Und wir sehen die Schrecken dieser bösen Zeit: die Gitterstäbe der Kerker, die Opfer und die Flammen. Wir ahnen die ausgebrannten Städte und sehen am rechten Rand, wie ein Mensch den anderen erschlägt. Wir denken an Kain und Abel und sehen: Die Gewaltgeschichte geht weiter, bis heute. Wir erkennen den Zug der Flüchtenden, der Ausgebombten und Entwurzelten. Mitten im Elend eine Gestalt, den Kopf in die Hände gestützt. Kommt jede Besinnung zu spät?
Doch ganz vorn in einer zentralen Szene lädt uns eine entscheidende Begegnung zu Umkehr ein: erschüttert und auf Knien erbittet ein Mensch Vergebung – und der andere ist sichtlich berührt und streckt seine Hand aus. Der Verlorene wird zum Gefundenen. Der Haltlose gewinnt Halt. Der Schwankende wird fest.
Jesus hat diese Geschichte als ein Gleichnis für die Barmherzigkeit Gottes erzählt.
Das Wort Herz steckt in Barmherzigkeit – ein weites Herz voller Liebe, ohne Enge, ohne Verstockung.
Es ist die Barmherzigkeit Gottes, die unsere Menschen-Herzen erreichen und ihnen die Enge nehmen will.
Auch "heute". Auch in unserer Zeit mit ihren Bosheiten, ihrem Irrsinn und ihrer Verachtung der Würde von Menschen an so vielen Orten unserer Erde.

Wir erinnern heute an die mutigen Taten von Menschen, die Hitler und seinen Schergen widerstanden haben. Am 20. Juli 1944. Wir wollen uns von ihrem Weg inspirieren lassen.
Wir wollen hören, wenn Gottes Stimme uns heute ruft.
Amen

Perikope

Wir sind Schatzsucher - Themapredigt zum "Geocaching" von Karsten Willemer

Wir sind Schatzsucher - Themapredigt zum "Geocaching" von Karsten Willemer
11,8-10

Wir sind Schatzsucher
Unterwegs mit Gott, Glauben, Vertrauen

Liebe Gemeinde,
wir sind Schatzsucher!  Wir sind unterwegs auf der Suche nach dem Schatz unseres Lebens. So lässt sich die Botschaft des Hebräerbriefes zusammenfassen. Der Schatz, das ist für ihn die Stadt Gottes, das himmlische Jerusalem, die „Stadt mit den festen Grundmauern, die Gott selbst entworfen und gebaut hat.“ Die Stadt ist ein Bild für das Ziel unseres Lebens. Ein Bild für alles Gute, das wir uns vorstellen können. Für das, was am wertvollsten ist. Ein Schatz eben. Der Schatz unseres Lebens.

Es gibt verschiedene Bilder, die dasselbe beschreiben wollen: Einige sagen: Der Himmel. Andere reden vom Paradies. Manche nennen es das Reich Gottes. Manchmal sagt man: Die Ewigkeit. Oder: Die neue Welt Gottes. Oder: die Vollendung. Der Hebräerbrief sagt: Die Stadt. Die zukünftige Stadt Gottes, die Stadt mit den festen Grundmauern. Er sagt damit auch: Es wird anders sein als unser Leben jetzt. Jetzt sind wir unterwegs. Auf der Suche. Jetzt leben wir wie Nomaden auf der Wanderschaft. Dann, eines Tages, werden wir am Ziel sein. Dann haben wir einen Ort, an den wir gehören. Dann hat die Suche ein Ende. Dann ist alles gut.

Jetzt ist es der Glaube, der uns trägt. Das Vertrauen auf das Ziel. Auf den Schatz, der uns erwartet.

Der Hebräerbrief erinnert an Abraham. Wer kennt ihn nicht, den berühmten Abraham aus der Bibel. Als ihren Erzvater sehen sie ihn alle an, die Christen, die Juden und die Muslime. Abraham ist der Mann, der auf die Wanderschaft gegangen ist, weil er Gott vertraut hat. Er hat seine Heimat verlassen und ist losgezogen, ohne zu wissen wohin. Allein mit dem Versprechen Gottes im Gepäck: Ich will dir ein Land und eine Zukunft geben.

So wie Abraham sind auch wir unterwegs, sagt der Hebräerbrief. Wir wandern wie er durch das Leben, ohne zu wissen wohin es uns führt. Alles, was uns bleibt ist das Versprechen Gottes: Ich will dir eine Zukunft geben.

Am 7. Februar 2013 hat ein neuer Mensch seine Wanderschaft begonnen. Der kleine Lukas hier kam an jenem Tag auf die Welt. Es war ein etwas verfrühter Aufbruch, und Lukas hatte die ersten Wochen ordentlich zu kämpfen. Nun ist er schon über ein Jahr unterwegs und steht doch noch ganz am Anfang.

„Ich will dir eine Zukunft geben.“ Das alte Versprechen Gottes: Heute gibt er es noch einmal ganz neu. Ich will dir eine Zukunft geben, Lukas. Ich will dich begleiten auf deiner Wanderschaft durch das Leben. Ich will dabei sein und mitgehen. Will dich stützen, wenn du stolperst und aufrichten, wenn du fällst. Wenn die Dunkelheit über dich hereinbricht, will ich dich ermutigen, und wenn die Verzweiflung dich befällt, will ich dich trösten. Ich will dich behüten wie einen Augapfel. Ich will dich beschirmen unter dem Schatten meiner Flügel.

Dieses Versprechen gibt Gott heute Lukas. Und er besiegelt es mit dem Wasser der Taufe. So kann Lukas in dem Vertrauen auf Gott aufwachsen, von dem der Hebräerbrief spricht. In dem Vertrauen, das bereits Abraham durch das Leben getragen hat.

Manch einem fällt es schwer, solch ein Vertrauen zu haben. Manch einer hält nicht viel von dem Glauben an Gottes Versprechen.

„Ich glaube nur, was ich sehe!“ So sagen manche Kritiker des Glaubens. Sie halten sich für vernünftig und wollen nur das für wahr halten, was sie sehen und begreifen können.

„Ich glaube nur, was ich sehe!“ Je länger ich diesen Satz höre, desto mehr wundere ich mich darüber. Kann man das wirklich ernst meinen? Will man sein Leben tatsächlich auf die Umweltreize begrenzen, die die eigenen Sinnesorgane wahrnehmen?
Es gibt so vieles, das ich nicht sehe, und doch würde kaum einer seine Existenz anzweifeln. Elektrischer Strom etwa: Ich sehe vielleicht seine Auswirkungen, wenn die Lampe brennt. Aber den Strom fließen sehe ich nicht.
Die Liebe kann man nicht sehen. Ich sehe zwar das Leuchten in ihren Augen und spüre das Kribbeln in meinem Bauch, das Gefühl der Verliebtheit. Aber die Liebe selbst, sie bleibt geheimnisvoll und unsichtbar.

„Ich glaube nur, was ich sehe“? Ich halte diesen Satz für eine völlige Überschätzung unserer Sinnesorgane. Bereits für mich als Brillenträger würde er bedeuten: Ich habe einen begrenzten Glauben. Begrenzter als meine Söhne, die zwei echte Adleraugen sind.

Und denken wir an Sotschi in diesen Tagen. Denken wir an die Blinden, die dort bei den Paralympics Höchstleistungen erbringen beim Langlauf und beim Biathlon. Ich habe bis heute nicht kapiert wie das funktioniert mit dem Schießen, wenn man nichts sieht. Wenn der Satz „Ich glaube nur, was ich sehe!“ wahr wäre, dann wären alle jene Athleten in Sotschi arme glaubenslose Gesellen. Keine Augen, kein Vertrauen.
Das Gegenteil ist ja  der Fall. Wer sich als Skiläufer auf einen Begleitläufer verlässt, den er ebenso wenig sieht wie die Loipe, der zeigt ja mehr Vertrauen als jeder Sehende.

Nein, ich kann diesem Satz nichts abgewinnen. Umgekehrt müsste er lauten. Umgekehrt wird ein Schuh draus: „Ich sehe nur, was ich glaube!“

Ich kann nur das wahrnehmen, von dessen Existenz ich wenigsten eine Ahnung habe. Ich will das mit einem ganz praktischen Beispiel erklären.  

Die Welt ist voller Schätze, die gefunden werden wollen. Es sind kleine Schätze, nicht besonders wertvoll. Aber meistens liebevoll gemacht und versteckt. Bis vor etwa 2 Jahren habe ich nichts von diesen Schätzen gewusst. Und natürlich habe ich auch nie so einen Schatz gesehen. Und wenn ich ihn zufällig gefunden hätte, dann hätte ich ihn vielleicht gar nicht erkannt. Heute finde ich fast jeden Tag so einen Schatz. Denn inzwischen weiß ich, dass es sie gibt.

Ich rede von meinem Hobby, und Sie haben es vielleicht schon gemerkt.
Beim Geocaching verstecken wir kleine Schätze, die sogenannten Caches. Und wir suchen die Caches, die andere verstecken. Zum Reiz dieses Spiels gehört es, dass die Caches oft dort versteckt sind, wo viele Menschen sind. Und doch sehen die meisten Leute die Caches nicht.
„Ich sehe nur, was ich glaube!“ Ich erkenne nur das, von dem ich ahne, dass es da ist.

Ein anderes Beispiel: Als meine Frau das erste Mal schwanger war, begann ich plötzlich überall schwangere Frauen zu sehen. Dabei waren es nicht mehr als in den Jahren zuvor. Meine Wahrnehmung hatte sich verändert.
Noch ein Beispiel: Als ich 15 war, erschienen mir 30jährige als alt und faltig.
Wenn ich heute 30jährige anschaue, bin ich manchmal neidisch auf die Attraktivität der Jugend.

Was ich damit sagen will: Das entscheidende passiert nicht in unseren Augen, sondern im Kopf oder im Herzen oder in der Seele. Und deshalb meine ich, dass es heißen muss: „Ich sehe nur, was ich glaube!“

Sein Glaube, sein Vertrauen in Gott, hat Abraham den Mut gegeben, sein altes Leben hinter sich zu lassen und aufzubrechen in die Zukunft, die Gott ihm versprochen hat. Und ich bin sicher: Er hat es gesehen. Abraham hatte das Land vor Augen, das Gott ihm verheißen hat. Er hat es gesehen, und er war überzeugt, dass er es auch betreten werde, eines Tages.

Wer die Geschichte von Abraham gelesen hat – und es ist eine lesenswerte Geschichte – der weiß, dass Abraham sein ganzes Leben lang unterwegs war. Er blieb ein Wanderer, unterwegs auf der Suche nach dem Schatz seines Lebens.

Oft brauchte er viel Geduld, um am Vertrauen auf Gott festzuhalten. Gott hatte ihm unter anderem eine reiche Nachkommenschaft versprochen. Es dauerte lange, bis Abraham überhaupt einen Sohn bekam. Und dabei hatte er auch noch geschummelt, denn er hatte mit der Magd seiner Frau geschlafen, nach dem Motto: besser einen unehelichen Sohn als gar keinen.
Schließlich ist auch seine Frau Sara schwanger geworden, und sein Sohn Isaak wurde geboren.
Doch kaum hatte der ein ordentliches Alter erreicht, sollte Abraham ihn opfern. So sagte es Gott.
Eine finstere Geschichte ist das. Sie ist nur vom Ende her zu verstehen. Und auf dem Hintergrund, dass es damals wirklich Menschenopfer gab.
Wenn am Ende Gott den Ziegenbock schickt und befiehlt: Ihn sollst du opfern und nicht deinen Sohn, dann erkennen wir: Die Geschichte ist ein Protest gegen jedes Menschenopfer.

Und doch bleibt ein bitterer Beigeschmack. Auch weil wir wissen, dass seitdem tausende von Söhnen und Töchtern geopfert wurden. Nicht nur auf den Schlachtfeldern, sondern auch dort, wo sich Männer und Frauen sogenannten höheren Zielen unterordnen mussten.
Oder wir denken an die vielen Kinder, die jung sterben mussten. Die nicht so ein Glück hatten wie Isaak. Wir denken an die vielen Eltern, denen Gott keinen Ziegenbock schenkte, der für ihren Sohn oder ihre Tochter hätte sterben können.

Wer so etwas erlebt, und deshalb am Glauben zweifelt, der kann viel mehr auf mein Verständnis hoffen als die sogenannten Vernünftigen, von denen vorhin die Rede war.

Abraham hat es geschafft, seinen Glauben nicht zu verlieren. Er hat es geschafft, sein Vertrauen auf Gott zu bewahren so lange er lebte. Es gab zwar kritische Momente, doch insgesamt hat ihn der Glaube an Gott sein Leben lang getragen.
So ist er zum Vorbild geworden. Für den Schreiber des Hebräerbriefes ebenso wie für uns heute.

War es ein leeres Versprechen, auf das Abraham sein Vertrauen gesetzt hat? War der Glaube an das Land der Verheißung hohl und ohne Substanz? Der Hebräerbrief sagt: Nein! Denn das Land der Verheißung – oder mit den Worten des Hebräerbriefes: „die Stadt mit den festen Grundmauern“ wartet in der Zukunft auf uns. In der Zukunft, die dieses Leben übersteigt.

Zurzeit Abrahams dachte man vor allem an die Zeit zwischen Geburt und Tod. Wer ein gutes Leben hatte, der spürte das ganz direkt, und man nahm an: ein solcher Mensch ist von Gott geliebt. Zurzeit des Hebräerbriefes hatte man bereits erkannt. Unser Leben ist eingebunden in einen größeren Zusammenhang. Die Zeit zwischen Geburt und Tod ist nur ein Teil eines längeren Weges. Und den Schatz finden wir am Ende des Weges.

Das ist keine Jenseitsvertröstung. Jenseitsvertröstung  würde ja bedeuten: In diesem Leben ist alles schlecht und im Himmel ist alles gut. Ja, im Himmel ist alles gut, das stimmt wohl. Aber hier ist eben nicht alles schlecht.  Es gibt Zeiten im Leben, da kommt mir das so vor, als ob alles schlecht sei. Wenn die Freundin Schluss macht etwa. Oder wenn ein lieber Mensch stirbt. Das eigene Kind gar. Oder ich selbst erkranke an einer schlimmen Krankheit. Habe einen schweren Unfall.

Es gibt Situationen, da sehe ich keine Zukunft mehr. Da kann ich nicht glauben, dass irgendetwas jemals gut sein könnte. Viele Menschen erleben solche Situationen, Jeden Tag. Viele haben es erlebt. Und die meisten von ihnen haben die Erfahrung gemacht: Irgendwann ist es besser geworden. Nicht immer gut. Aber besser. Zumindest an guten Tagen.

Die leidvollen Erfahrungen bleiben. Doch sie  stehen nicht alleine. Neben ihnen stehen die Erfahrungen von Glück die wir an anderen Tagen gemacht haben.
Alle unsere Erlebnisse, die guten und die schlimmen, sie ordnen sich ein in den größeren Zusammenhang des Lebens.

Und für den Glaubenden heißt das: Auch in den größeren Zusammenhang, der über das irdische Leben hinausgeht. Wir sind in Gottes Hand, sagt der Glaube. Und weil wir in Gottes Hand sind, geht unser Leben gut aus. Das ist Glück in seiner ursprünglichen Form: Dass es gut ausgeht.

Ja, wir sind Schatzsucher. Wir sind unterwegs nach dem Schatz unseres Lebens. Zum Glück sind wir nicht alleine auf der Suche. Gott ist bei uns. Er geht mit.

Amen.


Der Ablauf des Gottesdienstes:

Vorspiel
Begrüßung
Eingangslied  EG 346,1-3 Such, wer da will, ein ander Ziel
Psalm 17, 1-9+15 (Im Wechsel gesprochen)
Gloria patri
Entfaltetes Kyrie mit EG 178.11 Herr, erbarme dich
Eingangsgebet
Lesung  Hebräer 11,8-10
Lied EG 607,1-5 Vertrauen wagen
Predigt
Predigtlied EG 395,1-3 Vertraut den neuen Wegen
Taufe
Lied Danke-Tauflied
Fürbitten
Lichterbaum: Die Gemeindeglieder haben die Möglichkeit in einer Gebetsstille Kerzen am Lichterbaum zu entzünden)
Vaterunser
Abkündigungen
Segenslied EG 171,4 Bewahre uns, Gott
Entlassung und Segen
Nachspiel
 

Predigt zu Hebräer 13,20-21 von Jan Hermelink

Predigt zu Hebräer 13,20-21 von Jan Hermelink
13,20-21

Liebe Gemeinde,

„der gute Hirte“ –
so lautet, in der Tradition der Kirche, das Thema dieses Sonntags;
und Sie haben schon gemerkt, wie heute alle Texte dieses Thema umkreisen –  der Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte ... auch wenn ich wandere im finstern Tal ...“,
– die Zusage Gottes an den Propheten, die zerstreute Herde
des Volkes Israel wieder zu sammeln, sie wieder auf den Bergen
und in den Tälern des Landes wohnen zu lassen, 
– und die Rede Jesu nach dem Johannesevangelium: „Ich bin der gute Hirte, ich kenne die Meinen, und die Schafe hören meine Stimme ...“

Hört man genau hin, dann geht es in diesen Texten allerdings weniger um den Hirten als vielmehr: um die Schafe, oder genauer:
um uns, um uns Christen, die wir hier in St. Nikolai –
wie in vielen anderen Kirchen –  versammelt sind.
Heute werden wir einmal nicht als freie Christenmenschen,
als mündige Christen angesprochen, sondern als Schafe, als Herdentiere:
– im Plural, nicht im Singular,
– als Geführte und nicht etwa als Führungskräfte, wie es sonst in der Universität üblich ist.

Die Christen als Schafe – dieses Bild mutet uns zu,
das eigene Leben recht anders zu sehen,
als man das als Akademikerin oder als künftiger Akademiker
für gewöhnlich tut.

Die Christen, wir Christen als Schafe –
mit diesem Bild wird uns eine andere Perspektive auf unsere Lebensführung und unsere Lebensziele zugemutet –
und zwar, wenn ich recht sehe, in mindestens drei Hinsichten.
Das will ich mit Ihnen zunächst bedenken,
ehe wir uns – im zweiten Teil der Predigt – dem Predigttext für diesen Sonntag zuwenden.

Das erste Umdenken, die erste ungewohnte Perspektive
zeigt sich schon in dem Psalm 23.
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln ...“ –
ein Bekenntnis, bei Gott behütet und geborgen zu sein –
und zugleich ist das ja ein Bekenntnis dazu,
wie sehr, wie vielfältig diese Geborgenheit bedroht ist:

Wer den Psalm 23 betet, erinnert sich daran, spricht aus,
wie es ist, durch ein „finsteres Tal“ zu gehen,
wie oft man angewiesen auf Trost und auf Ermutigung.

Wer Psalm 23 betet, benennt die „Feinde“, in deren Angesicht, vor deren Augen man sich befindet – nicht immer mit einem gedeckten Tisch.

Meine Feinde: das sind nicht immer konkrete Menschen oder Gruppen.
Das können auch Ängste sein – vor dem Versagen, vor der Überforderung:
Ängste, die sich in Traumgesichtern verdichten, in bedrohlichen Bildern.

Wir sind bedroht – durch finstere, feindliche Mächte,
und dazu – wie Schafe eben – auch durch mangelnde Orientierung;
wir sind unsicher, wo der richtige Weg ist;
oft wissen wir nicht, welchen Wegweisern, welchen Stimmen wir vertrauen sollen.

Autonom, mündig, selbstbewusst –
das trifft unsere Lebenserfahrung doch nur zum Teil.
Immer gibt es auch eine andere Seite – die Angst, die Unsicherheit,
die Abhängigkeit von Stimmen und Stimmungen.

Diese Lebenserfahrung,
dieses Wissen darum, wie abhängig, wie unsicher, wie bedroht wir leben –
diese Erfahrung, so gerne wir sie beiseite schieben, ist im Bild des Hirten und der Schafe verdichtet.

Auch in einer weiteren Hinsicht erinnert uns das Bild von den Schafen
an eine Einsicht, die wir (die einen mehr, die anderen weniger) verdrängen. 

Wenn die Beterin in Psalm 23 bekennt
„Der Herr ist mein Hirte ... er weidet mich auf grüner Aue“,
dann wird ausgeblendet, dass das Schaf normalerweise nicht allein ist.

Die Gottesgläubigen, Juden und Christen als Schafe – das heißt auch:
wir sind Teil einer Herde: Herdenmenschen, Gruppentiere.

In unserer Gesellschaft, und daher auch in unserer Universität
wird uns zunächst eine andere Sicht vermittelt:
Wichtig bist Du als Einzelner – als Leistungsträger oder als Sozialfall,
als Erstsemester, als Stipendiat, als Doktorandin, als Verwaltungschef – stets wird gefragt, was Du zum Gelingen des Ganzen – des Studiums,
der Lehre wie der Forschung – beiträgst, oder eben nicht beiträgst.

Gewiss, die Forschung geschieht in Arbeitsgruppen und Kollegs;
im Studium ermuntern wir zur Gruppenarbeit, zum team building
aber am Ende, bei der Prüfung wie bei der Anstellung, der Berufung
wird mit jedem Einzelnen abgerechnet.
Das prägt unser Miteinander: akademisch wie gesellschaftlich.

Das Bild von den Schafen macht die andere Seite stark, die Seite der Herde
Wir sind aufeinander angewiesen – am Lehrstuhl wie in der Forschergruppe,
beim Übungsprotokoll wie in der Fachschaft.

Wenn die Arbeit sich vor allem am Schreibtisch vollzieht –
so ist es jedenfalls für Geisteswissenschaftler, auch Theologieprofessoren – dann muss man sich an diese andere Seite
immer wieder erinnern und erinnern lassen:

Wir leben nicht vereinzelt, wir lernen und arbeiten auch nicht als Einzelne und keineswegs nur auf eigene Rechnung.

Gemeinsames Suchen, einander Fragen und miteinander Finden –
das ist, oder das sollte im akademischen Leben mindestens ebenso wichtig sein wie das einsame Lernen.

Gemeinsames Suchen und Finden, einander Fragen und Anvertrauen,
sich zusammen Irren und einander Wiederfinden –
das ist im menschlichen Leben allemal wichtiger
als die individuelle Leistung, als der individuelle Erfolg.

Für viele mag das selbstverständlich sein.
Aber ich habe den Eindruck: Je höher man auf der Karriereleiter steigt,
je mehr man riskiert, je mehr man führen darf und führen muss –
um so mehr wächst die Gefahr, sich nur noch als Hirte, und eben nicht mehr sich als ein Schaf unter anderen Schafen zu sehen.

Allerdings, wenn wir uns in diesem Bild der Schafe wiedererkennen,
wenn wir uns – auch in der Kirche – als Herdentiere begreifen,
dann wird uns vom Evangelium dieses Sonntags noch ein weiterer,
ein dritter Blickwechsel zugemutet.
Denn da redet Jesus von „anderen Schafen,
die sind nicht aus meinem Stall, und auch sie muss ich herführen,
... und es wird eine Herde und ein Hirte werden.“

Von Anfang an hat die christliche Gemeinschaft es mit dieser Erfahrung zu tun: Zu den Gläubigen, zu den Schafen, die Jesus ihren Hirten nennen,
gehören nicht nur die, die sich immer schon kennen
und einander vertraut sind,

In der Gemeinde Jesu gibt es immer auch jene „Schafe aus einem anderen Stall“ – jüdische und heidnische Christen, östliche und westliche,
Altgläubige und Protestanten, Engagierte und Distanzierte.

Oft sind wir in der Kirche – und vielleicht auch in anderen Lebensgemeinschaften – vor allem mit dieser irritierenden Erfahrung beschäftigt:
Da sind welche, die kommen woanders her –
aus anderen Milieus, aus anderen Traditionen,
vertraut mit fremden Bildern, Liedern, Gewohnheiten.

Auch sie haben die Stimme Jesu gehört; auch sie zählen sich zu Jesu Herde – und sie leben doch so anders, und glauben auch ganz anders.
Auch darum geht es an diesem Hirtensonntag, an dem Sonntag der Schafe –  einander als Schafe zu erkennen,
einander als Schafe einer Herde anzuerkennen, unter einem Hirten.

Und nun hat die Weisheit der Kirche uns für diesen Sonntag
einen weiteren biblischen Text ans Herz gelegt:
Zwei Verse aus dem Schlusskapitel des Hebräerbriefs
sollen heute die Predigt grundieren. 
Diese Verse wollen die Botschaft des Hebräerbriefes zusammenfassen,
und sie summieren damit auch die Botschaft des ganzen Neuen Testaments. Es ist – so hat es ein Kommentator genannt –
eine ‚Kurzformel des Glaubens’, die uns hier zugerufen wird.

Wieder spielt das Bild von den Schafen eine Rolle – wenn auch in ein zunächst sehr fremden Sprache. Hören wir die beiden Verse aus Hebräer 13:

Der Gott des Friedens,
der den großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus Christus,
heraufgeführt hat von den Toten,
kraft des Blutes eines ewigen Gottesbundes –
der bereite euch zu allem Guten,
damit ihr seinen Willen tut,
indem er unter uns tue, was wohlgefällig ist vor ihm
durch Jesus Christus – dem sei Ehre in alle Ewigkeiten.

Eine solche ‚Kurzformel des Glaubens’ kann man nicht als Ganze predigen;
zu kondensiert ist diese Sprache, zu voraussetzungsvoll, auch zu fremd.
Die Vorstellung des Opferkultes, in dem Gott durch Blut versöhnt wird
und wo es wichtig ist, dass dieses Opfer „wohlgefällig“ ist –
das ist eine Bildwelt, zu der wir kaum noch Zugang haben.

Ich will von diesem kurzen, dichten Text daher nur drei Motive betrachten,
die das Bild vom Hirten und den Schafen noch etwas weiter entfalten.

Zunächst und vor allem wird hier klar,
was – oder besser: wer die Herde des „Großen Hirten“ zusammenhält:
der „Gott des Friedens“, des Shalom, wie es im Hebräischen heißt.
Shalom, Versöhnung, Friede
das ist die erste und wesentliche Gabe Gottes,
ja das ist in gewisser Weise sein Wesen: Frieden zu stiften, Frieden zu sein.

Wo in einer Familie, in Arbeits- und Lerngruppen,
auch in einer christlichen Gemeinde Menschen zusammenfinden,
obwohl sie einander fremd sind, obwohl sie sich immer wieder missverstehen, einander kränken und verletzen können –
wo diese Kräfte des Bösen die Menschen nicht auseinander bringen:
da wirkt der Gott des Friedens.

Wo eine Einzelne trotz aller Ängste, aller inneren Finsternis nicht verzweifelt, wo sie sich geborgen und behütet fühlt –
da wirkt der Gott des Friedens.

Und wo ein Bürgerkrieg nicht weiter eskaliert, wo die Gewalt durch Abkommen begrenzt wird,
wo Menschen – und sei es nur für einige Tage – einander zuhören,
wo sie ihre Gefangenen freilassen –
da wirkt, zerbrechlich und doch hoffnungsvoll, der Gott des Friedens.

Dieser Frieden ist zerbrechlich und gefährdet;
das erleben wir in diesen Wochen und Tagen sehr schmerzlich.

Um so wichtiger scheint mir ein zweites Motiv aus jener Kurzformel des Glaubens, die ich – etwas verkürzt – nochmals wiederhole:

Der Gott des Friedens,
der den großen Hirten der Schafe, unseren Herrn Jesus Christus,
heraufgeführt hat von den Toten ...
der bereite euch zu allem Guten,
damit ihr seinen Willen tut,
indem er unter uns tue, was ihm gefällt
durch Jesus Christus – dem sei Ehre in alle Ewigkeiten.

Gott, der Gott des Friedens ist der erste Akteur:
Er hat Jesus Christus von den Toten erweckt,
er wirkt hier und heute den Gottesfrieden „unter uns“,
unter seinen Schafen, unter allen Menschen.

Aber diese feierliche Zusage, dieser Friedensgruß zielt doch darauf,
dass wir etwas tun, dass die Christen handeln.  
Die Schafe sind hier nicht einfach passiv gedacht,
sondern sie sind fähig, das Gute zu tun – oder zu lassen;
sie müssen Entscheidungen fällen, große und kleine,
in denen der Friede Gottes Gestalt gewinnt.

Ob die Gemeinschaft am Lehrstuhl gelingt,
ob die Forschergruppe ihre Einsichten teilt,
ob eine Arbeitsgruppe die Schwächeren ermutigt,
ob man Freundschaften pflegt, auch wenn die Entfernung wächst –
das alles liegt auch in unserer Hand.

Gottes Friede geschieht ‚unter uns’, heißt es im Hebräerbrief.
Er geschieht nicht allein durch uns; aber er geschieht nie ohne uns:
nicht ohne unsere großen und kleinen Beiträge,
nicht ohne unsere Ideen, unsere Geduld,
unseren Willen, selbst das Gute zu tun.

Noch einmal anders gesagt:
Der große Hirte nimmt es uns nicht ab, unser eigenes Leben zu führen. 
Die Herde der Christen ist keine willenlose Masse,
sondern sie ist – als Ganze und in jeder Einzelnen – dafür verantwortlich,
dass Gottes Friede Gestalt gewinnt.

Noch eine dritte, eine letzte Einsicht entnehme ich
jener Kurzformel des Glaubens:
Die Herde des Großen Hirten befindet sich auf einem bestimmten Weg;
die Schafe, die die Stimme Jesu hören – sie sind unterwegs, sie sind
– um es mit dem Osterlied zu formulieren, das wir vorhin gesungen haben –
„mit Freuden zart“ auf einer „Fahrt“:
auf dem Weg in das neue, das ewige Leben.

Der Hirte der Schafe, Jesus Christus, ist von Gott aus dem Tod gerettet;
er ist von den Toten heraufgeführt worden in das Leben.
Das ist die Richtung, sozusagen die Laufrichtung, die nun, seit Ostern,
auch für die christliche Herde gilt:
Als Christen sind wir – seit unserer Taufe – auf dem Weg vom Tod zum Leben, aus der Gefangenschaft in die Freiheit der Kinder Gottes.

Auf diesem Weg gibt es Zwischenstationen:
Erfahrungen des Friedens, wechselseitige Ermutigung,
Momente gelingender Gemeinschaft auch und gerade unter Fremden.

Das sind Zwischenstationen, nicht mehr und nicht weniger.
Als Christen ist uns zugesagt:
In und unter diesen Erfahrungen des Friedens wirkt Gott,
der uns am Ende – wenn alles getan ist –
in seinen ewigen Frieden geleiten wird.

Amen.
 

Perikope
04.05.2014
13,20-21