Predigt zu Hebräer 13,12-14 von Peter Huschke
Liebe Gemeinde,
Sie haben es gehört. Es ist ein schwerer und ein anstößiger Text, der da zum Ende der Passionszeit uns zum Nachdenken über Jesu Leiden und Sterben anleiten und anregen soll.
Aber manchmal sind es ja gerade die beim ersten Zuhören fremden Worte, die einen weiter bringen und einen die Dinge wirklich noch einmal neu oder tiefer sehen lassen
Was bringt Jesu Leiden für uns?
Was verändert sich mit Jesu Leiden für unser Leben als Christinnen und Christen?
In ungewöhnlich unangenehmer Weise wird da vom Christsein und von der Bedeutung des Leidens Jesu im Hebräerbrief gesprochen. Es klingt beim ersten Hören blutrünstig, schwer verständlich und ziemlich weltabgewandt.
Deutlich ist:
Christ sein ist kein Zuckerschlecken. Es ist auch eine ernste und anstrengende Sache, Christ zu sein
Christen sollen raus gehen, dorthin, wo es auch weh tut. Ähnliches hat Papst Franziskus gesagt: Er hat seiner Kirche empfohlen, hinaus zu gehen, zu den Menschen am Rand der Gesellschaft.
Fast alle haben diese Weltoffenheit, diesen diakonischen Einsatz und diese Öffnung des Evangeliums für alle Menschen befürwortet.
Wenn es im Hebräerbrief mir selber gesagt wird, dass ich das Gewohnte, Vertraute und lieb Gewonnene verlassen soll, damit ich Menschen in den Blick bekomme, die mir fremd, unbekannt sind und deren Kennenlernen für mich unbequem werden könnte, bin ich oft erst einmal nicht ganz so begeistert.
Ich erahne aber, warum von Auslegern über den Hebräerbrief gesagt wird, dass der Hebräerbrief mit seiner „Aufforderung zur Heiligung“ an die Gemeindeglieder das Reden von Jesus Christus als unserem Hohenpriester zur Lebenshilfe machen will.
Den Ausgangspunkt zu dieser Lebenshilfe für den Alltag von Geheiligten finde ich dabei doch sehr beruhigend und auferbauend:
Jesu Leiden dient der Heiligung seines Volkes. Jesus leidet, damit wir als seine Menschen mit dem ganzen Auf und Ab unseres Lebens seine Heiligen werden und sein können.
Damit wir nicht mehr denken „weil ich das oder jenes falsch gemacht habe, weil mir dies oder das passiert ist, mag mich Gott nicht, bin ich Gott nicht wichtig“, muss Jesus ein ganzes Menschenleben mit allem Auf und Ab durchmachen. Jesus muss eben auch Leiden und Sterben erfahren, damit wir genauso Gottes Kinder sein können wie er selber.
So heißt es im Hebräerbrief.
V. 12
Jesu Leiden hat also etwas Besonderes aus uns gemacht. Jesu Leiden hat dazu geführt, dass wir etwas Besonderes sein dürfen und schon jetzt sein können: Wir sind als sein Volk geheiligt. So werden die Menschen erinnert, die den Hebräerbrief lesen.
Dass Jesus - so wie es das Volk Israel von einem Hohenpriester kennt - als Gottes Sohn für mich da ist, das kapiere ich noch leidlich. Das lasse ich mir gerne gesagt sein.
Dass das durch Blut geschieht, entspricht meinen Vorstellungen so gar nicht. Aber Karl May und viele aktuelle Filme arbeiten ja auch mit Blutsbrüderschaft oder anderen mir sehr blutig vorkommenden Ritualen, um zu verdeutlichen, wie wichtig Menschen füreinander sind.
Und beim Abendmahl lässt mich das gemeinsame Trinken aus dem einen Kelch zur Erinnerung an den Bund, den Jesus zwischen Gott und uns geschlossen hat, die Worte verstehen und ernstnehmen: Christi Blut, für Dich vergossen.
So kann ich dann auch den Satz für mich gelten lassen:
V. 12
So geheiligt von Jesus können wir seine Kirche sein. Gott hat für uns viel gemacht und er hat mit uns viel vor.
Deswegen ist Jesus hinaus vor das Tor hinein in unsere Welt gegangen. Jesus hat draußen vor dem Tor mitten in der Welt für seine Menschen gelitten.
Und genau dort will Jesus nun auch seine Menschen, mich eingeschlossen, sehen: draußen vor dem Tor mitten unter den Menschen in Gottes Schöpfung.
So heißt es nun im Blick auf uns Christinnen und Christen, die Jesus geheiligt hat und für die er gelitten hat:
V. 13
Außerhalb des Lagers ist der Platz von uns Christinnen und Christen.
Außerhalb des Lagers lebt die Kirche Jesu Christi als Gemeinschaft der Heiligen.
Außerhalb des Lagers lebten nach der Vorstellung des Volkes Israel die von Gott Entfernten. Dort meinten die Frommen, dass Gott nicht sei. Gott korrigiert diese Vorstellung, die uns ja auch nicht fremd ist. Jesus wurde in die Welt hineingeführt, damit keiner mehr draußen vor der Tür steht – auch ich nicht, wenn ich selber meine, eigentlich zu Recht draußen vor die Tür gestellt zu sein.
Wie Gott auch außerhalb des Lagers durch Jesus Christus Quartier genommen hat, so soll ich das auch tun. So soll auch die Kirche Jesu bei den Menschen in Gottes Schöpfung ihr Quartier suchen.
Was Gott für mich tut, soll, kann und darf ich, soll, kann und darf Kirche Jesu Christi nun auch tun und dabei Jesu Schmach tragen:
V. 13
Im Evangelium wurde das eben sehr anschaulich beschrieben, was es bedeutet, Jesu Schmach zu tragen.
Nicht mir dienen lassen, sondern selber dienen lautet die Anweisung an die Kirche Jesu Christi, an uns, die wir seit der Taufe als Gemeinschaft der Heiligen leben dürfen.
Ich kann hinausgehen und Schmach tragen. So lasse ich nicht mir dienen, sondern diene anderen.
Ich kann zu Verachteten und Verspotteten stehen.
Ich kann mich trennen von Dingen, die mir mal lieb und wert waren, mich aber jetzt eher an einem sinnvollen Lebenswandel hindern.
Ich kann mich ändern, auch wenn mich andere dafür auslachen.
Ich kann zu Schuld und Lügen stehen und mich ändern.
Ich kann gut über andere reden und nicht mit machen, wenn über sie hergezogen wird.
Es fällt mir da noch einiges ein, wenn es da im Hebräerbrief heißt: Wir sollen die Schmach Jesu tragen.
Das muss nicht gleich das Kreuz tragen sein. Sich wie Jesus mit Außenseitern zusammen zu setzen. Mit verachteten und verschmähten Menschen zusammen zu essen. Um Kranke keinen Bogen zu machen. Für Menschen einzutreten, die nicht aus diesem Land sind. Es gibt da wahrlich noch viele Möglichkeiten, Jesu Schmach zu tragen.
Und wieder leuchtet mir unmittelbar ein, warum es nützlich für unseren Alltag ist, dass Jesus für uns gelitten hat. Wir können so auch für andere leidensfähig werden.
Warum ich das kann, wird mir noch einmal mit einem Blick in Gottes Zukunft für mich verdeutlicht:
V. 14
Wir haben hier keine bleibende Stadt, wir können uns schon auf den Weg in die zukünftige Stadt Gottes für seine Heiligen machen.
Wiederum blitzt sie auf für mich: Die Freiheit, die Gott uns durch Jesu Leiden und Sterben schenken will.
Nichts kann mich festhalten.
Ich weiß doch, dass für meine Zukunft gesorgt ist.
Ich weiß, dass meine zukünftige Heimat bei Gott gesichert ist.
Ich bin doch durch Gott in Jesu Namen seit meiner Taufe geheiligt.
So kann ich mich jetzt hier auf den Weg machen und leben:
Ich kann rausgehen aus Gewohntem und Vertrautem.
Ich kann mit anderen geliebten Menschen etwas riskieren.
Ich kann damit leben, auch mal ausgelacht zu werden.
Ich kann auch mal anders leben, als das angeblich alle machen.
Das Leiden Jesu ändert mein Handeln und das Handeln der Kirche.
Diese Freiheit und Lockerheit, die Gott seinen Heiligen durch Jesus Christus schenken will, wird in den Versen nach unserem Predigttext treffend auf den Punkt gebracht:
V. 15f
Gott opfert sich in seinem Sohn und dessen Leiden für mich. Er tut alles für mich: Ich darf in der Gemeinschaft seiner Heiligen als Kirche Jesu Christi leben Meine Zukunft ist gesichert, damit ich mich voll auf die Gegenwart konzentrieren kann. Damit kann ich dann im Sinne des Hebräerbriefes Gott mit meinen Lippen loben, Gutes tun und mit anderen teilen.
Dank Jesu Leiden und Sterben und der darauf folgenden Auferstehung in die zukünftige Stadt Gottes für ihn und für uns schenkt mir Gott dafür die notwendige Lockerheit, Freiheit und Sicherheit.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahrt so unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen
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Ortskunde des Glaubens - Predigt zu Hebräer 13,11-14 von Martin Weeber.
Ortskunde des Glaubens
Auf eine höchst eigenwillige Weise deutet der Hebräerbrief den Tod Jesu am Kreuz: Jesus ist der Hohepriester, der sich selbst als Opfer darbringt. Man kann diese Anschauungsweise wohl nur richtig würdigen, wenn man sich auskennt mit den entsprechenden Opfervorstellungen des Alten Testaments. Aber wer von uns kennt sich damit schon so aus, dass die zuständigen Experten ihm bescheinigen würden: „Ja, Du hast alles richtig verstanden.“
Für die meisten von uns mag es genügen, dass der Verfasser des Hebräerbriefs sich einer Aufgabe stellt, der wir uns alle stellen müssen: Wir kommen nicht daran vorbei, dass wir uns Gedanken machen darüber, wie wir mit dem Kreuzestod Jesu zurechtkommen. Der Autor des Hebräerbriefs bietet jedenfalls in vorbildlicher Weise all seinen Scharfsinn auf, um die Rätselfrage zu beantworten, worin der Sinn des Kreuzestodes Jesu liegen soll. Und er entfaltet seine Antwort auf eine Weise, die viele nachdenkenswerte Aspekte in sich trägt. Unter anderem entwickelt er auch eine religiöse Topografie, eine Ortskunde des Glaubens:
11 Denn die Leiber der Tiere, deren Blut durch den Hohenpriester als Sündopfer in das Heilige getragen wird, werden außerhalb des Lagers verbrannt.
12 Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.
14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Hebräer 13, 11-14
Draußen vor dem Tor, außerhalb des Lagers, in Distanz zur gegenwärtigen Stadt, auf der Suche nach der zukünftigen Stadt.
Auf eine raffinierte Weise blendet unser Predigttext Zeiten und Orte übereinander:
Das Lager verweist auf den Zug der Israeliten durch die Wüste: die Vergangenheit.
Die Stadt, vor deren Toren Jesus gekreuzigt wird – Jerusalem: die ganz kurz zurückliegende Vergangenheit, ja fast noch die Gegenwart, so frisch ist die Erinnerung an die Kreuzigung noch im Gedächtnis.
Und schließlich die Stadt, die wir suchen, in der wir noch nicht sind: die Zukunft.
Die religiöse Ortskunde wird unterlegt mit einer religiösen Zeitenkunde.
Und damit wird klar, dass der Glaube es immer zu tun hat mit unserer Stellung in der Welt:
Alles, was geschieht, geschieht zu einer bestimmten Zeit.
Alles, was geschieht, geschieht an einem bestimmten Ort.
Lasst uns in Gedanken die Orte abschreiten, an die der Predigttext uns führt.
Er führt uns hinaus zu den Toren der Stadt. Für uns Heutige mag das eine verlockende Vorstellung sein: Die Enge der Stadt zu verlassen und uns in freier Natur zu ergehen:
Und frische Nahrung, neues Blut
saug' ich aus freier Welt;
wie ist Natur so hold und gut,
die mich am Busen hält!
(Goethe, Auf dem See)
So sehen das viele heute. Sie suchen in der freien Natur, draußen vor dem Tor, ihre Erholung, und manche versichern einem, dass sie dort auch ihre Erbauung finden.
Für die Menschen der biblischen Zeit war das alles ganz anders.
Für die Menschen der biblischen Zeit waren die Gegenden vor den Toren der Stadt bedrohliche Gegenden.
Vor der Stadt beginnt die Wüste, und in der Wüste hausen die Dämonen.
Niemand verbringt freiwillig eine Nacht vor den Toren der Stadt oder außerhalb des Zeltlagers.
Eine schreckliche Vorstellung: Nach Einbruch der Dunkelheit nicht geborgen zu sein in den Mauern der Stadt, oder doch wenigstens im Bezirk des Nomadenlagers.
Wer vor der Stadt sich aufhält, der ist ausgestoßen.
Der Bezirk vor den Toren der Stadt ist ein gefährlicher Ort, ein bedrohlicher Ort – und ein unreiner Ort, ein religiös unreiner Ort.
Welch‘ ein Schauder für die damaligen Menschen ausgegangen sein muss von Orten, die sie für religiös unrein gehalten haben: Das können wir uns kaum noch vorstellen.
Draußen vor der Tür:
Das ist ein ganz schlechter Ort.
Es ist demütigend, vor die Tür gesetzt zu werden.
An einem unreinen Ort stirbt Jesus.
Nicht in der Stadt und schon gar nicht im Tempel, nicht im heiligen Bezirk.
Jesus stirbt als ein Ausgestoßener.
Aber dieser ausgestoßene Jesus ist für uns als Christen der Erlöser.
Er ist der, in dem Gott gegenwärtig ist.
Am Ort der Unreinheit ist Gott gegenwärtig.
Damit wird ein neues Kapitel im Buch der religiösen Ortskunde aufgeschlagen.
Seit Anbeginn der Geschichte halten Menschen bestimmte Orte für heilige Orte.
Sie errichten dort Altäre und Tempel.
Seit Jesu Tod am Kreuz, draußen vor dem Tor, am Ort der Unreinheit, hat sich für uns als Christen die Lage verändert.
Am Ort der Unreinheit ist Gott gegenwärtig.
Gerade da, wo das Leben bedroht ist, ist Gott gegenwärtig.
Gerade da, wo Menschen leiden, ist Gott gegenwärtig.
Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen in der Ortskunde des Glaubens:
„Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.“
Draußen vor dem Tor, da, wo niemand in den alten Zeiten gerne hingegangen ist: Dort ist Gott gegenwärtig.
Und dorthin schickt uns nun der biblische Text, über den wir heute nachdenken:
13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.
Wir Menschen sind soziale Lebewesen. Wir brauchen die Gesellschaft von unseresgleichen. So, wie die Wanderhirten in der Wüste die Geborgenheit des Zeltlagers brauchen, so brauchen wir die Geborgenheit des Dorfes oder der Stadt. Auch wenn wir zeitenweise unsere Ruhe genießen und hin und wieder ganz gerne alleine sind: Grundsätzlich tut uns die Gemeinschaft mit den anderen Menschen gut, und deshalb üben Städte, jedenfalls überschaubare Städte, eine große Faszination auf Menschen aus.
Unser Predigttext aber ruft uns heraus aus der vertrauten Umgebung der Vielen. Er ruft uns an den Ort der Schmach.
So ist das, wenn wir uns aufmachen zu Jesus: Wir geraten dahin, wo Menschen nicht gerne hingehen: An den Ort der Schmach, der Schande.
Schmach ist das Gegenteil von Ruhm und von Ehre.
Geschmäht zu werden: Darauf ist niemand wirklich scharf.
Wer geht schon gerne dahin, wo ihn Schmach und Schande erwarten?
Wie haben die Menschen damals wohl reagiert, als sie dazu aufgefordert wurden, das Lager, die Stadt zu verlassen, hinauszugehen vor das Tor?
Ganz so leicht haben sie sich damit wohl nicht getan.
Wer kündigt schon gerne die vertraute Gemeinschaft seiner Stadt auf?
Wer verzichtet schon gerne auf das schöne und bergende Gefühl, dazuzugehören?
Wie schrecklich fühlt sich der Gang durch das Tor an, hinaus auf das Feld der Schande.
Aber wie schnell kann das auch gehen: Dass man nicht mehr dazugehört.
Dass man sich ausgeschlossen fühlt.
Wie schnell kann man hinausgeraten in die grauenvollen Wüsten:
Krankheit, Erfolglosigkeit, ein Unfall.
Und schon gehören wir nicht mehr dazu.
Schon sind auch wir draußen vor dem Tor.
Der Hebräerbrief hält auf seine Weise die Erinnerung daran wach, dass wir als Christen nicht einfach völlig unproblematisch dazugehören – zu unserer Zeit, zu unserer Gesellschaft, zu unserer Stadt.
Es wäre freilich zu dramatisch, wenn wir uns als Fremdlinge in unserer Zeit und an unseren Orten auffassen würden.
Dazu sind wir dann doch viel zu sehr integriert.
Wir werden als Christen, jedenfalls derzeit und hierzulande, nicht geschmäht oder beschimpft oder verachtet – allenfalls belächelt oder ein wenig verspottet.
Die Christen zur Zeit des Hebräerbriefs waren damals ganz anderen Zumutungen ausgesetzt.
Ihnen wurde in sehr vielen Situationen sehr deutlich gesagt und gezeigt, dass sie nicht mehr dazugehören:
„Euer Ort ist nicht mehr bei uns.“
„In unserer Stadt seid Ihr von nun an Fremde.“
Die meisten von ihnen haben diese Abweisung auf Respekt gebietende Weise ertragen.
Vieles hat sich seit den damaligen Zeiten getan und verändert.
Aber geblieben ist die Erinnerung daran, dass wir als Christen zwar in Solidarität mit unserer Welt leben, aber doch auch in einer gewissen inneren Distanz zu ihr.
Wir finden unsere letzte Lebenserfüllung nicht in den Zusammenhängen der Stadt, nicht in den Zusammenhängen des Sozialen.
Wir leben an den gleichen Orten, in den gleichen Städten wie alle anderen auch.
Aber wir wissen, dass wir in den Zusammenhängen der Stadt und des Staates nicht völlig aufgehen.
Wir schauen deshalb immer auch mit einer gewissen inneren Distanz auf das Leben in unserer Stadt.
Und es tut unserer Stadt gut, dass Menschen in ihr leben, die wissen:
Es gibt auch ein Leben jenseits dieser Stadt.
Wir teilen die Gegenwart mit allen anderen – aber wir sind ausgerichtet auf eine Zukunft, die jenseits unserer Gegenwartshorizonte liegt.
Wir tragen als Christen die Sehnsucht nach einer zukünftigen Stadt in uns:
14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Wir wollten in Gedanken die Orte abschreiten, an die der Predigttext uns führt:
Die Stadt, die wir kennen. Den Weg durch das Tor. Den schrecklichen Ort draußen vor dem Tor. Solche Orte und Wege können wir uns vorstellen. Wir kennen sie teils aus eigener Erfahrung.
Den Weg zum letzten Ort uns vorzustellen: Das überfordert unsere Einbildungskraft, unsere Fantasie.
Das gehört auch zur christlichen Ortskunde:
Dass wir eine Sehnsucht in uns haben nach einer Stadt, die noch keiner von uns mit eigenen Augen gesehen hat.
Wir leben in der Gegenwart in der gleichen Stadt, in der alle anderen auch leben.
Gleiche Sorgen, gleiche Nöte wie alle anderen auch.
Aber für die Zukunft erwarten wir unsere Seligkeit in einer Stadt, die frei ist von Sorgen, von Nöten, von Krankheit, von Leid, von Tränen.
Jener eine, den sie draußen vor dem Tor umgebracht haben – er hat den Weg erkundet und frei gemacht, der zu jener zukünftigen Stadt führt.
Dieser Weg beginnt am Ort der tiefsten Schmach.
Dieser Weg führt durch den Tod hindurch.
Diesen Weg findet keiner, der nicht bereit ist, die Tore der vertrauten Stadt hinter sich zu lassen.
Die zukünftige Stadt: Von ihr handelt das letzte Kapitel der christlichen Ortskunde.
Wir dürfen darauf gespannt sein.
Amen.
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Predigt zu Hebräer 13,12-14 von Rainer Kopisch
Liebe Gemeinde!
Es ist kein Geheimnis, dass unsere christliche Tradition und die Gestaltung unseres Glaubenslebens in der Kirche maßgeblich auch von der Tradition des Volkes Israel bestimmt ist. Jesus war in der Tradition des Judentums aufgewachsen und selbstverständlich darin zuhause.
Wenn wir Christen am Gründonnerstag die Einsetzung des heiligen Abendmahl durch Jesus feiern, verstehen wir das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern im Zusammenhang mit der Feier des Passahmahles. Wir erinnern uns: Die zehnte Plage über Ägypten, dass alle Erstgeburt von Mensch und Vieh in der nächsten Nacht sterben wird, war angesagt. Den Israeliten wurde befohlen, sich in den Häusern zu versammeln und in der Nacht als Hausgemeinschaft ein Lamm zu essen, dessen Blut zuvor auf die Türrahmen der Eingangstüren gestrichen werden sollte.
Das Blut des Lammes hat das Volk Israel geschützt und alle Erstgeburt vor dem Tod bewahrt. Daraus ist die Tradition des Passahlammes entstanden.
Das Blut, das vor dem Tod bewahrt, hat die christliche Glaubensentwicklung mit einer anderen Tradition des Volkes Israel, der des Versöhnungstages (3.Mose 16,29-34), im Zusammenhang gesehen. Der Hebräerbrief ist ein Beispiel dafür.
„Jesus hat, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.“
Dieser Satz ist eine Glaubensvergegenwärtigung und auch eine Einladung, uns das Kreuzigungsgeschehen vor den Toren der Stadt Jerusalem mit unserem inneren Auge anzuschauen.
Für wie wichtig dieses Sehen auf den gekreuzigten Jesus in der christlichen Tradition wurde, zeigen die Kruzifixe und Kreuze in unseren Kirchen.
Mit diesen Kruzifixen und Kreuzen verbinden wir den Glauben: für uns gestorben.
Wenn wir die ganze Bedeutung Jesu erfassen wollen, ergänzen wir zu: für uns gelebt und für uns gestorben.
Damit haben wir uns aus der jüdischen Tradition gelöst und benennen den zentralen christlichen Gedanken unseres Glaubens.
„So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.“
Dem Schreiber des Hebräerbriefes ist es wichtig, uns aus dem vertrauten Kreis unserer gedanklichen Glaubensvorstellungen herauszuführen auf die Ebene des Erlebens.
Hier sind wir weit weg von Kriterien und Argumenten eher unseren Gefühlen ausgeliefert.
Auf der Ebene des Verstandes hören wir das Wort Schmach.
Schmach bedeutet etwas, das als schwere Kränkung, Schande oder Demütigung empfunden wird.
Jesus erleidet draußen vor dem Tor die schlimmste Strafe, die für einen Verbrecher vorgesehen ist, der sich außerhalb der Gesellschaft gestellt hat.
Um die Lage Jesu zu verstehen, können wir die Ereignisse der Passionsgeschichte vor unserem inneren Auge ablaufen lassen. Wir werden das Geschehene mehr oder weniger verständnisvoll zur Kenntnis zu nehmen. Uns werden Bewertungen und Beurteilungen einfallen wie: schrecklich, grausam oder welch schlimmes Leiden.
Wir bleiben dabei distanziert vom Geschehen und wissen: wir selbst sind nicht betroffen, auch wenn wir im Hinterkopf vielleicht die wichtigen Worte „für euch“ haben.
Der Schreiber des Hebräerbriefes will bei seinen Lesern mehr als dieses distanzierte Betrachten hervorrufen.
Er weiß, dass wir Christen eine existenzielle Verbindung mit Jesus brauchen, um ihm wirklich durch den Tod in die Auferstehung folgen zu können.
Eine solche existenzielle Verbindung umfasst mehr als nur den Verstand und einen Entschluss zu glauben, was uns in der Form christlicher Glaubensbekenntnisse von Menschen überliefert ist, die weit vor uns in dieser Welt als Christen gelebt haben.
Diese Verbindung beinhaltet totales Vertrauen und eine Überlassung des eigenen Wollens mit allen Fasern unseres eigenen Strebens. Natürlich schließt diese Verbindung auch unsere tiefsten Gefühle ein.
Das Erleben, das dann möglich wird, führt uns am Ende zu einem tiefen Frieden, einem grenzenlosen Vertrauen und einer wärmenden Geborgenheit.
Wir kommen dabei in Bereiche unserer Erlebens, die mit Worten nicht mehr zu vermitteln sind.
Wenn Menschen solche Erlebnisse zu beschreiben versuchen, sind es oft Bilder und Vergleiche, die eine Richtung angeben oder eine Spur legen.
Menschen, die sich um die Darstellung der Wahrheit des Erlebten bemühen, machen oft Glaubensaussagen: Gott oder Jesus ist die Liebe. Gott ist barmherzig. Gott oder Jesus liebt mich.
In unserem Falle, Jesus in seinem Leiden und seiner Schmach nahe zu kommen, oder sie sogar zu tragen, kann es zu einer unmittelbaren Einsicht kommen: Das hat mit mir zu tun, weil ich es ganz persönlich ganz tief und umfassend erlebe, dass ich mit Jesus verbunden bin.
Zur Vorbereitung dieser Predigt habe ich in unserer Bibliodrama-Gruppe unter der Leitung eines Kollegen versucht, den Predigttext als Grundlage der Arbeit einzubringen. Wir haben uns schließlich auf die Gethsemane-Geschichte geeinigt. Jesus geht mit seinen Jüngern in den Garten Gethsemane, um sich dort zum Gebet zurückzuziehen. Das Ringen Jesu im Gebet um seine Bestimmung wird zum zentralen Ereignis. Die drei Jünger, die er gebeten hat, in der Nähe zu wachen, schlafen immer wieder ein. Dreimal betet Jesus. Der Mann, der die Rolle Jesu im Bibliodrama übernimmt, schildert danach sein Erleben: Tiefe Trauer hat ihn ergriffen. Er hatte ein Gefühl, als würde er in einem Meer von Trauer gegen das Versinken kämpfen. Dabei hat er die Worte „nicht mein sondern dein Wille geschehe“ wiederholt immer wieder beschwörend gesprochen.
Die Unterbrechungen dieses Ringens durch den zweimaligen Kontakt mit den eingeschlafenen Jüngern erlebt er als Pausen zum Kraftschöpfen.
Im dritten Anlauf des Gebetsringens taucht das Thema loslassen auf.
Er fühlt das Loslassen im Geschehen zunehmend als Befreiung von der Notwendigkeit, im Meer der Tränen gegen die Kraft ankämpfen zu müssen, die ihn herabzog.
Mit dem Loslassen verschwindet auch das Bestreben, am eigenen Willen festhalten zu wollen und auch das Meer der Trauer verschwindet. Es kommt das Gefühl, fest auf eigenen Beinen zu stehen.
Am Ende wird der Wille ganz klar und deutlich, den Weg gehen zu wollen, der dem Willen und der Führung Gottes entspricht.
Im weiteren Geschehen des Bibliodramas kommt ein Jüngerin ganz nah an Jesu Seite und sagt leise: „Ich habe Angst.“ Jesus antwortete: „Ja, ich auch...“ und legt seinen Arm um sie.
„Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Es gehört zu den Grundwahrheiten, die jeder Mensch erfährt:
Unser Leben ist durch Tod und Sterben begrenzt, Angst ist unser ständiger Begleiter, um uns auf Gefahren aufmerksam zu machen.
Unser Verstand versucht, die Grenze des Todes zu bedenken und stößt immer wieder auf das Gefühl der Angst, die in dieses Leben gehört, weil sie mit dem Tod zusammenhängt.
Gott sei Dank haben wir Jesus.
Er sagte zu seiner Jüngern: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Joh 16,33)
Die Angst vor dem Tod wird uns immer wieder begegnen, wenn unser Leben bedroht wird.
Den Weg durch Angst und Tod weist Jesus: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh. 14, 6)
Die Theologin Petra Steinmair-Pösel hat zu diesem Jesuswort eine menschliche Antwort gefunden. Sie hat es erlaubt, ihren Text in diese Predigt aufzunehmen:
in den sackgassen
den auswegslosen stunden
am rande des abgrunds
sei DU mein WEG
in der verwirrung
gefangen inmitten von täuschung und betrug
wenn ich mich selbst nicht mehr kenne
sei DU meine WAHRHEIT
wenn alles aus scheint
menschen sich abwenden
und mörderischer konflikt meine tage vergiftet
sei DU mein LEBEN
dann kann
dann will
dann darf ich leben
Im Angesicht des Todes selbst sind für mich die letzten beiden Verse aus dem Passionslied Paul Gerhards „O Haupt voll Blut und Wunden“ ganz tief tröstlich:
Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir.
Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann dafür.
Wenn mir am aller engsten wird um das Herze sein,
so reißt mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.
Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod,
und laß mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll
dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.
Amen
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Draußen bei dem Sterbenden ist das Leben - Predigt zu Hebräer 13,11-13 von Christine Hubka
(Gottesdienst in der JA Wien Josefstadt)
Draußen beim dem Sterbenden ist das Leben
Die Leiber der Tiere, deren Blut durch den Hohenpriester als Sündopfer in das Heilige getragen wird, werden außerhalb des Lagers verbrannt.
Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.
Heb 13, 11 – 13
Zwei mal kommt das Wort Blut
in diesem Abschnitt vor.
Wie sonst auch häufig in der Bibel,
steht Blut hier für Leben.
Die zwei Bilder,
die uns gezeigt werden,
sind also keine blutigen Bilder.
Sie erzählen beide vom Leben:
Das erste Bild ist archaisch:
Ein Priester opfert im Tempel Tiere.
Menschen stehen dabei.
Sie feiern das Leben.
Während ein anderes Lebewesen stirbt.
Die Reste der geopferten Tiere
werden vor die Tore der Stadt getragen.
Dort werden sie verbrannt.
Denn die Berührung der toten Leiber
würde unrein machen.
Wer unrein ist,
kann nicht so ohne weiteres
an der Gemeinschaft und am Leben
drinnen in der Stadt teilnehmen.
Das Bild sagt:
Der Tod macht unrein.
Wer mit dem Tod in Berührung kommt,
fällt aus der Gemeinschaft der Lebenden heraus.
Über dieses erste Bild
ist ein zweites gelegt:
Es zeigt den sterbenden Jesus am Kreuz.
Aber das vertraute Bild ist verfremdet.
Anders als bei der Passionsgeschichte
ist Jesus allein,
draußen vor dem Tor,
während drinnen in der Stadt
die Menschen das Passahfest feiern.
Sie feiern die Erinnerung,
dass der Tod an ihnen vorbei gegangen ist.
Damals in Ägypten.
Das Bild sagt:
Der Tod macht unendlich einsam.
Beide Bilder zusammen
erzählen noch etwas anderes:
Dort wo Menschen leben,
gibt es ein Drinnen und ein Draußen.
In diesem Drinnen und Draußen
geschehen die Dinge gleichzeitig:
Drinnen in der Stadt die vielfältigen Angebote,
die Freizeit zu genießen.
Das Leben auszukosten.
Und draußen vor den Toren der Stadt
der Zentralfriedhof.
In den Kinos wird der Film nicht unterbrochen,
wenn draußen am Zentralfriedhof
ein neues Grab geöffnet wird.
Drinnen in der City Häuser für Kultur und Kunst:
Theater, Oper, das Konzerthaus, Museen.
Und draußen vor dem Tor –
am Steinhof, dem ehemaligen Spiegelgrund,
Pavillions für psychisch kranke Menschen.
Wenn dort draußen ein neuer Kranker eingeliefert wird, unterbricht die Führerin im Museum drinnen
ihre Rede nicht.
Auch die Kirche steht mitten in der Stadt.
Sie ist ein ganz besonderer Drinnen – Raum:
Ein Stunde lang, kann hier drinnen
jeder sicher sein,
dass niemand etwas fordert.
Eine Stunde lang herrscht Friede.
Auch zwischen denen,
die sich draußen nur schwer ertragen.
Oder offen bekämpfen.
Zum Zeichen des Friedens.
haben im Mittelalter die Ritter
auch in kriegerischer Zeit
ihre Helme in der Kirche abgenommen.
Die in die Kirche kommen,
die ins Kino gehen,
ins Konzert, in die Kunsthalle,
haben eines auf jeden Fall gemeinsam:
Sie lieben das Leben.
Und sie fürchten den Tod.
Sie alle wissen:
Der Tod macht einsam.
Der Tod macht unrein.
Wer es schon mit dem Tod zu tun bekommen hat, kann erzählen,
dass Freunde und Bekannte sich zurück ziehen.
Kontakte schlafen ein.
Verlegenheit breitet sich aus
unter den Fröhlichen und Gesunden,
wenn Todkranke und Trauernde in der Nähe sind.
So, als wäre die Nähe zu ihnen gefährlich.
Ansteckend.
Als wären sie in einem Sog,
der alle mitreißt, die ihnen nahe kommen.
Ein Sog, der hinaus treibt vor das Tor.
Und ich höre die Botschaft des Bibelwortes:
Alle, die auf ihre Weise drinnen das Leben feiern,
sind in Gefahr, dem Tod zu dienen.
Sie dienen dem Tod,
wenn sie tun, was möglich ist,
um ihn draußen zu lassen:
Draußen aus den Gedanken.
Draußen aus den Gesprächen.
Draußen vor dem Tor.
Denn dann wird der Tod
mehr und mehr die Macht,
die alles beherrscht.
Und ich höre die Frage des Bibelwortes:
Sage mir, was du fürchtest.
Sage mir, was du nach Kräften draußen lässt.
Sage mir, was drinnen bei dir keinen Platz bekommt.
Wenn du es mir sagst,
wirst du mir von deinem Gott erzählen.
Wer von euch für die Konfirmation
Luthers Erklärungen zu den 10 Geboten auswendig gelernt hat,
kann sich vielleicht noch
an die Erklärung zum ersten Gebot erinnern:
Wir sollen Gott über alle Dinge
fürchten, lieben und vertrauen.
Sage mir, wen du fürchtest,
und du wirst mir von deinem Gott erzählen.
Fürchtest du, dass der Tod kommt?
Oder fürchtest du,
dass Gott nicht da ist,
wenn der Tod kommt?
Die Furcht vor dem Tod
bekommt die Antwort:
„Er kommt gewiss.“
Die Furcht, dass Gott nicht da ist,
wenn der Tod kommt,
bekommt draußen vor dem Tor
ein Bild gezeigt:
Den sterbenden Jesus,
der sein Leben in Gottes Hand zurück gibt.
Denn Gott ist da.
Da, wo die Einsamkeit unendlich groß wird.
Da, wo die Gemeinschaft
der Fröhlichen und Gesunden
nicht mehr trägt.
So lasst uns nun zu ihm hinausgehen...
Ein Angebot ist es.
Eine Einladung.
Am Ende jedes Gottesdienstes hört ihr sie aufs neue:
Geht!
Geht hinaus!
Ite, ecclesia missa est,
hat die Alte Kirche gesagt.
Geht, die Versammlung ist entlassen.
Geht hinaus aus der Sicherheit und dem Frieden,
der euch hier eine Stunde lang gegeben wurde!
So wichtig ist dieses hinausgehen,
dass der Gottesdienst der Alten Kirche
daher seinen Namen bekommen hat:
Die Messe – die hinausgeschickte Versammlung.
So lasst uns nun zu ihm hinausgehen...
Nicht nur in diesem geschützten Drinnen – Raum
Unserer Kirche werden wir Gott begegnen.
Auch draußen –
Ganz weit draußen.
Denn Jesus ist draußen vor dem Tor gestorben.
Und Gott war bei ihm.
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Leben im Schein oder Leben im Wort - Das Beispiel Abrahams. Predigt zu Hebräer 11,8–10 von Ulrich Kappes
Leben im Schein oder Leben im Wort - Das Beispiel Abrahams
Der Philosoph Platon verfasste ein Gleichnis, das vielen aus der Schulzeit bekannt ist. Menschen befinden sich in einer Höhle, in die seitlich von oben Licht scheint. Von hier aus werden Figuren auf die Höhlenwand projiziert. Pflanzen, Tiere, Gegenstände und was auch immer. Die Menschen in der Höhle haben nur diese ihre Höhle und sie meinen, die Gestalten auf ihrer Höhlenwand seien lebendige Gestalten, die es zu betrachten und beurteilen gelte.
Wie vor einer Kinoleinwand schauen sie gebannt auf die Bilder.
Einer von ihnen wird aus der Höhle befreit. Wie in einem Kinogang geht er Schritt für Schritt nach draußen, während die anderen ihren „Film“ sehen. Er ist geblendet und es dauert einige Zeit, bis seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen die Welt außerhalb der Höhle wahrnehmen. Er sieht eine einzigartige Ordnung und Schönheit, die in keinem Verhältnis zu den Schattenbildern unten steht.
Als er in die Höhle zurückkehrt, glaubt man ihm kein Wort. Er wird beschimpft und verunglimpft. ‚Du hast geträumt. Du erzählst Märchen. Du bist von Sinnen.’ I1I
Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat die Metapher von den „Maulwurfsaugen“ geprägt. Auf einer bestimmten Stufe des Erkennens gäbe es nur diese. I2I
Man mag fragen, ob eine Lebensform, die wesentlich geprägt und bestimmt wird von einem Blick auf einen Screen, einem Bildschirm, und weniger von der realen Welt, unter uns heute eine Abwegigkeit ist. Wie viel an Meinung und Urteil geht von der ‚Fernsehwand’ in unser Denken und Fühlen ein?
Jeder Gottesdienst ist eine Einladung, die Bilder und Werte und Maßstäbe, die wir von unserem Bildschirm erhalten, hinter sich zu lassen. Es gilt, mit dem Evangelium die Logik des Gewohnten zu durchbrechen und – anders als mit weltlichen Augen – die Gestalten der Heiligen Schrift zu sehen und in sich aufzunehmen. Wir werden in die Entscheidung gestellt, das, was viele allgemein gültig nennen, zu übernehmen oder heraus zu treten und mit unseren Vätern und Müttern im Glauben die Gestalten der Schrift als normativ anzunehmen.
Es geht heute um Abraham, darum, Abraham so zu sehen, dass er uns Hilfe und Halt für die kommende Woche ist. „Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam … Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen …“
Die Betrachtung der Gestalt Abrahams heute morgen ist eine Erinnerung daran, was Glauben ist. Natürlich nicht umfassend und erschöpfend, wohl aber in einigen Grundlinien.
Abraham wohnte in der mesopotamischen Stadt Haran. Hier hatte sein Vater Terach einst ein Haus gebaut, nachdem er die Stadt Ur in Chaldäa verlassen hatte. (Gn 11,31) Haran war Abrahams Vaterstadt und das fruchtbare Kulturland Mesopotamien war sein Vaterland. Seine Verwandten waren Bewohner Harans. Das Grab seines Vaters war hier.
„Geh heraus aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“ (Gn 12,1) Da ist Gott und da ist Abraham. Was Glauben ist, worin uns Abraham eine Lichtgestalt des Glaubens ist, wird im Folgenden deutlich.
Zunächst:
Warum gab Abraham alles auf? Warum protestierte er nicht, stellte keine Rückfragen, wohin er denn nun eigentlich gehen soll?
Darüber ist viel gerätselt worden. Jüdische Ausleger haben z. B. gemeint, dass Abraham sowieso aus Haran weggehen wollte, weil er als Anhänger des einzigen und wahren Gottesglaubens, als Monotheist, nicht mehr in einer Stadt der vielen Götter leben wollte. I3I
Warum gab Abraham alles auf?
Man kann es so erklären, dass Abraham ein Mann des Gottvertrauens war und fest darauf vertraute, dass Gott ihm schon beistehen und alles gut gehen würde.
Die Schrift sagt weder das Eine noch das Andere. Es fehlt jede Bemerkung, die uns Abrahams Verhalten plausibel macht.
Ich meine nun, dass gerade das Weggelassene und Nicht-Gesagte seine eigene Sprache hat.
Gott spricht und Abraham geht.
Was ist Glaube? Blicken wir auf Abraham, so ist Glaube eine Bereitschaft sich unter Gottes Willen zu beugen. ‚Es ist so, wie Gott es fügt, uns so nehme ich es an und werde sehen, wie ich damit leben kann.’
Wir wollen eine zweite Eigenschaft von Glauben ermitteln. I4I Sie hängt unmittelbar mit der ersten zusammen, verdeutlicht sie aber noch.
Abraham ist Gott gehorsam. Das ist eine Entscheidung vermutlich gegen seine Familie, gegen den Einspruch der Freunde. Es ist eine Entscheidung gegen den Einspruch der Vernunft. Wie soll das gehen? In deinem Alter und mit deiner Sesshaftigkeit?
Dieses Sich - Entscheiden wird sich ungezählte Male in seinem weiteren Leben wiederholen. Er trennte sich von Lot, um Streitereien zwischen dessen und seinen Hirten zu vermeiden. Er geht zu dem Priester Melchisedek, der ihn segnet und er geht den schwersten Gang seines Lebens, um Gott den einzigen Sohn Isaak zu opfern.
Im Glauben leben heißt Sich – Entscheiden, permanent sich entscheiden. Man kann geradezu sagen: Im Glauben leben, heißt, in der Entscheidung zu stehen.
Neutralität, Abwarten, Nichts-Machen das geht nicht.
Wir müssen als Drittes an der Gestalt Abrahams hervor heben, was ihn über den Alten Bund hinaus hebt und – nicht nur in unserem Predigttext – zu einer Symbolfigur für „Glauben“ nicht nur im Hebräerbrief, sondern im ganzen Neuen Testament macht.
Das Alte Testament gebraucht das Wort „glauben“ nur wenig. Der Sache nach heißt dies „Gott gehorsam sein“, „Gottes Gebote halten“, den „Bund bewahren“. Das wird nicht selten mit dem Hinweis auf Gottes große Taten begründet, die es dem Volk eigentlich leicht machen sollten, zu Gott zu gehören. ‚Denkt an das Wunder des Schilfmeeres … denkt daran, wie er die Väter in der Wüste mit Wachteln und Manna ernährte, wie er Jerusalem bewahrte …’
Abraham entschied sich nach Gottes Gebot Haran zu verlassen ohne dass es für ihn etwas Sichtbares und Nachweisbares für Gottes Existenz gab. ‚Ist es wahr, dass der lebendige Gott zu dir spricht oder hörst du eine Phantomstimme?’
Abrahams Glauben und der Glauben der Christinnen und Christen ist ein Glaube ohne Hilfsstützen. Wir können uns und niemandem nachweisen, dass es Gott gibt und Christus uns hilft. Wir haben, wie einst Abraham, allein das Wort Gottes, die Stimme Gottes, der wir uns hingeben. Das - äußerlich gesehen – arme und bescheidene Bibelwort nehmen wir an. Das ist es und das muss es allein sein. Insofern ist Abraham eine absolute Leitfigur.
Und schließlich:
Als Abraham von Bethel aus nach Ägypten zog, fiel überall seine schöne Frau Sara auf. Der Pharao erhielt davon Kunde und Abraham fürchtete um sein Leben. Damit man ihn schonte, machte er offiziell Sara zu seiner Schwester. So hatte der Pharao leichtes Spiel und holte Sara in seinen Palast. Irgendwann wurde bekannt, dass Sara Abrahams Frau war und sie durfte zu ihm zurück. Der Mann des Glaubens und dann diese Feigheit?
Warum „verschacherte“ Abraham gleichsam seine Frau an den Pharao? Warum gab er sie so einfach her, um seine Haut zu schützen? Warum handeln wir als gläubige Menschen oft anders als es die Schrift sagt? Warum gibt es Glauben in uns, aber die „Werke“ sprechen eine andere Sprache?
Glauben, so lehrt das Lebensbeispiel Abrahams, ist keine Vergottung des Menschen. In uns fließen keine überirdischen Kräfte ein, die aus Menschen Heilige machen. Wir entscheiden uns für den Glauben, für Gott, für den Gehorsam und verfehlen doch oft genug ein wirklich menschliches Leben.
Reminiscere – „Erinnere dich!“, sagt dieser Sonntag. Wir sind nicht besser als Abraham.
Die Logik der Höhlenmenschen heißt: ‚Wenn du schon an einen Gott glaubst, dann musst du auch was davon haben, dann muss man es dir doch anmerken.’ Wir wollen uns unter diese Logik nicht beugen.
Wie Abraham immer wieder aufbrach, die Stadt Ur verließ, Bethel und Ägypten den Rücken zukehrte, wie er im Glauben immer wieder von vorn anfing, Zweifel und Trauer hinter sich ließ, gilt es, mit ihm aus dem Land der Fehler – dem alten Ägypten – aufzubrechen und von neuem seinen Weg zu gehen. Das Ziel ist klar: Es gilt die Stadt Gottes zu erreichen, hier eingelassen zu werden und mit Abraham die Herrlichkeit Gottes zu schauen.
I1I Originalfassung in: Platon, Sämtliche Dialoge, Band V, hrsg. von Otto Apelt, Hamburg 2004, S. 269-274.
I2I F.W. Nietzsche, Werke in drei Bänden, München 1954, Band 1 (Menschliches, Allzumenschliches), S. 459: „… es wird einmal gezeigt werden, wie … die blöden Maulwurfsaugen … zuerst Nichts als immer das Gleiche sehen, wie dann … allmählich verschiedene Substanzen unterschieden werden …“
I3I Gary A. Anderson, Abraham im Judentum, in: RGG 4, 1.Band, Tübingen 1998, Sp. 74 f.
I4I Wesentliche Anregungen für den folgenden Text verdanke ich Rudolf Bultmann, pistis, in ThWb 6, Hrsg. v. Gerhard Kittel, Stuttgart 1959, S. 174 – 230.
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Predigt zu Hebräer 11,8-10 von Ute Köppen
Liebe Gemeinde!
Glauben, was ist das eigentlich? „Abraham, ja der hat richtig geglaubt“, wird uns heute gesagt im Predigttext. Aber was ist „richtig“ glauben. So wie wir verschieden gehen, schlafen, lieben, denken…so glauben wir auch verschieden. Deshalb ein kleiner Test vorweg. Welcher Glaubenstyp sind Sie: A B C oder D ?
Es gibt A Leute, die glauben vor allem mit dem Verstand. Wenn solche Menschen etwas mit dem Verstand erfasst und für richtig befunden haben, dann sind sie sich dessen sicher. Für solche Glaubenden sind unumstößliche Glaubenssätze besonders wichtig. Wer die nicht glaubt, glaubt nicht richtig, sagen diese Menschen manchmal.
Andere, nennen wir sie B, glauben vor allem mit ihrem Herzen. Sie fühlen sich berührt, wenn die Glocken läuten und die Orgel spielt. Oder wenn der Chor Mozart singt, wie im Himmel. Das Für-Wahr halten von Glaubensüberzeugungen spielt für solche Leute keine so große Rolle. Sondern ob ein Bibelwort oder ein Klang das Herz berührt, ist wichtig.
Drittens, C, gibt es Menschen, für die die Gemeinschaft der Glaubenden die größte Rolle spielt. „Mein Religionslehrer“, sagen solche Menschen, der hat mich überzeugt. Oder die Jugendgruppe, die Fahrten, die Gemeinschaft…Oder die Oma. Solche Menschen glauben, weil andere für sie überzeugende Zeugen des Glaubens waren. Solche Glaubenden versuchen oft, selber Vorbilder zu sein für andere. Sie tun, was sie glauben.
Und viertens, D, gibt es Menschen, die glauben an Gott, weil sie Gott in ihrem Leben selber erfahren haben. Mancher wurde Pastor, nachdem er in Rußland in der Kriegsgefangenschaft war. Die hätte er ohne Gott nicht überstanden, sagt er. Andere erzählen von der Flucht…wie sie in letzter Minute nicht mitkamen mit der Wilhelm Gustloff…Da hat Gott sie gerettet.
Zu welchem Glaubenstyp gehören Sie? Glauben Sie A mit dem Verstand, B mit dem Herzen. Glauben Sie C, weil andere Sie überzeugten oder D, weil Sie Gottes Wirken in Ihrem Leben erfahren haben?
Was ist Glauben? Ist Glauben Wissen? Gefühl? Überzeugung? Erfahrung? Von allem etwas? Oder ist Glauben noch etwas ganz anderes?
Hören wir nun die Worte aus dem Hebräerbrief für den heutigen Sonntag:
HEBR 11, 8-10
„Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wußte nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem Verheißenen Land wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.“
Was von Abrahams Leben erzählt wird, ähnelt dem, was Flüchtlinge bei uns erzählen. Abraham war einer, der glaubte, weil er Gottes Führung und Beistand in seinem Leben erfahren hat.
„Brich auf“, sagte Gott, als Abraham 75 Jahre alt war. „Fang noch einmal neu an. Brich auf ins gelobte Land. Du wirst Kinder haben mit Sara. Auch wenn ihr alt seid. Ihr habt das Leben vor euch.“
Gegen besseres Wissen glaubte Abraham. Gegen den eigenen Verstand. Hatte er Vorbilder?
Hatte er jemanden, der ihm von Gott erzählte? Vater oder Mutter? Einen Lehrer?
Schon Terach, der Vater Abrahams, war ein Herumziehender. Schon er war unterwegs nach Kanaan. Er hatte Abraham von dem hoffentlich besseren Land erzählt und ihm den Samen einer Hoffnung auf ein besseres Leben im gelobten Land ins Herz gelegt. Schon Abrahams Vater war also einer von denen, die dort, wo sie leben, nicht ganz zuhause sind.
Es war also ein wenig wie in vielen Flüchtlingsfamilien. Ich bin mit dem Lebensgefühl aufgewachsen: Hier ist es schön. Aber es gibt ein Land, da ist es noch schöner. Da sind die Sommer heißer, die Winter kälter, da ist das Meer weiter und die Wälder schier unendlich. Ja, sie ahnen es, mein Vater kam aus Pommern. Aber war es wirklich Pommern, das Land seiner Sehnsucht? Wir waren ja dort, später, im heutigen Polen. Aber die Sehnsucht meines Vaters reichte irgendwie weiter. Es war die Sehnsucht nach Friede, Stille, Gerechtigkeit…. Von meinem Vater habe ich gelernt, an den Himmel zu glauben, die größere Gerechtigkeit, den Frieden höher als alle Vernunft.
Der Glaube Abrahams beruht nicht nur auf der Erfahrung der Vergangenheit: Gott geht mit. Gott war da in der Not. Er hat uns begleitet durch Flucht und Elend. Abraham glaubte an den Gott der Zukunft, an das Land, das noch niemand sah.
Als Kinder taten wir beim Schwimmen-Lernen im See etwas, das wir „Grund holen“ nannten. Grund holen heiß, man setzt kurz einmal den Fuß auf den Seeboden, um zu fühlen, ob man noch Grund kriegt. Kriegst du noch Grund? riefen wir oder: „Ich kriege keinen Grund mehr!“
Glauben lernen ist, wage ich zu behaupten, ist wie schwimmen lernen: Immer wieder fühlst du, dass du noch Grund kriegst, Grund zum Glauben: Verstand, Gefühl, Überzeugung und Erfahrung. Und eines Tages, da fühlst du dich sicher, ohne Grund zu kriegen.
Dieser Glaube trägt: Auch wenn A die Glaubensüberzeugungen, die der Verstand sich aufgebaut hat, brüchig werden.
Dieser Glaube trägt, auch wenn B in einem Gottesdienst einmal nichts das Herz berührt. Wenn die alten Lieder nicht mehr klingen oder die Glocken keinen Strom haben.
Dieser Glaube trägt, wenn C die alten Glaubenszeugen tot sind, der alte Lehrer, der Pastor, der noch ein richtiger Pastor war…auch wenn die gegenwärtigen Glaubensvertreter nicht sehr verläßlich sein mögen.
Dieser Glaube trägt auch dann noch, wenn D du das Pech hast, auf dem falschen Dampfer zu sein. Es muß ja nicht die Gustloff sein. Es kann ja auch ein maroder Betrieb sein. Oder eine zerbrechende Ehe trotz „bis dass der Tod euch scheidet“
Auf dem Grabstein der Dichterin Hilde Domin und ihrem Mann, späten Nachkommen Abrahams, die vor den Nationalsozialisten in die Dominikanische Republik flohen, stehen die Worte “Wir setzten unseren Fuß in die Luft, und sie trug“ Amen
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Predigt zu Hebräer 11,8-10 von Heiko Naß
Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er ererben sollte, und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Land wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.
Liebe Gemeinde,
der Predigttext führt meine Erinnerungen auf die Spur eines Menschen, der zwar klein von Gestalt, aber groß an Fröhlichkeit, Lebensfreude und Humor war. Eindrücklich sind mir seine Erzählungen von den Tagen am Ausgang des Zweiten Weltkrieges geblieben. Er selbst hat sie erzählt, um sie als Erinnerung an Nachfolgende weiterzugeben. Er schildert die Hoffnungslosigkeit beim Rückzug durch die großen Sumpfgebiete Russlands. Er erzählt von Leid und Tod. Als Sanitäter erlebte er, wie Verwundete nicht mehr zurücktransportiert werden konnten, Verzweiflung und Bitterkeit die Soldaten bestimmte. In einer Nacht unter dem weiten Himmel erinnerte er sich in einer kurzen Ruhe an Gebetsverse aus seiner Konfirmandenzeit. Der Satz des Vater unsers „Dein Wille geschehe“, ließ ihn nicht mehr los. Unter dem weiten Sternenhimmel in einer für Leib und Leben bedrohlichen Situation öffneten ihm diese Worte einen Blick in die Tiefe und er begriff, dass nicht unser Wille wichtig ist, sondern dass Gottes Wille geschieht. Nicht unsere Größe ist wichtig, sondern, dass Gott in allem die Ehre gegeben wird, ist es, worauf es ankommt im Leben.
Das alles ging ihm durch den Kopf in dieser Nacht und nahm mit einem Mal die Angst und den Druck und machte ihn fähig, anderen Zuspruch zu geben, Mut zu machen und Sterbende zu trösten.
Diese Erfahrung, die Wiederentdeckung des Gebets und der Kraft in solcher Ruhe, sagte er, diese Erfahrung hat ihn sein weiteres Leben lang geprägt. Immer wieder ist sie herausgefordert worden, sagt er, am stärksten durch den Tod von dreien seiner Kindern, was schlimmer war, als der Verlust von Haus und Heimat. Er blieb ein begeisternder Liebhaber des Lebens mit Humor und einer Art, sich auf die Dinge seinen eigenen Reim zu machen.
Mich hat fasziniert, wie sich ein Moment seines Lebens so tief in ihn eingeprägt hat, dass sich ihm daraus ein inneres Verstehen seines ganzen Lebensweges erschloss. Ein Moment, der ihm eine Klarheit offenbarte, in dem er sein ganzes Leben begründet sah.
Wenn man vom Glauben erzählen will, dann muss man von den Menschen erzählen. So verfährt auch unser Predigttext des heutigen Tages aus dem Hebräerbrief. Es ist die Zeit am Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus, als diese Zeilen, die ich am Anfang gelesen habe, geschrieben wurden. Die Generation der Zeugen aus der Geburtsstunde der Christenheit stirbt aus und mit ihr diejenigen, die das Erzählte noch bestätigen kann. Da ist nun bald keiner mehr, der persönlich für die Wahrheit des Glaubens an Jesus Christus bürgen kann. Und darum wird aus dem Erzählen der Zeugen eine Erzählung über die Zeugen. Genau das macht nun der Hebräerbrief. Er reiht in diesem Abschnitt seines Briefes eine Erzählung an die andere. Alle drehen sich um bekannte Gestalten der Bibel, beginnend mit Abel, über Noah, Abraham, Sara, Isaak und Jakob, Mose und auch die Hure Rahab, die in Jericho den Kundschafter Unterschlupf bot; sie alle werden mit ihren Geschichten gewürdigt, um mit allen deutlich zu machen, was der Glaube ist. Darum steht als Überschrift über dem Kapitel der Satz: Es ist der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
Wenn man darüber nachdenken will, was Glaube bedeutet, dann finden diese Worten eine ganz schöne erste Beschreibung, was den Glauben auszeichnet. Eine Beschreibung, die sehr nachhaltig gewirkt hat, auch in unsere protestantische Kirche hinein. Glaube richtet sich nicht auf etwas aus, was man direkt vor Augen hat. Glaube macht sich nicht am Sichtbaren fest. Denn alles, was sichtbar ist, vergeht. Himmel und Erde werden vergehen, heißt es in der Bibel in einem Wort Jesu (Matthäus 24,35).
Nun sagen wir manchmal, wenn wir Menschen besonders motivieren möchten, zum Beispiel im Sport, um eine große Leistung zu erreichen: ich glaube an dich. Und mancher Fußballtrainer sagt über seine vom Abstieg bedrohte Mannschaft: ich glaube (noch) an sie. Auch hier ist der Glaube eine Zuversicht, aber wir wissen, es ist eine sehr brüchige und manchmal auch zweifelhafte Zuversicht.
Das meinen diese Worte unseres heutigen Bibelabschnittes nicht, wenn sie über den Glauben reden. Sondern sie sagen: Es ist der Glaube eine feste Zuversicht, auf das, was man hofft.
Wir erhalten mit dieser kurzen Zeile noch eine weitere wichtige Bestimmung des Glaubens. Haben wir zunächst festgehalten, dass der Glaube sich auf etwas richtet, was man nicht sieht, können wir nun ergänzen: der Glaube ist eine feste Zuversicht, auf das, was man hofft. Um das genauer bestimmen zu können, müssen wir noch einen anderen Autor der Bibel zur Hilfe nehmen, den Apostel Paulus, der uns eine wichtige Beschreibung der Hoffnung gegeben hat. Er sagt: Hoffnung lässt nicht zuschanden werden (Röm 5,5).
Hier haben wir haben wir nun eine ganz wesentliche inhaltliche Bestimmung, worauf der christliche Glaube ausrichtet ist. Es geht in allem darum, nicht zuschanden zu werden. Oder positiv gesagt: es geht darum, dass es gut wird. Dass es gut wird mit diesem Leben, mit meinem Leben genauso wie mit dem Leben der anderen, mit dieser Welt und der Schöpfung; es geht darum, dass sich die Hoffnung darauf richtet, dass Gott sein Versprechen einlösen wird, das er für diese Schöpfung gab, als er sagte: und siehe, es war sehr gut.
Siehe, es war sehr gut. Dieses Sehen auf eine Welt, in der es sehr gut zugeht, dieses Sehen ist bisher allein Gott vorbehalten. Wir sind in unserem Leben daraufhin unterwegs. In wenigen lichten großen Augenblick bekommen wir eine Ahnung davon, wie es von Gott ursprünglich gemeint war, unser Leben und das Werden dieser Welt. In manchen Momenten öffnet sich ein tiefes Verstehen, das uns tragen kann und eine Hoffnung gibt, über die Stunde und über den Tag hinaus.
Genau dieses innere Gefühl beschreibt der Hebräerbrief, wenn er vom Glauben spricht. Wenn wir seine Sprache in unsere heutige übersetzen wollen, dann können wir es vielleicht so sagen: Der Glaube ist etwas, wo wir mit der Sehnsucht unseres Herzens hingelangen möchten.
Darum bietet sich dem Erzählen auch die Glaubensgeschichte Abrahams an. Denn die Geschichte von Abraham setzt ein, als ihm eine Sehnsucht eingegeben wird. Er hörte Worte, die ihm zu Herzen gingen: Du sollst ein Segen sein. Und du sollst ein großes Volk sein! Seine Geschichte erzählt, wie Abraham diesem Glauben auf die Spur zu kommen versucht. Die Glaubensgeschichte Abrahams weiß auch von einem Augenblick unter dem tiefen und großen Nachthimmel zu erzählen. Sieh gen Himmel, so hörte Abraham die Stimme Gottes, zähle die Sterne. Kannst du die Sterne zählen? Das sagt Gott zu jemanden, der bis dahin kinderlos geblieben und schon weit in die Jahre gekommen war. Den Sternenhimmel über sich, prägte sich ihm ein Vertrauen ein, auf das hin er sein Leben entwerfen konnte. Die Bibel weiß von seinen Aufbrüchen und Verwerfungen. Abraham ist ganz und gar nicht ein leuchtender Held, seine Lebensgeschichte ist voller Tiefen und Spannungen, auf der einen Seite mutig und auf der anderen feige: da sind die Herausforderung – wir denken nur an die bekannte Erzählung von der versuchten Opferung Isaaks. Geblieben ist der Eindruck von einem Mann, der sich hat prägen lassen von dem Vertrauen auf Gott. Darum ist seine Geschichte so erzählenswert. Sie berichtet von Zusammenhängen zwischen dem göttlichen Wort und den Schritten des Lebens, Zusammenhänge, die in überraschender Weise auch in unseren eigenen Biographien, in unseren eigenen Lebensgeschichten wiederkannt werden können.
Der polnische Arzt, Pädagoge und Schriftsteller Janusz Korczak hatte eine Gespür dafür, dass diese Verknüpfung zwischen den Worten des Glaubens und den Erlebnissen des Lebens nicht einfach so vermittelt und weitergegeben werden kann, wie etwa die binomischen Formeln in der Mathematik weiter vermittelt und weiter gegeben werden. Sondern es geht darum, einen anderen dafür zu öffnen, dass er tatsächlich solche Erfahrungen des Glaubens selbst machen und erleben kann. Ganz schön hat Janusz Korczak diesen Wunsch, dass junge Menschen zu einer solchen Erfahrung kommen möchten, in einem Wort formuliert, das er den Jugendlichen mit auf den Weg gab, als sie nach Jahren der Obhut im Waisenhaus in Warschau auf den Weg des Lebens entlassen werden sollten:
Wir geben euch nichts. Wir geben euch keinen Gott, den müsst ihr euch in der einsamen Seele suchen. Wir geben euch kein Vaterland, denn ihr müsst es durch eigene Anstrengungen eures Herzens und Nachdenkens finden. Wir geben euch keine Menschenliebe, denn es gibt keine Liebe ohne Vergebung, und vergeben ist mühselig, eine Strapaze, die jeder selbst auf sich nehmen muss. Wir geben euch eins: Sehnsucht nach einem besseren Leben, ein Leben der Wahrheit und Gerechtigkeit. Vielleicht wird euch diese Sehnsucht zu Gott, zum Vaterland, zur Liebe führen.
Das sind ernüchternde, aber ehrliche Worte. In der Suche nach dem Sinn, nach dem, was das Leben erfüllt, muss jeder seinen eigenen Weg machen. Für den eigenen Glaubens nützt es ihm nichts, dass seine Vorfahren schon einen solchen Sinn hatten, er muss ihn für sich selbst finden. Worauf er zählen kann, ist, dass solche Erfahrungen von Sinn, der Glaube an Gott, auch die Menschen vor ihm erfüllt haben. Aber er kann nicht einen Vertrag darauf schließen, dass sich dieser Sinn auch für ihn öffnen wird. Er muss sich selbst auf die Suche danach machen. Er kann aber darauf hoffen, dass ihm die Erfüllung ebenfalls verheißen ist.
Die kommenden Wochen der Passionszeit geben uns die Chance, dieser Sehnsucht nachzuspüren, auf das, was uns zu Herzen geht. Die Erzählung von der Passion Jesu, von seinem Leiden und Sterben, führt uns auch vor Augen, woran sich der Glauben und das Leben im schlimmsten Fall bewähren muss, am vollständigen Scheitern aller Hoffnungen auf ein gutes Ende, an der Willkür und am unergründlichen Schicksal. Diese Erfahrung wurde auch Jesus nicht erspart, obwohl alles, was von ihm überliefert ist, davon erzählt, wie er Menschen zur Sehnsucht nach Gott und einem besseren Leben bewegen wollte.
In seiner Geschichte aber lässt sich erfahren, dass Jesus auch in den Abgründen des Lebens, den Ort seiner Frage nach Gott und nach sich selbst, nie von Gott weg, sondern immer vor Gott gesucht hat.
Auch wenn sich das Gefühl von Angst und Hilflosigkeit in unsere Lebenskraft einzuschreiben versucht, und uns den Mut und den Grund unter den Füßen nimmt und uns kraftlos und hoffnungslos werden lässt, dann kann dennoch und gerade dort das Zum-Glauben-Kommen ereignen, das zu der Gewissheit führt: Gott verlässt mich nicht. Und manchmal geschieht, dass wir seine Kraft empfangen, dass Friede auch in uns einkehrt, der innere und der äußere, der Angst und Trauer heilt.
Darum ist mir auch die Geschichte von dem jungen Sanitäter so stark in Erinnerung geblieben, weil er diese Wende zum Glauben und das Gefühl, was sich als Trost für ihn daraus ergab, so nachvollziehbar und für uns einprägsam erzählt hat.
Vielleicht ist es nicht ausgeschlossen, dass wir in den nächsten Wochen hier und da und uns an die Grundlinien unseres Lebens erinnern, an unseren Pilgerweg zwischen Geburt und Sterben, unser Unterwegs sein auf der Suche nach uns selbst und nach Gott.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
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Glaube – was ist das? - Predigt zu Hebräer 11,8-10 von Rudolf Rengstorf
Glaube – was ist das?
Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte. (Hebr.11,8-10)
Liebe Gemeinde!
Abraham, ein Mann, der tat, was Gott von ihm erwartete. Abraham, das Urbild des Menschen, wie Gott ihn haben will. Richtungweisend nicht nur für Juden und Christen, auch für Muslime, also die drei monotheistischen Weltreligionen.
Was hat er denn so Großartiges getan? Er hat sich für Glauben entschieden. Der hat ihn zum
Gehorsam, zur Bindung an Gottes Willen gebracht. Wohlgemerkt: hier kommt Gehorsam aus frei gewähltem Glauben und nicht umgekehrt der Glaube aus zwanghaftem Gehorsam, wie das heute gerne unterstellt und analysiert wird. In der Öffentlichkeit, in Medien zumal in Talkshows gehört das doch zum guten Ton: Wer sich da für aufgeklärt hält, spielt sich blasiert auf gegenüber Menschen, die sich „noch“ zu einem Glauben bekennen. Als rückständig werden sie belächelt - als Deppen, die es noch nicht geschafft haben, sich von der Bevormundung anderer zu emanzipieren, sich freizumachen und selbstbestimmt zu leben.
Der Glaube Abrahams aber kommt micht daher, dass er irgendwo hängengeblieben ist - an seinem Elternhaus, an seiner Heimat, an liebgewordenen Gewohnheiten und Traditionen. Von all dem, woran Menschen von Natur aus hängen, hat Abraham sich frei gemacht, um auf eine ganz andere nach vorne weisende Stimme zu hören.
Und ich bin sicher: Auch bei unserem Glauben ist sehr viel mehr Freiheit im Spiel als Abhängigkeit von undurchschauten Zwängen.
Doch was ist das für ein Glaube, für den Abraham sich entschieden hat? Sein Glaube,
der wegweisend sein soll für Juden, Christen und Muslime, hat klare Konturen. Und die werden in den wenigen Sätzen, die der heutigen Predigt vorgegeben sind, deutlich benannt:
1 .Glauben ist Aufbruch, Unterwegssein
Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.
Das ist das erste Merkmal des Glaubens Abrahams: Wer glaubt, bricht auf, macht sich auf den Weg, weil er hört, dass Gott etwas vorhat mit ihm und ihr. Das zieht sich durch
die ganze Bibel von Anfang bis Ende: Das beginnt mit Abraham. Und das geht weiter bei seiner Nachkommenschaft, Israel muss zum Volk in der Wüste werden, wenn das erste Gebot über ihm aufgerichtet wird. Die Propheten verkünden alle Aufbruch und Exil und Heimkehr, also ein dauerndes Unterwegssein. Des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt niederlegen kann. Er zieht ruhelos durch Palästina, statt feste Gemeinden zu gründen. Die Apostel werden in alle Welt gesandt, statt im heiligen Land bleiben zu dürfen. Und die ganze Kirchengeschichte muss unter dem Motto gelesen werden: "Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir." Und das Gleichnis von den 10 Jungfrauen stellt das ganze Leben unter das Wort: "Ihr müsset ihm entgegengehn."
Das Bleibende, Gewohnheiten, Sitten und Traditionen haben ihr Recht, besonders wenn es um den Aufbau der Persönlichkeit in der Kindheit geht, keine Frage. Aber es gibt keinen Grund, den christlichen Glauben dafür zu bemühen, dass sich auch unter Erwachsenen und gar den lieben Alten tunlichst nichts ändern soll und wir unseren Gemeindegliedern keine Neuerungen zumuten dürfen. Keinem Kirchenvorstand ist das Pochen auf den status quo fremd, und kirchliche Institutionen und Ämter sind oft davon geprägt. Desto deutlicher ist dagegen zu halten: Der Glaube ist Zumutung durch und durch, die Zumutung sich um Gottes Willen auf den Weg zu machen, statt hocken zu bleiben und den status quo zu erhalten.
Das geht doch schon los mit dem, was Gottesdienstbesucher am Sonntagmorgen tun. Sie
lösen sich aus den heimischen vier Wänden, machen sich auf den Weg, um zur Kirche zu gehen. Weil christlicher Glaube nicht in sich selber schmort, nicht die eigene
Innerlichkeit beweihräuchert. Christlicher Glaube lebt davon, dass ich mich rufen und ansprechen lasse, mich auf den Weg mache zu Gott.
2. Dem Glauben wird Fremdheit und Enttäuschung zugemutet
Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden.
Nun hat Abraham sich mit seiner Frau Sara aufgemacht, um den Ruf Gottes in ein Land zu folgen, das der ihm zueigen geben will. Und als er dort ankommt, zeigt sich: dieses Land ist längst besetzt, bewohnt von anderen. Er aber muss damit leben, dass er in dem ihm verheißenen Land nicht mehr ist als ein Fremder, ein Asylbewerber, abhängig davon, dass man ihn als Nomaden am Rande des bewohnten Landes mit seinen Herden duldet. Schutzlos ist er, vor allem seine Frau Sara, den Begehrlichkeiten der Einheimischen ausgeliefert. Von all dem hatte Gott nichts gesagt! Fremdheit erleben und durchmachen - das ist das zweite Kennzeichen des Glaubens.
Mir stehen Menschen von heute vor Augen, die sich bei der Gestaltung ihres Lebensweges ganz bewusst an den Willen Gottes gehalten haben in der Hoffnung, dass er diesen Weg segnen werde. Und dann müssen sie entdecken: Es ist ganz anders gekommen. Ihnen wird soviel Fremdes und Leidvolles zugemutet, dass sie in ihrem Glauben zutiefst verunsichert sind.
Zum Segen berufen und Fremdes finden - das erleben wir doch auch schon bei dem ganz unspektakulären Gang in die Kirche. Wer hier herkommt, muss damit leben, dass er und sie jedesmal wieder auf Befremdendes stößt: mal entspricht die Predigt nicht den
Erwartungen, dann ist Gottesdienst nur in der Nachbarkirche, in der man sich sowieso fremd fühlt, dann ist die Akustik schlecht, die Atmosphäre zu steif, unruhige Konfirmanden, ein Lied, das man nicht mitsingen kann, oder das Ganze nimmt mal wieder kein Ende! Irgendwas ist immer! Sicher lässt sich das eine und andere verbessern, wir arbeiten auch dran. Doch das wird den Glauben nicht davor bewahren, da - wo er zuhause sein möchte – Fremdheit zu erleben. Und immer von neuem entdecken zu müssen: die Wirklichkeit ist weit hinter dem zurückgeblieben, was Gottes Ruf in mir an Erwartungen ausgelöst hat.
3. Glaube lebt im Zelt und erwartet die Stadt Gottes
Abraham wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte.
Das dritte Kennzeichen des Glaubens heisst also: In Zelten leben. Darüber kommt ein glaubender Mensch nicht hinaus. Dich nie zurücklehnen können mit dem beruhigenden Gefühl: Jetzt habe ich gefunden, wonach ich gesucht habe. Mein Glaube ist ein festes
Haus geworden, in dem mich kein Lebenssturm mehr erschüttern kann. Non tentatus - non Christianus heißt es bei Luther: Wer nicht angefochten, in Zweifel gestürzt, auf seine Anfänge zurückgeworfen wird, ist kein Christ. Und die letzten Worte dieses Mannes, den man so gerne zum unerschütterlichen Glaubenshelden hochstilisiert hat, seine letzten Worte waren: "Wir sind Bettler, das ist wahr." Nicht über das wackelige und kümmerliche Zelt hinauskommen - nie, eine feste Ration für den Ernstfall haben - das gehört zum Glauben dazu.
Aber wenn das so ist - warum dann überhaupt? Warum dann immer noch weiter,
aufbauen, abbrechen und weiter? Warum sich dann nicht irgendwo in einer sturmstillen Ecke als Dauercamper einnisten? Weil Gott eine unbändige Hoffnung in uns wachhält: Dein Weg, liebe Schwester und lieber Bruder, mag er dich auch auf Holzwege und in Sackgassen führen, mag er dir auch eine Fremdheit nach der anderen zumuten und dir nie etwas anderes als ein Zelt zu bieten haben, dein Weg wird letztlich nicht im Niemandsland enden, sondern bei dem, in dessen festgegründeter Stadt du Bürgerrecht hast in Ewigkeit. Amen.
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Glaubenswirklichkeit - Predigt zu Hebräer 11,8-10 von Michael Plathow
Glaubenswirklichkeit: Hebr 11, 8- 10
1. Liebe Gemeinde des Sonntags Reminiscere,
erinnern Sie sich an das World Press Photo 2014 von John Stanmeyer? - Eine Gruppe afrikanischer Migranten an der Küste Dschibutis in der Nacht. Sie halten ihre Handys in die Höhe, in der Hoffnung, ein Signal aus dem Nachbarland Somalia zu empfangen und Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen zu können vor ihrem Aufbruch nach Europa per Boot oder irgendwie. Menschen im Aufbruch, Flucht vor Gewalt, Suche, Wünsche und Sehnsüchte nach Freiheit, lebenswertem Leben, Heimat.
An diesem Sonntag “Reminiscere” gedenken evangelische Christen an die wegen ihres Glaubens benachteiligten, diskriminierten oder verfolgten Geschwister, wie überhaupt an alle, die Religionsfreiheit für sich und für andere fordern. In diesem Jahr denken wir an den Exodus orientalischer Christen, an ihre Situation in Saudiarabien, Syrien und Ägypten. So mancher von ihnen mag den eben von uns gesprochenen Psalm 25 mitbeten. “Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit”.
Der für “Reminiscere” vorgesehene Bibelabschnitt spricht zu uns aus Hebr 11, 8 - 10:
“Durch den Glauben ward gehorsam Abraham, als er berufen ward, aufzubrechen in ein Land, das er erben sollte, und er brach auf und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Gast gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung; denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist”.
2. Liebe Gemeinde, Abraham bricht auf in unbekannte Ferne. Gott ist es, der an Abraham gedenkt, ihm seine Verheißung gibt. Und Abraham glaubt der Verheißung.
Anders als unsere Reisen mit der Faszination des Neuen führt der Weg dieses Hochbetagten unumkehrbar ohne Rückkehr in unsichtbare Zukunft.
Gott aber sieht sie schon.
So entschied sich vor 75 Jahren D. Bonhoeffer in den sicheren USA für die unsichere Zukunft der “Teilhabe an Deutschlands Geschick”. So kommt es - unter ganz anderen Umständen - zu dem Unwahrscheinlichen, das begabte junge Männer und Frauen zum Theologiestudium und ins geistliche Amt geführt und berufen werden; langjährige Begleitung Studierender ließ mich das erleben.
Aber bei uns selbst und bei anderen begegnen wir eben auch dem, für den die Zukunft bedroht die Gegenwart, “in der er lebt und in der alle seine Probleme gelöst seien, mit Unbekanntem. Aus diesem Grund verlangt er von der Gegenwart Garantien gegen die Zukunft. Sein Besitz etwa wird zu einem zinstragenden Kapital, das ihn gegen Risiken absichert, und die derart bezwungene Zukunft fügt sich von nun an in seine Vergangenheit” (E. Lévinas, Ausweg aus dem Sein, Uelzen 2005, 59). Sicherheitsverlangen und Freiheitsbewusstsein sind es, die in ihrer Spannung den Lebensweg durchziehen.
3. “Durch den Glauben” tut Abraham das Unwahrscheinliche. “Durch den Glauben” - litaneihaft in der “Wolke der Zeugen” bezeugt der Hebräerbrief dies der von lähmender Larmoyanz, gepaart mit kurzatmiger Zuversicht, gebannten Gemeinde.
“Glaube” - Was ist das?
Von Glaube, Glaubwürdigkeit und Vertrauen allgemein ist heute viel die Rede im personalen und sozialen Zusammenleben, in Politik und Medien, in Wirtschafts- und Finanzwesen, konkret etwa in der “Großen Koalition” und in den Beziehungen befreundeter Staaten. Ohne Vertrauen, Glaube und Glaubwürdigkeit läuft fast nichts.
Zugleich scheint es in unserer aufgeklärten Gesellschaft nichts zu geben, was nicht geglaubt werden könnte im esoterischen und sektiererischen Bereich, wo Sehnsüchte unkritisch Erfüllung heischen. Zu bestätigen scheint sich das Goethe-Wort in “Dichtung und Wahrheit”: “Beim Glauben kommt alles darauf an, dass man glaube; was man glaube, sei völlig gleichgültig” (DuW III, 14).
4. “Durch den Glauben ward gehorsam Abraham, als er von Gott berufen ward, aufzubrechen”. Liebe Gemeinde, hier wird vom Glauben nicht im allgemeinen, sondern im eminenten Sinn gesprochen: vom Grund legenden, Leben bestimmenden Vertrauen auf Gott, “dessen wir uns versehen in allem Guten und bei dem wir Zuflucht haben in allem Schweren“ (M. Luther: Gr. Katechismus zum 1. Gebot). Anders gesprochen: der Glauben im eminenten Sinn erweist sich als Gemeinschaft mit Gott, der als die alles bestimmende Wirklichkeit uns näher ist als wir uns selbst sind, weil wir “durchsichtig gründen” in seiner “Macht, die uns gesetzt hat”, dich und mich (S. Kierkegaard, Krankheit zum Tode).
Glaube und Gehorsam verbinden sich hier.
Glaube und Gehorsam - widerständisch und zum Widerspruch reizend mag das manchem scheinen. Für den gelebten Glauben schreibt D. Bonhoeffer entspannend in der “Nachfolge“: “Nur der Glaubende ist gehorsam - das ist dem Gehorsamen im Glaubenden gesagt; nur der Gehorsame glaubt - das ist dem Glaubenden im Gehorsamen gesagt” (S. 57). Durch die Zuwendung Gottes gehören Glaube und Gehorsam, Gottesgewissheit und Offensein für den Willen Gottes, geschenktes Glauben und dankendes Gehorchen zusammen.
Der Gegensatz auf der Reflexionsebene wird im Leben des Glaubenden vom Apostel Paulus einmal als Paränese, als Einheit von Indikativ-Imperativ beschrieben: “Schaffet, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen” (Phil 2, 11). Indem jemand glaubt, wird er, indem jemand gehorcht, ist er oder sie Christ (K. Barth, KD III3, 288). Gott schenkt mit seinem verkündigten Wort durch den heiligen Geist den unbedingten Glauben, den wir als selbsteigene Antwort im Herzen aufnehmen und mit Kognition und Emotion ins Leben ziehen. Dabei widerspricht Glauben nicht dem Denken, sondern gibt zu denken.
Und indem unser Glaube in der Zuwendung Gottes gründet, in seiner Treue und seiner Zuverlässigkeit, ist er nicht in meinem Bewusstsein, in meinem subjektiven Empfinden, in eigener Überzeugungskraft verortet und diesen gleich. Gott ist es, der uns ruft, seinem Verheißungswort zu folgen, was unseren Glauben zutiefst existentielle Erfahrung werden lässt, eine Erfahrung, die alle Lebensbezüge durchdringt und “das Leben schöner macht” (M. Walser, Mein Jenseits).
Abraham bricht auf zu einer Wanderschaft in der Fremde. Er geht, weil von Gott ergangen; er erfährt Gottes Geleit, weil ihm Gottes Verheißung widerfahren; er erkennt Gottes Treue, weil er immer schon von Gott erkannt ist. Das meint auch der “christliche Indikativ”: Weil Gott mir glaubt, glaube ich, ob jung dynamisch wie D. Bonhoeffer oder hochbetagt wie Abraham. Welch ein Gott!
Als Sein im Werden wird der Glaube gelebt: ein Zugleich von Anfechtung und Zuversicht, Ungewissheit und Beharrlichkeit in der Spannung zwischen Selbstverschließen gegen Gott und Gemeinschaft mit Gott, umfangen immer von Gottes Liebe. Indem wir uns auf Gott verlassen und so uns selbst verlassen, werden wir uns neu gegeben als Glaubende auf dem Weg der Zukunft Gottes entgegen.
Der Weg ist hier nicht das Ziel: für Abraham nicht und für uns nicht. Der Glaube wird gelebt als “gewisse Zuversicht des, das man hofft”, als der Wirklichkeit überführt zu sein, die man nicht sieht (Th. Söding mit Hebr 11, 1). Der Glaubende gleicht dem Vogel - Frühaufsteher erleben es in dieser Jahreszeit-, dem Vogel, der im morgendlichen Dunkel, ehe das Tageslicht aufscheint, schon zu zwitschern beginn; denn der neue Tag bricht an.
5. Liebe Gemeinde, der Hebräerbrief öffnet so die Wegsituation Abrahams für den Blick auf Jesus Christus, “den Anfänger und Vollender des Glaubens” (Hebr 12, 2). Durch sein Leiden und Sterben am Kreuz hindurch lässt er die Hoffnungsgewissheit der beheimatenden Stadt Gottes aufscheinen: Hoffnungs- und Heilsgewissheit als Glaubenswirklichkeit.
Aufscheinen lässt er sie gegen realexistierendes Leid durch Krankheit und Unrecht, durch menschliche Schuldverstrickung in Ungerechtigkeit, in Leben und Zukunft zerstörendes Machsal auf unseren Lebenswegen: die Stadt Gottes, verheißene Heimat, der neue Himmel und die neue Erde, in der Gerechtigkeit und Friede wohnt auch für um des Glaubens willen Benachteiligte oder Verfolgte, auch für Schmerzen, Unrecht, Not Erleidende (2. Petr 3, 13).
Schwerkranke und auf ihr Sterben zugehende haben gerade auch mir, mir als jungem Pfarrer, Zeugnis gegeben, dass das Ziel ihres Lebens- und Glaubensweges die Heimat beim “Gott alles Trostes” ist. Hoffnung ist stärker als Bedrängung und Beschwer.
Diese Verheißung Gottes erweist sich als Grund, jetzt Notleidenden zu helfen, Kranke zu trösten, Flüchtlingen und um des Glaubens willen Bedrängten Gastgeber zu sein und Heimat in der Fremde zu geben; denn, liebe Gemeinde, auch wir sind Fremde auf dem Weg, suchen Gerechtigkeit und handeln in der Liebe. Hier verbinden sich Glaube und Gehorsam im konkreten Ruf: Mache dich auf, brich auf wie Abraham!
Diese Verheißung am Passionssonntag “Reminiscere” will zudem der Grund für die Gewissheit sein, dass unser Gebet “Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit” erhört wird heute im Geschenk des Abendmahls, in dem Gott unserer gedenkt.
Und der Friede Gottes stärke unseren Glauben, unsere Liebe, unsere Hoffnung. Amen.
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Predigt zu Hebräer 12,12–18.22–25a von Wolfgang Ebel
Liebe Gemeinde!
I.
Der Weg ist noch nicht das Ziel. Die erhoffte Wirklichkeit steht noch aus. Das Ziel bestimmt aber schon den Weg. „Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg wird steinig und schwer.“ Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims singen vom Weg im Glauben.
Im Leben erfahren Sie: Es ist ein steiniger Weg – bis eine Prüfung geschafft ist, bis ich ein bisschen Geld zurück gelegt habe, bis zwei, die sich getrennt haben, einander verzeihen können. Es ist ein steiniger Weg oft: von den ersten Beschwerden über die Untersuchungen hin zur Diagnostik, weiter über die Indikation des ärztlichen Teams, schließlich die Therapie, Erfolgskontrollen, vielleicht Rückschläge, Aussicht auf Gesundung, Heilung gar, Hoffnung auf Linderung wenigstens, auf ein wenig Zeitaufschub, bevor es dem Ende zugeht. Dieser Weg ist sehr oft kein leichter.
So wie bei einem Heilungsprozess ist es auch mit dem Glauben. Er steht nicht einfach fertig da, zur Verfügung, einfach zu haben und zu handhaben. Er kann abstumpfen, nachlassen, verloren gehen. Damit es weiter gehen kann, braucht man ein Ziel, auf das sich einer freuen kann. Das Ziel ist jetzt – in meiner Lebenszeit in dieser alten Welt – noch unsichtbar. (Nur „die Jünger glaubten an ihn“ – die anderen saufen weiter.) Die Herrlichkeit des Christus wird in Gottes anderer Welt offenbar.
Der Glaube braucht heilende Anwendungen, Auffrischungen, Kuren, Trainings zur Rehabilitation – wie ein müder Leib. Glaube und Spiritualität brauchen Pflege. Auszeiten für die Seele. Das klingt nach oberflächlicher wellness. Vielmehr geht es um Vergewisserungen, Verankerungen. Eine Auszeit im Kloster kann dazu gehören.
II.
In der Klinik teilen viele Menschen die Erfahrung: mein Leben soll und muss anders werden. Manches muss ich verabschieden und zunächst betrauern. Auch Glauben bringt „notwendige Abschiede“ mit sich.
Vom Kriegszustand mit allen zum „Frieden mit jedermann“. „Jedermann“ – das sind nicht allein die mir Vertrauten. Nicht „alle guten Christenmenschen.“ Es sind die Menschen, die mir begegnen. Welches Bild gebe ich ab für einen, der kein Christ ist, keine „Abendländerin“, vielleicht ein Mensch, der hier bei uns einfach Arbeit und ein Auskommen finden will, sich Hoffnungen macht auf ein besseres Erdenleben für sich und ihre Kinder womöglich ? Eine solche Friedenssuche (Jagt !!) gibt sich nicht zufrieden mit dem, was „alle“ meinen, fügt sich nicht den Ansichten, die an Stammtischen gepflegt und eingeübt werden. Es ist ein Wachsein für Frieden. Ein Sorgen für „Frieden in Gerechtigkeit“.
Wird uns kranken, ausgebremsten, manchmal gebrochenen Menschen hier nicht zu viel zugemutet ? Eine solche mitreißende Dynamik – wie sie die Predigt „des Hebräers“ propagiert – kann ich doch gar nicht mit vollziehen. Sind das nicht zu hohe Ansprüche ? Eher etwas für Fitte und Gesunde ?
Bei allem Anspruch, den der Christus auf mein Leben hat, bei allem Willen, mein Leben Christus gemäß zu gestalten – brauche ich jetzt nicht eine Pause davon ? – Auch in der Klinik bin ich in einem Lebensfeld. Das funktioniert (oder funktioniert auch manchmal nicht !) nach spezifischen Gesetzen und Regeln. Auch hier arbeiten hoch kompetente und zugleich schwache Menschen. Ich bin als Patient (als oft passiv Hinnehmender, Erleidender) in eine Lebenslage geraten, die ich mir nicht ausgesucht habe. Auch im Zweierzimmer habe ich ein sehr eingeschränktes Privatleben. Ich muss versuchen zurecht zu kommen mit Mitmenschen, erst einmal so gar nicht zu mir passen und nicht nach meinem Gusto sind. Ich muss – wenn ich das Zimmer nicht verlassen kann – fremde Besuche mit ertragen u.v.a. mehr.
III.
Neil Young in seiner Autobiographie: Er berichtet, wie er nach einer lebensbedrohlichen Situation und folgender Notfalloperation erwacht. Er erzählt: „Dann wurde ich ruhiggestellt, und als ich endlich erwachte, schwebte eine sehr freundliche alte schwarze Krankenschwester aus South Carolina durch mein Zimmer. Sie bewegte sich ganz langsam, als würde sie auf Luft gehen. Sie war der Engel, der mich geführt hatte. ‚Jetzt geht’s dir besser’, sagte sie. ‚ER will dich noch nicht haben, sonst hätte ER dich geholt.’“ (Neil Young, Ein Hippie – Traum, Köln 2012) - Die Gnade Gottes nicht verpassen ! Ich lebe aus dem, was auf mich zukommt von Gott her. Erst dann will und kann ich etwas machen. – So gibt es anstrengende und tröstende Begegnungen mit Mitmenschen – wie in anderen Alltagszonen auch.
Auch als einer, der jetzt „den Beruf des Krankseins“ (K. Barth) ausübt bin ich in diesem Lebensfeld gerufen von Christus, „dem Anfänger und Vollender des Glaubens.“ (Hebr. 12, 2) Mein Weg wird unter diesem Herrn kein leichter sein. Eine unglaubliche himmlische Gesellschaft erwartet mich. Bis dahin bin ich überall auf der Jagd nach Frieden.
Der Weg ist noch nicht das Ziel. Nicht ich muss das Ziel mit aller Macht erreichen. Es kommt schon auf mich zu. Es ist meine Zukunft. Sie bestimmt meinen Weg. Der wird kein leichter sein. Doch auf diesem Weg will ich mich freuen. An dem Frieden, der sich einstellt - wenn ich darauf eingestellt bin: auf Empfang.
„Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt, aber wir sind eingeladen. Wir sehen schon die Lichter und hören die Musik.“ (E. Cardenal, Das Buch von der Liebe. Lateinamerikanische Psalmen, Wuppertal 1971)
Amen