Spurensuche nach dem Kind - Predigtslam zu Jesaja 7,14 und 9,1-6 von Stephanie Höhner
Das Volk, das im Finstern wandelt, braucht ein Zeichen.
Zeichen und Wunder geschehen,
mitten in der dunklen Nacht.
Ungefragt kommt ein Kind zur Welt,
mit Namen Immanuel.
Gott mit uns.
Gott mit dir, mit mir, mit uns.
Gott mit dir, auf dem Mittelmeer,
im dunklen Kerker,
im Krankenzimmer,
am Tisch, an dem sie alleine sitzt,
seit der Vater gegangen ist für immer.
In den Tränen über den Schmerz,
dass sie nicht mehr sein Herz berührt, sondern stecken bleibt
im Alltagstrott zwischen Kindern und Betriebsamkeit.
Immanuel
Gott mit mir, wenn ich zweifele und rufe,
wenn ich den Halt verliere und suche
nach Antworten, einem Zeichen, einer Spur,
Gott, zu dir.
Gott mit dir, auf dem Feld,
dem armen Hirten wird das Kind zum Held.
Macht es hell in seiner Welt für einen Augenblick,
dann sind die Engel fort.
Es verhallt das Wort: Fürchtet euch nicht.
Denn dann kommt sie wieder, die Angst in der Nacht,
der Schmerz um den Vater,
die Dunkelheit im Kerker,
das auf und ab auf dem Mittelmeer,
Wellen schlagen in das Boot, da nicht viel mehr
ist als eine Nussschale.
Dann kommt es wieder, das Schweigen zwischen ihr und ihm.
Dann sitzen sie nicht mehr am Krankenbett,
sie stehen am Grab und weinen sehr.
Dann ist es verloren, dann sind sie verloren zwischen Trauer und Wut.
Wo ist er da, Immanuel – Gott mit dir?
Ich sehe durch Tränen in die Welt,
strecke meine Hand aus, damit sie jemand hält
oder jemand nimmt, der es mehr braucht als ich.
Immanuel – Gott mit uns, mit dir, mit mir.
Als Kind kommt er zur Welt,
wird zum Wunder-Rat und Gott-Held.
Ist Ewig-Vater und Friede-Fürst.
Ich gehe auf Spurensuche nach dir, Immanuel,
als Wunder-Rat und Gott-Held.
Ich suche dich, Gott mit mir, mit dir, mit uns.
Wo bist du in dieser Welt?
Klein und hilflos, groß und mächtig?
Ich suche dich, nach einem Zeichen,
das Kind ist nur ein Kind und doch viel mehr,
wenn ich es richtig betrachte.
Ein Kind, ein Wunder – das ist es allemal,
ob „vom Himmel hoch“ oder in dunkler Nacht.
Ein Kind kommt und die Welt steht Kopf,
zwischen Windeln und Fläschchen,
zwischen Heu und Stroh.
Ein Kind kommt zur Welt und es sieht dich:
Auf dem Mittelmeer, im Wellen-auf-und-ab.
Im Kerker, in tiefschwarzer Nacht.
Am Grab und auf dem leeren Krankenbett.
Ich gehe auf Spurensuch nach dir, Immanuel, heute Nacht.
Immanuel – Wunder-Rat
Land-Rat, Stadt-Rat
Guter Rat ist teuer.
Wunder können sie sowieso nicht tun. Und glauben tut es auch keiner.
Rat ist immer gut, wenn er mir denn passt.
Ein Stadtrat ist auch kein Zauberer.
Er kann keine Berge versetzen, keine Anträge beschleunigen, keine Gesetze ändern.
Wunder gibt es immer wieder, aber die Zeit heilt alle Wunder, wenn du sie gut verschnürst, damit du gar nichts mehr spürst.
Denn Wunder passen nicht zum Verstand, kosten ihn höchstens.
Aber manchmal kommt es und anders als du denkst.
Dann bricht er das Schweigen und nimmt deine Hand und sagt: Lass es uns noch einmal versuchen.
Da hört sie die alte, vertraute Melodie und fühlt ein bisschen Wärme in sich ausbreiten.
Da wird stattgegeben dem Asylantrag
und der Stadtrat
kann etwas für ihn tun, eine Wohnung, einen Pass.
Dann bringen fremde Menschen Decken in den Bahnhof,
verteilen Tee und warme Blicke, halten die Hände hin und die Ohren offen.
Und die Gestrandeten können hoffen auf ein Stück Geborgenheit.
Dann wird es hell auf dem Feld in dunkler Nacht,
dann wird zerbrochen die kriegslustige Macht
und die Stimme bricht sich Bahn:
Unser Kind, Wunder-Rat.
Immanuel – Gott-Held
Super-Held
Magische Kräfte, die Flügel verleihen.
Die Landung auf dem Boden der Tatsachen ist umso härter.
Nicht jeder kann bleiben. Nicht jeder kann überhaupt gehen.
Flügel haben sie dabei selten, oft nur ein Gummiboot, mit Glück eine Schwimmweste.
Dann landen sie am Strand, wo andere Urlaub machen.
Es sind alles Helden, weil sie diese Überfahrt überlebt haben.
Für ihre Familien sind sie Helden, weil sie mutig den Weg nach Europa gehen.
Ein Weg gepflastert mit Todesangst und Lebensgefahr, mit Raub und Ausbeutung, mit kalten Nächten und dunklen Prognosen.
Super-Held-Kräfte wären hilfreich. Doch die gibt es nur auf der Leinwand.
Helden stoßen im Leben schnell an ihre Grenzen.
Gott-Held kommt an die Grenzen, an die Zäune, in die kalten und dunklen Nächte.
Gott-Held kommt als Stimme des Propheten in eine finstere Welt,
er kommt als Kind in der Krippe zu den Hirten auf das Feld.
Als heller Schein dort,
an den Ort, wo kein Licht einfällt.
Da fahren Boote über das Meer, retten die, die in Seenot sind.
Da opfern Menschen ihren Urlaub, um Wasser und Fladenbrot zu verteilen.
Da öffnen Familien ihre Häuser und geben einem jungen Mann ein neues Zuhause.
Gott-Held. Als kleiner Mensch, als großes Wort.
Als helfende Hand zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Immanuel – Ewig-Vater
Ewig-Vater, Ewig-Mutter
Erden-Vater, Erden-Mutter, immer bereit, immer da.
Irgendwann wird es mal
zu viel und sie verlieren einander im Einerlei.
Wo ist die Liebe zwischen all dem Lametta, der Gans, der Feier
- wann wird es einmal besser?
Wann ist wieder Zeit für den zärtlichen Blick, das einander Zuhören und sich aufeinander freuen?
Ewig bleibt die Liebe nicht von allein,
ewig aber dreht sich das Leben und mein eigenes bleibt auf der Strecke
zwischen Arbeitstag und Reihenhaushecke.
Ewig-Vater, immer da.
Als kleines Kind ist er mir nah an dunklen Tagen auf dem Feld,
im finstern Tal als starker Held.
Der Vater, der fehlt. Der gehen musste und sie hier alleine lässt.
Der eine Lücke reißt und das Weihnachtsfest
leer erscheint.
Ewig-Vater, immer da,
zwischen Lametta und Gans ist er mir nah,
am Grab und in der Erinnerung hält er meine Hand.
Als heller Schein fand er den Weg in die dunkle Ecke
und macht sie hell für einen Moment.
Ein Gefühl macht sich breit wie es früher mal war,
selbst noch Kind,
bei „Stille Nacht“ und „Fröhliche Weihnacht überall“.
Immanuel – Friede-Fürst
Sehnlich erwartet, erhofft, erfleht.
Er scheint besonders weit weg.
Fürsten mit Macht und Geld geben die Regeln vor in dieser Welt.
Wir singen von fröhlicher Weihnacht, Kind mit lockigem Haar,
Wir singen, er kommt, er ist ganz nah.
Und auch heute, an Heilig Abend kommen Kriegsstiefel mit Gedröhn daher,
werden Mäntel und Kleider in Blut getränkt,
hocken Menschen in dunklen Kerkern,
gefangen, gefoltert, erhängt.
Wann wird es sein, dass sich Fäuste öffnen und sich die Hände reichen,
dass Grenzen fallen und Panzer weichen,
dass Friede kommt und bleibt?
Klein kommt er, der Friede-Fürst,
als Kind, Immanuel, Gott mit uns,
hilflos und verletzlich,
arm und gebrechlich,
einsam und verzweifelt,
tränenvoll und gezeichnet von Leid und Schmerz.
Leise als liebes Wort, als kleine Geste und tiefen Blick.
Als fahler Strahl im dunklem Winkel,
als zartes „ich bin da“ und „bleib bei mir“,
als warme Decke unter der Brücke,
als rettendes Ufer nach langer Strecke
auf dem Meer.
Als zarter Klang „Vom Himmel hoch, da komm´ ich her.“
Wunder-Rat und Gott-Held, Ewig-Vater und Friede-Fürst,
Kind in Windeln und klare Worte,
kleines Licht und heller Schein – so wird er sein,
Immanuel – Gott mit uns, der da kommt. Zu dir, zu mir.
Und das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht,
und über denen, die da wohnen im finstern Lande scheint es hell.
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Habt Vertrauen- Predigt zu Jesaja 7,10-14 von Tanja Schmidt
Liebe Gemeinde, der Text, über den ich in dieser heiligen Nacht predigen darf, steht im Buch des Propheten Jesaja. Die dort geschilderte Szene spielt im Jahr 733 vor Christus. Wir werden mit hinein genommen in einen Dialog zwischen, Ahas, dem König von Israel, und dem Propheten Jesaja. Der König befindet sich in einer militärischen Bedrohungslage. Jerusalem wird von feindlichen Truppen der Großmacht Assur belagert. Den König befällt daraufhin große Furcht, ihm zittert das Herz vor Angst im Leib. Er überlegt, ob er gegen die feindliche Großmacht ein Bündnis mit den Königen der Nachbarstaaten eingehen soll. Der Prophet Jesaja warnt Ahas vor diesem Bündnis und mahnt ihn zur Ruhe. „Hab Vertrauen!“ sagt er. „Zähle nicht auf die fremden Mächte, sondern allein auf Gott! Die Lage ist gar nicht so aussichtslos und er wird dir helfen.“ Aber Jesajas Worte erreichen das Herz des Königs nicht. Weiter heißt es: (Jesaja 7, 10-14)
Und der HERR redete abermals zu Ahas und sprach:
Fordere dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe!
Aber Ahas sprach: Ich will's nicht fordern, damit ich den HERRN nicht versuche. Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist's euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen? Darum wird euch der HERR selbst ein Zeichen geben:
Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.
Was für ein erstaunlicher Dialog. Hier wirbt Gott, der Ewige und Allmächtige, um das Vertrauen eines Königs. Er will ihm sogar beweisen, dass er an seiner Seite ist und bietet ihm dafür ein Zeichen seiner Gegenwart an. Es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe!
Aber Ahas schlägt diese Zeichen aus. Nicht aus Souveränität. Nein, aus Angst und Müdigkeit. Er ist nicht in der Lage, die Bedrohung durch die die Soldaten Assurs länger auszuhalten. Lieber vertraut er auf die Hilfe der Nachbarmächte, als auf Gottes Macht. Sein Herz ist verschlossen gegenüber Gottes freundlichem Angebot. Er ist gefangen in seiner Angst. Dieses mangelnde Gottvertrauen ist etwas, was vermutlich auch viele von uns kennen. Vieles im Leben trübt auch unser Vertrauen in Gott und hält unser Herz gefangen. Ich denke da zum Beispiel an uns Erwachsene in der Mitte des Lebens. Wir hetzen durch den Tag, versuchen den Beruf und die Familie unter einen Hut zu bringen. Gerade an Weihnachten sind viele von uns abgekämpft, weil sich im Beruf kurz vor Weihnachten alles ballt und wir das Fest doch gleichzeitig für unsere Lieben schön machen wollen. Müde sitzen wir dann unter dem Weihnachtbaum. Es fällt uns schwer, uns dort für Gottes Freundlichkeit zu öffnen. Bei anderen von uns ist der Schmerz am Leben einfach zu groß. Ihr Herz hat sich gegenüber Gott verschlossen. Eine schwere Krankheit oder ein großer Verlust hat sie in eine schwere Glaubenskrise gestürzt. Manchmal höre ich solche Sätze bei meinen Besuchen: „Ich kann überhaupt nicht mehr glauben, dass es Gott gibt. Dass er es gut mit mir meint und an meiner Seite ist.“
Und nicht zuletzt sind die Zeichen der Zeit, in der wir leben, so bedrohlich und gewalttätig. Wie da auf Gott vertrauen? Spricht nicht alles dafür, dass Gott in dieser Welt machtlos ist? Uns fehlt oft das Vertrauen in Gott. So wie dem König Ahas aus unserer Geschichte. Aber Gott bleibt hartnäckig. Auch wenn das mangelnde Vertrauen des Königs ihn müde macht. Er wirbt weiter um Ahas und er wirbt auch um uns. Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist's euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen? Darum wird euch der HERR selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.
Ein Zeichen! – Gott will ein Zeichen setzen – gegen allen unseren Widerstand und Zweifel. Ein Zeichen, dass unser Herz anrühren und in uns Vertrauen wecken soll. Ein Kind soll es sein – und es soll den Namen Immanuel bekommen. Das heißt: Gott mit uns. Für uns Christen ist Jesus Christus dieser Immanuel. In Jesus Christus ist Gott selbst auf die Welt gekommen, um uns zu zeigen, dass er bei uns ist. Warum aber wählt Gott ein Kind als Zeichen seiner Gegenwart? Warum wirbt er in Gestalt eines Kindes um unser Vertrauen? Könnte es nicht ein machtvolleres Zeichen sein? Wieso kommt Gott ausgerechnet in einem kleinen, verletzlichen Kind zur Welt? Eine Antwort darauf finden wir auf dem Bild, das Sie vorne auf Ihrem Liedblatt finden. Die Künstlerin Dietlinde Assmus1 hat es gemalt. Es heißt schlicht: Weihnachten 2011. Vorne in der Mitte zieht das kleine Kind in der Krippe unsere Blicke auf sich. Mit weit offenen Armen und einem lieben, offenem Gesicht liegt es vor uns. Es hat keine Angst vor den Menschen, ganz offen und vertrauensvoll wirkt es. Wie viele kleine Kinder weckt es in uns die zärtlichsten Gefühle. Möchte man es nicht hochnehmen und an sich drücken? Dieses Kind hat keine Angst – es ist voller Vertrauen. Freundlich schaut es in die Welt. Und wir können gar nicht anders als uns ihm zu öffnen. Wir möchten uns zu ihm herabbeugen, es herzen. Seine zarten Hände bewundern, sein Gesichtchen streicheln. Wir möchten vor ihm auf die Knie gehen, wie die Menschen im Hintergrund des Bildes. Sie sind aus dem Dunkel ihrer Angst und Traurigkeit ans Licht dieser Krippe gekommen. Sie knien vor der Krippe. Sie müssen das nicht tun. Sie tun es freiwillig. Weil die Zartheit und Freundlichkeit dieses Kindes sie überwältigt. Dieses Kind strahlt absolute Offenheit und Vertrauen aus. Und wir können gar nicht anders, als mit Offenheit und Vertrauen zu antworten. Die dunkle Angst, die das Herz umklammert hielt, sie schwindet und macht Platz für Vertrauen. Für Gottvertrauen.
Hier, in diesem zarten Kind offenbart uns Gott sein Wohlwollen, seine Sehnsucht nach den Menschen. Er kann nicht ohne uns sein. Er streckt nach uns die Arme aus und will von uns mit Zärtlichkeit und Offenheit empfangen werden. Und er verzaubert uns so, dass wir in die Knie gehen und ihm Vertrauen schenken. Gottvertrauen, Ungetrübt. Deswegen bricht auf dem Bild unserer Künstlerin in die dunkle Nacht hinein der Himmel auf. Ein Stern geht auf, umkleidet von Rot – der Farbe der Liebe. Aus Liebe zu uns wird Gott ein Mensch. Gott will uns nahe sein, hautnah. An Weihnachten kommt Gott zu uns und bittet uns: Öffne dich für mich! Vertraue mir. Ich bin mit dir!
Davon erzählt die heilige Nacht. Erst bittet Gott Maria, dann Josef, dann die Hirten, Schließlich zeigt er sich den drei Weisen. „Vertraut mir. Lasst dieses Vertrauen durch nichts trüb werden. Es wird euer Schade nicht sein.“
Ja, vieles kann dann doch unser Vertrauen trüben, das stimmt. Nicht alles ist in unserem Leben so, wie wir es uns vorstellen oder wünschen. Längst nicht alles. Das tut weh. Der Schmerz gehört zum Leben dazu. Aber genau deswegen wird Gott ein Mensch. Um uns zu zeigen, dass er unser Leben, unsere Freuden und auch unsere Schmerzen teilt. Das Kind in der Krippe wird bald ein Mann sein. Und dann am Leben leiden. Wie wir. Er leidet unsere Schmerzen, er stirbt unseren Tod. Das ist das Geheimnis von Weihnachten: Gott liebt dich und kann ohne dich nicht sein. Kann dich nicht allein dieser Welt überlassen und schon gar nicht dem Tod. Dafür steht das Kreuz auf unserem Bild. Es ist durchdrungen von der österlichen Klarheit, die am Ende des irdischen Lebens stehen wird, wenn das Kind durch das Kreuz hindurch ganz und gar und bis zum letzten Atemzug sein Menschsein gelebt hat. Das leuchtende Kreuz auf unserem Bild zeigt: die Liebe Gottes macht nicht Halt vor der Dunkelheit der Welt. Sie will in die Dunkelheit eindringen und sie verwandeln.
Ich komme zu dir, sagt Gott an Weihnachten. Und Karfreitag geht dieser Satz weiter: Und ich bleibe bei dir! Und findet Ostern er sein vorläufiges Ende: Und du bleibst bei mir!
Lassen wir uns heute Nacht einladen von den offenen Armen des göttlichen Kindes. Es wecke in uns die Kräfte, ihm zu vertrauen – in allen Tagen und Nächten unseres Lebens. Amen
1 I Die Predigt wurde angeregt durch das Bild „Weihnachten 2011“ von Dietlinde Assmus und die begleitende Bildbetrachtung von Monika Dittmann. Veröffentlicht bei den Farbmänteln für Pfarr- und Gemeindebriefe Weihnachten 2017, Verlag Bergmoser und Höller
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Freuen wir uns? - Predigt zu Jesaja 9,1 ff von Stephan Lorenz
Wenn Kinder geboren werden, ist das ein Anlass größter Freude. Da singt man Lieder. Auch ich habe nach der Geburt für jedes meiner Kinder ein Lied gesungen. „Lobe den Herrn. o meine Seele, ich will ihn loben bis in den Tod.“-für meinen Sohn. „Tochter Zions freue dich.“ – für meine Tochter.
Auch der Prophet hat Jesaja ein Lied für ein neugeborenes Kind gesungen.
Menschen, die in Finsternis gehen, sehen Licht, wer in der Todeszone wohnt, Licht erscheint über ihm. Groß machst DU unseren Jubel, groß unsere Freude, wir freuen uns vor deinem Angesicht, als ob wir das Leben gewonnen haben oder den vollen Lohn unserer Mühen ernten dürfen. Denn das Joch unserer Quälerei, das uns den Rücken krumm macht, die Knute, die uns unbarmherzig schlug, - zerbrochen wie ein morsches Stück Holz. Alles was in Soldatenstiefeln durch die Welt stampft mit lautem Gedröhn, die Uniformen mit Blut der Opfer getränkt, wird verbrennen. Ein Kind ist geboren, ein Sohn uns gegeben, auf seinen Schultern liegt unsere Würde. Man nennt ihn: er ist Gottes Rat, Vater unseres Sieges, Friedensbringer.
Für welches Kind Jesaja dieses Lied gesungen hat, wissen wir nicht. In welcher Situation er es tat, schon eher. Das wird ja auch deutlich. Das Leben der Menschen ist finster, sei wohnen in einer Todeszone, das Leben ist Qual, zur Arbeit wird man geprügelt. Dröhnend hört man die Kampfstiefel der Soldaten, ihre Uniformen verschmiert vom Blut ihrer Opfer.
Heute sieht das Leben von vielen Menschen genauso aus wie Jesaja es vor 2800 Jahren beschrieb. Nichts hat sich geändert. Syrien, Afgahnistan, Jemen. Aber auch vielen von uns geht es nicht besser, obwohl wir nicht in einer Todeszone leben müssen, wo die Weltmächte um ihren Einfluss kämpfen. Man kann das Lied auch als Beschreibung unseres seelischen Erlebens hören. Leben ist finster, ohne Sinn. Das gilt für mehr Menschen als wir wahrhaben wollen. Leben ist Qual. Jeden Tag auf‘s Neue reißen Depression Menschen in die Tiefe. Arbeit ist nicht erfüllend. Man muss sich hinquälen. Oft für einen Lohn, von dem man nicht wirklich leben kann. Wir sind von Ängste besetzt wie von einer wilden Soldateska. Wie viele, gerade junge Menschen ritzen sich blutig, um wenigsten etwas von diesem Druck los zu werden.
Und Gott? Wo ist Gott in unseren Finsternissen?
Jesaja singt: Ein Kind ist geboren, ein Sohn uns gegeben, auf seinen Schultern liegt unsere Würde.
Sein Lied sollte den Menschen seiner Zeit Mut machen. Gott sieht das Elend seiner Menschen und er will es ändern. Jedes Kind ist Neuanfang. Hoffnung. Zukunft ohne genau zu wissen, wo sie hinführt.
Wahrscheinlich hat Jesaja mit diesem Kind einen Nachkommen des großen Königs David gemeint. Als starker Herrscher würde er das Land von den Assyrern befreien, den Geschundenen ihre Würde als Menschen zurückgeben.
Wenn ein Kind geboren wird bekommt es einen Namen. Einen offiziellen. Oft auch einen inoffiziellen. Der beschreibt die besondere Beziehung, die Vater oder Mutter zu diesem Kind haben. Als mein Vater mich das erst Mal sah, fühlte er sich erinnert an eine Comicfigur namens Bone. Wahrscheinlich weil ich dünn war, wie ein abgekauter Knochen.
Das Kind, von dem Jesaja singt hat auch Namen. Aus dem hebräischen kaum zu übersetzen: Gottes Rat, Vater unseres Sieges, Friedensbringer. Jeder König bekommt solche Beinamen. Den ersten Kaiser des römischen Reiches nannte man Caesar, was nichts weiter hieß als der „Behaarte“. Vater des Vaterlandes hießen wir unseren Kaiser. Bismarck den Eisernen. Mutti unsere Kanzlerin.
Heute feiern wir die Geburt Jesu Christi. Wie und wo Jesus wirklich geboren wurde, wissen wir nicht. Aber wir Menschen geben uns mit unserem Unwissen nicht zufrieden. Davon erzählte ja schon die Paradiesgeschichte. Wir wollen wissen. Was wir nicht wissen, ersetzen wir mit unserer Phantasie. Science fiction lässt grüßen.
So kam Lukas zu seiner Geburtsgeschichte. Böse Leute würden heute sagen: alles fake news! Lukas kannte die jüdischen Geschichten der Propheten sehr genau. Er hatte seinem Lehrer und Freund Paulus gut zugehört.
Und daraus bastelt er die uns bekannte Geschichte der Geburt Christ. Nichts an ihr ist Zufall, jedes Detail eine Anspielung an die jüdischen Geschichten und Traditionen. Die Hirten, eine Anspielung an den großen König David, der als Hütejunge angefangen hat. Bis hin zu Ochs und Esel, die besser wissen als die Menschen, wer für sie sorgt. Die Magier und die Flucht vor der Staatspolizei wegen Verschwörung stammen von Matthäus.
Die entscheidende Änderung ist jedoch die Verlegung der Geburt in einen Viehstall mitten in der Nacht, mit einem Vater, der nichts geregelt bekommt, weil er weiß: das Kind ist nicht von ihm. Dieses Arrangement stellt alle Geburtsgeschichten, die die Antike von großen Persönlichkeiten als PR-Geschichten erzählte, auf den Kopf, und führt sie gleichzeitig ad absurdum.
Gott kommt in einem Kind zur Welt, hat Eltern, die nicht mal für sich selber sorgen können, in einem Saustall mitten in einer kalten Nacht, in einem Dorf, das die Welt nicht kennt. Und die Hirten treiben das Chaos auf die Spitze mit ihrer meckernden, stinkenden Ziegenherde.
Menschen, die in Finsternis gehen, sehen Licht, wer in der Todeszone wohnt, Licht erscheint über ihm.
Gott wird nicht Mensch in einem Palast. Kein König. Kein Herrscher, der Größenphantasien erfüllt. In den Palast kommt der verratene Gott am Ende seiner Geschichte, als Angeklagter, zum Verhör, in Ketten, kurz vor seiner Hinrichtung. Wir machen kurzen Prozess mit Gott, macht er nicht, was wir wollen.
Groß machst DU unseren Jubel, groß unsere Freude, wir freuen uns vor deinem Angesicht, als ob wir das Leben gewonnen haben oder den vollen Lohn unserer Mühen ernten dürfen.
Der Gag an der lukanischen Geschichte. Perspektivwechsel. Gott wechselt die Perspektive. Das ist das Geheimnis dieser Nacht. Gott selbst lebt ein Leben von einer kümmerlichen Geburt bis zum qualvollen Tod, als Verbrecher am Kreuz.
Aus der Perspektive derer, die wir armselig, nicht lebenswert, sinnlos nennen, schaut Gott uns wohlwollend an. Mit dem Lächeln eines Neugeborenen.
Ein Kind ist geboren, ein Sohn uns gegeben, auf seinen Schultern liegt unsere Würde.
Er äußert sich all seiner G’walt, wir niedrig und gering, und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding.
Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran
Heißt es in einem alten Reformationslied. Vielleicht ist es das, was wichtig ist: lassen wir uns von IHM, dem Schöpfer aller Dinge, in unserer Armseligkeit und Niedrigkeit wohlwollend anschauen? Wird Gott nicht in unserem Herzen geboren, wird er gar nicht geboren. (Angelus Silesius)
Der Blick Gottes auf unser Leben verändert uns. Wir merken. Unser Wert besteht nicht darin, was wir sinnlos anhäufen, nicht in unserer oft schamlosen Besitzgier, dranghaftem Streben nach immer mehr Wissen, nicht darin, dass wir immer volle Pulle etwas leisten und einen durchtrainierten Körper bis ins Alter haben, ja noch nicht einmal darin, dass wir heile Knochen oder eine unbeschadete Seele haben. Solche Werte führen Leben ad absurdum.
Groß machst DU unseren Jubel, groß unsere Freude, wir freuen uns vor deinem Angesicht, als ob wir das Leben gewonnen haben oder den vollen Lohn unserer Mühen ernten dürfen.
Unser Wert besteht darin, dass wir uns von IHM, von Gott, wohlwollend angeschaut wissen. Er kommt in unsere Nacht. Zerbricht das Joch unserer Quälerei, das uns den Rücken krumm machte, die Knute, die uns unbarmherzig schlägt, wie ein morsches Stück Holz.
Die Wirkung eines freundlichen, wohlwollenden Blicks kennen wir. Wir fangen an, uns selber anders anzuschauen. Merken, sind nicht mehr amselig, aus der Welt gefallen, beschämt, sondern viel reicher als wir uns das erträumen konnten.
Groß machst DU unseren Jubel, groß unsere Freude, wir freuen uns vor deinem Angesicht, als ob wir das Leben gewonnen haben oder den vollen Lohn unserer Mühen ernten dürfen.
Der Perspektivwechsel Gottes, sein Blick auf uns verändert unser Leben.
Ich lag in tiefster Todesnacht, DU warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht, Licht, Leben, Freud und Wonne, o Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht‘, wie schön sind deine Strahlen.
Ich sehe dich mit Freuden an, und kann mich nicht satt sehen, und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen.
Wann oft mein Herz im Leibe weint und keinen Trost kann finden, rufst DU mir zu: Ich bin dein Freund, der Tilger deiner Sünden. Was trauerst du o Menschlein klein? Du sollst ja guter Dinge sein, ich zahle deine Schulden.
Gottes Heiliger Geist befestige diese Worte in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf daß euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen
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Der müde König und das Kind - Predigt zu Jesaja 7, 10-14 von Kathrin Oxen
Präfamen zur Lesung des Predigttextes:
Der Predigttext stammt aus dem alten Testament aus dem Buch des Propheten Jesaja und kann einem konkreten geschichtlichen Ereignis zugeordnet werden. Der König von Israel, Ahas, ist in einer politischen Zwickmühle, er wird von den Königen der Nachbarstaaten aufgefordert, sich mit ihnen gegen die feindliche Großmacht Assur zu verbünden. Der Prophet Jesaja warnt Ahas vor diesem Bündnis und fordert ihn auf, sein Vertrauen auch angesichts der schwierigen äußeren Situation auf Gott zu setzen.
Und der HERR redete abermals zu Ahas und sprach: Fordere dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe! Aber Ahas sprach: Ich will's nicht fordern, damit ich den HERRN nicht versuche. Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist's euch zu wenig, daß ihr Menschen müde macht? Müßt ihr auch meinen Gott müde machen? Darum wird euch der HERR selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.
Liebe Gemeinde,
die Geburt eines Kindes als Zeichen. Ein Kind als Zeichen.
Wer von Ihnen eigene Kinder oder die Ankunft von Kindern aus der Nähe erlebt hat, weiß, welche verändernde Kraft ein Kind mit sich bringt. Schon Monate vor der Geburt, zunächst ganz unbemerkt von der Umgebung, gibt es kleine, aber unmissverständliche Zeichen, dass bald nichts mehr sein wird, wie es einmal gewesen ist.
Jede Schwangerschaft ist voller Zeichen: Was gewohnt, vertraut ist, bleibt aus. Später gibt das Kind mit seinen ersten Bewegungen selbst deutliche Zeichen seiner Gegenwart. Die Zeichen der Schwangerschaft werden deutlicher, für alle sichtbar. Und dann wartet die Schwangere auf Zeichen. Wann ist es endlich soweit? Wann kommt das Kind zur Welt?
Die größte Veränderung aber ist die Geburt des Kindes. Nichts ist danach mehr, wie es vorher war. Mit meinem Kind ist jemand in der Welt angekommen, der klein und verletzlich, aber gleichzeitlich von überwältigender Kraft ist. Ein Kind, das absolut auf mich angewiesen ist, dem ich mich hingeben muss in einer Weise, die ich vorher nicht gekannt habe. Seinen Forderungen kann ich mich nicht entziehen kann.
Ein Kind, durch das ich aber auch Anteil bekomme an einer Freude und Dankbarkeit, wie ich sie vorher nicht kannte. Ein Kind, das die Zukunft im Sinne des Wortes „verkörpert“, mit dessen Wachsen und Großwerden ich spüre, dass das Leben weitergeht und nicht bei mir stehen geblieben ist. Ein Kind, mit dem ich neu erfahre, was ich selbst schon fast vergessen hatte. Was für mich selbstverständlich ist, bringt mein Kind zum Staunen, was ich schon nicht mehr wahrnehme, sehe ich in seinen Augen leuchtend gespiegelt.
Ein Kind, jedes Kind ist ein Zeichen. Gerade zu Weihnachten wird uns das bewusst, an der Freude der Erwachsenen über die Freude der Kinder. „Weihnachten ist mit Kindern doch am schönsten“, das habe ich in der Vorweihnachtszeit oft gehört. Fast immer klang darin eine leise Wehmut mit: Die Kinder werden schnell groß und dann fehlen sie uns als Zeichen für Erwartung und Leben, Hoffnung und Zukunft, Dankbarkeit und Freude, Geheimnis und Wunder. Sie fehlen uns nicht nur zu Weihnachten.
Ein Kind als Zeichen. Ein Zeichen für Ahas, den König von Juda, der mitten in einem schwierigen politischen Konflikt steckt. Ahas sieht die Bedrohung, die von zwei Seiten auf ihn zukommt, sie droht ihm alle Hoffnung auf die Zukunft zu nehmen.
Wenn ich mir Ahas ansehe, dann ist er mir über die Jahrtausende hinweg unangenehm vertraut: Ahas, der König, ist unzweifelhaft erwachsen, eingespannt in die Anforderungen des Lebens. Er steht unter dem Zwang, sich entscheiden zu müssen. Worauf soll er setzen? Auf die unmissverständlichen Anforderungen, die die Wirklichkeit in Gestalt der möglichen politischen Verbündeten an in stellt? Oder soll er sich an Gott wenden?
Worauf soll ich setzen, woran soll ich mich halten, an Tatsachen, an die Realität, an das, was schon immer so gewesen ist, an das ewige „allens bliwt bi’n ollen“? Oder kann ich an eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit glauben?
Ahas hat den Vorschlag abgelehnt, von Gott ein Zeichen zu fordern, Er will Gott nicht versuchen. Das soll man ja auch nicht, aber in seinem Fall ist das nichts als eine Ausrede. Auch das kenne ich aus meiner eigenen Erfahrung:
Wie müde man werden kann in einer Beziehung, in der Beziehung zu anderen Menschen, aber auch in der Beziehung zu Gott. So müde, so hoffnungslos, so realistisch, das man es nicht mehr für möglich hält, dass da noch etwas anderes sein könnte, etwas, das ich nicht erwarte. So müde, dass man den anderen Menschen oder eben auch Gott nicht einmal mehr ansprechen mag. „Der ändert sich ja doch nicht“, „Glaubst du denn, dass da plötzlich ein Wunder passiert?“
Von dieser großen Müdigkeit habe ich schon viel gesehen, auch bei mir selbst. Die Spuren dieser großen Müdigkeit zeichnen sich in unseren Gesichtern ab, in den angestrengten Gesichtern der Erwachsenen, in den Augen, in die auch viele Weihnachtskerzen keinen Glanz mehr bringen können. Wir spüren sie, aber wir müssen sie nicht als gegeben hinnehmen
Denn der erwachsene Ahas bekommt ein Zeichen, dieser müde König, der sich und andere müde gemacht hat und nicht einmal mehr bitten mag, „Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“
Das Zeichen, das von Gott kommt, ist ein Kind. Es ist das Zeichen der größten Lebendigkeit, die wir uns vorstellen können, das Zeichen von Erwartung und Leben, Hoffnung und Zukunft, Dankbarkeit und Freude, Geheimnis und Wunder. Dieses Kind hat einen Namen: Immanuel, „Gott mit uns“.
Für Ahas, den erwachsenen, müden König heißt das: Du bist nicht alleine, Ahas, Gott kommt zu dir und ist mit dir. Zu dir kommt in diesem Kind alles, was dir fehlt. Erwartung und Leben in deine Hoffnungslosigkeit und tödliche Müdigkeit, Hoffnung wider den Augenschein und Zukunft in einer schwer zu überblickenden Wirklichkeit, Dankbarkeit und Freude anstatt Verbitterung und Resignation, Geheimnis und Wunder gegen alle Alltäglichkeit und Vorhersehbarkeit.
Dieses Kind kommt, die Jungfrau ist schwanger, das Kind ist schon verborgen da im Leib seiner Mutter. So verborgen, aber an untrüglichen Zeichen erkennbar, kommt Gott in unsere Welt. So wie zu Ahas kommt Gott mit diesem Kind zu uns erwachsenen, oft so müden und einsamen Menschen. Obwohl wir von Gott gar nichts mehr erwarten oder noch nie erwartet haben, kommt er zu uns, hinein in den Alltag mit seinen schwierigen Entscheidungen. Unsere Wirklichkeit und Gottes Wirklichkeit gehören zusammen.
Oft verbauen wir uns selbst den Zugang zu der Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit, indem wir uns zum Beispiel mit der Frage müde machen, was es mit der Jungfrau auf sich hat und ob man das glauben kann oder nicht. Auf hebräisch ist eindeutig von einer jungen Frau die Rede und erst die griechische Übersetzung des Alten Testaments hat daraus eine Jungfrau im biologischen Sinne gemacht.
Aber an diesem Kind sollen uns nicht die Umstände seiner Geburt interessieren, die Frage, ob seine Mutter eine Jungfrau oder eine junge Frau ist. Das soll uns nicht davon abhalten, das Zeichen Gottes zu sehen. Das Zeichen ist das Kind, dessen Name Immanuel ist, Gott mit uns.
Auch in der Weihnachtsgeschichte des Lukas ist von einem Kind als Zeichen die Rede: „Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“.
An Jesus können wir sehen, wie Gott ist und wo wir ihn suchen sollen. Gott kommt als Kind in unsere Welt, klein und verletzlich, geboren in Dürftigkeit in einem entlegenen Winkel der Welt. Eine Geburt, die alle Vorstellungen davon, wie Gott in die Welt kommen könnte, über den Haufen wirft.
Auch das Kind in der Krippe wird erwachsen, aber es wird nie müde. Jesus von Nazareth behält auch als Erwachsener alle Zeichen des Kindes:
Jesus hat andauernd getan, was „man“ nicht tut, er hat Gott einfach Vater genannt, er hat sich mit Prostituierten und Kleinganoven an einen Tisch gesetzt, er hat die Armen glücklich gepriesen und den Reichen gedroht. Er hat Kranke geheilt und Hungrige satt gemacht und damit die Wirklichkeit seiner Welt so verändert, dass sie Gottes Wirklichkeit ähnlicher geworden ist.
Jesus hat alles infrage gestellt, was wichtig für uns ist, Beziehungen, Besitz, Macht, all die Wirklichkeiten, die unser Leben bestimmen wollen. Er fordert, dass sich unser Leben verändert. Er fordert bedingungslose Hingabe, wie ein Kind sie von uns fordert.
Jesus von Nazareth hat sein Leben lang bestehende Ordnungen außer Kraft gesetzt, wie Kinder das tun. Nichts ist so geblieben wie es vorher war. Auch die eine große Ordnung,
dass mit dem Tod alles vorbei ist, hat er in der Auferstehung außer Kraft gesetzt.
An Jesus sehen wir, wie Gott uns erwachsene Menschen haben will. Gott will uns nicht als müde Könige, die sich abmühen, ihr Reich zusammenzuhalten, die sich bedingungslos unterwerfen, die tun, was man tut, die nichts infrage stellen und die Ordnungen, die sie selbst gemacht haben, einhalten. Gott fordert uns auf, nicht müde Erwachsene zu bleiben, sondern wie die Kinder zu werden, die Erwartung und Leben, Hoffnung und Zukunft, Dankbarkeit und Freude, Geheimnis und Wunder noch spüren und weitergeben können. Deswegen kommt er selbst als Kind.
Ein Kind als Zeichen für uns. Wer noch keine Kinder hat, wessen Kinder groß sind, wer keine Kinder haben kann, wer vergessen hat, was es heißt, ein Kind zu haben, wer auch mit Kindern müde geworden ist in der Welt der Erwachsenen, der kommt doch heute Abend hierher. In dieser Nacht stehen wir um die Krippe. Wir sehen das Kind und sehen, mit welcher Liebe Gott uns liebt, wie er zu uns kommt und mit uns ist. Wie er sich uns zeigt in Zartheit und überwältigender Kraft. Weihnachten haben wir alle ein Kind. Und werden selbst wieder Kinder. Wir lieben, wir hoffen, wir glauben.
Amen.
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Großes Licht, große Freude – Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Martin Weeber
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.
„Euch ist ein Kindlein heut geborn / von einer Jungfrau auserkorn, / ein Kindelein so zart und fein / das soll eu’r Freud und Wonne sein.“ So singen wir, wenn wir Luthers Weihnachtslied singen: „Vom Himmel hoch da komm ich her / ich bring euch gute neue Mär / der guten Mär bring ich so viel, davon ich singen und sagen will.“ Das ist die gute neue Mär, die gute Nachricht, die uns zugesagt wird in der Christnacht: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Und diese gute Nachricht soll es hell werden lassen in unseren Herzen. Licht in der Finsternis: Das ist es, was das Christfest uns bringt. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Licht in der Finsternis. Ein großes Licht und eine große Freude. Und dieses große Licht und diese große Freude: Sie gehen aus von einem kleinen Kind. Welch eine Freude, wenn ein Kind geboren wird! Welch eine Erleichterung für die Mutter, wenn die Geburt gut überstanden ist! Schlimme Zustände müssen herrschen, wenn die Geburt eines Kindes kein Anlass zur Freude ist. Solange Kinder geboren werden, besteht Anlass zum Vertrauen und zur Hoffnung. So lesen wir es bei der jüdischen Philosophin Hannah Arendt:
„Daß man in der Welt vertrauen haben und daß man für die Welt hoffen darf, das ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien die frohe Botschaft verkündigen: ‚Uns ist ein Kind geboren.‘“1 „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“
Wenn wir diese Worte des Propheten Jesaja hören, dann denken wir sofort an Jesus, den Christus, den Heiland, den Messias, den Retter, den Erlöser, an das kleine Kind in der Krippe, das so Großes bewirkt. Wir zählen die Jahre der Weltgeschichte neu ab seiner Geburt. Es gibt eine Geschichte der Welt vor Christus, und es gibt eine Geschichte der Welt nach Christus. Wir denken an Jesus. An wen dachte der Prophet Jesaja? Er schreibt sein Buch viele hundert Jahre bevor Jesus geboren wird. Er mag an einen der guten Könige denken, die das Volk Israel gelegentlich auch hatte. Welcher dieser Könige es auch sein mag: Jesaja schaut in die Vergangenheit zurück. Denn man kann die beiden ersten Verse ohne weiteres in der Vergangenheitsform übersetzen, die neue Fassung der Lutherbibel weist darauf nicht umsonst ausdrücklich hin. Dann würde man so übersetzen: „Das Volk, das im Finstern wandelte, sah ein großes Licht, und über denen, die da wohnten im finstern Lande, schien es hell. Du wecktest lauten Jubel, du machtest groß die Freude. Vor dir freute man Ankersich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.“ Es gab im alten Israel manche guten Könige. Und die vermochten es dann, eine Zeitlang, das Volk Israel vor seinen Feinden zu bewahren. Darüber war dann die Freude groß. Aber diese Friedenszeiten, sie waren begrenzt, sie gingen vorüber. Und so kam es, dass die große Erwartung entstand, es möge einst ein König geboren werden, der einen ewigen Frieden in die Welt zu bringen vermöge. Der Prophet Jesaja schaut zurück. Auch wir schauen zurück. Aber wir schauen nicht nur zurück auf eine begrenzte gute Zeit, auf eine begrenzte gute Herrschaft. Wir schauen zurück auf den Beginn einer Friedenszeit ohne Ende. Für uns ist Jesus der „Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“ Er ist der, in dem sich Gott uns auf ewig väterlich uwendet. Er ist der, der uns wunderbaren Rat zu geben vermag. Er ist der wahre Held für uns, der wahre Fürst des Friedens. Und das schon von seiner Geburt an. Er wird nicht erst dazu, er ist es von Anfang an. „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“
Überschwängliche Freude kommt hier zur Sprache. Die Sprache überschlägt sich vor Freude. Und im Überschwang der Freude verstummen die Fragen. Denn Fragen stellen sich natürlich. Nach dem Überschwang über die Freude der Geburt kehren die bangen Fragen doch irgendwann zurück: Schaffen wir es, unser Kind gut aufzuziehen? Können wir ihm geben, was es braucht? Können wir es beschützen und behüten? Auch im Blick auf die Geburt Jesu stellen sich Fragen: Sie stellten sich Maria und Josef, denen ein Engel im Traum befahl, nach Ägypten zu fliehen, um den Nachstellungen des bösen Königs Herodes nachzugehen. Wie soll das klappen? Wird ihnen jemand helfen auf ihrer Flucht? Wie sollen sie sich durchschlagen in dem unbekannten Lande? Flüchtlingsfragen, die Menschen sich bis heute stellen müssen. Fragen stellen sich auch uns:
Wenn Jesus der Friede-Fürst und Friedensbringer ist, und wenn sich so viel geändert haben soll durch seine Geburt: Weshalb gibt es dann noch so viel Unfrieden auf der Welt, so viel Streit, so viel Unglück und Not? Und wie soll auch solch ein wehrloses Kind Frieden in die Welt bringen können? Die „Völker, die im Finstern wandeln“, die Menschen, die sich von Dunkelheit umgeben fühlen – die gibt es ja heute noch. Hat sich also doch nicht so viel geändert durch die Geburt Jesu? Nun, es ist doch nicht alles geblieben, wie es war: Immer wieder haben sich Menschen durch den wehrlosen Friedensfürsten dazu bewegen lassen, Streit zu überwinden und zur Versöhnung auf der Welt beizutragen. Immer wieder nimmt der Anblick des Kindes in der Krippe unsere Herzen gefangen und löst unsere Herzenshärtigkeit auf. Ich weiß nicht, wie es aussähe in unserem Leben, wenn wir uns nicht Jahr für Jahr dazu einladen ließen, die Geburt Jesu auf’s Neue für uns gegenwärtig werden zu lassen. Wäre die Welt eine bessere, wenn wir Weihnachten nicht feiern würden?
Ich glaube das nicht. Und würden wir Weihnachten besser feiern, wenn wir auf all das verzichten würden, was den sentimentalen Reiz dieses Festes ausmacht? Auch das glaube ich nicht. Allerdings: Weihnachten ohne Gottesdienst – das ginge irgendwie gar nicht. Dann wäre das Weihnachtsfest nicht mehr das Christfest. Ein Weihnachtsfest ohne Gottesdienst – das wäre für mich eine arg traurige Vorstellung. Aber das sehen Sie offensichtlich auch so – darum sind Sie ja hier im Gottesdienst: Um gemeinsam die große Freude über das große Licht zu teilen. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ Ach, wie viel fehlte uns ohne dieses herzberührende Fest! Der Prophet Jesaja schaute zurück auf die Geburt eines guten Königs. Aber am Ende schaute er auch nach vorne auf eine Zeit, in der „des Friedens kein Ende mehr sei auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ Alles, was Menschen schaffen können an Frieden und Recht und Gerechtigkeit ist zeitlich begrenzt. Trotzdem ist es hoch zu schätzen. Auch wir schauen zurück. Wir schauen zurück auf die Geburt des Gotteskindes. Aber auch wir schauen voraus, voraus in die Zukunft. Wir warten darauf, dass Gott vollendet, was er in Jesus Christus begonnen hat. Die Geburt Jesu ist der Beginn einer neuen Zeit, aber sie ist noch nicht die Vollendung der Pläne Gottes. „Euch ist ein Kindlein heut geborn / von einer Jungfrau auserkorn, / ein Kindelein so zart und fein / das soll eu’r Freud und Wonne sein.“ Man kann jede Freude und jede Wonne zerreden und zerstören.
Kritisieren lässt sich jedes Glück. Aber wir leben davon, dass von Zeit zu Zeit all die Fragen stillgestellt werden durch den Überschwang großer Freude. Der Überschwang der großen Freude erneuert unser Vertrauen ins Leben. Und diese große Freude will Gott selber uns immer wieder ins Herz geben. An Weihnachten auf ganz besonders berührende Weise.
Amen.
1 I Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, 1958, dt. 1967, 20064, 317. Den Hinweis auf dieses Zitat von Hannah Arendt verdanke ich (ebenso wie den Hinweis auf die grammatikalisch korrekte Übersetzung im Präteritum/Perfekt, s. unten) einer Predigtmeditation von Prälatin Gabriele Wulz, in: Für Arbeit und Besinnung. Zeitschrift für die Evangelische Landeskirche in Württemberg, 2017/22, 15-19.
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Sondierungsgespräch – Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Jürgen Kaiser
Es ist Weihnachten, liebe Gemeinde. Das Fest des Friedens, der Ruhe, der Besinnung. Sagt man.
Es ist Weihnachten. Das Fest der Lichter, der Geschenke, der Liebe. Sagt man.
Es ist Weihnachten - jedenfalls das Fest, an dem jedes Jahr immer alles anders ist, wie sonst im Jahr. Meint man.
Aber nicht in diesem Jahr. Denn wir haben immer noch keine Regierung. Das ist nicht schlimm und sollte uns nicht davon abhalten, Weihnachten zu feiern. Allerdings meldet sich jedes Jahr zu Weihnachten ein Prophet zu Wort, der es selbst an Weihnachten nicht lassen kann, Politik zu machen. Der Prophet sagt die Geburt eines Kindes an - normalerweise keine hochpolitische Angelegenheit. In diesem Fall aber schon. Hört selbst, was er zu sagen hat.
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.
Wir haben immer noch keine Regierung, liebe Gemeinde. Immer noch steht die Frage im Raum – und im ganzen Land -, was die beste Regierung sei – nicht nur für unser Land, sondern für die ganze Welt. Wer ist der beste Regent? Und was muss er können, was muss er haben?
Die Frage könnte uns wenigstens an Weihnachten egal sein. Aber der Prophet verbindet die Geburt eines Kindes mit der Vorstellung einer Regierung, die bestimmten politischen Zielen verpflichtet ist. Das Kind wird ein Herrscher, der für Recht und Gerechtigkeit und Frieden sorgt.
Das sind große Worte und hehre Ziele. Kein Politiker, der sich nicht für Recht und Gerechtigkeit und Frieden einsetzen würde. Strittig sind nicht die Ziele, strittig ist der Weg zu ihnen. Sieht man nämlich genau hin, offenbaren sich gravierende Unterschiede. Der Teufel steckt im Detail, sagt man. An Weihnachten könnte es auch der Heiland sein, der im Detail steckt. Man muss genau hinsehen! Was ist die beste Regierung? Es gibt vier Meinungen, Überzeugungen, Fraktionen, Parteien.
Erstens: Wunder-Rat.
Die einen sagen: Die beste Regierung müsse vor allem eine Herrschaft der Vernunft sein. Eine Regierung der Vernunft ist eine gut beratene Regierung. Eine Regierung der Vernunft setzt nicht nur auf Parteiinteressen. Die Verantwortung für das Land steht über dem Wohl der Partei. Darum lässt sich eine solche Regierung auch durch unparteiische Fachleute beraten. Sie fällt ihre Entscheidungen erst nach reiflicher Abwägung aller Argumente, sie fördert den breiten gesellschaftlichen Diskurs.
Zweitens: Gott-Held.
Eine gute Regierung dürfe nicht ewig reden und beraten, meinen die anderen. Entscheidend seien Stärke, Durchsetzungskraft und Stabilität. In unserer schnelllebigen Zeit müssen Entscheidungen zeitnah getroffen und vor allem auch durchgesetzt werden. Es nütze wenig, nur gründlich beratene Gesetze zu haben, und nicht auch deren Einhaltung zu kontrollieren. Daher setzt man sich für den starken Staat ein, für eine handlungsfähige Regierung, für viele und gut ausgerüstete Ordnungskräfte, eine effiziente Verwaltung und dergleichen. Handeln statt reden.
Drittens: Ewig-Vater
Diese Partei setzt auf Kontinuität und Verlässlichkeit. Sie ist stolz auf die lange Regierungszeit des Landesvaters oder der Landesmutter und fragt sich, was wird kommen, wenn er oder sie nicht mehr da ist. Nur die Kühnsten in dieser Partei denken an diesen Fall, die meisten wagen gar nicht, daran zu denken, dass er oder sie mal nicht mehr da sein könnte. Er ist ein guter Regent, er mag die Leute, sie glauben ihm, dass er ihre Sorgen kennt und sich um ihr Glück kümmert. Es ist die Partei des Paternalismus. Vielleicht gibt es das auch in der gendergerechten Form als Maternalismus. Kontinuität und Verlässlichkeit sind für sie das höchste Gut in der Politik. Was immer kommen mag, Ewig-Vater, Ewig-Mutter wird es richten.
Viertens: Friedefürst
Der Pazifismus ist noch nicht ausgestorben. Frieden hat die oberste Priorität, Friede auf Erden allen Menschen guten Willens – und auch denen bösen Willens! Wer die Botschaft von Weihnachten ernst nimmt, darf keine Waffen mehr produzieren, erst recht nicht exportieren. Mit Krieg lässt sich nie Frieden machen. Auch nicht mit kriegerischen Mitteln. Nur die totale Gewaltfreiheit hat die Chance auf einen echten Frieden. Wer sich wehrt, eskaliert den Streit. Wenn du geschlagen wirst, lass dich noch mal schlagen, sagt der Friede-Fürst. Wer wirklich Frieden will, kann nicht radikal genug sein.
Das sind die vier Parteien, die für eine Regierung infrage kommen. Sie haben ziemlich unterschiedliche Vorstellungen. Vor langer Zeit hatte der Prophet eine Vision. Er sah einen Herrscher kommen, in dem all diese unterschiedlichen Vorstellungen vereint sind. Einen idealen Herrscher also. Einer, der alles ist: gut beraten und vernünftig, entscheidungsfreudig und durchsetzungsfähig, der sich ebenso um die Menschen vor Ort kümmert und ihre Sorgen ernst nimmt und der sich für den Frieden einsetzt, einer der so mächtig ist, dass keiner mehr gegen ihn Krieg zu führen wagt.
So einer soll kommen. Sagt der Prophet. Die große Vierer-Koalition in Person. Wer mag, kann sie Israel-Koalition nennen. Denn daher stammt die Idee. Mit Fahnen-Farben hat das nichts zu tun, sondern mit David und seinem Stern. David, der ideale Herrscher, David, der Stern Israels, und sein Nachfolger auf dem Thron Davids, das Licht der Völker.
[An dieser Stelle kann die Predigt durch ein Lied unterbrochen werden, z.B. EG 12: „Gott sei Dank durch alle Welt“]
Aber, liebe Gemeinde, die Koalition kam nicht zustande. Es lag nicht an einer Partei. Es lag an Gott. Gott hatte einen anderen Plan. Gott hat die Seiten gewechselt.
Es wurde zwar ein Kind geboren, wie der Prophet sagte. Das wuchs in Israel auf. Aber es wurde kein Herrscher. Kein Held. Kein Fürst, kein König, auch kein Ewig-Vater. Später nannten sie ihn ewig Sohn. Sohn Gottes. Man weiß bis heute nicht, ob ihm selbst das bewusst und angenehm war. Und wenn, dann trug er dieses Bewusstsein nicht vor sich her und verschwieg den Titel auf seiner Visitenkarte.
Er hat nie nach Macht gestrebt. Er wurde nicht Kanzler, kein Präsident und kein Premierminister. Stattdessen ist er durch die Gegend gelaufen und hat Geschichten erzählt. Von klugen Menschen. Von gerechten Menschen. Von gnädigen Menschen. Eigentlich waren sie immer alles zusammen, klug, gerecht und gnädig. Bei den Menschen in seinen Geschichten kommt das zusammen. Und bei einigen Geschichten weiß man nicht recht, ob es nicht eigentlich Geschichten vom lieben Gott sind. Von einem sehr menschlichen Gott.
Obwohl er nie nach Macht gestrebt hat, haben sie ihm eine Krone aufgesetzt und hingerichtet. Er hat sich nicht gewehrt.
Erst später ist uns klar geworden, dass Gott dahinter steckte. Erst später ist uns klar geworden, dass Gott mit ihm einen neuen Regierungsstil erfunden hat. (Wenn ich in die Welt sehe, bin ich gar nicht sicher, ob es schon allen klar ist.) Gott hat die Seiten gewechselt. Er ist Mensch geworden. Er tritt nicht mehr als Herrscher und Regent in Erscheinung. Er hat sich unters Volk gemischt. Er tritt als Regierter in Erscheinung. Er ist Mensch geworden, und das sehr gründlich. Auf tiefster Stufe, auf niedrigstem Level. Er ist ein armer Mensch geworden, ein schwacher, ein nackter, ein fremder und ein verfolgter Mensch. Wegen solcher Menschen ist er genau ein solcher Mensch geworden. Was wir den Geringsten getan haben, das haben wir ihm getan, diesem geringsten Menschen, in dem Gott ist. Und was wir dem Schwächsten nicht getan haben, das haben wir ihm – Gott - nicht getan.
Es ist Weihnachten, liebe Gemeinde – und wir haben immer noch keine Regierung. Aber wir schaffen das! Um eine gute Regierung auf die Beine zu stellen muss man nicht auf den Messias warten. Er ist nämlich längst da – mitten unter uns. Ein bisschen unscheinbar ist er. Man übersieht ihn leicht. Und man überhört ihn oft, denn er nicht der, der auf den Straßen brüllt. Er ist der, der in Ställen zur Welt kommt und abseits in Hütten und Hinterhöfen, in alten Wohnwägen oder Container wohnt und denen, die ihn finden, seine Geschichten erzählt. Er ist der, den wir bei der Suche nach dem richtigen Weg zu Recht und Gerechtigkeit und Frieden im Blick haben. Der Weg dorthin führt nicht über die Machtzentralen der Welt, sondern in ihre dunklen Winkel. Eine gute Regierung braucht keinen Heiland als Regierungschef. Aber eine gute Regierung wird die Armen, die Schwachen, die Verfolgten, die Fremden im Blick haben. Wer sie sieht, wird wissen, was Recht ist und Gerechtigkeit und wie Frieden wird. Nicht allen wird klar sein, dass sie das, was sie für die Armen und Verfolgten tun, für Christus getan haben. Aber darauf kommt es gar nicht an. Seit Gott die Seiten gewechselt hat und Mensch geworden ist, kann man ihn als Gott leicht übersehen. Nur als Mensch darf man ihn nicht übersehen.
Es ist Weihnachten und wir haben immer noch keine Regierung. Aber wir haben Hoffnung. Gott ist Mensch geworden. Das hat etwas mit uns gemacht. Es hat uns menschlich gemacht. Und es wird uns noch menschlicher machen.
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
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Und er wurde Licht - Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Bernd Giehl
Liebe Gemeinde!
Gleich als ich es sah, habe ich gewusst, von wem das Bild stammt. Diesen Maler kenne ich. Den erkenne ich, ohne dass er mir vorgestellt wird. Allein an der Art, wie er seine Personen darstellt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: es ist eine Frau, die hier den Pinsel führt. Die den Augenblick wählt, in dem sie ihr Sujet einfängt. Es liegt ja nahe, weil dieses Bild so intim ist. So ungeheuer zärtlich. Aber wie viele malende Frauen gab es denn? Noch dazu in einer Vergangenheit, die lang zurückliegt? Angelika Kauffmann fällt mir ein, die Porträtmalerin der Goethezeit. Aber ihre Bilder sind bei weitem nicht so intim. So dass man das Gefühl hat, man wohne einer Szenerie bei, die nicht für die Augen eines Anderen bestimmt sind. Man würde ja gar nicht eintreten, wenn der Maler einen nicht ausdrücklich einlüde. Vielleicht wird man später Eintritt dafür bezahlen müssen, dass man zuschaute, aber das ist jetzt nicht wichtig. Sicher wird man nicht mehr bezahlen müssen, als man dafür bekam. Denn der Mann der uns eingelassen hat in sein Allerheiligstes sieht eigentlich ganz vertrauenswürdig aus. Er selbst habe das Bild gemalt und er werde nicht mehr verlangen, als recht und billig ist. Sagt er. Also sind wir in das kleine Zimmer hineingegangen und er hat sich taktvoll entfernt. Und dann haben wir geschaut und gestaunt
Ach ja. Bevor ich’s vergesse will ich auch noch erwähnen, dass ich auch diesen Text erkenne, den wir vorhin gehört haben. Auch dann, wenn ich ihn nicht selbst vortrage. Dann weiß ich sofort, von wem er stammt. Ist ja auch kein Wunder. Den habe ich ja oft genug gelesen.
Na klar doch. Ich bin ja auch ein altgedienter Kirchgänger. Meist kann ich den Verfasser an seiner Sprache erkennen. Können Sie bei Gelegenheit ja mal nachprüfen.
Aber dieser Text ist noch mal was Besonderes. Er ist so voller Liebe. Zu einem einzelnen Menschen zu einem Volk, zu uns. Er verheißt den Frierenden Wärme, den Verirrten Licht und Orientierung:
Du machst des Volkes viel; du machst groß seine Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast das Joch ihrer Last und die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie zur Zeit Midians. Denn alle Rüstung derer, die sich mit Ungestüm rüsten, und die blutigen Kleider werden verbrannt und mit Feuer verzehrt werden. Denn uns ist ein Kind gegeben, ein Sohn ist uns geboren und er heißt „Wunderbar Rat Gott Held, Ewig-Vater, Friedefürst.
Frieden wird er bringen. Und Freiheit. Und das, obwohl er noch so jung ist. Toll, dass das ausgerechnet ein Prophet sagt, der normalerweise eher droht, als dass er Heil ankündigt.
Respekt, Herr Jesaja. Aber Sie müssen verzeihen. Ich kann mich momentan nicht um Sie kümmern. Ich habe noch mehr Verpflichtungen. Lassen sie sich ein Glas Sekt geben und bleiben sie noch ein bisschen. Es interessiert mich wirklich, was sie mir von diesem Kind, das den Frieden bringen wird, erzählen können. Aber verzeihen Sie, ich habe jetzt noch ein Rendezvous. Doch nicht, was Sie denken. Nicht mit einer Frau. Vielmehr mit einem Maler und seinem Bild. Ja sicher. Bei Gelegenheit werde ich Sie mitnehmen und Ihnen das Bild vorstellen. Falls Monsieur de la Tour das erlaubt. Aber jetzt seien Sie doch so freundlich und reden ein paar Minuten mit meiner Frau. Ja sicher, die ist auch da. Gestatten: Herr Jesaja – Frau Giehl.
Aber jetzt schnell weiter. Wirklich hektisch, diese Advents- und Weihnachtszeit. Nirgendwo kann man länger bleiben. Kaum ist man da, schon muss man weiter. Aber glücklicherweise ist der Maler noch anwesend. Sitzt versunken in seiner Ecke im Nachbarzimmer. Hat von unsrer kleinen Weihnachtsparty wohl nur den Lärm mitbekommen- Ich muss laut klopfen, dann öffnet er. Sein Bild hängt immer noch an der Wand. Was für ein Glück, dass er nicht zur Gesellschaft im Nebenraum gestoßen ist. Er würde nicht passen mit seinem Bauernkittel und seinem grobknochigen alten Gesicht. Und das Französisch, das er spricht ist wirklich außerordentlich schlecht. Ein Lothringer eben. Spricht so wie sie im 18. Jahrhundert geredet haben. Kaum zu verstehen. Ich habe ihn schon mal gesehen. Ich glaube, er war der alte Hirte auf seinem eigenen Bild von der „Anbetung der Hirten.“ Kann’s bei Gelegenheit ja mal überprüfen.
Aber sein Gemälde. So etwas Schönes habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Die Anmut dieser Frau. Schön ist sie ja eigentlich nicht. Aber wie andächtig sie dieses Kind ansieht. Fast schon versunken. Kinder sind ja wirklich niedlich, wenn sie nicht gerade schreien. Und ja doch. Es schläft. So als befände es sich in der besten aller Welten. Es hat den Mund offenstehen. Vielleicht träumt es ja von den Armen seiner Mutter. Die Kerze mit ihrem langen Docht und der großen Flamme scheint es nicht zu stören. Auch die Mutter scheint es nicht zu vermissen. Die Frau, die da vor dem Kind sitzt, ist nämlich gar nicht die Mutter, sondern es ist die Großmutter. Die heilige Anna mit dem Kinde, so heißt das Bild und wenn mich Monsieur de la Tour nicht vorhin informiert hätte, hätte ich es nicht gewusst. Aber ihre Zärtlichkeit, mit der sie das Kind betrachtet, steht der einer Mutter in nichts nach. „Nichts soll dir schaden“, flüstert sie dem Kind zu. „Die Welt ist sicher kein guter Ort für ein kleines Kind wie dich, aber solange ich noch am Leben bin, will ich dich vor ihr schützen. Nichts und niemand soll dir wehtun. Dafür wollen deine Mutter und ich sorgen.“
Ich höre ihren Worten zu. Sie sind schön. Und doch zweifle ich an ihnen, Wie soll das gehen? Wie kann man überhaupt irgendeinen Menschen beschützen vor den Gefahren der Welt. Die von außen kommen, von Ereignissen, auf die wir keinen Einfluss haben, aber auch von innen. Von der eigenen Überheblichkeit. Plötzlich fällt mir etwas auf, Das Licht verändert sich. Es flackert. Es ist gar kein elektrisches Licht. Es ist der Maler selbst, der sein Bild beleuchtet. Mit einer Kerze.
„Gehen Sie nicht zu nah ran“, sage ich unwillkürlich. „Pardon?“ höre ich eine Stimme hinter mir. Ich sage es noch einmal auf Französisch. Er tritt einen Schritt zurück. Das Bild wird dunkler. Besser? fragt er? Ich nicke. Auf jeden Fall geheimnisvoller. Es braucht dieses dunkle Licht. Es mag paradox klingen aber ich sage: In diesem Zwielicht sieht man das Wesentliche besser. Aber jetzt muss ich wirklich weiter. Entschuldigen Sie. Excusez moi Monsieur de la Tour.”
Als ich wiederkomme, ist die Party noch in vollem Gang. Vielleicht sogar noch ein bisschen lauter als vorhin. Auch Herr Jesaja hat jetzt einen kleinen Kreis von Zuhörerinnen un sich geschart. Er sieht ein bisschen exotisch aus mit seinen nackten Beinen, dem Rock und dem lässig um die Schulter geworfenen Wolfspelz, aber das scheint ihn für die Damenwelt attraktiv zu machen. Der Wolf im Wolfspelz.
Eine Weile höre ich ihren Gesprächen zu. Er spielt seine Rolle gut. Erzählt von seinem Leben als Prophet im Südreich. Davon wie er mehr und mehr geschnitten wird, gemieden von den Mächtigen um den König Hiskia, verlacht vom Volk, weil er sagt was Sache ist. Dass das Reich nicht dauern wird, weil die Reichen die Armen unterdrücken und ausrauben. Dass die Assyrer kommen und alles zerstören werden, weil Israel seinem Gott nicht mehr folgt. Wie ihm schließlich niemand mehr zuhören will, weil seine Visionen so schrecklich sind.
„Ich kenne aber eine, die nicht schrecklich ist, sage ich. Gerade eben habe ich sie gesehen.“ Jetzt habe ich seine ganze Aufmerksamkeit. „Ist er gekommen?“ fragt er. „Der Friedefürst?“ „Wer, bitte?“ fragt eine schrecklich mondäne Dame, ebenfalls mit Pelz. Leopard, vermute ich. „Der Friedefürst“, entgegnet er noch einmal, ungeduldig, wie es scheint. Was kümmert ihn die Dame. Jetzt will er es wissen. „Sie hatten keine Ahnung, dass er existiert?“ „Wie sollte ich denn? Ich sah ihn doch nur in Umrissen. Wie im Nebel. Ein Schatten, mehr nicht.“ „Aber Sie glaubten ihm. Dass er kommen würde?“ „Ist er denn wirklich gekommen?“ „Sieht ganz so aus“. „Dann zeigen Sie ihn mir.“
Wir gehen in die kleine Kammer, die jetzt im Halbdämmer wie eine Abstellkammer wirkt. Monsieur de la Tour ist noch da. Er will sein Bild gerade in eine speckige Ledertasche einpacken. „Halt“, sage ich. „Das dürfen Sie nicht.“ Er sieht mich verständnislos an. „Was wollen Sie?“ fragt er auf Französisch. „Es ist doch niemand da. Personne ne viendra. Niemand wird kommen. Was also begehren Sie?“
„Wir wollen beide das Bild sehen. Sie kennen mich doch. Vorhin haben Sie mit mir gesprochen.“ „Comme vous voulez“, sagt er „Wie Sie meinen“.
Er packt das Bild wieder aus der Tasche. Entzündet die Kerze zum zweiten Mal. Löscht das Licht. „Diesmal muss ich aber wirklich Eintritt fordern.“ Ich gebe ihm einen Geldschein. Er nickt, tritt vor das Bild und beleuchtet es mit seiner Kerze. „Ist er das?“ frage ich den Propheten. Der nickt. „So sah er aus in meinem Traum. Klein, verletzbar. Und doch ein großer Herr. Ein Mächtigerer als er selbst würde ihn beschützen.
„Und sie? Die Dame auf dem Bild. Ist sie es, die ihn beschützen wird? Er tritt näher, besieht sich das Bild, dann zieht er mächtige Augengläser aus der Tasche. „Ich weiß nicht, wer das ist. Seine Mutter? Seine Amme? Nein, sie ist es nicht.“
„Es ist seine Großmutter. Anna heißt sie. „Anna, hörst du mich?“ Jetzt spricht er zu dem Bild. Ich warte. Horche. Sie ist leise. „Ich höre dich. Wer bist du?“
„Ich bin der Prophet Jesaja. Ich habe sein Kommen vorausgesagt. Jedenfalls wenn er der Friedefürst ist.“ „Du bist Jesaja? Und kannst mit mir sprechen?“ „Wie du siehst. Oder vielmehr hörst. Was sagst du.
„Toll. Über so große Entfernung. Ein Wunder. Wie machst du das?“
„Keine Ahnung. Ein Wunder eben. Gelobt sei der Herr.“
„Du hast Recht. Gelobt sei sein Name.“
„Bist du die Königin?“
Sie lächelt. „Nein“, sagt sie, „das ist meine Tochter.“
„Ist sie Hiskias Frau?“
„Oh nein. Sie ist die Frau keines Menschen. Sie ist die Himmelskönigin.“
„Davon habe ich noch nie gehört“, sagt Jesaja. „Was ist das: eine Himmelskönigin?“
„Sie regiert im Himmel und auf Erden.“
„Das ist mir zu katholisch“, versuche ich zu protestieren.“
„Katholisch oder nicht: Es ist die Wahrheit.“
„Ich dachte immer: Gott regiert die Welt.“ Auch Jesaja scheint noch nicht überzeugt.
„Er hat es ihr aufgetragen. Sie regiert gemeinsam mit ihrem Sohn. Dem, den du hier siehst.
„Und er ist sanft? Ein Held des Friedens?“
„Das ist er“, sagt sie stolz. Schließlich ist er Gottes Sohn. Und mein Enkel.“
Jetzt scheint Jesaja völlig von der Rolle. Er will protestieren aber der Maler macht jetzt Anstalten, sein Bild wegzupacken. Schon öffnet er seine speckige Tasche. „Jetzt reicht’s“ sagt er traurig. „Ein Bild kann doch nicht reden. „Genug Gaukelei für heute. Ich gehe. Bezahlt haben Sie ja schon. Quittung gibt’s keine.“
„Warten Sie bitte. Ich bezahle noch einmal.“ Schon öffne ich meine Börse, aber als ich ihm das Geld geben will, ist er verschwunden und die Münzen fallen auf den Boden. Wir gehen aus der jetzt leeren Kammer aber er bleibt verschwunden. Als ob er zaubern könnte,. „Er ist weg“, sage ich zum Propheten. Und sein Bild hat er auch mitgenommen.“
„Schade. „Ich hätte es mir auch gern noch einmal angesehen.“
„Und mit ihr geredet?“
„Auch das“, erwidert er. „Geht aber nicht mehr. Ist weg.“
„Wie war das möglich?“ frage ich.
„Sie haben es doch gehört. So war es eben.“
„Vielleicht weil Weinachten war?
„Ich nenne es Chanukka. Das Fest der Lichter, die in der Dunkelheit aufstrahlen.“
„Also war es deshalb möglich?“
„Ja. Deshalb. Weil er das Licht ist. Weil wir ihn sehen können, Und mit ihm reden. Er hat es möglich gemacht.“
„Und jetzt ist er weg?“
„Nicht ganz. Sein licht strahlt immer noch. Es leuchtet in uns. Auch für andere.“
Und tatsächlich. Auch er leuchtet. Von innen heraus. Auch die anderen Besucher der Weihnachtsparty sehen es. Sie wollen jetzt alle mit ihm reden. Alle auf einmal. Aber er will das nicht. Also verlassen wir jetzt die Party. Und gehen hinaus.
Auch andere sollen das Licht sehen können. Egal ob an Chanukka oder Weihnachten.
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Wann reißt der Himmel auf? – Predigt zu Jesaja 63 von Peter Schuchardt
Liebe Schwestern und Brüder,
in diesen Tagen ist der Himmel über Nordfriesland immer wieder einmal wolkenverhangen. Grau und schwer hängen die Wolken. Ich gucke immer wieder einmal nach einer kleinen Lücke, durch die ein Sonnenstrahl fällt. Aber ich finde keine. Kein schönes Wetter. Ich weiß: Das ist nun mal so. Aber ich wünsche mir doch, dass der Himmel endlich aufreißt und die Sonne alles in ihr helles Licht taucht.
Für manch einen von euch, liebe Schwestern und Brüder, ist das eine Lebenssehnsucht. Da sind es nicht nur ein paar Tage im Spätherbst, die ein bisschen aufs Gemüt drücken. Da geht es um das ganze Leben, das in grau gehüllt ist. Ein Leben, in das kaum ein Lichtstrahl fällt. Ein Leben, in dem Freude und Glück wie Fremdwörter klingen, wie aus einer anderen Sprache. Und immer wieder geht der Blick umher nach ein bisschen Licht in diesem Grau. In einem Lied fragt die Gruppe Silbermond: Wann reißt der Himmel auf, wann fällt auch in mein Leben etwas von dem himmlischen Glanz? Das Lied erzählt von dem Mann, der sich Tag für mit Tag den 1000 Kreuzen herumquält. So viel hat er zu tragen. Aber so sehr er sich auch anstrengt, jeder Tag gleitet ihm aus seiner Hand. Und da ist die junge Frau in Berlin, die durch alle sozialen Netze fällt. Drogen bringen ihr die Illusion von ein wenig Ruhe und Wärme, aber das ist nur ein kurzer Rausch. Noch nie fiel ihr etwas in den Schoß. Immer musste sie kämpfen. Sie fragt sich jeden Tag neu: Ist nicht irgendwo da draußen `n bisschen Glück für mich?
Das Leben dieser beiden ist in schwere graue Wolken gehüllt. Aber sie geben nicht auf. Denn tief in ihnen ist die Sehnsucht wach: Es muss doch noch etwas anderes geben. Zum Leben gehört auch die Freude, das Lachen und das Licht. Und darum fragen sie sich: Wann reißt der Himmel auf, auch für mich? Diese Frage verbindet sie mit manchen von euch, liebe Schwestern und Brüder. Wann reißt der Himmel auf, auch für mich? So viel Trauer, so viel Angst umgibt dich. So viele Sorgen fressen deine Lebensfreude auf. Wann hört das auf? Wann geht auch für dich der Himmel auf?
Wenn du so fragst, dann ist in dir eine der großen Lebensquellen. Und diese Lebensquelle ist die Hoffnung. Hoffnung heißt ja immer: Es muss nicht so bleiben wie es ist. Nun kann Hoffnung ein vages Versprechen sein. Vielleicht wird es einmal anders. Der große Philosoph Ernst Bloch spricht von dem Prinzip Hoffnung. Aber das ist doch ein bisschen wenig, wenn ich nur darum auf Veränderung hoffe, weil sich sonst eh nie was ändert. Für uns Christen verspricht Gott selber uns diese Hoffnung. Er wird dafür sorgen, dass es anders wird. Die Welt mit ihren oft so unwürdigen Zuständen muss nicht so bleiben wie sie ist. Dein Leben mit dem tiefgrauen Es-bleibt-sowieso-alles-wie-es-ist kann sich ändern. Viele von uns wissen: Es ist unglaublich schwer, diese Welt zu verändern. Und es ist unglaublich schwer, das eigene Leben zu ändern. Gott aber hat die Macht dazu. Und seine Macht ist die Macht der Liebe. Sie ist das einzige, was unsere Welt zum Guten hin verändern kann. Darum wenden sich Menschen immer wieder durch die Jahrtausende hindurch an Gott und bitten ihn: Hilf uns. Reiß den Himmel auf! Auch das Volk Israel hat in seiner langen Geschichte an dieser Hoffnung festgehalten. Davon erzählen die Verse aus dem Propheten Jesaja, die der Predigttext für heute sind:
Gott, so schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! Auch hat man es von alters her nicht vernommen. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.
Hier wendet sich das ganze Volk an Gott. Es sind Worte voller Klage: Sieh doch, Gott, wie schlecht es uns geht! Und genau darin steckt die große Hoffnung: Du allein, Gott, kannst doch unsere Lage ändern. Und so bittet das Volk Gott den Herrn: Reiß doch den Himmel auf. Komm herunter zu uns auf die Erde und verändere mit deiner großen Macht endlich unser Leben. Die Völker sollen vor dir erzittern, Gott, wenn du Furchtbares tust, dass wir nicht erwarten. Die Hoffnung auf Gott verbindet sich hier mit der Vorstellung: Wenn Gott kommt, der große gewaltige Gott, dann werden Berge zerfließen, dann werden die Völker zittern. Ja, dann wird alles anders werden.
Liebe Schwestern und Brüder, Gott hat den Himmel zerrissen. Aber so ganz anders, als wir Menschen es uns denken und erträumen. Er hat den Himmel zerrissen in einer dunklen Nacht in Bethlehem. Gott ist auf die Erde gekommen. Aber nicht als der gewaltige Gott, vor dessen Zorn sogar die Berge zerfließen. Gott kommt als ein kleines Kind in einem Stall in Bethlehem in unsere Welt. Die Macht, die seitdem in dieser Welt wirkt, ist seine Liebe. Diese Liebe verändert die Herzen der Menschen. Und das ist viel gewaltiger und eindrucksvoller als geschmolzene Berge! Denn Gottes Liebe schafft Leben und nicht Zerstörung. Ja, Gott handelt so ganz anders als wir es von ihm erwarten und in unseren engen Grenzen erträumen. Der Liederdichter Gerhard Schöne hat das in seinem Lied „Jesu meine Freude“ wunderbar auf den Punkt gebracht:
Du warst eingemauert
Du hast überdauert
Lager, Bann und Haft
Bist nicht totzukriegen;
Niemand kann besiegen
Deiner Liebe Kraft
Wer dich foltert und erschlägt
Hofft auf deinen Tod vergebens
Samenkorn des Lebens
Jesus, Freund der Armen
Groß ist dein Erbarmen
Mit der kranken Welt
Herrscher gehen unter
Träume werden munter
Die dein Wort erhellt
Und wenn ich ganz unten bin
Weiß ich dich an meiner Seite
Jesu, meine Freude
Wann reißt der Himmel auf für mich? Gott hat ihn doch schon längst aufgerissen. Und seitdem fällt sein himmlischer Lichtstrahl in das Leben jedes Menschen. Niemand ist zu gering und zu verachtet. Gottes Liebe leuchtet auch in die dreckigen Gossen hinein, in denen die liegen, die schon längst von allen anderen aufgegeben worden sind. Gott aber gibt niemanden auf. Selbst durch das Grau deiner Angst und deiner Traurigkeit dringt sein Licht. Und wo sein Licht scheint, wächst Hoffnung. Die Adventszeit ist Hoffnungszeit.
Nun gehen wir wieder gemeinsam auf das göttliche Licht zu. Denn wir gehen ja nach Bethlehem. Alle Kerzen, die wir in dieser Zeit entzünden, alle Sterne, die in unseren Kirchen und zu Hause leuchten, erzählen uns von der Sehnsucht: Komm doch in unser Leben, Gott. Und zugleich erzählen sie uns von Gott, der uns sagt: Ich bin doch schon da. Ich halte die Sehnsucht wach in euch. Das Leben muss nicht so bleiben. Diese Welt wird nicht so bleiben. Denn von der Krippe strahlt das helle Licht der göttlichen Liebe hinein in diese Welt. Und dadurch verändert sie sich. Jeden Tag mehr und mehr. Wir sehen so viel Grau in der Politik, durch Kriege, durch Missgunst und Neid. Aber das ist nicht alles. Denn das ist nicht die Welt, wie Gott sie will. Dagegen strahlt sein helles Licht. Es beginnt in einer Nacht fernab der großen Weltpolitik. Aber seitdem ist sein Leuchten nicht aufzuhalten. Davon erzählt uns der Advent. Gott schenke uns allen ein offenes Herz in dieser Zeit. So kann sein Licht in unser Herz und in unser Leben kommen. Selbst an diesen grauen wolkenverhangenen Tagen. Selbst wenn dein ganzes Leben so in grau eingehüllt ist. Gott sei Dank.
Amen
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„Zimtsterne am offenen Himmel“ – Predigt zu Jesaja 63, 15-19b & 64,1-3 von Wolfgang Grosse
Ach du meine Güte, liebe Gemeinde,
wo ist da der Advent? In unserer heimeligen Zeit zwischen Dunkelheit und Licht. Zeit, in der es warm ums Herz wird. Zimt-duftende Tage. Leuchtender Schein. Mit den Liebsten Vielleicht, und schönem Tee und Gebäck. Der Weihnachtsmarkt. Die Adventsfeiern.
Advent ist doch schön …
Der heutige Predigttext spricht eine andere Sprache. Seien wir ehrlich: Da ist ja nun wirklich Nichts gut für den Propheten. Er geht vor ca. 2500 Jahren durch die Straßen und schaut in die Gesichter der Menschen. Er sieht: keine adventlich-weihnachtliche Beleuchtung und Vorfreude, kein Friede, keine Hoffnung, keine Liebe, sondern Not und Elend. Sein Volk ist fern der Heimat. In der Verbannung. Nichts ist gut. Gar nichts. Der Prophet selbst ist am Ende. Er kann nicht mehr. Ein unbändiger Schrei: “Wo bist du mit deiner Macht? Wo ist deine Barmherzigkeit, Gott? Reiß endlich den Himmel auf! Komm herab!”
DAS in unserem Advent. Ein Schrei in unsere Heimeligkeit hinein. Oh!
Aber, liebe Gemeinde: ein Schrei voller Hoffnung! Voller Liebe! Voller Glauben! Wenn nicht du Gott, wer sonst? … (Pause)
Ach du meine Güte, liebe Gemeinde, Schon der 2. Advent! Ich komme gar nicht hinterher. Gar nichts gut! Dabei ist dieses Jahr die Adventszeit sowieso schon so kurz. Sie wissen schon: 4. Advent ist gleichzeitig Hl. Abend. Immerhin: der Adventskranz steht bei mir auf dem Tisch. Frische Zimtstangen auf dem Kaminsims für den Duft. Mein Herrnhuter Stern leuchtet seit einer Woche in die Nacht. Ja natürlich mit Zeitschaltuhr. Sonst würde ich es wohl nicht schaffen jeden Abend. Die Nachbarn freut’s jedenfalls. Frau Meyer von gegenüber grüßt wieder auffallend freundlich.
Aber ich bin ehrlich: ich bin noch nicht wirklich angekommen in dieser Zeit des Advents. Bei Frau Meyer leuchten Schwibbögen in jedem Fenster, die Büsche vorm Eingang tragen Lichterketten, die Haustür ziert ein schöner Kranz, und im Garten habe ich auch schon ihren beleuchteten Rentier-Schlitten entdeckt. Ich weiß, über Geschmack lässt sich streiten … Aber ein bisschen neidisch bin ich auf Frau Meyer schon. Bei ihr ist Advent. Diese heimelige Zeit … sie wissen schon ... Diese Zeit voller Hoffnung. Voller Liebe. Voller Glauben. Wenn nicht du Gott, wer sonst? Gestern Abend habe ich es versucht auf die Schnelle. Ich war tatsächlich kurz auf dem Weihnachtsmarkt. Ein Hauch von Zimt wehte mir in die Nase. 19 Uhr war’s geworden.
Ein Posaunenchor spielte zufällig „Oh Heiland reiß die Himmel auf.“ Ich erinnerte die 4. Strophe: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.“ Manchmal bin ich ja gefühlsduselig. Da schossen mir für einen Moment die Tränen in die Augen. Ich hätte es so gerne hinausgeschrien in meine kleine Welt: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt? Zumindest in meiner? Hey, Gott!“ Oder auch mit dem Propheten: “Wo bist du mit deiner Macht? Wo ist deine Barmherzigkeit, Gott? Reiß endlich auf den Himmel! Komm herab!” ...
Dann entdeckte ich ihn. Er stand etwas abseits. Allein. Schaute. Lauschte. Regungslos. Still. Eigentlich ein ganz normaler Weihnachtsmarktbesucher. Ungefähr mein Alter. Um die 50. Sogar in Anzug und Mantel. Aber: Ein Rollkoffer vor sich. Eine große Umhängetasche. 2 und 2 Plastiktüten in jeder Hand. Alle Last krümmte seinen Rücken. Unsere Blicke trafen sich. Ich ging auf ihn zu. Ein Lächeln huschte über sein unrasiertes Gesicht. Leuchtende Augen. Wir sahen uns. Sahen uns an. „Advent?“ fragte er? „Hmm, ja. Irgendwie schon. Ich versuche es wenigstens“, entgegnete ich. „Ich auch.“ Minuten vergingen.
“Wo bist du mit deiner Macht? Wo ist deine Barmherzigkeit, Gott? Reiß endlich auf den Himmel! Komm herab!” „Danke“, sagte er in die merkwürdige Stille hinein. „Wofür?“ rutschte es mir hinaus. „Dafür. … Ich heiße Jens-Peter Neuhaus.“ „Wolfgang. Wolfgang Grosse.“ Wieder verging eine gefühlte Ewigkeit, in der wir nebeneinander standen. „Kein Advent Zuhause?“ fragte er mich unverblümt. „Doch schon. Adventskranz und Stern und so …“, ziemlich überrascht und deshalb fast stammelnd kam es aus mir heraus. „Hmm, ich merke schon … Sie warten auch, oder?“ fragte er. Er spürte scheinbar meine Unsicherheit ob der Frage. Dann begann er zu erzählen.
„Ich bin hier aufgewachsen in Bremen. Ist meine Heimatstadt. Dritter Sohn einer echt bremisch-bürgerlichen Familie. Meine ersten beiden Brüder haben Karriere gemacht. Abitur habe ich aber auch, dann eine Lehre bei 'ner Bank. Nebenher noch Fortbildungen und so. Mittlere Führungsebene. Sie wissen schon.“ „Hmm, ja“, erwiderte ich. Ehrlicherweise hätte ich „Nein“ sagen müssen. Ich weiß viel zu wenig darüber. „Dann kam natürlich auch Familie. Liebe Frau. Ganz groß die Hochzeit. Sie kennen doch die Kirche in … , oder? … Na, egal, Dann ein Kind und so. Alles prima. Mein Haus, mein Auto, mein Garten.“„Ja, schon klar. Es war alles gut.“
„Ja. War! Bis vor 3 Jahren. Dann kam die sog. betriebsbedingte Kündigung. Man kann auch Einsparung sagen. Letztendlich Arbeitslosigkeit. Von da an ging’s bergab. Ich war 49. Zu teuer für den Banken-Markt mit meiner Erfahrung und Ausbildung. Wir konnten das Haus nicht halten. Mussten dann das Auto verkaufen. Schließlich ist meine Frau mit unserem Sohn gegangen. Der Lebensstandard war nicht mehr ihrer. Bekommen sie dann mal ‘ne Wohnung. Meinen Sohn habe ich vor einem Jahr das letzte Mal gesehen. Schließlich wurde ich auch noch von meiner Familie geächtet. Regelrecht verbannt. Rausgeschmissen. Von meinen Brüdern. Selbst meine Eltern kennen mich nicht mehr. Looser, so sagt man doch heute, oder?“
“Wo bist du mit deiner Macht? Wo ist deine Barmherzigkeit, Gott? Reiß endlich auf den Himmel! Komm herab!” „Scheisse!“ Etwas anderes fiel mir nicht mehr ein … und dachte: was rege ich mich über meine nicht vorhandene Weihnachtsdeko auf … „Und wo leben Sie jetzt?“ „Nicht auf der Straße. Meine Würde habe ich mir bewahrt. Noch. Und etwas Erspartes. Jeden Abend in ein billiges Hotel hinterm Bahnhof. Verbannung sozusagen. 30€ die Nacht mit Frühstück. Die Diakonie bezuschusst das Hotel für solche „Fälle“ wie mich. Abend für Abend. Ab 20 Uhr kann ich da sein.“ „Hmm, Advent? Warten?“ frage ich.
Er antwortet: “ ‘Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.’ Ich hab‘ früher mal im Kirchenchor gesungen. Tenor. Ich kenne das Lied. Aber soll ich es echt hier auf dem Weihnachtsmarkt laut hinaus schreien? Wozu? Wer hört mich? … Ich muss dann mal los. 20 Uhr. Sonst ist kein Raum mehr in der Herberge.“ Er schaut mich an. Reicht mir die Hand. „Danke. Advent für Sie“ sagt er. „Und für Sie. Hoffentlich auch wieder mit dem Kind“, antworte ich. „Ja. er hat mich eingeladen. Weihnachten. Ich darf zu ihm kommen.“ Er lächelt.
„Ja, Gott hört Sie“, sage ich.
“Wo bist du mit deiner Macht? Wo ist deine Barmherzigkeit, Gott? Reiß endlich auf den Himmel! Komm herab!”
Ich sehe ihn an. Er weiß was ich meine. Meine Fragen, die Fragen des Propheten, es sind auch seine Fragen. Er hat schon eine kleine Antwort bekommen. Von dem Sohn. Vielleicht größer als wir Beide es gerade wissen. Ich werde es wohl nie erfahren. Ich schaue ihm hinterher, wie er am Rande des Weihnachtsmarktes vollbepackt davon zieht. Auf dem Weg sein. Voller Hoffnung. Voller Liebe. Voller Glauben. Er geht auf einmal aufrecht. Dreht sich um. Leuchtende Augen. Wenn nicht du Gott, wer sonst? Ich bleibe noch einen Moment stehen. Die Lichter. Der Glanz. Die Fröhlichkeit. Sie haben einen trüben Schimmer bekommen.
Mein Fotografenauge aber sagt mir: Das Leuchten erzählt vom Kontrast.
Gerade das ist Advent. Dieses Noch-Nicht und Doch-Schon. Dieser Moment ... ist wichtig. In der Dunkelheit das kommende Licht wahrnehmen. Schatten und Licht ergeben erst das Ganze. Der Moment des Fotos. Wenn ich den Auslöser drücke und die Gegenwart Eins wird mit Gott. Der Moment ist … Voller Hoffnung. Voller Liebe. Voller Glauben. Wenn nicht du Gott, wer sonst? Der Moment ist Gott.
Ich komme nach Hause, in Gedanken verfangen. Schlage die Autotür zu, drehe mich um … und stolpere fast über Frau Meyer. „Huch Herr Pastor, so stürmisch?“ „Ja, Frau Meyer. Noch unterwegs so spät?“ „Ach, ich sah sie gerade kommen.“ Sie hätte auch sagen können: Ich stehe seit Stunden am Fenster und warte, dass sie kommen. „Feierabend. Der Advent kann kommen!“ Komisch, dass mir gerade so ein Satz einfällt. „Och, das ist schön, Herr Pastor.“ Sie spricht das Wort „Pastor“ immer so wunderbar bremisch breit aus, dass es wie „Pasta“ klingt … „Ich hab‘ da was für Sie und ihre liebe Frau.“ Stolz streckt sie mir den Arm entgegen. In der dunklen Nacht sehe ich nicht viel, aber ... Gibt es Zufälle? In diesem Moment reißt der seit Tagen graue, norddeutsche Himmel auf, das Mondlicht durchbricht die Wolkendecke.
“Wo bist du mit deiner Macht? Wo ist deine Barmherzigkeit, Gott? Reiß endlich auf den Himmel! Komm herab!”
Jetzt sehe ich es. Es knistert. Es duftet. Voller Hoffnung. Voller Liebe. Voller Glauben. Wenn nicht du Gott, wer sonst? Die Tüte leuchtet in dunkler Nacht. Oder besser: der Inhalt.
ZIMTSTERNE AM OFFENEN HIMMEL!
Können Zimtsterne das wirklich machen? Machen, dass für mich an diesem Abend Advent wird? Oder hat Gott nicht doch seine Finger im Spiel … den Himmel ein klein wenig aufgerissen?
Oh, Heiland, reiß den Himmel auf … Gewaltige Dinge geschehen, manchmal in so kleinen Begegnungen, die so groß werden können, dass Zimtsterne die Welt verändern. Voller Hoffnung. Voller Liebe. Voller Glauben.
So klein, wie das Kind in der Krippe damals. Gott ganz klein, wie jedes Kind, für alle die hoffen. Licht in der Dunkelheit. Kontrast. Menschenwürde. Aufrechter Gang. Begegnung.
Er kommt. Voller Hoffnung. Voller Liebe. Voller Glauben. Wenn nicht du Gott, wer sonst? Kommt? Advent.
Amen.
Lied: EG 7 „Oh Heiland, reiß die Himmel auf“
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Ein anderer Advent – Predigt zu Jesaja 63,15-19b; 64,1-3 von Norbert Stahl
Süßer die Kassen nie klingen
15% auf alle Weihnachtsartikel. 20% Rabatt auf den gesamten Einkauf - mit Ausnahme rezeptpflichtiger Arzneimittel und Zuzahlungen. Gutschein für eine hochwertige Parkscheibe. So klingt es hinter den Türchen eines Adventskalenders, der mir in diesen Tagen ins Haus flatterte. Rabatte und Geschenkaktionen aller Orten. Viele Geschäfte haben die gesamte Adventszeit hindurch jeden Wochentag bis 22 Uhr geöffnet. An den Adventssamstagen bis 24 Uhr. So viel zur besinnlichen Adventszeit. Immer verlockender, immer massiver werden wir angegangen. Es geht um unser Geld. Um Konsum. Um Umsatz und Gewinn. Die Verballhornung von Süßer die Glocken nie klingen" hat Recht: "Süßer die Kassen nie klingen, als zu der Weihnachtszeit!" Mit Jesaja klage ich:
"Ach Gott, sieh doch herab von deiner heiligen herrlichen Wohnung! Warum lässt du uns abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken?"
Am 25. November
Sie wollten einfach nur ein besseres Leben für sich. Einfach nur in Sicherheit sein. Einen Beruf erlernen können. Mit dem Verdienst die Familie zu Hause unterstützen. In ihrer Heimat hatten sie keine Chance. Korruption, Gewalt, Niedergang. Das Leben war zu Ende, bevor es begonnen hatte. Also hatten sie die Schlepper bezahlt. Beinah ihr gesamtes Vermögen hatten sie hergegeben. Ihre Leichen wurden vor Libyen an den Strand gespült. Ungefähr 30. Darunter auch Kinder. Am 25. November war das. Am Ende dieses Jahres werden es fast 1.500 Ertrunkene sein. Wir sind auf dem besten Wege, uns an diese Zahlen zu gewöhnen. Mitten im Advent 2017. Mit Jesaja klage ich: "Ach Gott, sieh doch herab von deiner heiligen herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? … Warum lässt du uns abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken? … Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, … dass dein Name kund würde und die Völker vor dir zittern müssten!"
Schmetterlingsflieder
Es ist ein schöner Sommertag. Ich mache einen Besuch bei meinen Schwiegereltern. Vor dem Haus blüht wie jedes Jahr ein ausladender Sommerflieder. Ich verharre einen Moment. Der Strauch heißt nicht umsonst Schmetterlingsflieder. In früheren Jahren war er umschwärmt von dutzenden von Schmetterlingen. Vielleicht sehe ich einen schönen? Ich muss lange warten. Dann endlich nähert sich ein hübscher Falter. Aber eben nur ein einziger. In den Nachrichten höre ich: Dramatischer Rückgang bei Fluginsekten. 75% weniger Tiere in den vergangenen 25 Jahren. Autos sind auch nach langen Autobahnfahrten noch sauber. Pestizide, Herbizide und Überdüngung machen den Insekten den Garaus. Der Bundeslandwirtschaftsminister trifft gegen alle Widerstände eine einsame Entscheidung. In diesem Advent 2017. Erst sterben die Bienen, dann der Mensch.
"Ach Gott, sieh doch herab von deiner heiligen herrlichen Wohnung! Warum lässt du uns abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken? … Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab!"
Meine Klage
Liebe Gemeinde,
die Klage Jesajas hat mich motiviert, in meine eigene Zeit und Gesellschaft zu blicken. Ich habe mich anstecken lassen von Jesaja. Und auch wenn unsere gesamtgesellschaftliche Situation mit der der Israeliten zur Zeit Jesajas nicht vergleichbar ist – Grund zur Klage gibt es auch heute. Klagen hat ja etwas Befreiendes. Ich kann Gott es wenigstens sagen, woran ich leide: An der Oberflächlichkeit, an der Unmenschlichkeit, an der Gleichgültigkeit, an der Gier. Auch wenn ich nicht gleich eine Lösung habe und erwarte. Beklagen darf ich es. Gott hält das aus. Er hat es auch bei Jesaja ausgehalten. Und die Israeliten hatten wahrlich Grund zur Klage:
Israels Klage
Sie waren vertrieben worden aus ihrer Heimat. Sie mussten im Land der Feinde leben. Jerusalem und der schöne Tempel lagen in Trümmern. Die Israeliten sind tief traurig und enttäuscht. An anderer Stelle beschreiben sie ihre Situation so: "Unsere Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest. ... Jerusalem ist zerstört. Alles, was wir Schönes hatten, ist zunichte gemacht."(63,18f; 64,9) Das ist wirklich krass. Die Israeliten hatten alles verloren, was ihnen lieb und teuer war. Das beklagen sie. Zu Recht. Und sie klagen an: Gott selbst. Über ihrem Elend und darüber, dass sie in die Irre gegangen sind: "Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht mehr fürchten."(63,17) Diese Anklage ist freilich verräterisch. Die Israeliten geben damit auch eine Selbstbeschreibung ab: Sie waren abgeirrt, sie haben ihr Herz verschlossen, sie haben es an Gottesfurcht fehlen lassen. Sinniger wäre es also, sich mehr an die eigene Nase zu fassen. Sich zu selbstkritisch zu besinnen und umzukehren.
Buße und Fasten
Früher war die Adventszeit einmal eine solche Zeit selbstkritischer Besinnung. Eine Zeit, in der man sich bewusst fragte: Was war falsch? In den vergangenen Wochen, im vergangenen Jahr? Wo habe ich es an der Liebe zu meinen Mitmenschen fehlen lassen? Was bin ich mir und anderen schuldig geblieben? Wo muss ich mich ändern? Und die Adventszeit war eine Zeit des Fastens. Eine Zeit also, in der man nicht bereits die Weihnachtsfreuden und das Festessen vorwegnahm. Heute kann man die Spekulatius und die Gänse an Weihnachten ja schon nicht mehr sehen, weil man einfach schon zu viel davon gegessen hat, bevor das eigentliche Fest beginnt. Darin, die alten Bräuche von Besinnung und bewusstem Verzicht wieder zu beleben, läge eine Chance. Advent und Weihnachten könnten neuen Tiefgang gewinnen!
Mein Anteil am Ganzen
Das wäre auch eine gute Antwort auf meine anfänglichen Klagen. Ja, es tut mir gut, das alles einmal aussprechen und beklagen zu dürfen. Ich bin dankbar, dass ich meine Ratlosigkeit nicht in mich reinfressen muss, sondern auch einmal in solche Worte fassen darf. Das hat etwas Befreiendes. Ich verschaffe mir Luft. Nun kann ich fragen, was mein Anteil daran ist, dass es so ist, wie es ist. Wo lasse ich mich mitreißen vom Konsumrausch? Wo mache ich unkritisch mit bei dem, was alle tun? Wo bin ich gleichgültig gegenüber dem Leid und Elend anderer? Wo bin ich zu leise, wenn andere behaupten "Das Boot ist voll!" Wo bin ich zu geizig einen angemessenen Preis zu zahlen für gutes Essen, für faire Produkte? Fair für Mensch und Tier. Dass es so ist wie es ist, liegt ja auch an mir.
"Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab" - ja, führest herab mir ins Herz! Auf dass ich ehrlich werde vor mir selbst. Auf dass ich bereit werde zum Verzicht. Auf dass ich die Apathie überwinde und fähig werde zur Solidarität mit Mensch und Tier. Und auf diese Weise so viel gewinne: Tiefgang und Wahrhaftigkeit. Einen ganz neuen Genuss, weil nicht alles schon mehrfach vorweggenommen ist. Und Menschlichkeit. Und eine Kultur der Hilfsbereitschaft und Güte. Und ein neues Verhältnis zu meinem Gott.
Der andere Advent
Gott sei Dank: viele Menschen sind schon auf diesem Weg. Es gibt nicht nur die kommerziellen Weihnachtsmärkte. Es gibt auch jene, bei denen die ortsansässigen Vereine für ihre oder eine andere gute Sache sammeln und spenden. Es gibt die Vielen, die mit Kranken und Leidenden Advent feiern - im Krankenhaus oder in Alten- und Pflegeheimen. Es gibt immer noch tausende, die in Flüchtlingsinitiativen die Fremden willkommen heißen und sie begleiten. Es gibt ihn: den anderen Advent. Übrigens auch buchstäblich: In Form eines Kalenders, der inzwischen in einer Auflage von 650.000 Exemplaren erscheint.
Gott sei Dank, es gibt ihn, den anderen Advent! Jenen der mich zu einer neuen Begegnung führt mit mir selbst, mit den anderen und mit Gott.
Amen.