Zweierlei abgerichtete Höllenhunde oder Gottes makelhafte Schönheit - Predigt zu Lukas 16,19-31 von Markus Kreis
Zweierlei abgerichtete Höllenhunde oder Gottes makelhafte Schönheit
Eine Granitarbeitsplatte in der Küche, die Lackierung einer Karosserie, ein je nach Jahreszeit mehr oder weniger großes Stück blanke Haut. Menschen lieben schöne Oberflächen. Wir fühlen uns davon angezogen, das kann man schlechterdings nicht bestreiten. Dabei muss eine Oberfläche nicht unbedingt glatt sein, rau geht auch als schön durch.
Wie ist das zu erklären? Diese Faszination für Schönheit? Vielleicht so: In einer schönen Oberfläche steckt ganz schön viel Arbeit. Sie bringt auf ihre Art ein Leistungsvermögen zum Ausdruck. Das gilt sicher für Granitarbeitsflächen und andere technische Werkstücke, von Kunstobjekten ganz zu schweigen. Darin findet sich eine ganze Menge an Feinarbeit, Knowhow und Theorie.
Ähnliches gilt für alles menschlich Schöne wie z.B. gezeigte blanke Haut. Dahinter verbirgt sich viel Disziplin, Training und Schulung - wie man spätestens seit den einschlägigen TV-Sendungen wie GNTM wissen kann. Das Leben als Model ist wahrhaft nicht nur ein Zuckerschlecken. Die Gott gegebene Begabung allein reicht dafür nicht aus, obwohl sie unabdingbare Grundlage ist. Opernsänger, Geigenspieler, Balletttänzer, alles Virtuose im Bereich der E-Musik ist davon betroffen.
Apropos Gott – wir Christen glauben: Die Schönheit der Schöpfung, die Schönheit von Tieren, Pflanzen und Materie bezeugen sein Werk, stehen für seinen Willen, zeigen sein Leistungsvermögen. Diese Schönheit ist nicht allein ein willkürliches Werk der Natur und der in ihr wirkenden Kräfte.
Schönheit bringt ein Wohlgefallen allerhöchster Stelle zum Ausdruck. Deswegen ist sie Menschen so wichtig. Schönheit und Ansehen gehören zueinander, sie hängen zusammen. Das war zu allen Zeiten und Epochen so. Und es gilt immer noch, egal ob in China oder bei den Aborigines, bei den Eskimos oder den Latinos oder den Europäern. Und es gilt unabhängig davon, welche Merkmale jeweils als Ausdruck von Schönheit empfunden werden. Was schön ist und was nicht, das ist von Kultur zu Kultur durchaus verschieden.
Schönheit und Ansehen gehören zueinander, hängen zusammen. So sehr, so eng, dass Menschen bei Schönheitsmakeln, bei Unansehnlichkeit nachhelfen, sich behelfen. Und d.h.: weniger Schönes mit Schönem verstecken, überspielen, zum Verschwinden bringen. Geminderte Schönheit ist unsere Sache nicht, da reagieren wir empfindlich, eher liegt uns die Betonung von Schönheit. Bleiben wir beim erst Genannten:
Das Verdecken von Schönheitsmakeln spielt in unserem Alltag eine große Rolle, hier sei die Kleidung genannt. Aber auch anderes, was wir uns so kaufen und gönnen. Was wir an Dienstleistung in Anspruch nehmen, den Besuch bei Friseur zum Beispiel.
Ebenso die Art, wie wir uns präsentieren, wie wir miteinander reden, wie wir miteinander umgehen. Unansehnliches, Makel behaftetes gefährden das Ansehen, Anmut und Schönheit stärken es augenscheinlich. Und keiner fühlte sich je so schön, dass er vom erwähnten Verbergen nie Gebrauch machen musste. Ein jeder war als Redner oder als Hörer vom schön Reden betroffen. Kennt plumpes Gerede, Stammtischgeschwätz, das er besser kritisch aufgenommen hätte.
Wir Menschen wissen um die ersehnte Schönheit und um das damit einher gehende Verbergen von Unansehnlichkeit all zu gut. Deshalb erkennen wir ein weiteres: Schönheit kann vordergründig sein! Und wir fragen uns: Was mag dahinter stecken?
Umso mehr, als es in Schöpfung und Natur einige schön und harmlos scheinende Tiere und Pflanzen gibt, die sich in Wahrheit als sehr gefährlich erweisen. Solche Tiere und Pflanzen erfordern einen umsichtigen Umgang;
Entsprechendes gilt natürlich, wenn wir mit schönen Menschen zu tun kriegen. Da ist ebenso Umsicht und Vorsicht vonnöten. Da fragen wir: Geht es um das Erwecken interesselosen Wohlgefallens? Oder stecken Interessen dahinter, soll uns da etwas verkauft werden?
Umgekehrt gilt genauso: Wenn wir mit unansehnlichen Mitmenschen zu tun bekommen, sind wir geneigt zu denken, dass sie was zu verbergen haben. Aber lassen wir uns von Schönheit nicht blenden! Und lassen wir uns gleichfalls nicht von Unansehnlichkeit den Blick auf die Wahrheit entstellen!
Das dürfte uns Christen nicht schwer fallen - sich vom Augenschein nicht blenden zu lassen. Angesichts der Tatsache, dass einige der schönsten Kunstwerke der Menschheit die Kreuzigung Jesu thematisieren - musikalisch oder in Bildern. Und viele kennen dazu entsprechende Märchen, wie das vom Froschkönig oder das von der Schönen und dem Biest oder das vom hässlichen Entlein.
Also, Christen dürfte es nicht schwer fallen, den Augenschein auf Blendung zu prüfen. Jedenfalls tritt das Thema in unserem Bibeltext auf. Der Reiche erscheint als ein Geblendeter. Der Bibeltext teilt nicht ausdrücklich mit, ob er sich vom eigenen Leben und Wohlergehen hat täuschen lassen. Oder von der Unansehnlichkeit des Lazarus.
Hat er den geschundenen Lazarus erst gar nicht wahrgenommen? Oder hat er ihn erblickt? Und sich angesichts dieses Jammerbildes menschlicher Verletzlichkeit ganz auf sein Wohlergehen in Schönheit gestürzt? Hat sich dabei ganz auf sein Erbe oder auf sein wirtschaftliches Potential und Geschick verlassen?
Und warum? Um seine Verletzlichkeit zu verstecken, um sich als unverletzlich schön zu wähnen? Verwundung hat ja was Ansteckendes! Wie dem auch sei, sein Irrtum macht ihn namenlos, führt ihn geradewegs in eine höllenhafte Unterwelt.
Hat sich Lazarus blenden lassen? Hatte er nur Augen für seine schwärenden Wunden und ins Auge stechenden Verletzungen? Oder schwebte vor seinem Auge nur der Reiche mit seinem makellosen Ansehen und Wohlergehen? Die aussichtslose Hoffnung, von der Party ein paar Krümel abzubekommen? Wie es in der Bibel immerhin den Hunden ab und an gelingt.
Auch darüber sagt der Predigttext nichts direkt aus. Es ist nicht zu erkennen, ob Lazarus ein guter Armer war. Oder ob er ein böser Armer war, selbst schuld an seinem Ergehen. Es könnte ja sein, dass die Innenwelt des Lazarus seiner geschilderten abstoßenden äußeren Erscheinung entsprochen hat - zumindest so lange, bis er in den Himmel aufgenommen worden war.
Klar ist nur, dass Lazarus der Wahrheit ins Auge geblickt haben muss. Wie anders hätte er sonst zu Gott in Abrahams Schoß gelangen können? Und die Wahrheit lautet: Gott hat geholfen. Mit all seiner abstoßenden Schönheit und. Mit der Auferstehung des Gekreuzigten.
Und in Jesu Geist hilft er in Wahrheit und Wirklichkeit weiter: Gott hilft dem Verletzlichen, der seinen schwärenden Wunden ausgesetzt ist und ihrer nicht ledig wird. Gott hilft dem makellos Schönen, der seine Verletzlichkeit vor sich versteckt. Und deshalb Verletzte aus Angst vor Ansteckung und Schönheitsdellen meidet.
Diese göttliche Hilfstätigkeit vorausgesetzt, erscheint eines im Predigttext merkwürdig und befremdlich. Lazarus, was soviel heißt wie mein Gott hat geholfen, Lazarus kann dem Reichen in der Unterwelt nicht helfen. Obwohl dieser darum inniglich bittet. Zu groß ist die Kluft, als unüberwindbar erweist sich dem Reichen der Abstand.
Das ist umso erstaunlicher, als es dem Reichen in der höllenhaften Unterwelt so ähnlich ergeht, wie Lazarus in der Oberwelt. Seine Verletzlichkeit brennt sich ihm ein sowie die Tageshitze einst dem Lazarus zusetzte. Anstelle der Hunde lecken Flammen an seinem schwärenden Körper, anstelle von Hunger peinigt ihn Durst.
Durst, der im Gegensatz zu Hunger etwas Unstillbares hat. Hunger kann befriedigend gestillt werden, davon zeugt unter anderem das Wort satt. Für einen derart gestillten Durst gibt es kein Wort. Und die neuerdings dazu erfundenen Wörter setzen sich im Sprachgebrauch nicht durch.
Klar, der Reiche hätte helfen können. Dann hätte er gemerkt, dass er in Schönheit Recht bekommt, und zwar doppelt Recht und Schönheit bekommt. Der Umgang mit Verletzten ist ansteckend, der macht einem die eigene Verletzlichkeit klar – das ist zugegeben.
Aber ebenso ansteckend ist die erwachende Lebendigkeit und Schönheit des Verletzten, wenn ihm Hilfe zuteil wurde. Die neue Lebensenergie und Freude. Die springt über. Und zumindest in unserem Bibeltext wäre die dazu erforderliche Gabe für den Reichen ein Klacks gewesen, Tischabfall, Krümel.
Keine großen Investitionssummen, keine langfristige Verpflichtung, keine besonderen Fähigkeiten und Talente. Wäre mehr erforderlich, dann würde womöglich der Reiche nur in seinem Größenwahn bestärkt werden. Letztlich wäre sein Tun eine herablassende Hilfe, eine Art von Zuwendung, die an einige Charity-Aktivitäten heutiger Prominenter erinnert.
Die vom Reichen erforderte Gabe lautet Vergebung. Jemandem zu vergeben, dass er an die eigene Verletzlichkeit und Verwundung erinnert. Und so die ersehnte Makellosigkeit und Schönheit gefährdet.
Die Gabe besteht also darin Hilfe zu gewähren, obwohl damit die eigene Verletzlichkeit oder Verwundung auftaucht – wenn nämlich die Hilfe scheitert, an eigenem Unvermögen z.B., Oder weil sie vom Bedürftigen abgelehnt wird. Da kann das schöne Selbstbild ganz unschöne Dellen abkriegen.
Diese Gabe zeigt wahre Schönheit. Von mir aus auch wahre innere Schönheit. Diese zeigt sich meiner Meinung nach, obwohl eine innere, garantiert auch äußerlich: als Anmut im Tun und Lassen. Als Anmut, die ihre Verletzlichkeit offenbart.
Gott gewährt in Kreuz und Auferstehung die Kraft zu dieser Vergebung, indem er uns vergibt. Er vergibt dem armen Lazarus, nimmt ihm Ängste und Wunden und gibt ihm schöne neue Lebenskraft, die den Schmerz erlittener Verletzungen übersteigt. Die ihn trotz aller Enttäuschungen erneut um Hilfe bitten lässt bei Gott und den Mitmenschen.
Auch dem Reichen in seiner Unterwelt gewährt Gott Vergebung. Vergebung, die den Reichen trotz aller Enttäuschung erneut Gott um Beistand bitten lässt. Vergebung, so dass er als Reicher der eigenen Verletzlichkeit standhält, also eventuelle Selbstbilddellen in Kauf nimmt und dem Armen Hilfe gewährt, ganz bescheiden und unspektakulär. Amen.
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Sprich nur ein Wort – und alles wird neu - Predigt zu Lukas 5,1–11 von Sven Evers
Sprich nur ein Wort – und alles wird neu
Gescheitert. Auf der ganzen Linie. Wieder einmal. Er kann die Misserfolge kaum noch zählen. Was hat er nicht alles versucht. Eine Fortbildung nach der anderen. Jeden Feierabend am Schreibtisch verbracht, um besser zu werden, um endlich die Fehler abzustellen, weil es doch an ihm selber lag – oder nicht? Wie viel hatte er sich vorgenommen für diesen Tag, dieses Projekt, diese eine Konferenz, an der so viel hing. Und dann? Wieder nichts. Ausgelacht hatten sie ihn, jedenfalls fühlte er sich so.
Jetzt sitzt er in der Küche. Trinkt einsam seinen Kaffee. Hört gar nicht hin, was die anderen reden. Sieht sie kaum, als sie sich neben ihn setzt mit ihrem Kaffee. Ihm in die Augen schaut. Sich räuspert. Da merkt er auf. „Komm“, sagt sie – „versuch es noch ein einziges Mal“. – Ausgerechnet sie, denkt er. Nett ist sie ja, das schon – aber aus einer ganz anderen Abteilung. Was versteht sie denn von seiner Arbeit, von seiner Verantwortung, von seiner Angst vor dem Scheitern?
Und doch: Ihre Worte machen ihm Mut. Ihr Blick macht ihm Mut. Es liegt so viel Zutrauen darin. Ja, sie traut ihm etwas zu, das spürt er.
Er sagt gar nicht viel. Lächelt zweifelnd zurück und nickt ihr zu. Ein leises „OK“.
Er geht zurück in sein Büro. An den Schreibtisch. An die Arbeit. Zum ersten Mal – mit Erfolg...
5,1Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth 2und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
Lass ihn reden, denkt sich Petrus. Das war eine richtige Sch...Nacht. Stundenlang haben wir uns die Kälte um die Ohren wehen lassen, haben immer und immer wieder die Netze ausgeworfen, uns mühsam nur auf den Beinen gehalten, weil die Müdigkeit und der Frust so groß waren. Und wofür? Nichts haben wir gefangen, aber auch gar nichts. So langsam wird es dramatisch. Wenn sich nicht bald etwas ändert, dann weiß ich kaum noch, wie ich die Familie ernähren soll. Gescheitert. Auf der ganzen Linie. Wieder einmal....
4Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! 5Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
Warum habe ich eigentlich auf diesen Mann gehört? Das hat Petrus sich im nachhinein oft gefragt, ohne wirklich eine Antwort darauf zu finden. Vielleicht waren es die Worte, die er so nebenbei aufgeschnappt hatte, während er in Gedanken und mit den Händen beschäftigt war und Jesus von seinem Boot aus predigte?
Vielleicht war es der Frust, fast schon Fatalismus, der ihn sagen ließ, dass es darauf ja nun auch nicht mehr ankomme?
Vielleicht war es die Art und Weise, in der Jesus ihn aufforderte. Da lag eine Bestimmtheit in seinen Worten und eine Überzeugungskraft – wider alle Vernunft. Weder hatte dieser Zimmermann Ahnung von der Fischerei, noch konnte er ahnen, wie müde, wie frustriert, wie kaputt Petrus und die Seinen waren, und dass sie eigentlich nur noch nach Hause wollten und den Misserfolg der Nacht vergessen. – Oder konnte er es doch ahnen?
Wie auch immer: Sie haben es gewagt. Er hat es gewagt. Wider alle Vernunft, wider alle Erfahrung den Worten Jesu vertraut – naja, oder ihnen doch zumindest etwas zugetraut. Sie sind rausgefahren auf den See des Misserfolgs. Ein letztes Mal... Und das hat alles verändert.
„Auf Dein Wort will ich die Netze auswerfen“
Die anderen haben schon etwas verwirrt geschaut, als Petrus die Leinen los machte, um wieder auf den See hinaus zu fahren. „Hast Du nicht mehr alle Tassen im Schrank“, haben sie vielleicht gefragt. „Warum lässt Du Dir von dem sagen, was Du zu tun hast? Der hat doch von Fischerei keine Ahnung.“ „Nein“, hat Petrus vielleicht geantwortet. „Aber doch ist da etwas in seinen Worten, das mir Mut macht. Und wie soll ich herausfinden, ob es Sinn macht oder nicht, bevor ich es nicht ausprobiert habe. Was haben wir zu verlieren? Wir waren die ganze Nacht auf See – ob wir nun noch einmal mehr oder weniger hinaus fahren, was macht das für einen Unterschied. Wir haben nichts zu verlieren, aber vieles zu gewinnen. Ist das nicht oft so im Leben? Woher wisst Ihr, dass morgen die Sonne aufgeht, bevor ihr sich nicht mit eigenen Augen seht? Woher wisst Ihr, dass das Versprechen, das andere Euch geben, gehalten wird, bevor es tatsächlich in die Tat umgesetzt ist? Wir fahren hinaus. Vielleicht ändert es nichts – dann fahren wir nach Hause und überlegen in Ruhe, wie es weitergehen kann. Oder es ändert alles. Aber wir werden es nie erfahren, wenn wir nicht auf dieses Wort dieses Mannes hin hinaus fahren.“
Und so fuhren sie hinaus.
6Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. 7Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. 8Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
Es hat alles verändert. Vertrauen verändert alles. Hätte Petrus sich nur auf seine Erfahrung verlassen, und sei sie noch so professionell, sei sie noch so fundiert – niemals hätte er erlebt, was er erlebt hat. Erfahrung ist wichtig – aber sie bringt nie Neues hervor.
Kompetenzen sind wichtig – aber sie alleine schaffen noch keinen Erfolg.
Professioneller Sachverstand, gerade im Beruf – natürlich! Aber sie alleine verändert nichts.
Mut zum Sprung in das Ungewisse; das Bauen auf das, was noch nicht da ist; bedingungsloses Vertrauen dem, was nie durch Erfahrung belegt werden kann, weil es noch keinen Grund hat in der Erfahrung – das verändert. Das macht neu. Nicht nur die Dinge oder die Situation, in der man steht, sondern den Menschen selber.
Petrus ist nicht mehr derselbe, während er hier mit den schweren Netzen kämpft, die wider alle Erfahrung, wider alle Vernunft bis zum Zerreißen gespannt sind. Sie trauen ihren Augen nicht, er und die Kollegen um ihn – sie können ihren Augen nicht trauen, weil ihre Augen noch nie gesehen haben, was hier geschieht, noch gar nicht wissen, wie das Neue aussieht.
So stehen sie verwirrt, erstaunt, verwundert, ratlos, begeistert und in tiefer Demut da. Der Schatz der Erfahrung auf der einen – der Schatz des Vertrauens auf der anderen Seite. Das, was sie sich selber zugetraut haben auf der einen, das, was Gott ihnen zutraut auf der anderen Seite.
Das Neue; das Leben; die Fülle – ersehnt, erhofft, manchmal sogar vorgestellt – und doch kaum zu ertragen in seiner Andersartigkeit, in seiner Neuheit, seiner Lebendigkeit.
9Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, 10ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. 11Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.
Jetzt sind sie bereit für das Neue, für das wirklich Neue. Und das war nun noch weniger absehbar als die vollen Netze, die sie schon nicht für möglich gehalten hätten. Als sei für die das erste Mal die Sonne aufgegangen und würden sie zum ersten Mal das Leben erblicken, wie es wirklich ist – oder wie es sein könnte.
„Fürchte Dich nicht“ – die ersten Worte Jesu, weil Angst macht, was neu ist und nicht vertraut. Weil man uns Menschen nicht einfach in eine neue, unbekannte Welt hineinwerfen und dann allein lassen kann, und sei diese neue Welt auch noch so schön.
Aber jetzt wird alles anders. Die vielen Fische – unerwartet, unverhofft – doch letztlich noch eine Fortsetzung dessen, was war. Früher wenig Fische oder viele – jetzt ganz viele. Das ist noch nichts wirklich Neues.
Und wie bescheiden sind – nicht nur Petrus und die Seinen – sondern auch wir wohl oft, wenn wir Neues erhoffen, alles anders werden soll, nichts mehr so bleiben, wie es ist – und wir insgeheim doch nur hoffen auf ein Mehr von dem, was schon ist, weil wir Angst haben vor dem, was ganz anders sein könnte...
Von nun an wird Petrus die Netze Netze sein lassen. Nicht, weil etwas verkehrt ist am Fischerhandwerk. Jesus stellt auch keine allgemeingültige Regel für das Leben in der Gemeinschaft mit Gott auf, indem er etwa sagt, dass jede und jeder seinen und ihren Beruf zu verlassen hätte, wenn er oder sie sich auf die Seite Gottes stellen will. Aber für Petrus ist genau dieses Neue das, was Gott Jesus für ihn bereit hält. Für ihn ist genau dies das Leben, das er leben darf und – will. Für ihn ist in einem Augenblick alles anders geworden.
Er hatte den Mut, gegen alle Erfahrung zu handeln und gegen die innere Vernunft seines Wissens und Könnens – auf das Wort Jesu hin.
Er hatte den Mut zu vertrauen dem, der keine Beweise in den Händen hielt, um Petrus theoretisch zu überzeugen von dem, was dann praktisch zu vollziehen wäre oder auch nicht.
Er hat den Sprung gewagt, ohne den es keinen Glauben geben kann – ach, was heißt keinen Glauben – ohne den es kein Leben geben kann, das den Namen Leben verdient.
Er geht zurück in sein Büro. An den Schreibtisch. An die Arbeit. Zum ersten Mal – mit Erfolg...er lächelt. Es geht also doch, denkt er. Wenn mir nur endlich jemand etwas zutraut. Wenn ich nur endlich mir selber etwas zutraue. Dann kann ich das, was war, durchbrechen, dass es nicht auch noch das bestimmt, was kommt.
Er packt seine Sachen. Schließt die Tür und macht sich auf den Heimweg. Lächelnd – zum ersten Mal nach langer Zeit.
Weil sich etwas geändert hat. Weil ihm jemand etwas zugetraut hat.
Jetzt müsste ihm nur noch jemand sagen, dass es da einen Gott gibt, der ihm nicht etwas, sondern alles zutraut. Der nicht etwas, sondern alles verändert.
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Predigt zu Lukas 16,19-31 von Eva Rincke
Liebe Gemeinde,
Was im letzten Satz gesagt wurde, geschah vor wenigen Tagen in einer Familie aus unserer Gemeinde: Jemand erstand von den Toten.
Ganz genau dies. Nicht in dem übertragenen Sinn, den wir manchmal benutzen, wenn zum Beispiel eine Beziehung quälend lang wie tot war und dann wieder auflebt. Nein, ganz genau dies: Jemand erstand von den Toten.
Die Geschichte dazu beginnt damit, dass ich zum Taufgespräch am Tisch saß. Mir fiel sofort auf, wie fahrig die Mutter der Kinder war. Ihr Mann erklärte es mir. „Hier steht gerade alles Kopf. Unser Neffe, er ist 14, sollte jetzt konfirmiert werden. Er lebt in Italien. Beim Baden ist er wie alle anderen auch von der Brücke gesprungen. Sein Fuß hat sich am Brückenpfeiler verhakt, als er wieder auftauchen wollte; er war 45 Minuten unter Wasser. Niemand konnte ihn befreien, so viele es auch versucht haben. Nun ist Beerdigung statt Konfirmation.“
Doch nicht sofort. In Italien muss jemand, der während der Wiederbelebungsversuche eine Reaktion hatte, noch drei Tage an den Maschinen bleiben. Da dies bei dem Jungen einmal sehr schwach der Fall gewesen war, kam er ins Krankenhaus. Doch die Ärzte sagten. Es sind keinerlei Lebenszeichen mehr feststellbar. Er ist tot. Doch so deutlich die Ärzte es der Mutter des Jungen auch sagten: Sie glaubte es nicht.
Was tat die Frau? Sie betete. Mit ihr ein ganzer Ort. Sie beteten für das Leben des Jungen gegen alle Fachmeinung. Und so erzählten die Taufeltern am Tisch: „Jetzt, während wir hier sitzen, ist ein toter Junge von betenden Menschen umringt, dort in Italien.“
Der einzige Trost in dieser Geschichte: Dass niemand in seinem Entsetzen allein war, sondern gehalten und gewärmt wurde vom Gebet der anderen.
Drei Wochen später sollte die Taufe stattfinden. Zuvor fragte ich mich, wie es der Familie wohl gelingen würde, trotz der Trauer die eigenen Kinder zu feiern.
Doch ich sah die Mutter der Täuflinge glänzend vor Glück. „Wissen Sie“, sagte sie, „es gibt doch eine Konfirmation in Italien. Als die Maschinen nach drei Tagen ausgestellt werden sollten, atmete mein Neffe plötzlich von selbst. Er schlug auch bald die Augen auf. Jetzt redet er wieder und macht freche Sprüche. Sogar seine PIN weiß er noch. Niemand kann es sich erklären, nichts davon. Sein Gehirn ist ohne jede Schädigung.“
„Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.“ Von diesem unmöglichen Fall spricht Abraham und sagt damit zwei Dinge. Erstens: Mose und die Propheten sind aus sich heraus überzeugend. Zweitens: Die Toten haben keine neue Botschaft für uns. Sie können uns nichts sagen, was wir nicht schon wüssten.
Das erfährt jetzt die Familie des verunglückten Jungen. Während alle überglücklich sind, ihn wiederzuhaben, trägt er Trauer. Denn ihm fehlt ein Unterschenkel. Die schweren Verletzungen am Bein machten eine Amputation nötig. So sehr er auch gefragt wird, was er gesehen hat oder welche Worte ihm gesagt wurden – das ist nicht sein Thema. Er will seinen gesunden Körper wiederhaben. Er will sein Bein zurück. Was er will, ist exakt das, was er schon vor dem Unglück wollte. Er ist ganz und gar der Selbe, und er hat keine neue Botschaft für die Lebenden
Wie Abraham sagt: „Mose und die Propheten“ reden deutlich genug. Sie sagen, was zum guten Leben nötig ist: Gott lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Mehr Botschaft braucht es nicht, und mehr Autorität braucht es auch nicht.
Die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus macht deutlich, dass es trotzdem ein Hindernis gibt: Die große Kluft zwischen Menschen. Auf der einen Seite dieser Kluft befindet sich ein reicher Mann. Er hat kostbare Kleider und herrliche Tage voller Freuden. Einen Namen hat er nicht.
Die andere Seite der Kluft wird beschrieben: Dort ist ein armer Mann. Er heißt Lazarus, er liegt vor der Tür des Reichen, hat Hunger und ist krank. Die Krümel vom Tisch des reichen Hauses würden ihm schon reichen.
Aber da ist die Kluft. Sie ist riesig, trotz der räumlichen Nähe. Sie ist so riesig, dass in ihr verschwindet, was zwischen dem reichen Jedermann und dem armen Lazarus geschieht. Wir hören nichts dazu in der Geschichte. Nur, dass beide sterben und sich dann die Verhältnisse umkehren. Aus der Ferne sieht der reiche Mann Abraham, der ihm deutlich macht: In diesen Sphären sind die Dinge nicht mehr zu ändern. Hier ist die Kluft ist nicht überwindbar. Nur im Reich der Lebenden gibt es die Chance dazu, und sie besteht im Hören. „Sie haben Mose und die Propheten, die sollen sie hören.“
Wir möchten hinzufügen: „Und es dann auch tun.“ Eine Kluft wird nicht allein dadurch überwunden, dass man die Ohren aufgesperrt. Eine Kluft wird dadurch überwunden, dass man den eigenen Steilhang hinab- und den anderen Steilhang hinaufklettert. Eine Kluft wird überwunden durch praktisches Tun.
Jesus, der diese Geschichte erzählt hat, lässt Abraham die Hinzufügung vom Tun nicht aussprechen. Er erzählt diese Geschichte so kunstvoll, dass man erkennt: Hören und Tun sind dicht beieinander. Das Tun kann – wenn das Hören vorhanden ist – leicht und wie von selbst geschehen: Dem armen Lazarus hätten die Krümel gereicht. Das Opfer des Reichen wären nicht diese Abfälle gewesen. Das Opfer des Reichen wäre es gewesen, seine Taubheit aufzugeben.
Wenn wir in jedem Sonntagsgottesdienst Kollekte sammeln, ist das eine Übung in dieser Sache. Es ist eine Geste gegen die Taubheit. Es ist eine Erinnerung an das Hören auf Mose und die Propheten: „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Wenn wir in jedem Sonntagsgottesdienst Kollekte sammeln, ist das auch eine Übung darin, das Ziel nicht zu erreichen und sich dennoch nicht davon abzukehren. Wir lindern nicht die Not der Welt, nicht einmal im Ansatz. Die Übung besteht darin, das nicht als Ausrede zu nehmen.
So ging es auch den Menschen, die um den Jungen herum beteten, von dem die Ärzte sagten, er sei tot. Sie konnten die Not und das Leid nicht ändern. Sie nahmen das nicht als Ausrede. Sie ließen die Mutter und ihr Kind nicht allein. In ihrer Liebe zu Gott und zu ihren Nächsten taten sie, was sie in dieser Lage tun konnten, und beteten.
Jetzt ist der Junge in der Reha. Seine Mutter sagt nicht, er sei dort, weil Gott sich durch die Gebete habe überzeugen lassen. Seine Mutter dankt Gott und den Ärzten abwechselnd. Sie sucht nicht nach einer Erklärung. Sie weiß, dass es keine gibt. Sie belässt es beim Dank.
Wenn wir noch einmal an den reichen Mann aus der Geschichte denken, merken wir: Zu ihm passt Dankbarkeit nicht. Solange er lebt, ist er ganz damit beschäftigt, sich über sich selbst zu freuen.
Vielleicht ist man auf jemanden wie ihn einen Moment lang neidisch. Aber nicht lange, denn eigentlich ist er eine Karikatur – ein bestens gekleideter Mensch, dessen Tage alle herrlich und voller Freude sind. Weil wir die Übertreibung erkennen, ist es leicht, sich in Kontrast zu setzen und anders sein zu wollen. Auch darum ist diese Geschichte von Jesus so gut: Sie hilft hören und sehen, warnt und ermutigt, sie spornt an und erwartet nicht zu viel von uns. Das ist wichtig. Denn wir brauchen leichtes Gepäck, wenn wir das tun wollen, was sie uns aufs Neue aufträgt: Die Kluft überwinden. Gott lieben und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Amen.
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KONFI-IMPULS zu Lukas 16,19-31 von Steffen Kaltenbach
Ausgleichende Gerechtigkeit – „damit wir klug werden“
Nach der novellierten Konfirmationsordnung ist die Zeit der ersten Trinitatissonntage die konfirmandenlose Phase des Kirchenjahres schlechthin. Dazu geraten die Pfingstferien zu einer Familienurlaubssaison ersten Ranges.
Der 7. Juni könnte als Abschluss des Urlaubs verschlafen werden, aber als Abschlusssonntag für den 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag hat er einer Gruppe Interessierter oder neugierig Gewordener etwas zu sagen. Manche waren vielleicht zum Start oder zum Nachklingen des Konfirmandenjahres beim Konfitag des DEKT in Stuttgart. Darum verbinde ich das Sonntagsevangelium mit der Kirchentagslosung.
Jesu Erzählung stellt zwei fundamental von einander getrennte Welten in eine unfassbare Nähe zu einander: Innen, beim Reichen, Luxus pur; draußen, vor des Reichen Tür, die personifizierte, krank machende, Armut.
Wenn es eine Chance der gemeinsamen Vorbereitung des Textes mit den Konfis gäbe, würde ich sie in zwei Gruppen Bilder von Luxus und Armut zeichnen oder als Stichwortsammlung zusammentragen lassen.
Für die Predigt wäre dies das Material für eine dramaturgische Homiletik: Zwei eng nach einander geschnittene Filmszenen entstehen (Drinnen – draußen vor der Tür). Für Konfis würde ich diese Szenen aber nicht als jugendliche Lebenswelten „inszenieren“, denn wie eng liegen in der Konfigruppen - Realität arm und reich beieinander; den Transfer aus meinem „Erwachsenenfilm“ leisten die jungen Hörer/innen automatisch.
Zwei Welten also prallen aufeinander an der Schwelle der Tür der Villa des Reichen. Die Begegnung findet als Almosengabe aus den Speiseresten, womöglich über Hausangestellte, statt. (Ich denke an Lebensmittelspenden der Discouter für die Tafelläden). Von einem Interesse des Einen am Leben des Andern erzählt Jesus nichts. Immerhin kennt man im Kreis der wohlhabenden Familie den Armen dem Namen nach (V. 24). Doch der „garstige Graben“ zwischen arm und reich bleibt.
Die unüberwindbare Kluft zwischen beiden Lebenswelten wiederholt sich im Leben nach dem Tod (V.26: χάσμα μέγα). Jetzt, auf ein Mal, erlebt der anonyme Reiche (Soll ich ihm meinen Namen geben?) die Sehnsucht einer Überwindung des Grabens am eigenen Leid. Eine normale (Thora – gemäße) Portion Mitmenschlichkeit und Empathie hätte schon im irdischen Leben dieses Interesse an einer Begegnung geweckt. Aber es gibt ein zu spät.
Hier setzt der Gedanke an die „Löffelliste“ ein: Was würdest du (noch) unbedingt tun wollen, wenn du in einer Woche / in einem Monat sterben („den Löffel abgeben“) müsstest (Grandios der Film „The bucket list“/Das Beste kommt zum Schluss mit Jack Nicolson und Morgan Freeman, in dem neben vielerlei Erlebnishunger die Überwindung zwischenmenschlicher Gräben zum Thema letzter Erledigungen wird).
Am Ende gibt es also keine Chance für den Reichen (vgl. aber Mk 10, 25-27!), mit Lazarus im Sinn einer Erleichterung der Höllenqualen Kontakt aufzunehmen. Hätte Lazarus aus Mitleid oder gar Dankbarkeit für die Speisereste handeln oder einen Sklavendienst versehen sollen?
Eine Spur gibt sein Name: Lazarus geht auf das hebräische Eleazar zurück: Gott hilft. Wem aber hilft er wie?
Der Schluss von Jesu Erzählung legt den Finger in die Wunde der je eigenen Gewissensbildung: Im Grunde wissen wir, wie wir mit einander leben sollen. Weitere Warnungen helfen nicht. Und: Wahrer Reichtum entsteht in der Begegnung von arm und reich, von gesunden und kranken Menschen, von jung und alt… .
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.
Im Gottesdienst:
· Kirchentagspsalm: Psalm 1
· Dazu als Antiphon (vgl. Kirchentagssonntag): Öffne meine Augen, EG 176
· Lesung in Srecher/innenrollen Apg 3, 1-9
· Fotoserie arm und reich: Wer mir bis Pfingsten eine Mail schickt, bekommt die 23 Fotos als ppt-Präsentation im Kontrast Armut/Reichtum zugeschickt (knapp 4MB): Steffen.Kaltenbach@elkw.de
· Begegnungsaktion: Wertschätzende Begrüßung mit Händedruck und Blickkontakt?
· Lieder: Komm in unsre stolze Welt, EG 428, EG 652: We shall overcome, EG 652, Du bist da, wo Menschen leben, LFJ 498, Da berühren sich Himmel und Erde, WWDL 93, Wir strecken uns nach dir, WWDL 90, Wenn das Brot, das wir teilen, WWDL 86
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Große Freude? Worüber? - Predigt zu Lukas 24,44.50-53 von Stefan Knobloch
Große Freude? Worüber?
Christi Himmelfahrt nennen wir das heutige Fest. Christi Himmelfahrt? Tun wir uns damit eigentlich einen Gefallen? Welche Vorstellung weckt diese Festbezeichnung, wenn wir sie wörtlich nehmen? Nein, sagen wir dann, wir dürfen diese Bezeichnung nicht wörtlich nehmen, sie ist irgendwie anders zu verstehen. Aber wie anders? Es geht nicht darum, in einer sprachlichen Bilderstürmerei gegen die Rede von der Himmelfahrt Christi Sturm zu laufen. Es handelt sich um eine Bezeichnung, die Tradition hat und in deren Tradition wir gottseidank immer noch stehen. Nur müssen wir, um ihren Kern zu bewahren bzw. ihn für uns neu zu gewinnen, diesen Kern für uns neu aufbrechen, um das zu Gesicht zu bekommen, was er von Anfang an meinte, und wir nicht bei dem hängen bleiben, was dieser Kern von Anfang nicht meinte.
Es mag uns überraschen und führt dabei exakt in die richtige Richtung, zu hören, dass im heutigen Evangelium – es ist der allerletzte Abschnitt des gesamten Evangeliums – die Worte Himmel, geschweige denn Himmelfahrt, überhaupt nicht vorkommen. Am Ende heißt es vom Auferstandenen in aller Knappheit und in aller zu interpretierender Offenheit: er trennte sich von den Jüngern. Unsere Einheitsübersetzung bietet bereits eine Interpretation, wenn sie stattdessen sagt: Jesus wurde zum Himmel emporgehoben. Diese Übersetzung lehnt sich offensichtlich an die Aussage der Apostelgeschichte an, nach der Jesus vor den Augen der Jünger „emporgehoben“ wurde. Aber selbst da fehlt der Begriff Himmel. Empor, nach oben, das weist nach unserer menschlichen Orientierung immer in Richtung Himmel. Der Auferstandene also trennte sich von den Jüngern. Aber das lässt das Evangelium nicht einfach so stehen.
Der Auferstandene sagte zu seinen Jüngern …, so setzt das heutige Evangelium ein. Und dann folgt ein etwas verdrechselter Satz, in dem der Auferstandene die Jünger an das erinnert, was er ihnen früher schon einmal dargelegt hatte. Und zwar dreimal. Die Jünger aber hatten es nie verstanden: die Ankündigung seines Leidens, seiner Hinrichtung und seiner Auferstehung (vgl. Lk 9,22.45; Lk 18,31-34). Diesmal zeigt der Auferstandene den Jüngern aus den Schriften des Mose, der Propheten und der Psalmen auf, dass er das alles habe erleiden müssen.
Ich denke, es braucht keine große Gelehrsamkeit, um zu erkennen, dass das Lk-Evangelium in diesen Sätzen keine reale Szene der Jünger mit dem Auferstandenen wiedergibt, sondern dass sich in ihr der Verarbeitungsprozess der Jünger widerspiegelt, mit Jesu Tod und dem Widerfahrnis seiner Auferstehung fertig zu werden. Der Schwerpunkt der Verarbeitung liegt dabei auf seiner Hinrichtung, auf seinem Leiden, auf seinem schrecklichen Ende, das so gar nicht in das Bild eines von Gott gesandten und von Gott begnadeten und erfüllten Propheten zu passen schien. Das Ende Jesu war in der Tat ein für die Jünger kaum zu verdauender Brocken. Und ebenso wenig für die ersten christlichen Gemeinden.
War es möglich, eine Argumentationslinie zu finden, nach der Jesu unfassbares Ende seinen Platz in der Tradition des Glaubens der Schrift haben konnte? Man fand diese Argumentationslinie, wie wir auch an der Emmauserzählung ersehen können, aus dem Rückbezug auf das Alte Testament oder, wie wir richtiger sagen sollten, auf das Erste Testament. Nach einer neuen Deutung „musste“ Jesus vieles erleiden, ohne dass damit sein Leiden, sein Tod, seine Auferstehung ganz erklärbar geworden wären. Das Alte Testament bot Argumentationslinien an, die das „Schicksal“ Jesu vorzeichneten. Vor allem von den Gottesknechtsliedern bei Jesaja her ließen sich diese Argumentationslinien entwickeln. Sie boten sich als Folie an, auf der man das Schicksal Jesu annähernd deuten konnte. Für die Jünger und für die ersten Gemeinden waren das wichtige, ja unentbehrliche Vergewisserungsschritte.
Im Licht dieser damaligen Deutung des Lebens und Schicksals Jesu vom Alten Testament her kann uns die grundsätzliche Relevanz des Alten Testaments für unseren christlichen Glauben zu Bewusstsein kommen. Darüber ist es in letzter Zeit zu einem unter evangelischen Theologieprofessoren an der Humboldt-Universität zu Berlin, auch in den Medien ausgetragenen, Diskurs gekommen. Einer der Kollegen, ein Systematiker, war durch die These hervorgetreten, dass das Alte Testament für den christlichen Glauben keine wirkliche Relevanz besitze. Man könne ihm allenfalls den Rang von „Apokryphen“ zuerkennen. Das waren Texte, die in der frühen Kirche vorübergehend eine gewisse Bedeutung hatten, die sich aber auf Dauer keiner allgemeinen Anerkennung erfreuten. Ohne hier die Auseinandersetzung weiter zu bewerten, belegen doch allein schon die Texte unserer Evangelien, welchen Rang für sie das Alte Testament hatte und bleibend hat.
In unserem Evangelium führt der Auferstandene die Jünger hinaus nach Betanien, ein stadtnaher Ort bei Jerusalem am Osthang des Ölbergs gelegen. Auch wenn der Ölberg topographisch hier nicht ausdrücklich genannt wird, dürfte er für das Lk-Evangelium den eigentlichen Ausschlag für die Wahl des Ölbergs als „Abschiedsort“, als Ort der Trennung vom Auferstandenen gegeben haben. Für eine Trennung, die, wie wir erfahren, keine wirkliche Trennung war. Die Wahl des Ölbergs könnte dabei als Gegenbild zum Einzug Jesu in Jerusalem zu deuten sein. Der Einzug endete auf Golgota. Jetzt aber lässt das Lk-Evangelium die Szene, die theologisch zu deuten ist, im Bereich des Ölbergs spielen, dem Jerusalem zu Füßen liegt. Vom Ölberg „blickte“ man auf Jerusalem „herab“. Das könnte als Symbol zu deuten sein, dass Jerusalem, hier stellvertretend für die Tradition des gesamten Alten Testaments stehend, dem Auferstandenen zu Füßen liegt. Dies dabei nicht verstandenen im Sinn einer Abwertung, gar Entwertung, sondern Jerusalem würde so gedeutet als Zentrum einer Tradition von bleibendem Wert, die in der Gestalt Jesu gewissermaßen überhöht wurde und in dieser Überhöhung in ihrem bleibenden Wert bestätigt wurde.
Nach dem Lk-Evangelium stellt die Trennung von Jesus nur das eine dar. Ja, der Aspekt der Trennung, die gewiss nicht zu leugnen ist, wird sogleich relativiert, ja, transformiert in eine neue Art des Gegenwärtig seins des Auferstandenen. Der Auferstandene segnet seine Jünger. Und das nicht nur für einen Moment, der im nächsten Moment Vergangenheit ist. Sein Segen ist die andere Seite der Trennung. Denn indem er sie segnete, trennte er sich von ihnen. Hier ist das eine gleichzeitig das andere.
Mit anderen Worten: Die Jünger beginnen zu erkennen und beginnen daraus zu leben und ihren Auftrag zu gestalten, dass der Auferstandene lebt, dass er mit seiner Segensfülle ihr Leben begleitet. In dieser Gewissheit wenden sie sich Jerusalem zu, das ihnen – im übertragenen Sinn – zu Füßen liegt. Und sie sehen ihren Einsatzort, ihr Aktionsfeld mit großer Freude zunächst nirgend anderswo als – im Tempel! Hier „lobten“ sie Gott, heißt es verkürzt. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass sie die Segensfülle, die sich für sie mit dem Auferstandenen verband, an die Menschen weitergaben, die Menschen auf sie aufmerksam machten.
Von einer „Himmelfahrt Christi“ bleibt da nicht viel. Bzw. von ihr bleibt alles! Bleibt das Wichtigste: Seine Gegenwart, die unser Leben durchströmt und mit der Dynamik des Glaubens erfüllt. Werfen wir den Ballast, den uns vielleicht die Vorstellung einer Himmelfahrt macht, ab. Erfassen wir das Wesentliche dieses Festes, dann könnte sich auch in unseren Herzen, in unserem Leben große Freude breitmachen.
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KONFI-IMPULS zu Lukas 24,44-53 von Gerlinde Feine
- Beobachtungen:
Den meisten Jugendlichen (und auch vielen Erwachsenen) geht es mit der Himmelfahrtserzählung ganz ähnlich wie mit der Weihnachtsgeschichte: Die im Kopf zusammengesetzte Abfolge der Ereignisse ist stärker als das Bewusstsein für Nuancen und Abweichungen in den einzelnen Evangelien. Vieles wird einfach mitgehört, auch wenn der ausgewählte Text es gar nicht erzählt. Was Jesus unmittelbar vor seinem Abschied sagt, womit er die Jünger_innen stärkt und beauftragt, variiert aber am Ende des Mk, des Lk und zu Beginn der Apg deutlich.
Der Taufbefehl aus Mt 28, der zum Lernstoff der Konfizeit gehört, hat seine synoptische Entsprechung in Mk 16 und Apg 2, fehlt jedoch im Predigttext. Stattdessen enthält die hier überlieferte Abschiedsrede Jesu (Vv. 44-49) einen Hinweis auf den Tanach als Schlüssel zum Verständnis von Passion und Ostern sowie klare Anweisungen für die erste Zeit ohne ihn.
Nur hier ist auch davon die Rede, dass Jesus die Jünger segnet, ehe er ihren Blicken entzogen wird, und dass sie „mit großer Freude“ nach Jerusalem zurückkehren. Dort sollen sie Zeug_innen des Evangeliums sein und auf die „Kraft aus der Höhe“ warten (V. 49f, vgl. „Kraft des Heiligen Geistes“ in Apg 1,8). Im Evangelium berichtet Lk auch, dass die Jünger_innen nach der Himmelfahrt im Tempel Gott loben, während sie in der Apg bis zum Pfingstereignis außerhalb des heiligen Bezirks bleiben, nachdem ihnen zwei Männer in weißen Gewändern (Apg 1,10f) noch einmal das Ereignis interpretiert haben.
Folgende Eigenarten lassen sich festhalten:
- Jesu Passion und Auferstehung läßt sich aus der Heiligen Schrift heraus erklären, verstehen und zusammenfassen.
- Die Jünger_innen sollen ihren Zeug_innendienst in Jerusalem beginnen, bis die „Kraft aus der Höhe“ sie weiter leiten wird.
- Jesus geht, während er sie segnet.
- Sein Abschied macht sie froh und aktiv: Sie gehen im Tempel an die Öffentlichkeit mit ihrem Gotteslob.
- Zugänge
Als Einstieg in ein Gespräch über den Text kann ein Arbeitsblatt dienen, bei dem Lk 24, 44-53 und Apg 1, 4-14 gegenübergestellt werden. Je nach Zusammensetzung der Gruppe und ihrer Kompetenzen in der Arbeit mit Texten können Unterschiede und Gemeinsamkeiten gesucht (farblich markieren / Stichworte auf Zetteln sammeln und sortieren / auflisten) oder Beobachtungen gesammelt werden.
Für die Jugendlichen spannend ist v.a. die Frage nach der „Kraft aus der Höhe“: Wie sieht sie aus? Wie kann sie einen Menschen verändern? Aus den Settings von Fantasy-Fiction und –Spielen kennen sie Situationen, in denen Geister oder außerirdische Mächte in die Hülle einer Figur schlüpfen; auch der Zaubertrank aus den Asterix-Stories wurde bei einer offenen Fragerunde als Vergleich herangezogen („Taufe ist dann, wie wenn man in den Kessel mit Zaubertrank fällt, und man ist stark fürs ganze Leben“). Über die von Jesus angekündigte Geistkraft möchten sie mehr erfahren.
Viele kennen aus dem Religionsunterricht Jesu letzte Worte am Kreuz. Nun geht es wieder um eine Trennung, die aber nicht mit Verzweiflung und Todesangst verbunden ist, sondern mit dem Aufbruch in eine neue Welt. Dass sich Jesus nach Ostern anders von seinen Freund_innen verabschiedet als vorher, können die Konfis i.d.R. selbst mit christlicher Auferstehungshoffnung in Verbindung bringen. Drei Wochen vor Beginn des Stuttgarter Kirchentags mit seiner Losung aus Ps 90,12 lohnt sich daher eine Beschäftigung mit Famous Last Words, wie sie in der Religionspädagogischen Arbeitshilfe „ausgeklügelt“ (zu beziehen über das ptz Stuttgart oder als Download abrufbar unter http://static.kirchentag.de/production/htdocs/fileadmin/dateien/zzz_NEUER_BAUM/Service/Downloads/Publikationen/DEKT35_Materialheft_Ausgekluegelt.pdf) vorgeschlagen wird. Dazu wird eine Sammlung mit Letzen Worten Prominenter ausgeteilt (M1, S.47). Die Jugendlichen sollen mithilfe des Internets (Smartphone-Nutzung erlauben) mehr über die näheren Umstände herausfinden, in denen diese Zitate entstanden sind: Welche Hoffnungen verbinden sich damit? Welche Grundüberzeugungen werden transportiert?
Unter dem Titel „Mars One“ werden derzeit Personen ausgewählt, die zum Roten Planeten fliegen und dort als Pioniere eine menschliche Siedlung aufbauen wollen – ohne Rückflugticket! Ein Abschied wäre verbunden mit der endgültigen Trennung von der eigenen Familie, von Freunden und Bezugspersonen, aber auch mit dem Aufbruch in ein neues, völlig fremdes Leben. Wie bleibt man in Verbindung (dazu haben Jugendliche sehr praktische Ideen, von Skype über Twitter bis zu Techniken, die erst noch erfunden werden müssen)? Welche Gefühle haben die Zurückbleibenden? Wie stark wird das Heimweh? Die Jugendlichen entscheiden sich für eine Rolle und schreiben als Expeditionsteilnehmende_r oder als Zurückbleibende_r (beste_r Freund_in / Eltern / Geschwister) eine Abschiedsrede, aus der dann im Gottesdienst zitiert werden kann.
- Bausteine
In den meisten Gemeinden Württembergs fällt Christi Himmelfahrt in die Zeit, in der die „alten“ Konfirmand_innen bereits konfirmiert und die „Neuen“ zwar angemeldet, aber noch nicht eingeführt worden sind. Dann ist es oft nicht möglich, mit den Jugendlichen gemeinsam Teile des Gottesdienstes vorzubereiten. Wo Christi Himmelfahrt im Grünen oder in Verbindung mit einem Vereinsfest gefeiert wird, lohnt es sich trotzdem, Platzhalter für improvisierte Beteiligungsformen einzuplanen.
So kann in einem spontanen Blitzinterview als Predigteinstieg erfragt werden, wer denn schon einmal längere Zeit allein zu Hause geblieben ist, während die Eltern verreist waren? Was ist schwer gefallen? Worauf musste man achten? An wen konnte man sich im Notfall wenden? Was haben die Eltern zum Abschied noch gesagt (Mahnungen, Tipps, Wünsche)? Wie war das Wiedersehen?
Zu den Dingen, die Konfirmand_innen im Gottesdienst schwerfallen, gehört das lange Stillsitzen. Angebote zum Mitgestalten von Liedern werden daher i.d.R. gern angenommen.
Apg 1,8, als Kanon vertont (EG 132), lässt sich gut als Bewegungslied inszenieren.
Aus der Liste der Kernlieder eignen sich „Jesus Christus herrscht als König“ (EG 123) und das Pfingstlied „O komm, du Geist der Wahrheit“ (EG 136). Ideen zum kreativen Einsatz und zu alternativen Singformen, zB als Reigen oder als „Wörter-Demo“, sind im Werkbuch „Unsere Kernlieder“ (hg von Susanne Betz, Hans Hilt und Bernhard Leube, München 2011) zusammengefasst (S. 54-65).
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Predigt zu Lukas 24,50-53 von Christiane Neukirch
Diese Predigt ist bestimmt für einen Gottesdienst in Gebärdensprache. Deshalb ist sie in leichter Sprache verfasst und kürzer als Predigten für hörende Gemeinden.
Liebe Gemeinde!
Eine komische Geschichte ist das! Ich staune gleich dreimal:
1. Während Jesus die Jünger segnet, entfernt er sich von ihnen?! Wir lernen doch: erstmal das Eine fertig machen, dann weitermachen?!
2. Jesus fährt in den Himmel hinauf?! Das ist doch unmöglich?!
Und 3. Die Jünger sind voller Freude?! Sie wussten doch: sie werden Jesus nie mehr wiedersehen?! Warum freuen sie sich dann?
Zum 1. Während Jesus die Jünger segnet, entfernt er sich von ihnen?!
So habe ich Segen noch nie erlebt und auch noch nie selbst eine Gemeinde gesegnet. Bei uns ist das immer so: Am Ende vom Gottesdienst laden wir ein, beim Segen einander die Hände zu geben und dann hebe ich meine Hände und sage: „Gott soll euch bitte segnen“. Und dann gebärde und sage ich: „Es segne und beschütze euch Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.“ So kennen wir den Segen am Schluss von unseren Gebärdengottesdiensten. Ich bleibe dabei natürlich vorn stehen, bis ich fertig bin. Das ist doch klar. Wenn ich gleichzeitig weggehe – was denkt Ihr, was denken Sie dann? Die Pastorin hat keine Zeit mehr?? Sie beachtet die Gemeinde nicht?
Hier in der Bibel ist es anders. Da lesen wir: „während er sie segnete, entfernte er sich von ihnen“. Ich bin sicher: Lukas erzählt die Geschichte extra so. Das ist das letzte Bild, das die Jünger von Jesus auf der Erde im Kopf behalten sollen: seine Hände zum Segen über sie gehalten.
Jesus ist nicht fertig mit dem Segnen, als er vor ihren Augen verschwindet! Der Segen fließt weiter - ein schönes Bild! Jesus gibt seine Kraft immer weiter weiter… Mit seiner Kraft können die Jünger stark sein, getröstet sein. Jesus als Vorbild haben sie genug gesehen und beobachtet. Jetzt brauchen sie die Kraft, mit der auch Jesus selbst gelebt und gehandelt und gepredigt hat. Die strömt in ihr Leben und auch in unser Leben ein – immer weiter. Das ist die Kraft, die uns hilft, zu hoffen, zu vertrauen und zu lieben.
2. Gemalt haben viele Künstler in unserer christlichen Kunstgeschichte aber eine andere Szene: die, in der Jesus in den Himmel auffährt. Das war die zweite Stelle, über die ich gestaunt habe. Jesus fährt hinauf in den Himmel?! Ich kann das nicht erklären. Wie sollen wir uns das genau vorstellen? Ist die Geschichte doch nur ein Traum? Oder ein Wunsch? Gar nicht wahr?
Ich kann dieses Bild von der Himmelfahrt nur als Geheimnis stehen lassen. Und mir immer wieder klar machen: Himmel bedeutet in der Bibel nicht den Raum über der Erde, in dem heute die Flugzeuge fliegen und die Satelliten kreisen – nein, es ist Gottes Raum und der ist sicher nicht nur da oben, wohin wir zeigen, wenn wir den Himmel meinen. Der Himmel, der Raum Gottes, ist auch hier unten und hat nach oben und unten und innen und außen keine Grenze. So wie Gott keine Grenze hat. Dann bedeutet die Himmelfahrt von Jesus: Jesus geht ganz zu Gott und hat nun auch keine Grenze mehr.
Vor seinem Tod am Kreuz wandert Jesus mit seinen Jüngern durch die Dörfer und predigt und heilt und und und. Und wo er hinkommt, laufen die Menschen zusammen und wollen ihn sehen, ihn erleben. Denn er war ein Mensch – wenn auch ein besonderer Mensch - und jeder Mensch kann in einem bestimmten Moment nur an einem Ort sein – z.B. im Haus des Zachäus, an den Teichen von Betesda, auf dem Weg nach Jerusalem.
Aber jetzt, nach der Himmelfahrt, kann er gleichzeitig überall da sein, auch hier in der Lukas-Kirche! Und gleichzeitig in allen anderen Kirchen, draußen auf Wiesen und Feldern unter freiem Himmel, wo heute überall Gottesdienste gefeiert werden, aber auch bei allen Menschen, die nicht zu Gottesdiensten kommen können oder wollen.
3. Zuerst habe ich gestaunt über die Freude von den Jüngern. Aber darüber staune ich jetzt nicht mehr. Am Schluss des Evangeliums steht ja ein neuer Anfang! Diese Geschichte am Schluss des Lukas-Evangeliums ist keine Abschiedsgeschichte. Jesus nimmt hier gar keinen Abschied! Mit seiner Kraft, mit seinem Segen bleibt Jesus bei den Jüngern und bei uns, in uns, unter uns, auch wenn wir wie die Jünger Jesus nicht mehr sehen können. Mit seiner Kraft können wir Gott vertrauen – mehr als dem eigenen Denken und Verstehen. So ist klar, warum die Jünger nach dem Verschwinden des sichtbaren Jesus nicht verzweifelt oder traurig oder verlassen sind! Jesus bleibt ja! Deshalb können die Jünger voller Freude zurück kehren nach Jerusalem und Gott loben im Tempel. Zehn Tage später werden sie durch den Heiligen Geist noch mal einen richtigen Mutschub bekommen. Den brauchten sie für die Gründung der Kirche.
So ist die Himmelfahrtsgeschichte doch keine komische, aber eine geheimnisvolle Geschichte. Eine Geschichte von einem Neuanfang, bei dem wir auch 2000 Jahre später dabei sein dürfen! Und eine Geschichte, die unseren Blick auf den Segen lenkt, den Jesus uns geschenkt hat und weiter schenken wird.
Amen.
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Predigt zu Lukas 24,44-53 von Elke Markmann
Liebe Gemeinde!
Wir feiern einen besonderen Gottesdienst. Heute, am sogenannten „Vatertag“. Wir feiern diesen Tag als Himmelfahrtstag. Ein Tag, an dem wir uns an die Himmelfahrt Jesu Christi erinnern.
Wir hören, was uns im Lukasevangelium erzählt ist:
Nach der Auferstehung erscheint Jesus einigen seiner Jüngerinnen und Jünger mehrfach an unterschiedlichen Orten.
Nach dem Entsetzen über den grausamen Foltertod ihres Lehrers und Vorbildes haben die Jüngerinnen und Jünger wieder neu Hoffnung geschöpft, als sie dem Auferstandenen begegneten.
Aber dann endet auch diese Zeit. Hier setzt der heutige Predigttext ein:
Dann sagte Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: »Nun ist in Erfüllung gegangen, wovon ich sprach, als ich noch bei euch war; ich sagte: ›Alles, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich geschrieben ist, muss sich erfüllen.‹« Und er öffnete ihnen das Verständnis für die Schrift, sodass sie sie verstehen konnten, und sagte zu ihnen: »So steht es doch in der Schrift: Der Messias muss leiden und sterben, und drei Tage danach wird er von den Toten auferstehen. Und in seinem Namen sollen alle Völker zur Umkehr aufgerufen werden, damit sie Vergebung ihrer Sünden empfangen. In Jerusalem soll damit begonnen werden. Ihr seid Zeuginnen und Zeugen für das alles. Ich aber werde die Kraft aus der Höhe auf euch herab senden, wie mein Vater es versprochen hat. Bleibt hier in der Stadt, bis ihr damit ausgerüstet werdet.«
Jesus führte die Jünger aus der Stadt hinaus bis in die Nähe von Betanien. Dort erhob er die Hände, um sie zu segnen. Und während er sie segnete, wurde er von ihnen weggenommen und zum Himmel emporgehoben.
Die Jünger warfen sich nieder und beteten ihn an. Dann kehrten sie nach Jerusalem zurück, von großer Freude erfüllt. Und sie waren von da an ständig im Tempel und priesen Gott.
(Lk 24, 44-53 nach der neuen Genfer Übersetzung)
Die Jüngerinnen und Jünger wussten nach diesem Erlebnis, dass sie nicht allein waren. Obwohl nach Jesu Tod erst alle Hoffnung gestorben war, war sie nun neu erwacht. Sie wussten nun genau: Er ist nicht bei uns, er ist aber auch nicht tot. Er ist im Himmel und damit jederzeit bei uns. Die Kraft, die wir bekommen werden, kommt direkt aus dem Himmel, die Heilige Geistkraft, die uns hilft, die Aufgaben zu erfüllen, die wir haben.
Jesus hatte Ihnen ja deutlich gesagt, dass sie nun diejenigen sein sollten, die alle Völker zur Umkehr aufrufen sollten.
Seid Zeuginnen und Zeugen! Ruft in meinem Namen zur Umkehr auf!
Diese Sätze haben in der Geschichte nicht immer eine gute Wirkung gehabt. Missionierung und gewaltsame Christianisierung wurden oft mit diesen Sätzen begründet. Heute wissen wir, dass das nicht richtig ist, dass das nicht gemeint ist.
Welche Umkehr ist aber gemeint?
Wir haben vorhin die Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört. Der Prophet träumt von einer Welt, in der die Wüste blühen wird, in der schwache Hände stark werden und zitternde Knie wieder fest werden.
Stumme werden reden, Blinde sehen und Taube werden wieder hören können.
Was für ein wunderschönes Hoffnungsbild!
Die Wüste, das trostlose und trockene Leben, wird nicht mehr sein. Stattdessen werden Quellen täglich neue Frische schenken. Zedern werden stolz und hoch in den Himmel wachsen und von Gottes Kraft und Stärke zeugen.
Es ist ein Traumbild, ein Hoffnungsbild von Gerechtigkeit, vom Ende aller Ungerechtigkeit, vom Ende aller Not und allen Hungers.
Es ist heute noch ein Hoffnungsbild für viele. So lassen sich von diesem Hoffnungsbild auch Menschen auf gefährliche und schreckliche Fluchtwege über die ganze Welt ein. Sie riskieren ihr Leben, weil sie in ihrer Heimat keinen Ort mehr finden, an dem diese Hoffnung wachsen kann – weil ihre Heimat hoffnungslos in Krieg, Terror oder Armut und Hunger versinkt.
Es ist aber auch ein Hoffnungsbild für uns. Auch, wenn wir nicht unter Terror, Krieg, Hunger und Armut leiden wie die Flüchtlinge, die sich zu tausenden auf der ganzen Welt auf den Weg machen, spüren auch wir, dass uns noch etwas fehlt – das Traumbild, das Hoffnungsbild ist noch nicht Wirklichkeit. Es gibt immer noch zu viele, die hoffnungslos, stumm und blind, bewegungsunfähig ihr Leben leben.
Wer sich aber von diesem Hoffnungsbild leiten lässt, der kann andere einladen auf diesen Weg. Ein Weg hin zu einer Welt der Gerechtigkeit. Auf diesen Weg wollen wir andere mitnehmen. Wir haben es von Jesus Christus gehört und gelernt: Die Zeuginnen und Zeugen haben es weiter getragen. Gott will eine Welt, in der diejenigen, die nichts mehr sehen können und wollen, wieder sehen, was um sie herum blüht und wächst. In Gottes gerechter Welt werden Taube wieder hören. Sie müssen ihre Ohren nicht mehr verschließen vor dem Schreien der Notleidenden. Sie können das Lachen und die Lieder wieder hören, die vom Leben erzählen. In Gottes gerechter Welt muss niemand mehr erstarrt und bewegungslos in der Ecke sitzen. Alle werden sich auf den Weg machen können. Alle werden gemeinsam das Hoffnungsbild des Jesaja Wirklichkeit werden lassen.
Auf diesen Weg wollen wir Menschen mitnehmen. Das heißt Umkehr. Gemeinsam den Weg des Lebens gehen. Gemeinsam den Weg der Gerechtigkeit gehen.
Aber …
Ich kann das Aber in Ihren Köpfen schon hören und sehen bei diesen Worten.
Aber – sind wir nicht viel zu wenige? Sind wir nicht viel zu alt? Sind wir nicht viel zu klein und unbedeutend?
Nein, niemand ist zu klein und zu unbedeutend, um mit anderen Menschen den Weg der Gerechtigkeit zu gehen.
Es gibt Mut machende Beispiele dafür, dass das möglich ist:
Da ist z.B. Renate, die lange zu Hause war und für ihren Mann den Haushalt gemacht hat. Sie war immer für ihn da. Als der Mann sich von ihr trennte, suchte sie eine neue Aufgabe. Sie engagierte sich in der Kinderbetreuung in der Flüchtlingshilfe. In einem Verein fand sie eine Aufgabe, die ihr gefiel. Während die Mütter deutsch lernten, kümmerte sie sich um die Kinder aus Afghanistan, aus Syrien, aus Rumänien, aus dem Kosovo – aus vielen Ländern der Erde. Die Kinder spielten mit ihr – sie spielte mit den Kindern.
Heute ist sie zu alt für diese Arbeit. Aber sie trifft „ihre“ Kinder immer wieder. Stolz zeigen sie ihr ihre eigenen Kinder, erzählen von ihren Arbeitsstellen, von ihren Familien. Renate hat in den international gemischten Kindergruppen viel Schweres von den Kindern gehört. Diese Kinder hatten teilweise viel zu viel Tod und Leid erlebt. In dieser Kindergruppe lernten sie miteinander zu spielen, über Völker- und Sprachgrenzen hinweg. Renate fühlt sich heute reich beschenkt. Sie hat manchmal das Gefühl, dass immer wieder in „ihren“ Kindern der Himmel auf die Erde kommt.
Und in seinem Namen sollen alle Völker zur Umkehr aufgerufen werden, damit sie Vergebung ihrer Sünden empfangen. In Jerusalem soll damit begonnen werden. Ihr seid Zeuginnen und Zeugen für das alles. Ich aber werde die Kraft aus der Höhe auf euch herab senden, wie mein Vater es versprochen hat.
So spricht der Auferstandene von der Aufgabe für seine Jüngerinnen und Jünger.
Das geht auch anders: Die evangelische Frauenhilfe in Westfalen hat Mitte der 1990er Jahre erkannt, dass Zwangsprostitution ein immer größeres Problem wird. Nachdem der eiserne Vorhang zwischen Ost und West gefallen war, nutzten viele Kriminelle diese neuen Wege, versprachen Frauen in Osteuropa einen guten Verdienst im Westen und zwangen sie zur Prostitution. Die Frauenhilfe baute in Herford die Beratungsstelle „Nadeshda“ auf. „Nadeshda“ heißt „Hoffnung“. Mit qualifiziertem Personal hilft bis heute die westfälische Frauenhilfe dabei, dass Frauen und Mädchen wieder Hoffnung schöpfen können, dass sie einen Weg aus der Prostitution heraus finden. Sie helfen bei der Verfolgung der Menschenhändler, bauten in der Ukraine und Weißrussland Kontakte auf, die den Mädchen und Frauen in der Heimat zu einem neuen Anfang helfen.
Diese Arbeit war möglich, weil viele Frauen in den Frauenhilfe-Gruppen in Westfalen mit ihrem jährlichen Beitrag Gutes ermöglichen. Ich selber kann mit meinen Kräften und Kontakten keinem Opfer von Menschenhandel helfen, aber mein Geld tut es. Mein Mitgliedsbeitrag oder meine Spende hilft bei der Arbeit gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution.
Ein Schritt hin zum Hoffnungsbild. Ein Schritt auf dem Weg zur gerechten Welt Gottes.
Es gibt noch so viel zu tun: Kriege in vielen Teilen der Welt. Unrechtsregime und Terrororganisationen, die meinen, dass ihre Religion die einzig wahre Religion sei. Boko Haran, Islamischer Staat und wie sie alle heißen. Aber auch hier in Deutschland gibt es Menschen, die sich von nationalistischen und Menschen verachtenden Ideologien verleiten lassen.
Dagegen wollen wir nicht nur von einem neuen Himmel und einer neuen Erde träumen. Wir bauen sie mit. Wir sind aktiv und setzen uns ein. Wir tragen mit unseren Spenden dazu bei. Wir helfen mit unseren Gebeten. Wir reden mit unseren Freundinnen und Freunden, mit Verwandten und Bekannten. Wir reden von Umkehr und vertrauen auf die himmlische Kraft, die schon Jesu Jüngerinnen und Jüngern half.
Wir vertrauen auf Gott. Sein Friede ist größer als all unser Planen, Reden und Tun.
Amen.
Zum Gottesdienst:
Lieder:
EG 454 Auf und macht die Herzen weit
EG 262 Sonne der Gerechtigkeit
EG 665 Liebe ist nicht nur ein Wort
EG 171 Bewahre uns Gott, behüte uns Gott
Eingangsgebet:
Himmelfahrt – Gott – wir feiern diesen Gottesdienst auf der Erde. Wir glauben Dich im Himmel und auf Erden. Immer wieder suchen wir danach, wie wir den Himmel auf Erden holen können und träumen von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, in denen Gerechtigkeit wohnen.
Halte unsere Träume und unsere Sehnsucht nach diesem neuen Himmel und der neuen Erde wach. Beides beginnt hier bei uns. Darum bitten wir Dich, sei bei uns.
Amen.
Schuldbekenntnis:
Lasst uns bekennen, was uns von Gott und unter einander trennt:
Oft richten wir Grenzen auf, verurteilen andere Menschen.
Wir geben denen Recht, die laut genug sind – obwohl wir es gar nicht genau wissen.
Wir vertrauen auf das Vertraute und haben Angst vor Neuem.
Wir vermeiden Kritik und wollen uns nicht in Frage stellen lassen.
Gott, wir bitten dich um Dein Erbarmen!
Zuspruch:
Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.
Darauf können wir immer wieder neu vertrauen. Darum loben wir Gott.
Kollektengebet
Guter Gott, wir kommen heute morgen zu Dir, um uns von Dir anrühren zu lassen.
Wir bitten Dich um Deine Nähe.
Öffne unsere Ohren für Dein Wort.
Öffne unser Herz für Deine Wahrheit.
Öffne unseren Mund zu Deinem Lob.
Amen.
Lesung:
Jesaja 35, 1-6
Fürbitten:
Gott, in unserer Welt liegt so vieles im Argen. Wir könnten lange klagen. Weltweit gehen Menschen lieblos mit einander um, verfolgen, bekriegen und töten sich. Wir leiden darunter und wissen kaum, was wir tun können.
Hilf uns, die guten Ausnahmen zu sehen. Schenk uns den Blick für die Wege, die wir gehen können, um den Menschen in Not zu helfen.
Schenk den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft die Kraft und die Entschlossenheit, das Leben zu lieben und sich für andere Mensche einzusetzen.
Gott, wir sehen die Not in den Häusern in unseren Dörfern. Gewalt in der Familie, Einsamkeit, Krankheit und Tod machen manchen Männern, Frauen und Kindern das Leben zur Hölle.
Du rufst uns auf zur Umkehr. Du rufst uns zur Nachfolge. Gib uns die Kraft zu sehen, wo wir gebraucht werden. Gib uns den Mut zu handeln, wenn es not-wendig ist.
Gott, du allein weißt, wie es in unseren Herzen und Seelen aussiehst. Du kennst unsere Ängste und Sorgen, unsere Freude und unsere Gelassenheit.
Wir bringen in der Stille unsere Gedanken vor Dich.
Stille.
Gott, höre unsere Worte. Höre unser leises und lautes Flehen und Loben, unsere Stille und unser Schreien. Sei Du bei uns!
Amen.
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Martha und das Arbeitsmonster
Die Gnade Gottes, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Liebe Gemeinde,
"Arbeit ist nicht alles", titelte vor einigen Wochen meine heimische Lokalzeitung in ihrer Wochenendbeilage. Untertitel: "Beruf und Freizeit in Balance bringen." Da fanden sich allerlei nützliche Ratschläge für das Wohlbefinden an Leib und Seele: Beweg dich mehr; mach ab und zu Termine mit dir selbst; gib Verantwortung an andere ab; unterscheide zwischen wichtig und weniger wichtig. Außerdem wird mir geraten, ich solle einen Kreis malen und darauf wie Tortenstücke die unterschiedlichen Bereiche meines Lebens einzeichnen: Familie, Freizeit, Beruf, Körper usw. Dieses – so lese ich – "führt Ihnen sehr genau vor Augen, ob Ihr Leben mit Ihren Bedürfnissen übereinstimmt." (Neue Westfälische, 7./8. März 2015)
Mir wird unbehaglich. Was habe ich nicht alles für Bedürfnisse! Nach ihnen mein ganzes Leben ausrichten? Was nicht stimmt im Blick auf die Arbeit und das Leben und die Missverhältnisse zwischen beiden – das hat mit persönlicher Zeiteinteilung nur begrenzt zu tun. Es liegt auf einer tieferen Ebene. Da gibt es angeordnete Doppelschichten. Unbezahlte Überstunden. Leiharbeit mit sittenwidrigen Verträgen. Menschenverachtenden Zeitdruck. Hinweise zu einer ausgewogenen Balance zwischen Beruf und Freizeit helfen hier nicht weiter. Manchem könnten sie wie Hohn erscheinen.
Viel wichtiger und buchstäblich lebensnot-wendiger als mein persönliches Wohlbefinden ist die grundsätzliche Frage, wie wir bei der Arbeit und in der Freizeit so leben können, dass deutlich wird: Unser Leben ist kostbar. Ein einmaliges Gottesgeschenk. Voller Würde und ungeahnter Möglichkeiten.
Wenn Menschen sagen müssen: "Der Druck ist so groß, dass viele, die in der Krankenpflege arbeiten, selber krank werden", dann geschieht Arbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen. Damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Wenn Menschen sagen können: "Gefährlich war's. Ich hatte oft Angst. Wirklich Angst. Aber da hat einer gut auf mich aufgepasst. Und wir haben aufeinander aufgepasst", dann wird eine Dimension von Leben und Arbeit deutlich, die alles übersteigt, was ich als Mensch planen und machen kann.
Im Lukasevangelium lesen wir von einer Begebenheit, die auf unser Thema ein ganz eigenes Licht wirft. Wir sehen Jesus, wie er unterwegs einkehrt bei Maria und Martha.
Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm in auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zur ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. (Lukas 10, 38-42)
Liebe Gemeinde, "Arbeit ist nicht alles": Die Versuchung liegt nahe, den Titel aus meiner Lokalzeitung auch über diese biblische Geschichte zu setzen. Dann wäre deren Aussage ebenso klar wie banal. Martha deckt den Tisch, schafft etwas zu essen herbei und bewirtet den Gast, damit es ihm an nichts fehlt. Maria hört zu. "Jesus, findest du das in Ordnung?", will Martha wissen. "Stört es dich nicht, dass sie sich´s bequem macht auf meine Kosten?". "Arbeit ist nicht alles", scheint Jesu zu sagen. "Maria hat entschieden, was ihr jetzt wichtiger ist. Und das ist gut." So ähnlich hatte es mein Wochenend-Ratgeber empfohlen. Sollte die Botschaft wirklich so schlicht sein?
Aus Maria und Martha wurden in der Auslegungsgeschichte zwei Frauentypen gemacht, die für gegensätzliche Lebensweisen stehen: Hier der aktive, tätige Typ, der sieht, was getan werden muss, die Ärmel hochkrempelt und handelt. Dort der eher passive, betrachtende Typ, der zuhört, nachdenkt, die Eindrücke im Herzen bewegt und vertieft. Manche treten entschieden für Maria ein; andere nicht minder vehement für Martha. Und weil das Leben – wie unsere Erfahrung lehrt – weder ohne das eine noch ohne das andere auskommt; weil wir arbeiten müssen und ruhen, weil wir handeln müssen und hören, einigt man sich in der Regel auf ein ausgewogenes "Sowohl als auch".
Das ist wenig aufregend. Und dazu müsste die Geschichte nicht in der Bibel stehen. Ihr springender Punkt liegt ganz woanders. Am Ende. Da, wo vom "guten Teil" die Rede ist. Das erinnert mich an einen Satz meiner Oma. "Kinder, das kann uns keiner mehr nehmen", sagte sie gern, wenn wir etwas besonders Schönes erlebt hatten und jammerten, dass es schon wieder vorbei war. Dieser Satz kommt mir noch heute in den Sinn, wenn ich die Zeit anhalten möchte; mich an ein seliges Glücksgefühl klammern will; einen wunderbaren Moment zur Ewigkeit machen.
Festhalten geht nicht. Aber: "Das kann dir keiner mehr nehmen." Die Erfahrung wirkt, auch wenn sie nicht andauert. Das Glücksgefühl verändert mich, auch wenn es wieder vergeht. Den schönen Moment habe ich erlebt, auch wenn er vorbei ist. "Das kann dir keiner mehr nehmen." Mit diesem Satz meiner Oma habe ich angefangen, mir eine innere Schatztruhe anzulegen. Da kommt alles hinein, was kostbar und wertvoll bleibt.
Erlebnisse und Erfahrungen bewahre ich darin auf. Worte und Gesten und Eindrücke, die mit Geld nicht zu bezahlen sind. Und auch nicht mit eigener Anstrengung zu erarbeiten. Da ist nur drin, was unabhängig ist von meiner Leistungskraft und von der Beurteilung anderer. Unverdientes. Geschenktes. Niemand hat Zugang zu dieser Kiste; niemand kann mir madig machen, was darin ist; erst recht kann niemand etwas daraus kleinreden oder wegnehmen.
Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden. Wir erfahren nicht, was Maria zu hören bekam, während sie Jesus zuhörte. Es wird ihr Geheimnis bleiben, welche seiner Worte und Gesten und Blicke sie aufbewahrte. Einen Schatz jedenfalls. Das gute Teil, wie Jesus sagt. Dem Zugriff und der Bewertung anderer entzogen. Auch vor den eigenen Zweifeln geschützt. Von Gott behütet.
In der Geschichte von Maria und Martha leuchtet wie ein helles und wärmendes Licht die Chance auf, das Leben als Gottesgeschenk zu erfahren. Während der Arbeit kann das geschehen. Und in der Freizeit. Beim Kochen und Tischdecken ist das möglich. Und beim Zuhören. Unter Tage kann das sein. Und am Krankenbett.
Das gute Teil. Da spürt einer: Hier hat Gott die Hand über mich gehalten. Da erfährt eine: Mir ist eine Kraft geschenkt, die nicht nur aus mir selber kommt. Da ahnt jemand: Dieses eine Wort wird mein ganzes Leben verändern. Und eine andere: Ich bin etwas wert, obwohl ich gerade nichts leisten kann. Das gute Teil.
Um das gute Teil, von dem Jesu spricht, sorgst und mühst du dich nicht. Es wird dir geschenkt. Von Gott, der dir das Leben gab. Das gute Teil bleibt nicht Maria vorbehalten. Das helle und wärmende Licht dieser Geschichte ist lebensnotwendig für uns alle. Deshalb dürfen wir nicht weghören, wenn Menschen sagen: "Der Druck ist so groß, dass meine Arbeit mich krank macht."
"Das Geld, was ich verdiene, reicht kaum aus, um meine vierköpfige Familie zu ernähren." Oder, wie mir kürzlich ein Mann sagte, der seit langer Zeit vergeblich Arbeit sucht: "Ich habe jedes Ansehen verloren, weil ich keine Arbeit habe." "Man behandelt mich wie den letzten Dreck, weil ich angeblich ein Schmarotzer bin."
Wo Arbeit so verteilt und organisiert ist, dass Menschen solche Extreme erfahren, da ist mehr durcheinander geraten als das persönliche Lebensgleichgewicht. Da treiben äußere Bedingungen Menschen durch die Tage. Keine Chance, das Pensum auch nur annähernd zu schaffen. Und so wird die Arbeit zum nimmersatten Monster. Gnadenlos frisst es Zeit und Lebensfreude.
(Martha zähmt den Drachen Tarasque, Martha-Altar in der St. Lorenz-Kirche in Nürnberg. Bildnachweis: Joachim Schäfer, Ökumenisches Heiligenlexikon.)
Ein Künstler hat im Mittelalter dieses "Arbeits"-Monster gemalt. In Nürnberg, in der St.Lorenz-Kirche, ist es zu besichtigen. Da steht es neben Martha. Martha wurde damals als Heilige verehrt, denn sie hat der Legende nach das Monster gezähmt. Vorbei die Zeit, in der es als bedrohliches, menschenfressendes Ungeheuer sein Unwesen trieb. Martha führt es wie ein braves Haustier an ihrem Gürtel. Wie ihr das wohl gelungen ist? frage ich mich. Was mag Martha zu dem Drachen gesagt haben? Wie hat es geklungen? Flüsternd? Gebieterisch? Vor allem: Woher wusste sie, wie man den Drachen zähmen konnte?
Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not, hatte Jesus zu Martha gesagt. Es blieb Marthas Sache, was sie mit diesen Worten anfing. Wer weiß – vielleicht hat die Legende recht, und die Worte Jesu haben damals Marthas ganzes Leben verändert? Vielleicht wurden es Worte für ihre innere Schatzkiste; ein gutes Teil, das ihr niemand mehr nehmen konnte?
Der Bergmann hat vorhin gesagt: "Wir sind in die Kirche gegangen, um Gott zu danken, dass wir heil wieder rausgekommen sind. Und dass wir Arbeit hatten." Und der Krankenpfleger: "Eigentlich ein schöner Beruf. Man bekommt Sachen von Menschen, die man nicht mit Geld bezahlen kann: Ein Händedruck, ein Lächeln."
Das gute Teil. Gott gebe uns wache Sinne dafür. Und den Mut der Martha in der Legende, die den Drachen zähmte. So, dass er selbst seinen eigenen Platz behielt und doch dem Leben Raum lassen musste. Dem Leben, wie Gott es gemeint hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
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Dem Auferstanden begegnen und ihn erkennen - Predigt zu Lukas 24,13-35 von Mira Stare
Dem Auferstanden begegnen und ihn erkennen
Liebe Glaubende,
jedes Jahr neu bekennen wir mit einem besonders feierlichen Ton am Ostertag: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!“ Seit seiner Auferstehung ist er unsichtbar gegenwärtig auch unter uns. Er lässt sich begegnen und erkennen, auch jeder und jedem von uns. Was würden Sie erzählen, wenn man Sie jetzt nach Ihren Erfahrungen mit dem Auferstanden fragen würde? Könnten Sie sofort über konkrete Begebenheiten erzählen, oder ist es für Sie auf diese Frage nicht so einfach zu antworten?
Im heutigen Evangelium geht es um solche Erfahrungen der zwei Jünger Jesu, die sich jedoch zunächst auch schwer tun. Denn sie erkennen den Auferstanden, der ihnen begegnet lange nicht.
Es ist der Ostertag. Die zwei Jünger sind bereits auf dem Weg nach Emmaus, weg von Jerusalem, weg von der Gemeinschaft Jesu, weg von den Ereignissen der letzten Tage. Nicht eine Aufbruchsstimmung ist auf ihrem Weg spürbar, sondern Resignation und Verzweiflung. Sie müssen die Ereignisse der letzten Tage in Jerusalem, das Geschehen um Jesus und sein Sterben, noch verarbeiten.
Sie bleiben jedoch nicht lange allein. Der auferstandene Jesus ergreift die Initiative, begegnet ihnen und fragt sie nach den Dingen, die sie beschäftigen. Er hört ihnen zu, wie sie über ihn und über sein Leben, Wirken und Sterben und sogar über sein leeres Grab reden. Das Leiden und das Sterben des Messias, das für die Jünger der Grund ihrer Enttäuschung ist, deutet nun Jesus ihnen im Licht der Heiligen Schrift. Er legt ihnen die Schriften so aus, dass ihr Herz zu brennen beginnt. Nun möchten sie ihren noch unbekannten Wegbegleiter nicht mehr loslassen und bitten ihn, mit ihnen auch am Abend in Emmaus zu bleiben.
Am Tisch ergreift der Auferstandene noch einmal die Initiative. Er nimmt das Brot, sprich den Lobpreis, bricht das Brot und gibt es beiden Jüngern. Nun gehen ihnen die Augen auf. Denn sie kennen bereits diesen Brotritus. Sie haben ihn schon in der Gemeinschaft mit dem irdischen Jesus erfahren. Nun sind sie sicher: Ihr Begleiter ist niemand anderer als Jesus. Der Auferstandene ist kein anderer als Jesus von Nazaret, der Gekreuzigte. Obwohl sie ihn anschließend nicht mehr sehen, ist diese Begegnung Grund genug, dass sie noch in derselben Stunde nach Jerusalem in die Gemeinschaft zurückkehren. Dort legen sie das Zeugnis für den auferstandenen Jesus und für die Begegnung mit ihm ab.
Liebe Glaubende, die Emmauserzählung fordert auch uns heraus und stellt uns vor die Frage: Wohin gehen wir? Sind auch wir immer wieder auf dem Weg nach Emmaus, weg von anderen Menschen, resigniert und verzweifelt? Wann sind unsere Augen und unsere Herzen blind, so dass wir nicht mehr hoffen und glauben können?
Weiter gibt uns diese Erzählung die Gewissheit, dass der Auferstandene selbst die Initiative ergreift und zu uns kommt, auch wenn wir von ihm weggehen. Er lässt uns nicht zugrunde gehen. Der Auferstandene vermag auch unsere Augen zu öffnen und unsere Herzen zum Brennen zu bringen. Sein Wort hat zündende Kraft, das Teilen des Brotes schenkt uns das tiefere Sehen und Erkennen seiner Person.
Die Emmauserzählung lädt uns ein, den Auferstandenen in unserer Gegenwart und in unserem eigenen Leben zu erkennen und sich von ihm anstecken zu lassen – durch das Wort der Schrift und das Teilen des Brotes. Der Tisch des Wortes und der Tisch des Brotes sind wichtige Stütz- und Stärkungspunkte auf unserem Weg. Weiter kann man sie auch mit der Funktion eines Kompasses vergleichen. Denn an diesen zwei Tischen, die uns der Auferstandene deckt, können wir unseren Weg immer wieder neu von Emmaus nach Jerusalem ausrichten und unsere Schritte in die Gemeinschaft zu unseren Mitmenschen – zu unseren Schwestern und Brüdern – lenken. So wird unser Klagen und Jammern, unsere Resignation und Verzweiflung, durch die Begegnung mit dem Auferstandenen am Tisch des Wortes und am Tische des Brotes in österliche Hoffnung und Freude verwandelt. Auch wir werden nicht mehr still sein können, sondern voll Freude Jesus, den auferstandenen und erhöhten Herrn in der Gemeinde und in der Welt mit brennendem Herzen und offenen Augen verkünden und über unsere Erfahrungen mit ihm erzählen.