Predigt zu Lukas 16,19-31 von Eva Rincke

Predigt zu Lukas 16,19-31 von Eva Rincke
16,19-31

Liebe Gemeinde,

Was im letzten Satz gesagt wurde, geschah vor wenigen Tagen in einer Familie aus unserer Gemeinde: Jemand erstand von den Toten.

Ganz genau dies. Nicht in dem übertragenen Sinn, den wir manchmal benutzen, wenn zum Beispiel eine Beziehung quälend lang wie tot war und dann wieder auflebt. Nein, ganz genau dies: Jemand erstand von den Toten.

Die Geschichte dazu beginnt damit, dass ich zum Taufgespräch am Tisch saß. Mir fiel sofort auf, wie fahrig die Mutter der Kinder war. Ihr Mann erklärte es mir. „Hier steht gerade alles Kopf. Unser Neffe, er ist 14, sollte jetzt konfirmiert werden. Er lebt in Italien. Beim Baden ist er wie alle anderen auch von der Brücke gesprungen. Sein Fuß hat sich am Brückenpfeiler verhakt, als er wieder auftauchen wollte; er war 45 Minuten unter Wasser. Niemand konnte ihn befreien, so viele es auch versucht haben. Nun ist Beerdigung statt Konfirmation.“

Doch nicht sofort. In Italien muss jemand, der während der Wiederbelebungsversuche eine Reaktion hatte, noch drei Tage an den Maschinen bleiben. Da dies bei dem Jungen einmal sehr schwach der Fall gewesen war, kam er ins Krankenhaus. Doch die Ärzte sagten. Es sind keinerlei Lebenszeichen mehr feststellbar. Er ist tot. Doch so deutlich die Ärzte es der Mutter des Jungen auch sagten: Sie glaubte es nicht.

Was tat die Frau? Sie betete. Mit ihr ein ganzer Ort. Sie beteten für das Leben des Jungen gegen alle Fachmeinung. Und so erzählten die Taufeltern am Tisch: „Jetzt, während wir hier sitzen, ist ein toter Junge von betenden Menschen umringt, dort in Italien.“

Der einzige Trost in dieser Geschichte: Dass niemand in seinem Entsetzen allein war, sondern gehalten und gewärmt wurde vom Gebet der anderen.

Drei Wochen später sollte die Taufe stattfinden. Zuvor fragte ich mich, wie es der Familie wohl gelingen würde, trotz der Trauer die eigenen Kinder zu feiern.

Doch ich sah die Mutter der Täuflinge glänzend vor Glück. „Wissen Sie“, sagte sie, „es gibt doch eine Konfirmation in Italien. Als die Maschinen nach drei Tagen ausgestellt werden sollten, atmete mein Neffe plötzlich von selbst. Er schlug auch bald die Augen auf. Jetzt redet er wieder und macht freche Sprüche. Sogar seine PIN weiß er noch. Niemand kann es sich erklären, nichts davon. Sein Gehirn ist ohne jede Schädigung.“

„Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.“ Von diesem unmöglichen Fall spricht Abraham und sagt damit zwei Dinge. Erstens: Mose und die Propheten sind aus sich heraus überzeugend. Zweitens: Die Toten haben keine neue Botschaft für uns. Sie können uns nichts sagen, was wir nicht schon wüssten.

Das erfährt jetzt die Familie des verunglückten Jungen. Während alle überglücklich sind, ihn wiederzuhaben, trägt er Trauer. Denn ihm fehlt ein Unterschenkel. Die schweren Verletzungen am Bein machten eine Amputation nötig. So sehr er auch gefragt wird, was er gesehen hat oder welche Worte ihm gesagt wurden – das ist nicht sein Thema. Er will seinen gesunden Körper wiederhaben. Er will sein Bein zurück. Was er will, ist exakt das, was er schon vor dem Unglück wollte. Er ist ganz und gar der Selbe, und er hat keine neue Botschaft für die Lebenden

Wie Abraham sagt: „Mose und die Propheten“ reden deutlich genug. Sie sagen, was zum guten Leben nötig ist: Gott lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Mehr Botschaft braucht es nicht, und mehr Autorität braucht es auch nicht.

Die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus macht deutlich, dass es trotzdem ein Hindernis gibt: Die große Kluft zwischen Menschen. Auf der einen Seite dieser Kluft befindet sich ein reicher Mann. Er hat kostbare Kleider und herrliche Tage voller Freuden. Einen Namen hat er nicht.

Die andere Seite der Kluft wird beschrieben: Dort ist ein armer Mann. Er heißt Lazarus, er liegt vor der Tür des Reichen, hat Hunger und ist krank. Die Krümel vom Tisch des reichen Hauses würden ihm schon reichen.

Aber da ist die Kluft. Sie ist riesig, trotz der räumlichen Nähe. Sie ist so riesig, dass in ihr verschwindet, was zwischen dem reichen Jedermann und dem armen Lazarus geschieht. Wir hören nichts dazu in der Geschichte. Nur, dass beide sterben und sich dann die Verhältnisse umkehren. Aus der Ferne sieht der reiche Mann Abraham, der ihm deutlich macht: In diesen Sphären sind die Dinge nicht mehr zu ändern. Hier ist die Kluft ist nicht überwindbar. Nur im Reich der Lebenden gibt es die Chance dazu, und sie besteht im Hören. „Sie haben Mose und die Propheten, die sollen sie hören.“

Wir möchten hinzufügen: „Und es dann auch tun.“ Eine Kluft wird nicht allein dadurch überwunden, dass man die Ohren aufgesperrt. Eine Kluft wird dadurch überwunden, dass man den eigenen Steilhang hinab- und den anderen Steilhang hinaufklettert. Eine Kluft wird überwunden durch praktisches Tun.

Jesus, der diese Geschichte erzählt hat, lässt Abraham die Hinzufügung vom Tun nicht aussprechen. Er erzählt diese Geschichte so kunstvoll, dass man erkennt: Hören und Tun sind dicht beieinander. Das Tun kann – wenn das Hören vorhanden ist – leicht und wie von selbst geschehen: Dem armen Lazarus hätten die Krümel gereicht. Das Opfer des Reichen wären nicht diese Abfälle gewesen. Das Opfer des Reichen wäre es gewesen, seine Taubheit aufzugeben.

Wenn wir in jedem Sonntagsgottesdienst Kollekte sammeln, ist das eine Übung in dieser Sache. Es ist eine Geste gegen die Taubheit. Es ist eine Erinnerung an das Hören auf Mose und die Propheten: „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“

Wenn wir in jedem Sonntagsgottesdienst Kollekte sammeln, ist das auch eine Übung darin, das Ziel nicht zu erreichen und sich dennoch nicht davon abzukehren. Wir lindern nicht die Not der Welt, nicht einmal im Ansatz. Die Übung besteht darin, das nicht als Ausrede zu nehmen.

So ging es auch den Menschen, die um den Jungen herum beteten, von dem die Ärzte sagten, er sei tot. Sie konnten die Not und das Leid nicht ändern. Sie nahmen das nicht als Ausrede. Sie ließen die Mutter und ihr Kind nicht allein. In ihrer Liebe zu Gott und zu ihren Nächsten taten sie, was sie in dieser Lage tun konnten, und beteten.

Jetzt ist der Junge in der Reha. Seine Mutter sagt nicht, er sei dort, weil Gott sich durch die Gebete habe überzeugen lassen. Seine Mutter dankt Gott und den Ärzten abwechselnd. Sie sucht nicht nach einer Erklärung. Sie weiß, dass es keine gibt. Sie belässt es beim Dank.

Wenn wir noch einmal an den reichen Mann aus der Geschichte denken, merken wir: Zu ihm passt Dankbarkeit nicht. Solange er lebt, ist er ganz damit beschäftigt, sich über sich selbst zu freuen.

Vielleicht ist man auf jemanden wie ihn einen Moment lang neidisch. Aber nicht lange, denn eigentlich ist er eine Karikatur – ein bestens gekleideter Mensch, dessen Tage alle herrlich und voller Freude sind. Weil wir die Übertreibung erkennen, ist es leicht, sich in Kontrast zu setzen und anders sein zu wollen. Auch darum ist diese Geschichte von Jesus so gut: Sie hilft hören und sehen, warnt und ermutigt, sie spornt an und erwartet nicht zu viel von uns. Das ist wichtig. Denn wir brauchen leichtes Gepäck, wenn wir das tun wollen, was sie uns aufs Neue aufträgt: Die Kluft überwinden. Gott lieben und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Amen.

Perikope
07.06.2015
16,19-31

KONFI-IMPULS zu Lukas 16,19-31 von Steffen Kaltenbach

KONFI-IMPULS zu Lukas 16,19-31 von Steffen Kaltenbach
16,19-31

Ausgleichende Gerechtigkeit – „damit wir klug werden“

Nach der novellierten Konfirmationsordnung ist die Zeit der ersten Trinitatissonntage die  konfirmandenlose Phase des Kirchenjahres schlechthin. Dazu geraten die Pfingstferien zu einer Familienurlaubssaison ersten Ranges.

Der 7. Juni könnte als Abschluss des Urlaubs verschlafen werden, aber als Abschlusssonntag für den 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag hat er einer Gruppe Interessierter oder neugierig Gewordener etwas zu sagen. Manche waren vielleicht zum Start oder zum Nachklingen des Konfirmandenjahres beim Konfitag des DEKT in Stuttgart. Darum verbinde ich das Sonntagsevangelium mit der Kirchentagslosung.

Jesu Erzählung stellt zwei fundamental von einander  getrennte Welten in eine unfassbare Nähe zu einander: Innen, beim Reichen, Luxus pur; draußen, vor des Reichen Tür, die personifizierte, krank machende, Armut.

Wenn es eine Chance der gemeinsamen Vorbereitung des Textes mit den Konfis gäbe, würde ich sie in zwei Gruppen Bilder von Luxus und Armut zeichnen oder als Stichwortsammlung zusammentragen lassen.

Für die Predigt wäre dies das Material für eine dramaturgische Homiletik: Zwei eng nach einander geschnittene Filmszenen entstehen (Drinnen – draußen vor der Tür). Für Konfis würde ich diese Szenen aber nicht als jugendliche Lebenswelten „inszenieren“, denn wie eng liegen in der Konfigruppen - Realität arm und reich beieinander; den Transfer aus meinem „Erwachsenenfilm“ leisten die jungen Hörer/innen automatisch.

Zwei Welten also prallen aufeinander an der Schwelle der Tür der Villa des Reichen. Die Begegnung findet als Almosengabe aus den Speiseresten, womöglich über Hausangestellte,  statt. (Ich denke an Lebensmittelspenden der Discouter für die Tafelläden). Von einem Interesse des Einen am Leben des Andern erzählt Jesus nichts. Immerhin kennt man im Kreis der wohlhabenden Familie den Armen dem Namen nach (V. 24).  Doch der „garstige Graben“ zwischen arm und reich bleibt.

Die unüberwindbare Kluft zwischen beiden Lebenswelten wiederholt sich im Leben nach dem Tod (V.26: χάσμα μέγα). Jetzt, auf ein Mal, erlebt der anonyme Reiche (Soll ich ihm meinen Namen geben?) die Sehnsucht einer Überwindung des Grabens am eigenen Leid. Eine normale (Thora – gemäße) Portion Mitmenschlichkeit und Empathie hätte schon im irdischen Leben dieses Interesse an einer Begegnung geweckt. Aber es gibt ein zu spät.

Hier setzt der Gedanke an die „Löffelliste“ ein: Was würdest du (noch) unbedingt tun wollen, wenn du in einer Woche / in einem Monat sterben („den Löffel abgeben“) müsstest (Grandios der Film „The bucket list“/Das Beste kommt zum Schluss mit Jack Nicolson und Morgan Freeman, in dem neben vielerlei Erlebnishunger die Überwindung zwischenmenschlicher Gräben zum Thema letzter Erledigungen wird).

Am Ende gibt es also keine Chance für den Reichen (vgl. aber Mk 10, 25-27!), mit Lazarus im Sinn einer Erleichterung der Höllenqualen Kontakt aufzunehmen.  Hätte Lazarus aus Mitleid oder gar Dankbarkeit für die Speisereste handeln oder einen Sklavendienst versehen sollen?

Eine Spur gibt sein Name: Lazarus geht auf das hebräische Eleazar zurück: Gott hilft. Wem aber hilft er wie?

Der Schluss von Jesu Erzählung legt den Finger in die Wunde der je eigenen Gewissensbildung: Im Grunde wissen wir, wie wir mit einander leben sollen. Weitere Warnungen helfen nicht. Und: Wahrer Reichtum entsteht in der Begegnung von arm und reich, von gesunden und kranken Menschen, von jung und alt… .

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.

 

Im Gottesdienst:

·         Kirchentagspsalm: Psalm 1

·         Dazu als Antiphon (vgl. Kirchentagssonntag): Öffne meine Augen, EG 176

·         Lesung in Srecher/innenrollen Apg 3, 1-9

·         Fotoserie arm und reich: Wer mir bis Pfingsten eine Mail schickt, bekommt die 23 Fotos als ppt-Präsentation im Kontrast Armut/Reichtum zugeschickt (knapp 4MB): Steffen.Kaltenbach@elkw.de

·         Begegnungsaktion: Wertschätzende Begrüßung mit Händedruck und Blickkontakt?

·         Lieder: Komm in unsre stolze Welt, EG 428, EG 652: We shall overcome, EG 652, Du bist da, wo Menschen leben, LFJ 498, Da berühren sich Himmel und Erde, WWDL 93, Wir strecken uns nach dir, WWDL 90, Wenn das Brot, das wir teilen, WWDL 86

 

Perikope
07.06.2015
16,19-31

Große Freude? Worüber? - Predigt zu Lukas 24,44.50-53 von Stefan Knobloch

Große Freude? Worüber? - Predigt zu Lukas 24,44.50-53 von Stefan Knobloch
24,44-53

Große Freude? Worüber?

Christi Himmelfahrt nennen wir das heutige Fest. Christi Himmelfahrt? Tun wir uns damit eigentlich einen Gefallen? Welche Vorstellung weckt diese Festbezeichnung, wenn wir sie wörtlich nehmen? Nein, sagen wir dann, wir dürfen diese Bezeichnung nicht wörtlich nehmen, sie ist irgendwie anders zu verstehen. Aber wie anders? Es geht nicht darum, in einer sprachlichen Bilderstürmerei gegen die Rede von der Himmelfahrt Christi Sturm zu laufen. Es handelt sich um eine Bezeichnung, die Tradition hat und in deren Tradition wir gottseidank immer noch stehen. Nur müssen wir, um ihren Kern zu bewahren bzw. ihn für uns neu zu gewinnen, diesen Kern für uns neu aufbrechen, um das zu Gesicht zu bekommen, was er von Anfang an meinte, und wir nicht bei dem hängen bleiben, was dieser Kern von Anfang nicht meinte.

Es mag uns überraschen und führt dabei exakt in die richtige Richtung, zu hören, dass im heutigen Evangelium – es ist der allerletzte Abschnitt des gesamten Evangeliums – die Worte Himmel, geschweige denn Himmelfahrt, überhaupt nicht vorkommen. Am Ende heißt es vom Auferstandenen in aller Knappheit und in aller zu interpretierender Offenheit: er trennte sich von den Jüngern. Unsere Einheitsübersetzung bietet bereits eine Interpretation, wenn sie stattdessen sagt: Jesus wurde zum Himmel emporgehoben. Diese Übersetzung lehnt sich offensichtlich an die Aussage der Apostelgeschichte an, nach der Jesus vor den Augen der Jünger „emporgehoben“ wurde. Aber selbst da fehlt der Begriff Himmel. Empor, nach oben, das weist nach unserer menschlichen Orientierung immer in Richtung Himmel. Der Auferstandene also trennte sich von den Jüngern. Aber das lässt das Evangelium nicht einfach so stehen.

Der Auferstandene sagte zu seinen Jüngern …, so setzt das heutige Evangelium ein. Und dann folgt ein etwas verdrechselter Satz, in dem der Auferstandene die Jünger an das erinnert, was er ihnen früher schon einmal dargelegt hatte. Und zwar dreimal. Die Jünger aber hatten es nie verstanden: die Ankündigung seines Leidens, seiner Hinrichtung und seiner Auferstehung (vgl. Lk 9,22.45; Lk 18,31-34). Diesmal zeigt der Auferstandene den Jüngern aus den Schriften des Mose, der Propheten und der Psalmen auf, dass er das alles habe erleiden müssen.

Ich denke, es braucht keine große Gelehrsamkeit, um zu erkennen, dass das Lk-Evangelium in diesen Sätzen keine reale Szene der Jünger mit dem Auferstandenen wiedergibt, sondern dass sich in ihr der Verarbeitungsprozess der Jünger widerspiegelt, mit Jesu Tod und dem Widerfahrnis seiner Auferstehung fertig zu werden. Der Schwerpunkt der Verarbeitung liegt dabei auf seiner Hinrichtung, auf seinem Leiden, auf seinem schrecklichen Ende, das so gar nicht in das Bild eines von Gott gesandten und von Gott begnadeten und erfüllten Propheten zu passen schien. Das Ende Jesu war in der Tat ein für die Jünger kaum zu verdauender Brocken. Und ebenso wenig für die ersten christlichen Gemeinden.

War es möglich, eine Argumentationslinie zu finden, nach der Jesu unfassbares Ende seinen Platz in der Tradition des Glaubens der Schrift haben konnte? Man fand diese Argumentationslinie, wie wir auch an der Emmauserzählung ersehen können, aus dem Rückbezug auf das Alte Testament oder, wie wir richtiger sagen sollten, auf das Erste Testament. Nach einer neuen Deutung „musste“ Jesus vieles erleiden, ohne dass damit sein Leiden, sein Tod, seine Auferstehung ganz erklärbar geworden wären. Das Alte Testament bot Argumentationslinien an, die das „Schicksal“ Jesu vorzeichneten. Vor allem von den Gottesknechtsliedern bei Jesaja her ließen sich diese Argumentationslinien  entwickeln. Sie boten sich als Folie an, auf der man das Schicksal Jesu annähernd deuten konnte. Für die Jünger und für die ersten Gemeinden waren das wichtige, ja unentbehrliche Vergewisserungsschritte.    

Im Licht dieser damaligen Deutung des Lebens und Schicksals Jesu vom Alten Testament her kann uns die grundsätzliche Relevanz des Alten Testaments für unseren christlichen Glauben zu Bewusstsein kommen. Darüber ist es in letzter Zeit zu einem unter evangelischen Theologieprofessoren an der Humboldt-Universität zu Berlin, auch in den Medien ausgetragenen, Diskurs gekommen. Einer der Kollegen, ein Systematiker, war durch die These hervorgetreten, dass das Alte Testament für den christlichen Glauben keine wirkliche Relevanz besitze. Man könne ihm allenfalls den Rang von „Apokryphen“ zuerkennen. Das waren Texte, die in der frühen Kirche vorübergehend eine gewisse Bedeutung hatten, die sich aber auf Dauer keiner allgemeinen Anerkennung erfreuten. Ohne hier die Auseinandersetzung weiter zu bewerten, belegen doch allein schon die Texte unserer Evangelien, welchen Rang für sie das Alte Testament hatte und bleibend hat.

In unserem Evangelium führt der Auferstandene die Jünger hinaus nach Betanien, ein stadtnaher Ort bei Jerusalem am Osthang des Ölbergs gelegen. Auch wenn der Ölberg topographisch hier nicht ausdrücklich genannt wird, dürfte er für das Lk-Evangelium den eigentlichen Ausschlag für die Wahl des Ölbergs als „Abschiedsort“, als Ort der Trennung vom Auferstandenen gegeben haben. Für eine Trennung, die, wie wir erfahren, keine wirkliche Trennung war. Die Wahl des Ölbergs könnte dabei als Gegenbild zum Einzug Jesu in Jerusalem zu deuten sein. Der Einzug endete auf Golgota. Jetzt aber lässt das Lk-Evangelium die Szene, die theologisch zu deuten ist, im Bereich des Ölbergs spielen, dem Jerusalem zu Füßen liegt.  Vom Ölberg „blickte“ man auf Jerusalem „herab“. Das könnte als Symbol zu deuten sein, dass Jerusalem, hier stellvertretend für die Tradition des gesamten Alten Testaments stehend, dem Auferstandenen zu Füßen liegt. Dies dabei nicht verstandenen im Sinn einer Abwertung, gar Entwertung, sondern Jerusalem würde so gedeutet als Zentrum einer Tradition von bleibendem Wert, die in der Gestalt Jesu gewissermaßen überhöht wurde und in dieser Überhöhung in ihrem bleibenden Wert bestätigt wurde.

Nach dem Lk-Evangelium stellt die Trennung von Jesus nur das eine dar. Ja, der Aspekt der Trennung, die gewiss nicht zu leugnen ist, wird sogleich relativiert, ja, transformiert in eine neue Art des Gegenwärtig seins des Auferstandenen. Der Auferstandene segnet seine Jünger. Und das nicht nur für einen Moment, der im nächsten Moment Vergangenheit ist. Sein Segen ist die andere Seite der Trennung. Denn indem er sie segnete, trennte er sich von ihnen. Hier ist das eine gleichzeitig das andere.

Mit anderen Worten: Die Jünger beginnen zu erkennen und beginnen daraus zu leben und ihren Auftrag zu gestalten, dass der Auferstandene lebt, dass er mit seiner Segensfülle ihr Leben begleitet. In dieser Gewissheit wenden sie sich Jerusalem zu, das ihnen – im übertragenen Sinn – zu Füßen liegt. Und sie sehen ihren Einsatzort, ihr Aktionsfeld mit großer Freude zunächst nirgend anderswo als – im Tempel! Hier „lobten“ sie Gott, heißt es verkürzt. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass sie die Segensfülle, die sich für sie mit dem Auferstandenen verband, an die Menschen weitergaben, die Menschen auf sie aufmerksam machten.

Von einer „Himmelfahrt Christi“ bleibt da nicht viel. Bzw. von ihr bleibt alles! Bleibt das Wichtigste: Seine Gegenwart, die unser Leben durchströmt und mit der Dynamik des Glaubens erfüllt. Werfen wir den Ballast, den uns vielleicht die Vorstellung einer Himmelfahrt macht, ab. Erfassen wir das Wesentliche dieses Festes, dann könnte sich auch in unseren Herzen, in unserem Leben große Freude breitmachen.

Perikope
14.05.2015
24,44-53

KONFI-IMPULS zu Lukas 24,44-53 von Gerlinde Feine

KONFI-IMPULS zu Lukas 24,44-53 von Gerlinde Feine
24,44-53
  1. Beobachtungen:

Den meisten Jugendlichen (und auch vielen Erwachsenen) geht es mit der Himmelfahrtserzählung ganz ähnlich wie mit der Weihnachtsgeschichte: Die im Kopf zusammengesetzte Abfolge der Ereignisse ist stärker als das Bewusstsein für Nuancen und Abweichungen in den einzelnen Evangelien. Vieles wird einfach mitgehört, auch wenn der ausgewählte Text es gar nicht erzählt. Was Jesus unmittelbar vor seinem Abschied sagt, womit er die Jünger_innen stärkt und beauftragt, variiert aber am Ende des Mk, des Lk und zu Beginn der Apg deutlich.

Der Taufbefehl aus Mt 28, der zum Lernstoff der Konfizeit gehört, hat seine synoptische Entsprechung in Mk 16 und Apg 2, fehlt jedoch im Predigttext. Stattdessen enthält die hier überlieferte Abschiedsrede Jesu (Vv. 44-49) einen Hinweis auf den Tanach als Schlüssel zum Verständnis von Passion und Ostern sowie klare Anweisungen für die erste Zeit ohne ihn.

Nur hier ist auch davon die Rede, dass Jesus die Jünger segnet, ehe er ihren Blicken entzogen wird, und dass sie „mit großer Freude“ nach Jerusalem zurückkehren. Dort sollen sie Zeug_innen des Evangeliums sein und auf die „Kraft aus der Höhe“ warten (V. 49f, vgl. „Kraft des Heiligen Geistes“ in Apg 1,8). Im Evangelium berichtet Lk auch, dass die Jünger_innen nach der Himmelfahrt im Tempel Gott loben, während sie in der Apg bis zum Pfingstereignis außerhalb des heiligen Bezirks bleiben, nachdem ihnen zwei Männer in weißen Gewändern (Apg 1,10f) noch einmal das Ereignis interpretiert haben.

Folgende Eigenarten lassen sich festhalten:

  • Jesu Passion und Auferstehung läßt sich aus der Heiligen Schrift heraus erklären, verstehen und zusammenfassen.
  • Die Jünger_innen sollen ihren Zeug_innendienst in Jerusalem beginnen, bis die „Kraft aus der Höhe“ sie weiter leiten wird.
  • Jesus geht, während er sie segnet.
  • Sein Abschied macht sie froh und aktiv: Sie gehen im Tempel an die Öffentlichkeit mit ihrem Gotteslob.
  1. Zugänge

Als Einstieg in ein Gespräch über den Text kann ein Arbeitsblatt dienen, bei dem Lk 24, 44-53 und Apg 1, 4-14 gegenübergestellt werden. Je nach Zusammensetzung der Gruppe und ihrer Kompetenzen in der Arbeit mit Texten können Unterschiede und Gemeinsamkeiten gesucht (farblich markieren / Stichworte auf Zetteln sammeln und sortieren / auflisten) oder Beobachtungen gesammelt werden.

Für die Jugendlichen spannend ist v.a. die Frage nach der „Kraft aus der Höhe“: Wie sieht sie aus? Wie kann sie einen Menschen verändern? Aus den Settings von Fantasy-Fiction und –Spielen kennen sie Situationen, in denen Geister oder außerirdische Mächte in die Hülle einer Figur schlüpfen; auch der Zaubertrank aus den Asterix-Stories wurde bei einer offenen Fragerunde als Vergleich herangezogen („Taufe ist dann, wie wenn man in den Kessel mit Zaubertrank fällt, und man ist stark fürs ganze Leben“). Über die von Jesus angekündigte Geistkraft möchten sie mehr erfahren.

Viele kennen aus dem Religionsunterricht Jesu letzte Worte am Kreuz. Nun geht es wieder um eine Trennung, die aber nicht mit Verzweiflung und Todesangst verbunden ist, sondern mit dem Aufbruch in eine neue Welt. Dass sich Jesus nach Ostern anders von seinen Freund_innen verabschiedet als vorher, können die Konfis i.d.R. selbst mit christlicher Auferstehungshoffnung in Verbindung bringen. Drei Wochen vor Beginn des Stuttgarter Kirchentags mit seiner Losung aus Ps 90,12 lohnt sich daher eine Beschäftigung mit Famous Last Words, wie sie in der Religionspädagogischen Arbeitshilfe „ausgeklügelt“ (zu beziehen über das ptz Stuttgart oder als Download abrufbar unter http://static.kirchentag.de/production/htdocs/fileadmin/dateien/zzz_NEUER_BAUM/Service/Downloads/Publikationen/DEKT35_Materialheft_Ausgekluegelt.pdf) vorgeschlagen wird. Dazu wird eine Sammlung mit Letzen Worten Prominenter ausgeteilt (M1, S.47). Die Jugendlichen sollen mithilfe des Internets (Smartphone-Nutzung erlauben) mehr über die näheren Umstände herausfinden, in denen diese Zitate entstanden sind: Welche Hoffnungen verbinden sich damit? Welche Grundüberzeugungen werden transportiert?

Unter dem Titel „Mars One“ werden derzeit Personen ausgewählt, die zum Roten Planeten fliegen und dort als Pioniere eine menschliche Siedlung aufbauen wollen – ohne Rückflugticket! Ein Abschied wäre verbunden mit der endgültigen Trennung von der eigenen Familie, von Freunden und Bezugspersonen, aber auch mit dem Aufbruch in ein neues, völlig fremdes Leben. Wie bleibt man in Verbindung (dazu haben Jugendliche sehr praktische Ideen, von Skype über Twitter bis zu Techniken, die erst noch erfunden werden müssen)? Welche Gefühle haben die Zurückbleibenden? Wie stark wird das Heimweh? Die Jugendlichen entscheiden sich für eine Rolle und schreiben als Expeditionsteilnehmende_r oder als Zurückbleibende_r (beste_r Freund_in / Eltern / Geschwister) eine Abschiedsrede, aus der dann im Gottesdienst zitiert werden kann.

  1. Bausteine

In den meisten Gemeinden Württembergs fällt Christi Himmelfahrt in die Zeit, in der die „alten“ Konfirmand_innen bereits konfirmiert und die „Neuen“ zwar angemeldet, aber noch nicht eingeführt worden sind. Dann ist es oft nicht möglich, mit den Jugendlichen gemeinsam Teile des Gottesdienstes vorzubereiten. Wo Christi Himmelfahrt im Grünen oder in Verbindung mit einem Vereinsfest gefeiert wird, lohnt es sich trotzdem, Platzhalter für improvisierte Beteiligungsformen einzuplanen.

So kann in einem spontanen Blitzinterview als Predigteinstieg erfragt werden, wer denn schon einmal längere Zeit allein zu Hause geblieben ist, während die Eltern verreist waren? Was ist schwer gefallen? Worauf musste man achten? An wen konnte man sich im Notfall wenden? Was haben die Eltern zum Abschied noch gesagt (Mahnungen, Tipps, Wünsche)? Wie war das Wiedersehen?

Zu den Dingen, die Konfirmand_innen im Gottesdienst schwerfallen, gehört das lange Stillsitzen. Angebote zum Mitgestalten von Liedern werden daher i.d.R. gern angenommen.

Apg 1,8, als Kanon vertont (EG 132), lässt sich gut als Bewegungslied inszenieren.

Aus der Liste der Kernlieder eignen sich „Jesus Christus herrscht als König“ (EG 123) und das Pfingstlied „O komm, du Geist der Wahrheit“ (EG 136). Ideen zum kreativen Einsatz und zu alternativen Singformen, zB als Reigen oder als „Wörter-Demo“, sind im Werkbuch „Unsere Kernlieder“ (hg von Susanne Betz, Hans Hilt und Bernhard Leube, München 2011) zusammengefasst (S. 54-65).

 

Perikope
14.05.2015
24,44-53

Predigt zu Lukas 24,50-53 von Christiane Neukirch

Predigt zu Lukas 24,50-53 von Christiane Neukirch
24,50-53

Diese Predigt ist bestimmt für einen Gottesdienst in Gebärdensprache. Deshalb ist sie in leichter Sprache verfasst und kürzer als Predigten für hörende Gemeinden.

Liebe Gemeinde!

Eine komische Geschichte ist das! Ich staune gleich dreimal:

1. Während Jesus die Jünger segnet, entfernt er sich von ihnen?! Wir lernen doch: erstmal das Eine fertig machen, dann weitermachen?!

2. Jesus fährt in den Himmel hinauf?! Das ist doch unmöglich?!

Und 3. Die Jünger sind voller Freude?! Sie wussten doch: sie werden Jesus nie mehr wiedersehen?! Warum freuen sie sich dann?

Zum 1. Während Jesus die Jünger segnet, entfernt er sich von ihnen?!

So habe ich Segen noch nie erlebt und auch noch nie selbst eine Gemeinde gesegnet. Bei uns ist das immer so: Am Ende vom Gottesdienst laden wir ein, beim Segen einander die Hände zu geben und dann hebe ich meine Hände und sage: „Gott soll euch bitte segnen“. Und dann gebärde und sage ich: „Es segne und beschütze euch Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.“ So kennen wir den Segen am Schluss von unseren Gebärdengottesdiensten. Ich bleibe dabei natürlich vorn stehen, bis ich fertig bin. Das ist doch klar. Wenn ich gleichzeitig weggehe – was denkt Ihr, was denken Sie dann? Die Pastorin hat keine Zeit mehr?? Sie beachtet die Gemeinde nicht?

Hier in der Bibel ist es anders. Da lesen wir: „während er sie segnete, entfernte er sich von ihnen“. Ich bin sicher: Lukas erzählt die Geschichte extra so. Das ist das letzte Bild, das die Jünger von Jesus auf der Erde im Kopf behalten sollen: seine Hände zum Segen über sie gehalten.

Jesus ist nicht fertig mit dem Segnen, als er vor ihren Augen verschwindet! Der Segen fließt weiter - ein schönes Bild! Jesus gibt seine Kraft immer weiter weiter… Mit seiner Kraft können die Jünger stark sein, getröstet sein. Jesus als Vorbild haben sie genug gesehen und beobachtet. Jetzt brauchen sie die Kraft, mit der auch Jesus selbst gelebt und gehandelt und gepredigt hat. Die strömt in ihr Leben und auch in unser Leben ein – immer weiter. Das ist die Kraft, die uns hilft, zu hoffen, zu vertrauen und zu lieben.

2. Gemalt haben viele Künstler in unserer christlichen Kunstgeschichte aber eine andere Szene: die, in der Jesus in den Himmel auffährt. Das war die zweite Stelle, über die ich gestaunt habe. Jesus fährt hinauf in den Himmel?! Ich kann das nicht erklären. Wie sollen wir uns das genau vorstellen? Ist die Geschichte doch nur ein Traum? Oder ein Wunsch? Gar nicht wahr?

Ich kann dieses Bild von der Himmelfahrt nur als Geheimnis stehen lassen. Und mir immer wieder klar machen: Himmel bedeutet in der Bibel nicht den Raum über der Erde, in dem heute die Flugzeuge fliegen und die Satelliten kreisen – nein, es ist Gottes Raum und der ist sicher nicht nur da oben, wohin wir zeigen, wenn wir den Himmel meinen. Der Himmel, der Raum Gottes, ist auch hier unten und hat nach oben und unten und innen und außen keine Grenze. So wie Gott keine Grenze hat. Dann bedeutet die Himmelfahrt von Jesus: Jesus geht ganz zu Gott und hat nun auch keine Grenze mehr.

Vor seinem Tod am Kreuz wandert Jesus mit seinen Jüngern durch die Dörfer und predigt und heilt und und und. Und wo er hinkommt, laufen die Menschen zusammen und wollen ihn sehen, ihn erleben. Denn er war ein Mensch – wenn auch ein besonderer Mensch - und jeder Mensch kann in einem bestimmten Moment nur an einem Ort sein – z.B. im Haus des Zachäus, an den Teichen von Betesda, auf dem Weg nach Jerusalem.

Aber jetzt, nach der Himmelfahrt, kann er  gleichzeitig überall da sein, auch hier in der Lukas-Kirche! Und gleichzeitig in allen anderen Kirchen, draußen auf Wiesen und Feldern unter freiem Himmel, wo heute überall Gottesdienste gefeiert werden, aber auch bei allen Menschen, die nicht zu Gottesdiensten kommen können oder wollen.

3. Zuerst habe ich gestaunt über die Freude von den Jüngern. Aber darüber staune ich jetzt nicht mehr. Am Schluss des Evangeliums steht ja ein neuer Anfang! Diese Geschichte am Schluss des Lukas-Evangeliums ist keine Abschiedsgeschichte. Jesus nimmt hier gar keinen Abschied! Mit seiner Kraft, mit seinem Segen bleibt Jesus bei den Jüngern und bei uns, in uns, unter uns, auch wenn wir wie die Jünger Jesus nicht mehr sehen können. Mit seiner Kraft können wir Gott vertrauen – mehr als dem eigenen Denken und Verstehen. So ist klar, warum die Jünger nach dem Verschwinden des sichtbaren Jesus nicht verzweifelt oder traurig oder verlassen sind! Jesus bleibt ja! Deshalb können die Jünger voller Freude zurück kehren nach Jerusalem und Gott loben im Tempel. Zehn Tage später werden sie durch den Heiligen Geist noch mal einen richtigen Mutschub bekommen. Den brauchten sie für die Gründung der Kirche.

So ist die Himmelfahrtsgeschichte doch keine komische, aber eine geheimnisvolle Geschichte. Eine Geschichte von einem Neuanfang, bei dem wir auch 2000 Jahre später dabei sein dürfen! Und eine Geschichte, die unseren Blick auf den Segen lenkt, den Jesus uns geschenkt hat und weiter schenken wird.

Amen.

 

Perikope
14.05.2015
24,50-53

Predigt zu Lukas 24,44-53 von Elke Markmann

Predigt zu Lukas 24,44-53 von Elke Markmann
24,44-53

Liebe Gemeinde!

Wir feiern einen besonderen Gottesdienst. Heute, am sogenannten „Vatertag“. Wir feiern diesen Tag als Himmelfahrtstag. Ein Tag, an dem wir uns an die Himmelfahrt Jesu Christi erinnern.

Wir hören, was uns im Lukasevangelium erzählt ist:

Nach der Auferstehung erscheint Jesus einigen seiner Jüngerinnen und Jünger mehrfach an unterschiedlichen Orten.

Nach dem Entsetzen über den grausamen Foltertod ihres Lehrers und Vorbildes haben die Jüngerinnen und Jünger wieder neu Hoffnung geschöpft, als sie dem Auferstandenen begegneten.

Aber dann endet auch diese Zeit. Hier setzt der heutige Predigttext ein:

Dann sagte Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: »Nun ist in Erfüllung gegangen, wovon ich sprach, als ich noch bei euch war; ich sagte: ›Alles, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich geschrieben ist, muss sich erfüllen.‹« Und er öffnete ihnen das Verständnis für die Schrift, sodass sie sie verstehen konnten, und sagte zu ihnen: »So steht es doch in der Schrift: Der Messias muss leiden und sterben, und drei Tage danach wird er von den Toten auferstehen. Und in seinem Namen sollen alle Völker zur Umkehr aufgerufen werden, damit sie Vergebung ihrer Sünden empfangen. In Jerusalem soll damit begonnen werden. Ihr seid Zeuginnen und Zeugen für das alles. Ich aber werde die Kraft aus der Höhe auf euch herab senden, wie mein Vater es versprochen hat. Bleibt hier in der Stadt, bis ihr damit ausgerüstet werdet.«

Jesus führte die Jünger aus der Stadt hinaus bis in die Nähe von Betanien. Dort erhob er die Hände, um sie zu segnen.  Und während er sie segnete, wurde er von ihnen weggenommen und zum Himmel emporgehoben.

Die Jünger warfen sich nieder und beteten ihn an. Dann kehrten sie nach Jerusalem zurück, von großer Freude erfüllt. Und sie waren von da an ständig im Tempel und priesen Gott.

(Lk 24, 44-53 nach der neuen Genfer Übersetzung)

Die Jüngerinnen und Jünger wussten nach diesem Erlebnis, dass sie nicht allein waren. Obwohl nach Jesu Tod erst alle Hoffnung gestorben war, war sie nun neu erwacht. Sie wussten nun genau: Er ist nicht bei uns, er ist aber auch nicht tot. Er ist im Himmel und damit jederzeit bei uns. Die Kraft, die wir bekommen werden, kommt direkt aus dem Himmel, die Heilige Geistkraft, die uns hilft, die Aufgaben zu erfüllen, die wir haben.

Jesus hatte Ihnen ja deutlich gesagt, dass sie nun diejenigen sein sollten, die alle Völker zur Umkehr aufrufen sollten.

Seid Zeuginnen und Zeugen! Ruft in meinem Namen zur Umkehr auf!

Diese Sätze haben in der Geschichte nicht immer eine gute Wirkung gehabt. Missionierung und gewaltsame Christianisierung wurden oft mit diesen Sätzen begründet. Heute wissen wir, dass das nicht richtig ist, dass das nicht gemeint ist.

Welche Umkehr ist aber gemeint?

Wir haben vorhin die Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört. Der Prophet träumt von einer Welt, in der die Wüste blühen wird, in der schwache Hände stark werden und zitternde Knie wieder fest werden.

Stumme werden reden, Blinde sehen und Taube werden wieder hören können.

Was für ein wunderschönes Hoffnungsbild!

Die Wüste, das trostlose und trockene Leben, wird nicht mehr sein. Stattdessen werden Quellen täglich neue Frische schenken. Zedern werden stolz und hoch in den Himmel wachsen und von Gottes Kraft und Stärke zeugen.

Es ist ein Traumbild, ein Hoffnungsbild von Gerechtigkeit, vom Ende aller Ungerechtigkeit, vom Ende aller Not und allen Hungers.

Es ist heute noch ein Hoffnungsbild für viele. So lassen sich von diesem Hoffnungsbild auch Menschen auf gefährliche und schreckliche Fluchtwege über die ganze Welt ein. Sie riskieren ihr Leben, weil sie in ihrer Heimat keinen Ort mehr finden, an dem diese Hoffnung wachsen kann – weil ihre Heimat hoffnungslos in Krieg, Terror oder Armut und Hunger versinkt.

Es ist aber auch ein Hoffnungsbild für uns. Auch, wenn wir nicht unter Terror, Krieg, Hunger und Armut leiden wie die Flüchtlinge, die sich zu tausenden auf der ganzen Welt auf den Weg machen, spüren auch wir, dass uns noch etwas fehlt – das Traumbild, das Hoffnungsbild ist noch nicht Wirklichkeit. Es gibt immer noch zu viele, die hoffnungslos, stumm und blind, bewegungsunfähig ihr Leben leben.

Wer sich aber von diesem Hoffnungsbild leiten lässt, der kann andere einladen auf diesen Weg. Ein Weg hin zu einer Welt der Gerechtigkeit. Auf diesen Weg wollen wir andere mitnehmen. Wir haben es von Jesus Christus gehört und gelernt: Die Zeuginnen und Zeugen haben es weiter getragen. Gott will eine Welt, in der diejenigen, die nichts mehr sehen können und wollen, wieder sehen, was um sie herum blüht und wächst. In Gottes gerechter Welt werden Taube wieder hören. Sie müssen ihre Ohren nicht mehr verschließen vor dem Schreien der Notleidenden. Sie können das Lachen und die Lieder wieder hören, die vom Leben erzählen. In Gottes gerechter Welt muss niemand mehr erstarrt und bewegungslos in der Ecke sitzen. Alle werden sich auf den Weg machen können. Alle werden gemeinsam das Hoffnungsbild des Jesaja Wirklichkeit werden lassen.

Auf diesen Weg wollen wir Menschen mitnehmen. Das heißt Umkehr. Gemeinsam den Weg des Lebens gehen. Gemeinsam den Weg der Gerechtigkeit gehen.

Aber …

Ich kann das Aber in Ihren Köpfen schon hören und sehen bei diesen Worten.

Aber – sind wir nicht viel zu wenige? Sind wir nicht viel zu alt? Sind wir nicht viel zu klein und unbedeutend?

Nein, niemand ist zu klein und zu unbedeutend, um mit anderen Menschen den Weg der Gerechtigkeit zu gehen.

Es gibt Mut machende Beispiele dafür, dass das möglich ist:

Da ist z.B. Renate, die lange zu Hause war und für ihren Mann den Haushalt gemacht hat. Sie war immer für ihn da. Als der Mann sich von ihr trennte, suchte sie eine neue Aufgabe. Sie engagierte sich in der Kinderbetreuung in der Flüchtlingshilfe. In einem Verein fand sie eine Aufgabe, die ihr gefiel. Während die Mütter deutsch lernten, kümmerte sie sich um die Kinder aus Afghanistan, aus Syrien, aus Rumänien, aus dem Kosovo – aus vielen Ländern der Erde. Die Kinder spielten mit ihr – sie spielte mit den Kindern.

Heute ist sie zu alt für diese Arbeit. Aber sie trifft „ihre“ Kinder immer wieder. Stolz zeigen sie ihr ihre eigenen Kinder, erzählen von ihren Arbeitsstellen, von ihren Familien. Renate hat in den international gemischten Kindergruppen viel Schweres von den Kindern gehört. Diese Kinder hatten teilweise viel zu viel Tod und Leid erlebt. In dieser Kindergruppe lernten sie miteinander zu spielen, über Völker- und Sprachgrenzen hinweg. Renate fühlt sich heute reich beschenkt. Sie hat manchmal das Gefühl, dass immer wieder in „ihren“ Kindern der Himmel auf die Erde kommt.

Und in seinem Namen sollen alle Völker zur Umkehr aufgerufen werden, damit sie Vergebung ihrer Sünden empfangen. In Jerusalem soll damit begonnen werden. Ihr seid Zeuginnen und Zeugen für das alles. Ich aber werde die Kraft aus der Höhe auf euch herab senden, wie mein Vater es versprochen hat.

So spricht der Auferstandene von der Aufgabe für seine Jüngerinnen und Jünger.

Das geht auch anders: Die evangelische Frauenhilfe in Westfalen hat Mitte der 1990er Jahre erkannt, dass Zwangsprostitution ein immer größeres Problem wird. Nachdem der eiserne Vorhang zwischen Ost und West gefallen war, nutzten viele Kriminelle diese neuen Wege, versprachen Frauen in Osteuropa einen guten Verdienst im Westen und zwangen sie zur Prostitution. Die Frauenhilfe baute in Herford die Beratungsstelle „Nadeshda“ auf. „Nadeshda“ heißt „Hoffnung“. Mit qualifiziertem Personal hilft bis heute die westfälische Frauenhilfe dabei, dass Frauen und Mädchen wieder Hoffnung schöpfen können, dass sie einen Weg aus der Prostitution heraus finden. Sie helfen bei der Verfolgung der Menschenhändler, bauten in der Ukraine und Weißrussland Kontakte auf, die den Mädchen und Frauen in der Heimat zu einem neuen Anfang helfen.

Diese Arbeit war möglich, weil viele Frauen in den Frauenhilfe-Gruppen in Westfalen mit ihrem jährlichen Beitrag Gutes ermöglichen. Ich selber kann mit meinen Kräften und Kontakten keinem Opfer von Menschenhandel helfen, aber mein Geld tut es. Mein Mitgliedsbeitrag oder meine Spende hilft bei der Arbeit gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution.

Ein Schritt hin zum Hoffnungsbild. Ein Schritt auf dem Weg zur gerechten Welt Gottes.

Es gibt noch so viel zu tun: Kriege in vielen Teilen der Welt. Unrechtsregime und Terrororganisationen, die meinen, dass ihre Religion die einzig wahre Religion sei. Boko Haran, Islamischer Staat und wie sie alle heißen. Aber auch hier in Deutschland gibt es Menschen, die sich von nationalistischen und Menschen verachtenden Ideologien verleiten lassen.

Dagegen wollen wir nicht nur von einem neuen Himmel und einer neuen Erde träumen. Wir bauen sie mit. Wir sind aktiv und setzen uns ein. Wir tragen mit unseren Spenden dazu bei. Wir helfen mit unseren Gebeten. Wir reden mit unseren Freundinnen und Freunden, mit Verwandten und Bekannten. Wir reden von Umkehr und vertrauen auf die himmlische Kraft, die schon Jesu Jüngerinnen und Jüngern half.

Wir vertrauen auf Gott. Sein Friede ist größer als all unser Planen, Reden und Tun.

Amen.

Zum Gottesdienst:

Lieder:

EG 454 Auf und macht die Herzen weit
EG 262 Sonne der Gerechtigkeit
EG 665 Liebe ist nicht nur ein Wort
EG 171 Bewahre uns Gott, behüte uns Gott

Eingangsgebet:

Himmelfahrt – Gott – wir feiern diesen Gottesdienst auf der Erde. Wir glauben Dich im Himmel und auf Erden. Immer wieder suchen wir danach, wie wir den Himmel auf Erden holen können und träumen von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, in denen Gerechtigkeit wohnen.

Halte unsere Träume und unsere Sehnsucht nach diesem neuen Himmel und der neuen Erde wach. Beides beginnt hier bei uns. Darum bitten wir Dich, sei bei uns.

Amen.

Schuldbekenntnis:

Lasst uns bekennen, was uns von Gott und unter einander trennt:

Oft richten wir Grenzen auf, verurteilen andere Menschen.

Wir geben denen Recht, die laut genug sind – obwohl wir es gar nicht genau wissen.

Wir vertrauen auf das Vertraute und haben Angst vor Neuem.

Wir vermeiden Kritik und wollen uns nicht in Frage stellen lassen.

Gott, wir bitten dich um Dein Erbarmen!

Zuspruch:

Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.

Darauf können wir immer wieder neu vertrauen. Darum loben wir Gott.

Kollektengebet

Guter Gott, wir kommen heute morgen zu Dir, um uns von Dir anrühren zu lassen.
Wir bitten Dich um Deine Nähe.
Öffne unsere Ohren für Dein Wort.
Öffne unser Herz für Deine Wahrheit.
Öffne unseren Mund zu Deinem Lob.
Amen.

Lesung:

Jesaja 35, 1-6

Fürbitten:

Gott, in unserer Welt liegt so vieles im Argen. Wir könnten lange klagen. Weltweit gehen Menschen lieblos mit einander um, verfolgen, bekriegen und töten sich. Wir leiden darunter und wissen kaum, was wir tun können.

Hilf uns, die guten Ausnahmen zu sehen. Schenk uns den Blick für die Wege, die wir gehen können, um den Menschen in Not zu helfen.

Schenk den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft die Kraft und die Entschlossenheit, das Leben zu lieben und sich für andere Mensche einzusetzen.

Gott, wir sehen die Not in den Häusern in unseren Dörfern. Gewalt in der Familie, Einsamkeit, Krankheit und Tod machen manchen Männern, Frauen und Kindern das Leben zur Hölle.

Du rufst uns auf zur Umkehr. Du rufst uns zur Nachfolge. Gib uns die Kraft zu sehen, wo wir gebraucht werden. Gib uns den Mut zu handeln, wenn es not-wendig ist.

Gott, du allein weißt, wie es in unseren Herzen und Seelen aussiehst. Du kennst unsere Ängste und Sorgen, unsere Freude und unsere Gelassenheit.

Wir bringen in der Stille unsere Gedanken vor Dich.

Stille.

Gott, höre unsere Worte. Höre unser leises und lautes Flehen und Loben, unsere Stille und unser Schreien. Sei Du bei uns!

Amen.

Perikope
14.05.2015
24,44-53

Martha und das Arbeitsmonster

Martha und das Arbeitsmonster
10,38-42

Die Gnade Gottes, die Liebe Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,

"Arbeit ist nicht alles", titelte vor einigen Wochen meine heimische Lokalzeitung in ihrer Wochenendbeilage. Untertitel: "Beruf und Freizeit in Balance bringen." Da fanden sich allerlei nützliche Ratschläge für das Wohlbefinden an Leib und Seele: Beweg dich mehr; mach ab und zu Termine mit dir selbst; gib Verantwortung an andere ab; unterscheide zwischen wichtig und weniger wichtig. Außerdem wird mir geraten, ich solle einen Kreis malen und darauf wie Tortenstücke die unterschiedlichen Bereiche meines Lebens einzeichnen: Familie, Freizeit, Beruf, Körper usw.  Dieses – so lese ich – "führt Ihnen sehr genau vor Augen, ob Ihr Leben mit Ihren Bedürfnissen übereinstimmt." (Neue Westfälische, 7./8. März 2015)

Mir wird unbehaglich. Was habe ich nicht alles für Bedürfnisse! Nach ihnen mein ganzes Leben ausrichten? Was nicht stimmt im Blick auf die Arbeit und das Leben und die Missverhältnisse zwischen beiden – das hat mit persönlicher Zeiteinteilung nur begrenzt zu tun. Es liegt auf einer tieferen Ebene. Da gibt es angeordnete Doppelschichten. Unbezahlte Überstunden. Leiharbeit mit sittenwidrigen Verträgen. Menschenverachtenden Zeitdruck. Hinweise zu einer ausgewogenen Balance zwischen Beruf und Freizeit helfen hier nicht weiter. Manchem könnten sie wie Hohn erscheinen.

Viel wichtiger und buchstäblich lebensnot-wendiger als mein persönliches Wohlbefinden ist die grundsätzliche Frage, wie wir bei der Arbeit und in der Freizeit so leben können, dass deutlich wird: Unser Leben ist kostbar. Ein einmaliges Gottesgeschenk. Voller Würde und ungeahnter Möglichkeiten.

Wenn Menschen sagen müssen: "Der Druck ist so groß, dass viele, die in der Krankenpflege arbeiten, selber krank werden", dann geschieht Arbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen. Damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Wenn Menschen sagen können: "Gefährlich war's. Ich hatte oft Angst. Wirklich Angst. Aber da hat einer gut auf mich aufgepasst. Und wir haben aufeinander aufgepasst", dann wird eine Dimension von Leben und Arbeit deutlich, die alles übersteigt, was ich als Mensch planen und machen kann.

Im Lukasevangelium lesen wir von einer Begebenheit, die auf unser Thema ein ganz eigenes Licht wirft. Wir sehen Jesus, wie er unterwegs einkehrt bei Maria und Martha.

Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm in auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zur ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. (Lukas 10, 38-42)

Liebe Gemeinde, "Arbeit ist nicht alles": Die Versuchung liegt nahe, den Titel aus meiner Lokalzeitung auch über diese biblische Geschichte zu setzen. Dann wäre deren Aussage ebenso klar wie banal. Martha deckt den Tisch, schafft etwas zu essen herbei und bewirtet den Gast, damit es ihm an nichts fehlt. Maria hört zu. "Jesus, findest du das in Ordnung?", will Martha wissen. "Stört es dich nicht, dass sie sich´s bequem macht auf meine Kosten?". "Arbeit ist nicht alles", scheint Jesu zu sagen. "Maria hat entschieden, was ihr jetzt wichtiger ist. Und das ist gut." So ähnlich hatte es mein Wochenend-Ratgeber empfohlen. Sollte die Botschaft wirklich so schlicht sein?

Aus Maria und Martha wurden in der Auslegungsgeschichte zwei Frauentypen gemacht, die für gegensätzliche Lebensweisen stehen: Hier der aktive, tätige Typ, der sieht, was getan werden muss, die Ärmel hochkrempelt und handelt. Dort der eher passive, betrachtende Typ, der zuhört, nachdenkt, die Eindrücke im Herzen bewegt und vertieft. Manche treten entschieden für Maria ein; andere nicht minder vehement für Martha. Und weil das Leben – wie unsere Erfahrung lehrt – weder ohne das eine noch ohne das andere auskommt; weil wir arbeiten müssen und ruhen, weil wir handeln müssen und hören, einigt man sich in der Regel auf ein ausgewogenes "Sowohl als auch".

Das ist wenig aufregend. Und dazu müsste die Geschichte nicht in der Bibel stehen. Ihr springender Punkt liegt ganz woanders. Am Ende. Da, wo vom "guten Teil" die Rede ist. Das erinnert mich an einen Satz meiner Oma. "Kinder, das kann uns keiner mehr nehmen", sagte sie gern, wenn wir etwas besonders Schönes erlebt hatten und jammerten, dass es schon wieder vorbei war. Dieser Satz kommt mir noch heute in den Sinn, wenn ich die Zeit anhalten möchte; mich an ein seliges Glücksgefühl klammern will; einen wunderbaren Moment zur Ewigkeit machen.

Festhalten geht nicht. Aber: "Das kann dir keiner mehr nehmen." Die Erfahrung wirkt, auch wenn sie nicht andauert. Das Glücksgefühl verändert mich, auch wenn es wieder vergeht. Den schönen Moment habe ich erlebt, auch wenn er vorbei ist. "Das kann dir keiner mehr nehmen." Mit diesem Satz meiner Oma habe ich angefangen, mir eine innere Schatztruhe anzulegen. Da kommt alles hinein, was kostbar und wertvoll bleibt.

Erlebnisse und Erfahrungen bewahre ich darin auf. Worte und Gesten und Eindrücke, die mit Geld nicht zu bezahlen sind. Und auch nicht mit eigener Anstrengung zu erarbeiten. Da ist nur drin, was unabhängig ist von meiner Leistungskraft und von der Beurteilung anderer. Unverdientes. Geschenktes. Niemand hat Zugang zu dieser Kiste; niemand kann mir madig machen, was darin ist; erst recht kann niemand etwas daraus kleinreden oder wegnehmen.

Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden. Wir erfahren nicht, was Maria zu hören bekam, während sie Jesus zuhörte. Es wird ihr Geheimnis bleiben, welche seiner Worte und Gesten und Blicke sie aufbewahrte. Einen Schatz jedenfalls. Das gute Teil, wie Jesus sagt. Dem Zugriff und der Bewertung anderer entzogen. Auch vor den eigenen Zweifeln geschützt. Von Gott behütet.

In der Geschichte von Maria und Martha leuchtet wie ein helles und wärmendes Licht die Chance auf, das Leben als Gottesgeschenk zu erfahren. Während der Arbeit kann das geschehen. Und in der Freizeit. Beim Kochen und Tischdecken ist das möglich. Und beim Zuhören. Unter Tage kann das sein. Und am Krankenbett.

Das gute Teil. Da spürt einer: Hier hat Gott die Hand über mich gehalten. Da erfährt eine: Mir ist eine Kraft geschenkt, die nicht nur aus mir selber kommt. Da ahnt jemand: Dieses eine Wort wird mein ganzes Leben verändern. Und eine andere: Ich bin etwas wert, obwohl ich gerade nichts leisten kann. Das gute Teil.

Um das gute Teil, von dem Jesu spricht, sorgst und mühst du dich nicht. Es wird dir geschenkt. Von Gott, der dir das Leben gab. Das gute Teil bleibt nicht Maria vorbehalten. Das helle und wärmende Licht dieser Geschichte ist lebensnotwendig für uns alle. Deshalb dürfen wir nicht weghören, wenn Menschen sagen: "Der Druck ist so groß, dass meine Arbeit mich krank macht."

"Das Geld, was ich verdiene, reicht kaum aus, um meine vierköpfige Familie zu ernähren." Oder, wie mir kürzlich ein Mann sagte, der seit langer Zeit vergeblich Arbeit sucht: "Ich habe jedes Ansehen verloren, weil ich keine Arbeit habe." "Man behandelt mich wie den letzten Dreck, weil ich angeblich ein Schmarotzer bin."

Wo Arbeit so verteilt und organisiert ist, dass Menschen solche Extreme erfahren, da ist mehr durcheinander geraten als das persönliche Lebensgleichgewicht. Da treiben äußere Bedingungen Menschen durch die Tage. Keine Chance, das Pensum auch nur annähernd  zu schaffen. Und so wird die Arbeit zum nimmersatten Monster. Gnadenlos frisst es Zeit und Lebensfreude.

(Martha zähmt den Drachen Tarasque, Martha-Altar in der St. Lorenz-Kirche in Nürnberg. Bildnachweis: Joachim Schäfer, Ökumenisches Heiligenlexikon.)

Ein Künstler hat im Mittelalter dieses "Arbeits"-Monster gemalt. In Nürnberg, in der St.Lorenz-Kirche, ist es zu besichtigen. Da steht es neben Martha. Martha wurde damals als Heilige verehrt, denn sie hat der Legende nach das Monster gezähmt. Vorbei die Zeit, in der es als bedrohliches, menschenfressendes Ungeheuer sein Unwesen trieb. Martha führt es wie ein braves Haustier an ihrem Gürtel. Wie ihr das wohl gelungen ist? frage ich mich. Was mag Martha zu dem Drachen gesagt haben? Wie hat es geklungen? Flüsternd? Gebieterisch? Vor allem: Woher wusste sie, wie man den Drachen zähmen konnte?

Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not, hatte Jesus zu Martha gesagt. Es blieb Marthas Sache, was sie mit diesen Worten anfing. Wer weiß – vielleicht hat die Legende recht, und die Worte Jesu haben damals Marthas ganzes Leben verändert? Vielleicht wurden es Worte für ihre innere Schatzkiste; ein gutes Teil, das ihr niemand mehr nehmen konnte?

Der Bergmann hat vorhin gesagt: "Wir sind in die Kirche gegangen, um Gott zu danken, dass wir heil wieder rausgekommen sind. Und dass wir Arbeit hatten." Und der Krankenpfleger: "Eigentlich ein schöner Beruf. Man bekommt Sachen von Menschen, die man nicht mit Geld bezahlen kann: Ein Händedruck, ein Lächeln."

Das gute Teil. Gott gebe uns wache Sinne dafür. Und den Mut der Martha in der Legende, die den Drachen zähmte. So, dass er selbst seinen eigenen Platz behielt und doch dem Leben Raum lassen musste. Dem Leben, wie Gott es gemeint hat.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Perikope
19.04.2015
10,38-42

Dem Auferstanden begegnen und ihn erkennen - Predigt zu Lukas 24,13-35 von Mira Stare

Dem Auferstanden begegnen und ihn erkennen - Predigt zu Lukas 24,13-35 von Mira Stare
24,13-35

Dem Auferstanden begegnen und ihn erkennen

Liebe Glaubende,

jedes Jahr neu bekennen wir mit einem besonders feierlichen Ton am Ostertag: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!“ Seit seiner Auferstehung ist er unsichtbar gegenwärtig auch unter uns. Er lässt sich begegnen und erkennen, auch jeder und jedem von uns. Was würden Sie erzählen, wenn man Sie jetzt nach Ihren Erfahrungen mit dem Auferstanden fragen würde? Könnten Sie sofort über konkrete Begebenheiten erzählen, oder ist es für Sie auf diese Frage nicht so einfach zu antworten?

Im heutigen Evangelium geht es um solche Erfahrungen der zwei Jünger Jesu, die sich jedoch zunächst auch schwer tun. Denn sie erkennen den Auferstanden, der ihnen begegnet lange nicht.

Es ist der Ostertag. Die zwei Jünger sind bereits auf dem Weg nach Emmaus, weg von Jerusalem, weg von der Gemeinschaft Jesu, weg von den Ereignissen der letzten Tage. Nicht eine Aufbruchsstimmung ist auf ihrem Weg spürbar, sondern Resignation und Verzweiflung. Sie müssen die Ereignisse der letzten Tage in Jerusalem, das Geschehen um Jesus und sein Sterben, noch verarbeiten.

Sie bleiben jedoch nicht lange allein. Der auferstandene Jesus ergreift  die Initiative, begegnet ihnen und fragt sie nach den Dingen, die sie beschäftigen. Er hört ihnen zu, wie sie über ihn und über sein Leben, Wirken und Sterben und sogar über sein leeres Grab reden. Das Leiden  und das Sterben des Messias, das für die Jünger der Grund ihrer Enttäuschung ist, deutet nun Jesus ihnen im Licht der Heiligen Schrift. Er legt ihnen die Schriften so aus, dass ihr Herz zu brennen beginnt. Nun möchten sie ihren noch unbekannten Wegbegleiter nicht mehr loslassen und bitten ihn, mit ihnen auch am Abend in Emmaus zu bleiben.

Am Tisch ergreift der Auferstandene noch einmal die Initiative. Er nimmt das Brot, sprich den Lobpreis, bricht das Brot und gibt es beiden Jüngern. Nun gehen ihnen die Augen auf. Denn sie kennen bereits diesen Brotritus. Sie haben ihn schon in der Gemeinschaft mit dem irdischen Jesus erfahren. Nun sind sie sicher: Ihr Begleiter ist niemand anderer als Jesus. Der Auferstandene ist kein anderer als Jesus von Nazaret, der Gekreuzigte. Obwohl sie ihn anschließend nicht mehr sehen, ist diese Begegnung Grund genug, dass sie noch in derselben Stunde nach Jerusalem in die Gemeinschaft zurückkehren. Dort legen sie das Zeugnis für den auferstandenen Jesus und für die Begegnung mit ihm ab.

Liebe Glaubende, die Emmauserzählung fordert auch uns heraus und stellt uns vor die Frage: Wohin gehen wir? Sind auch wir immer wieder auf dem Weg nach Emmaus, weg von anderen Menschen, resigniert und verzweifelt? Wann sind unsere Augen und unsere Herzen blind, so dass wir nicht mehr hoffen und glauben können?

Weiter gibt uns diese Erzählung die Gewissheit, dass der Auferstandene selbst die Initiative ergreift und zu uns kommt, auch wenn wir von ihm weggehen. Er lässt uns nicht zugrunde gehen. Der Auferstandene vermag auch unsere Augen zu öffnen und unsere Herzen zum Brennen zu bringen. Sein Wort hat zündende Kraft, das Teilen des Brotes schenkt uns das tiefere Sehen und Erkennen seiner Person.

Die Emmauserzählung lädt uns ein, den Auferstandenen in unserer Gegenwart und in unserem eigenen Leben zu erkennen und sich von ihm anstecken zu lassen – durch das Wort der Schrift und das Teilen des Brotes. Der Tisch des Wortes und der Tisch des Brotes sind wichtige Stütz- und Stärkungspunkte auf unserem Weg. Weiter kann man sie auch mit der Funktion eines Kompasses vergleichen. Denn an diesen zwei Tischen, die uns der Auferstandene deckt, können wir unseren Weg immer wieder neu von Emmaus nach Jerusalem ausrichten und unsere Schritte in die Gemeinschaft zu unseren Mitmenschen – zu unseren Schwestern und Brüdern – lenken. So wird unser Klagen und Jammern, unsere Resignation und Verzweiflung, durch die Begegnung mit dem Auferstandenen am Tisch des Wortes und am Tische des Brotes in österliche Hoffnung und Freude verwandelt. Auch wir werden nicht mehr still sein können, sondern voll Freude Jesus, den auferstandenen und erhöhten Herrn in der Gemeinde und in der Welt mit brennendem Herzen und offenen Augen verkünden und über unsere Erfahrungen mit ihm erzählen.

Perikope
06.04.2015
24,13-35

Predigtentwurf zu Lukas 24,13-17 von Werner Grimm

Predigtentwurf zu Lukas 24,13-17 von Werner Grimm
24,13-17

(Hinweis: Dieser Beitrag zum Text des Ostermontags 2015 (Lk 24,13-27) ist im strengen Sinn keine Predigt: In Teil A versuche ich, den Text entlang gehend, eine Meditation desselben, in welche philologische und formgeschichtliche Erkenntnisse einfließen. In Teil B kommuniziert die Ostergeschichte von den Emmaus-Jüngern mit Begegnungen und Erfahrungen, die meine Frau, Roswitha Bernius-Grimm, aus ihrer 13-jährigen Tätigkeit als Pfarrerin im Stuttgarter Olgahospital mitbringt. Sie bekräftigen, was wir ohnehin ahnen: dass die österliche Geschichte Lk 24,13-17 vor allem eine Text für Trauernde ist und seelsorgerliche Qualität besitzt.)

A      Meditation

Die Ostergeschichte von den Emmaus-Jüngern – eine Weg-Geschichte – versehe ich mit einer Gliederung und Zwischenüberschriften; die Übersetzung folgt weithin Wolfgang Wiefel (Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament).

Exposition

13 Und siehe, zwei von ihnen wanderten am selben Tage zu einem Dorf, sechzig Stadien von Jerusalem entfernt, mit dem Namen Emmaus.

Zwei der Jünger befinden sich auf dem Weg nach Emmaus, ca. 12 km von Jerusalem[1] entfernt. Und wer jemals um einen Menschen getrauert hat, wird es bestätigen: Da geht man einen langen Weg. Doch wollte man mit Gewalt gegen die eigene Seele den Gang beschleunigen oder Abkürzungswege erzwingen, würde man nur ‚zurückgeworfen‘.

Hinzutreten des Seelsorgers

14 Und sie redeten miteinander über alles das, was sich ereignet hatte.  15  Und es  geschah, während sie miteinander redeten und nach Erklärungen suchten, dass Jesus selbst sich näherte und mit ihnen ging.  16  Ihre Augen aber wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.

Von vornherein ist die Trostlosigkeit der Situation ein klein wenig aufgebrochen – dadurch  dass die beiden Trauernden nicht stumm und beziehungslos nebeneinander her gehen. Nur ohne den mitfühlenden Weggefährten wäre der Weg nach dem Verlust ganz und gar trostlos. Hier dagegen reden sie sich ihr Leid buchstäblich von der Seele – mit drei verschiedenen Verben weist der Evangelist auf die Intensität und auf bestimmte Aspekte eines an Schattierungen reichen Gesprächs hin: homileoo: „sie kommunizieren miteinander“ V.14-15;  syzäteoo: „sie suchen zusammen nach Erklärungen“ V.15; antiballoo: „sie widersprechen einander“ V.17. Darf man im Sinne des Erzählers einen Schritt weiterdenken: Wo zwei ihre je eigene Trauer um einen Menschen und ihre je eigenen Erinnerungen an ihn austauschen, da kommt er ihnen auf eine geheimnisvolle Weise „im Geiste“ nahe? Wo zwei sich miteinander in jene Trauer hinablassen, in der sie bis ins Leibliche hinein den Verstorbenen schmerzlich vermissen, da wird er womöglich alsbald hinzutreten wie einst der Bote des HERRN zur verlassenen Hagar (1.Mo 16,7; 21,17). Sie spüren es als eine vorerst noch unbestimmte, aber doch fühlbare Erleichterung.

Und so begleitet Jesus die beiden vor Trauer blinden Jünger, unerkannt, auf dem Weg (vgl. Mt 28,20). Zwischen den Zeilen bedeutet uns der Erzähler: Es gibt da eine Phase im Trauerprozess, in welcher wir einen trauernden Menschen ja nicht „aufstören“, nicht auf seine Trauer ansprechen und schon gar nicht versuchen werden, ihm mit schnellem Trost zu kommen. Jesus dringt hier zunächst mit keinem Wort, mit keiner Geste in die Intimität der beiden Wanderer ein. Sich zurück haltend, erspürt er sorgfältig ihren Seelenzustand – im Hineinhorchen in ihr Zwiegespräch.

An dieser Stelle unterbreche ich unseren Weg mit den Jüngern, um ihn einzuordnen in ein urbiblisches Muster des seelsorgerlichen Anteilnehmens an Kummer oder Leid eines Mitmenschen.[2] Es ist ein Muster mit Wert bis in die Gegenwart, Ausdruck eines liebevollen Miteinanders, vor und auf dem Grunde aller professionellen Seelsorge. Die erste biblische Gestalt, die es uns musterhaft vorlebt, ist Elkana, wie er auf das Leid seiner Ehefrau Hanna eingeht – Hanna war ein ums andere Mal gekränkt worden von ihrer Rivalin Peninna, die ihr genüsslich vorhielt, dass sie noch kein Kind zur Welt gebracht hatte. „Und da weinte sie und wollte nichts essen.“ (1.Sam 1,7b) Und dann heißt es weiter im Text: „Da sagte ihr Mann Elkana zu ihr: „Hanna, warum (lamah) weinst du und warum willst du nichts essen und warum geht es deinem Herzen so schlecht? Bin ich dir denn nicht (halo``)mehr als zehn Söhne?!“ (1.Sam 1,8) Die tröstende Anteilnahme besteht hier wie in anderen Texten (z.B. Jes 40,27-31) aus zwei Fragen. Die (spiegelnde!) Warum-Frage signalisiert einem tief deprimierten Gegenüber, dass ich in seiner Äußerung oder in seiner Miene eine innere Not wahrgenommen habe, Anteil nehmen und genauer verstehen möchte. Das hilft dem so Gefragten, sein Herz auszuschütten, wenn er denn will. Die zweite Frage, halo` = „Ist es denn vielleicht nicht so“, möchte dann dem Kummervollen behutsam, nicht rechthaberisch, einen kleinen Schritt weiterhelfen, einen Perspektivenwechsel nahelegen. Könnte er seine Lage vielleicht doch aus einem anderen Blickwinkel in freundlicherem Licht sehen? Elkana verbindet das vorsichtige Weiterhelfen-Wollen mit einer erneuerten Liebeserklärung. In Jes 40,28ff bringt ein Prophet gegenüber seinen niedergeschlagenen Landsleuten alte Schöpfungsgewissheit ein (Jes 40,28ff). In beiden Fällen bleibt die Wirkung der halo`-Aufmunterung offen. Und damit kehren wir in unsere Ostergeschichte zurück.

Erkundigung des Seelsorgers

17  Er aber sprach zu ihnen: „Was sind das für Worte, die ihr zwischen euch im Gehen wechselt?“ Da blieben sie traurig stehen.  18  Es antwortete aber einer mit Namen Kleopas und sprach zu ihm: „Bist du der einzige, der sich zur Zeit in Jerusalem aufhält und nicht weiß, was dort geschehen ist in diesen Tagen?“ 19  Und er sprach zu ihnen: „Was denn?“

Die zwei Was-Fragen (griechisches ti = „was“, „warum“, „wozu“) haben dieselbe Funktion wie die Warum-Fragen in den alttestamentlichen Beispielen. Sie locken die Jünger aus ihrer Trauer hervor, in der sie sich eingeschlossen haben, sie lüpfen ihnen die Zunge. Die erste Frage bereits fördert ihre Trauer zutage. Ihre relativ heftige Reaktion erklärt sich aus ihrem augenblicklichen Zustand einer mimosenhaften Verletzlichkeit, in der jede Berührung weh tut. Die zweite Erkundigungsfrage, ein gezieltes Zuspiel, löst ihnen dann vollends die Zunge; sie schafft Raum für die Klage, sich zu entfalten.

Klage der Trauernden, entfaltet

Sie sprachen zu ihm: „Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk,  20  und wie ihn die Hohepriester und unsere Obersten auslieferten zum Todesurteil und ihn kreuzigten.  21  Und wir hatten doch gehofft, dass er es sei, der Israel erlösen wird. Nun aber ist ja über diesem allen schon der dritte Tag gekommen, seit dieses geschehen ist.  22 Aber auch einige Frauen von uns haben uns aus der Fassung gebracht, denn sie waren früh am Grabe  23  und fanden seinen Leib nicht und kamen und sagten, dass sie eine Erscheinung von Engeln gesehen hätten, die sagen, er lebe.  24  Und einige von denen, die mit uns waren, gingen zum Grab und fanden es so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber sahen sie nicht.“

Die Klage der beiden Jünger hat die Gestalt eines Kurzberichts über das Jesusgeschehen, angefangen von Jesu Krafttaten über seinen Kreuzestod bis hin zur Auffindung des leeren Grabes.

Dabei halten die beiden Jünger das Leersein des Grabes für eine objektive, aber wenig besagende Tatsache, und dem übersinnlichen und deshalb nicht nachprüfbaren Hören und Sehen der Frauen am Grab Jesu messen sie wenig Wert zu.

Lukas hat seine Interpretation des Christusgeschehens in Kleopas‘  ‚Blick zurück in Klage‘ einfließen lassen: dass Jesus ein von Gott ausgewiesener Prophet wie Mose war (vgl. Lk 4,16ff; 13,31ff), dass die Hohepriester für Jesu Tod eine schwere Mitverantwortung tragen, dass auf das leere Grab allein kein Osterglaube zu stützen ist. V.21 bringt den Grund der Klage auf den Punkt. Da kommt heraus, was den besonderen Schmerz der Trauernden ausmacht. Es war nicht nur die an sich schon schwere, noch frische Trauer um einen verehrten und geliebten Menschen. Sondern der so grausam hingerichtete Meister war in exzellenter Weise das gewesen, was auch unsere Zeit einen ‚Hoffnungsträger‘ nennt. Alle Sehnsucht der Armen und Unterdrückten Israels nach Befreiung nicht nur vom römischen Joch, sondern von allen schweren Lasten des Daseins – an diesen Jesus hatte sie sich geheftet: Er könnte, er müsste der Messias sein. Wer sonst! Wenn nicht jetzt, wann dann? Vieles von dem, was die Propheten, die neue Welt ansagend, verheißen hatten, schien sich in ihm zu erfüllen. Schon sahen Blinde, hörten Taube, wurden Aussätzige rein und konnten Lahme gehen (Lk 7,22). Menschen, deren Leben durch ihre eigene und anderer Schuld am Ende schien, durften aufatmen und bekamen die ‚zweite Chance‘. Grundlinien einer gewaltfreien Gesellschaft hatte Jesus gezeichnet, und sie hatten im Jüngerkreis schon mit der ‚Einübung‘ begonnen. Und dann brachen die schönsten Hoffnungen von einem Tag auf den anderen wie ein Kartenhaus zusammen: Gott hatte den Hoffnungsträger nicht aus der Löwengrube der Machthaber gerettet. Hatte ihn seinen Henkern und dem schmachvollsten aller Tode überlassen. Eine brutalere Ernüchterung von Menschen, die sich zu seinem inneren Lebenskreis zählen durften, lässt sich schwerlich denken.

Ist-es-denn-nicht-so-Frage des Seelsorgers

25  Und er sprach zu ihnen: „O ihr Unverständigen und deren Herz zu träge ist, zu glauben allem, was die Propheten gesagt haben.  26  Musste denn nicht der Christus dieses leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“  27  Und er fing an von Mose und allen Propheten, ihnen auszulegen aus allen Schriften, was sich auf ihn bezog.

Dem unerkannten Wanderer ist es also mit seinen Fragen gelungen, den Schmerz der beiden Jünger ‚herauszuholen‘. Sie müssen ihn nicht in sich vergraben. (Es besteht ja die Gefahr, dass nicht entsorgter Müll im Keller der Seele Giftstoffe produziert, die dann, dem Trauernden kaum bewusst, seinen All’tag‘ und seinen Umgang mit anderen Menschen verbittern.) Sie müssen nicht in Trauer erstarren, sondern ihr Schmerz fließt und verliert seine tödliche Härte. Und es tut gut, einen bei sich zu haben, der zuhört, der dies aushält, der mit auf dem Weg bleibt und bei dem man das Gefühl hat: Es lässt ihn nicht kalt; es berührt ihn. Lange hat der Unerkannte schweigend zugehört, ist nicht gleich besserwisserisch ins Wort gefallen – jetzt ist er gefragt. Er könnte, ohne etwas zu sagen, schweigend den Weg mit ihnen weitergehen. Das wäre im Sinne des Trostes nicht nichts. Und wäre allemal mehr als leidige und haltlose Vertröstungen und Beschwichtigungen. Aber er hat etwas zu sagen und er trägt es im Stil einer Bibelstunde vor; „er treibt mit den Seinen Bibelauslegung“ (Helmut Gollwitzer). Er erinnert sie, mit eher liebevollem als hartem Tadel, an etwas, was sie eigentlich als in der Schrift Bewanderte wissen müssten: dass „alles, was geschehen ist in diesen Tagen“, nur den (von Gott) gewiesenen, notwendigen Gang ging. Was nichts anderes bedeutet, als dass gerade in der so tief erschütternden Passion Jesu der Welt und ihr Heil gewirkt wurde. Die Heilige Schrift hatte sie doch gelehrt, dass der Messias durch (stellvertretendes) Leiden und Sterben in ein jenseitiges, ewiges Leben gelangen (Jes 53) und zugleich alle Gewalt im Himmel und auf Erden übertragen bekommen würde (Dan 7,13f). Musste es also nicht geschehen, was geschah?

In der urtypischen Seelsorge-Frage von V.26 entspricht das griechische ouchi genau dem sanften hebräischen halo` = „Ist es denn nicht so?“ Der Auferstandene tilgt hier noch nicht durch eine alles klärende österliche Offenbarung alle Zweifel. Sondern er spendet einen ersten Trost, indem er einen Sinnzusammenhang bewusst macht: Die sie so erschreckenden Ereignisse der Passion stimmen mit prophetischen Ahnungen und Ankündigungen überein, mit dem Lied vom Gottesknecht (Jes 53), mit anderen Prophetenworten, mit dem Gesamtzeugnis der Schrift. Daraus darf man nicht nur auf die Verlässlichkeit des Prophetenworts schließen, sondern auch auf einen Heilsratschluss Gottes als den letzten Grund des Leidens und Sterbens Jesu. Und wenn das der sinnlichen Wahrnehmung zugängliche Leiden Jesu den Ansagen der Propheten entsprach, dann darf begründet vertraut werden, dass diese Ansagen auch, insofern sie die unsichtbar-transzendente Herrlichkeit (doxa) des Gekreuzigten betreffen, wahr geworden sind. Jesus lebt.

Bemerkenswert: Worüber ‚moderne‘ Theologen kaum Freude empfinden können, am sogenannten Schriftbeweis, das hat für den biblischen Erzähler ausgesprochen tröstlichen Charakter! Dass das Christus-Heil, Kreuz und Auferstehung ebenso wie die Offenbarungsmittlerschaft des Sohnes, in den Texten der Tora, der Propheten und der Schriften vorausgesagt war, hat den damaligen Hörern des Kerygmas sehr viel bedeutet. Es wäre ihnen kaum glaub-würdig gewesen, hätten sie nicht in bestimmten Texten des Alten Testaments, ihrer Heiligen Schrift, einigermaßen zwingende Verweise auf das Leben und Sterben Jesu erkennen können. Wahrscheinlich ist es uns heute nicht mehr möglich, den ‚Schriftbeweis‘ so nachzuvollziehen. Der Trost der hier besprochenen lukanischen Erzählung erreicht uns aber nur dann, wenn auch wir etwas von dem Wunder sehen können, dass die im Alten Testament erzählte Geschichte Gottes mit Israel in den vom Neuen Testament bezeugten Ereignissen zu ihrer logischen Vollendung kommt.

Der Gekreuzigte und Auferstandene aber hat sich damit nicht nur als der seine Jünger in die Mission entsendende Herr gezeigt (Mt 28,16-20), sondern ebenso als ‚Seelsorger‘ – als ‚Bruder‘, der uns anleitet, auf Kummer und Trauer des Mitmenschen ‚einfühlsam einzugehen‘.

 B     Trost-Momente im Trauerprozess

a) „Und sie redeten miteinander über alles das, was sich ereignet hatte“ (Lk 24,14).

Oft bin ich die einzige Person, mit der die Eltern auch noch Monate und Jahre nach der Beerdigung ihres Kindes (so lang kann der Weg nach Emmaus sein!) über den Verlust sprechen können. Die „Umwelt“ blockt schon wenige Zeit nach dem Begräbnis. „Die Erinnerung wühlt doch nur auf“, sagen die einen; „einmal muss man doch darüber hinweg sein“, die anderen. The games must go on. Aber der mit der Zeit vermeintlich gewachsene Abstand schrumpft bei scheinbar geringsten Anlässen in Sekundenbruchteilen zusammen: Es ist, als ob es erst gestern gewesen wäre.

Dabei können auch alte Schuldgefühle hochkommen: Habe ich wirklich alles Menschenmögliche für mein Kind getan? Hätte ich nicht noch jenen Heiler aufsuchen und hätte ich nicht noch dies und das veranlassen können?! Nach dem Tod eines geliebten Menschen wiegt jede Unterlassung, jedes böse, nicht vergebene Wort doppelt, zentnerschwer. Denn Versäumtes ist nun definitiv nicht mehr nachzuholen; solche fast unvermeidliche Schuld drückt zusätzlich aufs Herz. Nicht dass wir selber uns Schuld „von der Seele reden“ können, aber wenn wir sie aussprechen, ist Gott – vielleicht durch einen Wegbegleiter – da und nimmt sie uns von der Seele. So fängt Heilung an: „Und sie redeten miteinander über alles das, was sich ereignet hatte.“

b) „Und es geschah, dass Jesus selbst sich nahte und mit ihnen ging“ (Lk 24,15).

Als die Kindersterblichkeit in früheren Zeiten überhaupt hoch war, da bedeutete der Tod eines Kindes nichts Außergewöhnliches. (Heute erwarten wir bei der Geburt eines Kindes, und sei es unbewusst, mehr oder weniger selbstverständlich, dass es alt werden wird.) Im Mittelalter wurden die gestorbenen Kinder zu Engeln erklärt, da sie ja im Stande der Unschuld starben. Sie bekamen eine neue Rolle, nämlich für die Hinterbliebenen Anwälte im Himmel zu sein, sie in ihren Lebensbemühungen vom Himmel her zu unterstützen. Dieser Trost hat in der Vergangenheit den Trauernden sicherlich geholfen und neue Lebensenergien freigesetzt.

Und heute? Tanja, sechs Jahre alt, erfährt ein paar Wochen vor ihrem eigenen Tod, dass ihre Leidensgefährtin gestorben ist. Nachdenklich sagt sie zu ihrer Mutter: „Gelt, die Andrea wartet jetzt auf ihre Buben.“ (Andrea hatte zwei Brüder.)

Jan, der im Paradies Gärtner werden möchte, schränkt ein: „Es ist bloß blöd, dass ich so lange auf euch warten muss.“

„Und es geschah, dass Jesus selbst sich nahte und mit ihnen ging“: Hat diese geheimnisvolle Nähe etwas mit der unbezähmbaren Sehnsucht zu tun, mit der manche Zurückbleibende nach den Sterbenden verlangen? Ihnen das wohlfeile „Du musst loslassen!“ um die Ohren zu schlagen, ist eine Anmaßung. Nein: Ein Trauernder muss nicht loslassen, er darf seine Sehnsucht zulassen. Die Mutter der 17-jährigen Heide hat ein paar Monate nach deren Tod einen Tagtraum: Heide kommt zu ihr in die Küche, berührt ihre Schulter und sagt zu der mit Gott und der Welt Hadernden: „Du gehst einmal ganz leicht, und ich hole dich ab.“ Überglücklich hat mir Heides Mutter diesen Traum erzählt. Sein Trost kam unmittelbar von der Weggegangenen selbst und berührte heilend den innersten Schmerz der Mutter. Es gibt so etwas wie „ein Einschwingen in die Richtung des gestorbenen Lebens“ (J.Duss-von Werdt).

c) „Und wir hatten gehofft, dass er es sei, der Israel erlösen wird.“ (Lk 24,21) 

Wenn ein Kind stirbt, stirbt es gleich zweifach: einmal als Person, als „unser geliebtes, einmaliges Kind“, und das andere Mal als Zukunftsträger der Eltern: Wer wird mir in meinem Alter beistehen? Wer wird einmal mein Haus übernehmen? Meine Hoffnung, meine Pläne, meine Sehnsüchte: sie verbanden sich in der Vorstellung mit einem Leben, in dem dieses Kind einen hervorragenden Platz einnahm, und nun liegen sie mit dem Kind im Grab.

„Ich hab die Anna schon als junges Mädchen vor mir gesehen, wie wir zusammen einen Stadtbummel gemacht haben. Ich werd es nie begreifen ... Warum nur?“ Drei Jahre hat die Mutter den Leidensweg ihrer Tochter begleitet, die im fünften Lebensjahr an einem Lymphom erkrankte. Ohne Wenn und Aber hat sie den Kampf um das Leben ihres Kindes aufgenommen, und die Tatsache, dass er verloren ging, bis zum Schluss verdrängt. „Ich wollte es nicht wahrhaben, es war zu schmerzlich.“ „Mein Kind“, brutal trifft sein Tod ins Mark: „als wär's ein Stück von mir“, eine grenzenlose Kränkung: „Ich fühle mich wie amputiert“. „Ein wichtiger Ast unseres Lebensbaumes ist abgehauen“, so formulierten Eltern ihre Trauer um ihre 15-jährige Tochter in der Todesanzeige. Der Hader gräbt sich tief ins Herz ein: „Wieso unser Kind? Was hat es denn Böses getan? Ist es gerecht, dass Kinder, die sich auf das Leben freuen, gehen müssen, sieche Alte aber, die des Lebens überdrüssig sind, bleiben?“ Messerscharf trifft der Verlust, schneidet Zukunft ab, lässt den Hauch unserer Unsterblichkeit („Wir leben in unseren Kindern weiter“) verwehen.

d)  „O ihr Unverständigen.!“ (Lk 24,25) 

 „Oh, ihr Unverständigen...!“, sprach der unerkannte Wegbegleiter die trauernden Jünger an. Das ist weniger ein Tadel ihrer Dummheit, vielmehr ein Eingehen auf ein für Trauernde charakteristisches Verlangen: den Sinn und Ertrag eines Menschenlebens zu verstehen, genauer: den guten Sinn dessen zu verstehen, dass ein Mensch so lebte und starb, wie er lebte und starb. Für die Menschen der Bibel war die Schriftgemäßheit eines Lebens und Sterbens, seine Übereinstimmung mit dem, was Gott zuvor verkündigen ließ, ein Sinnerweis, wie es keinen zwingenderen geben konnte. „Sinnerfüllter“ konnte Jesus nicht sterben, als im Leben und Sterben mit dem Heilsplan Gottes konform gewesen zu sein. So hatte er sein Leben vollendet, sein Werk vollbracht. Und in dem Maße, als sie das verstehen konnten, empfingen die Jünger Trost.

Ob unsere Toten „sinnerfüllt“ gestorben sind, da legen wir heute wohl etwas andere Maßstäbe an: Wir fragen, ob sie ein Lebenswerk vollendeten oder ob sie eine „unvollendete Sinfonie“ hinterlassen haben; wir betrachten ihre Vita daraufhin, ob sie augenscheinlich viel geliebt, viel geschenkt haben und in hohem Maße für andere da waren; wir trösten uns damit, dass sie sich selbst stets treu waren, und manche begnügen sich mit der Feststellung, dass jemand alt geworden ist und genug Erfolg und Lebensinhalte hatte. Immer wieder bezeugen Leidtragende Pfarrern und Pfarrerinnen Dank, die es verstanden, von ihrem Toten am Grab so zu sprechen, dass er wieder „ganz lebendig vor ihnen stand". Während der Ansprache beobachte ich die Angehörigen. Nur wenn ich etwas von dem Kind erzähle, wenn ich dabei versuche, seine Vita in Umrissen darzustellen und den Sinnfaden andeutungsweise freizulegen, kommt Leben in ihre Gesichter. Der christliche Trost ohne ausgesprochenen Bezug auf das Kind dagegen lässt sie nach unten gucken, berührt sie nicht.

Nach drei Jahren begann Heides Mutter zu verstehen: „Diese siebzehn Jahre waren wohl Heides Lebensweg auf dieser Welt.“


[1]  Die genaue Ortslage ist in der Bibelwissenschaft umstritten.

[2] Ausführliche Begründung und Darlegung in: Werner Grimm / Roswitha Bernius-Grimm / Margarete Knödler-Pasch, Trost, Biblische Raritäten 5, Tübingen 2012. Weitere Exempla der oben kurz vorgestellten Redeform sind u.a. 1.Mo 4,5-7; 40,6-9; 1.Sam 1,7-8; Jes 40,27-31; Mk 4,40. 

 

Perikope
06.04.2015
24,13-17

Brennendes Herz – Kühler Kopf - Offene Hände. Predigt zu Lukas 24,13-35 von Axel Denecke

Brennendes Herz – Kühler Kopf - Offene Hände. Predigt zu Lukas 24,13-35 von Axel Denecke
24,13-35

"Brennendes Herz – Kühler Kopf -  offene Hände“ 

1.
„Brannte nicht unser Herz“, sagten die beiden Jünger aus Emmaus (ein imaginärer Ort bei Jerusalem, bisher noch nicht genau lokalisiert). „Brannte nicht unser Herz“, Wir müssen uns diese Szene  -aus der „erinnernden Wahrnehmung“ der Jesus-Gemeinde später aufgeschrieben- genau vorstellen, um zu erahnen, was für uns heute damit gemeint sein kann. ich will es tun.

„Brannte nicht unser Herz“. Brennendes Herz! So begann es zu Ostern. Wenn unser Herz nicht brennt, bei dem, was wir hören von Jesus, über Jesus, aus Jesus, dann kann auch nicht Ostern werden. Damals und heute! Keine Auferstehung für uns! Brennt unser Herz noch?

Aber langsam. Nicht so schnell auf uns übertragen. Zunächst noch mal zurück ins Jahr 30 oder 33 oder 34 ½.

Da läuft also der auferstandene Herr -wohl nicht direkt von Angesicht zu Angesicht, aber doch im Geist- direkt zwischen den beiden. „Wo zwei oder drei,… da bin ich mitten  unter ihnen“ soll er ja in seinem irdischen Leben gesagt haben. Also er läuft zwischen den beiden. Lehrt sie, legt ihnen die Schrift  aus, wie es recht vollmundig heißt. Die „ganze Schrift“, mehr also als nur eine kapitale 4-stündige Uni-Semester-Vorlesung, die ganze Schrift.

Die ganze Schrift also legt er aus, der Herr. „…was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war“.  Und sie hören zu, wundern sich,   verstehen dies und das, ihr Kopf schwirrt oder wird auf einmal klar, wissen wir alles nicht, auf jeden Fall,  er in der Mitte, sie rechts und links, also „wo 2 oder 3“. Ach ja, jetzt verstehe ich erst: Er war wohl wirklich in seinem Geist in ihrer Mitte. Die zwei legten für sich die Schrift aus, noch einmal, sie kannten sie ja, (wir kennen sie, vielleicht gar viel zu gut),   zum so und so vielsten Male, lasen die Bibel in seinem Namen, in seinem Geist, also so, wie sie ihn in seinem irdischen Leben erlebt haben. Erinnerten sich an ihn, lasen die Bibel auf einmal anders (er war ja nun tot. Oder?), doch so wie Jesus es sie gelehrt hatte, ihn im Sinn, vielleicht gar im Herzen … ja und da war er auf einmal in ihrer Mitte, mitten unter ihnen, real. „Wo zwei oder drei….“
Und das gilt natürlich –warum denn etwa nicht?- auch für uns hier, ja für uns hier.

2.
Ich erinnere mich: Mit einer Gemeindegruppe war ich vor vielen Jahren in Israel am See Genezareth, gegenüber von Kapernaum:  und sa haben wir –wir saßen alle am See- die Bibel gelesen, nichts als die Bibel, das erste Kapitel des Markus-Evangeliums, gerade ein Kapizel haben wir an sieben Vormittagen,   also in 21 Stunden geschafft.  Für mich ein ganz umwerfendes Erlebnis. Hätte nie gedacht, dass das möglich ist. Ein Kapitel Markus, doch die „ganze Schrift“ war dabei. Und „wo 2 oder 3…“. Ich kann nicht beweisen, dass er auch dabei war, dass der Herr mitten unter uns war, aber –fromm wie ich inzwischen bin und gutgläubig wie ich schon immer war- denke ich, glaube ich, er hat sich uns nicht entzogen, hat sich unsichtbar eingemischt in unsere Gespräche am See. „…. bin ich mitten unter euch“.


3.
Doch zurück nach Emmaus. Der Herr legte ihnen die ganze Schrift aus, die ganze, sie legten sie sich selbst im Geist Jesu aus, aus der „erinnernden Wahrnehmung“ an das, was sie von ihm/ mit ihm gehört und gesehen  hatten. Und er war mitten dabei. Kühlen Kopf braucht man dazu, einen ganz kühlen und klaren Kopf, um nicht zu schnell abzudriften in hohe. allzu frommen Gefühle, hochemotional, um hart an der Sache zu bleiben, ganz hart und klar, also
… z.B. dass im Grund von Jesus und seinem Lebensstil im ganzen AT (seiner  Bibel) schon erzählt wird, indirekt natürlich (ich denke an das Liebesgebot im AT)
… z.B. wenn es am Ende der Schöpfungsgeschichte  vom Menschen heißt, er sei „sehr gut“  und dass das natürlich  auf den Menschen hinweist, wie er in Wahrheit ist, wie er uns in Jesus vorgestellt wird
…  z.B. dass die Kritik vieler Propheten am äußeren Opfergottesdienst „Barmherzigkeit  will ich und  nicht Opfer“ genau auf den hinweist, der das in einem Leben getan hat, die  Barmherzigkeit in Person
… z.B., ach ich könne jetzt noch 10 oder 20 weitere Belege bringen, lass ich aber,  komme sonst ins Schwärmen, kühlen Kopf wollte ich ja bewahren
… z.B. am Ende aber doch, dass in diesem Jesus, in  seinem Gottvertrauen, in seiner Liebe zu Gott, dem Vater, die er dann jedermann weitergegeben hat, dass darin Gott  pur unter uns ist, in ihm Gott real präsent ist, also dogmatisch  zurechtgezurrt: „Gott  wurde Mensch, damit der Mensch endlich Mensch werde“. (dass der Mensch nicht etwa Gott  werde,  sondern endlich Mensch!)
Dies und  vieles mehr also mit „kühlen Kopf“ bedenken, abwägen, hin und her wenden, die „ganze Schrift“ vom Innersten her verstehen,

Den einen schwirrt dabei der Kopf, dem anderen geht endlich ein Licht, das Licht auf. Also: So die beiden auf dem Weg vom realen Jesus  zum imaginären Emmaus. Und der Herr -weiß nicht wie und wo und warum- mitten unter ihnen. Nicht zu sehen, aber er lenkt ihre Sinne. Und je mehr sie sinnen, umso mehr wird ihr Kopf klar und sie beginnen langsam zu verstehen. So weit.

4.
Doch dann - ist er auf einmal weg. Ist weg. Kannst ihn nicht festhalten, gar fest bannen, weder bildlich in dieser Geschichte, noch kirchlich in Dogmen und goldenen Sätzen. Entzieht sich dem, ist frei, bleibt frei, ist in der Mitte, ganz real und wirklich, und dann ist er wieder weg.
Als wir vom See Genezareth vor 10 Jahren wieder mit dem Flugzeug ins kalte Norddeutschland zurück flogen, blieb uns ja auch nur die Erinnerung an das, was sich da am See ereignet hatte. Im Flugzeug gab es „chicken or meat“, aber keine Jesus-Geschichten mehr.

Doch wieder zurück: Zunächst bitten sie ihn, am Abend, an ihrem Abend, auch Abend des Lebens, bei ihnen zu bleiben. Ja, sie/wir möchten sie gern festhalten, solche Sternstunden, wo wir meinen, er ist mitten unter uns. Vielleicht singen wir dann selbst-beschwörend den schönen Kanon „Wo 2 oder 3 in seinem Namen zusammen sind“ (Sie kennen ihn?), ich lieb ihn sehr und vielleicht ist er dann sogar wirklich mit dabei, wenn wir es singen. „Bleibe bei uns Herr, denn….“ Ja, tut er. Auf Zeit!
Doch dann ist er weg. Und nun kommt für mich das ganze Entscheidende, das alles Entscheidende.

5.
Brannte nicht unser Herz“ sagen sie zu sich. Toll. Sie nehmen wahr bei sich: Wenn der Herr unter uns ist (siehst ihn nicht, spürst ihn  aber) dann brennt unser Herz, dann geht unser Herz über, es geht in Sprüngen, ja es verwandelt sich. „Das Alte ist vergangen, es ist alles neu“ (so Paulus später) auf einmal. Sie spüren es und sprechen es aus. Sprechens es sich gegenseitig zu. „Brannte nicht unser Herz?“ Wirklich, es brannte.

Im Nachhinein !  Hinterher, als er wieder weg ist, nix mehr da von „2 oder 3 und er  mittenmang dabei“. Er ist weg, ist wieder weg. Ist ja auch oft von uns weg, wenn wir so verrückte Fragen stellen (kennen wir alle): Stimmt das den alles von ihm? Hat die Kirche ihn nicht kaputt gepredigt? Hat sich in den 2000 Jahren seit ihm irgendetwas geändert? In der Welt und in uns? Ist da mehr Friede? Mehr Gerechtigkeit? Mehr Liebe unter uns? „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch lieben sollt, wie ich euch geliebt habe“. Ja, wo ist das denn?  ---- Also all die vielen Fragen, die nach kurzer Hellsicht, nach kurzem und klarem Licht wieder auftauchen und alles verdunkeln, den vorher so klaren Kopf zum Brummen und Schwirren bringen. Kennen Sie ja alle. Ich könnte jetzt eine ganz, ganz lange Litanei davon singen, lass ich aber.

Da erinnern sie sich: „Brannte nicht unser Herz…“?  Ja, es brannte, es war entflammt, es war ganz mit sich selbst und mit dem Herrn in eins. Ja, es brannte, wir wissen es ganz genau und daran wollen wir uns halten. Das wollen wir fest halten, nicht als Dogma, aber als eine lebendige Erfahrung, die uns keiner mehr nehmen kann. Und daran wollen wir uns immer wieder erinnern. Dahin wollen wir zurück laufen, wenn mal nix mehr in uns brennt. Diese „erinnernde Wahrnehmung“ des Herrn, ihm tatsächlich in sich selbst begegnet zu sein, im Herzen: und unser Herz brannte hell und heiß, das kann uns niemand mehr nehmen, niemand und niemals.

6.
Ja und jetzt, an dieser Stelle muss ich uns hier ganz direkt fragen:
Brennt unser Herz noch? Immer noch? Immer mal wieder? Wenn wir uns an ihn erinnern, daran, wie unser Glaube begonnen hat, einst in der Jugend oder auch später? Brennt unser Herz noch? Oder ist es inzwischen nur noch lau-warm  und lasch, vielleicht gar versteinernd oder resigniert  oder ist eben einfach das Feuer verglüht, Asche zu Asche? Alles erkaltet? Ich frage nur leise, ich frage nur, mich und Sie hier.

Ach, ich will jetzt nicht ein großes Klagelied anstimmen. Ach! Aber manchmal habe ich schon den Eindruck, in uns, in unserer Kirche, in unserer ansatzweise noch christlichen Gesellschaft, da brennt nichts mehr. Da ist zwar noch Glaubens-Routine, Predigt-Routine, Diakonie-Routine, Frieden-Gerechtigkeit-Bewahrung-der-Schöpfung-Routine, Orgel-Kirche-Renovierungs-Routine,  ja, ja, natürlich. Aber da brennt nix mehr. Nun ja, vielleicht irre ich mich auch. Gut so dann.

Doch die Frage an eine/n jede/n unter uns bleibt: Brennt noch etwas in uns? Sind wir innerlich noch bewegt, aufgeregt, aufgewühlt, von dem, was Jesus getan/gesagt hat, wie er lebte, starb und neu zum Leben kann? Krempelt es uns noch um, lassen wir uns davon entzünden und verwandeln, von ihm, der Mitte unseres Lebens, wenn er, wo 2 oder 3 in seinen Namen zusammen sind (und hier sind ja mehr als nur 2 oder 3 zusammen) mitten unter ihnen sein will?

Wenn so etwas geschieht, das nenne ich dann: Der auferstandene Herr –um es jetzt dogmatisch korrekt zu sagen- begegnet uns, er ist mit seinem Geist in unserer Mitte, es wird tatsächlich Ostern, vielleicht gar noch am Abend… unseres Lebens. Er macht sich breit unter uns, baut sich ein Nest in unserem Leben, entzündet uns neu und unser Herz fängt tatsächlich an -ein Wunder?- neu zu brennen.

Wie bei den Emmaus-Jüngern, denen es im Nachhinein auf einmal aufgeht. Und ich wage daher mutig und frech zu behaupten: Wenn unser Herz neu brennt, wenn wir es neu von ihm entfachen lassen, dann wird der Auferstandene in uns wahr, steht auf in uns, Auferstehung in uns  und breitet sich aus wie eine ansteckende Gesundheit. Ostern geschieht. Wir kommen neu zum Handeln.

7.
Denn, das ist nun das Letzte an dieser wundersamen Geschichte:  Kühler Kopf – brennendes Herz – offene Hände, hab ich’s genannt. Also jetzt –nach allem- die Hände öffnen für andere, zu anderen hin. Denn was tun die beiden? Die behalten das alles nicht für sich, als Privatbesitz. Tolles spirituelles Erlebnis. Festhalten bitte. Nicht weiter geben.   Nein, sie sagen’s sofort, standepede, weiter. „Kommt, sagt es allen weiter…“

„Sie standen sofort auf und kehrten noch zur derselben Stunde zurück nach Jerusalem“  Noch zur selben Stunde. Vom imaginären Emmaus, von ihrer so schönen, wunderschönen spirituellen Jesus-Begegnung –diese im Herzen und im Kopf- dann zurück ins reale Jerusalem, zu all denen, bei denen noch nix brennt, die noch in ihren geistlichen Katakomben hocken und bei verrammelten Fenstern und Türen der Dinge harren, die eventuell geschehen könnten. Also zu den allzu brav Frommen, zu uns Kirchen-Frommen, uns  allen, die das Träumen und Brennen, real mit Jesus zu  rechnen,  wohl aufgegeben haben und sich in ihrem Klein-Glauben einigeln.

Da gehen sie hin, rennen sie hin, sprinten sie hin. Und wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Und sie erzählten von ihm, von  ihrer Begegnung mit ihm, wie sie ihn in ihrer Erinnerung an sein Leben wahr genommen haben in sich. Das sagen sie weiter, öffnen ihre Hände und reichen es weiter. Reichen nicht äußerlich Brot weiter, auch  Wein und Brot, sondern reichen das Brot des Lebens, das ihr Herz zum Brennen gebracht hat, weiter.
Also: Klarer Kopf – Brennendes Herz – offene Hände.

8.
Liebe –darf ich jetzt sagen?-  österliche Gemeine, in keiner anderen Situation  als die Emmaus-Jünger sind wir, kein bisschen schlechter oder besser dran.

Unser Jerusalem ist hier vor Ort, ganz real und manchmal auch recht kalt und öde, so wie auch Jerusalem damals und heute.

Unser Emmaus, dies imaginäre Dorf, es ist diese Kirche hier, kann es sein. Für die Menschen in der Nachbargemeinde, ist es ihre Kirche, kann es ihre sein.  Da kann unser Herz wieder neu zu brennen beginnen – da können wir mit kühlem Kopf Jesus, den Jesus, von dem die ganze Bibel erzählt, auch auf unsere alte Tage neu zu verstehen, zu begreifen beginnen – wie „neu geboren“ (Quasimodogeniti, so heißt ja der nächste Sonntag) dann. Das Alte ist ergangen, alles ist neu geworden, für uns, von innen heraus. – Und da können wir auch noch auf unsere alten Tage hin unserer Hände öffnen, weiter tragen, was wir empfangen haben. So kann es sein und im Glauben ist es so. Und dann ist Ostern, wahrhaftig. „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“ – in uns. „Brannte nicht unser Herz…“ Ja, es brennt, brennt wieder neu, es ist ein Wunder.
Das ist Ostern – heute – neu – für uns – in uns.
In  uns zunächst, da beginnt’s. Und dann –so Gott will- auch für andere, in anderen.

 

Perikope
06.04.2015
24,13-35