Selig sind die Barmherzigen - Predigt zu Matthäus 25,31-46 von Katharina Wiefel-Jenner
Selig sind die Barmherzigen
Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.
Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.
Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Das Verfahren ist langwierig und schwierig. Misstrauenserklärungen gegen den Richter gehören zum guten Ton. Täglich werden neue Unterstellungen über ihn verbreitet. Vor seinem Haus wird demonstriert. Man wirft seine Fenster ein, legt Brandsätze in seiner Garage, bedroht seine Familie. Die Kinder seiner Schwester haben Angst zur Schule zu gehen. Bomben fallen auf das Haus seines Bruders. Sein Cousin wurde verschleppt. Seine Cousine hielt es nicht aus und floh übers Meer. Mit ihrem Kind auf dem Arm hofft sie auf den Engel, der ihr erzählt, dass sie wieder nach Hause könnte.
Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Bis jetzt war das Verfahren quälend. An manchen Tagen zum Verzweifeln. Unglaublich, mit welchen Unverschämtheiten sich der Richter auseinandersetzen muss. Er wurde durchbohrt. Sein Anblick war zum Erschreckenden. Aber die Demütigungen gegen ihn haben ihn nicht gebrochen. Die Drohungen und Anschläge sind ins Leere gegangen. Er ist geblieben. Er ist lebendig. Er ist der Richter.
Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Der Andrang ist groß. Alle Welt wird da sein. Auch aus dem Ausland werden sie kommen. Der Große Saal wird bis auf den letzten Platz gefüllt sein. Niemand wird es verpassen. Alle werden dabei sein.
Erhebt euch, denn der Richter kommt, in seiner Robe, weiß wie der Schnee. Erhebt euch für den Menschensohn.
Der Tag der Urteilsverkündigung kommt - hört das Urteil!
„Kommt her“, sagt der Menschensohn. „Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt das Reich in Besitz, das Gott seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt hat.“ Was ist das für ein seltsames Urteil? Der Menschensohn richtet, als wolle er belohnen.
Er ist ein aufmerksamer Richter. Er hört genau hin und sieht genau hin. Keine Bewegung, keine Handlung, nicht ein Wimpernschlag bleiben vor ihm verborgen. Er sieht, wer arm ist, wer leidet, wer sanftmütig ist, hungrig und durstig. Er findet die Barmherzigen und die Friedfertigen. Unter den Vielen entdeckt er die mit dem reinen Herzen und auch die Verfolgten.
Der Große Saal ist voll. Alle sind da und verwundert reiben wir uns die Augen.
„Kommt her! Setzt euch zu meiner Rechten“, sagt der Menschensohn. „Das ist euer Platz. Bleibt in meiner Nähe. Bleibt an meiner Seite!“ Der Menschensohn richtet also, indem er sich seine Menschen an die Seite holt und sie mit seiner Nähe belohnt.
Er kennt uns Menschen. Dieser Richter ist ein großer Menschenkenner. Er weiß es, dass wir ohne diesen Lohn zu nichts Gutem in der Lage wären. Und der Menschensohn weiß, wie schlimm es ohne diesen Lohn um die Welt aussähe. Das möchten wir uns nicht vorstellen, wenn es niemanden gäbe, dem er zuriefe: Kommt her, seid an meiner Rechten. Was wäre das für eine Welt?
Es gäbe keine Tafeln, keine Suppenküche, kein echtes Saatgut für die Bäuerinnen in Kenia. Was wäre, wenn niemand zur Rechten des Menschensohnes säße? Niemand hätte mit Wasserflaschen am Bahnhof gewartet. Niemand würde darauf achten, dass die Alten genug trinken. Es gäbe keine Brunnen in der Sahelzone. Niemand würde sich um die Klimaveränderung scheren. Was wäre, wenn der Platz zur Rechten leer bliebe? Niemand würde sagen: Wir schaffen das! Die Kleiderkammern wären leer und die Flüchtlinge würden in Flipflops durch das zusammengekehrte Laub laufen. Was wäre, wenn niemand zur Rechten säße? Die Kranken schrien vor Schmerzen, die Gefolterten würden in ihren Kerkern vergessen und kein Verfolgter könnte hoffen. Was wäre, wenn zur Rechten Gottes Leere herrschte? Niemand würde Unrecht beim Namen nennen. Niemand hätte den Mut, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Tyrannen und Diktatoren könnten weiter morden und niemand wäre da, vor denen sie sich in ihren Träumen und in der Stunde ihres Todes fürchten. Was wäre wenn, die Rechte Gottes leer bliebe? Keine Träne wäre um die Millionen auf den Schlachtfeldern Getöteter geweint worden, sie wären verloren und vergessen. Der Friede wäre ein Luftgespinst, nach dem sich niemand sehnt und für das niemand einen Finger krümmen würde.
„Kommt, setzt euch an meine Seite“, sagt der Menschensohn. „Euer Tun zeigt, wie die Welt eigentlich sein soll. Ihr seid gesegnet. Ihr zeigt den Weg zum Leben.“
Im Großen Saal ist alle Welt versammelt. Hinter uns die Presse. Sie wird festhalten, was hier passiert und die Sensation auf der Startseite bringen. Wir aber brauchen die fettgedruckten Schlagzeilen nicht. Wie sind dabei. Aus erster Hand erfahren wir es. Wir sehen mit eigenen Augen, wen der Menschensohn an seine rechte Seite ruft.
Das ist schon erstaunlich, wer dazu gehört. Das hätten wir nicht gedacht! Mit denen, die immer zu ihm gehalten haben, konnte man ja rechnen. Das wäre auch nicht fair, wenn sie nicht dazugehören würden. Sie haben sich in den Gemeinden abgekämpft, miteinander das wenige geteilt, was da war. Wenn nicht der Menschensohn zu ihnen stehen würde, wer würde es dann tun. Da sind aber auch die, von denen wir es nicht geahnt haben, dass sie sich schützend vor die Verfolgten gestellt haben. Wussten die überhaupt, wem sie geholfen haben? Wussten sie, wem sie Wasser und eine warme Jacke gereicht haben, die Anwalts- und Arztkosten bezahlt und eine Aufenthaltsgenehmigung besorgt haben? Gehören die überhaupt zu uns? Dem Menschensohn scheint es egal zu sein, woher sie kommen. Offensichtlich fragt er nur danach, ob sie barmherzig und sanftmütig sind, ob sie nach der Gerechtigkeit dürsten und dem Frieden dienen. Sie dürfen sich an seine Seite setzen, denn er weiß, wie gefährlich es ist, von denen Brot zu bekommen, die es nicht gut mit einem meinen. Sie sind nicht so. In ihnen erkennt er die, die seine Scham verstanden haben, als er nackt vor den Knechten der Mächtigen saß und verspottet wurde. In ihnen sieht er die, die ihm nicht Essig zu trinken gegeben hätten, als er durstig war. Sie sind für ihn die, die ihn aufnehmen, ohne dass sie wussten, wer er ist.
Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Der Große Saal wird bis zum letzten Platz gefüllt sein. Die Presseleute werden das Geschehen in Bildern festzuhalten versuchen. Diejenigen, die links liegen gelassen werden, interessieren niemanden mehr. Sie werden wie betäubt und ratlos sein, werden ihre Gesichter verbergen, vielleicht weinen. Wichtig wird nur das Urteil des Menschensohnes sein: „Die Gerechten werden in das ewige Leben eingehen!“ Das ist das letzte Wort des Richters. Er hatte oft genug gesprochen, immer wieder erklärt, was not ist. Jetzt braucht es keine weiteren Worte. Mehr gibt es nicht zu sagen. Für heute erhebt sich der Richter.
Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Es ist Zeit, an die Hecken und Zäune zu gehen, sanftmütig und reines Herzens zu sein, demütig mit Gott mitzugehen und barmherzig zu werden. Der Menschensohn wird wiederkommen. Aber wir kennen das Urteil schon heute. Als wolle er belohnen, so richtet er die Welt.
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Kein Open End - Predigt zu Matthäus 25,31-46 von Manfred Wussow
Kein Open End
Kunstgenuss
Ich gehe gerne ins Museum. In bunten Farben gemalt, ist selbst das große Weltgericht ein Kunstgenuss. Es gibt tolle Bilder von dem großen Weltgericht, eins gewaltiger als das andere! In den bedeutendsten Museen! Da stehen wir dann davor, mit großen Augen. Wir schauen, rätseln, staunen. Wir sehen: Menschen, die von Engeln geleitet, schwerelos nach oben gleiten und von den Heiligen in Empfang genommen werden - dann Menschen, mit Erschrecken auf den Gesichtern, von Dämonen und Teufeln gejagt, im Rachen eines Ungeheuers verschwinden.
Wir blicken nach oben, nach unten. Oder von rechts nach links. Einerseits könnte die Welt jetzt in Ordnung sein – „gut“ und „böse“ endlich und endgültig säuberlich und fein voneinander geschieden – andererseits beschleicht uns ein Unbehagen, weil die Grautöne fehlen. Und die Farben dazwischen. Die Entschuldigungen, die Gründe, die Erklärungen. Alles schwarz und weiß - unheimlich. Wir spüren das Grauen.
Im Museum stellt sich die Frage nicht, zu welcher Gruppe ich gehöre. Gehören werde. Habe ich alles gesehen, trinke ich einen Kaffee. Satt von den vielen Eindrücken. Ein Stückchen Kuchen gönn‘ ich mir auch. Ich blättere im Katalog. Ein ziemlich teures, dickes Ding. Was für ein Kunstwerk! Wie gut: Es ist alles weit weg. Hängt an der Wand – und läuft mir nicht nach.
Evangelium
Das große Weltgericht.
Jesus hat dazu eine Geschichte erzählt. Matthäus überliefert sie. Nachlesen können Sie sie im 25. Kapitel – schon fast am Ende des Evangeliums.
Jesus sagt:
Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten:
Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!
Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben.
Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben.
Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.
Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet.
Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht.
Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?
Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet?
Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!
Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben.
Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.
Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen.
Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet.
Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.
Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?
Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.
Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.
Höllenschlund
Der Höllenschlund geht mir nicht aus dem Sinn. Ich sehe ihn weit geöffnet. Doch die Teufel haben menschliche Gesichter - oder unmenschliche. Vor 100 Jahren, 1914 hatte der Erste Weltkrieg begonnen. Wie viele Opfer waren schon zu beklagen? Werden noch zu beklagen sein? Der Krieg macht unschuldige Menschen obdachlos, reißt Familien auseinander, bringt Vertreibungen und Flucht. Auf den Koppeln der Soldaten steht: Gott mit uns. Aber die Erde blutet. Wie die Menschen - Ein Jahr später, 1915, sind die Illusionen längst geplatzt. Aber die Menschen wussten nicht aufzuhören. Wer schuldig ist, wird bis heute diskutiert. Wer hat angefangen, wer mitgemacht, wer Geschäfte gemacht?
100 Jahre später kommen Menschen von weit her - ich kann die Länder nicht einmal alle aufzählen -zu uns. Sie werden Flüchtlinge genannt, Asylanten oder einfach auch nur „die“ Ausländer. Sie haben ihre Heimat verlassen, um überhaupt noch eine Zukunft zu haben. Unter ihnen sind viele sogar minderjährig. Mit jedem Gesicht verbindet sich eine eigene Geschichte. Eine Leidensgeschichte. Weltweit - und doch zum Teil unbemerkt - sind Menschen auf der Flucht. Die Nachrichten platzen - wir können nicht einmal mehr alles wahrnehmen. Von dem Hunger, der immer noch nicht besiegt ist, reden wir kaum noch.
Höllenschlund. Wie viele Menschen werden in ihn getrieben - ohne Urteil, ohne Schuld, ohne Spielraum. Aber das sind doch nicht die Verdammten - schreie ich...
Weltgericht
Jesus erzählt uns ein Gleichnis. Ein Thron, ein Richterstuhl ist aufgestellt, in Licht getaucht. Herrlichkeit ist das Zauberwort. Aber was sich dann abspielt, gleicht einem Traum, vielleicht mehr noch einem Albtraum. Säuberlich getrennt erstehen vor unseren Augen und Ohren zwei Lager - getrennt wie Schafe und Böcke. Die einen werden das Reich Gottes in Besitz nehmen, das von Anfang an für sie bestimmt ist - die anderen werden in ewiges Feuer geworfen, das den Teufeln und Dämonen zukommt. Selbst farbig gemalt ist es alles "schwarz - weiß". Keine Frage: hier ist alles eindeutig! Hier wird alles eindeutig gemacht!
Der Richter hält sich auch nicht lange mit Zeugenvernehmungen und Plädoyers auf. Sein Urteil ist wohl begründet: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Oder: "Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan."
Aufgezählt werden sieben Erfahrungen, die Menschen machen, wenn sie aus der geordneten Welt herausfallen: Hunger und Durst, Nacktheit, Obdachlosigkeit und Flucht, Krankheit und Gefangenschaft. Die Worte reichen nicht, auszudrücken, was es heißt, wenn Menschen hungern, verdursten, nackt und schutzlos sind, ohne Heimat, ohne ein Zuhause, krank und gefangen. Wie klein, abgehängt, verloren sie sind! Jesus nennt sie "meine geringsten Brüder (und Schwestern)". Der Richter kennt keine Distanz mehr - und Neutralität auch nicht. Das ist schon ein besonderes Verfahren, dem wir beiwohnen - ungewollt.
Ich horche auf. Ich sehe Jesu Verwandtschaft! Brüder! Schwestern! Als ob ich das vorher hätte wissen müssen - ganz selbstverständlich. Die Herrlichkeit, von der im Evangelium die Rede ist, legt sich über die Szene. Menschen, die Jesus als seine geringsten Brüder und Schwestern ansieht, werden in ein Licht getaucht, das sonst - und anderswo - nur denen zukommt, die groß, bedeutend, klug, reich und herrschaftlich zu punkten wissen. Hier wird die Welt auf den Kopf gestellt. So passt sie nicht einmal mehr in mein Weltbild. Ich sehe eine andere Welt. Ich kneife ein wenig die Augen zu: Sind denn diese "geringsten" Brüder und Schwestern per se besser? Aber: besser als "wer"? Besser als "ich"? Jesus wägt nicht ab. Hier ist alles auf eine Karte gesetzt!
Liebe
Weltgericht! Die ganze Welt ist versammelt. Und Jesus solidarisiert sich - vor den Augen aller Menschen und Völker - mit „seinen“ geringsten Brüdern und Schwestern! Sind es auch meine? Jesus fragt nicht einmal nach Schuld, nach Hintergründen, nach Erklärungen. Er stellt sich auf ihre Seite. Er ist einer von ihnen! Er wird auch bei ihnen bleiben! Der Weltenrichter ! Der Weltenrichter auch hungrig, heimatlos, auf der Flucht. Ist das – womöglich – die Herrlichkeit, die von diesem Thron ausgeht? Ist das – endlich – das Licht, dass auch die Schatten leuchtend macht?
Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit …
Ich muss zugeben, diese Geschichte zu kennen! Oft schon habe ich sie gehört – und überhört,
oft habe ich sie schon auf farbenprächtigen Bildern gesehen – und meine Augen vor ihr geschlossen. Dabei ist ihre Pointe so einfach wie glücklich. Es geht um Liebe!
In der Zeitung lese ich von vielen Menschen, die nicht satt werden, die ihre Kinder nicht oder nur schlecht ernähren können, die in Lagern kampieren. Kaum auszumalen, wenn sie alle zu uns kämen – mit dem Mut der Verzweifelten.
Im Fernsehen sehe ich viele Menschen, die auf der Flucht sind. In Nussschalen bringen Schlepper sie übers Mittelmeer an die Küsten Europas. Viele überleben das Abenteuer nicht. In der Statistik, die geführt wird, gehen sie in Zahlen unter. Sie haben alle einen Namen – ich kenne sie nicht. Wenn aber ihre Gesichter bei uns auftauchen, stoßen sie zum Teil auf Vorbehalte und Vorurteile. Ich habe ja nichts gegen Fremde, aber … so heißt es dann. Vielsagend. Und nichtssagend. Dass sich unsere Gesellschaft ändern wird, überrascht nicht, versetzt manche aber in Angst. Selbst das Geld ist oft nur vorgeschoben. Für viele Fragen haben wir auch noch keine Lösung. Aber ein Weg beginnt mit einem ersten Schritt.
In meiner unmittelbaren Nachbarschaft, dem Viertel, in dem ich wohne, weiß ich auch von Menschen, die am Rande des Existenzminimums leben. Sie haben zu essen, können sich kleiden, wohnen bescheiden – und gehören nicht dazu. Am gesellschaftlichen Leben nehmen sie nicht teil. Gerne gesehen sind sie auch nicht. Sie werden auch nicht mithalten können. Ihre Angst, noch weiter herunterzufallen, verstehe ich wohl – aber die Rechnung geht nicht auf, Not und Elend zu verrechnen. Aufzurechnen. Die Hoffnung, wir könnten eine gerechte Gesellschaft schaffen, ist schon sehr klein geworden. Wir geben den Sachzwängen die Schuld – und überhaupt den Verhältnissen. Als ob wir mit ihnen nichts zu tun hätten.
Dann freue mich, dass sich viele Menschen große Mühe geben, Menschen zu begleiten, sie aufzufangen – und auch Flüchtlinge bei uns willkommen zu heißen! Am Erntedankfest – lange ist es noch nicht her – haben manche Gemeinden nicht Erntegaben auf und an den Altar gelegt, sondern Kleidungsstücke, Lebensmittel, Spielzeug – für die, die neu zu uns gekommen sind. Mancher Altar hätte platzen können! Von hier geht Hoffnung aus – klein, gewiss, aber unübersehbar. An diesem Ort feiern wir auch das Abendmahl. Wir hören die Einsetzungsworte, wir teilen Brot und Wein. „Für dich gegeben“.
Dem Evangelium wird nachgesagt, eine Option für die Armen zu haben. Eine Option? Wenn Jesus von dem großen Weltgericht erzählt, erzählt er nicht von einer Option - er stellt die Welt nicht nur auf den Kopf, er gibt ihr ein Herz. Ab jetzt werden wir unsere Blicke, unsere Denkansätze, unsere Hoffnungen neu ausrichten müssen. Auf die Verwandtschaft Jesu, auf seine geringsten Brüder und Schwestern. Schwierig ist die Frage schon: Lässt sich "gering" steigern? Gering, geringer - am geringsten?
Ich möchte Jesus lieben. Ihm mein Herz, alles, öffnen. Ich möchte mich zu ihm ausstrecken. Aber ich kann ihn nicht in den Arm nehmen, ihn nicht streicheln: Jesus lieben heißt, ihn in seinen "geringsten Brüder und Schwestern" zu sehen. Aufzuheben. An den Tisch zu setzen. Das Leben, die Zukunft mit ihnen zu teilen. Das so vertraute, vielleicht sogar abgewetzte Evangelium, entpuppt sich in unserer Mitte als - Liebesgeschichte. Liebesgeschichten sind immer voller Überraschungen. Wer liebt, kann sich darüber freuen - wer nicht liebt, bekommt Angst.
Gottes Reich
Der Sonntag heute heißt „Volkstrauertag“. Über die Geschichte des Tages könnte ich viel erzählen, fürchte aber, schon genug geredet zu haben. Aber darf ich fragen: Worüber trauern wir? Unser Volk?
Trauern heißt nicht klagen, auch nicht Rechthaben wollen, schon gar nicht, über andere den Stab zu brechen. Trauern heißt auch nicht, in Sack und Asche zu gehen, mit gesenkten Häuptern und gesenkten Augenlidern. Trauern heißt, sich dem Schmerz zu stellen – und sich die Zeit zu geben, neu durchzustarten.
Ich gehe gerne ins Museum. In bunten Farben gemalt, ist selbst das große Weltgericht ein Kunstgenuss. Es gibt tolle Bilder von dem großen Weltgericht, eins gewaltiger als das andere! In den Farben des Lebens gemalt, ist das große Weltgericht eine Liebesgeschichte. Eine königliche! Wir schauen, rätseln, staunen. Es geht um Gottes Reich. Aber was sehen wir? Der Weltenrichter präsentiert uns: Hunger und Durst, Nacktheit, Obdachlosigkeit und Flucht, Krankheit und Gefangenschaft. Mehr noch: seine "geringsten Brüder und Schwestern".
"Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden von ihm zusammengerufen werden..."
Ist das Ende wirklich noch offen?
Übrigens: Ich bin nicht angeklagt und klage nicht an. Zeuge bin ich! Zeuge für die Wahrheit und das Leben. Damit ihr das nur wisst: Die Liebe vermag sogar, den Höllenschlund zu schließen. Auch wenn sich das wie eine Formel anhört: um Christi willen!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
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Die Menschheit hat den Verstand verloren! - Predigt zu Matthäus 25,31-46 von Elke Markmann
Die Menschheit hat den Verstand verloren!
„Die Menschheit hat den Verstand verloren!“ Unter diesem Titel sind in diesem Jahr die Tagebücher aus der Zeit des zweiten Weltkrieges von Astrid Lindgren in Deutschland erschienen. (2015 erschienen im Ullstein Buchverlag) Bevor die große schwedische Kinderbuchautorin mit Pippi Langstrumpf ihr erstes Kinderbuch schrieb, führte sie während der Kriegszeit von 1939 bis 1945 Tagebücher. Die sind erst jetzt von ihrer Tochter veröffentlicht worden.
Mit sehr feiner Beobachtungsgabe beschreibt Lindgren darin die Unmenschlichkeit des Krieges: Frauen und Kinder werden von Flugzeugen gejagt und erschossen. Unzählige Menschen leiden unter sinnloser Gewalt, die nur wenig mit den großen strategischen Zielen zu tun zu haben scheint.
Scheinbar hat die Menschheit immer wieder den Verstand verloren – auch heute, im Jahre 2015, ist es nicht anders. Menschen verfolgen einander, ermorden und vergewaltigen einander. Längst ist ein Krieg nicht mehr eine Auseinandersetzung zwischen bewaffneten Truppen, die speziell dazu ausgebildet werden – wenn er dieses überhaupt je war. Zivile Opfer gehören selbstverständlich zum Krieg dazu.
Wenn sich diese Menschen dann aus lauter Verzweiflung auf den Weg machen und eine neue Heimat suchen, in der sie leben und arbeiten – zumindest aber erst einmal überleben können, stehen sie vor verschlossenen Grenzen, in überfüllten kalten Zeltlagern, kommen auf überfüllten Booten um und lernen eine ganz neue Dimension des Grauens kennen. Nur wenige können in friedlichen Ländern Zuflucht finden.
Ungefähr 60 Mio Menschen sind weltweit auf der Flucht.
Dagegen steht dieser Predigttext:
(Text lesen)
Wo werden wir stehen? Wo stehen wir heute?
Klagen wir über die Überfremdung und die Bedrohung durch die Fremden?
Oder nehmen wir die Hungrigen und die ohne Dach über dem Kopf auf?
Es scheint so einfach zu sein! Warum streiten sich Menschen in Europa über den richtigen Weg?
Der Predigttext des heutigen Tages spricht von den selbstverständlichen Aufgaben der Nächstenliebe. Diese Selbstverständlichkeiten gelten in jeder Religion. Auch die Muslime und die Jüdinnen, die Buddhisten und die Hindu – alle leben nach diesen selbstverständlichen Grundwahrheiten: den Nächsten und die Nächste aufzunehmen, ihr zu essen und zu trinken und ihm Kleidung zu geben – es sind Selbstverständlichkeiten der reinen Menschlichkeit.
Durch diesen biblischen Text aus dem Matthäusevangelium wird die Selbstverständlichkeit zum Prüfstein des wahrhaft Gottes gläubigen Menschen. Denn obwohl diese Grundsätze in allen Religionen und Weltanschauungen Selbstverständlichkeiten sind, werden sie immer wieder missachtet. Immer wieder ist das eigene Wohlergehen wichtiger. Immer wieder siegen die Ängste über die Nächstenliebe.
Wir werden die Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen kaum verhindern können. Umso wichtiger ist es, an diesem Volkstrauertag auf diejenigen hinzuweisen, die Opfer von Gewalt, Krieg und Terror geworden sind. Umso wichtiger ist es, an diese Menschen zu denken und ihren Tod und ihr Leid zu beklagen!
Am Volkstrauertag werden in Deutschland seit 1922 die Menschen betrauert, die im Krieg gefallen sind. Auch mit diesem Tag und diesem Gedenken ist schlimme Politik betrieben worden. Oft genug war der Tag nicht einfach ein Tag des Gedenkens, sondern vor allem unter Hitler eher ein Tag der Heldenverehrung, mit dem junge Männer wieder in den Kampf geschickt wurden.
Darum geht es aber eben nicht! An diesem Tag, dem Volkstrauertag, denken wir an die Opfer der Kriege und der bewaffneten Auseinandersetzungen. Jeder Mann und jede Frau, jedes Kind, das in diesem Zusammenhang stirbt, ist ein Toter oder eine Tote zu viel. Jede Tote mahnt uns und erinnert uns an die Aufgabe, die Gott an uns stellt: „Du sollst Gott lieben und deine Nächsten. Sie sind wie Du!“
Wir werden die Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen kaum verhindern können.
Umso wichtiger ist es, das eigene Verhalten immer wieder zu überprüfen: Zu welcher Gruppe gehöre ich? Gebe ich den Hungrigen und Durstigen, denen ohne Heimat und ohne Kleidung, was sie brauchen? Besuche ich Menschen im Gefängnis oder in ihren heillosen Verstrickungen?
Wo stehe ich selbst?
So gerne würde ich sagen können, ich stehe auf Gottes rechter Seite. Tue ich das? Die Menschen im Predigttext wissen nichts davon, ob sie Hungrigen, Durstigen, Nackten oder Menschen ohne Obdach geholfen haben. Für die einen ist es eine solche Selbstverständlichkeit, dass sie es nicht wahrnehmen. Für die anderen ist es eine Haltung, von der sie meinen, sie würden danach leben. Dabei merken sie nicht, wie wenig sie sich danach richten. Sie sind blind für die Wirklichkeit geworden.
Am Ende der Tage wird es sich dann erweisen, wer sich an diese Grundregel des menschlichen Lebens gehalten hat, so schreibt der Evangelist Matthäus. Am Ende werden wir spüren, ob wir die Hungrigen und Durstigen gesehen haben.
Wollen wir so lange warten? Ist nicht heute schon jeder Hungrige einer zu viel?
Wir müssen gar nicht erst auf die großen Flüchtlingsströme durch Europa sehen. Auch direkt vor der Haustür, mitten in unserer Stadt, sehen wir Menschen, die um Kleidung, Nahrung, um Unterstützung bitten. Aber was machen wir mit den Bettlern, die uns um Hilfe anflehen? Was machen wir mit den Frauen und ihren Kindern, die in der Fußgängerzone um Unterstützung bitten?
Wir finden schnell Ausreden: Die werden ja nur von Schleppern ausgenutzt! Die könnten doch genug haben! Es gibt doch Hartz IV für alle, die nichts haben. Warum betteln sie dann?
Bei denen, die nach Deutschland und Europa kommen und ein Dach über dem Kopf suchen, ein Leben in Frieden – wir sehen sofort die Familienangehörigen, die auch noch kommen werden, die vielen Menschen, die versorgt sein wollen.
Unser Helfen ist oft durch Angst und Bedenken gelähmt. Lieber sollen andere helfen – ich lieber nicht!
Müssen wir dann noch rätseln, auf welcher Seite wir stehen werden, wenn eines Tages gerichtet wird?
1 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, … 34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.
Was dereinst sein wird, ist schon jetzt: Wer heute hilft, ist auf dem richtigen Weg, verwirklicht in dieser Welt Gottes gerechte Welt.
Was dereinst sein wird, ist schon jetzt: Wer heute Hilfe verweigert, hält die Welt als einen Ort der Ungerechtigkeit und Rücksichtslosigkeit lebendig.
„Die Menschheit hat den Verstand verloren!“ so kommentierte Astrid Lindgren das Gegeneinander der Menschen im zweiten Weltkrieg. Dagegen schrieb sie später an. Sie schuf mit ihren Kinderbüchern Vorbilder: Kinder, die selbstbewusst und selbstständig ihren Weg gehen wie Pippi Langstrumpf; Kinder, die selbstverständlich die Not sehen und den Armen zu essen geben, wie Michel aus Lönneberga, als er den Armen und Alten aus dem Armenhaus die Vorratskammer öffnete.
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Mehr Barmherzigkeit wagen - Predigt zu Matthäus 25,31-46 von Thomas Ammermann
MEHR BARMHERZIGKEIT WAGEN!
Liebe Gemeinde!
Heute ist Volkstrauertag. Im außerkirchlichen Raum ist dies - mit Schweigeminuten und politischen Symbolakten - vielerorts ein Tag nachdenklichen Rückblickens auf das, was hinter uns liegt – als Volk und als Einzelne, die mit seiner Geschichte verbunden sind. Und ein Tag des Besinnens im Dienst der Besonnenheit hinsichtlich dessen, was wir vorhaben, was heute für uns zu tun ansteht.
In dieser Predigt wollen und können wir nicht auf unsere deutsche Geschichte in der Vergangenheit eingehen – der Predigttext für den heutigen Sonntag bietet dafür auch nur wenig Ansatzmöglichkeiten -, uns wohl aber dem Nachsinnen darüber widmen, was wir als Christen in Gegenwart und Zukunft tun können und warum wir es versuchen sollten. Lassen Sie mich in diesem Sinne einmal beginnen, mit der Vorstellung von einer kleinen „Schweigerunde“ im Kreis der Jünger Jesu...
Nachdenklich sitzen die Gefährten am Lagerfeuer. Jeder brütet stumm vor sich hin. Mit einem Stock zeichnet Jesus wieder unverständliche Symbole in den Sand vor seinen Füßen – wie so oft schon zuvor. Petrus spuckt unablässig in die Flammen.
Ein schwerer Tag liegt hinter ihnen. Sie sind gewandert, haben den Armen das Evangelium gebracht, diskutiert mit den Klugen, gestritten mit zänkischen Ortsvorstehern, schlecht gegessen (vor allem zu wenig) sich auslachen und vertreiben lassen und und und ... Die Jünger sind erschöpft. Und jetzt ist da wieder das nagende Gefühl einer tiefen Sinnlosigkeit: Wozu das alles?! Will Gott das wirklich von uns? Wer sind wir denn, dass wir uns einbilden, wir könnten mit unserem Auftreten die Welt verändern, etwas bei den Menschen bewirken?! Wer ist dieser zerlumpte Zimmermann, der uns zu dem gemacht hat, was wir sind?! – Gottes Sohn? Wer ist dieser Gott? ...
Da, plötzlich, mitten hinein in das Schweigen der düsteren Runde, hebt Jesus den Blick, schaut seine Jünger direkt an und – als habe er ihre Gedanken gelesen – erklärt: “Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!”
Liebe Gemeinde!
Dieser Satz steht in der Bibel - Jesus Christus soll ihn gesagt haben. Gewiss kennen Sie alle diese Worte. Aber kennen Sie auch deren Bedeutung - ich meine: verstehen Sie, was das, diese Bitte, sich um Jesus willen für die Schwachen einzusetzen, für uns bedeutet?
“Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.” In dem Abschnitt der Bibel, zu dem dieser Satz gehört, stellt er so etwas wie eine Antwort dar, die Pointe, in der ein längerer Redegang über das Ende der Geschichte auf den Punkt gebracht wird. Hören Sie aus dem Evangelium nach Matthäus, Kapitel 25, die Verse 31 bis 46:
Vom Weltgericht
„Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.
Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?
Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.“
Liebe Gemeinde!
Dramatische Sätze sind das und anscheinend auch ziemlich unmissverständliche! Es geht um die sog. „Werke der Barmherzigkeit“: Hungrige speisen, Dürstende tränken, Fremde aufnehmen, Nackte kleiden, Kranke besuchen, Gefangene nicht allein lassen... Jene moralischen Leistungen also, die einen guten Menschen – biblisch gesprochen: „den Gerechten“ – ausmachen. Und es geht darum, was all jene zu erwarten haben, die sich in dieser Weise verhalten haben – oder auch nicht! Von einem Strafgericht am Ende der Zeiten ist die Rede, in dem ausgerechnet der zu Lebzeiten so barmherzige Jesus, auf einem Thron sitzend erscheinen soll wie ein römischer Imperator über dem Aufmarschfeld, um alle Völker vor sich zu versammeln, die Menschen spiegelbildlich rechts und links von sich selbst anzuordnen und gleich darauf zu Tausenden in sein Reich zu berufen bzw. ins ewige Feuer zu verbannen. (Zwischen diesen Alternativen ist offenbar nichts vorgesehen.) Und das alles nach Maßgabe ihrer jeweiligen moralischen Leistungen oder Verfehlungen...!?
„...Er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! ... Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!...“
Wie gesagt, eine höchst dramatische Szenerie das. Ganz großes Orchester! Im Hintergrund der Rede vermeint man schier schon das „dies irae“ apokalyptischer Fanfarenbläser zu vernehmen. Wenn Ihnen darüber ein wenig flau im Selbstwert-Zentrum wird, ist das sicher keine Schande. Mir geht es ebenso. Denn automatisch fragt sich ja ein jeder von uns, wo er oder sie am Ende denn wohl selbst zu stehen kommt: auf der rechten, oder doch eher der linken Seite? Bei den guten Schafen oder den garstigen Böcken? – Und wenn wir ehrlich sind, müsste die Antwort wohl lauten: irgendwo dazwischen. Mal mehr auf der einen, dann wieder auf der anderen Seite. Denn die Realität unseres Alltags in dieser Welt ist nicht digital und das Leben und Handeln der Menschen darin meist viel zu komplex, als dass es nach eindeutigen Kategorien als gerecht oder ungerecht, gut oder böse gekennzeichnet oder gar beurteilt werden könnte! Die buchstäblichen Grau-samkeiten, von denen die Erde leider so voll ist, verdanken sich nicht zuletzt jenen vielschichtigen Umständen, die im Rahmen eines einfachen Schwarz-Weiß-Schemas gewiss nicht zu erfassen sind. Denken Sie nur an die dieser Tage mehr oder weniger differenziert geführten politischen Auseinandersetzungen um das Für und Wider einer Reform des Asylrechts. Die meisten meinen es dabei sicher gut, aber hinsichtlich der Frage, was denn „gut“ und wer dessen würdig sei, gehen die Meinungen meist wieder auseinander. Und auch wir selbst – jeder Einzelne – denken sicher häufig mit echtem Mitgefühl an jene „Nächsten“, die da an den Grenzen und Bahnhöfen stehen, tun vielleicht auch das ein und andere zur Linderung ihrer Not (Kleiderspenden z.B.), doch wenn man es genau nimmt mit Jesu Anspruch „den Fremden“ aufzunehmen, könnte es viel mehr sein. Und auch wieder nicht, wenn man bedenkt, dass wir ja auch noch andere legitime Interessen, Sorgen und „Nächste“ haben, für die wir da sein wollen. Nicht zuletzt uns selbst. Am Ende bleibt oft nur ein schales Gefühl...
Was also soll das Ganze? Kann diese pompöse Gegenüberstellung von Guten und Bösen mit Christus als dem Richter und Imperator in der Mitte überhaupt mehr sein, als ein theatralisches Konstrukt aus der Gedankenschmiede vordemokratischer Verunsicherungs-Rhetorik? Und kann es bei uns mehr bewirken, als dass wir entweder an uns selbst oder an unserem Jesus-Bild zweifeln und natürlich erst recht nicht wissen, wie wir uns konkret verhalten sollen?
Ich glaube ja! Denn die ganze Inszenierung – wir können sie für Tatsache oder ein Fantasieprodukt des Matthäus halten - dient ja nur dazu, die überragende Bedeutung dessen zu unterstreichen, was die kirchliche Tradition als „Werke der Barmherzigkeit“ bezeichnet hat: Hungrige speisen, Dürstende tränken, Fremde aufnehmen, Nackte kleiden, Kranke besuchen, Gefangene nicht allein lassen! Jesus hat mit dieser beispielhaften und sicher mühelos zu verlängernden Aufzählung guter Werke nicht weniger, als die Forderung von Mitmenschlichkeit zur Chefsache gemacht: „...Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!...“ - Das ist schon stark! Diese uneingeschränkte Identifikation des Mächtigsten mit den Schwächsten, des Höchsten mit den Erniedrigten, der göttlichen Macht mit menschlicher Bedürftigkeit. Darum geht es und davon kann es natürlich keine Abstriche geben!
Entsprechend hat das Nichtbefolgen der einschlägigen Anweisung unseres Herrn und Königs logischerweise als Majestätsbeleidigung bzw. Gotteslästerung zu gelten – mit allen Konsequenzen. Aber nicht die Strafandrohung sollte dabei im Fokus unserer Aufmerksamkeit stehen – so wenig wie irgendein verheißener Lohn für die Rechtschaffenen -, sondern das ethische Konzept hinter all dem: Die Idee von der bishin zur Identifikation unverbrüchlichen Solidarität Jesu mit den Bedürftigen und darin der Nähe Gottes zu den Menschen!
„Was ihr jenen tut oder antut, das tut ihr an mir!, sagt Jesus Christus.
Lassen Sie uns noch einmal auf die von Matthäus so beschriebene „Aufmarsch-Szenerie“ eingehen. Zugegeben, sie ist konstruiert. Und stark vereinfachend – vielleicht sogar zu stark. Eine mythologische Endzeitvorstellung in der Bildsprache des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Nichts, was man wörtlich nehmen muss! In symbolischer Hinsicht kann sie uns dennoch hilfreich sein:
Ich erkenne darin gewissermaßen zwei Spiegelachsen, eine vertikale und eine horizontale, die, wenn man so will, ein Kreuz bilden. Den waagrechten Balken diese Kreuzes stellt die sehr plakative Anordnung der versammelten Völker in eine rechte und eine linke Gruppe dar – die „Schafe“ auf der einen und die „Böcke“ auf der anderen Seite. Diese Unterscheidung spiegelt, über die Figur des „gerechten Weltenrichters“ in der Mitte, so etwas wie die jeweiligen menschlichen Extremhaltungen in punkto moralischen Verhaltens – mitsamt deren Konsequenzen. An dieser Stelle, hatten wir bemerkt, packt uns Heutige gern mal ein unbehagliches Gefühl. Denn wie bei einem Blick in den Spiegel, in dem man, auch auf der anderen Seite, vor allem sich selber findet, ahnen wir, dass wir keineswegs sicher sein können, auf der „richtigen“ Seite zu stehen, auch dann nicht, wenn wir von uns selbst meinen, alles richtig zu machen. Entsprechend wehren wir uns (zu Recht!) gegen allzu eindeutige moralische Zuordnungen in „die Guten“ auf der einen und “die Bösen“ auf der anderen Seite. Um unserer selbst willen!
Aber es geht hier gar nicht um uns, so wenig wie um die, im Umfeld dieses Bibeltextes oft diskutierten „Zugangsbedingungen zum Himmelreich“, nach dem Motto: Nur wenn ihr „alles richtig“ macht, wird Gott euch nicht verstoßen...! All das wäre viel zu schematisch gedacht und in seiner beunruhigenden Konsequenz kontraproduktiv.
Es geht nicht um uns und unsere eigene (mögliche) Zukunft – zumindest nicht direkt -, sondern um Jesus. Darauf weist die zweite, die vertikale Spiegelachse unseres Textes, die in dem zentralen Vers (40) besteht in dem Jesus erklärt: “Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, DAS HABT IHR MIR GETAN!” Um diesen Vers dreht sich die ganze Szene. Oder besser: Um die Person Jesus Christus, der, nach Johannes 14, 6, von sich sagte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich!“
Mithin geht es um das, wofür Jesus zu Lebzeiten gestanden hat, um den Weg, den er so konsequent im Leben gegangen ist: Hungrige speisen, Dürstende tränken, Fremde aufnehmen, Nackte kleiden, Kranke besuchen, Gefangene nicht allein lassen... – kurz: Um die liebevolle Hinwendung zu den Schwachen, auch den „Schwachgewordenen“, den Sündern. Es geht um die Barmherzigkeit Jesu. Sie – und nicht die wilde Fantasie-Erscheinung eines rächenden Imperators – soll Orientierungspunkt und Maßstab unseres Verhaltens sein. Jesus ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ und sein Lebens-Weg ist Barmherzigkeit!
Die also sollen wir auch üben, ihm sollen wir nachfolgen, damit nicht am Ende die ganze Welt in jenem „Feuer“ untergeht, das, wie es heißt „bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“. Salopp gesagt: Damit wir nicht alle gemeinsam „in Teufels Küche“ landen! Denn vor Gott hocken wir ja gewissermaßen „im gleichen Topf“, keiner kann sich auf seine „guten Werke“, auf sein eigenes, vermeintliches Bessersein rausreden.
Deshalb die Botschaft der Stunde - Besinnung im Dienst der Besonnenheit zum Volkstrauertag: Sucht nicht euer eigenes Seelenheil, versucht nicht, auf die „rechte Seite“ zu kommen. Das gelingt ohnehin nicht, denn wie in einem Spiegel werdet ihr euch zugleich immer auch auf der anderen Seite finden – so ist halt die Welt! Sondern versucht, in allen, die euch begegnen, Jesus zu sehen und jenen einen wahren Weg zu gehen, auf dem er vorangeschritten ist. Das ist der Weg auf jene anderen zu, aus deren Antlitz uns der Herr entgegenblickt. Nur so kann Leben gelingen, gibt es eine Zukunft - für alle!
Und damit sind wir wieder bei den Jüngern, die, Sie erinnern sich, in unserer Eingangsvision schweigsam am Lagerfeuer saßen und sich, jeder für sich, fragten, welchen Sinn ihr Tun und Treiben in der Welt überhaupt hat. Ob sie sich damit auf dem richtigen Weg – oder überhaupt noch auf einem Weg – in die Zukunft befinden...
Ihr stummes Fragen „wozu das Ganze“ hat Jesus mit dem Hinweis beantwortet: „Ihr tut es für mich! Und damit zugleich für die Welt und euch selbst, für eure Zukunft auf und mit diesem Planeten. Denn“ - um noch einmal Johannes zu zitieren - „ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus. „Folgt mir einfach nach!“
Liebe Gemeinde, diese Botschaft, mitsamt der darin enthaltenen Verheißung, gilt auch für uns moderne „Jünger demokratischer Denkungsart in einer komplexen Welt“: Unser aller Zukunft auf dieser einen, doch allen gemeinsamen Erdkugel liegt im gelingenden Miteinander der verschiedenen Menschen, ihrer Ansichten und Wertvorstellungen. Für uns Christen soll Jesus die Mitte unserer Welt- und Selbstbesinnung sein. (Und das beileibe nicht bloß am besinnlichen „Volkstrauertag“.) An ihn, der „der Weg“ ist sollen wir uns halten, ihm sollen wir nachfolgen. Alles andere ist unnötiges Theater.
Konkret heißt das: Gebt nicht auf miteinander zu diskutieren, auch zu streiten, um den „rechten Weg“, die angemessene Form, in der wir „das Richtige“ (oder was wir gerade dafür halten) wagen sollen! Denn „der rechte Weg“ ist der der Auseinandersetzung. Unseres Engagements! Wo dies in Jesu Namen geschieht, ist es Nachfolge!
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus. Niemand, der diesen Weg ernsthaft zu gehen wagt, kann von Gott verworfen werden, egal, was er ansonsten auch „verbockt“ haben mag. - Jesu Verheißung für eine offene Zukunft im Antlitz Gottes!
AMEN
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KONFI-IMPULS zu Matthäus 25,1-13 von Thomas Ebinger
Der Ewigkeitssonntag wird meist genutzt, um die Verstorbenen des vergangenen Kirchenjahres zu verlesen. Er ist von daher ein sensibel zu gestaltender Gottesdienst, in dem die Gefühle der häufig anwesenden trauernden Angehörigen nicht strapaziert oder gar verletzt werden sollten. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb machen viele Gemeinden gute Erfahrungen damit, dass Konfis diesen Sonntag mitgestalten, etwa indem sie die Kerzen für die Verstorbenen anzünden oder sogar die Namen verlesen. So kann dieser Sonntag eine besondere Lernerfahrung im Umgang mit Tod und Trauer zwischen den Generationen werden.
Der Predigttext – am besten in der Version der Basisbibel oder sogar in leichter Sprache – mit dem Gleichnis von den Zehn Brautjungfern ist anstößig und inspirierend zugleich. Für Konfis stellt sich unmittelbar die Fragen: Warum sind die „klugen“ Brautjungfern so egoistisch und so wenig hilfsbereit? Warum ist der Bräutigam so hartherzig und lässt die dummen Brautjungfern nicht mehr mitfeiern? Wer ist eigentlich der Bräutigam? Gott oder Jesus (Menschensohn)?
Im Hintergrund des Textes steht ein deutlich anderes Gottesbild als das landläufige, gut reformatorische vom gnädigen, jederzeit vergebungsbereiten Gott. Matthäus hat dieses Gleichnis als Gerichts- und Wachsamkeitsgleichnis zugespitzt. Für ihn gibt es ein unkorrigierbares „zu spät“, zumindest wird ein möglicherweise versöhnlicher Ausgang einen Tag später nicht miterzählt. Diese Tendenz des Textes sollte aber nicht dazu führen, in der Predigt mit platten Gerichtsdrohungen angesichts der Wiederkunft Christi oder des Todes eines Menschen Druck auszuüben. Viel eher dient dieses Gleichnis als Aufforderung zur Wachsamkeit und Klugheit mitten im Leben angesichts der bevorstehenden „göttlichen Party“, die wie das Reich Gottes immer gleichzeitig diesseitig und jenseitig, gegenwärtig und zukünftig zu versehen ist. Wie viele Gleichnisse Jesu gibt es eine sperrige Seite in diesem Gleichnis, die herausfordert, den Punkt zu suchen der gemeint ist. Hermeneutisch ist vermutlich genau das gewollt: Das Gleichnis zu „entsperren“, umzuerzählen, um den Punkt zu finden, den Jesus seinen Hörer/innen ans Herz legen wollte.
Möglichkeiten der Gestaltung mit Konfis:
· Der Text kann leicht als Theaterstück inszeniert werden, dies setzt aber intensive Vorbereitung voraus. Als Textvorlage kann die Dialogbibel dienen (Download http://bit.ly/dialogbibel ).
· Konfis können versuchen, die Geschichte weiterzuerzählen, umzuerzählen, andere Schlüsse zu finden. Ein sehr gelungener Versuch von Birgit Mattausch findet sich hier: http://bit.ly/andersherum
· Konfis lesen den Predigttext ein zweites Mal in leichter Sprache, den es dank Kirchentag hier gibt: http://bit.ly/maedchenleicht. Klug und töricht werden dadurch gegen den Strich gebürstet: Klug sind nicht die, die brav, angepasst und gut organisiert sind, immer alle Sachen für die Schule dabei haben, sondern die, die versuchen zu verstehen, die langsam sind, die sich mit ihren Verstehensmöglichkeiten geduldig Gottes Wort annähern. Ein Weheruf gegen die neunmalklugen Besserwissertypen ist sicher genauso im Sinne Jesu wie sein Loblied auf die geduldigen und gut vorbereitenden Brautjungfern.
· Konfis sammeln in einem Schreibgespräch Aussagen zum Thema: „Wie verhalte ich mich im Leben klug?“ „Wie verhalte ich mich im Glauben klug?“. Diese können von ihnen vorgetragen oder in der Predigt zitiert werden.
· Liedvorschlag: Bis ans Ende der Welt (NL 6)
Ein Tipp zum Schluss: Die exegetische Skizze für die Bibelarbeit beim Kirchentag ist ebenfalls online zu finden (http://bit.ly/dektexegese) und enthält einen anregenden Versuch, der Bedeutung des Gleichnisses näher zu kommen.
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Predigt zu Matthäus 5,1-10 von Dieter Splinter
1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
I.
Liebe Gemeinde!
Die Gegenwart zählt. Jesus sagt: „Selig sind...“. Er könnte auch sagen: „Selig werden sein...“. Doch er tut das nicht. Er preist die selig, die vor Gott arm sind. Er preist die selig, die Leid tragen. Er preist die Sanftmütigen selig – und die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit und um ihretwillen verfolgt werden. Er preist die selig, die barmherzig, reinen Herzens und friedfertig sind.
Wohl gibt es Folgesätze, die die Zukunft in den Blick nehmen: Denen, die vor Gott arm sind und um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, gehört das Himmelreich. Die Leidtragenden sollen getröstet werden. Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen. Die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit sollen satt werden. Die reinen Herzens sind, werden Gott schauen. Und die Friedfertigen, die, die Frieden stiften, werden Gottes Kinder heißen.
Ein Gegensatz tut sich auf. Er besteht zwischen dem „Schon“ und dem „Noch nicht“. Schon sind etwa die selig, die Leid tragen – aber sie werden erst noch getröstet werden. Schon sind etwa die selig, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, aber sie werden erst noch satt werden.
Der Gegensatz zwischen dem „Schon selig“ aber „es ist noch nicht vollendet“ wird ganz klar, wenn man sich deutlich macht, was das Wort „selig“ meint. Es bedeutet Glück, Segen und Heil in Fülle zu haben. Wer all das hat, ist „glückselig“. Wie aber kann man etwa jemanden, der leidet, „glücklich“ oder gar „glückselig“ preisen? Wie soll man dann umgehen mit dem Gegensatz zwischen dem „Selig sind...“ und dem „Noch nicht“ des von Jesu verheißenen zukünftigen Zustandes?
II.
Morgen begehen unsere katholischen Schwestern und Brüder Allerheiligen. Sie erinnern damit an jene, die ein besonders gottesfürchtiges Leben gelebt und sich so vor Gott (etwa durch ihr Martyrium) besondere Verdienste erworben haben. Große Bedeutung haben dabei die beiden Verse gewonnen, die Matthäus nach den ursprünglichen Seligpreisungen als Worte Jesu überliefert: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden.“
An Allerheiligen werden morgen in den Gottesdiensten der katholischen Kirche als Evangeliumslesung die Seligpreisungen Jesu gelesen werden. Das war schon zu Luthers Zeiten und davor so. Mit der Lesung der Seligpreisungen in den katholischen Gottesdiensten an Allerheiligen wird gesagt: Im Himmel wird der Gegensatz von „Schon“ und „Noch nicht“ aufgehoben sein. Das wird daran deutlich, dass der Papst jemanden, der sich besondere Verdienste vor Gott erworben hat, zuerst selig und dann heilig sprechen kann. Wir stehen alle gleichsam am Fuß einer Leiter. Die, die selig und heilig gesprochen worden sind, haben die Leiter schon erklommen. Sie sind schon im Himmel angekommen. Dort sind sie für uns, nach katholischem Verständnis, Fürsprecher und Vorbilder. Wir können es ihnen nachtun. Wenn wir etwa barmherzig sind, sind wir und werden wir erst recht im Himmel selig, weil wir dort Barmherzigkeit erlangen werden. Wenn wir friedfertig sind, sind wir selig – und werden erst recht im Himmel Gottes Kinder heißen.
Die katholische Lösung des Gegensatzes des „Schon“ und „Noch nicht“ besteht also darin, dass sie im Himmel endgültig aufgehoben werden. Wir gewinnen daran Anteil, wenn wir uns hier auf Erden entsprechend verhalten.
III.
Atheisten gehen mit diesem Gegensatz noch ganz anders um. Da es für sie keinen Gott gibt, erwarten sie alles vom Menschen. Er soll und muss selber dafür sorgen, dass er nach seiner Facon selig wird. Und da es für Atheisten keinen Himmel gibt, muss der Trost im Hier und Jetzt geschehen. Vertröstungen darf es nicht geben. Nicht der Sanftmütige besitzt das Erdreich, sondern der, der sein Schicksal selber in die Hand nimmt. Er muss selber dafür sorgen, dass er kein Leid zu tragen hat, dann braucht er auch nicht getröstet werden und ist so selig. Und wenn es Gerechtigkeit gibt, für die der Mensch selber gesorgt hat, braucht er auch nicht mehr nach ihr zu hungern und zu dürsten – und ist so selig!
IV.
Gibt es eine protestantische Antwort auf den Gegensatz von „Schon selig“ und der noch ausstehenden Vollendung? Ja, es gibt sie! Man bekommt sie, indem man allein auf die Heilige Schrift achtet. Diese Antwort findet sich heute in den Seligpreisungen. Sie besteht zunächst in einem schlichten Satz: Die Gegenwart zählt! Genauer: Die Gegenwart vor Gott zählt! Dabei kommt es auf das Miteinander von Glauben und Handeln an.
Gerade an den Seligpreisungen wird dieses enge Miteinander von Glauben und Handeln deutlich. Es sind insgesamt acht Seligpreisungen. Die ersten vier beziehen sich auf den Glauben, die zweiten vier auf das Handeln. Bei jenen, die sich auf den Glauben beziehen, ist vor allem die erste bedeutsam: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.“
Am Ende seines Lebens hat das Martin Luther für sich so übersetzt: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Was das für ihn bedeutet hat, habe ich in einer Auslegung zur Bergpredigt gefunden. Manches davon trifft vermutlich auch auf uns selber zu: „Mit leeren Händen stehe ich da, ganz unten, am Fuß der Leiter. Unfrieden gestiftet, Fehler gemacht, …. Sanftmut, Barmherzigkeit waren nicht gerade meine Stärke. Ein reines Herz? Manchmal musste ich mit dem Tintenfass werfen, um den Teufel daraus zu vertreiben... Alles, was dennoch gelang, war Geschenk.“[1]
Auch die Großen im Glauben sind nicht ohne Fehl und Tadel. Durch sein Handeln sichert man sich keinen Platz im Himmel. Das Urteil bleibt Gott überlassen. Auf dem Weg dorthin lässt Gott uns aber nicht allein. Vielmehr versorgt er uns mit Mut, Vertrauen und Zuversicht. Um noch einmal die bereits erwähnte Auslegung zur Bergpredigt zu zitieren:
„Nein – wir steigen nicht auf die Leiter. Aber er steigt herab und erzählt uns vom gelingenden Leben. Setzt die Bilder in Umlauf, malt sie bunt aus mit seinen Geschichten, führt sie uns vor … Und steht mit seinem Leben dafür ein als es ans Bezahlen geht. Als sie kommen und fordern: Nun zeige uns doch, was deine Bilder, deine Geschichten in Wahrheit wert sind!
Seitdem machen die Bilder gelingenden Lebens unter uns die Runde, zusammen mit den Geschichten, die ihnen Form und Farbe verleihen, entzünden immer wieder neu die Feuer göttlicher Liebe in unserer Mitte, die Feuer der Barmherzigkeit, der Sanftmut, der Friedfertigkeit, der Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach himmlischem Trost, nach Reinheit der Herzen.“[2]
V.
Hören wir auf die Bibel, machen Bilder gelingenden Lebens unter uns die Runde. Sehen und hören wir gegenwärtig auf die Nachrichten, machen ganz andere Bilder auf sich aufmerksam. Viele Menschen sind auf der Flucht. Vielen, besonders jenen, die aus Syrien geflohen sind, stehen Not und Elend ins Gesicht geschrieben. Sie tragen großes Leid. Unter jenen, die zu uns kommen, werden Sanftmütige sein – und weniger Sanftmütige, Friedfertige und weniger Friedfertige. Sicherlich hungern und dürsten viele, die zu uns kommen, nach mehr Gerechtigkeit. In ihrem Heimat ist sie ihnen abhanden gekommen, weil bei dem gottlosen Versuch, den Himmel auf Erden zu schaffen, die Hölle auf Erden herausgekommen ist.
Was ist zu tun? Vor Gott kommt es auf das Miteinander von Glauben und Handeln an. Dabei zählt die Gegenwart. „Selig sind...“ Jesus eröffnet die Bilder gelingenden Lebens gerade für jene, die in unseligen Zuständen leben. „Als er aber das Volk sah...“. So benennt Matthäus die ersten Adressaten der Bergpredigt Jesu. Unter ihnen befinden sich sicherlich solche, die bisher wenig oder kaum etwas von Jesus gehört haben – und von weither gekommen sind. Unter seinen Zuhörern sind aber auch seine Jünger. Also jene, die sich zu ihm halten und an ihm aus - und aufrichten. Sie wissen, was es heißt, barmherzig zu sein. Später aber, bei der Speisung der Fünftausend, wissen sie nicht, wie sie mit der Menschenmasse umgehen sollen. Beiden – dem Volk und den Jüngern Jesu – gelten gleichermaßen die Worte Jesu. Sie ermutigen zu einem gelingenden Leben - und könnten kaum aktueller sein:
3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Amen.
[1] Karl-Heinrich Bieritz: Predigtstudien für das Kirchenjahr 2002/2003, Perikopenreihe I – Zweiter Halbband, hrsg. von Volker Drehsen et al., Stuttgart 2001, S. 210
[2] A.a.O., S. 209f
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Predigt zu Matthäus 5,1-11 von Andreas Schwarz
Liebe Reformationsfestgemeinde,
wir feiern Reformation und freuen uns, dass etwas neu geworden ist.
Neu ist auch, etwas Altes neu zur Geltung zu bringen.
Mit Jesus Christus wird ein Mensch immer wieder Neues erleben können.
Menschen sind ihm auf den Berg gefolgt und haben neue Erfahrungen gemacht. Sie hatten schon Erfahrungen mit ihm und sollten noch größere machen - und wir mit ihnen. Jesus preist Menschen selig und wir erhalten eine Ahnung davon, wie es im Reich Gottes zugeht.
Jesus redet, Jesus handelt und wir erfahren etwas vom Reich Gottes.
Gerade vorher hatte Jesus Christus einen anderen Berg bestiegen, der war sehr hoch.
Ein merkwürdiger Bergführer zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und bot sie ihm an für den Preis eines Kniefalls.
Jesus Christus verweigerte den Preis.
Er rief armselige Fischer zu sich, um mit ihnen zu gewinnen, was er auf dem Gipfel ausgeschlagen hatte.
Mit ihnen zog er durch Galiläa, lehrte in den Synagogen, predigte das Evangelium vom Reich Gottes und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen im Volk.
Das war die Erfahrung, die die ersten Hörer der Bergpredigt mit Jesus Christus gemacht hatten.
Matthäus betont: Jesus Christus hat Macht, heilende Macht. Er hat als Arzt unvergleichlich gewirkt.
Kein Wunder, dass eine große Menge ihm nachlief.
Als er aber die Volksmenge sah, ging er auf einen Berg und setzte sich.
Auf einem sehr hohen Berg hatte ihm der Versucher die Reiche der Welt gezeigt. Jetzt wird keine Höhenangabe gemacht; dennoch: die, die ihm folgen, wird er auf eine Höhe ohnegleichen führen und ihnen ein anderes Reich zeigen.
Auf jenem Berg musste der Böse abtreten.
Auf dem Berg der Seligpreisungen aber treten nun die Jünger zu ihm - und das Volk ist auch nicht weit.
Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach.
Neues ist zu hören, etwas, das verändert, das die Welt auf den Kopf stellt. Denn er spricht von der Seligkeit.
Auf einem Berg hatte Gott vor Zeiten schon Mose die 10 Gebote gegeben; da hieß es: 'Du sollst '...'."
Jetzt verkündet Jesus Christus das Lebensgesetz seines Reiches. Da wird nicht gefordert, da wird angesagt; acht Mal 'selig sind‘.
Da kann man nur staunen. Der selber nichts hat, verfügt
über Himmel und Erde. Der selber keine Bleibe hat, verteilt
Landbesitz. Der ohne Stellung ist, weist den Platz im
Himmel an. Wir hören ihn reden.
Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.
- Selig sind, die mit leeren Händen dastehen und vor Gott nichts vorzuweisen haben;
die, über ihre Sünde weinen und unter Schuld zusammenzubrechen drohen
die unter hohen religiösen Forderungen leiden und ihnen nicht standhalten können,
die keinen Anlass sehen, auf ihren Glauben stolz zu sein -
selig sind sie;
- denn sie werden das Geschenk der Gnade erfahren,
Sie haben die Hände. frei für das, was Gott gibt und was sie selbst nicht zu leisten im Stande sind.
Selig sind, die. da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
- Selig sind die vom Leid Geschlagenen, die nachts weinen und nicht schlafen, denn sie werden Trost erfahren;
selig sind die Melancholischen, Depressiven, die ihren Stimmungen erliegen und sich fallen lassen, denn Gott wird ihnen Halt geben;
selig sind, die nicht aufhören können 'warum' zu fragen, die. eigenes oder fremdes Leid sprachlos macht; denn sie werden erfahren, dass Gott sie aufhebt und stark macht, dass Gott ihnen Geborgenheit schenkt.
Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die Macht und Gewalt nicht einsetzen, um sich durchzusetzen, die keine Macht haben, um andere unter Druck zu setzen oder zu erpressen;
selig sind, die die Liebe leben, auch wenn sie sich selbst, ihren Besitz und ihr Ansehen aufs Spiel setzen, denn damit wird die Herrschaft Gottes sichtbar;
selig sind, die sich auch durch Provokationen nicht von der Liebe abbringen lassen, denn ihnen wird Gott Gegenwart und Zukunft geben.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
- Selig sind, die in ihren Gebeten nicht aufhören, Gott um Gerechtigkeit zu bitten, die nicht aufhören, die Verantwortlichen zu Gerechtigkeit zu drängen, zu gerechter Rechtsprechung, zu gerechter Verteilung der Güter, zu gleichem Ansehen aller Personen - egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, Rasse oder Anschauung,
selig sind, die auf das Urteil Gottes und nicht der Menschen setzen, denn ihnen wird Gerechtigkeit geschenkt nach der Liebe Jesu Christi.
Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
- Selig sind, die verzeihen und vergeben können, deren Herz nicht hart wird, auch wenn andere an ihnen schuldig werden;
selig sind, die Tränen zulassen, die andere an ihrer Schulter weinen lassen und Tränen abwischen, die Verständnis und Annahme spüren lassen, denen das Heil und das Wohl anderer so wichtig ist, wie das eigene; die sich kümmern am solche, um die andere einen großen Bogen machen, denn sie werden die göttliche Barmherzigkeit erfahren, die den größten Sünder annimmt und dem Verachtetsten Wärme und Annahme schenkt.
Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
- Selig sind, die aufrichtig und ehrlich sind, bei denen Menschen wissen, woran sie sind, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen, die nicht heucheln und hinterhältig sind, die in empfindlicher Offenheit die Möglichkeit bieten, Schuld zu benennen und zu vergeben; die nicht freundlich lächeln und so tun, als sei alles in Ordnung, im Herzen aber voller Vorwürfe und Anklagen sind;
selig sind, deren Herz ungeteilt frei ist für Gottes Liebe und Güte, denn dann können sie Gottes Liebe und Güte auch erfahren.
Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
- Selig sind die, bei denen nicht das Recht des Stärkeren, das Faustrecht gilt - sei es in der Ehe, in der Familie, im Beruf, in der Politik; bei denen nicht das Gewohnheits- und Erbrecht gilt und Ansprüche das Leben bestimmen;
selig sind, die sich verlachen und verspotten lassen, wenn sie auf ihr Recht verzichten, weil Frieden mehr wert ist;
selig sind, die gegen Massenmeinung und Trend Brücken schlagen zu Unbequemen, Asylanten, Ausländern, Behinderten, Alten, Kranken; die Partei ergreifen im Namen des Friedens gegen Fremdes, gegen Hass und Egoismus, denn Jesus Christus hat den Frieden gebracht und wird ihn vollenden.
Selig sind, die um der .Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.
- Selig sind, die am eigenen Leib spüren, was Nachfolge Jesu Christi heißt, die den schwereren Weg nicht scheuen, weil auch er nicht den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist;
selig sind, die ihr Leben nicht vom Scheitern bedroht sehen, die nicht glauben, sie hätten aufs falsche Pferd gesetzt, wenn sie leidvolle Erfahrungen machen müssen, die sich von scheinbarem, aber letztlich vergänglichem und oberflächlichem Glück nicht blenden lassen, sondern unbeirrt in der Nachfolge bleiben, denn hinter Jesus Christus her geht es ins Leben der Auferstehung.
Es tut uns gut, wenn wir so angesprochen werden.
Gerade auch dann, wenn wir spüren, wir sind ganz oft eben nicht so, wie Jesus Christus sagt.
Aber wir hören zu, wenn er redet. Das ist sehr viel.
Er ist uns wichtig.
Wir sehnen uns danach, zu erleben, wie es im Reich Gottes zugeht.
Jesus sagt: das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Es ist da, wo Jesus Christus ist, wo er redet, wo er selig preist.
Und selig ist der, dessen Leben eine Gegenwart und eine Zukunft hat, weil Jesus Christus beides schenkt
Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Amen.
Link zur Online-Bibel
... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern - Predigt zu Matthäus 18,21-35 von Sven Evers
... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Liebe Gemeinde,
„Vergib uns unsere Schuld, die auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – so beten wir immer wieder mit dem Worten des Vaterunsers.
Wann ist Dir eigentlich zum letzten Mal vergeben worden? Als Du ein Wort gesagt, das einen anderen Menschen tief verletzt? Als Du ein – sogar ernstgemeintes – Versprechen nicht gehalten? Als Du ob mit oder ohne ausdrücklichem Willen Deinem Mitmenschen nicht hast widerfahren lassen, was ihm zugestanden hätte und was er mit gutem Recht von Dir erwartet?
Wann hast Du eigentlich zum letzten Mal vergeben? Dem, der Dich enttäuscht; der, die Dich verletzt oder dem, der Dich versetzt?
Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage Dir, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.
Schon die Frage ist falsch gestellt. Vergeben aus Berechnung? Wie oft vergibt denn Gott Dir? Hast Du das einmal nachgezählt? Sei ehrlich, Du darfst es für Dich selber im Stillen einmal überschlagen: Wie oft brauchst Du die Vergebung Gottes, der Dir sagt: Du hast eine zweite, eine dritte, eine x-te Chance. So oft bist Du gestolpert, so oft bist Du gefallen – so oft hast Du Deine Versprechen nicht gehalten – mir gegenüber nicht und Deinen Mitmenschen gegenüber nicht – ja, nicht einmal Dir selber gegenüber. Und immer und immer wieder neige ich mich Dir entgegen und vergebe Dir. Schenke Dir einen Neuanfang nach dem anderen, nagel Dich nicht fest auf Deine Fehler, sondern traue Dir Neues, traue Dir Veränderung zu.
Und Du? Willst Du für Dich behalten, was ich Dir an Chancen, an Anfängen, an Lebensräumen schenke, indem Du meinst, Deine Vergebung anderen gegenüber beschränken zu müssen? Glaubst Du, ich schenke Dir das Leben, damit Du es für Dich selbst behältst? Glaubst Du, ich bin gnädig Dir gegenüber, damit Du gegenüber anderen hartherzig bist? Glaubst Du, ich verschenke mich selbst an Dich, damit Du Dich im Kreisen um Dich selbst verlierst?
Und dann erzählt Jesus eine Geschichte. Ein Gleichnis. Eines, das wir in Zeiten gekaufter Weltmeisterschaften, überschuldeter Staaten und schon fast salonfähiger Korruption und dem, was wir „Ellenbogengesellschaft“ nennen, vielleicht fast noch besser verstehen können als die Menschen, die damals um Jesus versammelt saßen, als er es zum ersten Mal erzählte.
23Mit der Gottesherrschaft verhält es sich wie in der Geschichte von einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. 24Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. 25Da er's nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen. 26Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir's alles bezahlen. 27Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch.
Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht, der namenlose Knecht. Er könnte Deinen Namen tragen oder auch meinen – er mag männlich gewesen sein oder weiblich – ganz egal. Denn eigentlich, eigentlich geht es hier ja nicht nur ums Geld. Davon hatte der König genug. Und die Schulden, um die es hier geht: eine astronomische Summe – in heutige Zahlen umgerechnet angeblich 12,4 Milliarden Euro, haben schlaue Leute ausgerechnet. Machen wir uns gar nicht viele Gedanken darum, um was für eine Art von Knecht es sich hier handelt und wie es angehen konnte, dass er eine so astronomisch Hohe Schuldensumme anhäuft. Klar ist: Die kann er nicht bezahlen. Die kann er auch nicht bezahlen, wenn er Frau und Kinder und alles, was er hat, verkauft. Er sitzt ein für alle Mal in der Schuldenfalle – da hilft kein Berater, da hilft keine Umschuldung, da hilft auch kein Tricksen mehr – so kreativ kann man die Bücher gar nicht frisieren. Ein hoffnungsloser Fall.
Und der König? Er beschließt einen Schuldenschnitt, wie wir heutzutage sagen. Er erkennt die Hoffnungslosigkeit der Situation, er fängt nicht an zu rechnen, er schreibt keine Schuldenpläne – er handelt und: Vergibt im wahrsten Sinne des Wortes die Schuld. Von jetzt auf gleich ist der Knecht frei. Das Leben liegt wieder wie ein weißes Blatt Papier vor ihm. Er kann neu anfangen. Die Fesseln der Schuld(en) abgelegt, frei atmen, nicht gefangen in einer übermächtigen Vergangenheit. Neuanfang. Neue Perspektiven. Neue Möglichkeiten. Neues Leben.
Verwirrt und ungläubig und doch erleichtert und leicht wie schon lange nicht mehr, zieht er von dannen. Die Freude über das neu geschenkte Leben in seinem Gesicht – was wird er tun? Familie und Freunde zum Feiern einladen? Von der großen Güte und Barmherzigkeit des Königs erzählen? Die neu geschenkte Freiheit umsetzen in seinen Bezügen und schauen, wo auch dort neue Anfänge möglich sind?
28Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist! 29Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir's bezahlen. 30Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war.
Ist das denn die Möglichkeit? Hatte er nicht gerade noch.... Aber jetzt: heillose Gier macht sich in ihm breit. Alles hat er vom König erlassen bekommen. Alles hat er vom König geschenkt bekommen – aber alles ist nicht genug. Es muss mehr sein, immer mehr. Und so läuft er los und treibt ein, was er meint, bei anderen noch gut zu haben. Nix mit freudiger Weitergabe des Empfangenen. Nix mit dem Ergreifen des Lebens, das ihm gerade geschenkt. Sofort ist er wieder im alten Trott. Sofort schaut er nur auf sich selbst und bemerkt in diesem Kreisen um sich selbst gar nicht, dass er dabei ist, alles zu verspielen. Wie kann man nur so herzlos sein? Wie kann man nur so blind sein? Wie kann man nur so undankbar sein? Wie kann man nur..... Aber: Wie hättest Du Dich verhalten?
Und der König?
31Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte. 32Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast; 33hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? 34Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war.
Wer kann es dem König verdenken, dass er zornig wird. So war das nicht gedacht mit dem Schuldenerlass. So haben wir nicht gewettet! Ich habe Dir nicht das Leben geschenkt, damit Du es anderen nimmst. Ich habe Dir nicht die Luft zum atmen gegeben, damit Du anderen die Kehle zuschnürst! Du hast nichts verstanden von meinem Handeln. Du hast meine Vergebung nicht nur nicht verdient – denn das kannst Du ohnehin nicht – Du hast sie regelrecht verwirkt.
Ich habe Dir die Perspektive meiner Barmherzigkeit angeboten – Du bleibst bei Deiner Hartherzigkeit.
Ich habe Die Vergebung geschenkt – Du bleibst bei Deinem kalten Berechnen.
Wenn Du es nicht anders willst: Raus mit Dir, ab zu den Peinigern. Du wirst mir alles zurückzahlen – alles. Nicht weil ich es will, sondern weil Du mit Deinem Handeln selber gezeigt hast, dass Du es willst.
Und Jesus schließt:
35So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder.
Das, liebe Gemeinde, ist vielleicht das Entscheidende. Dem Knecht wird kein Unrecht getan mit dem Handeln des Königs. Er bekommt nur, was er ohnehin verdient hatte. Und weiter: Er bekommt nur, was er im Grunde selber für richtig hält, sonst hätte er ja seinen Mitknechten gegenüber anders verhalten. Man sollte nicht, wie in manchen Auslegungen zu dieser Geschichte immer wieder zu lesen, gleich davon sprechen, dass mit dem strafenden König hier ein Gottesbild eingeführt werde, das dem unseren nicht mehr entspricht. Immer wieder kommt es im Matthäusevangelium ja vor, dass Gleichnisse für den ein oder anderen in der Finsternis enden, wo „Heulen und Zähneklappern“ herrschen. Aber: Ist der König, ist Gott, hier ein so willkürlich strafenden Wesen, wie manche behaupten? Ich bin der Meinung, dass vielleicht sogar eher anders herum ein Schuh draus wird: Der König in dem Gleichnis Jesu ist kein willkürlicher Herrscher, sondern jemand, der das Handeln seiner Untergebenen ernst nimmt. Er wischt nicht über das Verhalten des Knechtes gegenüber seinen Kollegen hinweg mit einem „Ach, das hat der Kleine ja gar nicht so gemeint“, was nicht weniger als einer Entmündigung dieses Menschen gleichkäme. Er nimmt es ernst und sagt: Wenn Du, Knecht, Dir das Gesetz meiner Gnade und Barmherzigkeit nicht gefallen lassen willst, dann will ich Dich auch auch nicht darauf verpflichten; dann passe ich mich Deinem berechnenden, selbstbezogenen und gierigem Verhalten an. Nicht, indem ich willkürlich handle, sondern indem ich einfach nur Dir den Spiegel über Dein Tun vor Augen halte.
Von einer „brutalen Pädagogik“ eines richtenden Gottes, der Menschen nur eine einzige Chance gibt, kann ich in dieser Geschichte nichts finden. Und der Verweis auf das Gericht, der mit dem letzten Vers deutlich wird, lässt sich allein schon deshalb nicht weg interpretieren, weil er dafür im Matthäusevangelium zu häufig vorkommt. Vor allem lässt sich aber der Schluss des Gleichnisses nicht weginterpretieren, weil er nichts Anderes sagt als wir mit dem grundlegendsten Gebet unseres Glaubens Sonntag für Sonntag und wahrscheinlich noch sehr viel häufiger beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben.
Ja, unser Verhalten ist Folge des Handelns Gottes an uns – aber es ist auch wieder Voraussetzung für sein Handeln an uns. Wir können vergeben, weil wir Vergebung erfahren. Wir können lieben, weil wir geliebt werden. Wir können auf das verzichten, was uns zusteht, weil wir grundlos und umsonst geschenkt bekommen, was wir zum Leben brauchen und – Gott sei Dank! – vieles von dem, was wir „verdienen“ nicht bekommen. Aber wenn Gottes Handeln an uns keine Folge hat, wenn es nicht wächst in dem, was wir sind und sagen und tun – dann ist es nicht Gott, der auf einmal wieder willkürlich zu anderen Mitteln des Handelns uns gegenüber greift, sondern dann sind wir es selber, die wir letztlich Gott in unsere Maßstäbe hineinzwingen.
Nicht Willkür und Gericht predigt Jesus mit dem Gleichnis des „Schalksknechts“, sondern einzig gegen das, was Dietrich Bonhoeffer einmal zutreffend als „billige Gnade“ bezeichnet hat.
Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderten Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, dass die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist.
Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes.
Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nichts des Sünders. (Bonhoeffer, Nachfolge)
Und mal ehrlich: Welchen Sinn hätte denn das Gleichnis Jesu, wenn der König selbst am Ende noch einmal gesagt hätte: Macht nichts, Du weißt es eben nicht besser, es ist schon nicht so schlimm? Das wäre in der Tat billige Gnade, verschleuderte Liebe – Gnade, die nichts verändert und Liebe, die nichts bewirkt.
Eigentlich hatte Petrus nur eine kurze Frage gestellt: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal?
Jesus sprach zu ihm: Ich sage Dir, nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal. – Und er erzählt ein Gleichnis. Ob Petrus nun schlauer ist als vorher?
Ob wir nun schlauer sind als vorher? Wir können die Perspektive, die Jesus uns anbietet ausprobieren – gleich im Beten des Vaterunsers. Und dann nach dem Gottesdienst draußen, mitten in unserem Leben.
Amen.
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Predigt zu Matthäus 5,1-12 von Rainer Stahl
Liebe Schwestern und Brüder!
1.
Diese Predigt muss ich mit einem Eingeständnis beginnen: Bis heute habe ich nicht wirklich verstanden, wieso die Seligpreisungen, wie sie Matthäus in seinem Evangelium bietet, fast 500 Jahre nach der Reformation Evangeliumstext und auch Predigttext zum Reformationsfest sind. Hier werden doch gerade diejenige für „selig“ erklärt, also der besonderen Nähe Gottes versichert, die irdisch gesehen auf der Verlierer-Seite stehen –
„die da Leid tragen“,
„die Sanftmütigen“,
„die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit“,
„die Barmherzigen“,
„die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“!
Hätten Menschen solcher Schicksale erfolgreich die Reformation durchsetzen können? Ich denke, nicht. Da bedurfte es bedeutender Schicksalswendungen und Machtwendungen:
Erinnert Ihr Euch noch an den Film „Luther“ aus dem Jahr 2003, in dem Joseph Fiennes Martin Luther verkörperte, Sir Peter Ustinov Kurfürst Friedrich den Weisen und Uwe Ochsenknecht Papst Leo X.?
Eine der Schlussszenen zeigt Luther 1530 auf einer Wiese unterhalb der Veste Coburg, auf die Boten vom Reichstag von Augsburg wartend. Dann kommen diese Boten und berichten vom Ergebnis und dem öffentlichen und lauten Verlesen des Augsburger Bekenntnisses der evangelischen Reichsländer und Stadt-Territorien. Der erste Reiter hält in seiner Hand eine lange Stange, verankert in einer Tasche unterhalb seines Sattels, und an dieser Stange weht das große, bunte Tuch der Staatsfahne des Kurfürstentums Sachsen. Ohne staatlichen Schutz und staatliche Indienstnahme hätte die Reformation irdisch gesehen keine Zukunft gehabt…
Da fällt mir eine Situation aus meiner Zeit als Konfirmand ein. Ich stamme aus Meiningen in Südthüringen und bin dort groß geworden. Einmal habe ich meinen Pfarrer in der Konfirmandenstunde gefragt: „Warum sind die Menschen in Wolfmannshausen [einem kleinen Dorf südlich von Meiningen] mehrheitlich römisch-katholisch geblieben?“ Mein Pfarrer hat geantwortet: „Sie haben sich der Reformation nicht geöffnet.“ Das war natürlich nicht völlig falsch. Aber diese Antwort hat verdeckt, dass es, wenn ich recht informiert bin, handfeste und politische Gründe gab – genauso wie dafür, dass alle Menschen im Herzogtum Sachsen-Meiningen lutherisch waren: Wolfmannshausen gehörte eine lange Zeit zum Bistum Würzburg. Sein Landesherr war der Bischof von Würzburg und Herzog von Franken. Und dessen Untertanen mussten römisch-katholisch sein, wie eben die Untertanen der Meininger Herzöge evangelisch-lutherisch!
2.
Also: Unser Predigttext hält die Anfänge der refomatorischen Bewegungen wach – als noch kaum staatliche Förderung gegriffen hat, als das persönliche Risiko im Vordergrund stand. Diese Gegebenheit können wir gebündelt sehen in der Bekenntnissituation Luthers vor dem Reichstag in Worms am Abend des 18. April 1521. Die entscheidenden Sätze gebe ich nach einer Übersetzung ins Deutsche durch den kurfürstlich-sächsischen Sekretär Georg Spalatin, die heute im Staatsarchiv Weimar liegt:
„Weil denn Euer Kaiserliche Majestät und Gnaden eine schlichte Antwort begehren, so will ich diesermaßen eine unanstößige […] Antwort geben: Es sei denn, dass ich durch das Zeugnis der Schrift überwunden werde, oder aber durch helle Ursachen […] überwunden werde. Ich bin überwunden durch die Schriften, so von mir angeführt werden, und bin gefangen im Gewissen an dem Wort Gottes. Deshalb ich nichts widerrufen kann noch will, weil gegen das Gewissen zu handeln beschwerlich, unheilvoll und gefährlich ist. Gott helfe mir! Amen.“[1]
Diese Situation zeigt einen, der darauf vertraute, dass die „Sanftmütigen“ „selig“ sein und „das Erdreich besitzen“ werden, und zugleich, dass diejenigen, „die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden“, „das Himmelreich“ geschenkt bekommen werden.
Also: Unser Predigttext führt uns in die Spannung, dass wir wünschen, dass die von uns erkannte Wahrheit durchgesetzt werden kann, und dass wir zugleich auf alle äußeren Machtmittel verzichten und „nur“ – was heißt hier: „nur“? – auf die innere Kraft dieser Wahrheit setzen. So, und nur so, können wir der Reformation gedenken!
3.
Liebe Schwestern und Brüder!
Zwei Seligpreisungen greife ich noch besonders auf und versuche, Dimensionen dieser tiefen Wahrheit durchzubuchstabieren:
3.1.
Erst seit der deutschen Einheit habe ich Besuchsreisen nach Israel organisiert und geleitet. Von der DDR aus war das nicht möglich gewesen. Immer, wenn meine Gruppen auf dem „Berg der Seligpreisungen“ über dem See Genezareth waren – das ist ein Erinnerungsort, der aber sicher mit dem tatsächlichen Berg, auf dem Jesus eine Bergpredigt gehalten hat, nichts zu tun hat –, habe ich trotz dieser historischen Unsicherheit die Seligpreisungen verlesen. In einem Jahr bewusst die letzte betont zitiert:
„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.“
Denn damals war der frühere Thüringer Landesbischof Dr. Ingo Braecklein stark in die Kritik geraten, weil er während seiner Dienstzeit mit einem Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit kontinuierlich Gespräche geführt und über diese nicht berichtet hat. Das muss ich jetzt nicht deuten und bewerten. Interessant war aber, dass er seinen Nachfolger, Werner Leich, in diese Gesprächskontakte eingeführt hat. Werner Leich aber ist fundamental anders mit ihnen umgegangen: Er hat von jedem Gespräch eine Niederschrift angefertigt und diese auf dem normalen Dienstweg in die Sitzung des Landeskirchenrates geschickt. 1996 haben Uwe-Peter Heidingsfeld und Ulrich Schröter diese Gesprächsniederschriften und die entsprechenden Niederschriften des MfS-Mannes ediert und gemeinsam herausgegeben.[2] Ich hatte ihnen zum Beispiel bei einem Detail geholfen: Zweimal gibt es das Kürzel „not. Zw.“[3] Das bedeutete, dass der Verwaltungsdiakon Gerd Zweigle diese Niederschrift in Vorbereitung der Sitzung des Landeskirchenrates in der Hand und den Tagesordnungspunkt notiert hatte – zum Beispiel Anfang September 1981.
Hier haben Bruder Leich und Bruder Zweigle und andere Schwestern und Brüder damals in der Hoffnung gehandelt und sich verhalten, dass ihnen die Selig-Verheißung für „Friedfertige“ nicht vorenthalten werde und sie „Gottes Kinder heißen“ können.
3.2.
Und noch eine Seligpreisung: In meiner Kindheit in Meiningen sind wir häufig auf den Friedhof gegangen. Dort gab es das Grab einer meiner beiden Großmütter, der Mutter meines Vaters, die schon im Oktober 1945 gestorben war, und das Grab einer meiner Urgroßeltern, der Großeltern meiner Mutter, das ich oft als kleiner Junge behackt und begossen habe. Dieser Urgroßvater war Anfang 1908 gestorben, und meine Urgroßmutter hatte auf den Stein in goldenen Buchstaben einmeißeln lassen:
„Selig sind die reines Herzens sind.“
Den zweiten Teil dieser Seligpreisung – „denn sie werden Gott schauen“ – muss man kennen, um ihn ergänzen zu können. Mein Urgroßvater war königlich-preußischer Offizier, zuletzt Oberst, und Adjutant des Meininger Herzogs, übrigens des so berühmten Georg II., der im 19. Jahrhundert eine bedeutende Theaterreform organisiert hatte. Meine Großmutter, die Tochter des in Meiningen Beerdigten, hat einmal erzählt, dass sie 1902 zusammen mit ihren Eltern an der Hochzeit des Bruders ihrer Mutter in Essen teilgenommen und auf dem Weg eine Straße entlang Aggressivität seitens einiger Männer gegen ihren Vater erlebt hat, weil dieser in preußischer Gala-Uniform mit roten Generalsstreifen an der Hose entlang ging, die ihm als Adjutanten eines Reichsfürsten zustanden. – „… die reines Herzens sind“?
Der Bruder meiner Großmutter hat in seiner Familienchronik über seinen Vater geschrieben: „Dank seiner fröhlichen Natur war [er …] ein beliebter Gesellschafter, sein Weinkeller, mit Kennerschaft gepflegt und ergänzt, war einigermaßen bekannt. Umgekehrt, wie in seinem Elternhause, war bei uns der Vater das belebende Element in der Ehe und hat es immer verstanden, die oft ernste und sorgenvolle Mutter mit seinem angeborenen Frohsinn wieder heiter zu stimmen.“[4]
Ob diese Erfahrung für seine Witwe, meine Urgroßmutter, so prägend war, dass sie mit dazu geführt hat, dass sie unsere Seligpreisung ausgewählt hat?
4.
Hier sind wir im Zentrum des Reformationsgedenkens! Jetzt verstehen wir und verstehe ich, warum die Seligpreisungen ein guter Bibeltext zum Reformationsfest sind:
Damit wir – wie meine Urgroßmutter – die tiefe und vielleicht gar nicht so theologisch durchdachte Glaubenshoffnung aufbringen, dass sich uns Gott positiv zuwenden wird, sich uns positiv zuwendet!
Für Euch alle:
„Selig seid Ihr, die Ihr Euch ein reines Herz bewahrt habt, denn Ihr werdet Gott schauen.“
Und auch für mich:
„Selig bist Du, der Du Dir ein reines Herz bewahrt hast, denn Du wirst Gott schauen.“
Amen.
„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“
[1] Vgl.: Die Reformation in Dokumenten, hrg. von Hans Eberhardt und Horst Schlechte, Weimar 1967, S. 30 und 31. Der Text wurde bei Zuhilfenahme von Oskar Thulin: Martin Luther. Sein Leben in Bildern und Zeitdokumenten, Berlin 1963, S. 55, modernisiert. Das Autograph Spalatins scheint auf den ursprünglichen Wortlaut hinzuweisen: Also ohne: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“
[2] Uwe-Peter Heidingsfeld und Ulrich Schröter: „Meister“. Die MfS-Vorlaufakte des Thüringer Landesbischofs Werner Leich im Spiegel seiner Vermerke, idea-Dokumentation 15/96.
[3] A.a.O., S. 169 und 184.
[4] Georg von Kutzleben: Die von Kutzleben, Coburg 1954, S. 77.
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Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Georg Freuling
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich das erste Mal auf diese Worte Jesu gestoßen bin – oder genauer gesagt: gestoßen wurde. Das war vor 30 Jahren und kam so:
Ich besuchte im ersten Jahr den Konfirmandenunterricht. Es war im Winter. Der Schnee lag ziemlich hoch. Als ich nichts Böses ahnend auf den Platz vor dem Gemeindezentrum ankam, bekam ich als erstes einen Schneeball an den Kopf. Das war Dirk. Einer meiner Mitkonfirmanden. Ich kannte ihn von der Grundschule. Dirk war ein ganzes Stück kleiner und auch schwächer als ich, hatte aber trotzdem viel Mut und ein ziemlich großes Mundwerk. „Na warte,“ dachte ich mir, verfolgte Dirk, kriegte ihn zu packen und beförderte ihn erst einmal in einen Schneehaufen, wo ich mich auf ihn setze und ihm eine ordentliche Ladung Schnee in den Kragen stopfte.
Lange kann es nicht gedauert haben. Bald schon zog mich jemand unsanft am Kragen und zerrte mich von Dirk herunter. Das war unser Pfarrer. Und dann setzte es eine Standpauke: „Was fällt dir ein? Was machst du mit Dirk, der kleiner und schwächer ist als du?“ Natürlich habe ich mich verteidigt. „Dirk hat angefangen. Er hat mir einen Schneeball an den Kopf geworfen,“ habe ich unserem Pfarrer erklärt. Das konnte ich mir doch nicht gefallen lassen!? Dirk stand daneben, schüttelte sich den Schnee aus den Klamotten und sagte dann: „Na und? Jesus hat doch gesagt: 'Wenn Dir jemand auf die linke Backe schlägt, dem sollst du auch die rechte hin halten!'“ Unser Pfarrer war begeistert: „Das hast du dir aber gut gemerkt, Dirk. Du hast etwas im Konfirmandenunterricht gelernt. Und du, Georg, solltest dir das zum Vorbild nehmen!“
Mir hat es damals die Sprache verschlagen. Ich habe gar nichts gesagt, war aber nicht einsichtig, sondern stinksauer. Das können Sie, das könnt Ihr Euch bestimmt gut vorstellen.
Muss man sich etwa alles gefallen lassen? Darf ich mich nicht wehren? Und: Ist das nicht ungerecht? Diese Fragen haben mich noch eine ganze Zeit lang beschäftigt. Jesus und diese Geschichte mit der linken und der rechten Wange kamen mir ganz schön weltfremd vor.
Wahrscheinlich denken das viele, wenn sie diese Worte Jesu aus der Bergpredigt hören:
Ich kann doch nicht dem, der mich schlägt, auch noch die andere Wange hinhalten. Das bringt doch einen Schläger nicht dazu, dass er aufhört!? Ich kann doch nicht einfach auf mein gutes Recht verzichten und fünf gerade sein lassen. Wo komme ich dann hin!? Und meinen Feind lieben – geht das überhaupt? Vielleicht reicht schon Zurückhaltung, Mäßigung, ein Waffenstillstand. Das klingt vernünftig. Aber Liebe – das ist doch wohl etwas zu viel verlangt!?
Nein, sie passen auf den ersten Blick nicht in unsere Welt, diese Vorschläge Jesu. Und wahrscheinlich haben Menschen zu allen Zeiten das schon gedacht. Schon vor 2000 Jahren in der Zeit, in der Jesus lebte. Hinter den Worten stecken konkrete Erfahrungen: „Wenn jemand dich zwingt, eine Meile mit dir zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“ - Damals konnten römische Soldaten als Besatzer jeden harmlosen Passanten zwingen, sie zu begleiten, wenn sie zum Beispiel Unterstützung bei Transporten brauchten. Das mussten sich die Menschen gefallen lassen – oft mit der geballten Faust in der Tasche. Und Jesus? Er empfiehlt, freiwillig noch eine weitere Meile mitzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass sich damals schon einige seiner Zuhörerinnen und Zuhörer gehörig gewundert haben, dass sie gedacht haben: „Das meinst du doch nicht ernst!“
Sie klingen auch nicht vernünftig, diese Vorschläge der Bergpredigt: Ist es etwa richtig, dem Bösen nicht zu widerstehen? Darauf läuft ja alles hinaus. Und das wird manchmal übersehen:
Manche sehen hier eine Anleitung zum gewaltlosen Widerstand. Es gibt Situationen, in denen bringt es nichts, sich offen zu wehren und zu widersetzen. Dann ist Gewaltlosigkeit und Erdulden des Bösen die bessere Option. Das kann dazu führen, dass der andere sich ändert. Das hilft uns Menschen, diese Welt zum Besseren zu verändern.
Diese Form von Widerstand kann tatsächlich vernünftig sein. Aber ist es das, worauf Jesus hier hinaus will? Ich denke: Nein, denn hier ist nicht davon die Rede, dass ein Schläger sich beschämt abwendet und ändert, wenn er nach einer Ohrfeige direkt die andere Wange hingehalten bekommt. Keine Rede auch davon, dass ein Mensch, der auf sein gutes Recht verzichtet, diese Welt zum Besseren verändert. Im Gegenteil: „Ihr sollte dem Bösen nicht widerstehen!“ Aber: Wo kommen wir dahin, wenn wir Menschen uns nicht wehren, wenn es drauf ankommt? Wo kommen wir hin, wenn sich niemand mehr dem Bösen in den Weg stellt?
Aber was mache ich dann mit diesen Worten Jesu?
Auf den ersten Blick passen diese Vorschläge nicht in unsere Welt. Bei genauerem Hinsehen sind sie aber schon Realität, Teil dieser Welt. Auch wenn ich nicht so lebe, auch wenn ich es gar nicht schaffe, einer hat so gelebt: Jesus selbst.
Ich muss dabei an unseren Konfirmandenunterricht in diesem Jahr vor den Herbstferien denken. Jesus war das Thema der letzten Wochen. Wir haben dazu einen Film über das Leben Jesu gesehen. Eine Frage, die uns danach beschäftigt hat, war diese: Jesus wusste, was ihn in Jerusalem erwartete. - Warum hat er sich dem ausgesetzt? Warum hat er sich vor Pilatus nicht verteidigt? Warum hat er nicht auf seine Unschuld bestanden? Warum hat er sich schlagen lassen? All das hat Jesus nicht getan. Er hat sich dem Bösen nicht widersetzt, sondern sich ihm ganz und gar ausgeliefert.
Der Jesus der Bergpredigt erduldet später in Jerusalem selbst das Böse: Er hat sich nicht gewehrt. Er hat seinen Jüngern befohlen, nicht zum Schwert zu greifen, als man ihn verhaftete. Er hat für seine Henker gebetet. Und er hat damit gezeigt, wie Gott selbst zu dieser Welt steht: Gott erträgt uns Menschen mit dem, was wir Böses tun. „Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Gott steht dieser Welt nicht ohnmächtig oder hilflos gegenüber. Er ist auch nicht gleichgültig angesichts von Bosheit und Ungerechtigkeit. Es gibt nur einen Grund, warum er dieser Welt so begegnet: Liebe. Es ist Liebe, in der Gott diese Welt erträgt. Und diese Liebe ist so abgrundtief, dass sie unsere menschlichen Abgründe fassen kann. Sie hält selbst Bosheit und Ungerechtigkeit stand, lässt sich nicht dadurch beirren.
Ich glaube: So begegnet Gott seiner Welt. So begegnet er uns Menschen, die ihn links liegen lassen und ihn einen guten Mann sein lassen, die wir seine Schöpfung zu Grunde richten und vor allem an uns selbst denken. Und ich glaube: Ohne diese abgrundtiefe Liebe Gottes hätten wir Menschen diese Welt und uns selbst längst schon zugrunde gerichtet.
Jesus gibt dieser Liebe Gottes ein Gesicht, indem er sich ganz in diese Welt hineingibt, sich ihr ausliefert. Er tritt selbst dafür ein. Und wenn das so ist, dann ist das die stärkste Realität, die es geben kann: Gott selbst!
Trotzdem ist da auch die Forderung: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“
Ich weiß: Das bin ich nicht. So lebe ich nicht. Ich schaffe es nicht, meine Feinde zu lieben. Und oft genug sehe ich es auch gar nicht ein! Wenn mir jemand dumm kommt, kann der doch keine Freundlichkeit meinerseits erwarten!? Da bin ich heute noch oft genug so wie damals als Konfirmand. - Ich muss mir schließlich nicht alles gefallen lassen. Und wo komme ich denn da auch hin? Und genau diese Frage kann ich auch anders stellen: Wo kommen wir Menschen hin, wenn wir nur auf unser gutes Recht bestehen und trotzdem die meisten auf dieser Welt zu kurz kommen? Wo kommen wir hin, wenn die Schubladen gut und böse, Freund und Feind gut sortiert und fest geschlossen bleiben? Wo kommen wir hin, wenn wir Menschen Gewalt gegen Gewalt setzen?
Ich bin überzeugt: Menschen, die an Gottes Liebe glauben, lässt diese Liebe nicht kalt. Die eifern dem nach, wollen zeigen, dass sie zu diesem Gott gehören, seines Geistes Kinder sind. Die lassen sich vom Unzumutbaren irritieren. Die lassen sich zum Unzumutbaren provozieren. Und ob es dann letzten Endes wirklich so unvernünftig ist?
Einfach ist es nicht, einmal nicht vom Gegebenen auszugehen, die eigenen Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Doch bei näherem Hinsehen denke ich: Genau das brauchen wir! Amen.