Predigt zu Matthäus 5,1-10 von Dieter Splinter

Predigt zu Matthäus 5,1-10 von Dieter Splinter
5,1-10

1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
 
I.

Liebe Gemeinde!

Die Gegenwart zählt. Jesus sagt: „Selig sind...“. Er könnte auch sagen: „Selig werden sein...“. Doch er tut das nicht. Er preist die selig, die vor Gott arm sind. Er preist die selig, die Leid tragen. Er preist die Sanftmütigen selig – und die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit und um ihretwillen verfolgt werden. Er preist die selig, die barmherzig, reinen Herzens und friedfertig sind.

Wohl gibt es Folgesätze, die die Zukunft in den Blick nehmen: Denen, die vor Gott arm sind und um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, gehört das Himmelreich. Die Leidtragenden sollen getröstet werden. Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen. Die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit sollen satt werden. Die reinen Herzens sind, werden Gott schauen. Und die Friedfertigen, die, die Frieden stiften, werden Gottes Kinder heißen.

Ein Gegensatz tut sich auf. Er besteht zwischen dem „Schon“ und dem „Noch nicht“. Schon sind etwa die selig, die Leid tragen – aber sie werden erst noch getröstet werden. Schon sind etwa die selig, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, aber sie werden erst noch satt werden.

Der Gegensatz zwischen dem „Schon selig“ aber „es ist noch nicht vollendet“ wird ganz klar, wenn man sich deutlich macht, was das Wort „selig“ meint.  Es bedeutet Glück, Segen und Heil in Fülle zu haben.  Wer all das hat, ist „glückselig“. Wie aber kann man etwa jemanden, der leidet, „glücklich“ oder gar „glückselig“ preisen? Wie soll man dann umgehen mit dem Gegensatz zwischen dem „Selig sind...“ und dem „Noch nicht“ des von Jesu verheißenen zukünftigen Zustandes?

II.

Morgen begehen unsere katholischen Schwestern und Brüder Allerheiligen. Sie erinnern damit an jene, die ein besonders gottesfürchtiges Leben gelebt und sich so vor Gott (etwa durch ihr Martyrium) besondere Verdienste erworben haben. Große Bedeutung haben dabei die beiden Verse gewonnen, die Matthäus nach den ursprünglichen Seligpreisungen als Worte Jesu überliefert: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden.“

An Allerheiligen werden morgen in den Gottesdiensten der katholischen Kirche als Evangeliumslesung die Seligpreisungen Jesu gelesen werden. Das war schon zu Luthers Zeiten und davor so. Mit der Lesung der Seligpreisungen in den katholischen Gottesdiensten an Allerheiligen wird gesagt: Im Himmel wird der Gegensatz von „Schon“ und „Noch nicht“ aufgehoben sein. Das wird daran deutlich, dass der Papst jemanden, der sich besondere Verdienste vor Gott erworben hat, zuerst selig und dann heilig sprechen kann. Wir stehen alle gleichsam am Fuß einer Leiter. Die, die selig und heilig gesprochen worden sind, haben die Leiter schon erklommen. Sie sind schon im Himmel angekommen. Dort sind sie für uns, nach katholischem Verständnis, Fürsprecher und Vorbilder. Wir können es ihnen nachtun. Wenn wir etwa barmherzig sind, sind wir und werden wir erst recht im Himmel selig, weil wir dort Barmherzigkeit erlangen werden. Wenn wir friedfertig sind, sind wir selig – und werden erst recht im Himmel Gottes Kinder heißen.

Die katholische Lösung des Gegensatzes des „Schon“ und „Noch nicht“ besteht also darin, dass sie im Himmel endgültig aufgehoben werden. Wir gewinnen daran Anteil, wenn wir uns hier auf Erden entsprechend verhalten.

III.

Atheisten gehen mit diesem Gegensatz noch ganz anders um. Da es für sie keinen Gott gibt, erwarten sie alles vom Menschen. Er soll und muss selber dafür sorgen, dass er nach seiner Facon selig wird. Und da es für Atheisten keinen Himmel gibt, muss der Trost im Hier und Jetzt geschehen. Vertröstungen darf es nicht geben.  Nicht der Sanftmütige besitzt das Erdreich, sondern der, der sein Schicksal selber in die Hand nimmt. Er muss selber dafür sorgen, dass er kein Leid zu tragen hat, dann braucht er auch nicht getröstet werden und ist so selig. Und wenn es Gerechtigkeit gibt, für die der Mensch selber gesorgt hat, braucht er auch nicht mehr nach ihr zu hungern und zu dürsten – und ist so selig!

IV.

Gibt es eine protestantische Antwort auf den Gegensatz von „Schon selig“ und der noch ausstehenden Vollendung? Ja, es gibt sie! Man bekommt sie, indem man allein auf die Heilige Schrift achtet. Diese Antwort findet sich heute in den Seligpreisungen. Sie besteht zunächst in einem schlichten Satz: Die Gegenwart zählt! Genauer: Die Gegenwart vor Gott zählt! Dabei kommt es auf das Miteinander von Glauben und Handeln an.

Gerade an den Seligpreisungen wird dieses enge Miteinander von Glauben und Handeln deutlich. Es sind insgesamt acht Seligpreisungen. Die ersten vier beziehen sich auf den Glauben, die zweiten vier auf das Handeln. Bei jenen, die sich auf den Glauben beziehen, ist vor allem die erste bedeutsam: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.“

Am Ende seines Lebens hat das Martin Luther für sich so übersetzt: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Was das für ihn bedeutet hat, habe ich in einer Auslegung zur Bergpredigt gefunden. Manches davon trifft vermutlich auch auf uns selber zu: „Mit leeren Händen stehe ich da, ganz unten, am Fuß der  Leiter. Unfrieden gestiftet, Fehler gemacht, …. Sanftmut, Barmherzigkeit waren nicht gerade meine Stärke. Ein reines Herz? Manchmal musste ich mit dem Tintenfass werfen, um den Teufel daraus zu vertreiben... Alles, was dennoch gelang, war Geschenk.“[1]

Auch die Großen im Glauben sind nicht ohne Fehl und Tadel.  Durch sein Handeln sichert man sich keinen Platz im Himmel. Das Urteil bleibt Gott überlassen. Auf dem Weg dorthin lässt Gott uns aber nicht allein. Vielmehr versorgt er uns mit Mut, Vertrauen und Zuversicht. Um noch einmal die bereits erwähnte Auslegung zur Bergpredigt zu zitieren:

„Nein – wir steigen nicht auf die Leiter. Aber er steigt herab und erzählt uns vom gelingenden Leben. Setzt die Bilder in Umlauf, malt sie bunt aus mit seinen Geschichten, führt sie uns vor … Und steht mit seinem Leben dafür ein als es ans Bezahlen geht. Als sie kommen und fordern: Nun zeige uns doch, was deine Bilder, deine Geschichten in Wahrheit wert sind!

Seitdem machen die Bilder gelingenden Lebens unter uns die Runde, zusammen mit den Geschichten, die ihnen Form und Farbe verleihen, entzünden immer wieder neu die Feuer göttlicher Liebe in unserer Mitte, die Feuer der Barmherzigkeit, der Sanftmut, der Friedfertigkeit, der Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach himmlischem Trost, nach Reinheit der Herzen.“[2]

V.

Hören wir auf die Bibel, machen Bilder gelingenden Lebens unter uns die Runde. Sehen und hören wir gegenwärtig auf die Nachrichten, machen ganz andere Bilder auf sich aufmerksam. Viele Menschen sind auf der Flucht. Vielen, besonders jenen, die aus Syrien geflohen sind, stehen Not und Elend ins Gesicht geschrieben. Sie tragen großes Leid. Unter jenen, die zu uns kommen, werden Sanftmütige sein – und weniger Sanftmütige, Friedfertige und weniger Friedfertige. Sicherlich hungern und dürsten viele, die zu uns kommen,  nach mehr Gerechtigkeit. In ihrem Heimat ist sie ihnen abhanden gekommen, weil bei dem gottlosen Versuch, den Himmel auf Erden zu schaffen, die Hölle auf Erden herausgekommen ist.

Was ist zu tun? Vor Gott kommt es auf das Miteinander von Glauben und Handeln an. Dabei zählt die Gegenwart. „Selig sind...“ Jesus eröffnet die Bilder gelingenden Lebens gerade für jene, die in unseligen Zuständen leben.  „Als er aber das Volk sah...“. So benennt Matthäus die ersten Adressaten der Bergpredigt Jesu. Unter ihnen befinden sich sicherlich solche, die bisher wenig oder kaum etwas von Jesus gehört haben – und von weither gekommen sind. Unter seinen Zuhörern sind aber auch seine Jünger. Also jene, die sich zu ihm halten und an ihm aus - und aufrichten. Sie wissen, was es heißt, barmherzig zu sein. Später aber, bei der Speisung der Fünftausend, wissen sie nicht, wie sie mit der Menschenmasse umgehen sollen.  Beiden – dem Volk und den Jüngern Jesu – gelten gleichermaßen die Worte Jesu. Sie ermutigen zu einem gelingenden Leben - und könnten kaum aktueller sein:

3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Amen.
 


[1]          Karl-Heinrich Bieritz: Predigtstudien für das Kirchenjahr 2002/2003, Perikopenreihe I – Zweiter Halbband, hrsg. von Volker Drehsen et al., Stuttgart 2001, S. 210

[2]   A.a.O.,  S. 209f

 

Perikope
31.10.2015
5,1-10

Predigt zu Matthäus 5,1-11 von Andreas Schwarz

Predigt zu Matthäus 5,1-11 von Andreas Schwarz
5,1-11

Liebe Reformationsfestgemeinde,
wir feiern Reformation und freuen uns, dass etwas neu geworden ist.
Neu ist auch, etwas Altes neu zur Geltung zu bringen.
Mit Jesus Christus wird ein Mensch immer wieder Neues erleben können.
Menschen sind ihm auf den Berg gefolgt und haben neue Erfahrungen gemacht. Sie hatten schon Erfahrungen mit ihm und sollten noch größere machen - und wir mit ihnen. Jesus preist Menschen selig und wir erhalten eine Ahnung davon, wie es im Reich Gottes zugeht.
Jesus redet, Jesus handelt und wir erfahren etwas vom Reich Gottes.
Gerade vorher hatte Jesus Christus einen anderen Berg bestiegen, der war sehr hoch.
Ein merkwürdiger Bergführer zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und bot sie ihm an für den Preis eines Kniefalls.
Jesus Christus verweigerte den Preis.
Er rief armselige Fischer zu sich, um mit ihnen zu gewinnen, was er auf dem Gipfel ausgeschlagen hatte.
Mit ihnen zog er durch Galiläa, lehrte in den Synagogen, predigte das Evangelium vom Reich Gottes und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen im Volk.
Das war die Erfahrung, die die ersten Hörer der Bergpredigt mit Jesus Christus gemacht hatten.
Matthäus betont: Jesus Christus hat Macht, heilende Macht. Er hat als Arzt unvergleichlich gewirkt.
Kein Wunder, dass eine große Menge ihm nachlief.
Als er aber die Volksmenge sah, ging er  auf einen Berg und setzte sich.
Auf einem sehr hohen Berg hatte ihm der Versucher die Reiche der Welt gezeigt. Jetzt wird keine Höhenangabe gemacht; dennoch: die, die ihm folgen, wird er auf  eine Höhe ohnegleichen führen und ihnen ein anderes Reich zeigen.
Auf jenem Berg musste der Böse abtreten.
Auf dem Berg der Seligpreisungen aber treten nun die Jünger zu ihm - und das Volk ist auch nicht weit.
Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach.
Neues ist zu hören, etwas, das verändert, das die Welt auf den Kopf stellt. Denn er spricht von der Seligkeit.
Auf einem Berg hatte Gott vor Zeiten schon Mose die 10 Gebote gegeben; da hieß es: 'Du sollst '...'."
Jetzt verkündet Jesus Christus das Lebensgesetz seines Reiches. Da wird nicht gefordert, da wird angesagt; acht Mal 'selig sind‘.
Da kann man nur staunen. Der selber nichts hat, verfügt
über Himmel und Erde. Der selber keine Bleibe hat, verteilt
Landbesitz. Der ohne Stellung ist, weist den Platz im
Himmel an. Wir hören ihn reden. 

Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.
- Selig sind, die mit leeren Händen dastehen und vor Gott nichts vorzuweisen haben;
die, über ihre Sünde weinen und unter Schuld zusammenzubrechen drohen
die unter hohen religiösen Forderungen leiden und ihnen nicht standhalten können,
die keinen Anlass sehen, auf ihren Glauben stolz zu sein -
selig sind sie;
- denn sie werden das Geschenk der Gnade erfahren,
Sie haben die Hände. frei für das, was Gott gibt und was sie selbst nicht zu leisten im Stande sind.

Selig sind, die. da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
- Selig sind die vom Leid Geschlagenen, die nachts weinen und nicht schlafen, denn sie werden Trost erfahren;
selig sind die Melancholischen, Depressiven, die ihren Stimmungen erliegen und sich fallen lassen, denn Gott wird ihnen Halt geben;
selig sind, die nicht aufhören können 'warum' zu fragen, die. eigenes oder fremdes Leid sprachlos macht; denn sie werden erfahren, dass Gott sie aufhebt und stark macht, dass Gott ihnen Geborgenheit schenkt.   

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die Macht und Gewalt nicht einsetzen, um sich durchzusetzen, die keine Macht haben, um andere unter Druck zu setzen oder zu erpressen;
selig sind, die die Liebe leben, auch wenn sie sich selbst, ihren Besitz und ihr Ansehen aufs Spiel setzen, denn damit wird die Herrschaft Gottes sichtbar;
selig sind, die sich auch durch Provokationen nicht von der Liebe abbringen lassen, denn ihnen wird Gott Gegenwart und Zukunft geben.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
- Selig sind, die in ihren Gebeten nicht aufhören, Gott um Gerechtigkeit zu bitten, die nicht aufhören, die Verantwortlichen zu Gerechtigkeit zu drängen, zu gerechter Rechtsprechung, zu gerechter Verteilung der Güter, zu gleichem Ansehen aller Personen - egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, Rasse oder Anschauung,
selig sind, die auf das Urteil Gottes und nicht der Menschen setzen, denn ihnen wird Gerechtigkeit geschenkt nach der Liebe Jesu Christi.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
- Selig sind, die verzeihen und vergeben können, deren Herz nicht hart wird, auch wenn andere an ihnen schuldig werden;
selig sind, die Tränen zulassen, die andere an ihrer Schulter weinen lassen und Tränen abwischen, die Verständnis und Annahme spüren lassen, denen das Heil und das Wohl anderer so wichtig ist, wie das eigene; die sich kümmern am solche, um die andere einen großen Bogen machen, denn sie werden die göttliche Barmherzigkeit erfahren, die den größten Sünder annimmt und dem Verachtetsten Wärme und Annahme schenkt.

Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
- Selig sind, die aufrichtig und ehrlich sind, bei denen Menschen wissen, woran sie sind, die aus ihrem  Herzen keine Mördergrube machen, die nicht heucheln und hinterhältig sind, die in empfindlicher Offenheit die Möglichkeit bieten, Schuld zu benennen und zu vergeben; die nicht freundlich lächeln und so tun, als sei alles in Ordnung, im Herzen aber voller Vorwürfe und Anklagen sind;
selig sind, deren Herz ungeteilt frei ist für Gottes Liebe und Güte, denn dann können sie Gottes Liebe und Güte auch erfahren.
Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
- Selig sind die, bei denen nicht das Recht des Stärkeren, das Faustrecht gilt - sei es in der Ehe, in der Familie, im Beruf, in der Politik; bei denen nicht das Gewohnheits- und Erbrecht gilt und Ansprüche das Leben bestimmen;
selig sind, die sich verlachen und verspotten lassen, wenn sie auf ihr Recht verzichten, weil Frieden mehr wert ist;
selig sind, die gegen Massenmeinung und Trend Brücken schlagen zu Unbequemen, Asylanten, Ausländern, Behinderten, Alten, Kranken; die Partei ergreifen im Namen des Friedens gegen Fremdes, gegen Hass und Egoismus, denn Jesus Christus hat den Frieden gebracht und wird ihn vollenden.

Selig sind, die um der .Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.
- Selig sind, die am eigenen Leib spüren, was Nachfolge Jesu Christi heißt, die den schwereren Weg nicht scheuen, weil auch er nicht den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist;
selig sind, die ihr Leben nicht vom Scheitern bedroht sehen, die nicht glauben, sie hätten aufs falsche Pferd gesetzt, wenn sie leidvolle Erfahrungen machen müssen, die sich von scheinbarem, aber letztlich vergänglichem und oberflächlichem Glück nicht blenden lassen, sondern unbeirrt in der Nachfolge bleiben, denn hinter Jesus Christus her geht es ins Leben der Auferstehung.

Es tut uns gut, wenn wir so angesprochen werden.
Gerade auch dann, wenn wir spüren, wir sind ganz oft eben nicht so, wie Jesus Christus sagt.
Aber wir hören zu, wenn er redet. Das ist sehr viel.
Er ist uns wichtig.
Wir sehnen uns danach, zu erleben, wie es im Reich Gottes zugeht.
Jesus sagt: das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Es ist da, wo Jesus Christus ist, wo er redet, wo er selig preist.
Und selig ist der, dessen Leben eine Gegenwart und eine Zukunft hat, weil Jesus Christus beides schenkt
Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Amen.
 

Perikope
31.10.2015
5,1-11

... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern - Predigt zu Matthäus 18,21-35 von Sven Evers

... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern - Predigt zu Matthäus 18,21-35 von Sven Evers
18,21-34

... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Liebe Gemeinde,

„Vergib uns unsere Schuld, die auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – so beten wir immer wieder mit dem Worten des Vaterunsers.

Wann ist Dir eigentlich zum letzten Mal vergeben worden? Als Du ein Wort gesagt, das einen anderen Menschen tief verletzt? Als Du ein – sogar ernstgemeintes – Versprechen nicht gehalten? Als Du ob mit oder ohne ausdrücklichem Willen Deinem Mitmenschen nicht hast widerfahren lassen, was ihm zugestanden hätte und was er mit gutem Recht von Dir erwartet?

Wann hast Du eigentlich zum letzten Mal vergeben? Dem, der Dich enttäuscht; der, die Dich verletzt oder dem, der Dich versetzt?

Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage Dir, nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.

Schon die Frage ist falsch gestellt. Vergeben aus Berechnung? Wie oft vergibt denn Gott Dir? Hast Du das einmal nachgezählt? Sei ehrlich, Du darfst es für Dich selber im Stillen einmal überschlagen: Wie oft brauchst Du die Vergebung Gottes, der Dir sagt: Du hast eine zweite, eine dritte, eine x-te Chance. So oft bist Du gestolpert, so oft bist Du gefallen – so oft hast Du Deine Versprechen nicht gehalten – mir gegenüber nicht und Deinen Mitmenschen gegenüber nicht – ja, nicht einmal Dir selber gegenüber. Und immer und immer wieder neige ich mich Dir entgegen und vergebe Dir. Schenke Dir einen Neuanfang nach dem anderen, nagel Dich nicht fest auf Deine Fehler, sondern traue Dir Neues, traue Dir Veränderung zu.

Und Du? Willst Du für Dich behalten, was ich Dir an Chancen, an Anfängen, an Lebensräumen schenke, indem Du meinst, Deine Vergebung anderen gegenüber beschränken zu müssen? Glaubst Du, ich schenke Dir das Leben, damit Du es für Dich selbst behältst? Glaubst Du, ich bin gnädig Dir gegenüber, damit Du gegenüber anderen hartherzig bist? Glaubst Du, ich verschenke mich selbst an Dich, damit Du Dich im Kreisen um Dich selbst verlierst?

Und dann erzählt Jesus eine Geschichte. Ein Gleichnis. Eines, das wir in Zeiten gekaufter Weltmeisterschaften, überschuldeter Staaten und schon fast salonfähiger Korruption und dem, was wir „Ellenbogengesellschaft“ nennen, vielleicht fast noch besser verstehen können als die Menschen, die damals um Jesus versammelt saßen, als er es zum ersten Mal erzählte.

23Mit der Gottesherrschaft verhält es sich wie in der Geschichte von einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. 24Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. 25Da er's nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen. 26Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir's alles bezahlen. 27Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch.

Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht, der namenlose Knecht. Er könnte Deinen Namen tragen oder auch meinen – er mag männlich gewesen sein oder weiblich – ganz egal. Denn eigentlich, eigentlich geht es hier ja nicht nur ums Geld. Davon hatte der König genug. Und die Schulden, um die es hier geht: eine astronomische Summe – in heutige Zahlen umgerechnet angeblich 12,4 Milliarden Euro, haben schlaue Leute ausgerechnet. Machen wir uns gar nicht viele Gedanken darum, um was für eine Art von Knecht es sich hier handelt und wie es angehen konnte, dass er eine so astronomisch Hohe Schuldensumme anhäuft. Klar ist: Die kann er nicht bezahlen. Die kann er auch nicht bezahlen, wenn er Frau und Kinder und alles, was er hat, verkauft. Er sitzt ein für alle Mal in der Schuldenfalle – da hilft kein Berater, da hilft keine Umschuldung, da hilft auch kein Tricksen mehr – so kreativ kann man die Bücher gar nicht frisieren. Ein hoffnungsloser Fall.

Und der König? Er beschließt einen Schuldenschnitt, wie wir heutzutage sagen. Er erkennt die Hoffnungslosigkeit der Situation, er fängt nicht an zu rechnen, er schreibt keine Schuldenpläne – er handelt und: Vergibt im wahrsten Sinne des Wortes die Schuld. Von jetzt auf gleich ist der Knecht frei. Das Leben liegt wieder wie ein weißes Blatt Papier vor ihm. Er kann neu anfangen. Die Fesseln der Schuld(en) abgelegt, frei atmen, nicht gefangen in einer übermächtigen Vergangenheit. Neuanfang. Neue Perspektiven. Neue Möglichkeiten. Neues Leben.
Verwirrt und ungläubig und doch erleichtert und leicht wie schon lange nicht mehr, zieht er von dannen. Die Freude über das neu geschenkte Leben in seinem Gesicht – was wird er tun? Familie und Freunde zum Feiern einladen? Von der großen Güte und Barmherzigkeit des Königs erzählen? Die neu geschenkte Freiheit umsetzen in seinen Bezügen und schauen, wo auch dort neue Anfänge möglich sind?

28Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist! 29Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir's bezahlen. 30Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war.

Ist das denn die Möglichkeit? Hatte er nicht gerade noch.... Aber jetzt: heillose Gier macht sich in ihm breit. Alles hat er vom König erlassen bekommen. Alles hat er vom König geschenkt bekommen – aber alles ist nicht genug. Es muss mehr sein, immer mehr. Und so läuft er los und treibt ein, was er meint, bei anderen noch gut zu haben. Nix mit freudiger Weitergabe des Empfangenen. Nix mit dem Ergreifen des Lebens, das ihm gerade geschenkt. Sofort ist er wieder im alten Trott. Sofort schaut er nur auf sich selbst und bemerkt in diesem Kreisen um sich selbst gar nicht, dass er dabei ist, alles zu verspielen. Wie kann man nur so herzlos sein? Wie kann man nur so blind sein? Wie kann man nur so undankbar sein? Wie kann man nur..... Aber: Wie hättest Du Dich verhalten?
Und der König?

31Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte. 32Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast; 33hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? 34Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war.

Wer kann es dem König verdenken, dass er zornig wird. So war das nicht gedacht mit dem Schuldenerlass. So haben wir nicht gewettet! Ich habe Dir nicht das Leben geschenkt, damit Du es anderen nimmst. Ich habe Dir nicht die Luft zum atmen gegeben, damit Du anderen die Kehle zuschnürst! Du hast nichts verstanden von meinem Handeln. Du hast meine Vergebung nicht nur nicht verdient – denn das kannst Du ohnehin nicht – Du hast sie regelrecht verwirkt.
Ich habe Dir die Perspektive meiner Barmherzigkeit angeboten – Du bleibst bei Deiner Hartherzigkeit.
Ich habe Die Vergebung geschenkt – Du bleibst bei Deinem kalten Berechnen.
Wenn Du es nicht anders willst: Raus mit Dir, ab zu den Peinigern. Du wirst mir alles zurückzahlen – alles. Nicht weil ich es will, sondern weil Du mit Deinem Handeln selber gezeigt hast, dass Du es willst.

Und Jesus schließt:
35So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder.

Das, liebe Gemeinde, ist vielleicht das Entscheidende. Dem Knecht wird kein Unrecht getan mit dem Handeln des Königs. Er bekommt nur, was er ohnehin verdient hatte. Und weiter: Er bekommt nur, was er im Grunde selber für richtig hält, sonst hätte er ja seinen Mitknechten gegenüber anders verhalten. Man sollte nicht, wie in manchen Auslegungen zu dieser Geschichte immer wieder zu lesen, gleich davon sprechen, dass mit dem strafenden König hier ein Gottesbild eingeführt werde, das dem unseren nicht mehr entspricht. Immer wieder kommt es im Matthäusevangelium ja vor, dass Gleichnisse für den ein oder anderen in der Finsternis enden, wo „Heulen und Zähneklappern“ herrschen.  Aber: Ist der König, ist Gott, hier ein so willkürlich strafenden Wesen, wie manche behaupten? Ich bin der Meinung, dass vielleicht sogar eher anders herum ein Schuh draus wird: Der König in dem Gleichnis Jesu ist kein willkürlicher Herrscher, sondern jemand, der das Handeln seiner Untergebenen ernst nimmt. Er wischt nicht über das Verhalten des Knechtes gegenüber seinen Kollegen hinweg mit einem „Ach, das hat der Kleine ja gar nicht so gemeint“, was nicht weniger als einer Entmündigung dieses Menschen gleichkäme. Er nimmt es ernst und sagt: Wenn Du, Knecht, Dir das Gesetz meiner Gnade und Barmherzigkeit nicht gefallen lassen willst, dann will ich Dich auch auch nicht darauf verpflichten; dann passe ich mich Deinem berechnenden, selbstbezogenen und gierigem Verhalten an. Nicht, indem ich willkürlich handle, sondern indem ich einfach nur Dir den Spiegel über Dein Tun vor Augen halte.
Von einer „brutalen Pädagogik“ eines richtenden Gottes, der Menschen nur eine einzige Chance gibt, kann ich in dieser Geschichte nichts finden. Und der Verweis auf das Gericht, der mit dem letzten Vers deutlich wird, lässt sich allein schon deshalb nicht weg interpretieren, weil er dafür im Matthäusevangelium zu häufig vorkommt. Vor allem lässt sich aber der Schluss des Gleichnisses nicht weginterpretieren, weil er nichts Anderes sagt als wir mit dem grundlegendsten Gebet unseres Glaubens Sonntag für Sonntag und wahrscheinlich noch sehr viel häufiger beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben.
Ja, unser Verhalten ist Folge des Handelns Gottes an uns – aber es ist auch wieder Voraussetzung für sein Handeln an uns. Wir können vergeben, weil wir Vergebung erfahren. Wir können lieben, weil wir geliebt werden. Wir können auf das verzichten, was uns zusteht, weil wir grundlos und umsonst geschenkt bekommen, was wir zum Leben brauchen und – Gott sei Dank! – vieles von dem, was wir „verdienen“ nicht bekommen. Aber wenn Gottes Handeln an uns keine Folge hat, wenn es nicht wächst in dem, was wir sind und sagen und tun – dann ist es nicht Gott, der auf einmal wieder willkürlich zu anderen Mitteln des Handelns uns gegenüber greift, sondern dann sind wir es selber, die wir letztlich Gott in unsere Maßstäbe hineinzwingen.
Nicht Willkür und Gericht predigt Jesus mit dem Gleichnis des „Schalksknechts“, sondern einzig gegen das, was Dietrich Bonhoeffer einmal zutreffend als „billige Gnade“ bezeichnet hat.

Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderten Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, dass die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist.
Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes.
Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nichts des Sünders. (Bonhoeffer, Nachfolge)


Und mal ehrlich: Welchen Sinn hätte denn das Gleichnis Jesu, wenn der König selbst am Ende noch einmal gesagt hätte: Macht nichts, Du weißt es eben nicht besser, es ist schon nicht so schlimm? Das wäre in der Tat billige Gnade, verschleuderte Liebe – Gnade, die nichts verändert und Liebe, die nichts bewirkt.

Eigentlich hatte Petrus nur eine kurze Frage gestellt: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal?

Jesus sprach zu ihm: Ich sage Dir, nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal. – Und er erzählt ein Gleichnis. Ob Petrus nun schlauer ist als vorher?
Ob wir nun schlauer sind als vorher? Wir können die Perspektive, die Jesus uns anbietet ausprobieren – gleich im Beten des Vaterunsers. Und dann nach dem Gottesdienst draußen, mitten in unserem Leben.

Amen.
 

Perikope
01.11.2015
18,21-34

Predigt zu Matthäus 5,1-12 von Rainer Stahl

Predigt zu Matthäus 5,1-12 von Rainer Stahl
5,1-12

Liebe Schwestern und Brüder!

1.

Diese Predigt muss ich mit einem Eingeständnis beginnen: Bis heute habe ich nicht wirklich verstanden, wieso die Seligpreisungen, wie sie Matthäus in seinem Evangelium bietet, fast 500 Jahre nach der Reformation Evangeliumstext und auch Predigttext zum Reformationsfest sind. Hier werden doch gerade diejenige für „selig“ erklärt, also der besonderen Nähe Gottes versichert, die irdisch gesehen auf der Verlierer-Seite stehen –

„die da Leid tragen“,
„die Sanftmütigen“,
„die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit“,
„die Barmherzigen“,
„die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“!

Hätten Menschen solcher Schicksale erfolgreich die Reformation durchsetzen können? Ich denke, nicht. Da bedurfte es bedeutender Schicksalswendungen und Machtwendungen:

Erinnert Ihr Euch noch an den Film „Luther“ aus dem Jahr 2003, in dem Joseph Fiennes Martin Luther verkörperte, Sir Peter Ustinov Kurfürst Friedrich den Weisen und Uwe Ochsenknecht Papst Leo X.?

Eine der Schlussszenen zeigt Luther 1530 auf einer Wiese unterhalb der Veste Coburg, auf die Boten vom Reichstag von Augsburg wartend. Dann kommen diese Boten und berichten vom Ergebnis und dem öffentlichen und lauten Verlesen des Augsburger Bekenntnisses der evangelischen Reichsländer und Stadt-Territorien. Der erste Reiter hält in seiner Hand eine lange Stange, verankert in einer Tasche unterhalb seines Sattels, und an dieser Stange weht das große, bunte Tuch der Staatsfahne des Kurfürstentums Sachsen. Ohne staatlichen Schutz und staatliche Indienstnahme hätte die Reformation irdisch gesehen keine Zukunft gehabt…

Da fällt mir eine Situation aus meiner Zeit als Konfirmand ein. Ich stamme aus Meiningen in Südthüringen und bin dort groß geworden. Einmal habe ich meinen Pfarrer in der Konfirmandenstunde gefragt: „Warum sind die Menschen in Wolfmannshausen [einem kleinen Dorf südlich von Meiningen] mehrheitlich römisch-katholisch geblieben?“ Mein Pfarrer hat geantwortet: „Sie haben sich der Reformation nicht geöffnet.“ Das war natürlich nicht völlig falsch. Aber diese Antwort hat verdeckt, dass es, wenn ich recht informiert bin, handfeste und politische Gründe gab – genauso wie dafür, dass alle Menschen im Herzogtum Sachsen-Meiningen lutherisch waren: Wolfmannshausen gehörte eine lange Zeit zum Bistum Würzburg. Sein Landesherr war der Bischof von Würzburg und Herzog von Franken. Und dessen Untertanen mussten römisch-katholisch sein, wie eben die Untertanen der Meininger Herzöge evangelisch-lutherisch!

2.

Also: Unser Predigttext hält die Anfänge der refomatorischen Bewegungen wach – als noch kaum staatliche Förderung gegriffen hat, als das persönliche Risiko im Vordergrund stand. Diese Gegebenheit können wir gebündelt sehen in der Bekenntnissituation Luthers vor dem Reichstag in Worms am Abend des 18. April 1521. Die entscheidenden Sätze gebe ich nach einer Übersetzung ins Deutsche durch den kurfürstlich-sächsischen Sekretär Georg Spalatin, die heute im Staatsarchiv Weimar liegt:

„Weil denn Euer Kaiserliche Majestät und Gnaden eine schlichte Antwort begehren, so will ich diesermaßen eine unanstößige […] Antwort geben: Es sei denn, dass ich durch das Zeugnis der Schrift überwunden werde, oder aber durch helle Ursachen […] überwunden werde. Ich bin überwunden durch die Schriften, so von mir angeführt werden, und bin gefangen im Gewissen an dem Wort Gottes. Deshalb ich nichts widerrufen kann noch will, weil gegen das Gewissen zu handeln beschwerlich, unheilvoll und gefährlich ist. Gott helfe mir! Amen.“[1]

Diese Situation zeigt einen, der darauf vertraute, dass die „Sanftmütigen“ „selig“ sein und „das Erdreich besitzen“ werden, und zugleich, dass diejenigen, „die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden“, „das Himmelreich“ geschenkt bekommen werden.

Also: Unser Predigttext führt uns in die Spannung, dass wir wünschen, dass die von uns erkannte Wahrheit durchgesetzt werden kann, und dass wir zugleich auf alle äußeren Machtmittel verzichten und „nur“ – was heißt hier: „nur“? – auf die innere Kraft dieser Wahrheit setzen. So, und nur so, können wir der Reformation gedenken!

3.

Liebe Schwestern und Brüder!

Zwei Seligpreisungen greife ich noch besonders auf und versuche, Dimensionen dieser tiefen Wahrheit durchzubuchstabieren:

3.1.

Erst seit der deutschen Einheit habe ich Besuchsreisen nach Israel organisiert und geleitet. Von der DDR aus war das nicht möglich gewesen. Immer, wenn meine Gruppen auf dem „Berg der Seligpreisungen“ über dem See Genezareth waren – das ist ein Erinnerungsort, der aber sicher mit dem tatsächlichen Berg, auf dem Jesus eine Bergpredigt gehalten hat, nichts zu tun hat –, habe ich trotz dieser historischen Unsicherheit die Seligpreisungen verlesen. In einem Jahr bewusst die letzte betont zitiert:

„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.“

Denn damals war der frühere Thüringer Landesbischof Dr. Ingo Braecklein stark in die Kritik geraten, weil er während seiner Dienstzeit mit einem Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit kontinuierlich Gespräche geführt und über diese nicht berichtet hat. Das muss ich jetzt nicht deuten und bewerten. Interessant war aber, dass er seinen Nachfolger, Werner Leich, in diese Gesprächskontakte eingeführt hat. Werner Leich aber ist fundamental anders mit ihnen umgegangen: Er hat von jedem Gespräch eine Niederschrift angefertigt und diese auf dem normalen Dienstweg in die Sitzung des Landeskirchenrates geschickt. 1996 haben Uwe-Peter Heidingsfeld und Ulrich Schröter diese Gesprächsniederschriften und die entsprechenden Niederschriften des MfS-Mannes ediert und gemeinsam herausgegeben.[2] Ich hatte ihnen zum Beispiel bei einem Detail geholfen: Zweimal gibt es das Kürzel „not. Zw.“[3] Das bedeutete, dass der Verwaltungsdiakon Gerd Zweigle diese Niederschrift in Vorbereitung der Sitzung des Landeskirchenrates in der Hand und den Tagesordnungspunkt notiert hatte – zum Beispiel Anfang September 1981.

Hier haben Bruder Leich und Bruder Zweigle und andere Schwestern und Brüder damals in der Hoffnung gehandelt und sich verhalten, dass ihnen die Selig-Verheißung für „Friedfertige“ nicht vorenthalten werde und sie „Gottes Kinder heißen“ können.

3.2.

Und noch eine Seligpreisung: In meiner Kindheit in Meiningen sind wir häufig auf den Friedhof gegangen. Dort gab es das Grab einer meiner beiden Großmütter, der Mutter meines Vaters, die schon im Oktober 1945 gestorben war, und das Grab einer meiner Urgroßeltern, der Großeltern meiner Mutter, das ich oft als kleiner Junge behackt und begossen habe. Dieser Urgroßvater war Anfang 1908 gestorben, und meine Urgroßmutter hatte auf den Stein in goldenen Buchstaben einmeißeln lassen:

„Selig sind die reines Herzens sind.“

Den zweiten Teil dieser Seligpreisung – „denn sie werden Gott schauen“ – muss man kennen, um ihn ergänzen zu können. Mein Urgroßvater war königlich-preußischer Offizier, zuletzt Oberst, und Adjutant des Meininger Herzogs, übrigens des so berühmten Georg II., der im 19. Jahrhundert eine bedeutende Theaterreform organisiert hatte. Meine Großmutter, die Tochter des in Meiningen Beerdigten, hat einmal erzählt, dass sie 1902 zusammen mit ihren Eltern an der Hochzeit des Bruders ihrer Mutter in Essen teilgenommen und auf dem Weg eine Straße entlang Aggressivität seitens einiger Männer gegen ihren Vater erlebt hat, weil dieser in preußischer Gala-Uniform mit roten Generalsstreifen an der Hose entlang ging, die ihm als Adjutanten eines Reichsfürsten zustanden. – „… die reines Herzens sind“?

Der Bruder meiner Großmutter hat in seiner Familienchronik über seinen Vater geschrieben: „Dank seiner fröhlichen Natur war [er …] ein beliebter Gesellschafter, sein Weinkeller, mit Kennerschaft gepflegt und ergänzt, war einigermaßen bekannt. Umgekehrt, wie in seinem Elternhause, war bei uns der Vater das belebende Element in der Ehe und hat es immer verstanden, die oft ernste und sorgenvolle Mutter mit seinem angeborenen Frohsinn wieder heiter zu stimmen.“[4]

Ob diese Erfahrung für seine Witwe, meine Urgroßmutter, so prägend war, dass sie mit dazu geführt hat, dass sie unsere Seligpreisung ausgewählt hat?

4.

Hier sind wir im Zentrum des Reformationsgedenkens! Jetzt verstehen wir und verstehe ich, warum die Seligpreisungen ein guter Bibeltext zum Reformationsfest sind:

Damit wir – wie meine Urgroßmutter – die tiefe und vielleicht gar nicht so theologisch durchdachte Glaubenshoffnung aufbringen, dass sich uns Gott positiv zuwenden wird, sich uns positiv zuwendet!

Für Euch alle:

„Selig seid Ihr, die Ihr Euch ein reines Herz bewahrt habt, denn Ihr werdet Gott schauen.“

Und auch für mich:

„Selig bist Du, der Du Dir ein reines Herz bewahrt hast, denn Du wirst Gott schauen.“

Amen.

„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“

 

[1]   Vgl.: Die Reformation in Dokumenten, hrg. von Hans Eberhardt und Horst Schlechte, Weimar 1967, S. 30 und 31. Der Text wurde bei Zuhilfenahme von Oskar Thulin: Martin Luther. Sein Leben in Bildern und Zeitdokumenten, Berlin 1963, S. 55, modernisiert. Das Autograph Spalatins scheint auf den ursprünglichen Wortlaut hinzuweisen: Also ohne: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“

[2]   Uwe-Peter Heidingsfeld und Ulrich Schröter: „Meister“. Die MfS-Vorlaufakte des Thüringer Landesbischofs Werner Leich im Spiegel seiner Vermerke, idea-Dokumentation 15/96.

[3]   A.a.O., S. 169 und 184.

[4]   Georg von Kutzleben: Die von Kutzleben, Coburg 1954, S. 77.

 

Perikope
31.10.2015
5,1-12

Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Georg Freuling

Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Georg Freuling
5,38-48

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich das erste Mal auf diese Worte Jesu gestoßen bin – oder genauer gesagt: gestoßen wurde. Das war vor 30 Jahren und kam so:

Ich besuchte im ersten Jahr den Konfirmandenunterricht. Es war im Winter. Der Schnee lag ziemlich hoch. Als ich nichts Böses ahnend auf den Platz vor dem Gemeindezentrum ankam, bekam ich als erstes einen Schneeball an den Kopf. Das war Dirk. Einer meiner Mitkonfirmanden. Ich kannte ihn von der Grundschule. Dirk war ein ganzes Stück kleiner und auch schwächer als ich, hatte aber trotzdem viel Mut und ein ziemlich großes Mundwerk. „Na warte,“ dachte ich mir, verfolgte Dirk, kriegte ihn zu packen und beförderte ihn erst einmal in einen Schneehaufen, wo ich mich auf ihn setze und ihm eine ordentliche Ladung Schnee in den Kragen stopfte.
Lange kann es nicht gedauert haben. Bald schon zog mich jemand unsanft am Kragen und zerrte mich von Dirk herunter. Das war unser Pfarrer. Und dann setzte es eine Standpauke: „Was fällt dir ein? Was machst du mit Dirk, der kleiner und schwächer ist als du?“ Natürlich habe ich mich verteidigt. „Dirk hat angefangen. Er hat mir einen Schneeball an den Kopf geworfen,“ habe ich unserem Pfarrer erklärt. Das konnte ich mir doch nicht gefallen lassen!? Dirk stand daneben, schüttelte sich den Schnee aus den Klamotten und sagte dann: „Na und? Jesus hat doch gesagt: 'Wenn Dir jemand auf die linke Backe schlägt, dem sollst du auch die rechte hin halten!'“ Unser Pfarrer war begeistert: „Das hast du dir aber gut gemerkt, Dirk. Du hast etwas im Konfirmandenunterricht gelernt. Und du, Georg, solltest dir das zum Vorbild nehmen!“

Mir hat es damals die Sprache verschlagen. Ich habe gar nichts gesagt, war aber nicht einsichtig, sondern stinksauer. Das können Sie, das könnt Ihr Euch bestimmt gut vorstellen.
Muss man sich etwa alles gefallen lassen? Darf ich mich nicht wehren? Und: Ist das nicht ungerecht? Diese Fragen haben mich noch eine ganze Zeit lang beschäftigt. Jesus und diese Geschichte mit der linken und der rechten Wange kamen mir ganz schön weltfremd vor.

Wahrscheinlich denken das viele, wenn sie diese Worte Jesu aus der Bergpredigt hören:
Ich kann doch nicht dem, der mich schlägt, auch noch die andere Wange hinhalten. Das bringt doch einen Schläger nicht dazu, dass er aufhört!? Ich kann doch nicht einfach auf mein gutes Recht  verzichten und fünf gerade sein lassen. Wo komme ich dann hin!? Und meinen Feind lieben – geht das überhaupt? Vielleicht reicht schon Zurückhaltung, Mäßigung, ein Waffenstillstand. Das klingt vernünftig. Aber Liebe – das ist doch wohl etwas zu viel verlangt!?

Nein, sie passen auf den ersten Blick nicht in unsere Welt, diese Vorschläge Jesu. Und wahrscheinlich haben Menschen zu allen Zeiten das schon gedacht. Schon vor 2000 Jahren in der Zeit, in der Jesus lebte. Hinter den Worten stecken konkrete Erfahrungen: „Wenn jemand dich zwingt, eine Meile mit dir zu gehen, dann geh zwei mit ihm.“ - Damals konnten römische Soldaten als Besatzer jeden harmlosen Passanten zwingen, sie zu begleiten, wenn sie zum Beispiel Unterstützung bei Transporten brauchten. Das mussten sich die Menschen gefallen lassen – oft mit der geballten Faust in der Tasche. Und Jesus? Er empfiehlt, freiwillig noch eine weitere Meile mitzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass sich damals schon einige seiner Zuhörerinnen und Zuhörer gehörig gewundert haben, dass sie gedacht haben: „Das meinst du doch nicht ernst!“

Sie klingen auch nicht vernünftig, diese Vorschläge der Bergpredigt: Ist es etwa richtig, dem Bösen nicht zu widerstehen? Darauf läuft ja alles hinaus. Und das wird manchmal übersehen:
Manche sehen hier eine Anleitung zum gewaltlosen Widerstand. Es gibt Situationen, in denen bringt es nichts, sich offen zu wehren und zu widersetzen. Dann ist Gewaltlosigkeit und Erdulden des Bösen die bessere Option. Das kann dazu führen, dass der andere sich ändert. Das hilft uns Menschen, diese Welt zum Besseren zu verändern.
Diese Form von Widerstand kann tatsächlich vernünftig sein. Aber ist es das, worauf Jesus hier hinaus will? Ich denke: Nein, denn hier ist nicht davon die Rede, dass ein Schläger sich beschämt abwendet und ändert, wenn er nach einer Ohrfeige direkt die andere Wange hingehalten bekommt. Keine Rede auch davon, dass ein Mensch, der auf sein gutes Recht verzichtet, diese Welt zum Besseren verändert. Im Gegenteil: „Ihr sollte dem Bösen nicht widerstehen!“ Aber: Wo kommen wir dahin, wenn wir Menschen uns nicht wehren, wenn es drauf ankommt? Wo kommen wir hin, wenn sich niemand mehr dem Bösen in den Weg stellt?

Aber was mache ich dann mit diesen Worten Jesu?

Auf den ersten Blick passen diese Vorschläge nicht in unsere Welt. Bei genauerem Hinsehen sind sie aber schon Realität, Teil dieser Welt. Auch wenn ich nicht so lebe, auch wenn ich es gar nicht schaffe, einer hat so gelebt: Jesus selbst.
Ich muss dabei an unseren Konfirmandenunterricht in diesem Jahr vor den Herbstferien denken. Jesus war das Thema der letzten Wochen. Wir haben dazu einen Film über das Leben Jesu gesehen. Eine Frage, die uns danach beschäftigt hat, war diese: Jesus wusste, was ihn in Jerusalem erwartete. - Warum hat er sich dem ausgesetzt? Warum hat er sich vor Pilatus nicht verteidigt? Warum hat er nicht auf seine Unschuld bestanden? Warum hat er sich schlagen lassen? All das hat Jesus nicht getan. Er hat sich dem Bösen nicht widersetzt, sondern sich ihm ganz und gar ausgeliefert.
Der Jesus der Bergpredigt erduldet später in Jerusalem selbst das Böse: Er hat sich nicht gewehrt. Er hat seinen Jüngern befohlen, nicht zum Schwert zu greifen, als man ihn verhaftete. Er hat für seine Henker gebetet. Und er hat damit gezeigt, wie Gott selbst zu dieser Welt steht: Gott erträgt uns Menschen mit dem, was wir Böses tun. „Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Gott steht dieser Welt nicht ohnmächtig oder hilflos gegenüber. Er ist auch nicht gleichgültig angesichts von Bosheit und Ungerechtigkeit. Es gibt nur einen Grund, warum er dieser Welt so begegnet: Liebe. Es ist Liebe, in der Gott diese Welt erträgt. Und diese Liebe ist so abgrundtief, dass sie unsere menschlichen Abgründe fassen kann. Sie hält selbst Bosheit und Ungerechtigkeit stand, lässt sich nicht dadurch beirren.
Ich glaube: So begegnet Gott seiner Welt. So begegnet er uns Menschen, die ihn links liegen lassen und ihn einen guten Mann sein lassen, die wir seine Schöpfung zu Grunde richten und vor allem an uns selbst denken. Und ich glaube: Ohne diese abgrundtiefe Liebe Gottes hätten wir Menschen  diese Welt und uns selbst längst schon zugrunde gerichtet.
Jesus gibt dieser Liebe Gottes ein Gesicht, indem er sich ganz in diese Welt hineingibt, sich ihr ausliefert. Er tritt selbst dafür ein. Und wenn das so ist, dann ist das die stärkste Realität, die es geben kann: Gott selbst!

Trotzdem ist da auch die Forderung: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“
Ich weiß: Das bin ich nicht. So lebe ich nicht. Ich schaffe es nicht, meine Feinde zu lieben. Und oft genug sehe ich es auch gar nicht ein! Wenn mir jemand dumm kommt, kann der doch keine Freundlichkeit meinerseits erwarten!? Da bin ich heute noch oft genug so wie damals als Konfirmand. - Ich muss mir schließlich nicht alles gefallen lassen. Und wo komme ich denn da auch hin? Und genau diese Frage kann ich auch anders stellen: Wo kommen wir Menschen hin, wenn wir nur auf unser gutes Recht bestehen und trotzdem die meisten auf dieser Welt zu kurz kommen? Wo kommen wir hin, wenn die Schubladen gut und böse, Freund und Feind gut sortiert und fest geschlossen bleiben? Wo kommen wir hin, wenn wir Menschen Gewalt gegen Gewalt setzen?
Ich bin überzeugt: Menschen, die an Gottes Liebe glauben, lässt diese Liebe nicht kalt. Die eifern dem nach, wollen zeigen, dass sie zu diesem Gott gehören, seines Geistes Kinder sind.  Die lassen sich vom Unzumutbaren irritieren. Die lassen sich zum Unzumutbaren provozieren. Und ob es dann letzten Endes wirklich so unvernünftig ist?
Einfach ist es nicht, einmal nicht vom Gegebenen auszugehen, die eigenen Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Doch bei näherem Hinsehen denke ich: Genau das brauchen wir! Amen.
 

Perikope
25.10.2015
5,38-48

Jesus und die „Urabsicht Gottes“ - Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Kathrin Nothacker

Jesus und die „Urabsicht Gottes“ - Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Kathrin Nothacker
5,38-48

Jesus und die „Urabsicht Gottes“

Liebe Gemeinde,

die bedrängenden Fragen unserer Zeit haben wir heute morgen nicht zuhause gelassen. Die Bilder der in unser Land strömenden Flüchtlinge haben sich in unseren Köpfen eingebrannt. Und die Ratlosigkeit der Politik, wie mit diesem Problem umzugehen sei, wird uns jeden Tag neu vor Augen geführt. Wir wissen nicht, wie es weitergeht und wir fragen uns, wie unsere Gesellschaft diese vielen Menschen integrieren kann und uns ist bange, ob die Aufnahmebereitschaft sich nicht bald in Ratlosigkeit und Hilflosigkeit wandelt und hinüber kippt in offene Feindschaft.

Wir suchen nach Orientierung und hoffen heute morgen vielleicht auf ein Wort, das uns weiterhilft.

Es sind Worte aus der Bergpredigt, auf die wir heute in unseren Kirchen und Gottesdiensten treffen. Markante und bekannte Worte Jesu von der Feindesliebe.

(Mt 05, 38-48)                                     

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um
Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt
dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe
schlägt, dem biete die andere auch dar.
Und  wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock
nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand
nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem,
der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas
von dir borgen will.
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten
lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch:  Liebt
eure Feinde und  bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr
Kinder seid eures Vaters im Himmel.
Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und
lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn
haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr
nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?
Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr 
vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Markante und bekannte Worte. Und irgendwie so fern von allen Regeln dieser Welt, dass einem auch gleich das Wort eines ehemaligen Bundeskanzlers einfällt, dass mit der Bergpredigt keine Politik zu machen sei. Wie sollte uns diese radikale Friedensethik denn auch weiterhelfen bei all den Problemen dieser Welt: In Syrien wird seit Jahren Krieg geführt, mittlerweile weiß niemand mehr, wofür oder wogegen. Es ist einfach nur noch ein brutaler Vernichtungsfeldzug gegen Menschen – meist gegen die, die sich nicht wehren können und dieser Maschinerie, selbst wenn sie es wollten, nichts entgegen setzen können.

Nur fliehen können sie, das Weite suchen, sich und ihre Kinder irgendwie in Sicherheit bringen. Und auf der Flucht werden sie wieder bedroht, ausgenutzt, ausgebeutet und gedemütigt. Das vermeintlich sichere Europa empfängt sie mit Zäunen und geplanten Internierungslagern.

Ich versuche, mich in diese Menschen hinein zu versetzen. Und stoße mit den Worten Jesu an Grenzen. Schon geschlagen und gedemütigt soll ich mich nicht widersetzen, sondern geduldig die Schläge ertragen. Schon fast bis aufs letzte Hemd ausgezogen, soll ich auch noch auf das allerletzte verzichten, was mir geblieben ist – bei vielen der Flüchtlingen ist es vielleicht das Handy mit den Bildern der Zurückgebliebenen und der letzten Möglichkeit mit ihnen in Kontakt zu treten.

Wie geht es diesen Menschen, die das hören: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen? Ist in diesen Worten auch nur ein Hauch von Realität? Und wer könnte das schaffen?

Liebe Gemeinde, diese Worte sind eine Zumutung. Und nur mühsam gelingt es, sie an sich heranzulassen und das unbedingte Liebesgebot freizulegen.

Versuchen wir uns ein wenig dem Text zu nähern. Vielleicht wird dann das allzu Bekannte ein wenig fremd und hilft uns beim Nachdenken und Weiterdenken. Über lange Zeit wurde die Bergpredigt so verstanden, als würde Jesus etwas völlig Neues lehren, etwas das sich radikal abgrenzt von den Überlieferungen der Hebräischen Bibel. Etwas ganz und gar Neues, das das Alte ersetze.  Dem ist nicht so. Denn Jesus setzt mit seinem „Ich aber sage euch“ das Alte nur richtig in Kraft, er bestätigt es, ja, er radikalisiert und verschärft es. Deshalb ist es auch nicht richtig, von Antithesen zu sprechen, vielmehr muss man sagen, es handelt sich um „Superthesen“ – so hat sie jedenfalls der jüdische Religionswissenschaftlicher Pinchas Lapide genannt. Denn alles Überlieferte ist gutes Gebot Gottes und soll den Menschen helfen, miteinander in Frieden zu leben.

So ist das biblische Prinzip des „Auge und Auge, Zahn um Zahn“ nicht etwas, das der Rachsucht Raum gibt. Sondern genau das Gegenteil ist damit gemeint. Das rechte Maßhalten. Die Verhältnismäßigkeit soll gewahrt werden. Aus einem Streit zwischen den Volksgruppen soll sich kein Krieg entwickeln. Die Gewalt soll nicht eskalieren, sondern soll eingedämmt werden. Das hat viel mit einer vernünftigen Sicht auf den Menschen und auf die Realitäten dieser Welt zu tun. Das „Auge um Auge“ sagt nichts anderes, als dass Gewalt nicht zur Katastrophe werden und zum Untergang führen darf.

Und was Jesus dann „draufsetzt“, ist tatsächlich schwer zu verstehen. Seine „Superthesen“ rufen mehr Fragen als Antworten hervor. Denn was sollte mich veranlassen, dem, der mich auf die rechte Backe schlägt, auch die linke hinzuhalten? Und warum sollte ich jemanden, der mich ausbeutet oder schon ausgebeutet hat auch noch etwas freiwillig dazu geben?

Jesus radikalisiert und provoziert. Und gibt erst einmal gar keine klaren Handlungsanweisungen; denn wie sollte das funktionieren, was er verlangt?

„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ – so hat es einmal der englische Philosoph Thomas Hobbes gesagt. Man frisst sich gegenseitig auf, wenn nicht irgendein vernünftiges Gesetz eine Grenze setzt – so wie eben das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Und doch: es gibt einen Traum von einer anderen Welt, einer besseren Welt, einer friedlichen Welt. In der jeder in seinem Haus, unter seinem Weinstock in Frieden wohnen kann. In der man seinen Garten bepflanzt und die Früchte, die darin reifen, essen darf. In der Menschen sich lieben dürfen und Kinder groß werden. In einer Stadt, in der Frieden und Gerechtigkeit wohnen und alle genug haben. Einer Welt, in der das Leid und das Leiden der Menschen ein Ende hat, in der die Tränen abgewischt und die Klagen verstummt sind. Eine Welt wie Gott sie für seine Kinder will.

Diese Vision nimmt Jesus auf. Diese Welt malt er den Menschen, die ihm zuhören und Orientierung für ihr Leben suchen, vor Augen. Um uns herum tobt eine Welt, die von Krieg und Tyrannei, von Hass und Elend gezeichnet ist. Aber wir wollen eine andere Welt. Wir wissen, dass Gott uns eine andere Welt bereit hält. Und dazu brauchen wir die prophetischen Worte Jesu. Und sie sollen uns in Herz fallen, nicht dass wir sie sofort umsetzen und zu Handlungsmaximen machen. Aber dass sie in uns den Traum wach halten von einer besseren einer friedvollen Welt, in der Feinde zu Freunden werden.

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat einmal, mit alten biblischen Bildern über Jesus sprechend, gesagt: „Der Sinai genügt ihm nicht. Er will in die Wolke über dem Berg, aus der die Stimme schallt, in die Urabsicht Gottes will er dringen..., um die Tora zu erfüllen, das heißt, ihre Fülle anrufen und wirklich machen.“

In die „Urabsicht Gottes“ will er dringen. Das vorstellbar machen, was Gott für seine Welt will.

Wenn wir heute aus den Worten der Bergpredigt etwas mitnehmen wollen, dann vielleicht dies: Die Bergpredigt ist nicht vernünftig, folgt nicht den Regeln der menschlichen Vernunft. Sie übersteigt das Vorstellbare und wahrscheinlich für die meisten Menschen auch das Lebbare. Und dennoch hat sie Kraft. Und sie gibt Kraft den Menschen, die Jesus nachfolgen wollen und immer wieder darum ringen, wie sie das können.

Die Bergpredigt und ganz besonders die Worte von der radikalen Feindesliebe; sie haben einen Ankerpunkt – und das ist das Leben und Sterben Jesu selbst. An ihm sehen wir, dass er mit seiner bedingungslosen Hingabe an die Welt und ihre Realitäten die Urabsicht Gottes für uns Menschen zur Vollendung gebracht hat.

Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Gut, dass einer vollkommen ist. Gut, dass sein Bild uns vor Augen ist, wenn wir die kleinen Schritte tun und uns für den Frieden in unseren Herzen, unseren Häusern und unserer Welt einsetzen. Nur das macht Hoffnung und lässt uns nicht verzagen.

Amen.                                                                                                      

Perikope
25.10.2015
5,38-48

Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Andreas Pawlas

Predigt zu Matthäus 5,38-48 von Andreas Pawlas
5,38-48

Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will.  Ihr habt gehört, dass gesagt ist (3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.  Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?  Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. 

Liebe Gemeinde!

Nun haben wir gerade  so schön gesungen und sind still und andächtig zum Gebet geworden, und das hat unserer Seele gut getan. Da kann wirklich noch gut etwas davon nachklingen, was da in diesem Bibelwort für diesen Sonntag von einer Vollkommenheit gesagt ist, in der sich die Vollkommenheit unseres Vaters im Himmel irgendwie spiegelt. 

Trotzdem will uns dieses Bibelwort mit einem Male aus dieser Beschaulichkeit herausreissen und in eine ganz andere Welt hinein nehmen. Denn da ist von so hässlichen Dingen wie Schlagen und Hassen, und von Feinden und vom Bösen die Rede. Aber eigentlich kann das doch alles  nichts mit uns zu tun haben. Denn wir wollen doch wirklich immer nur freundlich und umgänglich sein.

Oder reichen solche guten Vorsätze nicht für uns und die ganze christliche Gemeinde? Und warum soll das nun nicht reichen? Weil faktisch unser Leben doch nicht immer Friede, Freude Eierkuchen ist? Weil wir doch nicht in einem Wolkenkuckucksheim leben? Sondern weil wir als Christenmenschen doch  mitten in dieser unvollkommenen und schmerzhaft fehlerhaften Welt leben? Und weil wir in diesem Gottesdienst nicht mit irgendwelchen rosaroten Phantasien zu tun haben wollen und sollen, sondern mit Gottes tatsächlichem Wirken  in dieser Welt, so wie sie ist? Nein, deshalb dürfen wir  unsere Augen und Ohren jetzt bei diesem Predigttext nicht verschließen. Und wie oft hören wir da einfach in dieser unserer Welt die Parole: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ - und wir als Christenmenschen erschauern.

Oder reicht das noch gar nicht, und unsere Welt  ist vielleicht sogar noch schlimmer? Sie können sich das nicht vorstellen? Ich bitte Sie! Denn wie ist das allein  auf den Schulhöfen in unserem Land? Wehe, da sollte einmal  dem Schwächsten aus der Klasse das Missgeschick geschiehen, aus Versehen  den Stärksten der Klasse anzurempeln! Was dann passiert? Nein, da kann kein Wort der Entschuldigung  oder ähnliches helfen! Sondern da wird nicht nur wieder gerempelt, natürlich kräftiger als vorher, und dann gibt es noch eine Ohrfeige  und einen Knuff dazu. So müssen es viele Kinder leider Gottes so oft erleben.

Aber bitte schauen wir doch nicht zu mitleidig nur auf unsere Kleinen. Denn ist es nicht unter uns Erwachsenen ziemlich ähnlich? Wenn der kleine Bodo mit seinem Auto  den großen Max aus Versehen abdrängt oder nötigt, dann kann es schon passieren, dass der große Max den kleine Bodo aus Rache nicht nur genauso nötigt, sondern am besten sogar noch anhält und beschimpft oder gar schlägt. Und vor einiger Zeit soll hier in Schleswig-Holstein deshalb einer sogar erschossen worden sein. Ja, so etwas kann passieren, wenn einer dem anderen zufällig  oder unbeabsichtigt in die Quere kommt.

Aber wehe denen, die das absichtlich tun, weil sie unsere Feinde sind. Ja, wir dürfen uns nichts vormachen. Es gibt Feinde auf dieser Welt. Lassen wir uns nicht täuschen durch liebe Willenserklärungen. Es gibt Feinde auf dieser Welt, unter Nachbarn oder in der Familie, in der Politik oder in der Wirtschaft, national und international. Und es ist ja gerade zur Zeit das Elend, dass so viele Flüchtlinge  unsere Gastfreundschaft suchen müssen, weil ihre Feinde sie nicht leben lassen wollen.

Ja, so macht man das mit Feinden üblicherweise: man hasst sie, man sucht ihnen zu schaden, wo es nur geht, koste es, was es wolle. Da kann manchmal sogar das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, in einem gewissen Sinne ganz human sein.

Übrigens, weil das so ist in unserer Welt, deshalb ist es auch ganz selbstverständlich, dass man einen Freund, eine Freundin, einen Verbündeten  liebt und sympathisch findet, ihm natürlich auch borgt, ihm hilft und ihn begleitet. Und den Feind, den hasst man eben und meidet ihn und stellt ihm Fallen innerhalb und außerhalb des Gerichtes. Ja, so selbstzerstörerisch ist das in dieser Welt und vielleicht sogar noch schlimmer.

Aber genau das weiß Jesus alles und das spricht er auch aus. Und damit wird auch eindeutig klar,  dass das nach Gottes Willen nicht so sein soll. Denn Christen,  die sollen ganz anders sein:  Denn Christen,  die sollen vollkommen sein. Christen sollen demjenigen, der sie auf die eine Wange geschlagen hat, auch noch die andere Wange darbieten. Christen sollen helfen, borgen, schützen. Sie sollen den Feind lieben. und bitten für die, die sie verfolgen,  damit sie Kinder des Vaters im Himmel sind.

Aber da runzelt mancher schnell die Stirn. Denn wie sollte das denn gehen, hier, mitten in unserer Welt, wie wir sie uns gerade in ihrer Unfriedlichkeit vor Augen geführt haben? Und wenn es nicht geht, wie sollten wir dann Kinder des Vaters im Himmel sein? Und überhaupt, wie sollte denn da z.B. der Polizist, der Anwalt, der Soldat seinen Beruf ausüben können?  Das kann doch alles so nicht richtig sein.

Aber jetzt bitte nichts verwechseln: Jesus gibt hier überhaupt keinen Ratschlag zur Ausübung öffentlicher Ämter. Der Polizist soll ja um Gottes willen zum Schutze aller dem Bösen widerstehen, genauso wie der Anwalt oder der Soldat. Nein, Jesus spricht uns hier ganz persönlich, ganz privat an. Mich und Dich, so wie wir uns hier und heute an diesem Sonntagmorgen zusammgefunden haben.

Aber einen Moment mal! Und da soll tatsächlich gelten, dass man die linke Wange darbietet, wenn man auf die rechte  geschlagen worden ist? Und da soll tatsächlich gelten, dass man seine Feinde liebt? Noch einmal: Wie sollte das denn gehen? Oder ist das nur etwas, was bestenfalls Pastoren hoch oben von der Kanzel  heruntersagen können, was aber nichts mehr  mit unserem normalen Leben zu tun hat?

Halt, liebe Gemeinde, bitte jetzt nicht gleich abschalten. Denn wie wäre es, wenn der Schlag auf die rechte Backe, so wie es damals im alten Palästina üblich war, einen nicht niederstrecken sollte, sondern allein Verachtung und Erniedrigung  ausdrücken sollte? Wenn uns so allein Verachtung  und Erniedrigung auf eine bestimmte Weise entgegengebracht werden sollte, wie wäre das denn? Natürlich wäre das nicht schön und wir wünschen uns das nicht. Aber eine Frage ist jetzt ganz entscheidend: nämlich, könnte einen eigentlich eine solche Geste wirklich tief in der Seele treffen, wenn man seine Seele durch Christus ganz nahe bei Gott, ganz wohl umhüllt und beschützt  durch seine Güte weiß? Wie sollte einen da die Verachtung  eines Mitbürgers wirklich kränken können?

Ja, wir wissen, und es ist noch nicht so lange her, dass hier im Lande eine solche Kränkung der Ehre  blutige Rache erforderte. Und in manchen Kulturen  ist das auch heute noch so. Aber wer sich wirklich und ganz deutlich von Gottes gutem Geist erfüllt fühlt, warum, um Gottes willen, sollte der denn einen anderen wiederschlagen  oder wiederhassen? Nein, das braucht er nicht. Er kann nach dem ersten Schrecken - und den können wir ihm wirklich zugestehen - er kann nach dem ersten Schrecken vollkommen gelassen sein. Er kann sogar Mitgefühl haben mit dem Anderen,  den offenbar schlechte Gefühle  so sehr übermannt hatten,  dass er seine Fassung verlieren musste. Und ganz gewiss, ein solches Mitgefühl steht auf dem Weg zur Vollkommenheit.

Jetzt aber kommt eine bohrende Frage an unsere unvollkommene Alltagswirklichkeit: Fühlen wir uns tatsächlich eigentlich immer so sicher von Gottes gutem Geist  geleitet und erfüllt? Fühlen wir uns denn immer von Christus täglich so geführt und bewahrt? Wie ist das, wenn sich unsereiner  nur noch leer und ausgebrannt, zu kurz gekommen und traurig fühlt? Dann stimmt das doch alles nicht.

Diese Logik ist tatsächlich richtig und dennoch ist alles ganz anders. Denn in diesem Gotteswort redet zu uns eben  kein unbarmherziger Gesetzgeber, der nur darauf lauert, dass wir Fehler machen, um uns dann gefälligst zu vergelten nach dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Sondern gerade weil er  um unsere Fehler und Schwächen, um unsere Ängste und Traurigkeiten, um unsere Gefühlsschwankungen und Probleme weiß, deshalb hat sich doch  der lebendige Sohn Gottes, Jesus Christus, für einen jeden von uns verbürgt, verbürgt durch seinen Tod am Kreuz, verbürgt zu neuem ewigen Leben für uns.

Gerade weil er uns an Leib und Seele genau kennt, will er bei uns sein, will er, dass wir ihn bitten. Er will, dass wir unsere Not, Schuld und Unvollkommenheit ihm klagen und er, er will tatsächlich alles zum Guten wenden, durch alles Leben und Sterben hindurch. Wir müssen uns nur endlich darauf verlassen. Er will und kann uns Kraft schenken, dass wir wieder lieben können, so wie wir von ihm geliebt sind. Wir müssen ihm das nur endlich zutrauen.

Und gerade wenn wir Christus eben noch um solche Gewissheit  und um solches Zutrauen bitten, dann könnte bereits etwas mit uns und tief in unserem Herzen geschehen. Dann könnte bereits in dieser tiefen Sehnsucht eine Ahnung davon wachsen, wie Gottes Liebe und Kraft  unsere ganze Seele ergreifen will. Und wenn sich dann so unsere Seele  durch Gottes Liebe und Kraft zu weiten beginnt, und wir wieder froh und frei  durchatmen können, wie belanglos wird dann mit einem Male die Frage, ob wir unsere Feinde lieben können oder nicht.

Denn natürlich können wir dann doch  ganz von selbst auch in unserem Feinde ein geliebtes Kind Gottes entdecken mit seinen Schwächen und Ängsten. Und warum sollten wir also dann nicht unseren Feind lieben können? Warum sollten wir also dann nicht von Herzen großzügig sein können und borgen und helfen, so wie es eben nötig ist? Wenn wir merken, wie uns Gottes Liebe und Kraft anrührt, warum sollten wir dann nicht  alle Menschen und alle Kreatur mit einschließen  in den Dank, der allein Gott gebührt und den wir an seine Geschöpfe weitergeben dürfen? Ja, was für ein erfülltes Leben ist es, sich derart vom Vertrauen auf Gottes Liebe tragen und führen zu lassen jetzt und bis in Ewigkeit. Amen.  

Perikope
25.10.2015
5,38-48

KONFI-IMPULS zu Matthäus 5,38-48 von Ulrich Erhardt

KONFI-IMPULS zu Matthäus 5,38-48 von Ulrich Erhardt
5,38-48

Konfi-Impuls zu Matthäus 5,38-48 

Der Text und die Konfis

Dieser Abschnitt gehört zu den bekanntesten Texten der Bibel und zugleich zu den – nicht nur von Konfirmandinnen und Konfirmanden – am meisten missverstandenen. Es geht nicht – wie beim ersten Lesen Jugendliche vermuten – darum, sich alles gefallen zu lassen, sondern um die Großzügigkeit, auf sein Recht zu verzichten und damit den Gegner zum Umdenken zu bringen (vgl. Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium, S. 146). Um es mit Rabbi Chama ben Chanina zu sagen: „Wer ist ein Held? … Wer die Feinde zu Liebenden macht“ (zitiert nach: Fiedler, S.153).

Im Unterrichtsgespräch sollte dieser Hintergrund des Textes ausgeleuchtet werden. Wie gelingt es, sich so zu wehren, dass Gewalt nicht eskaliert, sondern Verständigung erreicht wird? Jugendliche kennen vermutlich aus dem schulischen Kontext solche Beispiele – nicht nur die großen von Mahatma Gandhi oder Martin Luther King, sondern auch Streitschlichter-Modelle oder das Projekt „Schritte gegen Tritte“ (http://www.schuelerarbeit.de/arbeitsfelder/schritte-gegen-tritte oder http://www.schrittegegentritte.de ).

Zur Umsetzung im Gottesdienst

„Ich hasse dich“ sagen Jugendliche relativ schnell, ohne das in allen Konsequenzen zu bedenken. Man sammelt im Konfirmandenunterricht, welche Menschen für die Jugendlichen solche „Hassobjekte“ sind. Im Gespräch muss dann herausgearbeitet werden, dass das Umdenken dort beginnt, wo ich im anderen nicht mehr das „Objekt“ meines Hasses sehe, sondern einen Menschen mit seinen Bedürfnissen. Dazu liest man gemeinsam die Verse 44 und 45: Was bedeutet das, dass Gott allen ihre Lebensgrundlagen schenkt?

Für den Gottesdienst werden dann die „Hassobjekte“ durch Karikaturen dargestellt (entweder gibt es graphisch begabte Konfis bzw. Mitarbeitende oder man wird im Internet fündig) und mein „Hass“ beschrieben. Danach liest jemand die beiden Verse der Perikope vor und für jedes Bild wird anschließend beschrieben, wie es sich verändert, wenn das Objekt als ein von Gott geliebtes Geschöpf wahrgenommen wird. Bei Menschen, die gehasst werden, weil sie Gewalt anwenden, sollte dargestellt werden, wie man zur Deeskalation beitragen kann (beispielweise durch die oben genannten Projekte). Um Missverständnisse zu vermeiden, muss in der Predigt allerdings darauf hingewiesen werden, dass Gefühle wie Hass, Wut und Aggression per se nichts Negatives sind, die nur verdrängt werden sollen. Es sind vielmehr Gefühle, die ich mir bewusst machen muss, um wirklich damit umgehen zu können.

 

Perikope
25.10.2015
5,38-48

27.09.2015, Meldorf: "Ernte gut – alles gut?"

27.09.2015, Meldorf: "Ernte gut – alles gut?"
15,21-28

Hier in Dithmarschen leben viele Bauernfamilien. Wenn ich sie besuche, lassen sie mich an ihrem Leben teilhaben.  Besonders was Sie, liebe Landfrauen, mir erzählt haben, gab mir die Idee, Sie mit Luise bekannt zu machen:

Der Kohl war reif, und Luise saß auf ihrer Bank mit dem Blick übers Feld.

Da kam Hannah vorbei gehüpft. Sie war fünf. Ihre Eltern hatten vor kurzem den Resthof nebenan gekauft. Mit einer großen Vision: Sie wollten eine Marmeladenmanufaktur aufmachen. Nach langen Jahren in der Großstadt jetzt endlich wunderbar authentisch leben.

Luises Hände kneteten die Kittelschürze. Der Kohl war reif, und sie sollte nicht mehr. Du hast genug gearbeitet, hieß es. Aber ihre Hände vertrugen keinen Müßiggang. Durchwittert und lebendig waren sie. Kräftig und faltig. Hannahs kleine Finger erkundeten vorsichtig die Schwielen. Hannah fand Luises Hände schön.

Mit 22 hatte es Luise nach Dithmarschen verschlagen. Aus dem Land der dunklen Wälder. Hinter die Deiche. Seither war sie hier. Jahr ein, Jahr aus helfen, Setzlinge zu pflanzen. Furchen ziehen. Kohl hacken. Kohl schichten. Weißkohl. Rotkohl. Alle Sorten. Acker um Acker. Hektar nach Hektar. Ihre Hände wirkten, als ob sie ganz Dithmarschen umgegraben hätten. Inzwischen gab es Fabrik große Maschinen dafür. Ob man die noch Traktoren nennen konnte? Ihre Hände jedenfalls wurden nicht mehr gebraucht.

Hannahs Füße steckten in Gummistiefeln. Im Spätsommer! Dabei regnete es nicht einmal.

Ob dieses Kind wohl schon mal Marschboden zwischen seinen Zehen gespürt hatte?

Ganz in Gedanken hing Hannah über einer Pfütze. Staute Wasser. Knetete Klumpen. Blies erdigen Staub darüber.  Sie schöpfte und schuf sich eine kleine Welt aus der Erde vor Luises Haus. Was für ein besonderes Kinderglück war das heutzutage. Wie bei mir früher, erinnerte Luise. Sie fand Hannahs kleine, erd geschwärzte Hände schön. So unverfälscht und ursprünglich. Erdenlust pur.

„Hannah!“ „Alles okay, Mama. Hannahs Mutter kam um die Ecke geschossen.  „Du darfst hier nicht spielen.“ Die junge Frau bebte. War mitten in Hannas Erdklumpen-Buddelmatsch-Reich getrampelt.

„Wie du wieder aussiehst! Wie soll ich denn jetzt diesen Dreck wieder von deinen Händen runter bekommen?!“ Hannahs und Luises Blicke verbündeten sich. Hannah wurde ins Haus gezerrt. Luise vergrub ihre Hände in den Taschen und versuchte sich zu entsinnen, ob ihre Mutter jemals das Wort ‚Dreck’ in den Mund genommen hatte.

Dreck. Wie geringschätzig das klang. Als ob Erde ohne Wert sei. Wenig nützlich. Dieser biologische Kleinstkosmos. Zwanzig Zentimeter tief. Aus Nährstoffen und Mikroorganismen.

Das sind genau die zwanzig Zentimeter, von denen du und ich satt werden, Madam! So, so. Ich habe also mein Leben lang in Dreck gewühlt. Luises Lippen wurden ganz schmal.

Ob ihr Nachbar, Dithmarscher Landwirt in sechster Generation, wohl auch der Meinung war, er verdiene sein Brot mit Dreckarbeit?

Warum denkt so mancher nur, wer in der Landwirtschaft arbeite, sei der Depp mit der Hacke in der Hand. Warum begriffen viele nicht, dass es inzwischen ein diplomierter Agrarwissenschaftler war, der mit moderner Landtechnik einen Kohlhof oder andernorts einen Obsthof, eine Milchwirtschaft oder ein Weingut bewirtschaftete, der sich über Schädlingsbekämpfung, Fruchtfolgen und Futtermittel Gedanken machte, machen musste, damit die Äcker, die Bäume, die Weiden auch weiterhin trugen. Wahrscheinlich passte das nicht ins Bild. Es störte offenbar die Bauernromantik, war wohl für so manchen wie eine vierspurige Autobahn quer durch den persönlichen Heimatfilm.

Luise wusste, wer ertragreich ernten wollte, war abhängig. Von der Beschaffenheit des Bodens. Von der Qualität der Saat. Zu viel Regen war genauso schädlich wie zu wenig wie diesen Sommer. Erde, Wasser, Luft. Hieraus wuchs alles, was den Menschen ernährt.

Heute nicht anders als gestern, vorgestern und vorvorgestern.

Aber Luise sah mit großem Stirnrunzeln, dass die Sinnkrisen des Ackerbauern nebenan und der übrigen Landwirte heutzutage von ganz anderer Natur waren. Wer von der Land- oder Viehwirtschaft leben wollte, war eingezwängt zwischen Normanforderungen und Abnahmequoten, zwischen tariflichen Arbeitszeiten und Mindestlöhnen für Erntehelfer. Brauchte große Maschinen, um die riesengroßen Ackerflächen zu bearbeiten. Brauchte die Banken, um die Maschinen zu finanzieren. Brauchte zigtausend Hektar um zig Tonnen Kohl Jahr für Jahr zu ernten, um die Jahre lang laufenden Kredite abzubezahlen. Wer sich diesem Kreislauf stellte, kam mit der Hacke in der Hand nicht mehr weit.

Was würde aus denen, die nach ihr kamen? Wer wollte sie ernähren? Es schien Luise wie ein Fluch. Leute wie Hannahs Mutter wollten unbedingt zurück zur Natur, aber wie in ein Freilichtmuseum. War ihnen bewusst, was Werden und Vergehen bedeutete?

Ihr Landwirtsnachbar musste bis spät in die Nacht rechnen und war kaum noch fähig von seinen Erträgen zu leben. Seine Möhren mussten nach einem wunderbaren Sommer auf dem Acker bleiben, weil sie zu gut gewachsen waren.

Zu groß für die Weiterverarbeitung der Nahrungsmittelindustrie. Kein Absatz möglich. Selbst Verschenken war noch zu teuer. Unterpflügen war das günstigste Minus. Welch ein Hohn. Welch eine Schmach angesichts Hungernder überall auf der Welt. Luise wusste, dass es den Nachbarn innerlich umtrieb.

Wohin sollte dieser Wahnsinn zwischen fröhlicher Landpartie und Überökonomisierung bloß führen? Wovon würde sich Hannah eines Tages ernähren müssen, wenn sie erwachsen war? Von Synthetiknahrung ?

Luise mit ihren über achtzig Jahren dachte an Hannahs Schöpferhände und ihr fiel ein, was ihre Großmutter abends beim Zubettgehen oft vorgelesen hatte:

Lesung Susanne Thießen

Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.

Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

Genesis 2, 4b.7.15 in der
Übersetzung von Martin Luther
in der revidierten Fassung von 1984,
© Dt. Bibelgesellschaft Stuttgart 1985

Pastorin Ina Brinkmann

Auch auf Platt hatte ihr die Großmutter diese Geschichte vorgelesen: Denn so klang sie noch viel wundersamer:

 

Lesung Susanne Thießen

Eendaags möök Gott, de Herr, Eerd un Heben. Do möök Gott, de Herr, den Minschen ut Stoff vun dat Eerdriek he blaas em lebennigen Aten in sien Nääs. Un so warr de Minsch en lebennig Wesen. Do nehm Gott, de Herr, den Minschen un bröch em nah den Gaarn Eden, den schull he bearbeiden un bewahren.

Dat Ole Testament,
översett ut den Uurtext vun Karl-Emil Schade,
rutgebe vun den Arbeidskrink
„Plattdüütsch in de Kark“ in Nordelbien,
3. Auflage 1996,
Wachholtz Verlag Neumünster 1995

Ja! dachte Luise und schaute auf ihre schwieligen Hände. Ut Stoff vun dat Eerdriek. Wir sind aus Erde gemacht. Aus diesem Stoff. Jeder. Ich auch. Und die Madam, Hannahs Mama, genauso wie mein Landwirtsnachbar. Wenn ich mal nicht mehr bin, dann bin ich immer noch da, nur anders. So.

Von Erde bist du genommen, zu Erde wirst du werden. So klang das neulich auf dem Friedhof, als das ganze Dorf Karl zu Grabe trug. Da hatte Luise diese Sätze traurig gefunden. Aber eigentlich waren sie doch tröstlich.

Denn wir sind nichts anderes als die Krume, die wir bebauen. Das verbindet uns mit allem, was wächst und gedeiht und auch wieder vergeht. Es verbindet uns mit denen vor uns und die nach uns kommen. Ob nun Landmensch oder Stadtmensch, wir alle gehören in den Kreislauf der Natur. Wir sind ein Teil von Gottes Schöpfung. Daraus entsteht, was wir wissen und wissen können.

Eine Handvoll Erde und der Atem Gottes. Welche Lust darin steckt. Und welche Verantwortung. Erschaffen. Schaffen. Forschen und Erfahren. Die kleine Hannah hatte auch solch eine Lust gehabt als ihre Hände das Buddelmatsch-Erden-Reich schufen. Sie war davon beseelt und baute und bewahrte, weil sie es liebte, womit sie umging.

In jedem von uns steckt doch ein bisschen der Geist Gottes.

Luise stand auf und sog die Luft tief in ihre alten Lungen. Ihr Blick ging weit über den Acker hinweg. Ihr war als ob die Weite der Zukunft sie streifte. Der Kohl war reif, und sie empfand just jetzt tiefe Liebe.

D A N K E. Aus tiefstem Herzen entfuhr es ihr.

Ob Hannah wohl schon Gottes Geschichte mit dem Erdreich kannte? Wenn wir uns hier auf meiner Bank treffen, erzähle ich sie ihr. Amen

Perikope
27.09.2015
15,21-28

Predigt in leichter Sprache zu Matthäus 15,21-28 von Frank Hiddemann

Predigt in leichter Sprache zu Matthäus 15,21-28 von Frank Hiddemann
15,21-28

(Predigt in leichter Sprache)

Gott ist mit euch.
Er war immer mit uns.
Auch heute ist er da.
Was auch kommt,
er wird mit uns sein.
Amen.

Liebe Gemeinde,
ich erzähle heute eine Geschichte von Jesus.
Die wird euch überraschen.
Denn Jesu ist "hässig" in dieser Geschichte.
Das ist ein Wort aus der Schweiz.
Mein Freundin Cornelia hat es benutzt.
Ich saß in ihrem Gottesdienst.
Und ich staunte über diese Geschichte.
Ich hatte sie schon oft gehört.
Aber so hatte ich sie noch nicht verstanden.
Aber Cornelia hatte Recht.
Jesu war hässig.
Das heißt genervt.
...
Matthäus hat die Geschichte aufgeschrieben.
Ich lese sie euch vor.
...
Einmal war Jesus müde.
Jesus wollte alleine sein.
Darum ging Jesus in ein fremdes Land.
In dem fremden Land wussten die meisten Leute nicht,
dass Jesus von Gott kommt.
In dem fremden Land wohnte eine Frau.
Die Frau hatte eine kleine Tochter.
Die kleine Tochter war krank.
Die Frau ging zu Jesus.
Die Frau vertraute darauf,
dass Jesus der kleinen Tochter helfen kann.
Die Frau rief laut:
Ich weiß, dass Du von Gott kommst.
Bitte, mach meine kleine Tochter wieder gesund.
Meine kleine Tochter ist krank.
Zuerst kümmerte sich Jesus nicht um die Frau.
Da schrie die Frau immer lauter.
Die Jünger sagten zu Jesus:
Bitte, mach die kleine Tochter gesund.
Die Frau schreit fürchterlich.
Die Frau nervt.
Jesus sagte:
Gott hat mich zu den armen und kranken Menschen
in meinem Land geschickt.
Ich mache die Kranken in meinem Land gesund.
Diese Frau gehört zu einem fremden Land.
Die Frau sagte zu Jesus:
Bitte, hilf mir trotzdem.
Mach meine kleine Tochter gesund.
Jesus sagte:
Das ist nicht richtig, wenn ich deine kleine Tochter gesund mache.
Das ist so ähnlich wie bei einer Familie mit einem Hund.
Beim Essen sitzt die Familie am Tisch.
Die Familie isst das Essen vom Tisch.
Der Hund sitzt auf dem Boden.
Der Hund bekommt kein Essen vom Tisch.
Das ist nämlich nicht richtig, wenn der Hund am Tisch sitzt.
Und wenn der Hund das Essen von den Menschen bekommt.
Die Frau sagte zu Jesus:
Ja, das stimmt.
Aber manchmal fällt etwas vom Essen auf den Boden.
Dann hat der Hund auch etwas zum Fressen.
Jesus staunte über die Frau.
Jesus sagte:
Frau, du hast etwas sehr Gutes gesagt.
Du glaubst wirklich, dass ich von Gott komme.
Darum soll deine kleine Tochter gesund werden.
Von da an war die kleine Tochter von der Frau wieder gesund.

Mt 15, 21-28
...
Gott sieht einen Fehler ein.
Übertreiben wir nicht!
Jesus sieht einen Fehler ein.
Er sagte: Die Frau ist fremd.
Sie kann nicht zu Gott kommen.
Aber alle Menschen können zu Gott kommen.
Warum macht Jesus diesen Fehler?
...
Am Anfang war Gottes Liebe zu seinem Volk.
Gott liebte sein Volk.
Sein Volk liebte Gott.
Sie haben viel miteinander gemacht.
Einmal geriet sein Volk in Sklaverei.
Da rettete Gott sein Volk.
Er teilte ein Meer für sie.
Un sie konnten hindurch ziehen.
Er führte sie durch die Wüste.
Er ließ Brot für sie vom Himmel regnen.
Er gab ihnen ein Land.
Eine Zeit lang gab es nur Gott und das Volk.
...
Aber es gab auch andere Völker.
War Gott auch der Gott der anderen Völker?
Himmel und Erde hatte er gemacht.
Alles Leben hatte er geschaffen.
Und so sagte das Volk Israel:
"Eines Tages werden alle Völker zusammen kommen.
Und Gott wird ihr Gott sein.
Und alle Völker werden zu ihm gehören."
...
Aber Jesus war müde.
Alle Menschen kamen zu ihm.
Er wollte ihnen helfen.
Er wollte ihnen von Gott erzählen.
Aber eines Tages hatte er genug.
Er ging über die Grenze.
Er wollte allein sein.
Keiner kannte ihn hier.
Keiner störte ihn hier.
Das dachte er jedenfalls.
Aber dann kam diese Frau.
Sie schrie ihm nach.
Sie nannte ihn "Sohn Davids".
Sie wusste, dass er von Gott kam.
...
Sie hatte alles ausprobiert.
Ihre Tochter sollte gesund werden.
Keiner konnte helfen.
Sie hatte an ihrem Bett gesessen.
Ihre kleine Hand war ganz heiß.
Sie hatte Fieber.
Sie hatte Tücher in Wasser getaucht.
Damit kühlte sie die Stirn des Mädchens.
Sie hatte ihr Kräuter gegeben.
Sie hatte für sie gebetet.
Aber nichts hatte geholfen.
Da hatte sie von Jesus gehört.
...
Die Jünger schoben sie fort.
Aber sie fing an zu schreien.
"Lasst mich ihn sehen!"
Und schließlich sagten selbst die Jüner:
"Herr, mach ihre Tochter gesund!
Wir können das Geschrei nicht mehr hören."
...
Da drehte sich Jesus um.
Er sagte nicht:
"Du nervst mich!"
oder: "Ich bin müde!"
Sondern:
Gott hat mich zu den armen und kranken Menschen
in meinem Land geschickt.

Das stimmte.
Er wollte die Menschen aus dem Volk Israel zurück gewinnen.
Er kam zu dem Volk, das Gott liebte.
Er kam selbst aus diesem Volk.
Heute sollte er etwas lernen.
...
Die Frau gab keine Ruhe.
Sie liebte ihre Tochter.
Sie denkt:
"Jesus muss sie gesund machen!"
Sie hörte nicht auf zu bitten.
...
Da erzählte Jesus die Geschichte mit dem Hund.
Ich bin zu den Kindern Israel geschickt.
Ihnen bringe ich das Brot.
Und nicht den Hunden.
...
Alle sind etwas geschockt.
So redet Jesus sonst nicht.
Die Frau schluckt.
Dann sagt sie:
Die Kinder sitzen am Tisch und essen.
Und immer fällt etwas unter den Tisch.
Auch die Hunde essen von dem Brot.
...
Jesus ist verblüfft.
Er sagt: "Du hast Recht!
Das war eine schlaue Antwort!
Du glaubst wirklich,
dass ich von Gott komme.
Geh nach Hause!
Deine Tochter ist eben gesund geworden."
...
Ich mag Jesus so.
So ist er manchmal.
Er vertut sich.
Er wird zornig.
Er findet die falschen Worte.
Er ist nicht immer cool.
Hier ist er hässig.
So nannte es meine Feundin Cornelia.
...
Einen Moment lang ist er zu.
Keiner kommt durch.
Aber dann hört er die Frau.
Jesus denkt über ihre Worte nach.
Er freut sich.
Das war gut geantwortet.
Er dekt:
"Die Frau hat mich auf's Kreuz gelegt."
Sie hat Recht.
Er nickt.
Sofort ist der Kontakt da.
Er ist online.
Die Verbindung steht.
Und dann ist er wieder der Alte.
...
Manchmal muss man Jesus zu sich rufen.
Hätnäckig an der Tür klopfen.
Seinen Blick suchen.
...
Manchmal denken wir:
Er hört nicht.
Aber dann ist er plötzlich da.
Wir wollen schon aufgeben.
Dann passiert es.
Er hört.
Er sieht uns an.
...
Alle Menschen können zu Jesus kommen.
Sarah wurde heute getauft.
Sie ist jetzt sein Kind.
Wir alle sind getauft.
Wir gehören zu ihm.
Und Jesu kommt auch zu den Fremden.
In unserer Geschichte hat er die Grenze überschritten.
Er hat etwas gelernt.
Die Frau ist kein Hund.
Die Fremden sind keine Hunde.
Sie dringen zu ihm durch.
Jesus weiß:
Sie kommen zu mir.
Sie sind schlau.
Sie sind langsam.
Sie sind nett.
Sie sind nervig.
Egal.
Alle gehören zu mir.
...
Unsere Geschichte erzählt es.
Jesus hat es gelernt.
Alle Völker kommen zu Gott.
Menschen aller Völker kommen zu ihm.
Er freut sich.
Er nimmt sie alle auf.
Sie gehören zu ihm.
Amen.
...
Gottes Friede ist mit euch.
Er ist größer als wir.
Und alle finden in ihm Platz.
Amen.
 

Perikope
27.09.2015
15,21-28