Auf die Wut des Lebens gibt es nur eine Antwort: Christus, die begütigende Liebe - Predigt zu 2. Korinther 5,(14-)19-21 von Dieter Koch
Auf die Wut des Lebens gibt es nur eine Antwort: Christus, die begütigende Liebe
Karfreitag. Der Leidende Herr tritt in unsere Mitte. Gequält, gedemütigt, misshandelt. Karfreitag, der Leidenden Herr tritt in unsere Mitte, einer von vielen, einer von Tausenden, einer von Abertausenden, die gequält, gedemütigt, misshandelt wurden und noch immer werden, Land auf, Land ab. Der Herr – ein leidender Gerechter. Gott selbst – in der Tiefe der Schmach. Grauen, Entsetzen – Leere legt sich über die Seele und hallt aus der Tiefe wider.
Karfreitag – Weltnacht. Wird es ewig dunkel sein? Licht leuchtet in die Finsternis. Nichts ist schön, nichts ist leicht. Aber in die Schwere der Heimsuchung bricht das Morgenrot der Versöhnung. Güte, wahres Leben, Wahrheit, für die es sich zu leben lohnt, brechen auf aus abgrundtiefer Traurigkeit.
Jesus starb einen Tod, den viele sterben mussten. Ans Kreuz genagelt, verspottet, verfemt, ausgespien. Jesus starb einen Tod, den viele sterben müssen, Land auf, Land ab, ausgeliefert an Sadismus, an Barbarei, an Mordlust und Blutrausch. Was seinen Tod zum Tod aller macht, ist, dass hier einer sterben musste, den keiner schuldig sprechen konnte. Was seinen Tod so einzigartig macht, ist, dass Gott selbst in diesem Sterben war, Gott selbst sich zum Sterbenden machte, in und mit Jesus in diese tiefste Nacht hinein sich verströmte. Liebe, ohnmächtig-allmächtige Liebe: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich. Gott war in Christi Sterben und umarmte diese wutentbrannte, orgiastisch das Böse feiernde Welt mit seiner ohnmächtig-allmächtigen Liebe. Versöhnung brach an.
Jesus starb einen Tod, den viele sterben mussten, aber er starb ihn betend, fürbittend, frei von jeglicher Rache, leidend an der Wut der Menschen, sich in die Leere der Weltnacht verlierend und an den Vater sich vergessend – ein Tod der Liebe, der grenzenlosen Liebe, der Feindesliebe. Seitdem tritt jeder Leidende, Gequälte, Gedemütigte, Verfolgte dieser Welt in ein anderes Licht, sehen wir ihn mit dem ohnmächtig-allmächtigen Blick echter Liebe und teilen die Trauer, die aus Naturnotwendigkeit und Menschenschuld geboren, an uns nagt.
Karfreitag. Der Leidende Herr tritt in unsere Mitte. Sein Leid ist unser Leid. Sein Schmerz ist unser Schmerz. Seine Qual ist unsere Qual, die eines jeden Menschen, dem man sein Daseinsrecht, seine Lebensfreude, seine Heimat, sein Verlangen nach Glück, nach dem kleinen Glück des alltäglichen Friedens nimmt. Sein Leid spiegelt sich im Leid der vielen tausend Namenlosen, die der Terror um ihr Leben bringt, die durch Mobbing gequält werden, die in der hemmungslosen Gier nach Macht und Geld an den Rand gedrängt werden, ihrer Arbeit ledig, freigesetzt, ausgelutscht und missbraucht – wofür? Sein Leid spiegelt sich im Leiden der vielen Tausende, die durch Völkerfeindschaft, Religionshass, Faschismus jeder Couleur (heute unter der grünen Flagge des arabischen Propheten) gezogen wurden und werden? Wo bleibt die Güte? Wie wächst Versöhnung? Wer entnimmt uns der alles zermalmenden Wut, Wut, die durch Enttäuschung, durch Zorn, durch Rache, durch Gleichgültigkeit und Zynismus spricht, Wut, die den inneren Zwiespalt stetig vertieft und am Ende tötet?
Marc Chagall hat diese Wut wahrgenommen. Er hat ihr Sprache gegeben, und er hat sie aus tiefem Gottesglauben ins Licht der Versöhnung gehoben, in die ohnmächtig-allmächtige Liebe der Versöhnung, die von Christus her in unser Leben fällt. Der Jude Chagall malte 1938 sein Bild: Die weiße Kreuzigung. Er identifizierte sich mit seinem heimgesuchten Volk und er identifizierte sich mit dem, der als Jude geboren, als Jude gekreuzigt, einer seinesgleichen war und doch der ganzen Welt gehört: Jesus von Nazareth.
1933 war Chagall mit seiner Frau Bella in Polen gewesen und erlebte ihn tief erschreckende Hassausbrüche gegen die Juden. Er erlebte den Anfang der mit Staatsterror organisierten Judenfeindlichkeit in Deutschland. Er spürte den Menschen verachtenden, Menschen mordenden Ungeist auch in Frankreich, seiner zweiten Heimat. Tiefe Traurigkeit überfiel ihn und er malte sie. Er ließ sie zu. Er gab seiner Seele Ausdruck, bis sie bereit war, den Gekreuzigten in sich aufzunehmen als Bruder im Leid und Gotteswort.
Dieses Bild wurde zur Antwort auf die Zeitereignisse wie auf die Weltnot schlechthin. Es spricht bis heute. In der Mitte unter einem weißen Lichtband steht riesengroß das Bild des Gekreuzigten als Symbol des gemarterten jüdischen Menschen. Die hebräische Inschrift „Jesus von Nazareth – König der Juden“ wie auch das aus einem jüdischen Gebetsmantel geschnittene Schamtuch weisen auf den jüdischen Ursprung des Gekreuzigten hin. Und so steht folgerichtig zu Füßen des Kreuzes in heller Aureole der jüdische Tempelleuchter und über dem Kreuz wehklagen die schwebenden Gestalten alttestamentlicher Gottesmänner, Gotteszeugen.
Um diese die Mitte haltende Zone des Heiligen verteilen sich die Szenen des Unheils. Links dringt eine Rotte Soldateska über einen Hügel herauf und stürmt ein brennendes Dorf mit durcheinander gewürfelten Häusern. Ein großes Boot, Männer und Frauen darin – schreiend – treibt über den Fluss – Flüchtende, Menschen. Ein Sturmtruppler auf der rechten Seite hat die Synagoge erreicht und angezündet und ist eben dabei, die Thorarollen aus ihrem Schrein zu reißen, nachdem er die heiligen Geräte auf die Erde geworfen hat. Im Vordergrund brennt im weißen Brand des Weihrauchs die Thora. Ein Kaftanjude mit seinem Sack eilt mit einem Klagegestus zu ihr hin. Links hat ein schreiender Mann, der entsetzt zur brennenden Synagoge blickt, eine Thorarolle mit beiden Armen an die Brust gedrückt und eilt davon. Vorn schreitet ein hilfloser Alter ins Leere. Eine Mutter sucht ihr Kind zu retten. Zersplitterndes, zerfetztes Leben in der Sprache des Bildes, all überall. Zersplitterndes, zerfetztes Leben – ob im World Trade Center, in den Zügen von Madrid, in der Synagoge von Djerba, im Museum in Tunis, im Betaclan in Paris oder auf den Plätzen Istanbuls. Zersplitternde, zerfetzte Leben – ob am Arbeitsplatz gemobbt, in der Liebe betrogen, in der Schule gepresst, ausgemustert und wertlos – und in der Mitte Er, der Leidende Herr, aller Menschen Bild und Stimme, in der Mitte Gott selbst in seiner ohnmächtig-allmächtigen Liebe.
Ein weißes Lichtband durchzieht Chagalls Bild, das weiße Licht der Gottheit, Gottes Liebe, Ruf der Versöhnung. Der alles Leid der Welt teilende, der alles Leid dieser Welt in sich aufnehmende Herr ist zugleich der alle mit sich versöhnende Gott – eine einzige, endlose Bitte: Kehre heim! Berge dich im Frieden! Meinen Frieden gebe ich, nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Als der Gekreuzigte in das Leben des Saulus trat, wurde aus Saulus Paulus. Er wurde frei vom Wüten der Welt, frei von Geifer und Rache, die ihn als Pharisäer zum Verfolger der Christen gemacht hatte. Als der Gekreuzigte in sein Leben trat, verbrannte die dunkle Glut seines Herzens, schwand die Zwiespältigkeit, die ihn gefangen hielt – und er lernte Gott ganz neu kennen als die ohnmächtig-allmächtige Liebe, die am Grund des menschlichen Herzens strömt und jeden all überall in die Einheit mit Gott weist. Werde auch du frei! Berge dich im Frieden! Lass ab vom Zorn! Kehre heim!
Die Begegnung mit Christus ist eine Begegnung mit dem Heiligen. Nur Gottes Liebe kann uns die Wut des Lebens von der Seele nehmen. Wer den Weg der Trauer geht, wird auch durch die Pforten der Freude treten, versöhnt mit sich, versöhnt mit der Welt. Neues Leben bricht auf, ewiges Leben im Zuspruch der Vergebung. Nur die liebende Berührung verbrennt den Hass der Zeit. Nur Gottes tröstende Berührung stillt die Trauer des Herzens, mitleidend, mitfühlend, versöhnend. Das Wort von der Versöhnung geht um die Welt, bleibende Erinnerung an die andere, gute Seite des Lebens. Das Wort von der Versöhnung ist aufgerichtet auf den Scheiterhaufen des Lebens als Erinnerung an die eine ohnmächtig-allmächtige Liebe, die uns allein Menschen sein, Menschen werden lässt, die allein Frieden in unsere Seelen gießt, die allein uns Gottes als der letzten, bergenden Macht inne sein lässt und die uns deshalb ruft, am Frieden dieser Welt unaufhörlich zu bauen.
Auf die Wut des Lebens gibt es nur eine Antwort: die begütigende Liebe, das Geschenk freien Wohlgefallens aneinander. Unser Glaube sieht Gott als das Licht der begütigenden Liebe, wie sie noch durch Jesu letzte Worte zu uns spricht. Unser Glaube kennt keine andere Wahrheit, als dafür zu leben, dass immer mehr Menschen an immer mehr Orten in die Versöhnung eintreten, in den Raum des Friedens. Lass dich versöhnen! Lasst euch versöhnen mit Gott!
Es liegt ein weiter Weg zwischen Krieg und Frieden, zwischen Hass und Liebe, zwischen Worten und Taten, zwischen Not und Hilfe, zwischen Feindschaft und Verstehen. Jeden Tag gehen wir auf diesem Weg. Wenn Jesus uns voraus ist, werden wir das Ziel nicht verfehlen.
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KONFI-IMPULS zu 2. Korinther 5,14-21 von Thomas Binder
Konfi-Impuls für Karfreitag zu 2. Korinther 5,14-21
A. Zur Textabgrenzung. Sinnvoll ist die Hinzunahme der Verse 11-14a. Durch sie wird der Predigttext besser verständlich, weil deutlich wird, dass Paulus sein Verhalten gegenüber den Korinthern christologisch begründet (11-17). Die Verse 18-21 können unter dem Aspekt „versöhnt leben“ betrachtet werden.
B. Fragen der Jugendlichen zum Text. Wie kann einer für alle sterben? Die Rede von der Stellvertretung Christi leuchtet Jugendlichen nicht ein. Unlogisch, so sagen einige, denn jeder muss ja selbst für das einstehen, was er getan hat. Inwiefern kann der Stellvertretungsgedanke als Interpretament des christlichen Selbstverständnisses für Jugendliche anschaulich gemacht werden? „Stellvertretungsmotive“ häufen sich in der Wahrnehmung der Jugendlichen in vielen populären Erzählungen und Konzepten: Harry Potter will sich Voldemort opfern, damit dieser niemanden mehr töten kann. Im Zeichentrickfilm „Madagaskar 2“ empfiehlt King Julien, einen Freiwilligen als Opfer in einen Vulkan zu werfen, um dadurch den Wassergott freundlich zu stimmen. - Gewinnt ein Fußballverein ein Spiel, betrachten sich seine Fans als Gewinner, obwohl diese nichts Entscheidendes zum Spiel beigetragen haben (Kessler). Warum sind alle Menschen Gottes Feinde? Dieser Satz ist Jugendlichen unverständlich, darauf sollte in der Predigt eingegangen werden. Versöhnung durch Christus? Vergebung und Verzeihen sowie der Umgang mit Vorurteilen ist ein alltägliches Problem Jugendlicher. „Verzeihen ist wichtig“ – „Wenn jemand Vergebung anbietet, soll man sie annehmen!“. Was meint das Wort hier im Unterschied zum Alltagsgebrauch? Was bedeutet es, als mit Gott versöhnter Mensch zu leben?
C. Zur Vorbereitung im Unterricht: (zu V. 11-17) Die Frage nach Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung ist für Jugendliche zentral: Was bestimmt mein Handeln? Woran wird mein Handeln beurteilt? Wie werde ich von anderen wahrgenommen? Wie nimmt Gott mich wahr? Was bedeutet es, seine Identität nicht in eigenen Leistungen oder Meinungen anderer zu finden, sondern in der Gottesbeziehung (v. 17)? Dazu siehe unter „Praxisideen“: Wer bin ich? (Bonhoeffer) – (zu V. 18-21) Was bedeutet es, als Christ versöhnt mit Gott für andere zu leben? Für was stehe ich ein? Lebensbilder von Christen, die Versöhnung leben: Martin Luther King, Dietrich Bonhoeffer.
Praxisideen: Lektüre und Bearbeitung des Gedichtes „Wer bin ich?“ (Bonhoeffer), dazu: „Wer bin ich? Konfirmandenwochende zu Dietrich Bonhoeffer“ unter http://www.geistreich.de/experience_reports/1961 - „Dinge, für die es sich lohnt“. Bausteine und Ideen für einen Jugendgottesdienst zum 70. Todestag von Dietrich Bonhoeffer (https://sites.google.com/site/ejoberfr/bonhoeffer-2015) - Schulgottesdienst zum Thema „Versöhnung statt Hass - Das Nagelkreuz von Coventry“ - (www.materialstelle.de/aktuelles/gottesdienst.pdf).
Zur Mitwirkung im Gottesdienst: Gebetsaktion: Gottesdienstbesucher formulieren Gedanken zu „Was mich belastet /Womit ich andere belaste“ oder „Wo ich mir Versöhnung wünsche“. Diese werden entweder in die Fürbitten eingebracht oder still zum Altar gebracht – Texte und Gebete aus „Jugendgottesdienst plus“, 2001, S. 52-61.
Lieder zum Text: Wie ein Fest nach langer Trauer (EG 660) – Befreit durch deine Gnade (in: Das Liederbuch Nr. 137) - Du lässt mich nicht mehr los (in: Das Liederbuch Nr. 7) - Ein Leben, gegeben (in: Das Liederbuch Nr. 231) - Lebensglück (in: Das Liederbuch Nr. 108) – Vater der Barmherzigkeit (in: Das Liederbuch Nr. 148) – Anker in der Zeit (in: Das Liederbuch Nr. 214).
Literatur: Hans-Ulrich Kessler, Karfreitag – 2. Korinther 5,14b-21, in: Gottesdienst für Jugendliche, Perikopenreihe 2, Patmos 1997, S. 87-90; Hans-Martin Lübking: Jugendgottesdienst plus, Gütersloh 2001.
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Gegen die Trostlosigkeit - Predigt zu 2. Korinther 1,3-7 von Andreas Schwarz
Gegen die Trostlosigkeit
3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. 5 Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. 6 Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. 7 Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.
Niemand ist gern trostbedürftig.
Die Situation ist unangenehm.
Man möchte sie so schnell wie möglich verlassen.
Wir tun uns schwer, uns selbst und anderen einzugestehen, dass wir trostbedürftig sind.
Wir tun uns schwer, anderen zu sagen, wenn es uns schlecht geht.
Es ist fast peinlich, andere Menschen zu brauchen.
Und so bleiben viele Menschen ungetröstet.
Sie bleiben allein mit der ungestillten Sehnsucht,
jemand möge ihnen zuhören,
sie in den Arm nehmen,
ihnen ihre Tränen abwischen.
Sie bleiben trostlos allein in ihrem Kummer.
Allein in der Trübsal.
Allein - in dem Wechselspiel von Selbstmitleid und Kampf gegen die Trübsal;
Zwischen: 'Mir kann ja doch keiner helfen'
und: 'ich schaffe das schon allein'
So errichten sie eine Mauer, die keinen Trost mehr ankommen lässt.
Wer weiß, vielleicht verbergen sich dahinter schlechte Erfahrung, weil viele, die vorgeben, trösten zu wollen, doch nur vertrösteten.
Mit gut gemeinten Sprüchen wie: 'es wird schon wieder' oder gar: 'reiß dich zusammen'.
Die erweisen sich als hilf- und wirkungslos.
Damit ist niemandem geholfen.
Die Distanz wird nur noch größer.
Denn viele Menschen erleben gerade, dass manches eben nicht mehr wird.
Manches Leid wird immer nur noch größer –
bis zum Ende jeder Hoffnung und Aussicht auf dieser Erde.
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus und Gott allen Trostes.
Paulus hat Trübsal hinter sich.
Das Verhältnis zur Gemeinde in Korinth war angespannt. Sie hatte ihn angegriffen und kritisiert wegen seiner vermeintlichen Schwäche im Reden, Auftreten und Glauben.
Das haben sie bereinigen können, aber Paulus schwingt sich nun nicht auf zur Pose der Überlegenheit.
Das hätten seine Gegner in Korinth gern gesehen. Souveränität und Ausstrahlung waren genau der Maßstab eines Apostels, dem Paulus nicht genügte.
Für Viele ist das ja immer noch der Maßstab, dass der richtige Christ alles Leid im Gebet und in der Kraft des Geistes besiegt, dass es keine Niederlagen mehr gibt für den, der in Christus ist.
Und so treten sie vollmundig auf mit ihrem Anspruch an sich und an andere.
Paulus haben sie nicht auf ihrer Seite.
Der tritt nicht als Sieger auf.
Vielmehr gibt er sich als angefochten, trostbedürftig und getröstet zugleich zu erkennen.
Was für ein trostreiches Vorbild:
Es tröstet der, der angefochten und schwach selbst auf Trost angewiesen ist.
Es ist das Motto bei uns weit verbreitet:
'Rette sich, wer kann!'
Wir sind aber in Wahrheit nicht anders zu retten, als dass der Eine sich selbst nicht rettet, obwohl er es gekonnt hätte. 'Hilf dir selbst und steig herab vom Kreuz' und 'Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen!'
Doch, kann er, aber er hat es nicht getan.
Seine Schwäche für uns
und seine Liebe, die für den tödlichen Konflikt mit
menschlicher Stärke bereit ist,
sind stärker, als wir Menschen.
Jeder von uns braucht mehr Liebe, als er verdient,
und mehr Trost, als er zugibt.
Im Kreuz seines Sohnes zeigt Gott sich als der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes.
Vom Gott allen Trostes bekommen wir Trost und wissen dann überhaupt erst, was das ist.
Daher rühren nämlich die vielen schlechten Erfahrungen, wenn einer trösten will, ohne zu wissen, was das ist.
Dann bleibt er in der Distanz und möchte gern schnell weg aus der Atmosphäre des Leides.
Oder er möchte den Traurigen, den Klagenden gern zur Ruhe bringen.
Und dann erleben traurige Menschen, dass man meint, man könne sie trösten, indem man sie mit ihrer Klage zum Schweigen bringt.
Trösten heißt dann: beschwichtigen;
Menschen fühlen sich nicht verstanden,
nicht gehört in ihrer Not.
Zu trösten aber heißt, hellhörig sein für die Not anderer.
So entsteht ein Raum für seine Klage.
Dazu werden wir ermutigt, damit Klage geäußert und nicht besänftigt wird.
Menschen des Gottesvolkes aus dem Alten Testament geben der Klage Worte; sie drücken aus, was für einen Trost sie erbitten und erhoffen.
Zu ihren Herzen soll geredet werden, weil sie müde sind, in Not und Klage verzagt. Ihre Klage soll sich nicht durch fromme Beschwichtigung den Mund verbieten lassen.
Wie Hiob, der in seiner Beziehung zu Gott nicht aufhört zu klagen, bis er den Weg zur Zuversicht neu findet.
Wer getröstet wird, kann wieder aufatmen. Wer tröstet, lässt aufatmen. Der Trost erstickt nicht die Klage, sondern schenkt neuen Lebensmut und neue Lebenskraft.
Denn jedes Leid lässt uns teilhaben am Leid unseres Herrn Jesus Christus. Es stellt uns sozusagen unter sein Kreuz. Da haben wir nicht nur einen, von dem wir sagen können: 'der hat auch gelitten, der versteht mich, ich bin nicht ganz allein, wenn ich leide'. Es ist nicht nur sein Mitleiden, das da deutlich wird; es ist vor allem das Leiden für uns.
Sein Leiden, das er aus Liebe angenommen und ausgehalten hat bis zum bitteren Ende. Bis dahin, wo Gottes Liebe ihm für ihn selbst entschwindet.
Er hört nicht auf, zu uns zu halten. Er schenkt uns den Raum, in dem wir leben können. Da ist Platz für uns, auch mit unserem Leiden.
So viel bist du ihm wert, dass er für dich und dein Leiden aus Liebe den Tod am Kreuz erleidet. Sein Trost richtet auf, weil er Leiden nicht klein und schon gar nicht weg redet; er lässt es zu, lässt es gewähren, gibt Möglichkeiten zur Klage, zum Weinen.
Die Botschaft von Christus und unser Glaube an ihn machen das Leben nicht leichter.
Aber sie bewahren uns davor, irgendein Leiden auf die leichte Schulter zu nehmen und immer nur zu beschwichtigen.
Der Blick auf das Kreuz Jesu Christi bewahrt uns davor, aus Traurigkeit in Verzweiflung zu versinken.
… damit auch wir trösten können.
Wir verkündigen und hören die frohe Botschaft von Jesus Christus. Liebevoll gehen wir in der Gemeinde miteinander um. Hören aufeinander, fragen nacheinander, reden miteinander.
Wir lassen Raum für die Klage, damit Menschen gegen Gott zu Gott rufen können. Das Leiden, das viele Menschen erleben, braucht diese Möglichkeit. Das Leid auch in unserer Gemeinde ist wahrscheinlich größer, als wir ahnen.
Körperliche Einschränkungen, die Angst vor der
todbringenden Krankheit; die ständige Pflege eines hilfsbedürftigen Menschen; die unerklärliche Traurigkeit, die Sprachlosigkeit in Ehen, die Zweifel im Glauben, die Überforderung durch Beruf und Familie.
Wer sich auf Menschen einlässt, wird immer auch anfangen, ihr Leid aufzuspüren.
Aber genau darin liegt der Weg zum Trost.
Er führt uns zueinander.
Er bindet uns als Gemeinde aneinander.
Und wir werden so etwas wie eine Trostgemeinschaft.
Wir gehen hin und besuchen Menschen im Krankenhaus. Halten es aus, dass niemand sagen kann, wie es weiter geht und ob irgendetwas wieder gut wird.
Wir gehen zu Beerdigungen, gehen mit ans Grab, reichen Angehörigen die Hand und wissen nicht, was wir sagen sollen. Sind einfach nur da. Wir weichen nicht aus, wir lassen Trauernde nicht allein.
So haben wir teil am Leiden Christi.
Und werden an den einzigen Ort geführt, wo uns Ermutigung von Grund auf geschenkt wird.
Paulus war in größte Bedrängnis geraten; er dachte, sterben zu müssen. Aber Gott erhielt ihm das Leben.
Andere kommen nicht wieder zurück.
Und gehen den Weg, den Jesus gegangen ist: in den Tod.
Im Vertrauen darauf, es ist nicht das Ende.
Der gekreuzigt wurde, ist auferstanden.
Darin liegt die Kraft von Gottes Trost. Wir werden befreit, vor Leiden und aus Konflikten davonzulaufen oder dem Wunschbild unangefochtenen Glaubens hinterherrennen zu wollen.
In Bedrängnis schenkt Gott Trost; in Verzweiflung Mut, in Schwachheit Kraft, in Schuld Vergebung, im Tod das Leben.
So werden wir getröstet von Gott und mit Hoffnung beschenkt: 'wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben'. Amen.
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Geteiltes Leid - Predigt zu 2. Korinther 1,3-7 von Wilhelm von der Recke
Geteiltes Leid
I. Es passiert immer wieder. Aus heiterem Himmel bricht das Unglück herein. Ein Kind läuft vors Auto. Ein Mädchen verschwindet spurlos; nach zehn Tagen wird die Leiche gefunden. Ein junger Mann nimmt sich das Leben, und keiner weiß warum.
Wir sind nicht selbst betroffen, es geschieht in der Nachbarschaft oder in der nahen Verwandtschaft. Doch wir erstarren vor Schreck. Wir fühlen uns sehr hilflos.
Wir fragen: Wie konnte das geschehen? Was haben die Angehörigen falsch gemacht? Wo haben die Behörden versagt? Vielleicht: wie konnte Gott das zulassen?
Wir fragen mitfühlend: Wie werden die armen Eltern, die Geschwister, die Klassenkameraden damit fertig? Wie können sie damit leben? Wie werden sie hoffentlich eines Tages darüber hinweg kommen?
Schließlich fragen wir: Was können, was müssen w i r jetzt tun? Was sollen wir sagen? Wie können wir ihnen zur Seite stehen – von trösten gar nicht zu reden?
Der Apostel Paulus spricht vom Trösten. Wie sollen wir fertig werden mit dem, was uns zu schaffen macht, was uns bedrängt, was uns das Leben zur Hölle macht.
Er spricht davon, wie wir den großen Schmerz teilen können. Wie wir als Christen gemeinsam versuchen, wieder festen Boden unter den Füßen zu finden.
Am Anfang des 2. Korintherbriefes lobt Paulus Gott, den Vater der Barmherzigkeit – wie er schreibt, von dem aller Trost ausgeht. Den Trost, den Paulus am eigenen Leib erfahren hat und mit ihm die junge Gemeinde in Korinth:
Predigttext:
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.
II. Alleine können wir den tiefen Schmerz nicht aushalten. Davon geht der Apostel aus. Wir brauchen die anderen. Wir brauchen jemanden, der einfach vorbeikommt und Zeit hat.
Jemanden, der zuhören kann, zunächst einfach zuhören. Und der dann vielleicht auch ein gutes Wort sagt. Jemanden der trösten kann. Das braucht jeder irgendwann einmal.
Keiner kann sich selbst trösten. Alleine kann man sich über seinen Kummer hinwegtrösten – etwa mit besinnungsloser Betriebsamkeit. Man kann einen großen Ärger mit Alkohol ertränken. Man kann alles möglich anstellen; nur sich selbst trösten, das kann man nicht. Schon wenn wir einen Gedichtband aufschlagen oder eine CD einlegen, lassen wir uns von den Worten und von der Musik eines anderen trösten.
Wie macht man das – trösten?
Am leichtesten kann der trösten, der weiß, wie es uns ums Herz steht. Der vielleicht ähnlich Schlimmes durchgemacht, der selber Trost gefunden hat.
Der da ist, wenn wir ihn brauchen, und unaufgefordert geht, wenn wir wieder allein sein möchten.
Den wir noch spät abends anrufen können, wenn wir es alleine nicht mehr aushalten können.
Einer, der uns unaufdringlich die Hand hält; der uns in die Arme schließt, weil es uns gut tut und nicht weil er sich damit selbst emotional entlasten will.
Einer der zuhören kann, auch wenn wir uns wiederholen, auch wenn sich unsere Gedanken im Kreise bewegen. Der aushält, wenn wir lange schweigen; der aushält, wenn es wieder mit ganzer Kraft aus uns heraus bricht.
Schließlich einer, der das richtige Wort zu sagen weiß. O, wir wissen, wie schwer das ist! – Also keine angelernten Floskeln, keine flapsigen Redensarten („Kopf hoch. Es wird wieder. In einem Jahr ist alles vergessen!“).
Keine nachträglichen Vorwürfe („Ich habe es ja kommen sehen: Wenn man nicht beizeiten … !“).
Keine allgemeinen Weisheiten und Theorien – über die Menschen im Allgemeinen und über das Schicksal, über Vergänglichkeit und Schlechtigkeit. Auch keine theologischen und dogmatischen Erkenntnisse, keine frommen Sprüche, die zwar gut und richtig sind, jetzt aber völlig fehl am Platz. (Doch vielleicht wären sie gerade jetzt am Platz, wir trauen uns nur nicht, sie auch auszusprechen?)
Wenn wir uns wirklich auf den anderen und sein Leid einlassen, dann finden wir vielleicht auch die richtigen Worte; dann werden uns vielleicht die richtigen Worte g e g e b e n , so stellt es Jesus in Aussicht. Worte, die aus dem Herzen kommen und zu Herzen gehen – auch wenn es ganz einfache Worte sind, Worte die nur zögernd und unbeholfen ausgesprochen werden.
Keine leeren Worte, sondern erfüllte. Worte, die greifen, die glaubhaft sind. Worte, die es laut aussprechen, dass nicht alles aus und vorbei ist; dass es trotz allem einen Hoffnung gibt.
Worte, die auf etwas zurückgreifen, das größer ist als unser Herz und Verstand. Die uns schon mit auf den Weg gegeben sind und die auch dann noch Bestand haben, wenn es uns nicht mehr gibt.
Erprobte Worte. Worte die trösten, weil der Tröstende weiß, wovon er redet; weil er selbst solchen Trost erfahren hat. Er muss und er soll und er darf nicht alles das sagen, was er selbst durchgemacht und was ihn gestärkt hat. Es genügt, wenn wir spüren: Da steckt mehr dahinter; er weiß, wovon er redet.
III. So einer ist Paulus. Er redet nicht von sich selbst – wenn überhaupt sagt er bescheiden wir. Er zählt nicht auf, was er alles durchgemacht und erlitten hat – ganz allgemein spricht er von den Leiden Christi, die reichlich auch über uns gekommen sind. Paulus ist mit seinen Gedanken und seinem Herzen ganz bei den anderen, an die er sich mit seinem Schreiben wendet:
„Wenn wir l e i d e n, so darum, dass ihr Mut bekommt und gerettet werdet. Wenn wir g e t r ö s t e t werden, so darum, dass ihr aus unserer Kraft schöpft und auch solche Leiden ertragen könnt, wie wir sie ertragen.“
Im Schlussteil des Zweiten Korintherbriefes lesen wir in einem ganz anderen Zusammenhang, wie reichlich die Leiden Christi tatsächlich über ihn gekommen sind. Es ist unglaublich, was dieser Mann auf sich genommen hat. Dort zählt er es auf. Schon die Reisestrapazen sind furchtbar, wie ihm Frost und Hitze, Hunger und Durst zu schaffen machen; gar nicht zu sprechen von seinen chronischen Beschwerden. Wie er immer wieder ausgeraubt wird, wie er dreimal Schiffbruch erleidet und Tag und Nacht hilflos auf dem Meer treibt.
Dazu kommen die Schikanen der staatlichen Organe und die Lynchjustiz seiner Gegner. Wie er immer wieder verprügelt, durchgepeitscht, gesteinigt und ins Gefängnis geworfen wird. Schließlich – und vielleicht für ihn am schlimmsten – die üblen Anfeindungen durch die falschen Brüder, wie er sie nennt, also die eigenen Leute: Wie sie seine Autorität in Frage stellen, ja seine Lauterkeit, seine Uneigennützigkeit. Auch die anderen Schwestern und Brüder machen es ihm auch nicht immer leicht – so verständnislos, so störrisch und zänkisch wie sie sich verhalten (Kap.11, 22ff).
Aber Paulus lässt sich nicht entmutigen: „Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das L e i d e n Jesu an unserem Leibe, damit auch das L e b e n Jesu an unserem Leib offenbar werde (Kap.4, 8-10).“
Wie kann dieser Mann so viel ertragen ohne daran zu zerbrechen? Weil er weiß, dass er auch in finsterer Nacht nicht allein ist; auch dann, wenn ihm keiner sichtbar zur Seite steht. Weil er weiß, dass das alle diese Strapazen und Entbehrungen nicht sinnlos sind, auch wenn er im Einzelnen keinen Sinn darin erkennen kann. Weil er sich trotz allem gehalten und getragen weiß.
Dieser Mann kann andere trösten, weil er wie kein anderer Trost erfahren hat. Vielleicht kann man sagen, weil er sich hat trösten lassen. Er kann anderen beistehen, weil er selbst diesen Beistand täglich findet. Er kann andere halten, weil er diesen Halt gefunden hat. Gerade im Leiden weiß sich Paulus mit Christus verbunden.
IV. Liebe Gemeinde, wir sind hier nicht in einem Trauergottesdienst. Sonst wären es schon viel zu viele Worte zu Trauer und Trost gewesen. Der eine oder die andere ist wahrscheinlich gerade heute trostbedürftig. Doch wir reden über dieses Thema, weil uns der für den heutigen Sonntag Laetare vorgesehene Predigttext dazu auffordert – laetare das heißt freuen. Es ist gut, in Ruhe über Trost und Trauer nachzudenken, bevor der Notfall eintritt. Und so fragen wir nach dem Fundament unseres Glaubens, nach dem Grund der Hoffnung. Worauf ruht letzten Endes unser Vertrauen, wo finden wir selber Halt? Was hilft uns, Leiden zu anzunehmen – die vielen kleinen Leiden, aber erst recht das große, das unsere ganze Existenz in Frage stellt? Woraus schöpfen wir Kraft, um den anderen in ihren Leiden zu helfen?
Paulus findet den entscheidenden Halt in seiner Leidensgemeinschaft mit Christus. Wir stehen – sagt er – nicht allein mit dem, was uns aufgebürdet wird. Gerade wenn es uns schlecht geht, wissen wir uns verbunden mit dem leidenden Christus, mit dem Gekreuzigten. Wir haben teil an dem Leiden Christi, schreibt Paulus. Er empfindet das weniger als Zumutung denn als einen Trost.
Jesus hat ja nicht deshalb für uns gelitten, damit uns alles Leiden erspart bliebe – das wäre zu einfach. Er hat m i t uns gelitten, er leidet mit uns. Wir sind nicht allein gelassen. Damit hat unser Leiden noch keinen Sinn gefunden, aber es ist eben auch nicht himmelschreiend aussichtslos. Wir haben eine Perspektive.
Auch für Jesus aus Nazareth war keineswegs immer klar, warum er das alles durchmachen musste. Er stellte sich an die Seite der Menschen, für sie war er da. Er teilte sein Leben mit ihnen, und er litt mit ihnen – bis hin zum Justizmord in Jerusalem, als plötzlich alle gegen ihn waren, und sich auch seine Freunde aus dem Staube machten. Natürlich hat ihm das Angst gemacht, schreckliche Angst. Im Garten Gethsemane hat er im Gebet mit seinem Vater gerungen und dabei Blut und Wasser geschwitzt. Noch am Kreuz hat er verzweifelt gefragt: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Trotzdem ist er an Gott nicht irregeworden. Er ist seinen Weg bis zum bitteren Ende gegangen. Und tatsächlich hat Gott ihm schließlich recht gegeben. Er hat ihn nicht dem Tod überlassen. Er hat ihn zur Hoffnung für alle gemacht. Deshalb beginnt Paulus unseren Predigttext mit den Worten: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes!“ Das Vorzeichen dieses ganzen Abschnitts über Leiden und Trost ist das Lob Gottes, der Dank an Gott. Paulus kann so viel über Leiden und Trübsal schreiben – und noch viel mehr über Trost und Beistand, weil er den Grund kennt, der hält, wenn alles andere wankt. Er kennt Gott, den Vater Jesu Christi. Er kennt den, der schließlich alles gut machen wird. Er weiß, dass auf ihn Verlass ist.
V. Es ist eine merkwürdige Geschichte: Von der Ungerechtigkeit der Welt und von der Abwesenheit Gottes sprechen häufig diejenigen, die sich als Zuschauer über das Leiden anderer Gedanken machen. Bei den unmittelbar Betroffenen klingt es vielfach ganz anders. Viele sind in ihrem Leben durch finstere Täler gegangen, ihr Glaube ist hart geprüft worden, aber sie sind daran nicht irregeworden. Ja, sie haben zum Glauben gefunden, sie sind darin gewachsen. Und am Ende haben sie wie Paulus gesagt Gelobt sei Gott, den auch wir als barmherzigen Vater kennen gelernt haben.
Die Geschichte der Christenheit kennt dafür zahllose Beispiele. Über eines aus jüngster Zeit sei hier kurz berichtet, das der jungen Sudanesin Meriam Ibrahim. Ihr Vater hatte die Familie früh verlassen. Er war Muslim, aber das wusste sie nicht. Sie war von ihrer Mutter christlich erzogen worden. Meriam heiratete einen Christen aus dem Südsudan. Von einem unbekannten Denunzianten wurde sie des Abfalls vom Islam bezichtigt, noch dazu des Ehebruchs. Als Muslimin hätte sie keinen Christen heiraten dürfen. Im Mai 2014 gab ihr der Richter drei Tage Zeit, sich zum Islam zu bekennen. Dann wäre alles gut, sonst aber drohten ihr 100 Peitschenhiebe und der Tod durch den Strang.
Nach ihren eigenen Worten dachte sie keinen Moment daran, die beiden erlösenden Worte auszusprechen, die sie zu einer Muslimin gemacht hätten. Sie war bereit, für ihren Glauben zu sterben – für uns westliche Christen unvorstellbar. Dank einer italienischen Journalistin und der weltweiten Kampagne, die sie organisierte, wurde Meriam schließlich frei gelassen. – Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes!
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KONFI-IMPULS zu 2. Korinther 1,3-7 von Thomas Ebinger
Am Sonntag Lätare geht es angeregt vom Bibeltext um die Frage: Was spendet mir Trost? Wie kann ich wieder fröhlich werden, wenn ich Leid erfahre, wenn es mir nicht gut geht? Der Wochenspruch vom erstorbenen und wieder keimenden Weizenkorn weckt Hoffnung: Schwere Erfahrungen sind nicht sinnlos, sondern durch sie hindurch kann Neues wachsen. Es können leicht Bezüge zur Jahreslosung hergestellt werden, allerdings muss auch darauf geachtet werden, dass das Thema (mütterlicher) Trost durch Gott nicht einfach wiederholt wird.
In der Studie „Brücken und Barrieren“ (Hg. Hansjörg Kopp u.a.) wird anschaulich deutlich, was Jugendliche traurig macht. Genannt werden in absteigender Reihenfolge der Häufigkeit: Misserfolg, Streit, Tod, Ausgrenzung, Überforderung, Beziehungsprobleme, Probleme der Welt, Ungerechtigkeit, Vertrauensmissbrauch, Einsamkeit. Dies lässt sich auf vier Themenfelder reduzieren: 1. Anerkennung durch Leistung und Erfolg, 2. Beziehungen zu Gleichaltrigen und in der Familie, 3. Tod, 4. Probleme der Welt. Eine schöne Konfi-Einheit zum Thema Trost findet sich übrigens in Holk 2.0 (Keßler/Nolte). Bei Mara (S. 119ff) geht es um das Thema „Ganz bei Trost?“.
Im Predigttext werden zwei Quellen des Trostes benannt: Gott und Jesus als die Quelle des Trosts sowie Menschen, die diesen Trost erfahren haben und ihn weitergeben. Der Text liefert keine Antwort auf die Frage, warum es das Leid gibt und warum Gott es nicht einfach abschafft, aber er enthält eine hilfreiche seelsorgliche Spur: Wenn ich Leid erfahre und lerne damit umzugehen, hilft mir das, selbst ein Trostspender zu werden – egal ob ich noch mittendrin stecke oder schon wieder aus dem Tal der Tränen heraus bin. Pädagogisch gewendet: Leid- und Trostkompetenz entsteht durch Leiden, das mit Gottes Hilfe bewältigt wurde.
Gestaltungsideen
- Die Konfis schreiben auf Moderationskarten in Tränenform, was Menschen traurig macht. Die Karten werden geclustert und für jedes Themenfeld werden Antworten gesucht, wie man in dieser Situation am besten trösten kann.
- Drei Wochen vor dem Gottesdienst säen die Konfis Ostergras in Schalen (Anleitung: http://bit.ly/ostergras). Diese Schalen werden mit Hoffnungsworten beschriftet. Das können Bibelverse sein oder mutmachende Sätze.
- Liedvorschläge: Korn, das in die Erde (EG 98), Durch das Dunkel hindurch (NL 28), Mal Gottes Regenbogen (NL 79)
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Die Kunst, das Leben schwer zu nehmen - Predigt zu 2.Korinther 4,6-10 von Monika Waldeck
Die Kunst, das Leben schwer zu nehmen
„Hast du Zeit? Komm mal rüber, ich mach uns einen Kaffee“, ruft mir Diana zu, die Nachbarin von Gegenüber.
Zehn Minuten später sitzen wir in ihrer Küche und unterhalten uns.
Für uns beide eine kleine Pause im bewegten Alltag.
Wobei Dianas Tage immer viel bewegter waren als meine. Sie ist Sportlehrerin, hat eine eigene Fitnessschule und läuft jedes Jahr mindestens einen Marathon, am liebsten im Bergland oder in großen Städten.
Vor einigen Wochen jedoch geht sie mit Verdauungsproblemen zum Arzt und erfährt ziemlich plötzlich, dass sie an Krebs erkrankt ist. Die Verdauungsprobleme sind durch Metastasen in den inneren Organen entstanden.
Nachdem der Schock über den abrupten Stopp ihrer bisherigen Lebensaufgaben etwas verklungen ist, trifft sie Entscheidungen.
Sie spricht offen mit ihrer Familie und ihren wichtigen Freunden über ihre Krankheit und ihre Angst.
Sie gibt die Fitnessschule auf, denn die Ärzte haben zu einem anderen Umgang mit ihren Kräften geraten.
Sie gestaltet das ehemalige Zimmer ihres erwachsenen Kindes zu einem eigenen Rückzugsraum für sich um, ein Luxus, der sie selbst erstaunt und über den sie sich täglich freut.
Und eins fällt mir seither besonders auf: Sie kann so klar sagen, was sie möchte und was nicht. Oder besser: was ihr gut tut und was nicht.
Meist geht sie gefasst in die anlaufenden Termine in der Uniklinik, in die Voruntersuchungen, in die Strahlentherapie, die bald durch Chemotherapie abgelöst wird. Sie weiß, dass es Einbrüche geben wird, körperliche Einschränkungen, Schmerzen.
Aber auch, dass sie gut versorgt wird und seelische Unterstützung zu Hause hat.
Darüber reden wir, wenn wir zusammensitzen und Kaffee trinken. Aber auch über alles Mögliche, was in den Alltag gehört: Kuchenrezepte, das Fernsehprogramm von gestern, Politik oder den neuesten Krimi, eine Leidenschaft, die wir beide teilen.
Ich erlebe etwas in unseren Begegnungen, das ich in vielen Gesprächen mit Patienten in den Kliniken und auch in meinen eigenen Erfahrungen wiederfinde.
Die Erkenntnis, dass Krankheit zum Leben gehört.
Oder allgemeiner: die Erkenntnis, dass Leiden zum Leben gehört.
Das klingt banal, ist es aber nicht.
Denn eigentlich lautet die unbewusste Phantasie unserer Gesellschaft: man muss bis ins hohe Alter fit und gesund sein, alles andere ist ein schreckliches, ungerechtes, katastrophales Unglück.
Dabei ist es klar: Menschen werden krank, Menschen werden alt, Menschen scheitern, Menschen müssen sterben.
Die Ärztin Luise Reddemann sagt es so: „Die Idee, das Leben könnte leicht sein, ist ein verhängnisvoller Mythos.“ (1)
Die Frage, die diesen Mythos aufnimmt und die ich häufig gestellt bekomme, wenn ich als Pfarrerin mit Menschen spreche, ist die nach dem „Warum?“
Manchmal tritt mir diese Frage wütend entgegen, manchmal resigniert, abgeklärt oder nachdenklich:
Warum lässt Gott zu, dass ich krank bin, wo ich noch so viele Pläne habe?
Warum finde ich keinen Partner, obwohl ich mir solche Mühe gebe?
Warum ist mein Kind behindert, wo es doch nicht Böses im Leben getan hat?
Diese „Warumfrage“ ist verständlich, ich habe schon oft überlegt, dass sie uns vielleicht angeboren ist, weil wir denkende Wesen sind, die sich mit ihrem Schicksal bewusst auseinandersetzen können. Da drängt sich diese Frage einfach auf, besonders in Krisenzeiten.
Und die Antworten darauf werden nicht von mir als Theologin erwartet, sondern die Gesprächspartner finden sie in der Regel selbst:
„Seit ich das erlebt habe, kann ich nicht mehr an Gott glauben. Den gibt es nicht.“
„Ich muss etwas getan haben, dass mir das als Strafe Gottes geschickt wurde.“
„Das Leben ist kein Ponyhof, es gehört zum Menschsein, Gutes und Schwieriges zu erleben. Da musst du durch.“
„Wenn ich nicht so impulsiv reagiert hätte, wäre mir das nicht passiert.“
„Gott will mich prüfen, und wenn ich die Prüfung bestehe, wird es mir besser gehen.“
Früher haben sich die Menschen sogar damit getröstet: „Hier auf der Erde ist das Jammertal, aber nach dem Tod werde ich im Paradies sein.“
Und alle Antworten erscheinen vorläufig, fragmentarisch, zerbrechlich, wie schwankende Brücken über einen reißenden Fluss.
Unser Bibeltext heute findet zu einer weiteren:
„Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht…Wir werden zu Boden geworfen, aber wir gehen nicht zugrunde…“. (2)
Da reden Menschen, die in sich Widerstandskraft spüren, die überleben wollen.
Resilienz, so nennen es die Psychologen.
Woher nehmen diese Christen die?
Paulus sagt: „Gott hat es in unseren Herzen hell werden lassen… wir sollten erkennen: Es ist die Herrlichkeit Gottes, die wir sehen, wenn wir auf Jesus Christus schauen...“
Dieser Christus ist ein Mensch. Mit einem schwachen, verletzlichen Körper, dem Schmerzen zugefügt werden, der leiden muss, der stirbt.
Wie wir, manchmal im Leben und sicher am Ende des Lebens.
Aber Gott bleibt nicht tot.
Er steht auf.
Darin zeigt er seine Kraft und die gibt er weiter an die, die glauben.
Das Licht, oder die Kraft oder die Herrlichkeit Gottes, die uns Mut macht, Widerstandskraft aktiviert: ein Schatz, in zerbrechlichen Gefäßen.
Denn nur in und mit unserem vergänglichen und verletzlichen Körper können wir diesen Schatz spüren.
Manchmal spüren wir die Ohnmacht.
Manchmal spüren wir die Wut.
Manchmal spüren wir die Angst.
Manchmal spüren wir die Stärke.
Manchmal spüren wir die Zuversicht.
Und manchmal alles gleichzeitig, so dass wir nicht wissen, wo oben und unten ist.
In den Augenblicken danach aber ist deutlich: ich habe überlebt, weil Gott es überlebt hat, meine Schwäche, meine Zweifel, meine Panik, meine Stärke, meinen Hass.
Ich bin nicht untergegangen.
Ich musste nicht zurückschlagen.
Ich schaue auf Christus, der weiß und kennt, was ich erlebe:
Sowohl den verzweifelten Schrei am Kreuz:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ als auch das Sich-Überspülen-lassen von der Wirklichkeit: „In deine Hände, Vater, übergebe ich meinen Geist.“
Ich atme weiter. „Keep breathing.“
So empfiehlt es der englische Psychoanalytiker Donald Winnicott. Weiteratmen.
Gott lebt.
Er zeigt seine Verletzungen, um uns zu zeigen, dass er unsere Verletzungen kennt. Und er lebt mit uns.
Ein Schatz, wenn wir ihn als solchen zu nehmen wissen.
In zerbrechlichen Gefäßen.
Die wir entsprechend vorsichtig behandeln sollen.
Ich finde, meiner Nachbarin Diana gelingt das sehr gut.
Vielleicht, weil sie ihrem Körper schon immer große Aufmerksamkeit gewidmet hat und ihn gut kennt.
Jetzt lernt sie seine Grenzen anders kennen als auf den letzten Kilometern eines Marathonlaufes.
Sie respektiert ihn und zwingt ihm nichts auf, weil sie im Vergleich mit anderen Menschen gut abschneiden möchte.
Die Frage nach dem Warum interessiert sie nicht mehr so sehr. Sie weiß, dass Vergleiche zu anderen nichts bringen. Nichts für sich selbst.
Aber, dass sie nicht nur aus Krankheit besteht, sondern es auch viel Gesundes in ihr gibt, Leben, das sich lohnt und Freude macht, da ist sie sicher.
Diana bittet ihre Freunde darum, für sie zu beten.
Sie weiß, dass ihre Kraft zum guten Teil von Gott kommt und dass sie ein Schatz in zerbrechlichen Gefäßen ist.
Und ich tue das gern und bete für sie, und für mich und für alle, die es brauchen und wollen.
Denn die Kunst besteht darin, das Leben schwer zu nehmen.
(1): http://www.mediale-aufmerksamkeit.de/blog/home/texte/reddemann/ (Zugriff vom 12.01.2016
(2): Übersetzung nach der Basisbibel, Das Neue Testament und die Psalmen, Stuttgart 2012
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Das ist schwach! - Predigt zu 2.Korinther 4,6-10 von Luise Stribrny de Estrada,
Das ist schwach!
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Hören wir, was Paulus in seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt:
„Denn Gott sprach: Licht soll aus der Dunkelheit aufstrahlen, und Gott hat ein helles Strahlen in unsere Herzen gegeben, so dass wir das Leuchten der Gegenwart Gottes im Angesicht des Messias Jesus erkennen.
Doch diesen Schatz haben wir in zerbrechlichen Gefäßen. So stammt die alles übersteigende Kraft von Gott und nicht von uns. Von allen Seiten werden wir bedrängt, doch wir haben Raum. Wir wissen nicht weiter, doch wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt, doch nicht von Gott im Stich gelassen. Wir werden zu Boden geworfen, doch wir gehen nicht zugrunde. Immer tragen wir das Sterben Jesu an seinem Körper mit uns. Genauso erscheint an unserem Körper auch das Leben Jesu. (2.Korinther 4,6-10 aus der Bibel in gerechter Sprache)
Wie uncool! Was Paulus da in seinem Brief schreibt, ist schwach. „Wir sind zerbrechlich“, behauptet er. „Wir wissen nicht weiter.“ „Wir werden zu Boden geworfen“ (V.6f). Kurz gesagt: „Wir sind keine Siegertypen“.
Wer möchte gerne so sein? Wohl keiner! Wenn das der christliche Glaube ist, dann kannst du ihn vergessen!
Wir arbeiten lieber an einem anderen Bild von uns selbst: ‚Ich bin jung und körperlich fit. Ich sehe gut aus. Ich bin erfolgreich, immer auf der Gewinnerseite. Ich bin cool. Ich spreche über das, was ich kann, von meinen Fehlern und Schwächen brauchen die anderen nichts mitzukriegen. Ich bin doch kein Loser!‘
Dieses Menschenbild herrscht in vielen Bereichen unseres Lebens vor und beeinflusst uns, ob wir wollen oder nicht. Wenn ich mit Jugendlichen rede, wie im Konfirmandenunterricht, spiegeln sie uns dieses Bild oft in Reinkultur wieder, noch ohne kritische Distanz. In solchen Gesprächen wird mir deutlich, wie wenig zeitgemäß der Glaube an Jesus Christus ist. Anders gesagt: Er passt nicht in unsere Welt. Jesus wird, nachdem er in seinem Leben einiges geschafft hat, was eindrucksvoll war, zum ‚Looser‘ schlechthin: Er verliert sein Leben. Er wird nackt ausgezogen, bespuckt, beschimpft und vor den Augen aller lächerlich gemacht. Wer will heute schon zu so einem gehören? Der ist ja ein ‚Opfer!‘ Und denen, die zu ihm gehören, geht es offensichtlich so ähnlich. Paulus sagt von sich: „Immer tragen wir das Sterben Jesu an unserem Körper mit uns.“ Das klingt nicht gerade attraktiv. Wer lässt sich von solchen Typen begeistern?
Ich tauche tiefer in den Text hinein: „Diesen Schatz haben wir in zerbrechlichen Gefäßen“, schreibt Paulus (V.7). Luther übersetzt: „in irdenen Gefäßen“, die aus Erde gemacht sind wie der erste Mensch. Ein irdenes Gefäß, so ein tönerner Krug, kann leicht anschlagen oder zerbrechen, man muss vorsichtig mit ihm umgehen. Er ist nicht für die Ewigkeit gemacht. Das irdene Gefäß ist ein Bild für unseren Körper. Wir merken es selbst, je älter wir werden: Es funktioniert nicht mehr alles so reibungslos und ohne Einschränkungen wie mit 20 oder 30. Wir müssen für unseren Körper sorgen, damit wir möglichst lange weiterhin das tun können, was wir gerne wollen. Dazu kommen Krankheiten oder Unfälle, die unwägbar sind, und schnell den eigenen Bewegungsspielraum begrenzen. Das haben wir nicht in der Hand, trotz der Bemühungen um körperliche Fitness und Gesundheit.
Paulus lebte unter anderen Bedingungen als wir, es geht ihm nicht um das Alter, wenn er den Leib als zerbrechliches Gefäß beschreibt. Seine Apostelkollegen und er wurden verfolgt und ins Gefängnis geworfen. Dort waren sie angekettet, bekamen wenig zu essen und wurden zu Verhören geschleppt. Immer wieder schwebte er in Lebensgefahr. Hinzu kam, dass er nicht gesund war, und seine Konkurrenten das zum Anlass nahmen, ihn als Apostel in Frage zu stellen: „So einen Mann kann Gott doch nicht berufen haben, um sein Evangelium zu verkünden, er ist ein Lügner und Hochstapler, hört nicht auf ihn“, erklärten sie.
Paulus setzt dem etwas entgegen: In allen Gefahren und Anfeindungen erfährt er, dass Gott ihm treu bleibt und ihm hilft. Gott stellt seine Füße auf weiten Raum. Hören wir noch einmal, wie Paulus es sagt: „Von allen Seiten werden wir bedrängt – doch wir haben Raum. Wir wissen nicht weiter – doch wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt – doch nicht von Gott im Stich gelassen. Wir werden zu Boden geworfen – doch wir gehen nicht zugrunde“ (V.8f). Gott hält zu ihm. Das glaubt und spürt Paulus, und deshalb verzweifelt er nicht.
Und: Er trägt nicht nur das Sterben Jesu an seinem Körper, sondern auch das Leben Jesu (V.10). Durch die Erfahrungen des Todes hindurch leuchtet auch das Leben Jesu auf, die Auferstehung, an der Paulus Anteil hat.
Woher kommt das? Das kommt durch den Schein, den Gott in unsere Herzen gibt. „Gott hat ein helles Strahlen in unsere Herzen gegeben, so dass wir das Leuchten der Gegenwart Gottes im Angesicht des Messias Jesus erkennen“, schreibt Paulus (V.6). Wir bewirken dieses Strahlen nicht selbst, es kommt nicht von uns, sondern von außen, von Gott her. Es ist ein leuchtender Schatz, etwas Kostbares und Wertvolles, das in uns hineingelegt wird. Gott leuchtet, nicht wir. Wir weisen auf ihn hin. Gottes Leuchten zeigt sich im Angesicht Jesu. Das setzen die vielen Darstellungen des Kindes in der Krippe ins Bild: Das Kind ist umgeben von einem Leuchten, in dem sich Gottes Gegenwart zeigt. Und die, die ihm nahe kommen, seine Eltern, die Hirten und Könige, werden in seinen Glanz mit hineingezogen. Der Glanz gibt ihnen neue Kraft, um ihr Leben zu bestehen. Späte Gäste an der Krippe sind dann auch Paulus und wir. Über die Jahre und Jahrhunderte hinweg kann der Glanz Gottes im Angesicht Jesu Christi auch uns erleuchten. „So stammt die alles übersteigende Kraft von Gott und nicht von uns“ (V.7).
Große Worte sind das! Ich erlebe die Kraft Gottes auch als kleinere Münze aus dem Gold-Schatz. Aber sie ist spürbar. Wenn wir gemeinsam etwas tun und etwas Gutes daraus entsteht. Wenn wir kreativ sind und zusammen etwas auf die Beine stellen. Mir steht eine Aufführung mit unserem Kirchenchor vor Augen: Jeder und jede singt ihre Stimme, das Orchester und die Solisten tragen ihren Teil bei, ebenso der Dirigent. Es entsteht ein Kunstwerk, das getragen und durchdrungen ist vom Licht Gottes. Ein großes Ganzes, in das jede einzelne sich einbettet. Das strahlt aus auf die Menschen, die zuhören und sich von der Musik und den Worten berühren lassen.
Gottes Kraft zeigt sich auch, wenn wir uns für andere engagieren. Ich erlebe, dass es eine große Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen gibt, die in Deutschland Zuflucht suchen. In unserer Kirchengemeinde und in unserem Stadtteil, wo Flüchtlinge eine Unterkunft gefunden haben, melden sich immer wieder Leute, die etwas für und mit ihnen tun wollen. Sie bieten Sprachpartnerschaften an, helfen beim Café, stiften Fahrräder, organisieren Konzerte oder Feste, nähen Gardinen und bauen Bänke. Sie gehen auf die Straße, wenn ausländerfeindliche Sprüche an die Wände geschmiert werden oder Fenster zu Bruch gehen. In der Politik weht seit den Übergriffen in Köln ein anderer Wind, straffällige Ausländer sollen verurteilt und abgeschoben werden. Da sind wir uns schnell einig, es muss nur über das Wie diskutiert werden. Mir ist aber wichtig, dass über diesen Diskussionen nicht vergessen wird: Die allermeisten Flüchtlinge wollen hier in Frieden leben. Sie sind keine Kriminellen und werden keine Straftaten begehen. Sie suchen einen sicheren Ort, oft auch ein neues Zuhause und wollen ohne Angst auf die Straße gehen. Ich bin froh darüber, dass sehr viele Menschen das genauso sehen und sich weiter für die Flüchtlinge engagieren, sie besser kennenlernen und nach und nach Freundschaften entstehen.
Ein Funke von Gottes Kraft ist auch im Gebet spürbar. Beim Besuch in einem Kloster habe ich mich anrühren lassen vom Gebet für die Welt. Die Schwestern und die Besucher bildeten eine Gebetsgemeinschaft, die die einzelnen Bitten mittrug: Für die Politiker, dass sie gute Entscheidungen treffen, für eine kranke Freundin, für die Schwesterngemeinschaften in England, in Kenia und in anderen Ländern der Welt, für ein Ehepaar, für die Kinder des Ortes und für viele einzelne Menschen, deren Namen genannt wurden. Die kleine Klosterkirche weitete sich, so dass die ganze Welt Platz in Gottes Hand fand. Ich glaube fest, dass solche Gebete für andere einen Funken Gottes in die Welt hineintragen und sie unmerklich verändern.
Beten und Tun des Gerechten ist das, was wir Christinnen und Christen für die Welt tun können. So bringen wir Gottes Strahlen in die Welt hinein. Dann leuchtet Gottes Glanz in der Welt auf.
Lasst uns das miteinander üben in diesen Tagen des beginnenden Jahres: Beten und das Gerechte tun.
Dabei helfe uns Gott.
Amen.
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Schwach oder stark? Stark oder schwach? - Predigt zu 2. Korinther 4,6-10 von Anke Fasse
Schwach oder stark? Stark oder schwach?
Liebe Gemeinde,
er ist in Deutschland aufgewachsen, in einem protestantischen Elternhaus, hat auch an der Konfirmandenzeit teilgenommen – jetzt ist er Kämpfer für den sogenannten IS. Gerade lese ich ein Buch, in dem es um Menschen mit solchen Biographien geht. Seitdem beschäftigen mich noch mehr Fragen wie: Was finden Menschen „dort“, was sie in unserer Kultur und unserem Glauben nicht finden? Wie kommen sie dazu, mit allem zu brechen und sich dieser ganz anderen radikalen Ideologie anzuschließen? Warum finden sie „hier“ keinen Halt für ihr Leben und keine Antwort auf ihre Fragen?
Wie sehr wünschte ich, dass dieser Mann in seiner ursprünglichen Kultur und Religion ein Zuhause gefunden hätte.
Eine andere Szene. Zwei Frauen sind miteinander im Gespräch. Die eine erzählt von ihrer Arbeit in einer Kirchengemeinde. Von den Veranstaltungen und Gottesdiensten. Von all den Vorbereitungen für ein großes Fest. 2017 soll das Reformationsjubiläum gefeiert werden, in den Gemeinden, in großen Veranstaltungen, ja sogar weltweit. Nachdenklich, offen und einladend soll dieses Fest des Glaubens sein. Sie erzähle von der Freude, die ihr diese Planungsarbeit bereitet, aber auch von der Sorge und Last, die all das eben auch bedeutet.
Die andere, sie erzählt von den verschiedenen Kursen und Therapien, die sie gerade macht. Ja, sie sei auf der Suche nach der eigenen Mitte. Nach Kraft und Energie, die ihr im Alltag immer wieder fehle. In der Kirche und in Gottesdiensten sei sie auch häufiger. Das gefiele ihr oft auch sehr gut. Aber das allein würde ihr nicht reichen. Die Gottesdienste allein würden sie nicht satt machen.
„Was fehlt Dir denn?“, wird sie von der Freundin gefragt.
Wie sehr wünschte sie sich, dass die Freundin in den Gottesdiensten gemeinsam mit ihr eine Kraftquelle finden würde. Was findet sie bloß mehr in den Kursen und Therapien?
Liebe Gemeinde, wie steht es mit unserem Glauben? Finden Sie Kraft und Ruhe in den Gottesdiensten?
Und: fällt es Ihnen leicht im Gespräch mit anderen von ihrem Glauben zu erzählen? Gerade auch Menschen gegenüber, die nicht die gleiche Überzeugung teilen und dann kritische Nachfragen stellen? Ich stelle diese Frage in Anknüpfung an die erwähnten Beispiele.
Wie schnell sind immer wieder die Stimmen zu hören, die sagen, wenn dies oder das besser gemacht würde, dann wären die Kirchen voller und würden mit ihrer Botschaft auch mehr – vor allem mehr Menschen – erreichen und binden.
Der Apostel Paulus musste sich vor vielen Jahren auch mit sehr kritischen Stimmen auseinandersetzen. Denn zur gleichen Zeit gab es andere Prediger, die scheinbar viel erfolgreicher waren, viel mehr Menschen ansprachen und binden konnten und vor allem, die ein viel besseres Auftreten hatten. Denn Paulus, er war äußerlich schwach und krank und vor allem kein guter Redner. Wie konnte gerade er in dieser Zerbrechlichkeit überzeugend die Kraft Gottes vertreten?
Inmitten dieser angespannten Situation schreibt Paulus einen zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth. Darin heißt es im 4. Kapitel:
Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. (2 Kor 4, 6-10)
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, schreibt Paulus. Er, zu dessen Bekehrung vom Saulus zum Paulus gehört „als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel…“(Apg 9,3). Kurz danach erblindete er für drei Tage.
Licht. „Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht.“ ( 1. Mose 1,3).
Licht. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht und über denen, die da wohnen, scheint es hell.“ (Jes 9, 1)
Licht. „Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8, 12)
Licht und Gott, Licht und Glauben gehören zusammen. Aber das Licht ist nur zu erkennen, weil es auch Dunkelheit und Finsternis gibt. Zur Offenbarung Gottes in der Welt gehören immer wieder diese Spannungen.
Licht und Dunkelheit.
Neugeborener König in einem Stall.
Gottessohn und Kreuz.
Gott gibt sich in die Welt, in die Dunkelheit, in die Not und das Leid. Er nimmt es auf sich. So macht er die Dunkelheit der Welt hell. Durchleuchtet, ja erleuchtet sie, macht sie aber nicht weg.
Gott wird Mensch. Er gibt seinen Schatz in irdene Gefäße. Die Jünger Jesu sind keine herausragenden Menschen. Nicht besonders schön, nicht besonders reich, nicht besonders intelligent. Sie sind irdene Gefäße für die Sache Gottes.
Sie sind erfasst vom Licht und vertrauen auf das Licht, lassen sich erfassen, trotz aller Schwäche – und leuchten.
Viele folgen. Darunter Paulus, dem vorgeworfen wird zu schwach und nicht überzeugend genug zu sein. Sicher auch herausragende Menschen der Geschichte kommen dazu. Aber vor allem sind es Menschen, wie Du und ich, diese irdenen Gefäße. Zerbrechlich. Mit Stärken und Schwächen. Mit Glaubenskraft und mit Zweifeln. So, in und mit ihnen ist der Schatz Gottes da, wird weitergetragen, durchleuchtet, ja, erleuchtet die Finsternisse der Welt.
Und auch als Glaubende leben wir weiter in den Spannungen der Welt mit allen Fragen, mit der Suche nach Antworten, mit Sorgen, mit Fehlern, aber auch mit Freuden und Erfolgen, aber vor allem mit dem Licht und der Kraft Gottes in unseren Herzen.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
Liebe Gemeinde, das ist es, denke ich, was unseren Glauben ausmacht. In der Bibel wird nicht in erster Linie von Glaubenshelden berichtet, sondern von Menschen, die ihren Weg mit Gott gehen, inmitten aller Verstrickungen, Aufgaben, Freuden und Verfehlungen. Und Gott, er hält an seinen geliebten Menschen fest. Ist durch Jesus Christus mitten unter ihnen. Ist Licht in der Finsternis. Die Fragen, das Leid, der Tod ist nicht weg. Aber Gott ist da. Licht ist da in der Finsternis. Und der Tod hat nicht das letzte Wort. Das ist unser Halt. Darauf können wir vertrauen und unser Leben bauen. Das ist das Evangelium. Eine Einladung. Offen. Mit Freiraum.
Mit Blick auf die beiden Beispiele vom Anfang der Predigt kann ich sagen, ich bin dankbar für die Offenheit und Freiheit, die uns dieser Glaube schenkt. Eine Freiheit, die auch Verantwortung bedeutet.
Eine Freiheit, die dadurch geschenkt ist, dass Gott uns Menschen mit allen Fehlern annimmt. Während wir noch nach dem Sinn und der eigenen Mitte suchen, hat er, Gott, uns längst gefunden. Im Vertrauen darauf ist Leben in dieser Freiheit möglich und ein wahres Geschenk Gottes, aus dem wir nie herausfallen können.
Die Verantwortung, die diese Freiheit schenkt bedeutet: Immer wieder neu sind wir gefragt uns auseinanderzusetzen mit unserem Glauben und den aktuellen Herausforderungen der Zeit. Niemand nimmt uns die Antworten ab, aber in uns selbst tragen wir den größten Schatz um all das zu schaffen und Licht in die Finsternis der Welt zu bringen. Denn Gott gab seine Kraft in irdene Gefäße.
Das lässt mich vertrauen. „Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ (Jes 60,2)
Amen
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Licht aus der Finsternis - Predigt zu 2.Korinther 4,6-10 von Werner Grimm
Licht aus der Finsternis
Der zu Bethlehem Geborene, zum Licht der Welt Bestimmte, tritt ins Licht der Öffentlichkeit. Der Kirche ist dieser Moment der Heilsgeschichte einen Feiertag wert: Epiphanias, Erscheinung Jesu Christi. Worte des Apostels Paulus aus dem 2.Kor-Brief, Kap 4, beschreiben die Bedeutung der Epiphanias-Zeit für die Christenheit. Ich lese daraus zunächst den 6.Vers. (Die abschnittweise eingespielte Übersetzung des Predigttextes folgt F. Lang, NTD 7)
Gott, der sprach: „Aus Finsternis leuchte Licht hervor!“, der ist aufgeleuchtet in unseren Herzen, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi.
Liebe Gemeinde!
Woran denken Sie, wenn Sie morgens den Rollladen hochziehen und erste Sonnenstrahlen fallen ins Zimmer und Albträume der Nacht fallen von Ihnen ab? Paulus würde sagen: Daran denke ich, dass Gott schon am ersten Schöpfungstag sprach: „Es werde Licht!“
Woran denken wir, wenn es nach Wochen dunkel-lastender Schwermut unvermutet wieder heller wird in uns und das Lächeln wieder über die Lippen geht? – Paulus würde sagen: Gott hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben. (V.6 Lutherübersetzung)
Wie empfindet eine Frau nach einer Augenoperation, wenn sie auf einmal wieder sieht: das frische Grün der Frühlingswiese, die Konturen der Landschaft, ein liebes Gesicht? Und meine Zeitung kann ich wieder lesen! Eine gewaltige Leistung der Medizin! Aber ist’s für die Betreffende nicht viel mehr? Ist’s nicht gar die Wiederholung des ersten Schöpfungsmorgens? Paulus hat es so gedeutet!
Was geht uns durchs Herz, wenn wir in der Bibel lesen und uns dann in manchen Figuren des Evangeliums selbst erkennen – Zachäus: wie ich meinen Minderwertigkeitskomplex so schlecht kompensiere; Martha: meine arge Einseitigkeit; Petrus: mein Kleinglauben. Immer, als wär’s ein Stück von mir, und so spricht Jesus mich an, wenn er sich bei Zachäus einlädt, und so nimmt Jesus mich an der Hand, wenn er Petrus aus den Wellen der Angst und des Zweifelns zieht, und so beleuchtet Jesus mein Wesen, wenn er den selbstquälerischen Perfektionismus, die Zwanghaftigkeit Marthas ans Licht bringt – Paulus würde sagen: In einem solchen Augenblick sehe ich geradezu das Angesicht Jesu Christi – mir zugewandt, und in diesem Angesicht einen Schimmer des Lichtglanzes Gottes – Licht des Ewigen, welches das Dunkel in mir zu verzehren beginnt!
Überhaupt – unsagbare Gottseligkeit erlebt der Apostel als eine schiere Orgie von Licht: Licht sieht er aufbrechen, überspringen, sich spiegeln, widerscheinen. Und hinter diesem Lichtfeuerwerk der Schöpfer selbst – so setzt Paulus ins Bild, dass die Momente der Seligkeit, die uns dann und wann streifen wie ein heller Lichtstrahl – dass sie etwas mit Gott zu tun haben, dass in ihnen allen ein Abglanz Seiner Lichtherrlichkeit ist.
Was ein Schatz - diese helllichten Augenblicke reinen Glücks! Welche Seligkeit schon darin, sich an einen solchen zu erinnern, dass er war und wie er war!
Denn das einmal erlebte Glück ist in der Erinnerung keineswegs nur als pure Wehmut anwesend, sondern es kommt in der Erinnerung als dasselbe Glück wieder, das damals geschah. Wenn es auch nur ein Quäntchen des Damaligen ist, so ist es doch von derselben Substanz. Und so heißt es, solche Minuten der Gottesgewissheit regelrecht sammeln und im Gedächtnis bewahren, dass sie gegebenenfalls ins Bewusstsein dringen, wenn der Glaube mal wieder lahmt.
Die Augenblicke reiner Gottseligkeit, in denen wir uns ganz sicher sind, dass ‚alles gut‘ ist - in einen Tresor würde man diesen Schatz am liebsten schließen, dass nichts und niemand ihn uns je wieder rauben kann. Aber da fährt uns nun Paulus mit einer drastischen Korrektur dazwischen:
2.Kor 4,7: Wir haben aber diesen Schatz in tönernen Gefäßen, damit erkennbar wird, dass die Überfülle der Kraft von Gott kommt und nicht von uns.
Nicht Tresoren des Glückes sind wir, sondern zerbrechliche Gefäße. Aber hätte Gott das nicht anders einrichten können? Denken wir gründlicher darüber nach, so erahnen wir freilich, was der Schöpfer gemeint haben könnte, als er das Glück nur in zerbrechliche Gefäße gab: Wenn das Bild eines Tresors auf uns zuträfe, dann wären wir ja wohl sehr starre und ganz und gar verschlossene Menschen! Wir wären Menschen, die ihren geistigen, seelischen und materiellen Besitz, ihr Wissen, ihre Fähigkeiten, ihre Lebenserfahrung, auch ihre Bedürftigkeit vor den anderen fest verschließen, statt dieses alles in der Kommunikation mit ihnen fruchtbar werden zu lassen. Statt Freude und Schmerz mitzufühlen und jedenfalls die Lebendigkeit des Lebens zu spüren, bleiben solche Menschen buchstäblich auf ihren Pfunden sitzen und – vereinsamen. Im frommen Fall haben solche Leute vielleicht sogar ihren Gott für sich allein, wenn sie, obwohl sie ganz gut den Weg zur Kirche ihrer Gemeinde gehen könnten, sich damit begnügen, Gottes Nähe fernzusehen. Oder die ältere Alleinstehende: Ich schließe die Tür hinter mir zu, sagt sie, eine Hocketse will sie nicht und am Tratsch beteiligt sie sich nicht, aber wenn der Sohn seinen Vierteljahresbesuch macht, klagt sie ihm doch ihre Einsamkeit. Die Einsamkeit und bittere Härte eines „Tresors“ - das konnte nicht der Sinn der Schöpfung sein, das ist schöpfungswidrig.
Dagegen die tönernen Ess- und Trinkgefäße der biblischen Zeit – sie waren zerbrechlich und ohne sichernden Verschluss, heißt auch: Sie waren offen und standen sozusagen immer bereit, das Labende, das Erquickende aufzunehmen, um es bald schon auch wieder auszuschenken, auszuteilen, weiterzugeben. Empfangen und weitergeben – immer wieder dieser Rhythmus. Und so hat Gott offenbar das menschliche Leben auf Erden gemeint, dazu hat er uns „bestimmt“. Des Menschen Verletzlichkeit und seine Fähigkeit zu empfangen und zu schenken – die haben offenbar viel miteinander zu tun.
Freilich: Zerbrechlich ist es schon – das Gefäß, das wir sind. Und nun liegt die Zerbrechlichkeit unseres irdischen Daseins ja nicht nur darin, dass wir als vergängliche Wesen eines ungewissen Tages werden sterben müssen. Im Zerbrechen liegt vielmehr immer etwas Gewaltsames, etwas Abruptes, etwas, was zu schnell geht und was, weil es zu schnell geht, mit Entsetzen verbunden ist.
Manchmal gibt es in einem Menschenleben auch so etwas wie eine Kette des Zerbrechens, eine Kette, in dem ein Leben nacheinander einstürzt wie ein Kartenhaus. Erich Fried hat diesen Prozess dichterisch beschrieben:
„Der singen wollte
will nur noch sprechen.
Der sprechen wollte
will nur noch klagen.
Der klagen wollte
will nur noch weinen.
Der weinen wollte
will nur noch schlafen.
Der schlafen wollte
will nur noch sterben.“
Am Schluss dieser Kette ist das Leben vernichtet. Und manchmal geht es wohl so grausam folgerichtig, Zug um Zug, in den Tod – ein Menschenleben.
Aber die Zerbrechlichkeitserfahrung des Paulus ist es so nicht. Paulus hat erlebt, wie Gott die verhängnisvolle Automatik eines solchen Ablaufs immer wieder unterbrach.
2.Kor 4,8-9: Von allen Seiten sind wir bedrängt, aber nicht erdrückt; ratlos, aber nicht verzweifelt; verfolgt, aber nicht verlassen; niedergeworfen, aber nicht vernichtet.
Zwar also ist Paulus oft in Bedrängnis geraten – kein Wunder übrigens, wo er doch in Christi Namen z.B. dem griechischen Heroenkult, dem Tanz um die Jugend – wo er der Vergötzung von Gesundheit und sexueller Attraktivität das Bild des Gekreuzigten entgegenhielt: ein am Kreuz Geschändeter sei das Leitbild und Gottes Kraft werde gerade in schwachen und unscheinbaren Menschen mächtig – ja, da musste sich Paulus ja die Gegenwehr der Marktbeherrscher einhandeln! Nicht nur Reisepläne zerbarsten ihm, Gesundheit brach ein, manchmal werden sie ihm in den Gefängnissen buchstäblich Knochen gebrochen haben. Alles Mögliche ist ihm zerbrochen. Aber er hat das vorerst nicht nur physisch überlebt, sondern auch in einem tieferen Sinne sein Leben davongetragen.
Folgen wir seinen Worten, so hat Gott sein Leben so unter seine Fittiche genommen, dass es im Kern nicht versehrt werden durfte. Zwei Energie-Quellen, zwei Lebens-‚Säfte‘ sollten ihm nicht zugeschüttet werden. Die Hoffnung nicht: er hatte immer noch etwas vor sich und zuletzt würde er das ewige Leben vor sich haben; die Liebe nicht: er war auch in den schlimmen Tagen nicht verlassen von denen, die einen mit Liebe berühren.
Das gerade Beschriebene ist nun nicht nur die Erfahrung eines Apostels! Was kann auch unsereins nicht alles zerbrechen! Ein Lebensplan kann in vielen Monaten herangereift sein und morgen schon zerplatzen; eine Krankheit zerbricht jäh ein fröhliches Leben; Vertrauen zerbricht; eine Illusion zerbricht, und das ist noch nicht einmal das Schlechteste, man muss sich dann nicht länger selbst belügen, aber es ist schmerzlich genug; mit dem ablehnenden Bescheid auf die Bewerbung zerschlägt sich eine große berufliche Hoffnung; als der geliebte Mensch sich anders entschied, zerplatzte ein Traum. Als sie starb, ist er fassungslos dagestanden, als ob das Leben nun gar nicht weitergehen könnte. Oder fragen Sie den Flüchtling von nebenan, welche Trümmer seines Lebenshauses er in seinem Heimatdort zurückließ.
Wahrlich – vieles im Leben kann kaputt gehen. Und doch ist unser Leben selbst etliche Male schon aus seinen Trümmern gerettet worden, und wir wüssten heute kaum nachzuzeichnen, wie. Hatte es damit zu tun, dass wir auch in den schlimmen Stunden unseres Lebens wenigstens eine Aufgabe vor uns sahen? Wenigstens eine Erwartung hatten, die uns in der Schwebe des Lebendigen hielt? Wenigstens einen Menschen, dessen Nähe uns tröstete? War da gar im kritischsten Moment ein Licht in uns, jenes Licht der Herrlichkeit Christi, das uns früher einmal so nachhaltig aufgeleuchtet war, dass wir es nun, im Finstern tappend, doch hinter unseren Augendeckeln erzeugen konnten und wussten, es wird wieder heller werden in unserer Seele, um unser Gesicht und vor unserem Gesicht? Paulus hat noch etwas anderes vor der völligen Verzweiflung bewahrt: eine fast anmaßende Vorstellung, eine schier wahnwitzige Identifikation mit Jesus Christus, seinem Herrn, aber damit hatte er eine unzerstörbare Hoffnung:
2.Kor 4,10: Allezeit tragen wir das Sterben Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.
Am Ende wird das Gefäß dann doch vollends zerbrechen, wir werden wie alles Lebendige sterben. Aber in den Augen manches Sterbenden ist er wieder da – jener eigentümliche und mit den Mitteln der Physik nicht recht zu erklärende Glanz in den Augen, ist manchmal da wie „Licht vom unerschaffnen Lichte“, und vielleicht wird es für uns erst in der Todesstunde im tiefsten und letzten Sinne wahr, was Paulus mit Worten zu fassen suchte:
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi.
Denn im Zerbrechen des Gefäßes beginnt dann das Schauen. Schauen in ein Angesicht, das ganz Liebe ist.
Amen.
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KONFI-IMPULS zu 2. Korinther 4,6-10 von Frank Zeeb
Leidensgemeinschaft mit Christus: Konfi-Impuls zu 2. Korinther 4,6-10
Der Text für die Jugendlichen
+ Episteltexte sind nicht immer einfach, schon für Erwachsene und geübte Predigthörer nicht, gerade Jugendliche melden immer wieder zurück, dass sie mit den Texten nicht zurechtkommen.
+ Die Bildwelt des Predigtextes ist nicht die unserer Zeit, „irdene Gefäße“ werden den Jugendlichen kaum bekannt sein, auch das „Sterben Jesu an unserem Leibe“ wird unverständlich sein.
+ Der unbefangene Leser bzw. Predigthörer wird das „wir“ zunächst nicht auf den Verfasser beziehen, sondern auf die hörende Gemeinde.
+ „Verfolgung“ und „Angst“ sind indessen Leitthemen, die unmittelbar einsichtig sind.
Umsetzung
a. Im Konfirmandenunterricht kann man mit den Jugendlichen einsteigen mit Bildern und Texten von verfolgten Christen, z.B. aus der Arbeitshilfe der Landeskirche zum Stefanustag bzw. Reminiszere. Weitere Beispiele finden sich in Zeitungen, Zeitschriften und im Internet. Hier wird darauf zu achten sein, das Thema nicht durch allzu „reißerische“ Bilder und Formulierungen zu überfrachten. Es geht darum, herauszuarbeiten, dass und wie Christen wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Aus den Texten und Bildern lässt sich eine Collage bilden.
b. In einem zweiten Schritt kann man dann nach Lektüre der Verse 8+9 die eigenen Gefühle von Verfolgung, Unterdrückung, Angst und Bedrängnis zum Ausdruck bringen. Jugendliche werden nicht gerne darüber reden – als Ausdrucksmedium für die Empfindungen der Jugendlichen eignen sich also eher abstrakte Bilder (weißes Papier ca 17x17cm mit farbigen Wachsmalkreiden bemalen), die dann auf vorbereitete DIN A 4 Blätter mit den Titelwörtern „Angst“ etc. aufgeklebt werden.
c. Beide erarbeiteten „Gesamtkunstwerke“ können im Gottesdienst Verwendung finden. Der Predigteinstieg kann dann über das Thema Christenverfolgung – in der Urchristenheit und heute geschehen, wobei dazu eingeladen wird, die Collage im Anschluss an den Gottesdienst zu besichtigen. Ziel dieses Abschnittes wäre, dass der Glaube stets gefährdet ist, vielerorts durch physische Gewalt, aber auch durch Anfechtung, Gleichgültigkeit etc. Im zweiten Schritt dann davon erzählen, dass das Leben immer von Angst und Bedrängnis geprägt ist, aber die Verheißung Trost und Kraft gibt. Dabei könnten die Bilder oder einzelne davon per Beamer eingespielt werden. Stark wäre sicherlich, wenn je eines der Gegensatzpaare eingeleitet wird durch einen „Wechselchor“: Gruppe A sagt: „Wir sind von allen Seiten bedrängt“ – Gruppe B antwortet: „aber wir verzagen nicht.“. Nach dem entsprechenden Abschnitt der Predigt wiederholen, alle gemeinsam sprechen „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.“ Möglicher Predigtschluss: Im Aufsehen auf das Leiden Christi wird uns die Verheißung zugesprochen, dass das Licht über die Finsternis siegt.