Eine unbegreifliche Reise - Predigt zu Lukas 2,25-32 von Søren Schwesig
Eine unbegreifliche Reise
25 Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm. 26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. 27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: 29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; 30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, 31 den du bereitet hast vor allen Völkern, 32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.
Liebe Gemeinde,
das Fest ist gefeiert, die Kerzen sind erloschen. Unsere Wunschzettel sind mehr oder weniger erfüllt, der Festtagsbraten erlegt, die Gäste aus dem Haus. Die Familie, die sich für wenige Tage zum gemeinsamen Feiern zusammengefunden hat, ist wieder verstreut. Wieder haben wir Weihnachten gefeiert. Sicher, eigentlich dauert die Weihnachtszeit bis zum Ende der Epiphaniaszeit, aber für das Volksbewusstsein endet Weihnachten mehr und mehr mit dem Ende der Weihnachtsfeiertage.
Das Fest ist gefeiert, die Kerzen sind erloschen. Ob die Menschen dieses Jahr wieder begriffen haben, was Weihnachten eigentlich bedeutet? Ob wir es begriffen haben? Zur Erinnerung: Wir haben dieses Weihnachten wieder Gottes Kommen in die Welt gefeiert, sein Kommen im neugeborenen Jesuskind. Wir haben dieses Wunder besungen und haben Gott in unseren Liedern dafür gepriesen. Wir haben also genau das getan, was Simeon uns vorgemacht hat, wenn es heißt: „Er lobte Gott und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“
Simeon ist ein frommer Jude. Als solcher erwartet er voller Sehnsucht, dass Gott endlich den Messias schicken wird. Den Befreier, der tun wird, was der Prophet Jesaja verheißen hat, dass er den Elenden gute Botschaft bringen und zerbrochene Herzen verbinden wird, dass er den Gefangenen die Freiheit verkündigen und die Gebundenen frei machen wird. Simeon wartet schon lange auf den Messias. Vielleicht zweifelt er manchmal, ob Gott ihn jemals schicken wird.
Bis Maria und Joseph Jesus als ihren erstgeborenen Sohn in den Tempel bringen, um ihn dort, wie es das Gesetz vorschreibt, Gott zu weihen.
Als Simeon Jesus sieht, weiß er, dass sein Warten auf den Messias ans Ziel gekommen ist. Er sieht, ohne dass seine Augen noch Sehkraft besitzen, den, der Gottes Heil in die Welt bringt, und spürt auf unerklärliche Weise, dass sich sein nun Leben erfüllt hat. So kann er lebenssatt sagen: Herr, nun kannst du mich sterben lassen. Denn mit eigenen Augen habe ich den gesehen, der dein Heil bringt.
In der Begegnung mit dem Jesuskind hat Simeon erkannt, was Weihnachten bedeutet: Dass dieses Kind Gottes Heil in die Welt bringt.
Wenn das nur so leicht zu verstehen oder zu glauben wäre! Wenn sich das nur uns auch so intuitiv erschließen würde, wie es sich Simeon erschlossen hat. Aber unsere Skepsis lässt sich nicht einfach wegschieben und auch nicht unsere Fragen: Wenn Jesus Gottes Heil in die Welt gebracht hat, wo ist dieses Heil dann zu sehen? Leben wir nicht in einer unheilvollen Welt, einer im Grunde lebensfeindlichen Welt?
Die Realität unserer Welt lässt sich nicht einfach wegschieben. Und nach dem Christfest schiebt sie sich wieder die Trauerfelder unserer Erde in unsere Wohnzimmer: der Unfriede im Heiligen Land; die Ebola-Toten in Westafrika und die Spätfolgen dieser Epidemie; das Morden im Irak und Syrien durch die IS-Terroristen und andere; der Bürgerkrieg in Ukraine, der scheinbar eine Ruhepause eingelegt hat; die Flüchtlinge, für viele von ihnen das Mittelmeer zu einem Massengrab geworden ist und und und. Kann man angesichts dieser unheilvollen Realität sagen: Das Jesus-Kind hat Gottes Heil in die Welt gebracht?
Auch unsere jüdischen Geschwister halten diese schmerzliche Frage in uns wach. Wenn der Messias kommt, so sagen sie, wird Heil in die Welt einkehren. Dann werden nach den Worten der Bibel Schwerter zu Pflugscharen um geschmiedet und Wölfe bei den Lämmern wohnen. Dann wird Gerechtigkeit herrschen unter den Menschen und Menschen werden nach Gott fragen und ihn suchen. Aber ist dieses Heil wirklich schon in unserer Mitte verwirklicht?
Andererseits – wie stellen wir uns eigentlich das Heil der Welt vor? Wie stellen wir uns diese `heile Welt´ vor? Wenn Sie einen Wunschzettel schreiben könnten für eine heile Welt´ - was würde auf Ihrem Wunschzettel stehen? Keine Kriege mehr? Endlich Schluss mit Gewalt und Hass in so vielen Gegenden unserer Welt? Dass es gerecht zugehen soll unter den Menschen? Dass nicht Tausende ihren Arbeitsplatz verlieren, während sich Konzernleitung und Manager mit hohen Abfindungen vom Acker machen? Vielleicht würden Sie auch ganz pauschal schreiben: „Zu meiner heilen Welt gehört, dass die Bösen für ihr Tun bestraft werden, es den Guten gut ergeht und dass das Leid ein Ende hat.
Aber diese heile Welt gibt es so nicht. Die Realität spricht eine andere Sprache als unsere Wünsche. Trotzdem werden Menschen nicht müde, das Zeugnis des Simeon weiter zu sagen: Jesus hat Gottes Heil in die Welt gebracht. „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“
Was aber dieses Heil ist, begreifen wir nur, wenn wir aufs Neue verstehen, was damals in der Nacht von Bethlehem geschehen ist. Das Heil besteht aus einem Paradox. Darin, dass Gott in tiefster Armut in die Welt kommt. In einen Trog wird er gebettet, aus dem sonst die Tiere essen, fern der Heimat in einem Stall, draußen auf dem Feld, angebetet von Hirten, den „outcasts“ der damaligen Gesellschaft.
So kommt Gott zur Welt. In tiefster Armut. Eigentlich mehr als erbärmlich. Aber diese Geburt ist Programm für das, was `Heil´ bedeutet: Dass Gott im Jesuskind nicht nur in unsere Welt gekommen ist, sondern dass er hinabgestiegen ist bis in die letzte menschliche Tiefe. In das Elend dieser Welt hat er sich begeben, um dem Menschen nahe zu sein, der inmitten von Not und Leid versucht, sein Leben zu bewältigen. So wie es in einem Weihnachtslied heißt:
Er äußert sich all seiner G´walt,
wird niedrig und gering,
und nimmt an eines Knechts Gestalt,
der Schöpfer aller Ding.
Der Schöpfer aller Ding nimmt Knechtsgestalt an. Gott wollte nicht den Himmel verlassen, um an gedeckten Tischen in reichen Palästen den Menschen nahe zu sein. Gott wollte im Elend dieser Welt uns nahe sein. Das ist das Paradoxe, das eigentlich Unbegreifliche dieser Gottesreise.
Ich bin überzeugt, auch Simeons Wunschzettel nach einer heilen Welt hätte Wünsche enthalten, ähnlich den unseren: Wünsche nach Frieden, nach Ende von Leid und Elend. Und vielleicht hat auch Simeon in seinem Warten auf den Messias eher auf einen kraftvollen Herrscher gesetzt an der Spitze einer Armee. Aber als er Jesus sieht, werden ihm die Augen geöffnet – vielleicht das zweitgrößte Wunder von Weihnachten - und er erkennt das Heil, das Jesus in die Welt bringen wird. Nicht ein vordergründig machtvolles Heil, wie wir es uns wünschen: dass alles Leid weggenommen wird, alle Tränen getrocknet werden, dass die Fragen nach dem Warum angesichts des Elends in dieser Welt verstummen werden. Sondern ein Heil, das darin besteht, dass Gott zu uns sagt: Fürchte dich nicht. Ich bin bei dir. Genau dort, wo du bist. Auch in deinem persönlichen Elend und Leid. Ich bin bei dir.
Das ist unser Heil.
Das mag zunächst banal klingen. Aber letztlich ist das die Botschaft, die Jesus Menschen gebracht hat. Vor allem Menschen, die nach den damaligen Maßstäben gemieden wurden und denen weisgemacht wurde, dass sie ganz sicher nichts von Gott zu erwarten hätten: Zöllner, Prostituierte, Andersgläubige, Ausländer, Heimatlose. „Gerade euch“, sagt Jesus immer wieder, „gerade euch gilt Gottes Liebe, gerade euch gilt seine Zusage: Egal, was andere von euch sagen - ich bin für euch da.“
Immer wieder haben Menschen im Lauf der Jahrhunderte diese Erfahrung gemacht und machen sie noch heute, dass Gott in ihrem Leben nahe ist, dass er ihnen Kraft gibt. Es ist wichtig, dass wir solche Erfahrungen nicht für uns behalten, sondern weitersagen. Denn solche Erfahrungen können wie ein Proviant sein, von dem wir zehren in Zeiten, in denen wir glauben, dass Gott uns verlassen und sich von uns abgewandt hat. Zeiten der Krankheit, Zeiten der Trennung, Zeiten, in denen der Tod uns bedroht. Gut, wenn wir dann uns immer wieder dieses Versprechen Gottes: Ich will bei euch sein! vor Augen halten und es uns neu zusprechen lassen. Denn das ist unser Heil, dass Gott uns immer wieder sagt: Fürchte dich nicht. Ich bin bei dir.
So haben wir auch dieses Jahr wieder Weihnachten gefeiert. Jetzt kehren wir allmählich wieder zurück in unseren Alltag. Mag sein, dass wir oft nicht verstehen, warum Gott dieses oder jenes zulässt. Mag sein, dass wir uns immer wieder besinnen müssen, worin denn nun eigentlich das Heil besteht, dass mit dem Jesuskind in die Welt gekommen ist. Aber nehmt aus diesen Festtagen das Eine mit in euren Alltag: Das Wissen um die Zusage Gottes, dass er uns begleitet in unserem Leben; dass er uns nicht verspricht, uns zu verschonen von Krankheit und Leid. Aber dass er verspricht, bei uns zu sein, in allen Tagen unseres Lebens.
Und am Ende unserer Lebensreise möge es uns geschenkt sein, wie Simeon Gott zu loben. Dass er uns das Heil und den Heiland geschenkt hat – im Leben wie im Sterben: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel“.
Amen.
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Predigt zu Lukas 2,1–20 von Karin Klement
LIED: 32, 1 – 4 Zu Bethlehem geboren
Hinführung und Lesung Lk 2, 1 – 7
Erster Predigtteil
Liebe große und kleine Menschen,
liebe Glaubende und Nach-Glauben-Suchende –
an diesem Heiligen Abend!
Mein Freund HÄGAR, der Schreckliche aus den Wikinger-Comicbüchern, sitzt auf einer Bank vor seinem Haus. HAMLET, sein schmächtiger, aber kluger Sohn sitzt neben ihm. „Warum hat GOTT die Dunkelheit geschaffen?“ fragt er. „Ich weiß nicht…“, sinniert HÄGAR und blickt hoch zum Nachthimmel. „Vielleicht, weil wir dann besser die Sterne sehen können.“
STERNE sieht man nicht am hellen Tag, sondern nur in der Nacht, nur wenn es sonst ganz dunkel um uns ist. So liegt im Unscheinbaren, Dunklen verborgen, was das Herz froh und leuchtend hell machen kann. Ähnlich ist es mit dem Glauben; er ist eine Sache des Vertrauens, nicht der Sichtbarkeit. Und dennoch brauchen wir etwas zum Anschauen. Bilder, die unserem Glauben auf die Sprünge helfen. Ansichten, die unser Herz berühren. Wie die Bilder der Weihnachtsgeschichte.
Eigentlich klingt sie recht nüchtern – diese weihnachtliche Geburtsgeschichte. Sachlich genaue, knappe Fakten. Zumindest am Anfang. Sie setzen etwas in Gang. Sobald ein Regierungschef Anweisungen erlässt, müssen alle gehorchen. Und Kaiser Augustus war nicht irgendwer. Ein machtbewusster Stratege, der sich geschickt zum Kaiser und Alleinherrscher emporgehoben hatte. Er litt gewiss nicht unter fehlendem Selbstwertgefühl, als er sich „Sohn Gottes“ titulieren ließ. Ein politisch denkender Herrscher muss wissen, wie viele Bürger ihm unterstehen. Damit er die Steuereinnahmen kontrollieren kann. So geschah die allererste Volkszählung, von der wir wissen. Sie brachte ein junges, verlobtes Paar in den Strudel der Geschichte ein, von denen sonst wohl nie jemand etwas erfahren hätte: JOSEF und MARIA, die schwanger war.
Schwangere Mädchen, junge Frauen, in denen neues Leben wächst. Nichts Wichtigeres gibt es als die Geburt eines neuen Lebens. Doch, wie kümmern wir uns um diesen kostbaren Schatz? Wie sorgsam gehen wir um, z.B. mit den Frauen ferner Länder, die „guter Hoffnung sind“ (wie man früher sagte), die aus ihren Heimatländern flüchten und bei uns anklopfen, weil Krieg oder Hungersnot sie fortreibt? Ein uneingeschränktes Bleiberecht ohne Abschiebung, ohne Trennung von Eltern und Kind wäre nötig. Offene Türen, ein gastfreundliches Willkommen. Denn wir haben weiten Raum in unserem Land, viel mehr, als für ihre Herberge tatsächlich gebraucht wird. Und wir können uns freuen an ihren Kindern, die unsere Gesellschaft jung machen. Wie Sterne leuchten sie für eine stabile Zukunft in unserem Land.
Und es kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Kein Wort von den anstrengenden Stunden der Geburtswehen, die Maria aushalten muss. Ihrer lauten und leise Schmerzensschreie; der sorgenvollen Blicke und sanften Handgriffe, mit denen Joseph zu helfen versucht. In zwei Sätzen kommt das Kind zur Welt – und findet sich alsbald in einem Futtertrog für Tiere wieder. Ein harter Lebensanfang; wie für Millionen Kinder weltweit.
So „einfach“ kommt Gott zur Welt. So schlicht und machtlos, so ungeschützt und hilfsbedürftig. Nicht in den Palästen der Kaiser und Herrschenden, sondern bei denen, die ihn brauchen. Kein Machthungriger mit Star-Allüren, sondern ein wahrer Sohn Gottes. Er kommt uns Menschen nahe, geht uns unter die Haut bis ins Herz hinein. Geboren in einfachen Verhältnissen – unter einem guten Stern – kümmert er sich als Erwachsener vor allem um die sogenannten einfachen Leute. Arme, Kranke, Behinderte, Bedürftige in vielfältiger Weise. Er stellt sie in die Mitte; zeigt uns, dass wir viel davon haben, wenn wir sie als unsere Geschwister ansehen, Kinder des einen, himmlischen Vaters. Wir lernen voneinander, lachen, weinen, streiten und versöhnen uns miteinander; wir sind stark in Gemeinschaft.
Und wie ging es weiter?
LIED: 24, 1 – 3 Vom Himmel hoch
Lesung Lk 2, 8 – 14
Zweiter Predigtteil
Der Heilsbringer – ein Neugeborenes, eine zerbrechliche, menschliche Gestalt für den Allmächtigen. Ein Kind, vor dem wir uns nicht fürchten müssen. Im Gegenteil; es lässt uns spüren, wie kostbar, einmalig, aufregend-schön das Leben ist. Aber auch, wie anstrengend und gefährdet.
Das Alltagsleben der HIRTEN war eher selten besonders bedeutungsvoll. Sie bewachen die Herden ihrer Herren, vertieft in das Leben, wie es läuft. Sie schuften für ihr Auskommen. Irgendwie zurechtkommen ist alles. Für Träume bleibt da keine Zeit. Viel Finsternis umfängt sie. Der Hirtenberuf – damals kein Wunschtraum! Bei Kälte oder Hitze, immer draußen auf dem Felde, bei Tag und meist auch noch bei Nacht. Von Lagerfeuer-Romantik keine Spur. Im Alltag war das Leben der Hirten sehr hart. Und obwohl ihre Arbeit unentbehrlich war, erhielten sie von ihren Mitmenschen wenig Ansehen.
Doch gerade ihnen öffnet sich der Himmel. Aufgeweckt durch das Leuchten des STERNS, beinahe aufgeschreckt durch die ENGEL, Gottes Botschafter, werden sie erleuchtet von Gottes Licht. Ihnen, den sonst so gering Geachteten, begegnet das Wunder der Heiligen Nacht zu allererst!
Und was ist mit den ENGELN?
Die kühlen, fernen Gottesboten, unnahbare Traumgestalten?
Glauben Sie an ENGEL, liebe Gemeinde? Kinder glauben bestimmt an sie! Es gibt schlaue Besserwisser, die leichthin behaupten, dass es Engel gar nicht geben kann. Dann frage ich sie: Was geschieht eigentlich, wenn entgegen allen Voraussagen ein Wunder geschieht? Die Rettung eines Verschütteten aus 1000 Meter Tiefe. Ein Unfall, der in letzter Sekunde verhindert wird. Ein Krebskranker, der ungeahnte Heilkraft in sich entdeckt, als ob ihm ein Unsichtbarer den Rücken stärkt…
Woher kommen die wunderbaren Erfahrungen von Behütet-Sein? Die unerwarteten Momente, wenn ein Mensch dem anderen unverhofft Glück und Freude schenken kann? Hat da nicht doch ein Engel die Hand im Spiel?
Nur echte Realisten wissen, dass es mehr gibt, als das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen.
Engel können die Nacht hell machen, können begleiten durch dunkle Schluchten. Engel sind die Briefträger Gottes für gute Nachrichten. Sie reden durch Träume und bringen Menschen auf den richtigen Weg.
Engel können auch Furcht einflößen; darum beginnt ihre Botschaft oft mit den Worten: „Fürchtet euch nicht!“ Engel sind die unsichtbaren Wesen der Liebe Gottes. Mit ihnen kommt Gottes Friede zu uns Menschen.
LIED: 48, 1 – 3 Kommet, ihr Hirten
Lesung Lk 15 – 20
Dritter Predigtteil
Aufbruchsstimmung. Die HIRTEN bleiben nicht bei ihrem Alltag stehen. Sie wollen sich persönlich überzeugen. Die Geschichte sehen, die ihnen zugesprochen wurde. Das hoffnungsvolle Wort lässt ihre Gesichter aufleuchten: FREUDE wird verheißen für das ganze Volk, für alle, die den Erdkreis bewohnen. Der Heiland – für euch geboren! Ein Geschenk des Himmels mitten hinein in diese dunkle Welt. Ein Wort und sein Zeichen: das Wickelkind in der Krippe. Da fließen den himmlischen Heerscharen die Lippen über mit Lobgesang für GOTT und Friedenswünschen für uns Menschen seines göttlichen Wohlgefallens.
Wie können sich die Hirten dabei noch zurückhalten? Sternenglanz und himmlische Stimmen entzünden ihr Herz, wecken in ihnen die Sehnsucht danach, dass es wahr sein könnte: der Heiland – leibhaftig nahe. Sie müssen es selbst sehen, hören, wahrnehmen.
Wer glauben will, schaltet den Verstand nicht aus; ganz im Gegenteil. Er will sich überzeugen, die Bilder prüfen, der Sache auf den Grund gehen, das Gehörte ernst nehmen.
So kommen sie eilend. Kein Aufschub, wenn es um die eigene Seele geht. Wenn Leib und Seele, Herz und Verstand berührt sind. Sie kommen eilends – und finden eigentlich nur das, was ihnen die Engel versprachen: Zwei Menschen mit einem neugeborenen Kind. Kein Heiligenschein um sein Köpfchen, kein Sternenschimmer am Himmel über ihm. Und dennoch gehen ihnen Augen und Mund über, so voll werden ihre Herzen von dem, was sie erleben dürfen.
Wie schön, wenn Menschen sich so bewegen lassen können von dem, was ihnen geschieht, was ihnen zu Ohren kommt und vor Augen ist! Kinder sind da den Hirten ganz ähnlich und uns Erwachsenen manchmal voraus! Was sie bewegt, das sprechen sie aus. Von ihren Erlebnissen erzählen sie unbefangen immer wieder.
Manchmal wundern wir Erwachsenen uns über ihre Worte, und manchmal behalten wir sie ganz fest in unseren Herzen. Damit wir auch noch später, wenn die erste Aufregung vorüber ist, erinnern können, was damals geschah.
Die HIRTEN kehrten wieder um, lobten und priesen Gott, und gingen dann zurück in ihren Alltag, an ihre Arbeit. Denn die Schäfchen mussten weiterversorgt werden.
Und doch hatte sich etwas verändert – in den Hirten selbst und um sie herum. Sie sahen die Sterne in der Nacht mit anderen Augen. Sie wussten, es steckt noch mehr dahinter, als man auf den ersten Blick erkennt.
Mochte es Tag oder Nacht sein, sie wussten sich begleitet vom Stern über Bethlehem. Er erinnerte sie immer wieder daran, dass Gott MENSCH wurde, ganz klein, so arm wie sie, ohne Macht, aber mit so viel Liebe, wie ein kleines Kind.
Ob der kleine HAMLET weiter darüber nachdenkt, was hinter den Sternen liegt? Und warum GOTT Licht und Schatten geschaffen hat? Er wird weiter fragen.
Die Geschichte weitererzählen, die da vor unseren inneren Augen und Ohren geschehen ist. Das ist auch unsere Aufgabe. Vertrauen wachsen lassen, damit eine neue Hoffnung sich wie Sternenglanz ausbreitet. Und der Friede wahr wird!
AMEN
LIED: 37, 1 – 3 Ich steh` an deiner Krippen
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Predigt zu Lukas 2,1-20 von Martin Braukmann und Karsten Schreiber
Und Lukas hat doch Recht!
Liebe Gemeinde am Heiligenabend,
„und es begab sich zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging“. Mit diesen Worten beginnt eine Geschichte, die uns immer wieder in Ihren Bann zieht. Und ich bin freudig darüber erstaunt, was diese Worte an Sehnsucht in uns auslösen. Mit diesen Worten ist etwas verbunden, was zutiefst in uns verankert ist und uns anrührt. Und die Weihnachtsgeschichte muss eben so lauten und klingen, wie wir das gewohnt sind.
Das erinnert mich daran, wie ich meinen Kindern gute Nachtgeschichten erzählt habe. Sie legten größten Wert darauf, dass diese Geschichten immer gleich erzählt wurden. Die Worte waren bekannt und vertraut und eben deshalb nicht veränderbar.
„und es begab sich zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging“. Und wieder sind wir mitten drin in dieser zauberhaften Geschichte, die doch so viel von uns selbst erzählt und unseren Sehnsüchten. Aber genau das müssen wir jeweils wieder neu entdecken. Wo das fehlt und offen bleibt, da könnte die Geschichte auch beginnen mit den Worten: „es war einmal“. Aber Lukas erzählt kein Märchen, sondern er erzählt die Geschichte des Jesus von Nazareth, in dem auf wundersame Weise Gott selbst zu entdecken ist. Nur kann man eben das nicht mit Händen greifen, sondern nur mit den Augen des Glaubens schauen. Wir können es hören, aber verstehen es nicht automatisch als unsere Geschichte, als Anrede an mich.
Von der eigentlichen Geburt Jesu, die Lukas einleitend in die Geschichte des römischen Weltreiches einbindet und erdet, erfahren wir erstaunlich wenig. Was will man auch sagen zu dem, was man nicht erklären kann; höchstens beschreiben oder umschreiben. Die Ansage dieser sonderbaren Geburt beziehungsweise dieses sonderbaren Kindes liegt vor unserem Predigttext. Maria wird angekündigt, dass sie in einem Schöpfungsakt Gottes ein Kind empfangen wird. Aber weder die Empfängnis noch die Geburt sind das Wesentliche, sondern sie sind nur Begleitumstände dessen, dass Gottes Sohn zur Welt kommt. Von ihm heißt es in der Verkündigung des Engels: „Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben“.
Und eben damit sind wir mitten in der Widersprüchlichkeit der Weihnachtsgeschichte, denn die Fäden der Weltgeschichte werden doch ganz woanders gesponnen und gezogen; doch nicht in einem Provinznest irgendwo in Israel. Hier bringt eine junge Frau ein Kind zur Welt, wickelt es wie jedes andere Kind in Windeln und legt in ein provisorisches Kinderbettchen; eine Futterkrippe muss dafür herhalten. Aber all das ist doch nichts Besonderes und auch nicht Gegenstand eines Sozial- und Flüchtlingsdrama von vor 2000 Jahren.
Wenn es nicht zu derb wäre, dann könnte Lukas auch sagen: Gott kommt zur Welt; basta! Aber wäre das eine angemessene Sprachform, um in die Welt hineinzusprechen, was sich ansonsten doch von der Welt angeblich eher fernhält? Mit dem Gedanken, dass irgendein Gott irgendwo in irgendeinem Himmel sein Dasein fristet, können wir gut umgehen. Aber ein Gott, der sich mitten in der Zeit und auf Erden festmacht, das scheint uns suspekt. Und vor allem, wenn das schon so ist, dann erwarten wir Pomp und Gloria und einen richtig fetten Auftritt.
Wie nüchtern schildert Lukas dagegen das Ganze: „Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“.
Vor den Augen der Hirten geschieht ein Ereignis kosmischen Ausmaßes. Aber genau schnell, wie es gekommen ist, ist es auch wieder verborgen. Und schon ist die Nacht wieder so dunkel wie alle anderen Nächte. Aber hat sich damit die Geschichte denn auch schon erledigt oder wird sie sich noch erfüllen? Und vor allem, was wird das für die Hirten bedeuten und welchen Konsequenzen wird das haben? Wird sich denn die Welt grundlegend ändern? Wird alles neu, anders, gerechter werden? Die Sehnsucht danach ist geweckt. Die Menschlichen Augen suchen den Herrn der Welt, den Erfüller göttlicher Verheißung. Und dann schreibt Lukas ganz lapidar: Und nach 8 Tagen bringen sie das Kind zur Beschneidung und nennen ihn Jesus. War es das etwa schon? => EG 37,1+2
II.) Nein, die Geschichte geht weiter; nur nicht ganz so spektakulär wie sie begonnen hat. Von dem Kind und jugendlichen Jesus erfahren wir nicht viel in der Bibel. Sie berichtet maßgeblich von der Zeit, in der Jesus als Wanderprediger durchs Land zog und davon predigte, dass das Gottes Reich nahe herbei gekommen ist. In seiner Gegenwart erfahren Menschen Heilung, Liebe und Annahme Gottes; exemplarisch erfahren sie das Reich Gottes hier auf Erden. Jesus wirkt etwa drei Jahre bis er in Jerusalem gefangengenommen, verurteilt und hingerichtet wird. Danach wird die Gruppe seiner Jünger zerschlagen und ihnen bleibt nichts als sich wieder auf den Weg zurück nach Hause, in ihren Alltag zu machen. War es das, mit dem Reich Gottes? War es das mit der Sehnsucht nach Freiheit, Heilung, Frieden und Gerechtigkeit. Sollte das, was unter anderem mit dem Lobgesang der Engel begonnen hatte, so schmählich am Kreuz enden?
Was bleibt, wenn nichts mehr bleibt; oder alles so bleibt, wie es schon immer war? Zwei Jünger sind unterwegs zurück zu ihren Familien. Gedämpft die Stimmung; Niedergeschlagenheit, Frust und Enttäuschung machen sich breit. Was hatten sie sich für Vorstellungen gemacht von der Herrschaft des Messias auf dieser Erde? Vom Friedensreich und welche Rolle sie dabei spielen würden. Und jetzt? Jetzt ist alles plötzlich ganz anders und sie sind sichtlich enttäuscht und wissen die Situation nicht einzuordnen. Sie unterhalten sich über all das, was in den vergangenen Tagen so geschehen ist. Lassen es noch einmal Revue passieren und fragen immer und immer wieder nach dem – Wozu? Sollten sie in ihrer Sehnsucht tatsächlich einem Trugbild nachgelaufen sein, wie der Verdurstende einer Fata Morgana? Zwar haben zwei Frauen berichtet, dass er von den Toten auferstanden sein soll, aber wer soll das bitteschön glauben? Alle Sehnsüchte auf eine gerechtere Welt, auf ein ewiges Friedensreich sind doch mit dem Tod ein für alle Mal ausgelöscht. Das mit dem Retter der Welt, mit dem Messias, das sollte doch ganz anders sein. Der Menschensohn war doch gekommen, um all die Verheißungen des Alten Testaments zu erfüllen; und jetzt dieses Desaster.
Sie treffen auf einen Mann und der wird für sie zum Begleiter auf der Wegstrecke von Jerusalem zurück nach Hause, in das Gewohnte, zurück nach Emmaus. „Worüber redet ihr denn miteinander auf eurem Weg?“ fragt er. Ja sollte dieser Fremde denn der Einzige sein, der in Jerusalem nicht mitbekommen hat, was da passiert ist? Sie beginnen zu erzählen von Jesus. Davon, dass mit ihm etwas Neues anzubrechen schien. Sie erzählen von der Ansage des Reiches Gottes und davon, wie sie erste Zeichen und kleine Pflänzchen dieses ungeheuren Umbruchs und Aufbruchs selbst miterleben durften. Sie erzählen von ihrer Hoffnung und davon, dass sie wohl doch weiter warten müssen.
Da sagt der Fremde zu Ihnen: »Ihr unverständigen Leute! Wie schwer fällt es euch, all das zu glauben, was die Propheten gesagt haben! 26 Musste denn der Messias nicht das alles erleiden, um zu seiner Herrlichkeit zu gelangen?« 27 Dann ging er mit ihnen die ganze Schrift durch und erklärte ihnen alles, was sich auf ihn bezog – zuerst bei Mose und dann bei sämtlichen Propheten.
Sie begreifen das Wunder nicht, das vor Ihren Augen geschieht. Auch jetzt, etwa 30 Jahre später geht es ihnen ähnlich wie den Hirten auf dem Feld. Sie sehen und verstehen nicht. Sie hören und begreifen nicht. Sie bleiben gefangen in ihrer Vorstellung von dem, wie der Messias zu handeln und sein hat, Sie haben ein gänzlich anders Bild von dem, wie sich die Verheißungen erfüllen sollten. Dann legt ihnen der Mitreisende den Bezug der jüngsten Ereignisse zu den Prophezeiungen des Alten Testamentes dar und stellt einen Rückbezug her. Musste das denn nicht genauso passieren?
Und erst jetzt, am Abend dieser langen Tagesreise, gibt Jesus ihnen auch noch die Bestätigung für seine Auferstehung, indem er sich den Reisenden zu erkennen gibt. Wie Schuppen fällt es von Ihren Augen und in dem Moment ist Jesus auch schon wieder verborgen. Das, was ihnen nun bleibt, sind nicht die Antworten auf alle ihre Fragen. Was ihnen bleibt, ist die Frage: „War uns nicht zumute, als würde ein Feuer in unseren Herzen brennen als er mit uns redete?“
Viele Fragen und Zweifel bleiben. Vieles bleibt einfach unbeantwortet. Sehnsüchte werden nicht eins zu eins erfüllt. Ist das nicht genau auch unsere Situation, wenn wir unterm Weihnachtsbaum sitzen und danach fragen, was sich denn seit dem Lobgesang der Engel und den vollmundigen Ansagen geändert hat. Sind wir nicht suchend nach dem, was bleibt, wenn die Weihnachtszeit vorbei ist? Unsere Sehnsüchte und Hoffnungen werden abgeschmückt; gemeinsam mit den Kugeln am Christbaum. Und dann warten wir wieder. Warten in unseren Erwartungen der nächsten Weihnacht entgegen. Warten und hoffen. => EG 37,3+4
III.) Für den Evangelisten Lukas gehört eben dies Warten, Suchen und Fragen zum christlichen Glauben dazu, wie die Kugeln oder das Lametta zum Weihnachtsbaum. Solange wir auf dieser Welt leben, wird sich der Glaube wohl nie darüber erheben können. Damals wie auch heute noch gilt: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“. Mehr gibt es nicht. Und zugleich ist damit schon alles da. Bloß: erkenne ich das? Reicht mir das?
Der Evangelist Lukas erzählt davon, dass Johannes der Täufer Jesus einmal fragen lässt, ob er der sei, der kommen soll; oder ob man auf einen anderen warten solle? Jesus weist ihn dann hin auf die gegenwärtigen Zeichen des Reiches Gottes. Und zugleich weiß er doch, dass es immer nur gebrochene Zeichen sind; mehrdeutig und vielschichtig. Und eben deshalb sagt er: „selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“. Um dieses Ärgernis des Glaubens kommen wir nicht herum und das können wir auch nicht umschiffen.
Als Lukas sein Evangelium schreibt, da ist der Tempel in Jerusalem zerstört. In manchen Provinzen werden die Christen wegen ihres Glaubens verfolgt, weil sie dem Kaiser den Eid verweigern. Im römischen Reich hatte man unter Augustus das Goldene Zeitalter ausrufen lassen, dass mit Augustus als Heilsgestalt verbunden war: Von ihm hieß es: „Die Vorsehung, die über allem Leben waltet, hat diesen Mann zum Heil der Menschen mit solchen Gaben erfüllt, indem sie ihn uns in den kommenden Geschlechtern als Heiland gesandt hat. Allem Krieg wird er ein Ende setzen und alles herrlich ausgestalten … der Geburtstag des Gottes war für die Welt der Anfang der guten Nachrichten (Evangelien), die seinetwegen ergangen sind.“ (Inschrift aus Priene; 9 v.Chr.) Dem gegenüber schreibt Lukas ein ganz anderes Evangelium. Im Schatten dieses Glanzes des in Rom proklamierten Goldenen Zeitalters wächst unbemerkt ein anderer, in Israel lang ersehnter Friedensfürst heran, dessen Anspruch es ebenfalls ist, über die ganze οἰκουμένη, den ganzen Erdkreis zu herrschen: der neugeborene jüdische Junge Jesus! Nicht der Kaiser in Rom ist der Heilsbringer, sondern Jesus!
Die damals verfolgte Gemeinde, fernab von aller weihnachtlichen Romantik, stellt die gleiche Frage wie wir heute: Bist du wirklich der, der kommen soll? Und alle Antworten, die sie bekommen, ermangeln jeglicher äußeren Beweiskraft: „Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“. Und den Jüngern von Emmaus bleibt nur die Art und Weise wie er das Brot mit ihnen bricht als Zeichen seiner Auferstehung. Und eben deshalb bleibt es bei der Aussage Jesu: „selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!“
Dass er auf den Messias gewartet hat, und ihn in Jesus gefunden hat, hat Johannes nicht vor seiner Hinrichtung bewahrt. Viele Gebete werden gesprochen, Tränenströme voll Hoffnung werden geweint. In Sehnsucht nach Erlösung wird manche Nacht durchwacht. Und dennoch siegt scheinbar die Krebserkrankung über das Leben der geliebten Frau. Wird die zerstörte Beziehung nicht heil. Die zerrissene Familie nicht eins. Die Arbeits- und damit gefühlte Sinnlosigkeit bleibt und der ersehnte Weltfriede stellt sich nicht ein. Und dennoch gilt als Ansage des Neuen: „Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“. Und es bleibt dabei: „selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“.
Es braucht den Glauben, der in dem Kind den Heiland der Welt entdeckt. Es braucht Gottes Heiligen Geist, der auch uns heute und hier die Ohren für den Lobgesang der Engel öffnet, damit wir diese Botschaft auch wirklich hören und uns gesagt sein lassen: dir ist der Heiland geboren. Gottes Geist kann uns dazu befähig, dass wir als christliche Gemeinde uns gegenseitig zum Verkündigungsengel der Weihnachtsbotschaft werden. Und wo das geschieht, da wird uns der Heiland geboren: mitten hinein in unsere zerrissene und sehnsüchtig hoffende Welt.
Und da soll doch mal einer sagen, Lukas habe nicht Recht. Vom Goldenen Zeitalter des Römischen Reiches redet heute niemand mehr. Aber die Weihnachtsbotschaft von Jesus ist noch heute das wirkliche Evangelium, die wirkliche gute Nachricht: „Euch ist heute der Heiland geboren…Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“. Selig ist, wer das im Glauben annimmt!
Euch allen gesegnete Weihnachten! Amen
(Dialogpredigt in der Johanneskirche Oberfischbach von Pfarrer Martin Braukmann (I. u. III.) und Prädikant Karsten Schreiber (II.) in der Christvesper 2014. Im Hintergrund steht eine Exegese zur Textstelle von Prof. Dr. Johannes Woyke auf der Pfarrkonferenz Siegen 10.12.2014)
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Predigt zu Lukas 2,1-14 von Heinz Behrends
Weihnachten geschieht – auch ohne dich
Weihnachten geschieht. Weihnachten geschieht, auch wenn der Lachs schon ausverkauft war und du die Gans nicht rechtzeitig bestellt hattest. Weihnachten geschieht, auch wenn du nicht mehr alle Geschenke zu kaufen geschafft hast. Es geschieht, auch wenn dieses Jahr nicht alle Kinder nach Hause kommen. Es geschieht, auch wenn du nach Mallorca flüchtest. Wenn der 9. Monat da ist, dann geschieht es.
Weihnachten geschieht. Du magst es als große Last empfinden. Aber lege all diese Gedanken einfach mal ab und sieh es mal anders.
Weihnachten ist völlig unabhängig von all deinem Tun und Machen. Nicht einmal Weihnachten hast du gemacht. Es findet nicht erst statt, wenn du alles perfekt vorbereitet hast.
Weihnachten ist ein Geschenk. Gott hat es gemacht und deine Eltern haben es Dir überliefert. Sonst würdest du heute nicht hier, sondern gerade von Deiner Arbeit nach Hause kommen.
Weihnachten geschieht. Wenn der 9.Monat da ist, kommt das Kind.
Weihnachten will ich zu Hause sein.
Und du stellst dich dem Fest. Was auch immer ist: Du willst Weihnachten zu Hause sein.
Ich sitze am letzten Freitagnachmittag im Zug nach Hannover. Der Metronom ist brechend voll. Rucksäcke, Taschen überall, fast nur junge Menschen zwischen 20 und 30. Ich finde noch einen Platz, in Kreiensen steigt eine junge Frau zu und sitzt neben mir. „Kann ich Sie sprechen“? sagt sie bald zur Schaffnerin, „ich brauche einen Taxi-Gutschein, der Zug von Holzminden nach Kreiensen hatte 35 Minuten Verspätung, nun bricht mein Fahrplan zusammen“. Die Schaffnerin gibt einige Tipps mit Bahnhof Uelzen und so. „Wohin müssen Sie denn noch ganz“? frage ich. „Nach Bützow, das liegt bei Güstrow, aber eigentlich muss ich noch weiter nach Teterow. Ich arbeite in Holzminden und will nach Hause. Da komme ich heute nicht mehr hin. Die Taxe kostet mich 250 €, aber den Gutschein von der Bahn, den krieg ich. Dann bin ich am Ende 13 Stunden unterwegs gewesen“.
Ich will nach Hause. Ja, Weihnachten will ich zu Hause sein. Ein langer Zug voller junger Leute mit viel Gepäck will zu Hause sein. Mich rührt das an.
Zu Hause ist, wo ich mich nicht erklären oder begründen muss, wo ich mich fallen lassen kann. Ich erwarte immer noch, dass dieser Ort ist, wo meine Eltern sind oder wo ich lebe.
Der Zug kommt in Hannover an, ich stehe auf und wünsche der jungen Frau, dass sie vor Mitternacht noch zu Hause ankommt.
Sie hat inzwischen ein Buch zum Lesen herausgeholt. „Shades of Grey Band 3“, das meist verkaufte Buch der Welt der letzen drei Jahre. Ein Buch voller erotischer Szenen, in der sich eine Frau gerne von einem Mann quälen lässt. Ja, die Sehnsucht nach Liebe und nach einem zu Hause, wie auch immer. Unverwüstlich bleibt sie, Gott sei Dank.
Die heilige Familie ist Weihnachten nicht zu Hause.
Dabei ist die erste Weihnachts-Familie mit Maria, Josef und dem Kind Weihnachten nicht zu Hause. Und dennoch rührt unsere Sehnsucht nach zu Hause von dieser Geschichte her.
Denn das zu Hause der beiden ist die Liebe. Ein Kind wird geboren. Ein Mann steht zu seiner Frau, obwohl das Kind nicht von ihm ist. Frierende und von ihren Schafen stinkende Hirten kommen und lassen sich erwärmen.
Wir können uns diese Liebe gar nicht groß genug vorstellen.
Denn die Welt um Bethlehem herum ist brutal. Soldaten auf allen Plätzen, an Stadttoren und Landstraßen. Frauen werden vergewaltigt, junge Männer als Sklaven abgeholt. Macht und Geld bestimmen das Leben.
Mittendrin wird ein Kind geboren. Der Erzähler Lukas sagt: Wenn ihr verstehen wollt, wie ihr euch Gott und seinen Willen vorstellen wollt, dann schaut das Kind an. Es steht für Unschuld, für Verzicht auf Macht. Und dann erinnern sie, was der Prophet Jesaja gesagt hat.
Ein Kind ist uns geboren. Und um eins draufzusetzen, zählt er alle Titel auf, die man sonst einem König zuschreibt:
Vater der Ewigkeit, Wunderbarer Rat, Friedensfürst. Ein Gegenbild zur Macht, wie die Welt sie kennt.
Eine Provokation. Für Leute, die über andere bestimmen wollen, ist Liebe immer eine Provokation. Leute in Unfrieden können Menschen, die in Liebe zusammen sind, schwer aushalten. Es sei denn, sie lassen ihre Sehnsucht wecken.
So spricht denn die Weihnachtsgeschichte dieses Jahr in eine Welt, die uns in Atem gehalten hat.
Weihnachten spricht in die aktuell zerrissene Welt
Das Wirken der Groß-Banker wirkt immer noch nach, die jedes Maß verloren hatten, für die Geld kein Mittel mehr ist, sondern Selbstzweck. PEGIDA, die Diffamierung von Muslimen in einem christlichen Land. Die wahllose Tötung von Unschuldigen durch die sogenannte IS, ein im Selbstbewußtsein verletztes Regime einverleibt sich mit Geheimdienstmethoden die Krim. Syrien, einst eine stolze Kultur, zerlegt sich selbst. Und der Weltmeister-Rausch in Deutschland ist schnell verraucht. Der kalte Krieg ist heimgekehrt.
Dabei war letzte Weihnachten in den Nachrichten noch ständig von Rettung die Rede. Griechenland, Euro, Banken, Systeme, Glaubwürdigkeit. Rettungsschirme über allem. Suggeriert wurde, es ginge um den Menschen. Die Retter hießen Merkel, Monti, Baroso. Dies Jahr ist es still geworden um sie, selbst unsere Kanzlerin ringt um Besonnenheit. Gerettet wurden nicht Menschen, sondern Schuldverhältnisse, Finanzbeziehungen, Machtgefüge, Wirtschaftssysteme, Reiche.
Da kann man sich doch wenigstens jedes Jahr auf die BILD-Zeitung verlassen, jedes Jahr an Heiligabend dieselbe Schlagzeile „Heute nur Gute Nachrichten“.
(Ich empfehle, die BILD zu kaufen, die Zeitung vor die Kanzel halten und die Schlagzeilen zu zitieren. Die Gemeinde wird erheitert sein. )
Immerhin, die BILD stellt unter die guten Nachrichten die Weihnachtsgeschichte des Lukas in großen Buchstaben. Das ist gut so.
Der Mensch ist in seinem Wesen ein Geborener
Das Kind wird im Stall geboren. Die Rettung kommt in Tuchfühlung mit denen da unten, mit dem Blick von unten. So ist Gott. Wir können ruhig mal stolz sein auf dieses Bild, das die Bibel uns von unserem Gott vermittelt. Gott als Kind geboren. Ein neuer Anfang. Philosophen sprechen gerne von der Mortalität des Menschen, der Sterblichkeit.
Die jüdische Philosophin Hannah Arendt spricht von der Natalität des Menschen, der Mensch ist seinem Wesen nach einer der Geboren wird. Weil Menschen geboren werden, gibt es immer wieder einen neuen Anfang. Wo ein Kind in eine Familie kommt, verändert sich das Gewebe der Beziehungen. Es kann neues entstehen.
Das feiern wir heute Abend. Neues kann werden. Der Mensch kann neu anfangen unter Bedingungen, die er nicht selbst gemacht hat.
Liebe wächst unter den kargsten Verhältnissen in Bethlehem. Schaut Euch an, was neu werden kann zwischen Euch zu Hause.
Die Heilige Familie findet ihr zu Hause in der Liebe, in der Verbundenheit mit den Menschen, die zur Krippe kommen.
Weihnachten geschieht, lass es geschehen, feiere und pflege die Liebe.
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Der erfundene Wirt - Predigt zu Lukas 2,1-7 von Margot Runge
Liebe Gemeinde,
wenn Maria und Josef in Bethlehem angekommen sind, hat der Wirt im Krippenspiel seinen Auftritt. Er steckt seinen Kopf aus der Tür. Kein Platz bei uns, weist er die beiden ab, trotz flehentlicher Bitten. Erst in der letzten Herberge finden sie Aufnahme. Manchmal ist es die Wirtsfrau, die ihrem Mann gut zuredet und den beiden einen Platz im Stall zuweist. So wird Jesus geboren.
Kaum ein Krippenspiel ohne den Wirt – dabei kommt er in der Weihnachtsgeschichte überhaupt nicht vor. In der Bibel heißt es: Maria gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe, einen Futtertrog, denn sie hatten keine Unterkunft. Martin Luther hat aus dem Griechischen übersetzt: sie hatten keinen Raum in der Herberge. Heutige Übersetzungen sagen: sie hatten keine Unterkunft. Jedenfalls: vom Wirt keine Spur in der Bibel.
Die Kinder wären enttäuscht, wenn sie ein Krippenspiel ohne Wirt einüben sollten, der, mit Grillschürze und Schiebermütze ausstaffiert, Maria und Josef die Tür energisch vor der Nase zuschlägt. Es würde irgendwie etwas fehlen.
Wieso ist der Wirt für uns so wichtig, daß wir ihn erfinden müssen?
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Charles Dickens Weihnachtsmärchen, Maria und Josef – zu Weihnachten erzählen wir uns gern Geschichten von herzzerreißender Not, die am Ende gut ausgehen. Das fremde Kind findet Obdach, die hungrige Alte wärmt die erfrorenen Hände am blubbernden Ofen und wir atmen erleichtert auf.
Nur im wirklichen Leben, da ist’s oft nicht so. Da verwirrt es eher, wenn abgerissene Gestalten durch die Gegend irren. Ist’s eine Notsituation? Sind es gescheiterte Existenzen? Und wenn ihnen himmelschreiendes Unrecht widerfahren ist?
Draußen vor der Tür stehen, betteln müssen, auf Wohlwollen und Beistand angewiesen sein, das macht niemand gern. Es tut weh, es ist demütigend genug. Maria und Josef müssen nicht nur an fremden Türen klopfen. Der Wirt weist sie auch noch ab, eine doppelte Entwürdigung. Er verkörpert die Herzlosigkeit, die Leuten wie Maria und Josef entgegenschlägt, damals wie heute.
Die Geschichte rührt das Gefühl in uns an, selbst dieses kleine, hilflose Kind, diese arme Familie zu sein und abgewiesen zu werden. Sie rührt an die Angst, daß wir herzlos behandelt und ausgeliefert sind, als Kind, auf der Arbeit oder dem Amt, in der Familie, und daß wir ohnmächtig und verletzt zurückbleiben.
Brauchen wir den Wirt in der Weihnachtsgeschichte deshalb, um diese ganze Herzlosigkeit zu spüren – und gleichzeitig den erlösenden Zipfel Menschlichkeit am Ende? Ein Herz läßt sich erweichen. Wir hoffen nicht umsonst. Die Tür zum Stall von Bethlehem öffnet sich. Auch für uns. Jesus wird geboren, das göttliche Kind.
Der Wirt gehört zu den Eingesessenen. Maria und Josef sind fremd. Sie sind arm dran. Sie haben nichts vorzuweisen, haben nichts zu sagen. Sie haben nur sich selbst. Und Gott. Und das reicht. Es reicht, um im Herz des Wirtes etwas anzurühren, soviel, daß er die beiden hineinläßt. So schildern es die Krippenspiele. Letztendlich öffnet Menschlichkeit die Türen. Gottes Menschlichkeit.
Maria gebärt ihr Kind. Die Bettelleute werden zur heiligen Familie und wenig später zur Flüchtlingsfamilie.
Wenn Maria und Josef in Sangerhausen angekommen sind, heißen sie Ahmed und Zahira, sie kommen aus Syrien, dem Irak, aus Nigeria und Indien - 530 im Raum Sangerhausen im nächsten Jahr. Ein Dach über dem Kopf brauchen sie. Aber wir haben ja eher zu viele Häuser, die leer stehen, und wir warten auf Kinder, die in unsere Schulen gehen, damit sie nicht geschlossen werden.
Mehr noch brauchen sie Freundlichkeit, ein nettes Wort, ein Augenzwinkern, Schutz vor Anfeindungen und übler Nachrede. Sie brauchen Einheimische, die mit ihnen sprechen, damit sie die Sprache hier lernen. Sie brauchen Leute aus der Gegend, die ein bißchen Zeit mit ihnen teilen und ihnen helfen, damit sie sich in diesem fremden Land zurechtfinden.
Wenn also Maria und Josef, Ahmed und Zahira in Sangerhausen angekommen sind, hat der Wirt seinen Auftritt. Eine Oase gibt es schon, zwei Räume zum Begegnen in einem ehemaligen Café auf dem Markt. Wir müssen uns also nicht einmal auf Herbergssuche begeben.
Vielleicht ändern sich dann die Rollen. Der Wirt wird neu erfunden, das Drehbuch neu geschrieben. Der Wirt muss nicht mehr grimmig dreinschauen, sondern wedelt aufgekratzt mit den Armen und bekommt viele Kolleginnen und Kollegen. Maria und Jusuf, Ahmed und Zahira brauchen sich nicht mehr wie Fremde vorzukommen, sondern können zeigen, was in ihnen steckt. Sie bringen einen Hauch von Bethlehem und Jerusalem und weiß ich was nach Sangerhausen. So werden wir die Beschenkten.
Vielleicht ändern sich so die Rollen. Aber das wäre im Grunde genau der Rollentausch, von dem die Weihnachtsgeschichte der Bibel erzählt: Gott wird Mensch, göttlicher Glanz verwandelt die Menschen. Oder im Lied heißt es: „Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran. Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein! Wie könnt es doch sein freundlicher, das herze Jesulein!“ (EG 27, 4+5)
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Predigt zu Lukas 2,25-38 von Hans Uwe Hüllweg
Liebe Gemeinde,
hier im Algarve findet man in der Advents- und Weihnachtszeit an öffentlichen Plätzen große Krippen aufgebaut. In Tavira kann man vor dem Rathaus eine lebensgroße Krippe bewundern. Das bemerkenswerteste sind die Schafe beim Stall: Ihre „Wolle“ ist aus großen Mengen Bau-Isoliermasse aufgeschäumt. In Porches am Friedhof kann man eine phantasievolle Krippenlandschaft bestaunen, der Algarvelandschaft nachempfunden, mit Rindern und Schafen, Kirchen und Dörfern, und mit einem echten Fluss, der sinnigerweise an der Höhle entspringt, in der das Kind in der Krippe liegt. Nur zwei Beispiele!
In meiner Heimatstadt Münster gibt es eine Krippentour. Man kann unter kundiger Führung quer durch die Stadt die vielen schönen Weihnachtskrippen in Kirchen und Krankenhäusern abklappern. Und dabei findet man, neben dem gewohnten „Inventar“ Jesuskind, Maria und Josef, Hirten, Ochs und Esel manchmal die denkwürdigsten Darstellungen der Weihnachtsgeschichte.
In der Kapelle des Clemenshospitals gegenüber der Gnadenkirche ist eine ausufernde Krippenlandschaft aufgebaut, begründet vom seinerzeitigen Krankenhausseelsorger Pater Edilbert. Da trifft man auf den Wirt der Herberge von Bethlehem in seiner Gaststube, die auch in Bayern stehen könnte; da fließt ebenfalls echtes Wasser auf ein Mühlrad; man sieht die Skyline einer Großstadt; man trifft auf den jeweiligen Papst und manch anderen heutigen Zeitgenossen, übrigens auch den Erbauer der Krippe selbst! Und auch in der Krippe der Gnadenkirche machen sich Mühselige und Beladene aus unserer Zeit zur Krippe auf.
In der Kapelle der Universitätskliniken Bonn, so habe ich gelesen, hat sieht der Stall aus wie das Verwaltungsgebäude der Klinik, und es gab Überlegungen, das Christkind ganz krankenhausgemäß in einen Brutkasten statt in eine Krippe zu legen. In einer Kirche in Köln kommen die Berufsgruppen zum Stall, die an Heilig Abend Dienst haben: Polizisten, Krankenschwestern, Feuerwehrleute, Schaffner und Busfahrer. Wieder in einer anderen Kirche schließlich nähert sich das ganze Alte Testament, Adam und Eva, Abraham, Isaak und Jakob, die Propheten und Psalmsänger. Was soll das alles bedeuten?
Was in all diesen Krippen geschieht, ist eine anschauliche „Vergegenwärtigung“ der frohen Botschaft. Das Evangelium wird herübergeholt über den „garstigen Graben der Geschichte“, wie Lessing gesagt hat, in unsere Gegenwart. Also das, was auch Aufgabe einer jeden Predigt ist. Indem wir Heutigen uns einreihen in die Krippenbesucher, finden wir uns plötzlich in der Wolke der Zeugen wieder, die Gott und Mensch zusammen sehen über Zeiten und Generationen hinweg. Und da kann man dann auch die beiden Gestalten Simeon und Hanna aus unserem heutigen Bibeltext treffen.
Lukas unterscheidet sich von seinen Evangelisten-Kollegen in einer bedeutsamen Hinsicht: Er schreibt, sozusagen als Historiker, in zwei Bänden die Geschichte Jesu und die Geschichte der ersten Kirche auf. Die Vorgeschichte, gewissermaßen den Vorläuferband zu seinem Werk, gibt es schon, nämlich die Hebräische Bibel, die wir Altes Testament nennen. In unserem Text heute erzählt er von Zeitgenossen Jesu, die die alte prophetische Tradition aus der Vorgeschichte verkörpern und bestätigen. Simeon und Hanna, das sind die uralten Zeugen, die nach damaligem Verständnis juristisch korrekt „aus zweier Zeugen Mund“ die Zeitenwende und das Kommen des Messias bezeugen: Jesus ist der lange Erwartete, der Heiland, der „Trost Israels“ und das Licht für die Völker. Schön wär’s, wenn von diesem „Zeichen“ alle Menschen überzeugt werden könnten und ihm folgten; doch schon Lukas weiß, dass diesem Zeichen widersprochen werden wird. Das ist bis heute immer noch so!
Simeon muss schon alt und dem Tod nahe gewesen sein. Sonst hätte die Ansage des Heiligen Geistes ja keinen Sinn. Und was Hanna betrifft, so lesen die einen, sie war 84 Jahre, die anderen sie war 84 Jahre lang Witwe, sei‘s drum. Sie hat eben auch schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel. Diese beiden werden Zeugen des Neuanfangs und der Zukunft mit Gott:
Schauplatz dieser Weihnachtsgeschichte ist nicht der Stall von Bethlehem, sondern der Tempel von Jerusalem, der Ort, zu dem die Kinder frommer jüdischer Eltern gebracht werden. Wir erfahren, dass die Eltern Jesu alles nach dem Brauch und nach dem Gesetz ihrer Tradition tun: Nacht acht Tagen lassen sie das Kind beschneiden, und sie geben ihm den Namen, der vom Engel genannt war vor seiner Geburt. Und nach 40 Tagen bringen sie das Kind erneut, dieses Mal mit einer Kollektengabe, zum Tempel. Und dort findet diese denkwürdige Begegnung mit Simeon und Hanna statt. Simeon und Hanna - diese Namen tragen – das ist kein Zufall! – jeweils eine gewichtige Bedeutung: „Gott hat erhört“ und „Gott hat sich erbarmt“.
Nachdem Simeon das Jesuskind auf den Armen gehalten hat, ist sein Herz so voll, dass ihm der Mund übergeht – er beginnt zu singen, und sein Lobgesang hat es in sich: „Nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen“.
Erinnern wir uns an den vorhergehenden Lobgesang? Den in der Weihnachtsgeschichte, den der Engelschor angestimmt hat? „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!“ Schon zuvor hatte der Verkündigungsengel kundgetan: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“
Simeons Gesang ist sozusagen das individuelle Echo auf das, was die Engel angesagt hatten. Nicht nur er, sondern alle Menschen sollen erlöst werden. Das Heilsgeschehen ist nicht beschränkt auf einen Einzelnen oder auf wenige Auserwählte, sondern gemeint sind alle Menschen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihrer Nationalität oder Konfession. Damit weist Weihnachten weit über alle Grenzen hinweg, die wir Menschen zu ziehen gewohnt oder bemüht sind.
Gott ist kein privates Erlebnis zu individuellem Gebrauch. An Weihnachten ging Gott in die Welt, weil die ganze Welt, alles Volk ihm gehört. Mit Gott kann man es sich nicht bloß in den eigenen vier Wänden gemütlich machen. Nein, Gott ist in der Welt. Und deshalb öffnet Simeon seinen Mund und singt und erzählt aller Welt von Gott.
Beides gehört zum Weihnachtsglauben, das ist der Clou des Lukas: Einerseits lässt Gott sich nicht eingrenzen auf einen Menschen, auf eine Gruppe, auf eine Elite, auf eine Glaubensrichtung, auf einen Frömmigkeitsstil, auf ein Volk. Andererseits ist, wie Simeon und wie Hanna, jeder und jede Einzelne angesprochen: Du bist gemeint.
Aber dann lässt Simeon noch einen Wermutstropfen in den Verkündigungswein fallen, und davon haben die Engel in der Heiligen Nacht nicht gesungen. Nämlich dass die Erlösung und Befreiung, die das Kind für alles Volk bedeutet, nicht von allem Volk angenommen, nicht von ihm gehört und geglaubt werden wird. Das Kind ist ein Zeichen, dem widersprochen wird, sagt Simeon. Das Heil des Herrn ist anders als erwartet. Denn Gott ist anders als erwartet. Und das Kind in der Krippe wird als Erwachsener später anders als erwartet.
Viele Zeitgenossen Jesu hofften auf einen Messias als einen Beauftragten Gottes, der die sündigen Heiden aus Palästina vertreibt und das Reich Davids wieder aufrichtet, also quasi einen politisch-religiösen Herrscher. Stattdessen lehnt Jesus es ab, in diesem Sinne Macht zu übernehmen, sondern etabliert eine neue Unmittelbarkeit zu Gott, den er seinen Vater nennt. Er zeigt Gott als den, der Sündern gnädig ist, sich menschliche Verurteilungen nicht zu eigen macht, der aber Selbstzufriedenheit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten verurteilt und der Leidende tröstet und gegen den Tod angeht. Gott, dafür lebt und stirbt Jesus, ist in der Welt. Für alle, gerade auch dort, wo Menschen Verzweiflung, Einsamkeit, Enttäuschung und Unrecht erleiden.
Das hatte bis dahin niemand gehört und geglaubt. Und es fällt uns auch heute schwer, es zu hören und zu glauben. Alle wir, die der Meinung sind, dass Gott es uns schuldet, seine Hand über uns und diejenigen, die wir lieben, zu halten. Auch uns fällt es schwer zuzuhören, wenn Gott sich weigert, Erfolgsgarant zu sein und uns ein langes und glückliches Leben zu verheißen. Dagegen verspricht uns Gott Begleitung durch alles andere, was wir durchmachen müssen.
Heute ist der letzte Sonntag im alten Jahr. Wir stehen auf der Schwelle zu einem neuen Jahr, das wir nicht kennen und von dem wir nicht wissen, was es bringen wird. Wir stehen hier mit all dem Alten, das wir bekommen haben, und mit dem, was wir mit uns tragen müssen, im Guten wie im Schlechten.
Da kann uns Simeon auf unserem Weg in das neue Jahr begleiten. Seine Worte können wir gebrauchen, um dem Alten Lebewohl zu sagen. Es gibt Hoffnungen und Träume, die sich nicht erfüllt haben und die wir hinter uns lassen müssen. Schmerzen und Entbehrungen, die wir mit uns tragen müssen. Aber wir können mit Simeon „fortgehen - in Frieden fortgehen“. Denn auch wir haben das Heil Gottes gehört und gesehen.
So haben nicht nur Maria und Josef, Ochs und Esel, das Christkind, die Hirten und die Weisen, Simeon und Hanna ihren Platz an der Krippe, sondern wir alle.
Amen.
Wichtige Anregungen verdanke ich Dorothee Löhr/früher Hamburg, jetzt Mannheim, und Margarethe Dahlerup Koch/Dänemark
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Herzenssache - Predigt zu Lukas 2,15-20 von Wolfgang Vögele
Herzenssache
„Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“
Liebe Gemeinde,
ein Baby verändert alles. Und damit meine ich noch gar nicht das Christkind in der Krippe. Ich meine jedes Baby: jeden Kevin, jede Teresa, jede Ida, jeden Johannes. Ein kleines Baby verändert die gesamte Lebenswelt, für die schwangere Mama, für den Vater und ältere Geschwister, für Großeltern, Tanten, Onkel, Freunde.
Wenn das lang erwartete Baby im Kreißsaal geboren worden ist, wollen es Verwandte und Freunde zuerst einmal sehen. Die Folgen werden später klar: Aus den Eltern und Schwiegereltern der Mutter werden plötzlich Großeltern, aus dem Ehemann ein Vater, aus Schwestern und Brüdern der Eheleute werden Tanten und Onkel, dazu kommen neue Nichten, Kusinen, Neffen. Und wenn das Baby – hoffentlich – gesund ist, spricht nichts dagegen, alle Verwandten und Freunde an dem kleinen Bettchen vorbeidefilieren zu lassen. Alle werden Lärm und Aufregung unterdrücken, um das kleine Wesen, das meistens schläft, zu bewundern. Ein paar Tage später schicken die Eltern ein Foto an die Geburtsstation der Klinik. Die Eltern zeigen ihre Dankbarkeit. Viele Geburtsstationen besitzen mittlerweile eigene Internet-Seiten, auf denen diese Fotos gesammelt und ausgestellt werden. Auf der Seite der Berliner Charité (1) heißt es: „In Zusammenarbeit mit der Firma Baby-Smile können wir Ihnen anbieten, dass das Bild Ihres Kindes schon kurz nach der Geburt weltweit über das Internet angesehen werden kann. Gerade für entfernt lebende Verwandte stellt dies eine gute Möglichkeit für das erste Kennenlernen dar.“
Drei Wochen später flattert bei Verwandten und Freunden eine lustige Geburtsanzeige in den Briefkasten. Außen steht dann auf rosa oder babyblauem Karton in großen Lettern: Fristlose Kündigung. Auf der linken Innenseite ein Foto, auf der rechten Innenseite der folgende Text: „Mir, Charlotte oder Ida oder Markus wurde am 23.Dezember um 22.30 nach neunmonatigem Aufenthalt mein Einzimmerapartment mit Vollpension wegen mietwidrigem Verhalten gekündigt. Ich habe mehrfach gegen die Wand getreten. Ich bin allerdings gerne ausgezogen, denn der Raum war für meine Größe von 52 cm und meine Gewicht von 3890 Gramm sowieso viel zu klein. Ihr erreicht mich unter meiner neuen Anschrift.“ Dann folgt noch die Adresse des Reihenhauses der Eltern in der Neubausiedlung.
Nicht alle Eltern verschleiern ihre Unsicherheit hinter solchen Formen des Humors. Bei der Anzeige ist von der nüchternen Angabe von Geburtsdatum, Gewicht und Namen bis zum Zitat eines Bibelverses alles gestattet. Die Geburtsanzeige hängt dann noch jahrelang an den Kühlschränken und Pinwänden der lieben Verwandten, bis die Tante dann beim Abitur des Babys denkt: Jetzt könnte ich aber einmal ein neues Foto meiner Nichte aufhängen.
Die Hirten der Weihnachtsgeschichte verhalten sich nicht viel anders als Verwandten, die eine Geburtsanzeige erhalten haben. Sie verbreiten weiter, was sie im Himmel und in der Krippe gesehen haben, weiter. Das ist so wunderbar, daß sie es einfach weiter erzählen müssen. Ein Kind ist geboren, der Heiland ist gekommen.
Trotzdem will ich nun nicht weiter auf die Hirten eingehen. Meine Aufmerksamkeit soll der wunderbaren Maria gelten, die auf ganz eigene Weise verarbeitet, was sie nach der Geburt erlebt. Lukas faßt das in einem ganz tiefgründigen und dennoch schlichten kurzen Satz zusammen: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Das ist einer der schönsten Verse aus der Weihnachtsgeschichte.
Die psychologische Schwangerschaftsexpertin würde zuerst einmal darauf hinweisen, daß selbstverständlich die Mutter Maria von der Geburt ihres eigenen Kindes emotional sehr stark berührt ist. Nicht alle Mütter freuen sich über die Geburt ihres Kindes, nicht wenige leiden nach der Geburt wegen der hormonellen Veränderungen unter einer Verstimmung, manchmal sogar unter einer Depression. Bei Maria ist das nicht der Fall (2). Sie läßt die Geburt, die Worte der Hirten und die Botschaft der Engel so nah wie möglich an sich heran. Sie bewegt jedes einzelne Wort in ihrem Herz. Maria läßt es zu, daß die Geburt ihres Sohnes sie im tiefsten Sinn des Wortes - berührt. Maria übt sich in der Zärtlichkeit des Herzens. Das ist nicht jedem gegeben. Diese Bewegung von der Oberfläche in die Tiefe macht mir die Mutter Maria besonders sympathisch. Maria ist im Inneren bewegt, sie sucht und findet den tieferen Sinn dieser Geburt.
Weihnacht fällt ja auf die Zeit der Wintersonnenwende, wenn die Tage am kürzesten und die Nächte am längsten dauern. Menschen, die empfindlich gegen das Fehlen von Tageslicht sind, neigen gerade dann zu depressiven Verstimmungen. Man kann dagegen ankämpfen, mit Glühwein, mit glitzerndem Lametta, mit der weihnachtlichen Beleuchtung der Fußgängerzonen, mit brennenden Kerzen am Adventskranz. Manche Menschen retten sich wirklich mit Hilfe von Weihnachtsmärkten über den Winterblues. Aber im Grunde bleibt Weihnachten so an der Oberfläche, sein tieferer Sinn von Glauben und Gottvertrauen geht unter im Grillrauch der Bratwürste und in den Kratzern der Eisbahn. Im Herzen bewegt sich da nicht so viel, auch wenn Lebkuchen, Eislaufen und Tannenbaumschmücken an Weihnachten Leib und Seele festlich zusammenhalten.
Maria, die ja sozusagen Weihnachten als erste erlebt hat, gibt ihrem Glauben, Gefühlen und Denken eine besondere Richtung – nämlich mitten ins Herz hinein. Sie entwickelt, jenseits von Kitsch und Medizin, eine bemerkenswerte Psychologie des Glaubens. Das Herz ist der Ort, an dem die Grundentscheidungen und Konturen eines Lebens festgelegt sind. Im Herzen ist aufbewahrt, was einen Menschen ausmacht und ihn im Innersten zusammenhält. Manchmal dringt von diesen Grundentscheidungen des Herzens wenig an die Oberfläche. Im Herzen verborgen liegen die Träume, Wünsche und Lebenspläne eines Menschen, seine Sehnsüchte, Werte und Orientierungen. Was ein Mensch im Herzen trägt, läßt sich gut verbergen, manches schlummert dort so sicher wie in einem Tresor. Nach außen, in der Familie oder in der Öffentlichkeit kann man viele Kompromisse eingehen. Oft reicht es aus, die Erwartungen der anderen einigermaßen zu erfüllen, ohne mit dem Herzen bei der Sache zu sein.
Ohne alle Kompromisse: Weihnachten gehört mitten ins Herz von jedem Menschen. Nicht auf den Weihnachtsmarkt, nicht an den Glühweinstand, nicht unter den Tannenbaum, nicht in Geschenkpapier verpackt. Und Maria war die erste, die Weihnachten in ihrem Herzen zugelassen hat. Sie bewegte dort weihnachtliche Worte, so lange, bis sie verstand und glaubte, was in der Krippe und bei den Hirten auf dem Feld geschehen war. Weihnachten zielt ins Herz, nicht auaf die Oberflächen.
Maria bewegte die Worte der Hirten in ihrem Herzen. Was hat ihr das Herz geöffnet? Was hat Vertrauen gestiftet? Bestimmt mußte sie sich von den Anstrengungen und den Schmerzen der Geburt erholen. Keine Hebamme und kein Gynäkologe hat ihr geholfen. Bestimmt konnte sie sich in den ersten Stunden nur mit Mühe bewegen. Sie hat sich ausgeruht. Vielleicht hat sie sich an den Engel erinnert, der ihr die Geburt des Sohnes angekündigt hatte. Vielleicht kam ihr der Besuch bei Elisabeth in den Sinn, von dem der Evangelist Lukas ebenfalls erzählt. Die Vorgeschichte mit dem Engel, Elisabeth, Johannes und Zacharias hat ihr Herz geöffnet für diese Geburt, die viel mehr war als „nur“ eine Geburt.
Ich bin überzeugt: Maria war vorbereitet auf die Hirten. Die Worte der Hirten waren nur der Anfang der Geschichte ihres Sohnes, die Maria von nun an nicht mehr loslassen würde. Damit ist weit mehr gemeint als die enge Beziehung, die alle Mütter lebenslang zu ihren Kindern pflegen. Oft reicht diese Beziehung so lange, bis einer von beiden stirbt. Maria wird ihren Sohn mit nach Ägypten nehmen, um ihn vor den Kindermördern des Herodes zu schützen. Sie wird ihn bei den Rabbinern wiederfinden, mit denen der zwölfjährige Jesus selbstbewußt theologische Diskussionen führt. Sie wird ihn heilen, reden, trösten sehen. Sie wird auch trauernd und machtlos anwesend sein, während er hingerichtet wird (3). Und all das, was sie sieht und erfährt, wird sie genauso in ihrem Herzen bewegen wie die ersten Worte der Hirten, die in dem Neugeborenen als erste den Heiland der Welt sahen.
Es ergibt sich die Frage: Was ist in Marias Herz geschehen? Lukas schweigt sich darüber aus, auch er konnte schließlich nicht in Marias Herz hineinsehen. Er sagt: Die Worte waren in Bewegung. Sie waren flüssig, deutungsoffen, die ganze Geschichte hatte sich, so kurz nach der Geburt noch nicht verfestigt oder festgesetzt. Ich bin sicher, in diese Herzensbewegung waren nicht nur Gewißheit und Glück hineingemischt, sondern auch Gedanken an überwundene Schmerzen, Zweifel, vielleicht ein wenig Traurigkeit, der Geburtsblues, ein Stöhnen über Last und Schwierigkeit der Aufgabe als Mutter, Sorge um die Gesundheit des Neugeborenen, all das, was jede Mutter bewegt. Langsam und nachhaltig wird sich das alles gesetzt und verdichtet haben. Von Lukas, wie gesagt, erfahren wir nichts darüber, mehr als den einen Blick auf Marias bewegtes Herz gestattet er sich nicht.
Aber dieser eine Blick ins Herz genügt auch. Dieser eine Blick leitet an, unter die Oberfläche des Menschen und unter die Oberfläche Weihnachtens zu blicken. Auf der Seite des Menschen befindet sich unter der Oberfläche das Herz. Auf der Seite Weihnachtens finden sich unter der Oberfläche Glauben und Vertrauen.
Niemand kann sein Herz für alles öffnen, was auf ihn einprasselt. Er wäre dauernd damit beschäftigt, Mitleid, Einfühlung und Solidarität auf all diejenigen zu verteilen, die es bitter nötig haben. Jeder wird sich irgendwann die Frage stellen: Was lasse ich an mich heran und was nicht? Herzen unterscheiden sich wie Gesichter. Jeder blickt auf seine eigene Herzensgeschichte zurück. Oft reden wir gar nicht darüber, was uns in besonderem Maße anrührt oder berührt oder zum Lachen oder Weinen bringt.
Am ersten Weihnachtstag ist schon ein verstohlener Blick auf das zurückliegende Jahr erlaubt. Und ins Blickfeld kommen die Flüchtlinge aus Syrien, wo Bürgerkrieg herrscht, kommt auch der Formel-1-Weltmeister, der nach einem Sturz beim Skifahren Monate lang im Koma lag. Ins Blickfeld kommen die christlichen und muslimischen Flüchtlinge im Irak, die vor dem Terror des Islamischen Staates zu entkommen suchten. Ins Blickfeld kommt die Fußballweltmeisterschaft: Mario Götzes entscheidendes Tor hat tagelangen Jubel hervorgerufen und ganz Deutschland in Euphorie versetzt. Obwohl das nicht viel zu seinem fußballerischen Erfolg beiträgt: Mario Götze ist bekennender Christ, der bei Facebook und Twitter zu seinem Glauben steht. Ob Maria sich das Finale der Fußballweltmeisterschaft angeschaut und mitgefiebert hätte? Wäre sie mit dem Herzen dabeigewesen?
Weihnachten und die Krippe blenden die großen und kleinen Aufregungen, Krisen und Probleme der Weltgeschichte nicht aus. Das Kind verdeckt nicht das Elend der Welt. Aber wer dieses kleine schlafende Kind in der Krippe bis an sein Herz heranläßt wie Maria, der gewinnt die Dinge des Lebens, vom Finale bis zur Krise einen anderen, neuen Herzensblick. Wer dieses Kind in der Krippe mit dem Herzen ansieht, der spürt Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen - wie bei allen Kindern, die gerade im Moment geboren worden sind. Hoffnung und Vertrauen auf die Zukunft paaren sich mit Schutzbedürftigkeit, Sorge und Verläßlichkeit: Eltern sorgen dafür, daß das Kind heranwächst und in Geborgenheit und Güte aufwächst.
Maria aber sieht mit ihrem Herzen noch etwas anderes, nämlich die Bereitschaft Gottes, sich nicht nur ihr selbst, sondern allen Menschen zuzuwenden. Darum bewegt Maria auch die Worte der Hirten in ihrem Herz, denn die Hirten haben die Engel aus dem Himmel gesehen. Maria sieht die Krippe, den Stall, das kleine Kind, die Windeln, das schmutzige Stroh, die anderen Tiere. Vielleicht stellt sie sich die pragmatischen Fragen, die nun anstehen: Wie kann ich genügend Windeln besorgen? Wie kann ich unser Kind vor dem Geheimdienst des Herodes schützen? Wie schnell erhole ich mich von den Anstrengungen der Geburt, damit wir nach Nazareth zurückkehren können? Aber hinter all diesen Fragen steht die größere Gewißheit, daß der Gott der Bibel, der das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt hat, in diesem Kind den Menschen so nahe gekommen ist wie noch niemals zuvor.
Liebe Gemeinde, ich möchte am Ende nichts anderes tun als Sie einzuladen, die Welt genauso zu betrachten, wie Maria das getan hat: nämlich mit dem Herzen. Vor all die Probleme und Schwierigkeiten des Lebens, die nicht geleugnet oder verharmlost werden sollen, schiebt sich dieses Kind, in dem wie in niemand anderem der allmächtige und barmherzige Gott selbst sichtbar wird. Alle neugeborenen Kinder stiften Zuversicht und Zukunft, weil ihre Geburt von dem Vertrauen getragen ist, daß die Kinder in der Fürsorge der Eltern heranwachsen und ihr eigenes Leben gestalten können. Die Geburt Jesu von Nazareth in Bethlehem unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von allen anderen Geburten. Aber mit der Geburt dieses Kindes kommt zusätzlich das Vertrauen in die Welt, daß Gott die Menschen nicht allein läßt, sondern sie im Herzen auf ihrem Lebensweg begleitet. Maria spürt die Herzenssache des Glaubens.
Und der Friede Gottes, welcher an Weihnachten bis in unsere Herzen gelangt, sei mit euch allen. Amen.
(1) Ein Beispiel für eine Babygalerie findet sich unter http://www.babygalerie24.de/campus-virchow/ Solche Beispiele lassen sich aber in der Regel auch mit dem Lokalkolorit einer Geburtstation in der Nähe des Predigtortes versehen.
(2) Über den Zusammenhang von Geburt und Weihnachten Wolfgang Vögele, Der Heiland im Kinderwagen. Theologische Anmerkungen zu Heinrich Schütz' Weihnachtshistorie, Glauben leben. Zeitschrift für Spiritualität im Alltag, Heft 1, Januar, Februar 2012, 19-21 oder wolfgangvoegele.files.wordpress.com/2010/11/schc3bctz-weihnachtshistorie.pdf
(3) Schriftsteller haben Marias Geschichte immer wieder aufgenommen und nacherzählt. Ein sehr spannender Versuch findet sich in Colm Toibins kurzem Roman „Marias Testament“. Dazu Wolfgang Vögele, Mater dolorosa auf der Couch, Ta katoptrizomena, H.88, 2014, http://www.theomag.de/88/wv08.htm
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Magnificat - Predigt zu Lukas 1,46-56 von Isolde Karle
Magnificat
Liebe Gemeinde,
heute ist das Magnificat, der Lobgesang der Maria, der Predigttext. Das Magnificat gehört zu den am häufigsten gesungenen und gebetenen Psalmen der Kirche, sowohl in der römisch-katholischen als auch in der evangelischen Kirche.
Ich lese Lukas 1, 46-56:
Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrt sie wieder heim.
Drei Gedanken will ich zu unserem Text entfalten.
1. Weihnachten ist eine Frauengeschichte. Maria steht dabei zweifellos im Mittelpunkt. In der lukanischen Erzählung kündigt ihr der Engel Gabriel an, dass sie ein Kind gebären wird, das die Welt fundamental verändern wird. Maria soll den großen Friedenskönig zur Welt bringen, dessen Reich kein Ende haben wird. Wundersamerweise soll die Zeugung auch noch ohne männliche Beteiligung geschehen. Schon hier zeigt sich der extravagante Erzählstil des Lukas: Er betont im Kontext der ganzen Weihnachtserzählung, wie außergewöhnlich das ist, was hier geschieht. Auch Maria findet die Botschaft Gabriels verwunderlich und traut sich an einer Stelle, eine kritische Rückfrage zu stellen – wie soll das geschehen? –, aber am Ende glaubt sie ihm und lässt sich auf die ungewöhnliche Botschaft ein.
Gleich nachdem der Engel verschwunden ist, macht sich Maria auf den Weg, um ihre Verwandte Elisabeth zu besuchen. Der Engel Gabriel hat ihr zuvor schon berichtet, dass Elisabeth trotz ihres hohen Alters noch schwanger geworden ist. Wenn man sich den Weg, den Maria zu Elisabeth zurücklegen muss, auf der Karte ansieht, dann wird schnell klar, dass auch dieser Erzählzug unrealistische Züge trägt. Der Weg von Nazareth zu einem Ort im judäischen Bergland ist zu Fuß für eine junge Frau eigentlich nicht machbar und überdies sehr gefährlich. Lukas will uns vor Augen malen: Die Verkündigung außergewöhnlicher Ereignisse erfordert außergewöhnliches Tun. Nichts bleibt mehr wie es war. Und die beiden Frauen, Elisabeth und Maria, haben diese Botschaft verstanden. Sie lassen sich auf das Außergewöhnliche ein, anders als ihre Männer, die wie Joseph am Rand stehen und später ganz von der Bildfläche verschwinden oder wie Zacharias, der der himmlischen Botschaft erst mal nicht glauben konnte und ein Jahr lang verstummte.
Weihnachten ist eine Frauengeschichte. Sie handelt von Elisabeth und Maria, den beiden Protagonistinnen des Advent. Sie handelt von streitbaren werdenden Müttern. Beide bereiten sich auf die Geburt ihrer Söhne vor. Beide schreiben sich ihre ungewöhnlichen Schwangerschaften nicht selbst zu, sondern brechen in Jubel aus über Gottes Handeln. Sie sind nicht stumm, sondern loben Gott von ganzem Herzen. Elisabeth, von Gottes Geist erfüllt, bezeichnet Maria als „am meisten gesegnet unter den Frauen“ und segnet zugleich das kommende Kind Marias. Und Maria bricht aus in den Lobgesang, den wir im Magnificat vor uns liegen haben.
Man muss ja nicht gleich in eine katholische Marienfrömmigkeit abgleiten oder Maria als Gottesgebärerin verehren wie die Ostkirche, aber das Magnificat erinnert uns Protestanten doch daran, Maria nicht zu unterschätzen. Ohne Maria keine Geburt Jesu. Maria bewegt die Botschaft der Engel und Hirten in ihrem Herzen. Sie durchlebt mit ihrem Sohn schlimmste Gefährdungen, angefangen von der erbärmlichen Geburt im Stall in Bethlehem bis hin zur Flucht vor dem Kinder mordenden Herodes nach Ägypten. Sie hält es aus, dass sich Jesus schon als 12-jähriger im Tempel von seinen Eltern distanziert. Sie erträgt seine Schroffheit, als sie ihn aufsuchen will und Jesus – statt zu ihr zu gehen – die Menge um sich herum provokant fragt: „Wer ist meine Mutter?“ (Markus 3,33) Sie steht am Ende voller Schmerz und Trauer unter seinem Kreuz. Und sie gehört nach dem Bericht der Apostelgeschichte (1,14) zur ersten Gemeinde in Jerusalem.
Die Weihnachtsgeschichte ist immer auch eine Mutter-Kind- oder Eltern-Kind-Geschichte. In Schleiermachers Weihnachtsfeier erzählt Ernestine, eine der Protagonistinnen, von einem frustrierenden Besuch einer Christmette in der Heiligen Nacht. Weder die Stimmung, noch die Musik, noch die Worte des Geistlichen vermögen sie in irgendeiner Weise anzusprechen. Sie will schon enttäuscht die Kirche verlassen, als ihr Blick auf eine junge Mutter mit einem kleinen Kind auf dem Schoß fällt. Die Mutter wendet ihre ganze Aufmerksamkeit dem Kind zu. Das Kind wiederum weiß sich innigst bei seiner Mutter geborgen. Von beiden geht eine freundliche Ruhe und liebende Andacht aus, wie Ernestine sagt. In diesem Bild erschließt sich für Ernestine Weihnachten. Das Göttliche und das Kindliche kommen an Weihnachten zusammen. Mit dem Bild von Maria und Jesus vor Augen geht Ernestine tief bewegt nach Hause. Weihnachten ist eine Frauengeschichte.
2. Weihnachten heißt singen. Das Magnificat, das Lukas Maria in den Mund legt, ist ein Psalmlied. Es erinnert an den Lobgesang der Hanna, die mit ganz ähnlichen Worten Gott für die Geburt ihres Sohnes Samuel dankt. Wie Hanna besingt Maria Gott als einen Gott der Hilfe, als rettenden Gott, als Heiland. Sie besingt die großen Taten Gottes und seine ewige Barmherzigkeit. Indem Maria von der Vergangenheit singt und sich als Teil einer großen Tradition begreift, besingt sie zugleich die Zukunft: Die ungerechten Verhältnisse werden die Zeit nicht überdauern, Gott wird eine neue Wirklichkeit heraufführen, er wird Gerechtigkeit und Frieden schaffen.
Solche Visionen können nur glaubend besungen werden. „Maria singt sich hinein in die weihnachtliche Freude über ihr Kind. Sie singt sich hinein in die jahrhundertealten Hoffnungen und Sehnsüchte ihres Volkes. Sie singt sich hinein in die alten Lieder werdender Mütter, mit denen Frauen in Israel die Geburt ihres ersten Kindes besangen.“ (Marion Lange) Deshalb ist Weihnachten ganz eng mit dem Singen verknüpft. Im Singen bekennen wir unseren Glauben. Im Singen können wir mehr von Gott und von uns sagen, als uns das in den Worten des Alltags möglich ist. Wir selbst sind oft nur zu einem halben Glauben in der Lage und brauchen die geliehenen Worte der Tradition, um Halt zu finden, um uns zu einem Lob Gottes durchzuringen und nicht einfach bei uns selbst stehen zu bleiben.
Darum lasst uns singen, ganz besonders jetzt in diesen Advents- und Weihnachtstagen. Im Singen tauchen wir ein in eine große Tradition und verbinden uns mit ihr – wie Maria. Im Singen werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft. Im Singen loben wir Gott und lassen unsere Zweifel, unsere Angst, unsere Müdigkeit hinter uns. Im Singen sehen wir, wie Gott uns ansieht, wie er uns aufrichtet. Im Singen wird der Glaube an das Reich Gottes gestärkt und öffnen wir uns für die bezwingende Botschaft des Kindes in der Krippe.
3. Weihnachten ist das Fest der Versöhnung und der Barmherzigkeit.
Bei aller Mutter-Kind-Lyrik ist Weihnachten nicht mit Kitsch zu verwechseln, auch wenn der eine oder die andere es genießt, dass in dieser Jahreszeit der Kitsch ausnahmsweise mal erlaubt ist, sogar im Bildungsbürgertum, wenigstens in dosiertem Maß. Doch das Magnificat hat nichts Süßliches und nichts Niedliches. Es ist ganz und gar politisch und auf Versöhnung und Gerechtigkeit hin ausgerichtet. Eine Erzählung von Fritz Vincken führt uns vor Augen, was das Mutter-Kind-Motiv mit diesem politischen Aspekt des Magnificat zu tun haben könnte. Ich habe die Erzählung dem „Anderen Advent“ entnommen und gebe sie hier gekürzt wieder:
Fritz Vincken erzählt von einem ganz besonderen Weihnachtsabend während des Krieges im Jahre 1944. Er ist 12 Jahre alt und lebt mit seiner Mutter in einem kleinen Häuschen an der deutsch-belgischen Grenze. Ringsum tobt die Ardennenschlacht. Da klopft es an der Tür. Draußen stehen zwei Männer mit Stahlhelmen. Der eine redet die Mutter in einer Sprache an, die diese nicht versteht und zeigt auf einen dritten, der verletzt im Schnee liegt. Es sind Amerikaner, Feinde. Die Männer sind bewaffnet und könnten sich den Einlass erzwingen, doch das tun sie nicht. Schließlich bittet die Mutter sie herein. Die Soldaten tragen ihren Kameraden ins Haus. Keiner spricht deutsch. Bevor sich die Mutter des Verwundeten annimmt, sagt sie zu ihrem Sohn: „Bring einen Eimer Schnee herein.“ Kurz darauf reibt der Junge die blaugefrorenen Füße mit Schnee ab. Die jungen Soldaten haben ihre Einheit verloren und irren seit Tagen umher. Die Mutter befiehlt ihrem Sohn: „Geh, hol ein Huhn und bring Kartoffeln mit.“ Während Fritz zusammen mit einem der Soldaten in der Küche hilft, kümmert sich der andere mit der Mutter um den Verletzten. Die Mutter reißt ein Laken in Streifen, um die Wunden zu verbinden. Bald zieht der verlockende Duft von Gebratenem durch das Zimmer.
Da klopft es wieder. Fritz öffnet in der Erwartung, weitere Amerikaner vor sich zu sehen – aber draußen stehen vier deutsche Soldaten! Er ist vor Schreck gelähmt. Wer feindliche Soldaten beherbergt, begeht Landesverrat, das weiß er. Sie könnten alle erschossen werden. Die Mutter hat auch Angst. Doch sie tritt entschlossen hinaus und sagt zu den Soldaten: „Fröhliche Weihnachten!“ Die Soldaten wünschen ihr auch eine frohe Weihnacht und erklären, dass sie ihre Einheit verloren haben und bis Tagesanbruch gern bleiben würden. Die Mutter antwortet mit der Ruhe der Verzweiflung: „Natürlich, Sie können auch eine gute, warme Mahlzeit haben. Aber wir haben noch drei Gäste, die Sie vielleicht nicht als Freunde ansehen werden.“ Ihre Stimme war mit einem Mal so streng, wie ihr Sohn Fritz sie noch nie gehört hatte. „Heute ist Heiliger Abend, und hier wird nicht geschossen.“ „Wer ist drin?“ fragt der Unteroffizier barsch, „Amerikaner?“ Da sagt die Mutter: „Ihr könntet meine Söhne sein und die da drinnen auch. Einer von ihnen ist verwundet und ringt um sein Leben. In dieser Heiligen Nacht denken wir nicht ans Töten!“ Der Unteroffizier starrt sie an. „Genug geredet!“ sagt die Mutter und klatscht in die Hände. „Legen Sie Ihre Waffen weg und kommen Sie rein – sonst essen die anderen alles auf.“ Die Soldaten legen wie benommen ihre Waffen auf eine Kiste im Gang. Auch die Amerikaner geben der Mutter die Waffen. Verlegen stehen sich Deutsche und Amerikaner gegenüber. Die Mutter findet für jeden einen Sitzplatz und kocht noch mehr Essen.
Schließlich sieht sich einer der Deutschen, ein Medizinstudent, die Wunde des Amerikaners an. Er spricht fließend englisch und kümmert sich um ihn. Der Druck beginnt zu weichen. Vor dem Essen spricht die Mutter das Tischgebet. Sie hat Tränen in den Augen, als sie die vertrauten Worte spricht: „Komm Herr Jesus, sei du unser Gast...“ Fritz sieht, dass auch die Augen der kriegsmüden jungen Soldaten feucht sind. Für jeden ist in diesem Augenblick der Krieg sehr fern.
Am nächsten Morgen zeigt der deutsche Unteroffizier den Amerikanern, wie sie zu ihrer Truppe zurückfinden können. Ein Amerikaner fragt: „Warum nicht nach Monschau?“ „Um Himmels willen, nein!“ ruft der Unteroffizier. „Monschau haben wir wieder eingenommen.“ Schließlich gibt die Mutter allen ihre Waffen zurück. „Seid vorsichtig, Jungs. Ich wünsche mir, dass ihr eines Tages dahin zurückgeht, wo ihr hingehört, nach Hause. Gott beschütze euch alle!“ Die Deutschen und die Amerikaner geben einander die Hand. Fritz und seine Mutter sehen ihnen nach, bis sie in entgegengesetzter Richtung verschwunden sind. (Der andere Advent, 23.12.14)
Weihnachten ist eine Frauengeschichte. Die Mutter betrachtet die Soldaten wie ihre eigenen Kinder und stellt die Regeln des Krieges auf den Kopf. Sie erweist den amerikanischen wie den deutschen Soldaten Barmherzigkeit und hilft ihnen, unter den Gräueln des Krieges ihre menschlichen Seiten wieder zu entdecken. Zum Abschied gibt sie ihnen ihren Segen mit auf den Weg. Einen der GIs traf Fritz Vincken 1996 wieder, er sagte ihm: „Ihre Mutter rettete mein Leben.“
Weihnachten ist ein Fest der Versöhnung und der Barmherzigkeit. Maria, Elisabeth und die Mutter aus der Erzählung – alle drei sind sehr mutige Frauen. Sie wagen das Außergewöhnliche. Sie tragen auf je ihre Weise zum Heil der Welt bei. Sie klinken sich ein in die Tradition des Magnificat. Sie bezeugen, besingen und leben die große Barmherzigkeit Gottes. Amen.
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Predigt zu Lukas 1,46-55 von Frank Fuchs
46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,
47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
Liebe Gemeinde,
die christliche Gemeinde ist seit jeher singende Gemeinde. Mit Liedern und Gesängen lobt sie Gott. Sie gibt Gott die Ehre und drückt dies musikalisch aus. Deshalb passt es heute sehr gut, dass Vor-, Schüler-, Jugend- und großes Orchester des Blasorchesters Babenhausen bei diesem Gottesdienst mitwirken. So viele Mitwirkende haben wir sonst nie. Das ist beeindruckend. Denn die Musik ist nicht einfach dafür da, dass sie erklingt und uns erfreut, sondern durch sie wird in diesem Gottesdienst die christliche Botschaft verkündigt.
Manche biblischen Texte sind im ursprünglichen Sinne Musik, deren Melodie wir nicht mehr kennen. Doch die hymnische Versform deutet darauf hin, dass es sich um Lieder gehandelt hat. So ist es auch bei dem heutigen Predigttext.
Bevor Maria diese Wort spricht oder besser singt, hat sie die Botschaft durch den Engel Gabriel empfangen. Sie wird ein Kind bekommen, das Sohn des Höchsten genannt werden und auf Davids Thron für immer herrschen wird. Maria antwortet auf die Worte mit dem Magnificat, wie dieser Text nach dem lateinischen Anfangswort genannt wird.
Magnificat – meine Seele erhebt den Herrn. Maria erhebt ihre Stimme. Sie singt und kündet von Gottes großen Taten. Erhebend ist auch gute Musik. Sie hilft uns, aus uns selbst herauszutreten und ganz bei ihr zu sein. Sie darf dann nicht wie im Kaufhaus oder auf dem Weihnachtsmarkt im Hintergrund dudeln, sondern verlangt ganze Aufmerksamkeit. Noch besser ist es natürlich, selbst ein Instrument zu spielen. Erhebend ist dann nicht unbedingt das Üben allein zu Hause, sondern der Zusammenklang in einem großen Ganzen. Wenn es polyphon klingt und alle Stimmen miteinander harmonieren, dann ist Musik erhebend.
Maria erhebt ihre Stimme. Sie spricht sozusagen einstimmig. Doch die Worte nehmen Verheißungen aus dem Alten Testament auf. Deshalb lässt sich sagen, dass sie vielstimmig erklingen. Es klingt an, dass Gottes Name heilig ist. Seine Barmherzigkeit gilt denen, die ihn fürchten. Diejenigen, die Macht haben und hochmütig sind, können sich nicht in Sicherheit wiegen. Von der Erwählung Israels lässt er nicht ab. Diese Aussagen finden sich an vielen Stellen des Alten Testaments und werden hier zusammengefasst. Aus den vielen Stimmen wird ein harmonisches Lied.
Es entspricht unserer menschlichen Sehnsucht, dieses Lied zu singen. Wir wünschen uns, dass alle negativen Lebensumstände beseitigt werden können. Das mag ein verständlicher Wunschgedanken sein. Doch sogleich erhebt sich die kritische Stimme in uns, ob das denn wirklich sein kann. Maria preist Gott für seine Taten. Aber benötigt er dazu nicht die erforderliche weltliche Macht? So kam Jesus nicht in einem Palast auf die Welt. Er wirkte auch nicht auf dem Thron Davids als ein Herrscher, der mit Macht die Umstände seiner Zeit verändert hätte. Vielmehr wird er in Armut in einer Krippe geboren und erleidet am Ende die Ohnmacht des Kreuzes. Nichts scheint sich zu ändern.
(Hier kann auf aktuelle Ereignisse eingegangen werden.)
Wenn aber im Magnificat die alttestamentlichen Stimmen zu einer neuen Komposition zusammengefügt werden, dann entsteht durch den Zusammenklang verschiedener Stimmen etwas Neues. Ein neues Verständnis wird gewonnen. Es klingt an, dass Gott im Verborgenen wirkt und dennoch seine Macht durchsetzt. Er erwählt das, was arm und gering ist. Das Hohe in der Welt ist nicht mehr hoch, das Niedrige ist nicht mehr niedrig. Maria spürt, dass die Niedrigkeit ihres Menschseins nicht mehr zählt, sondern erwählt wird. Deshalb preist sie Gott mit hellem Jubel.
In dem Adventslied von Jürgen Henkys über das Magnificat kommt das zum Ausdruck:
Gottes Lob wandert und Erde darf hören.
Einst sang Maria, sie jubelte Antwort.
Wir stehn im Echo der Botschaft vom Leben.
Den Herrn preist meine Seele:
Im Echo der Botschaft des Lebens gilt es, die polyphonen Stimmen zusammenzubringen. So viele Stimmen dringen tagtäglich an unser Ohr. Dazu gehören sicherlich auch disparate Stimmen, die auf uns einreden. Es gibt kritische und mahnende Stimmen, die wir vernehmen. Es sind dissonante Stimmen an der Tagesordnung. In der Musik werden dissonante Harmonien aufgelöst. Obwohl sie dissonant erklingen, ergibt sich ein harmonisches Gesamtkunstwerk.
Es ist erhebend, wenn uns das im Leben gelingt. Wir spüren, dass es einen tieferen Grund im Leben gibt, der uns trägt. Die Botschaft vom Leben, wie sie in dem Lied besungen wird, findet ein Echo in uns. Wir erkennen, wie Gott barmherzig ist, zu denen, die ihn fürchten oder mit heutigen Worten besser gesagt: ihm die Ehre geben. Es findet einen Nachklang in unserer Dankbarkeit. Dann verachten wir nicht das Geringe, sondern schätzen es. Wir kommen erst gar nicht in die Versuchung, hochmütig zu werden. Wir geben gern. Gottes Lob wandert durch die Welt und zieht bei uns ein.
Wenn die polyphonen Stimmen zusammenklingen, dann leiten sie uns an, in diesen Vielklang einzustimmen. Jede einzelne Stimme zählt. Sie gehören in den harmonischen Gesamtklang. Wir stimmen ein in diesen Jubel und erahnen: Alles wird sich ändern. Denn Gott ist in die Welt gekommen und ist ihr nahe.
Sein Wirken geschieht aber noch im Verborgenen. Das Besondere an dem verheißenen Kind in der Krippe ist nicht ohne den Blick auf sein ganzes Leben zu verstehen. Er predigte, heilte und wandte sich Ausgegrenzten zu. Sein Weg führt ihn ans Kreuz. Es bleibt nicht bei der Ohnmacht des Kreuzes. Gottes Macht wird nur durch die Auferstehung sichtbar. Leid und Tod sind nicht das Letzte. Das gilt auch heute beim Tod unschuldiger Opfer. Gottes Macht ist auf diese Weise auch heute in der Welt wirksam.
Maria antwortet auf die Botschaft des Engels mit ihrem Lied. Sie ist von der Vorfreude auf Weihnachten, auf die Geburt ihres Sohnes ganz ergriffen. Sie bringt ihre Stimme zum Klingen und lobt Gott. In diesem Gottesdienst hören wir so viele musikalische Stimmen, die mit verschiedenen Instrumenten intoniert werden. Daraus ergibt sich ein froher und zuversichtlicher Gesamtklang. Dieser Klang soll in uns nachhallen, wenn wir nun auf Weihnachten zugehen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, er bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Literatur: Jürgen Henkys: Gottes Lob wandert, in: Durch Hohes und Tiefes. Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland, Nr. 5
Hinweis: Wie am Anfang beschrieben, wurde die Predigt für einen Musikgottesdienst verfasst.
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Hoffen und Bangen - Predigt zu Lukas 1,39-56 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
Liebe Gemeinde,
Zwischen Hoffen und Bangen. Wie könnte es auch anders sein. Elisabeth und Maria erwarten ihr erstes Kind. Neues Leben wächst in ihnen und will zur Welt kommen. Ein Lebensabschnitt, ein Lebensgefühl zwischen Hoffen und Bangen. Wie wird es werden mit ihnen, den Müttern, mit ihren Männern, mit der neuen kleinen Familie?
Es werden besondere Kinder sein, der Johannes und der Jesus. So hatten es der Engel Gabriel Elisabeth und Maria verkündigt. Johannes und Jesus werden nicht nur das Leben ihrer Eltern völlig verändern, sondern auch die Welt. Den Glauben werden sie verändern. Gott und die Welt neu verstehen lassen. Das werden sie.
„Johannes wird (….) viele zu Gott bekehren“, verkündigte der Engel Gabriel dem Priester Zacharias, Elisabeths Mann. Väter werden sich herzlich ihren Kindern zuwenden. Er wird bewirken, dass Menschen ohne Ziel im Leben klug werden und zu fragen beginnen, wie es gerecht in der Welt zugehen kann. Er wird die Menschen darauf vorbereiten, Gott ganz neu zu begegnen. (Lk. 1, 17)
Und der Maria hatte der Engel Gabriel verkündigt, dass ihr Sohn Jesus Gott ganz nahe sein wird. Den Sohn des Höchsten, den Sohn Gottes wird man ihn nennen. Ja, nicht nur nennen: er wird es sein. Gott in Jesus, Jesus mit Gott mitten in unserer Welt.
Sie werden besondere Menschen werden, Johannes und Jesus, die Elisabeth und Maria in sich tragen. Und da braucht es schon einen besonderen Engel, der diese Kinder ankündigt. Gabriel heißt er. Sein Name bedeutet: Held Gottes. Ein Engel, der Mut macht; einer der stärkt. So einer, wie ihn sich alle Menschen wünschen, die ein Kind erwarten. Einer, der zwischen Hoffen und Bangen der werdenden Eltern Gottes Hilfe und Begleitung verkündigt.
Und nun treffen sich also diese beiden Mütter, die diese besonderen Kinder erwarten. Die schwangere Maria besucht ihre Verwandte, die schwangere Elisabeth. Und, wie wunderbar, Johannes macht sich bemerkbar im Bauch der Elisabeth. Ein schöner Augenblick. Er „hüpft“ in ihrem Leib, wie Luther so feinfühlig übersetzt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt spüren auch Väter hautnah, dass da ein neues Leben in ihre Welt tritt. Wirklich und fühlbar tritt.
Und jetzt, als Elisabeth und Maria sich treffen, ist da mehr Hoffen als Bangen. Maria drückt es aus; in einem tiefempfundenen Gebet, einem Lobpreis, einem Gotteslob. Hoffen und Bangen treten bei Maria zurück und schiere Freude macht sich in ihrer Seele Raum. Und diese Freude muss in Worte gefasst werden, muss ausgesprochen werden: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes.“
Die Welt erscheint ihr in einem neuen Licht. Gott bekommt für sie ein neues Gesicht. Was Angst und Bange macht erscheint nun so klein gegenüber der Hoffnung, die empfunden wird. Es wird gut werden, jubelt Maria. Und in ihrem Lobpreis spricht sie sie aus. Die Verheißungsworte von Gott. Diese Es-wird-gut-werden-Worte. So, wie sie sie aus der Bibel kennt, der Hebräischen, unserem Alten Testament.
Wenn Sie zuhause eine Bibel mit Querverweisen haben, dann werden Sie sehen, dass Maria in ihrem Lobgebet fünf Psalmverse und drei Verse aus dem 1. Buch Mose zitiert. Nicht wörtlich, sondern so wie sie es versteht und erlebt. So, wie es sie anspricht und wie sie es aussprechen möchte. Diese Es-wird-gut-werden-Worte der Bibel.
Wie die Miriam, die Schwester des Mose, die nach der Errettung aus der Sklaverei in Ägypten, nach der Flucht durch das Schilfmeer zur Handpauke greift und spontan ein Danklied anstimmt; so wie die Hannah ihren ganz eigenen Lobpreis anstimmt aus Dankbarkeit über die Geburt ihres Sohnes Samuel damals im Tempel in Silo; so kann hier Maria aus voller Seele, aus ganzem Herzen und „ganz spontan aus dem Bauch heraus“, wie man so sagt, und hier bei Maria mit einer ganz besonderen Beziehung und Bedeutung dieses „aus dem Bauch heraus“, beten, danken und jubeln.
Das Bangen und Hoffen der schwangeren Maria weicht einem trotzigen: So wird und so muss es werden; so gut, wie Gott es will. Denn Gott ist barmherzig zu allen, die ihm ihre Fehler bekennen, vor ihm ablegen, neu beginnen und anders leben wollen. „Kehrt um, denn Gott ist euch nahe gekommen. Ein anderes Leben ist möglich.“ Das sind auch die Predigtworte, mit denen Johannes und Jesus ihren Auftrag unter den Menschen beginnen werden. Die sie uns sagen. Und wer könnte das Wort „barmherzig“ besser verstehen als die schwangeren, hebräisch sprechenden werdenden Mütter Elisabeth und Maria? Ist das Wort für Barmherzigkeit im Hebräischen doch das gleiche wie für Mutterschoß.
Und trotzig und ganz voller Vertrauen in die Es-wird-gut-werden-Worte Gottes betet Maria weiter:
Angeberei und Überheblichkeit finden bei Gott keinen Beifall. Er wischt sie mit seinem Arm einfach weg. Auf ein ehrliches Herz kommt es ihm an, freut sich Maria. So muss es sein vor Gott.
Und die, die das Sagen haben und alles bestimmen und sogar gewalttätig werden, um ihre Ziele zu verfolgen, diese alle werden entmachtet und versetzt. Einfach so.
Und der Blick und alles Augenmerk wird sich auf die Übersehenen und die Mühseligen und Beladenen richten. Ihnen wird endlich einmal etwas Gutes getan. Richtig so.
Und da ist so viel Hunger in der Welt. Mütter, die nicht wissen, woher sie das Brot für ihre Kinder nehmen sollen. Fliehende, die nichts mehr haben und sich schämen, nun die Hand aufhalten zu müssen. Und für die die Budgets der Helfenden erschöpft sind. Weil man Geld verrechnet und nicht Not. Warum den Reichen nicht einfach einmal sagen: Genug so?
Maria betet ihr trotziges Gebet voller Freude und Hoffnung. Denn sie weiß: ihre Vorfahren im Glauben haben auch schon so gebetet. Seit Abrahams Zeiten. So sollen auch wir beten. Voller Hoffnung, Freude und Einsatz. Weiter so.
Und das Gebet der Maria und unsere Gebete haben schon viel verändert in dieser Welt. Und es muss sich noch viel verändern. Bei gewalttätigen Islamisten, bei ignoranten Reichen, bei uns hartherzigen Normalbürgern.
Drei Monate werden Elisabeth und Maria in der Zeit ihrer Schwangerschaft, dieser Zeit zwischen Hoffen und Bangen, miteinander verbringen. Maria aber hat mit ihrem Lobgebet diese Zeit unter eine andere Überschrift gestellt. Vertrauen in Gottes Verheißungen. Das bestimmt jetzt ihre gemeinsame Zeit. Vertrauen darauf, dass Gott zu seinen Menschen kommt. In den Worten der Elisabeth, der Maria, des Johannes und des Gottessohnes Jesus. Und in den Sakramenten von Taufe und Abendmahl, die Johannes und Jesus als Zeichen der Nähe Gottes einsetzen werden.
Und Vertrauen und Glauben sind im Hebräischen ein und dasselbe Wort. „Selig bist du, die du geglaubt hast“, preist Elisabeth Maria. Lassen wir uns anstecken vom Lobpreis der Maria, glauben und vertrauen neu zu lernen. Zwischen Hoffen und Bangen.