Predigt zu Lukas 2,25-38 von Hans Uwe Hüllweg
Liebe Gemeinde,
hier im Algarve findet man in der Advents- und Weihnachtszeit an öffentlichen Plätzen große Krippen aufgebaut. In Tavira kann man vor dem Rathaus eine lebensgroße Krippe bewundern. Das bemerkenswerteste sind die Schafe beim Stall: Ihre „Wolle“ ist aus großen Mengen Bau-Isoliermasse aufgeschäumt. In Porches am Friedhof kann man eine phantasievolle Krippenlandschaft bestaunen, der Algarvelandschaft nachempfunden, mit Rindern und Schafen, Kirchen und Dörfern, und mit einem echten Fluss, der sinnigerweise an der Höhle entspringt, in der das Kind in der Krippe liegt. Nur zwei Beispiele!
In meiner Heimatstadt Münster gibt es eine Krippentour. Man kann unter kundiger Führung quer durch die Stadt die vielen schönen Weihnachtskrippen in Kirchen und Krankenhäusern abklappern. Und dabei findet man, neben dem gewohnten „Inventar“ Jesuskind, Maria und Josef, Hirten, Ochs und Esel manchmal die denkwürdigsten Darstellungen der Weihnachtsgeschichte.
In der Kapelle des Clemenshospitals gegenüber der Gnadenkirche ist eine ausufernde Krippenlandschaft aufgebaut, begründet vom seinerzeitigen Krankenhausseelsorger Pater Edilbert. Da trifft man auf den Wirt der Herberge von Bethlehem in seiner Gaststube, die auch in Bayern stehen könnte; da fließt ebenfalls echtes Wasser auf ein Mühlrad; man sieht die Skyline einer Großstadt; man trifft auf den jeweiligen Papst und manch anderen heutigen Zeitgenossen, übrigens auch den Erbauer der Krippe selbst! Und auch in der Krippe der Gnadenkirche machen sich Mühselige und Beladene aus unserer Zeit zur Krippe auf.
In der Kapelle der Universitätskliniken Bonn, so habe ich gelesen, hat sieht der Stall aus wie das Verwaltungsgebäude der Klinik, und es gab Überlegungen, das Christkind ganz krankenhausgemäß in einen Brutkasten statt in eine Krippe zu legen. In einer Kirche in Köln kommen die Berufsgruppen zum Stall, die an Heilig Abend Dienst haben: Polizisten, Krankenschwestern, Feuerwehrleute, Schaffner und Busfahrer. Wieder in einer anderen Kirche schließlich nähert sich das ganze Alte Testament, Adam und Eva, Abraham, Isaak und Jakob, die Propheten und Psalmsänger. Was soll das alles bedeuten?
Was in all diesen Krippen geschieht, ist eine anschauliche „Vergegenwärtigung“ der frohen Botschaft. Das Evangelium wird herübergeholt über den „garstigen Graben der Geschichte“, wie Lessing gesagt hat, in unsere Gegenwart. Also das, was auch Aufgabe einer jeden Predigt ist. Indem wir Heutigen uns einreihen in die Krippenbesucher, finden wir uns plötzlich in der Wolke der Zeugen wieder, die Gott und Mensch zusammen sehen über Zeiten und Generationen hinweg. Und da kann man dann auch die beiden Gestalten Simeon und Hanna aus unserem heutigen Bibeltext treffen.
Lukas unterscheidet sich von seinen Evangelisten-Kollegen in einer bedeutsamen Hinsicht: Er schreibt, sozusagen als Historiker, in zwei Bänden die Geschichte Jesu und die Geschichte der ersten Kirche auf. Die Vorgeschichte, gewissermaßen den Vorläuferband zu seinem Werk, gibt es schon, nämlich die Hebräische Bibel, die wir Altes Testament nennen. In unserem Text heute erzählt er von Zeitgenossen Jesu, die die alte prophetische Tradition aus der Vorgeschichte verkörpern und bestätigen. Simeon und Hanna, das sind die uralten Zeugen, die nach damaligem Verständnis juristisch korrekt „aus zweier Zeugen Mund“ die Zeitenwende und das Kommen des Messias bezeugen: Jesus ist der lange Erwartete, der Heiland, der „Trost Israels“ und das Licht für die Völker. Schön wär’s, wenn von diesem „Zeichen“ alle Menschen überzeugt werden könnten und ihm folgten; doch schon Lukas weiß, dass diesem Zeichen widersprochen werden wird. Das ist bis heute immer noch so!
Simeon muss schon alt und dem Tod nahe gewesen sein. Sonst hätte die Ansage des Heiligen Geistes ja keinen Sinn. Und was Hanna betrifft, so lesen die einen, sie war 84 Jahre, die anderen sie war 84 Jahre lang Witwe, sei‘s drum. Sie hat eben auch schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel. Diese beiden werden Zeugen des Neuanfangs und der Zukunft mit Gott:
Schauplatz dieser Weihnachtsgeschichte ist nicht der Stall von Bethlehem, sondern der Tempel von Jerusalem, der Ort, zu dem die Kinder frommer jüdischer Eltern gebracht werden. Wir erfahren, dass die Eltern Jesu alles nach dem Brauch und nach dem Gesetz ihrer Tradition tun: Nacht acht Tagen lassen sie das Kind beschneiden, und sie geben ihm den Namen, der vom Engel genannt war vor seiner Geburt. Und nach 40 Tagen bringen sie das Kind erneut, dieses Mal mit einer Kollektengabe, zum Tempel. Und dort findet diese denkwürdige Begegnung mit Simeon und Hanna statt. Simeon und Hanna - diese Namen tragen – das ist kein Zufall! – jeweils eine gewichtige Bedeutung: „Gott hat erhört“ und „Gott hat sich erbarmt“.
Nachdem Simeon das Jesuskind auf den Armen gehalten hat, ist sein Herz so voll, dass ihm der Mund übergeht – er beginnt zu singen, und sein Lobgesang hat es in sich: „Nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen“.
Erinnern wir uns an den vorhergehenden Lobgesang? Den in der Weihnachtsgeschichte, den der Engelschor angestimmt hat? „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!“ Schon zuvor hatte der Verkündigungsengel kundgetan: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“
Simeons Gesang ist sozusagen das individuelle Echo auf das, was die Engel angesagt hatten. Nicht nur er, sondern alle Menschen sollen erlöst werden. Das Heilsgeschehen ist nicht beschränkt auf einen Einzelnen oder auf wenige Auserwählte, sondern gemeint sind alle Menschen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihrer Nationalität oder Konfession. Damit weist Weihnachten weit über alle Grenzen hinweg, die wir Menschen zu ziehen gewohnt oder bemüht sind.
Gott ist kein privates Erlebnis zu individuellem Gebrauch. An Weihnachten ging Gott in die Welt, weil die ganze Welt, alles Volk ihm gehört. Mit Gott kann man es sich nicht bloß in den eigenen vier Wänden gemütlich machen. Nein, Gott ist in der Welt. Und deshalb öffnet Simeon seinen Mund und singt und erzählt aller Welt von Gott.
Beides gehört zum Weihnachtsglauben, das ist der Clou des Lukas: Einerseits lässt Gott sich nicht eingrenzen auf einen Menschen, auf eine Gruppe, auf eine Elite, auf eine Glaubensrichtung, auf einen Frömmigkeitsstil, auf ein Volk. Andererseits ist, wie Simeon und wie Hanna, jeder und jede Einzelne angesprochen: Du bist gemeint.
Aber dann lässt Simeon noch einen Wermutstropfen in den Verkündigungswein fallen, und davon haben die Engel in der Heiligen Nacht nicht gesungen. Nämlich dass die Erlösung und Befreiung, die das Kind für alles Volk bedeutet, nicht von allem Volk angenommen, nicht von ihm gehört und geglaubt werden wird. Das Kind ist ein Zeichen, dem widersprochen wird, sagt Simeon. Das Heil des Herrn ist anders als erwartet. Denn Gott ist anders als erwartet. Und das Kind in der Krippe wird als Erwachsener später anders als erwartet.
Viele Zeitgenossen Jesu hofften auf einen Messias als einen Beauftragten Gottes, der die sündigen Heiden aus Palästina vertreibt und das Reich Davids wieder aufrichtet, also quasi einen politisch-religiösen Herrscher. Stattdessen lehnt Jesus es ab, in diesem Sinne Macht zu übernehmen, sondern etabliert eine neue Unmittelbarkeit zu Gott, den er seinen Vater nennt. Er zeigt Gott als den, der Sündern gnädig ist, sich menschliche Verurteilungen nicht zu eigen macht, der aber Selbstzufriedenheit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten verurteilt und der Leidende tröstet und gegen den Tod angeht. Gott, dafür lebt und stirbt Jesus, ist in der Welt. Für alle, gerade auch dort, wo Menschen Verzweiflung, Einsamkeit, Enttäuschung und Unrecht erleiden.
Das hatte bis dahin niemand gehört und geglaubt. Und es fällt uns auch heute schwer, es zu hören und zu glauben. Alle wir, die der Meinung sind, dass Gott es uns schuldet, seine Hand über uns und diejenigen, die wir lieben, zu halten. Auch uns fällt es schwer zuzuhören, wenn Gott sich weigert, Erfolgsgarant zu sein und uns ein langes und glückliches Leben zu verheißen. Dagegen verspricht uns Gott Begleitung durch alles andere, was wir durchmachen müssen.
Heute ist der letzte Sonntag im alten Jahr. Wir stehen auf der Schwelle zu einem neuen Jahr, das wir nicht kennen und von dem wir nicht wissen, was es bringen wird. Wir stehen hier mit all dem Alten, das wir bekommen haben, und mit dem, was wir mit uns tragen müssen, im Guten wie im Schlechten.
Da kann uns Simeon auf unserem Weg in das neue Jahr begleiten. Seine Worte können wir gebrauchen, um dem Alten Lebewohl zu sagen. Es gibt Hoffnungen und Träume, die sich nicht erfüllt haben und die wir hinter uns lassen müssen. Schmerzen und Entbehrungen, die wir mit uns tragen müssen. Aber wir können mit Simeon „fortgehen - in Frieden fortgehen“. Denn auch wir haben das Heil Gottes gehört und gesehen.
So haben nicht nur Maria und Josef, Ochs und Esel, das Christkind, die Hirten und die Weisen, Simeon und Hanna ihren Platz an der Krippe, sondern wir alle.
Amen.
Wichtige Anregungen verdanke ich Dorothee Löhr/früher Hamburg, jetzt Mannheim, und Margarethe Dahlerup Koch/Dänemark
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Herzenssache - Predigt zu Lukas 2,15-20 von Wolfgang Vögele
Herzenssache
„Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“
Liebe Gemeinde,
ein Baby verändert alles. Und damit meine ich noch gar nicht das Christkind in der Krippe. Ich meine jedes Baby: jeden Kevin, jede Teresa, jede Ida, jeden Johannes. Ein kleines Baby verändert die gesamte Lebenswelt, für die schwangere Mama, für den Vater und ältere Geschwister, für Großeltern, Tanten, Onkel, Freunde.
Wenn das lang erwartete Baby im Kreißsaal geboren worden ist, wollen es Verwandte und Freunde zuerst einmal sehen. Die Folgen werden später klar: Aus den Eltern und Schwiegereltern der Mutter werden plötzlich Großeltern, aus dem Ehemann ein Vater, aus Schwestern und Brüdern der Eheleute werden Tanten und Onkel, dazu kommen neue Nichten, Kusinen, Neffen. Und wenn das Baby – hoffentlich – gesund ist, spricht nichts dagegen, alle Verwandten und Freunde an dem kleinen Bettchen vorbeidefilieren zu lassen. Alle werden Lärm und Aufregung unterdrücken, um das kleine Wesen, das meistens schläft, zu bewundern. Ein paar Tage später schicken die Eltern ein Foto an die Geburtsstation der Klinik. Die Eltern zeigen ihre Dankbarkeit. Viele Geburtsstationen besitzen mittlerweile eigene Internet-Seiten, auf denen diese Fotos gesammelt und ausgestellt werden. Auf der Seite der Berliner Charité (1) heißt es: „In Zusammenarbeit mit der Firma Baby-Smile können wir Ihnen anbieten, dass das Bild Ihres Kindes schon kurz nach der Geburt weltweit über das Internet angesehen werden kann. Gerade für entfernt lebende Verwandte stellt dies eine gute Möglichkeit für das erste Kennenlernen dar.“
Drei Wochen später flattert bei Verwandten und Freunden eine lustige Geburtsanzeige in den Briefkasten. Außen steht dann auf rosa oder babyblauem Karton in großen Lettern: Fristlose Kündigung. Auf der linken Innenseite ein Foto, auf der rechten Innenseite der folgende Text: „Mir, Charlotte oder Ida oder Markus wurde am 23.Dezember um 22.30 nach neunmonatigem Aufenthalt mein Einzimmerapartment mit Vollpension wegen mietwidrigem Verhalten gekündigt. Ich habe mehrfach gegen die Wand getreten. Ich bin allerdings gerne ausgezogen, denn der Raum war für meine Größe von 52 cm und meine Gewicht von 3890 Gramm sowieso viel zu klein. Ihr erreicht mich unter meiner neuen Anschrift.“ Dann folgt noch die Adresse des Reihenhauses der Eltern in der Neubausiedlung.
Nicht alle Eltern verschleiern ihre Unsicherheit hinter solchen Formen des Humors. Bei der Anzeige ist von der nüchternen Angabe von Geburtsdatum, Gewicht und Namen bis zum Zitat eines Bibelverses alles gestattet. Die Geburtsanzeige hängt dann noch jahrelang an den Kühlschränken und Pinwänden der lieben Verwandten, bis die Tante dann beim Abitur des Babys denkt: Jetzt könnte ich aber einmal ein neues Foto meiner Nichte aufhängen.
Die Hirten der Weihnachtsgeschichte verhalten sich nicht viel anders als Verwandten, die eine Geburtsanzeige erhalten haben. Sie verbreiten weiter, was sie im Himmel und in der Krippe gesehen haben, weiter. Das ist so wunderbar, daß sie es einfach weiter erzählen müssen. Ein Kind ist geboren, der Heiland ist gekommen.
Trotzdem will ich nun nicht weiter auf die Hirten eingehen. Meine Aufmerksamkeit soll der wunderbaren Maria gelten, die auf ganz eigene Weise verarbeitet, was sie nach der Geburt erlebt. Lukas faßt das in einem ganz tiefgründigen und dennoch schlichten kurzen Satz zusammen: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Das ist einer der schönsten Verse aus der Weihnachtsgeschichte.
Die psychologische Schwangerschaftsexpertin würde zuerst einmal darauf hinweisen, daß selbstverständlich die Mutter Maria von der Geburt ihres eigenen Kindes emotional sehr stark berührt ist. Nicht alle Mütter freuen sich über die Geburt ihres Kindes, nicht wenige leiden nach der Geburt wegen der hormonellen Veränderungen unter einer Verstimmung, manchmal sogar unter einer Depression. Bei Maria ist das nicht der Fall (2). Sie läßt die Geburt, die Worte der Hirten und die Botschaft der Engel so nah wie möglich an sich heran. Sie bewegt jedes einzelne Wort in ihrem Herz. Maria läßt es zu, daß die Geburt ihres Sohnes sie im tiefsten Sinn des Wortes - berührt. Maria übt sich in der Zärtlichkeit des Herzens. Das ist nicht jedem gegeben. Diese Bewegung von der Oberfläche in die Tiefe macht mir die Mutter Maria besonders sympathisch. Maria ist im Inneren bewegt, sie sucht und findet den tieferen Sinn dieser Geburt.
Weihnacht fällt ja auf die Zeit der Wintersonnenwende, wenn die Tage am kürzesten und die Nächte am längsten dauern. Menschen, die empfindlich gegen das Fehlen von Tageslicht sind, neigen gerade dann zu depressiven Verstimmungen. Man kann dagegen ankämpfen, mit Glühwein, mit glitzerndem Lametta, mit der weihnachtlichen Beleuchtung der Fußgängerzonen, mit brennenden Kerzen am Adventskranz. Manche Menschen retten sich wirklich mit Hilfe von Weihnachtsmärkten über den Winterblues. Aber im Grunde bleibt Weihnachten so an der Oberfläche, sein tieferer Sinn von Glauben und Gottvertrauen geht unter im Grillrauch der Bratwürste und in den Kratzern der Eisbahn. Im Herzen bewegt sich da nicht so viel, auch wenn Lebkuchen, Eislaufen und Tannenbaumschmücken an Weihnachten Leib und Seele festlich zusammenhalten.
Maria, die ja sozusagen Weihnachten als erste erlebt hat, gibt ihrem Glauben, Gefühlen und Denken eine besondere Richtung – nämlich mitten ins Herz hinein. Sie entwickelt, jenseits von Kitsch und Medizin, eine bemerkenswerte Psychologie des Glaubens. Das Herz ist der Ort, an dem die Grundentscheidungen und Konturen eines Lebens festgelegt sind. Im Herzen ist aufbewahrt, was einen Menschen ausmacht und ihn im Innersten zusammenhält. Manchmal dringt von diesen Grundentscheidungen des Herzens wenig an die Oberfläche. Im Herzen verborgen liegen die Träume, Wünsche und Lebenspläne eines Menschen, seine Sehnsüchte, Werte und Orientierungen. Was ein Mensch im Herzen trägt, läßt sich gut verbergen, manches schlummert dort so sicher wie in einem Tresor. Nach außen, in der Familie oder in der Öffentlichkeit kann man viele Kompromisse eingehen. Oft reicht es aus, die Erwartungen der anderen einigermaßen zu erfüllen, ohne mit dem Herzen bei der Sache zu sein.
Ohne alle Kompromisse: Weihnachten gehört mitten ins Herz von jedem Menschen. Nicht auf den Weihnachtsmarkt, nicht an den Glühweinstand, nicht unter den Tannenbaum, nicht in Geschenkpapier verpackt. Und Maria war die erste, die Weihnachten in ihrem Herzen zugelassen hat. Sie bewegte dort weihnachtliche Worte, so lange, bis sie verstand und glaubte, was in der Krippe und bei den Hirten auf dem Feld geschehen war. Weihnachten zielt ins Herz, nicht auaf die Oberflächen.
Maria bewegte die Worte der Hirten in ihrem Herzen. Was hat ihr das Herz geöffnet? Was hat Vertrauen gestiftet? Bestimmt mußte sie sich von den Anstrengungen und den Schmerzen der Geburt erholen. Keine Hebamme und kein Gynäkologe hat ihr geholfen. Bestimmt konnte sie sich in den ersten Stunden nur mit Mühe bewegen. Sie hat sich ausgeruht. Vielleicht hat sie sich an den Engel erinnert, der ihr die Geburt des Sohnes angekündigt hatte. Vielleicht kam ihr der Besuch bei Elisabeth in den Sinn, von dem der Evangelist Lukas ebenfalls erzählt. Die Vorgeschichte mit dem Engel, Elisabeth, Johannes und Zacharias hat ihr Herz geöffnet für diese Geburt, die viel mehr war als „nur“ eine Geburt.
Ich bin überzeugt: Maria war vorbereitet auf die Hirten. Die Worte der Hirten waren nur der Anfang der Geschichte ihres Sohnes, die Maria von nun an nicht mehr loslassen würde. Damit ist weit mehr gemeint als die enge Beziehung, die alle Mütter lebenslang zu ihren Kindern pflegen. Oft reicht diese Beziehung so lange, bis einer von beiden stirbt. Maria wird ihren Sohn mit nach Ägypten nehmen, um ihn vor den Kindermördern des Herodes zu schützen. Sie wird ihn bei den Rabbinern wiederfinden, mit denen der zwölfjährige Jesus selbstbewußt theologische Diskussionen führt. Sie wird ihn heilen, reden, trösten sehen. Sie wird auch trauernd und machtlos anwesend sein, während er hingerichtet wird (3). Und all das, was sie sieht und erfährt, wird sie genauso in ihrem Herzen bewegen wie die ersten Worte der Hirten, die in dem Neugeborenen als erste den Heiland der Welt sahen.
Es ergibt sich die Frage: Was ist in Marias Herz geschehen? Lukas schweigt sich darüber aus, auch er konnte schließlich nicht in Marias Herz hineinsehen. Er sagt: Die Worte waren in Bewegung. Sie waren flüssig, deutungsoffen, die ganze Geschichte hatte sich, so kurz nach der Geburt noch nicht verfestigt oder festgesetzt. Ich bin sicher, in diese Herzensbewegung waren nicht nur Gewißheit und Glück hineingemischt, sondern auch Gedanken an überwundene Schmerzen, Zweifel, vielleicht ein wenig Traurigkeit, der Geburtsblues, ein Stöhnen über Last und Schwierigkeit der Aufgabe als Mutter, Sorge um die Gesundheit des Neugeborenen, all das, was jede Mutter bewegt. Langsam und nachhaltig wird sich das alles gesetzt und verdichtet haben. Von Lukas, wie gesagt, erfahren wir nichts darüber, mehr als den einen Blick auf Marias bewegtes Herz gestattet er sich nicht.
Aber dieser eine Blick ins Herz genügt auch. Dieser eine Blick leitet an, unter die Oberfläche des Menschen und unter die Oberfläche Weihnachtens zu blicken. Auf der Seite des Menschen befindet sich unter der Oberfläche das Herz. Auf der Seite Weihnachtens finden sich unter der Oberfläche Glauben und Vertrauen.
Niemand kann sein Herz für alles öffnen, was auf ihn einprasselt. Er wäre dauernd damit beschäftigt, Mitleid, Einfühlung und Solidarität auf all diejenigen zu verteilen, die es bitter nötig haben. Jeder wird sich irgendwann die Frage stellen: Was lasse ich an mich heran und was nicht? Herzen unterscheiden sich wie Gesichter. Jeder blickt auf seine eigene Herzensgeschichte zurück. Oft reden wir gar nicht darüber, was uns in besonderem Maße anrührt oder berührt oder zum Lachen oder Weinen bringt.
Am ersten Weihnachtstag ist schon ein verstohlener Blick auf das zurückliegende Jahr erlaubt. Und ins Blickfeld kommen die Flüchtlinge aus Syrien, wo Bürgerkrieg herrscht, kommt auch der Formel-1-Weltmeister, der nach einem Sturz beim Skifahren Monate lang im Koma lag. Ins Blickfeld kommen die christlichen und muslimischen Flüchtlinge im Irak, die vor dem Terror des Islamischen Staates zu entkommen suchten. Ins Blickfeld kommt die Fußballweltmeisterschaft: Mario Götzes entscheidendes Tor hat tagelangen Jubel hervorgerufen und ganz Deutschland in Euphorie versetzt. Obwohl das nicht viel zu seinem fußballerischen Erfolg beiträgt: Mario Götze ist bekennender Christ, der bei Facebook und Twitter zu seinem Glauben steht. Ob Maria sich das Finale der Fußballweltmeisterschaft angeschaut und mitgefiebert hätte? Wäre sie mit dem Herzen dabeigewesen?
Weihnachten und die Krippe blenden die großen und kleinen Aufregungen, Krisen und Probleme der Weltgeschichte nicht aus. Das Kind verdeckt nicht das Elend der Welt. Aber wer dieses kleine schlafende Kind in der Krippe bis an sein Herz heranläßt wie Maria, der gewinnt die Dinge des Lebens, vom Finale bis zur Krise einen anderen, neuen Herzensblick. Wer dieses Kind in der Krippe mit dem Herzen ansieht, der spürt Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen - wie bei allen Kindern, die gerade im Moment geboren worden sind. Hoffnung und Vertrauen auf die Zukunft paaren sich mit Schutzbedürftigkeit, Sorge und Verläßlichkeit: Eltern sorgen dafür, daß das Kind heranwächst und in Geborgenheit und Güte aufwächst.
Maria aber sieht mit ihrem Herzen noch etwas anderes, nämlich die Bereitschaft Gottes, sich nicht nur ihr selbst, sondern allen Menschen zuzuwenden. Darum bewegt Maria auch die Worte der Hirten in ihrem Herz, denn die Hirten haben die Engel aus dem Himmel gesehen. Maria sieht die Krippe, den Stall, das kleine Kind, die Windeln, das schmutzige Stroh, die anderen Tiere. Vielleicht stellt sie sich die pragmatischen Fragen, die nun anstehen: Wie kann ich genügend Windeln besorgen? Wie kann ich unser Kind vor dem Geheimdienst des Herodes schützen? Wie schnell erhole ich mich von den Anstrengungen der Geburt, damit wir nach Nazareth zurückkehren können? Aber hinter all diesen Fragen steht die größere Gewißheit, daß der Gott der Bibel, der das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt hat, in diesem Kind den Menschen so nahe gekommen ist wie noch niemals zuvor.
Liebe Gemeinde, ich möchte am Ende nichts anderes tun als Sie einzuladen, die Welt genauso zu betrachten, wie Maria das getan hat: nämlich mit dem Herzen. Vor all die Probleme und Schwierigkeiten des Lebens, die nicht geleugnet oder verharmlost werden sollen, schiebt sich dieses Kind, in dem wie in niemand anderem der allmächtige und barmherzige Gott selbst sichtbar wird. Alle neugeborenen Kinder stiften Zuversicht und Zukunft, weil ihre Geburt von dem Vertrauen getragen ist, daß die Kinder in der Fürsorge der Eltern heranwachsen und ihr eigenes Leben gestalten können. Die Geburt Jesu von Nazareth in Bethlehem unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von allen anderen Geburten. Aber mit der Geburt dieses Kindes kommt zusätzlich das Vertrauen in die Welt, daß Gott die Menschen nicht allein läßt, sondern sie im Herzen auf ihrem Lebensweg begleitet. Maria spürt die Herzenssache des Glaubens.
Und der Friede Gottes, welcher an Weihnachten bis in unsere Herzen gelangt, sei mit euch allen. Amen.
(1) Ein Beispiel für eine Babygalerie findet sich unter http://www.babygalerie24.de/campus-virchow/ Solche Beispiele lassen sich aber in der Regel auch mit dem Lokalkolorit einer Geburtstation in der Nähe des Predigtortes versehen.
(2) Über den Zusammenhang von Geburt und Weihnachten Wolfgang Vögele, Der Heiland im Kinderwagen. Theologische Anmerkungen zu Heinrich Schütz' Weihnachtshistorie, Glauben leben. Zeitschrift für Spiritualität im Alltag, Heft 1, Januar, Februar 2012, 19-21 oder wolfgangvoegele.files.wordpress.com/2010/11/schc3bctz-weihnachtshistorie.pdf
(3) Schriftsteller haben Marias Geschichte immer wieder aufgenommen und nacherzählt. Ein sehr spannender Versuch findet sich in Colm Toibins kurzem Roman „Marias Testament“. Dazu Wolfgang Vögele, Mater dolorosa auf der Couch, Ta katoptrizomena, H.88, 2014, http://www.theomag.de/88/wv08.htm
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Magnificat - Predigt zu Lukas 1,46-56 von Isolde Karle
Magnificat
Liebe Gemeinde,
heute ist das Magnificat, der Lobgesang der Maria, der Predigttext. Das Magnificat gehört zu den am häufigsten gesungenen und gebetenen Psalmen der Kirche, sowohl in der römisch-katholischen als auch in der evangelischen Kirche.
Ich lese Lukas 1, 46-56:
Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder.
Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrt sie wieder heim.
Drei Gedanken will ich zu unserem Text entfalten.
1. Weihnachten ist eine Frauengeschichte. Maria steht dabei zweifellos im Mittelpunkt. In der lukanischen Erzählung kündigt ihr der Engel Gabriel an, dass sie ein Kind gebären wird, das die Welt fundamental verändern wird. Maria soll den großen Friedenskönig zur Welt bringen, dessen Reich kein Ende haben wird. Wundersamerweise soll die Zeugung auch noch ohne männliche Beteiligung geschehen. Schon hier zeigt sich der extravagante Erzählstil des Lukas: Er betont im Kontext der ganzen Weihnachtserzählung, wie außergewöhnlich das ist, was hier geschieht. Auch Maria findet die Botschaft Gabriels verwunderlich und traut sich an einer Stelle, eine kritische Rückfrage zu stellen – wie soll das geschehen? –, aber am Ende glaubt sie ihm und lässt sich auf die ungewöhnliche Botschaft ein.
Gleich nachdem der Engel verschwunden ist, macht sich Maria auf den Weg, um ihre Verwandte Elisabeth zu besuchen. Der Engel Gabriel hat ihr zuvor schon berichtet, dass Elisabeth trotz ihres hohen Alters noch schwanger geworden ist. Wenn man sich den Weg, den Maria zu Elisabeth zurücklegen muss, auf der Karte ansieht, dann wird schnell klar, dass auch dieser Erzählzug unrealistische Züge trägt. Der Weg von Nazareth zu einem Ort im judäischen Bergland ist zu Fuß für eine junge Frau eigentlich nicht machbar und überdies sehr gefährlich. Lukas will uns vor Augen malen: Die Verkündigung außergewöhnlicher Ereignisse erfordert außergewöhnliches Tun. Nichts bleibt mehr wie es war. Und die beiden Frauen, Elisabeth und Maria, haben diese Botschaft verstanden. Sie lassen sich auf das Außergewöhnliche ein, anders als ihre Männer, die wie Joseph am Rand stehen und später ganz von der Bildfläche verschwinden oder wie Zacharias, der der himmlischen Botschaft erst mal nicht glauben konnte und ein Jahr lang verstummte.
Weihnachten ist eine Frauengeschichte. Sie handelt von Elisabeth und Maria, den beiden Protagonistinnen des Advent. Sie handelt von streitbaren werdenden Müttern. Beide bereiten sich auf die Geburt ihrer Söhne vor. Beide schreiben sich ihre ungewöhnlichen Schwangerschaften nicht selbst zu, sondern brechen in Jubel aus über Gottes Handeln. Sie sind nicht stumm, sondern loben Gott von ganzem Herzen. Elisabeth, von Gottes Geist erfüllt, bezeichnet Maria als „am meisten gesegnet unter den Frauen“ und segnet zugleich das kommende Kind Marias. Und Maria bricht aus in den Lobgesang, den wir im Magnificat vor uns liegen haben.
Man muss ja nicht gleich in eine katholische Marienfrömmigkeit abgleiten oder Maria als Gottesgebärerin verehren wie die Ostkirche, aber das Magnificat erinnert uns Protestanten doch daran, Maria nicht zu unterschätzen. Ohne Maria keine Geburt Jesu. Maria bewegt die Botschaft der Engel und Hirten in ihrem Herzen. Sie durchlebt mit ihrem Sohn schlimmste Gefährdungen, angefangen von der erbärmlichen Geburt im Stall in Bethlehem bis hin zur Flucht vor dem Kinder mordenden Herodes nach Ägypten. Sie hält es aus, dass sich Jesus schon als 12-jähriger im Tempel von seinen Eltern distanziert. Sie erträgt seine Schroffheit, als sie ihn aufsuchen will und Jesus – statt zu ihr zu gehen – die Menge um sich herum provokant fragt: „Wer ist meine Mutter?“ (Markus 3,33) Sie steht am Ende voller Schmerz und Trauer unter seinem Kreuz. Und sie gehört nach dem Bericht der Apostelgeschichte (1,14) zur ersten Gemeinde in Jerusalem.
Die Weihnachtsgeschichte ist immer auch eine Mutter-Kind- oder Eltern-Kind-Geschichte. In Schleiermachers Weihnachtsfeier erzählt Ernestine, eine der Protagonistinnen, von einem frustrierenden Besuch einer Christmette in der Heiligen Nacht. Weder die Stimmung, noch die Musik, noch die Worte des Geistlichen vermögen sie in irgendeiner Weise anzusprechen. Sie will schon enttäuscht die Kirche verlassen, als ihr Blick auf eine junge Mutter mit einem kleinen Kind auf dem Schoß fällt. Die Mutter wendet ihre ganze Aufmerksamkeit dem Kind zu. Das Kind wiederum weiß sich innigst bei seiner Mutter geborgen. Von beiden geht eine freundliche Ruhe und liebende Andacht aus, wie Ernestine sagt. In diesem Bild erschließt sich für Ernestine Weihnachten. Das Göttliche und das Kindliche kommen an Weihnachten zusammen. Mit dem Bild von Maria und Jesus vor Augen geht Ernestine tief bewegt nach Hause. Weihnachten ist eine Frauengeschichte.
2. Weihnachten heißt singen. Das Magnificat, das Lukas Maria in den Mund legt, ist ein Psalmlied. Es erinnert an den Lobgesang der Hanna, die mit ganz ähnlichen Worten Gott für die Geburt ihres Sohnes Samuel dankt. Wie Hanna besingt Maria Gott als einen Gott der Hilfe, als rettenden Gott, als Heiland. Sie besingt die großen Taten Gottes und seine ewige Barmherzigkeit. Indem Maria von der Vergangenheit singt und sich als Teil einer großen Tradition begreift, besingt sie zugleich die Zukunft: Die ungerechten Verhältnisse werden die Zeit nicht überdauern, Gott wird eine neue Wirklichkeit heraufführen, er wird Gerechtigkeit und Frieden schaffen.
Solche Visionen können nur glaubend besungen werden. „Maria singt sich hinein in die weihnachtliche Freude über ihr Kind. Sie singt sich hinein in die jahrhundertealten Hoffnungen und Sehnsüchte ihres Volkes. Sie singt sich hinein in die alten Lieder werdender Mütter, mit denen Frauen in Israel die Geburt ihres ersten Kindes besangen.“ (Marion Lange) Deshalb ist Weihnachten ganz eng mit dem Singen verknüpft. Im Singen bekennen wir unseren Glauben. Im Singen können wir mehr von Gott und von uns sagen, als uns das in den Worten des Alltags möglich ist. Wir selbst sind oft nur zu einem halben Glauben in der Lage und brauchen die geliehenen Worte der Tradition, um Halt zu finden, um uns zu einem Lob Gottes durchzuringen und nicht einfach bei uns selbst stehen zu bleiben.
Darum lasst uns singen, ganz besonders jetzt in diesen Advents- und Weihnachtstagen. Im Singen tauchen wir ein in eine große Tradition und verbinden uns mit ihr – wie Maria. Im Singen werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft. Im Singen loben wir Gott und lassen unsere Zweifel, unsere Angst, unsere Müdigkeit hinter uns. Im Singen sehen wir, wie Gott uns ansieht, wie er uns aufrichtet. Im Singen wird der Glaube an das Reich Gottes gestärkt und öffnen wir uns für die bezwingende Botschaft des Kindes in der Krippe.
3. Weihnachten ist das Fest der Versöhnung und der Barmherzigkeit.
Bei aller Mutter-Kind-Lyrik ist Weihnachten nicht mit Kitsch zu verwechseln, auch wenn der eine oder die andere es genießt, dass in dieser Jahreszeit der Kitsch ausnahmsweise mal erlaubt ist, sogar im Bildungsbürgertum, wenigstens in dosiertem Maß. Doch das Magnificat hat nichts Süßliches und nichts Niedliches. Es ist ganz und gar politisch und auf Versöhnung und Gerechtigkeit hin ausgerichtet. Eine Erzählung von Fritz Vincken führt uns vor Augen, was das Mutter-Kind-Motiv mit diesem politischen Aspekt des Magnificat zu tun haben könnte. Ich habe die Erzählung dem „Anderen Advent“ entnommen und gebe sie hier gekürzt wieder:
Fritz Vincken erzählt von einem ganz besonderen Weihnachtsabend während des Krieges im Jahre 1944. Er ist 12 Jahre alt und lebt mit seiner Mutter in einem kleinen Häuschen an der deutsch-belgischen Grenze. Ringsum tobt die Ardennenschlacht. Da klopft es an der Tür. Draußen stehen zwei Männer mit Stahlhelmen. Der eine redet die Mutter in einer Sprache an, die diese nicht versteht und zeigt auf einen dritten, der verletzt im Schnee liegt. Es sind Amerikaner, Feinde. Die Männer sind bewaffnet und könnten sich den Einlass erzwingen, doch das tun sie nicht. Schließlich bittet die Mutter sie herein. Die Soldaten tragen ihren Kameraden ins Haus. Keiner spricht deutsch. Bevor sich die Mutter des Verwundeten annimmt, sagt sie zu ihrem Sohn: „Bring einen Eimer Schnee herein.“ Kurz darauf reibt der Junge die blaugefrorenen Füße mit Schnee ab. Die jungen Soldaten haben ihre Einheit verloren und irren seit Tagen umher. Die Mutter befiehlt ihrem Sohn: „Geh, hol ein Huhn und bring Kartoffeln mit.“ Während Fritz zusammen mit einem der Soldaten in der Küche hilft, kümmert sich der andere mit der Mutter um den Verletzten. Die Mutter reißt ein Laken in Streifen, um die Wunden zu verbinden. Bald zieht der verlockende Duft von Gebratenem durch das Zimmer.
Da klopft es wieder. Fritz öffnet in der Erwartung, weitere Amerikaner vor sich zu sehen – aber draußen stehen vier deutsche Soldaten! Er ist vor Schreck gelähmt. Wer feindliche Soldaten beherbergt, begeht Landesverrat, das weiß er. Sie könnten alle erschossen werden. Die Mutter hat auch Angst. Doch sie tritt entschlossen hinaus und sagt zu den Soldaten: „Fröhliche Weihnachten!“ Die Soldaten wünschen ihr auch eine frohe Weihnacht und erklären, dass sie ihre Einheit verloren haben und bis Tagesanbruch gern bleiben würden. Die Mutter antwortet mit der Ruhe der Verzweiflung: „Natürlich, Sie können auch eine gute, warme Mahlzeit haben. Aber wir haben noch drei Gäste, die Sie vielleicht nicht als Freunde ansehen werden.“ Ihre Stimme war mit einem Mal so streng, wie ihr Sohn Fritz sie noch nie gehört hatte. „Heute ist Heiliger Abend, und hier wird nicht geschossen.“ „Wer ist drin?“ fragt der Unteroffizier barsch, „Amerikaner?“ Da sagt die Mutter: „Ihr könntet meine Söhne sein und die da drinnen auch. Einer von ihnen ist verwundet und ringt um sein Leben. In dieser Heiligen Nacht denken wir nicht ans Töten!“ Der Unteroffizier starrt sie an. „Genug geredet!“ sagt die Mutter und klatscht in die Hände. „Legen Sie Ihre Waffen weg und kommen Sie rein – sonst essen die anderen alles auf.“ Die Soldaten legen wie benommen ihre Waffen auf eine Kiste im Gang. Auch die Amerikaner geben der Mutter die Waffen. Verlegen stehen sich Deutsche und Amerikaner gegenüber. Die Mutter findet für jeden einen Sitzplatz und kocht noch mehr Essen.
Schließlich sieht sich einer der Deutschen, ein Medizinstudent, die Wunde des Amerikaners an. Er spricht fließend englisch und kümmert sich um ihn. Der Druck beginnt zu weichen. Vor dem Essen spricht die Mutter das Tischgebet. Sie hat Tränen in den Augen, als sie die vertrauten Worte spricht: „Komm Herr Jesus, sei du unser Gast...“ Fritz sieht, dass auch die Augen der kriegsmüden jungen Soldaten feucht sind. Für jeden ist in diesem Augenblick der Krieg sehr fern.
Am nächsten Morgen zeigt der deutsche Unteroffizier den Amerikanern, wie sie zu ihrer Truppe zurückfinden können. Ein Amerikaner fragt: „Warum nicht nach Monschau?“ „Um Himmels willen, nein!“ ruft der Unteroffizier. „Monschau haben wir wieder eingenommen.“ Schließlich gibt die Mutter allen ihre Waffen zurück. „Seid vorsichtig, Jungs. Ich wünsche mir, dass ihr eines Tages dahin zurückgeht, wo ihr hingehört, nach Hause. Gott beschütze euch alle!“ Die Deutschen und die Amerikaner geben einander die Hand. Fritz und seine Mutter sehen ihnen nach, bis sie in entgegengesetzter Richtung verschwunden sind. (Der andere Advent, 23.12.14)
Weihnachten ist eine Frauengeschichte. Die Mutter betrachtet die Soldaten wie ihre eigenen Kinder und stellt die Regeln des Krieges auf den Kopf. Sie erweist den amerikanischen wie den deutschen Soldaten Barmherzigkeit und hilft ihnen, unter den Gräueln des Krieges ihre menschlichen Seiten wieder zu entdecken. Zum Abschied gibt sie ihnen ihren Segen mit auf den Weg. Einen der GIs traf Fritz Vincken 1996 wieder, er sagte ihm: „Ihre Mutter rettete mein Leben.“
Weihnachten ist ein Fest der Versöhnung und der Barmherzigkeit. Maria, Elisabeth und die Mutter aus der Erzählung – alle drei sind sehr mutige Frauen. Sie wagen das Außergewöhnliche. Sie tragen auf je ihre Weise zum Heil der Welt bei. Sie klinken sich ein in die Tradition des Magnificat. Sie bezeugen, besingen und leben die große Barmherzigkeit Gottes. Amen.
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Predigt zu Lukas 1,46-55 von Frank Fuchs
46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,
47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
Liebe Gemeinde,
die christliche Gemeinde ist seit jeher singende Gemeinde. Mit Liedern und Gesängen lobt sie Gott. Sie gibt Gott die Ehre und drückt dies musikalisch aus. Deshalb passt es heute sehr gut, dass Vor-, Schüler-, Jugend- und großes Orchester des Blasorchesters Babenhausen bei diesem Gottesdienst mitwirken. So viele Mitwirkende haben wir sonst nie. Das ist beeindruckend. Denn die Musik ist nicht einfach dafür da, dass sie erklingt und uns erfreut, sondern durch sie wird in diesem Gottesdienst die christliche Botschaft verkündigt.
Manche biblischen Texte sind im ursprünglichen Sinne Musik, deren Melodie wir nicht mehr kennen. Doch die hymnische Versform deutet darauf hin, dass es sich um Lieder gehandelt hat. So ist es auch bei dem heutigen Predigttext.
Bevor Maria diese Wort spricht oder besser singt, hat sie die Botschaft durch den Engel Gabriel empfangen. Sie wird ein Kind bekommen, das Sohn des Höchsten genannt werden und auf Davids Thron für immer herrschen wird. Maria antwortet auf die Worte mit dem Magnificat, wie dieser Text nach dem lateinischen Anfangswort genannt wird.
Magnificat – meine Seele erhebt den Herrn. Maria erhebt ihre Stimme. Sie singt und kündet von Gottes großen Taten. Erhebend ist auch gute Musik. Sie hilft uns, aus uns selbst herauszutreten und ganz bei ihr zu sein. Sie darf dann nicht wie im Kaufhaus oder auf dem Weihnachtsmarkt im Hintergrund dudeln, sondern verlangt ganze Aufmerksamkeit. Noch besser ist es natürlich, selbst ein Instrument zu spielen. Erhebend ist dann nicht unbedingt das Üben allein zu Hause, sondern der Zusammenklang in einem großen Ganzen. Wenn es polyphon klingt und alle Stimmen miteinander harmonieren, dann ist Musik erhebend.
Maria erhebt ihre Stimme. Sie spricht sozusagen einstimmig. Doch die Worte nehmen Verheißungen aus dem Alten Testament auf. Deshalb lässt sich sagen, dass sie vielstimmig erklingen. Es klingt an, dass Gottes Name heilig ist. Seine Barmherzigkeit gilt denen, die ihn fürchten. Diejenigen, die Macht haben und hochmütig sind, können sich nicht in Sicherheit wiegen. Von der Erwählung Israels lässt er nicht ab. Diese Aussagen finden sich an vielen Stellen des Alten Testaments und werden hier zusammengefasst. Aus den vielen Stimmen wird ein harmonisches Lied.
Es entspricht unserer menschlichen Sehnsucht, dieses Lied zu singen. Wir wünschen uns, dass alle negativen Lebensumstände beseitigt werden können. Das mag ein verständlicher Wunschgedanken sein. Doch sogleich erhebt sich die kritische Stimme in uns, ob das denn wirklich sein kann. Maria preist Gott für seine Taten. Aber benötigt er dazu nicht die erforderliche weltliche Macht? So kam Jesus nicht in einem Palast auf die Welt. Er wirkte auch nicht auf dem Thron Davids als ein Herrscher, der mit Macht die Umstände seiner Zeit verändert hätte. Vielmehr wird er in Armut in einer Krippe geboren und erleidet am Ende die Ohnmacht des Kreuzes. Nichts scheint sich zu ändern.
(Hier kann auf aktuelle Ereignisse eingegangen werden.)
Wenn aber im Magnificat die alttestamentlichen Stimmen zu einer neuen Komposition zusammengefügt werden, dann entsteht durch den Zusammenklang verschiedener Stimmen etwas Neues. Ein neues Verständnis wird gewonnen. Es klingt an, dass Gott im Verborgenen wirkt und dennoch seine Macht durchsetzt. Er erwählt das, was arm und gering ist. Das Hohe in der Welt ist nicht mehr hoch, das Niedrige ist nicht mehr niedrig. Maria spürt, dass die Niedrigkeit ihres Menschseins nicht mehr zählt, sondern erwählt wird. Deshalb preist sie Gott mit hellem Jubel.
In dem Adventslied von Jürgen Henkys über das Magnificat kommt das zum Ausdruck:
Gottes Lob wandert und Erde darf hören.
Einst sang Maria, sie jubelte Antwort.
Wir stehn im Echo der Botschaft vom Leben.
Den Herrn preist meine Seele:
Im Echo der Botschaft des Lebens gilt es, die polyphonen Stimmen zusammenzubringen. So viele Stimmen dringen tagtäglich an unser Ohr. Dazu gehören sicherlich auch disparate Stimmen, die auf uns einreden. Es gibt kritische und mahnende Stimmen, die wir vernehmen. Es sind dissonante Stimmen an der Tagesordnung. In der Musik werden dissonante Harmonien aufgelöst. Obwohl sie dissonant erklingen, ergibt sich ein harmonisches Gesamtkunstwerk.
Es ist erhebend, wenn uns das im Leben gelingt. Wir spüren, dass es einen tieferen Grund im Leben gibt, der uns trägt. Die Botschaft vom Leben, wie sie in dem Lied besungen wird, findet ein Echo in uns. Wir erkennen, wie Gott barmherzig ist, zu denen, die ihn fürchten oder mit heutigen Worten besser gesagt: ihm die Ehre geben. Es findet einen Nachklang in unserer Dankbarkeit. Dann verachten wir nicht das Geringe, sondern schätzen es. Wir kommen erst gar nicht in die Versuchung, hochmütig zu werden. Wir geben gern. Gottes Lob wandert durch die Welt und zieht bei uns ein.
Wenn die polyphonen Stimmen zusammenklingen, dann leiten sie uns an, in diesen Vielklang einzustimmen. Jede einzelne Stimme zählt. Sie gehören in den harmonischen Gesamtklang. Wir stimmen ein in diesen Jubel und erahnen: Alles wird sich ändern. Denn Gott ist in die Welt gekommen und ist ihr nahe.
Sein Wirken geschieht aber noch im Verborgenen. Das Besondere an dem verheißenen Kind in der Krippe ist nicht ohne den Blick auf sein ganzes Leben zu verstehen. Er predigte, heilte und wandte sich Ausgegrenzten zu. Sein Weg führt ihn ans Kreuz. Es bleibt nicht bei der Ohnmacht des Kreuzes. Gottes Macht wird nur durch die Auferstehung sichtbar. Leid und Tod sind nicht das Letzte. Das gilt auch heute beim Tod unschuldiger Opfer. Gottes Macht ist auf diese Weise auch heute in der Welt wirksam.
Maria antwortet auf die Botschaft des Engels mit ihrem Lied. Sie ist von der Vorfreude auf Weihnachten, auf die Geburt ihres Sohnes ganz ergriffen. Sie bringt ihre Stimme zum Klingen und lobt Gott. In diesem Gottesdienst hören wir so viele musikalische Stimmen, die mit verschiedenen Instrumenten intoniert werden. Daraus ergibt sich ein froher und zuversichtlicher Gesamtklang. Dieser Klang soll in uns nachhallen, wenn wir nun auf Weihnachten zugehen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, er bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Literatur: Jürgen Henkys: Gottes Lob wandert, in: Durch Hohes und Tiefes. Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland, Nr. 5
Hinweis: Wie am Anfang beschrieben, wurde die Predigt für einen Musikgottesdienst verfasst.
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Hoffen und Bangen - Predigt zu Lukas 1,39-56 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
Liebe Gemeinde,
Zwischen Hoffen und Bangen. Wie könnte es auch anders sein. Elisabeth und Maria erwarten ihr erstes Kind. Neues Leben wächst in ihnen und will zur Welt kommen. Ein Lebensabschnitt, ein Lebensgefühl zwischen Hoffen und Bangen. Wie wird es werden mit ihnen, den Müttern, mit ihren Männern, mit der neuen kleinen Familie?
Es werden besondere Kinder sein, der Johannes und der Jesus. So hatten es der Engel Gabriel Elisabeth und Maria verkündigt. Johannes und Jesus werden nicht nur das Leben ihrer Eltern völlig verändern, sondern auch die Welt. Den Glauben werden sie verändern. Gott und die Welt neu verstehen lassen. Das werden sie.
„Johannes wird (….) viele zu Gott bekehren“, verkündigte der Engel Gabriel dem Priester Zacharias, Elisabeths Mann. Väter werden sich herzlich ihren Kindern zuwenden. Er wird bewirken, dass Menschen ohne Ziel im Leben klug werden und zu fragen beginnen, wie es gerecht in der Welt zugehen kann. Er wird die Menschen darauf vorbereiten, Gott ganz neu zu begegnen. (Lk. 1, 17)
Und der Maria hatte der Engel Gabriel verkündigt, dass ihr Sohn Jesus Gott ganz nahe sein wird. Den Sohn des Höchsten, den Sohn Gottes wird man ihn nennen. Ja, nicht nur nennen: er wird es sein. Gott in Jesus, Jesus mit Gott mitten in unserer Welt.
Sie werden besondere Menschen werden, Johannes und Jesus, die Elisabeth und Maria in sich tragen. Und da braucht es schon einen besonderen Engel, der diese Kinder ankündigt. Gabriel heißt er. Sein Name bedeutet: Held Gottes. Ein Engel, der Mut macht; einer der stärkt. So einer, wie ihn sich alle Menschen wünschen, die ein Kind erwarten. Einer, der zwischen Hoffen und Bangen der werdenden Eltern Gottes Hilfe und Begleitung verkündigt.
Und nun treffen sich also diese beiden Mütter, die diese besonderen Kinder erwarten. Die schwangere Maria besucht ihre Verwandte, die schwangere Elisabeth. Und, wie wunderbar, Johannes macht sich bemerkbar im Bauch der Elisabeth. Ein schöner Augenblick. Er „hüpft“ in ihrem Leib, wie Luther so feinfühlig übersetzt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt spüren auch Väter hautnah, dass da ein neues Leben in ihre Welt tritt. Wirklich und fühlbar tritt.
Und jetzt, als Elisabeth und Maria sich treffen, ist da mehr Hoffen als Bangen. Maria drückt es aus; in einem tiefempfundenen Gebet, einem Lobpreis, einem Gotteslob. Hoffen und Bangen treten bei Maria zurück und schiere Freude macht sich in ihrer Seele Raum. Und diese Freude muss in Worte gefasst werden, muss ausgesprochen werden: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes.“
Die Welt erscheint ihr in einem neuen Licht. Gott bekommt für sie ein neues Gesicht. Was Angst und Bange macht erscheint nun so klein gegenüber der Hoffnung, die empfunden wird. Es wird gut werden, jubelt Maria. Und in ihrem Lobpreis spricht sie sie aus. Die Verheißungsworte von Gott. Diese Es-wird-gut-werden-Worte. So, wie sie sie aus der Bibel kennt, der Hebräischen, unserem Alten Testament.
Wenn Sie zuhause eine Bibel mit Querverweisen haben, dann werden Sie sehen, dass Maria in ihrem Lobgebet fünf Psalmverse und drei Verse aus dem 1. Buch Mose zitiert. Nicht wörtlich, sondern so wie sie es versteht und erlebt. So, wie es sie anspricht und wie sie es aussprechen möchte. Diese Es-wird-gut-werden-Worte der Bibel.
Wie die Miriam, die Schwester des Mose, die nach der Errettung aus der Sklaverei in Ägypten, nach der Flucht durch das Schilfmeer zur Handpauke greift und spontan ein Danklied anstimmt; so wie die Hannah ihren ganz eigenen Lobpreis anstimmt aus Dankbarkeit über die Geburt ihres Sohnes Samuel damals im Tempel in Silo; so kann hier Maria aus voller Seele, aus ganzem Herzen und „ganz spontan aus dem Bauch heraus“, wie man so sagt, und hier bei Maria mit einer ganz besonderen Beziehung und Bedeutung dieses „aus dem Bauch heraus“, beten, danken und jubeln.
Das Bangen und Hoffen der schwangeren Maria weicht einem trotzigen: So wird und so muss es werden; so gut, wie Gott es will. Denn Gott ist barmherzig zu allen, die ihm ihre Fehler bekennen, vor ihm ablegen, neu beginnen und anders leben wollen. „Kehrt um, denn Gott ist euch nahe gekommen. Ein anderes Leben ist möglich.“ Das sind auch die Predigtworte, mit denen Johannes und Jesus ihren Auftrag unter den Menschen beginnen werden. Die sie uns sagen. Und wer könnte das Wort „barmherzig“ besser verstehen als die schwangeren, hebräisch sprechenden werdenden Mütter Elisabeth und Maria? Ist das Wort für Barmherzigkeit im Hebräischen doch das gleiche wie für Mutterschoß.
Und trotzig und ganz voller Vertrauen in die Es-wird-gut-werden-Worte Gottes betet Maria weiter:
Angeberei und Überheblichkeit finden bei Gott keinen Beifall. Er wischt sie mit seinem Arm einfach weg. Auf ein ehrliches Herz kommt es ihm an, freut sich Maria. So muss es sein vor Gott.
Und die, die das Sagen haben und alles bestimmen und sogar gewalttätig werden, um ihre Ziele zu verfolgen, diese alle werden entmachtet und versetzt. Einfach so.
Und der Blick und alles Augenmerk wird sich auf die Übersehenen und die Mühseligen und Beladenen richten. Ihnen wird endlich einmal etwas Gutes getan. Richtig so.
Und da ist so viel Hunger in der Welt. Mütter, die nicht wissen, woher sie das Brot für ihre Kinder nehmen sollen. Fliehende, die nichts mehr haben und sich schämen, nun die Hand aufhalten zu müssen. Und für die die Budgets der Helfenden erschöpft sind. Weil man Geld verrechnet und nicht Not. Warum den Reichen nicht einfach einmal sagen: Genug so?
Maria betet ihr trotziges Gebet voller Freude und Hoffnung. Denn sie weiß: ihre Vorfahren im Glauben haben auch schon so gebetet. Seit Abrahams Zeiten. So sollen auch wir beten. Voller Hoffnung, Freude und Einsatz. Weiter so.
Und das Gebet der Maria und unsere Gebete haben schon viel verändert in dieser Welt. Und es muss sich noch viel verändern. Bei gewalttätigen Islamisten, bei ignoranten Reichen, bei uns hartherzigen Normalbürgern.
Drei Monate werden Elisabeth und Maria in der Zeit ihrer Schwangerschaft, dieser Zeit zwischen Hoffen und Bangen, miteinander verbringen. Maria aber hat mit ihrem Lobgebet diese Zeit unter eine andere Überschrift gestellt. Vertrauen in Gottes Verheißungen. Das bestimmt jetzt ihre gemeinsame Zeit. Vertrauen darauf, dass Gott zu seinen Menschen kommt. In den Worten der Elisabeth, der Maria, des Johannes und des Gottessohnes Jesus. Und in den Sakramenten von Taufe und Abendmahl, die Johannes und Jesus als Zeichen der Nähe Gottes einsetzen werden.
Und Vertrauen und Glauben sind im Hebräischen ein und dasselbe Wort. „Selig bist du, die du geglaubt hast“, preist Elisabeth Maria. Lassen wir uns anstecken vom Lobpreis der Maria, glauben und vertrauen neu zu lernen. Zwischen Hoffen und Bangen.
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Predigt zu Lukas 2,1.15-20 von Bernd Vogel
Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
Lukas 2, 15-20
Was für eine „Geschichte“ (Luther) ist denn da „geschehen“?
Oder wörtlicher: Was hat sich da „ereignet“?
Oder noch wörtlicher: Welches „Wortgeschehen“ (gr.: räma), das ihnen der „HERR“ (gr: kyrios) zu „erkennen“ gegeben hat, ist es denn, das die Hirten nun auch noch „sehen“ wollen?
Und kann man wirklich sagen, dass die Hirten die ersten Prediger einer Weihnachtspredigt waren? …
Das klingt ja nun alles wieder recht kompliziert. So typisch theologisch. Den Herrn Prediger (die Frau Predigerin) den (die) verstehen wir nicht so recht (sagen die selbstbewussten Christen bei uns auf dem Dorf). Die Angelegenheit ist doch völlig klar:
Die Hirten auf dem Feld hatten eine Engelserscheinung. Ein „Leuchten“ war da. Und die „Herrlichkeit“ (gr: doxa) des „HERRN“ war überwältigend. Und der Engel hat zu ihnen gesprochen. Er hat gesagt:
Fürchtet euch nicht!
Denn seht hin: ich verkündige euch große Freude, die dem ganzen Volk gilt. Denn euch wurde heute der Retter geboren, der der Gesalbte ist (gr: christos), der HERR in der Stadt Davids.
Und dann hat der Engel noch „Zeichen“ erklärt, an dem die Hirten die Worte überprüfen könnten: Ein Kind in Windeln und in einem Futtertrog.
Danach war da plötzlich diese Menge der himmlischen Kräfte, der himmlischen „Heerscharen“ (Luther), die Gott lobten mit den Worten: Die Herrlichkeit Gott in den Höhen und auf der Erde Frieden unter den Menschen von (Gottes) Wohlgefallen!
Das ist doch klar, Herr Prediger (frau Predigerin), was da geschehen ist. Jedes Schulkind in Deutschland weiß das, erst recht, wenn es in der Kirche am Krippenspiel beteiligt war.
Nun sind Predigten aber unter anderem dazu da, dass wir klugen Christen noch einmal neu in den alten Bibeltext schauen, als läsen wir ihn zum allerersten Mal. So als wären wir Kinder.
Den Zauber der Kinderaugen unterm Tannenbaum haben wir doch gar nicht in seiner Schönheit und in seiner ganzen Wichtigkeit verstanden, wenn wir sagen: „Weihnachten – das ist doch eigentlich das Fest der Kinder.“ Dann sagen wir ja gleichzeitig: Und für uns Erwachsene ist es ein Fest der Erinnerung an Gewesenes. Wir bereiten mit allen Vor- und Nachbereitungen liebevoll das ganze Fest, um in seiner Mitte den Kindern ihren Raum zu lassen – und wir Erwachsene stehen wissend und entzückt drum herum und schauen den Kleinen beim Weihnachtenfeiern zu.
Nein, Weihnachten könnte sein ein Fest für Kinder und Erwachsene. Und der Weihnachtszauber möchte sein nicht nur für Kinder, die „noch“ an den Weihnachtsmann oder das Christkind „glauben“, sondern stünde auch uns offen, ob wir nun Kinder und Enkel um uns versammeln können zu Weihnachten oder nicht.
Manche haben keine Kinder. Viele haben keine Enkel. Manche haben einen beschädigten Draht zu den Ihren. Was sollen sie tun zu Weihnachten? Wie sollen sie Weihnachten feiern, wenn Weihnachten tatsächlich vor allem das Fest der Kinder wäre – und nur das?
Kinder sind ja unter anderem deswegen so entzückend für uns Erwachsene, weil sie die Welt interessiert. Die sind bei der Sache. Und sie halten es für möglich, dass das Leben ziemlich wichtig ist. Sie gucken hin. Gründlich. Und immer neu. Und sie stellen Fragen. Sie geben sich nicht zufrieden mit schnellen Antworten, die für sie nicht stimmen. Sie erfinden Wörter. Sie stellen in ihrer Fantasie ganze Welten zusammen. Wenn wir alt (älter) Gewordenen uns erinnern: So war es auch einst bei uns. Und so war der Weihnachtszauber ganz wesentlich die Ahnung davon, dass in diesem ganz alltäglichen Geschehen, das ja auch zu Weihnachten weitergeht wie an jedem sonstigen Tag des Jahres, dass hier und nun aber mitten in diesem All – Täglichen das Außer – Ordentliche geschieht.
Ja, was „geschieht“ denn da? Da sind wir wieder beim biblischen Text.
Und dort steht – trotz Luther – in unserem Predigttext weniger von einer „Geschichte“, die da „geschehen ist“, sondern zumindest vorrangig von einer Ansage Gottes durch seinen Engel und die himmlischen Heerscharen. Gott hat ein „Wort“ gesprochen – und dieses Wort ist Wirklichkeit geworden, hat unbedingte Wirkung. Das i s t eine Geschichte. Da geschieht wirklich was. Doch die Geschichte spielt sich vor allem anderen im Kopf der Hirten ab. Kopf und Herz und dann auch Körper, im ganzen Menschen. Doch das Entscheidende ist schon, dass ein „Wort“ ergeht und dass es den, der (die) es hört, trifft, betrifft und ergreift. Paulus hatte das buchstäblich kapiert. Und Lukas auf andere Art auch.
Das Zauberwort des Lukas heißt: Der „Retter“ (gr: soter) ist da – und es ist n i c h t Kaiser Augustus! Das innerliche Geschehen bedeutet eine andere politische Sicht.
Der römische Kaiser wurde zur Zeit der Geburt Jesu „Sohn Gottes“ und „Retter“ (Luther: „Heiland“) genannt, ließ sich so nennen. Gerade im Osten des Imperiums gab es Tempel für den Augustus. Noch war es kein Zwang dort zu opfern. Die Menschen taten es freiwillig; denn in der Verehrung des Augustus (des „Erhabenen“) konnten sie sich selbst etwas erheben aus dem Einerlei und Trott des alltäglichen Lebens. Mit der Erhabenheit, der Macht und dem Glanz des römischen Kaisers gewann das Leben der sogenannten kleinen Leute etwas von dem allen.
Und nun schreibt Lukas ca. 60 Jahre nach dem Tod des Augustus sein Evangelium. Mittlerweile haben die Nachfolger des großen Kaisers teilweise fürchterlich gewütet, machtberauscht, geld- und blutgierig. Wie der junge Octavian damals auch, dem kein Mittel zu anrüchig, keine Gewalttat zu grausam war, um sie nicht einzusetzen, um sein Ziel der Alleinherrschaft zu erreichen.
Der Historiker Lukas weiß das alles. Ob er irgendetwas aus den Kindertagen des Christus Jesus wusste, ist eher fraglich. Er erzählt zumindest eine andere Geschichte als sein judenchristlicher Zeitgenosse Matthäus. Mindestens, muss man sagen, benutzten sie verschiedene Quellen. Wahrscheinlich aber ist, dass beider Geburts- und Kindheitsgeschichten Predigten sind. Geschichten mit gewissem historischen Anhalt, erzählt, um das Wesen des zu erzählen, „was da geschehen ist“.
Lukas sagt uns: Das Wort Gottes ist geschehen. Es hat sich ereignet. Und zwar nicht in Rom im von Augustus gebauten Tempel für Apollon auf dem Hügel Palatin, sondern auf nächtlichen Weidegründen rund um das alte Davidsdorf (das biblische Bethlehem war keine Stadt, sondern ein Dorf) Bethlehem herum.
Nicht der „Retter“ Augustus ist der Bringer und Garant des „Friedens“ „auf Erden“, sondern ein Kind, in Windeln gewickelt und in einem Futtertrog liegend. Nicht Opfer in einem der Tempel für den Augustus sind wirksam, nicht Treueeide auf den Kaiser, nicht römisches Militär, nicht römische Technik, nicht römische Frömmigkeit (pietas), Moral und nicht römisches Recht, sondern wirksam kann Friede nur sein, insofern Menschen die Botschaft des Engels und der himmlischen Heerscharen hören, sich zu Herzen nehmen und dann „sehen“ wollen, wie sie sich ereignet.
Die Hirten kommen ohne Geschenke zum Jesuskind. Ganz anders als die persischen Priester und Sterndeuter, die wegen ihrer kostbaren Geschenke – Gold, Weihrauch und Myrrhe – zu „drei heiligen Königen“ mutierten. Die Hirten kommen ohne Geschenke. Auf manchen Bildern der Kunstgeschichte sieht man rührende Szenen: Die Hirten mit einer Schale warmer Ziegenmilch für die armen Eltern, mit Schaffellen zum Schutz vor der Kälte usw. Alles schön und gut. So sollte es sein. Im Dorf weiß man das und manchmal auch in der Stadt: Man bringt etwas mit, wenn man eingeladen ist, wo man noch nie war.
Wir können davon ausgehen: Die Hirten brachten nichts mit. Sie kamen, um das „Wort“ zu „sehen“, das zu ihnen gesagt war. Und als sie es „gesehen“ hatten: Ein Kind in Windeln und in einer Krippe .. da „gaben sie Kunde von dem Wort“ (Luther: „breiteten sie das Wort aus …“ = was wir „Auslegung“ nennen), d. h. sie plapperten nicht einfach nach, was der Engel gesagt hatte, sondern hielten auf ihre Hirten – Art eine erste Weihnachtspredigt! Das war ihr Geschenk.
Grundlage ihrer Predigt konnte nur sein – aber was heißt da nur?
Eine wundersame Lichterscheinung mitten in der Nacht und mitten bei der Arbeit
Worte eines Gottesboten: Sie sollten sich nicht fürchten, ihnen und dem ganzen Volk sei nun gerade („heute“) der Retter geboren.
Als „Zeichen“ genüge ein Kind in Windeln und in einem Futtertrog
Das Erlebnis von himmlischem Lobgesang mit damit verbundener Lightshow und die Ansage, dass Gottes Lob und Friede auf der Werde zwei Seiten einer Medaille seien: Nicht Augustus, heißt das, ist anzubeten und ist der Friedensbringer, sondern das Krippenkind und alles, was es tun und erleiden wird.
Man male sich ihre Predigt aus, ihre „Ausbreitung“ (Luther) oder Auslegung des Wortes, das zu ihnen gesagt war.
Und Maria bewahrte alle diese Worte und wendete sie hin und her in ihrem Herzen.
Damit hat Lukas durch die Blume Maria sagen wollen, wie wir umgehen sollen mit Gottes Wort hier und heute. Hin- und herwenden, immer neu. Das Wort kauen, schlucken. Wären wir Rindviecher müsste man vom Wiederkäuen reden …
Noch einmal Kind werden. Nicht nur zu Weihnachten. Und hinschauen und hinhören, als schauten und hörten wir zum ersten Mal. Den fremden Gast predigen lassen und abwägen, was dran sein könnte für mich und für uns. Und für die große Weltpolitik heute.
Das wäre nun eine zweite Predigt über den Frieden auf Erden. Vielleicht aber ist sie ja auch schon mitgelaufen, ist sie schon gesagt und schon gehört. Wer weiß?
Auf jeden Fall kann es solche, die das Wort des Engels zu den Hirten gehört haben, nicht gleichgültig sein, ob und wie wir in unserem Dorf (in unserer Stadt / Gegend) die Flüchtlinge empfangen und aufnehmen, die demnächst zu uns kommen (die zu uns gekommen sind). Das ist eine reelle Chance für unseren Beitrag zum Frieden hier vor Ort.
Das Kind in der Krippe würde es freuen; denn dafür ist es gekommen. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden allen Menschen, an denen Gott sein Wohlgefallen übt.
Amen.
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Predigt zu Lukas 1,46-55 von Frank Hiddemann
1. Wie wollen wir uns vorbereiten auf den Advent?
Liebe Gemeinde,
vier Sonntage Vorbereitung auf Weihnachten, vier Sonntage Vorbereitung auf den Advent, die Ankunft Jesu in der dunklen Welt. Vier Sonntage je ein Kerzlein, vier Sonntage je ein Text aus der Bibel, der uns auf die Ankunft vorbereitet. Am 1. Advent der zweideutige Empfang in Jerusalem. Das Hosianna, wenn wir schon wissen: Bald folgt das „Kreuziget ihn!“ Am 2. Advent die äußeren Gefahren: Die Zeichen am Himmel, die Apokalypse und die Aufforderung: „Erhebt eure Häupter mitten in der Gefahr!“ Am 3. Advent die inneren Gefahren: der Zweifel. „Bis du es? Oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Und am 4. Advent, heute, ist das Thema: „Wie soll ich dich empfangen?“ Maria macht es uns vor. Sie singt ein Lied:
„Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter, denn hingesehen hat er auf die Niedrigkeit seiner Magd. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter, denn Großes hat der Mächtige an mir getan. Und heilig ist sein Name. Und seine Barmherzigkeit gilt von Geschlecht zu Geschlecht, denen, die ihn fürchten. Gewaltiges hat er vollbracht mit seinem Arm, zerstreut hat er die, die hochmütig sind in ihrem Herzen. Mächtige hat er vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht, Hungrige hat er gesättigt mit Gutem und Reiche leer ausgehen lassen. Er hat sich Israels, seines Knechtes angenommen, und seiner Barmherzigkeit gedacht, wie er es unseren Vätern versprochen hat, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.“ [Lk 1, 46-55, Neue Zürcher]
2. Die Vorbereitung der Maria
Maria singt ein Lied. Aber ehe sie es singt, muss Sie erst selbst verstehen, was mit ihr geschieht. Zuerst kam ein Engel, der lange zu ihr sprach. vollmundige Prophezeiungen, theologisches Zeugs. Und Maria fragt dazwischen: „Wie soll das gehen, da ich doch von keinem Manne weiß?“ Der Engel sagt wiederum etwas Mirakulöses. Und Maria schweigt. Dann sagt sie: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Und dann tut sie, was der Engel gesagt hat. Oder besser: Sie tut so ungefähr das, was der Engel gesagt hat. Der belehrte sie: „Schau auf deine Verwandte Elisabeth, die ist auch wie durch ein Wunder schwanger geworden!“ Der Engel meinte wahrscheinlich etwas wie: „Wenn du verstehen willst, wie das sein kann, durch ein Wunder schwanger werden, dann denke nur an deine Verwandte Elisabeth, die bisher kinderlos war und jetzt einen Sohn erwartet.“ Aber Maria nimmt den Satz wörtlich: „Schau auf deine Verwandte Elisabeth!“ Und sie geht einfach los und besucht sie. Sie geht übers Gebirg’, um Elisabeth zu schauen.
Und auf dieser eilenden Wanderung, sickern ihr die Worte des Engels langsam vom Kopf ins Herz hinunter. Im Herzen überlegt man in dieser Zeit. Maria bewegt die Gedanken in ihrem Herzen. Den Körper beim Denken zu bewegen, ist immer glücklich. Jeder, der durchs Gebirg’ geht, kennt das. Beim manchmal anstrengenden, manchmal Mühe losen langen Laufen und Steigen lösen sich die Gedanken und wandern selbst. Auf dem Gipfel ist nicht nur ein Weg geschafft, sondern oft auch ein Problem bewegt, das einem im Kopf herum gegangen ist, während der Körper Fuß vor Fuß setzte. Maria erwartet ein Kind.
...
Das ist genau das, was wir auch tun in der Adventszeit. Wir erwarten das Jesuskind. Vielleicht sollten wir mehr laufen oder andere Dinge tun, bei denen die Gedanken in uns wandern können. Und die Eile ist dabei offenbar gar nicht schädlich. Wie tröstlich: Auch Maria eilt in der Adventszeit.
3. Zu Gast bei Elisabeth
Und dann kommt Maria an. Elisabeth begrüßt sie. In ihrem Leibe hüpft das Kind. Der kleine Johannes, der schon im Bauch der Mutter tut, was er später tun wird: Den Messias begrüßen, ihn erkennen, den anderen die Unsicherheit nehmen.
Elisabeth spürt das. Sie ist die erste, die von ihrem kleinen Bauchpropheten erreicht wird. Sie ruft die feierlichen Worte: „Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“ Da erst kommt die Botschaft bei Maria an. Als sie die Botschaft von einem leibhaften Menschen gesagt bekommt, hört sie sie. Nun hebt sie an zu singen: „Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter, denn hingesehen hat er auf die Niedrigkeit seiner Magd.“
Mariens Seele und Geist werden munter. Ihr Leib trug Jesus schon in sich. Maria erlebt den Advent in ihrem eigenen Körper. Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude. - Das findet bei ihr als Schwangerschaft statt. Das ist schon passiert, ohne dass es ihr bewusst wurde.
Auch darin gleicht sie uns. Ehe Jesus kommt, ist er schon da. Ehe es uns bewusst wird, sind wir schon erlöst. Aber dann, wenn es bewusst wird .
4. Was tun Geist und Seele
Was tut dann die Seele? Was tut dann der Geist? Mariens Seele macht Gott groß. So lautet das griechische Wort, das hier mit „erheben“ wiedergegeben wird: Groß machen. Sie schafft ihm Raum in sich. Und indem Sie Gott groß macht, weitet sie sich selbst. Sie wird selbst groß genug, das Ungeheuerliche, das mit ihr geschieht, in sich Platz zu geben. Sie macht ihr Herz weit, damit sie später alle großen Gedanken in ihm bewegen kann. Dabei hat sich die Seele in ihr wie von selbst erhoben: „Meine Seele erhebt den Herrn.“
Luther beschreibt diesen Vorgang mit dem ihm eigenen Charme, aber eben auch mit Genauigkeit. Er formuliert: „Denn es ist kein Menschenwerk, Gott mit Freuden zu loben. Es ist mehr ein fröhliches Leiden und allein ein Gotteswerk.“ Ein „fröhliches Leiden“ ist etwas, das mit einem geschieht, das er oder sie aber mit Fröhlichkeit wahrnimmt. Es entsteht eine Freude in uns -
wie ohne unser Zutun - und wir freuen uns über die Freude. Möglicherweise ist auch Weihnachten erleben eher ein Lassen als ein Tun. Die Freude entsteht von selbst. Aber wir müssen ihr einiges aus dem Weg räumen.
Wenn die Freude entsteht, dann jubelt auch der Geist. Er freut sich über Gott, den Retter und den,
der ihr das Heil bringt. Der Geist hat verstanden, worum es geht. Und gleich dann stellt Maria beglückt fest, dass Gott sie in ihrer Niedrigkeit angesehen hat.
5. Die Niedrigkeit
Martin Luther zeichnet dazu ein schönes Bild. Er sagt: Gott ist so hoch oben, dass über ihm keiner mehr sein kann. Und neben ihm eigentlich auch keiner. Er schaut von ganz oben herunter,
und je weiter jemand unten ist, desto besser kann er ihn sehen. Physikalisch leuchtet mir das nicht ganz ein. Je weiter oben - desto besser sieht man, was unten ist? Gott ist so weit oben, dass er den Überblick hat. Das verstehe ich. Gott ist so weit oben, dass er das Unten sieht, wie sonst keiner. Das verstehe ich nicht. Obwohl mir an dieser Stelle auffällt, dass alle gerne nach oben sehen, um zu sehen, was über ihnen ist. Aber Gott schaut nur nach unten, weil über ihm keiner ist. Ja, Gott ist geradezu der, der ohne Unterlass nach unten sieht. Vielleicht sieht er deshalb besser, was dort ist. Es liegt also mehr an der Perspektive als an der Sehkraft. Und Maria spricht über ihre Niedrigkeit, weil sie sich von ganz unten hervor geholt fühlt. Aber sie vergisst die nicht, die unten sind.
6. Engelsworte von unten gesehen?
Maria spricht über ihre Niedrigkeit, weil sie sich von ganz unten hervor geholt fühlt. Und sie denkt plötzlich an alle Bibelstellen, wo etwas derart Unerwartetes geschieht. Sie kommen ihr alle auf die Lippen: Gott stürzt die Stolzen vom Thron. Er füllt die hungrigen Mägen mit Gaben. Er lässt die Reichen leer ausgehen. Sein Arm übt Gewalt, und es trifft die, die sonst Gewalt ausüben. Er ist barmherzig mit denen, die ihm vertrauen und die zulassen, dass er bei ihnen ankommt. Gott sieht die Niedrigen an, deshalb auch sie.
Alles was der Engel gesagt hatte, sagt sie nun plötzlich auch, aber anders. Der Engel sagte über ihren kommenden Sohn: „Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“
Die Herrschaft aber, die Maria ausmalt, hat genau diese Perspektive nach unten, die auch Gott auszeichnet. Bei der Ausmalung der ewigen Herrschaft sieht die junge Frau, die Gott in ihr Raum gab und die von Gott erhoben wurde, nach unten: „Gewaltiges hat er vollbracht mit seinem Arm, zerstreut hat er die, die hochmütig sind in ihrem Herzen. Mächtige hat er vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht, Hungrige hat er gesättigt mit Gutem und Reiche leer ausgehen lassen.“
7. Die Sterntaler
Was sollen wir tun, um uns an Maria ein Beispiel zu nehmen? Wir müssen Gott groß machen, wie es Maria getan hat. Wir müssen Gott ankommen lassen. Allerdings müssen wir dafür manchmal aufhören zu planen. Und vielleicht auch beginnen, etwas wegzugeben. Das Mädchen aus dem Märchen „Die Sterntaler“ gibt erst ihr Brot, dann ihre Mütze, dann ihr Leibchen, ihr Röcklein und schließlich das Hemdlein weg. Dann ist sie ganz nackt und steht im Dunkeln. Es ist kalt. Und jetzt fallen ihr - mitten in der Nacht - die Sterne in den Schoß. Und sie hat sogar ein neues Hemdlein an aus allerfeinstem Linnen. Gott sieht die Niedrigen an. Und zuweilen geschehen Wunder in der Nacht.
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Predigt zu Lukas 21,25-33 von Doris Gräb
Liebe Gemeinde!
Der 2. Advent macht es uns, zumindest was die Ordnung des Kirchenjahres angeht, wirklich nicht leicht. Im Gegenteil: die Texte und die Lieder fordern uns geradezu heraus. Da ist nichts, aber auch gar nichts, von freundlich-wärmender adventlicher Stimmung zu spüren. Kein Plätzchenduft, kein Glühweingeruch, kein Lichterglanz. Gar nichts von alledem dringt heute in unseren Gottesdienst herein.
Das war ja am vergangenen Sonntag, dem 1. Advent, noch ganz anders. Die Freude auf die 1. Kerze, auf das endlich wieder gesungene „Macht hoch die Tür“, - das geschäftige Treiben nach dem Gottesdienst auf unserem Kirchplatz, bis endlich der Weihnachtsmarkt eröffnet wurde, - das nachmittägliche Adventsliedersingen mit der Kantorei und dem Bläserchor, unserem Highlight am1. Advent: all das ist heute einer gewissen Ernüchterung gewichen. Die erste Kerze ist schon ein wenig herunter gebrannt, die zweite hat nicht mehr den Stellenwert. Unser abendliches Beisammensein im Rahmen des Lebendigen Adventskalenders ist schon wieder eingespielt. Also doch: every year the same procedure?
Und da, mit einem Mal, da ahnen wir, dass die Texte, die wir heute bedenken, die Lieder, die wir singen, womöglich doch hineinpassen in diese sich anbahnende Ernüchterung und Gewöhnung. Kein strahlendes, erwartungsfrohes „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“, mehr, nein, stattdessen ein fast verzweifeltes, um Hilfe rufendes: „Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal und tröst uns hier im Jammertal.“
Und gerade deshalb, der Gewohnheit, dem drohenden Sichgewöhnen zum Trotz, hat dieser zweite Sonntag im Advent seine Bedeutung. Erinnert uns zumindest jetzt im Gottesdienst daran, dass es eine ganz besondere Zeit ist, die unser Aufmerken verdient. Grade, wenn wir sozusagen wieder auf den Teppich gekommen, wieder geerdet sind, und alle die Glühweingerüche und Plätzchendüfte nicht mehr an oberster Stelle unseres Seelenlebens liegen.
Und dann klingen die bedrohlichen Weltuntergangstexte, die zum 2. Advent gehören, auf einmal auch gar nicht mehr so befremdlich. Haben sie doch, zumindest beim zweiten Hinhören, wiederum sehr viel mit unserer Realität zu tun.
„Auf Erden wird den Leuten bange sein, und sie werden verzagen, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn auch die Kräfte des Himmels werden ins Wanken kommen.“ So schreibt der Evangelist LUkas.
„Ich konnte die Schreckensnachrichten einfach nicht mehr ertragen, vom Elend der Flüchtlinge in den Lagern, von den bedrohten Jesiden und Christen, von denen, die es nicht schaffen übers Mittelmeer: deswegen musste ich in den Gottesdienst kommen. Wo sonst könnte ich Trost finden?“ So sagte mir vor kurzem eine Freundin. Und ich, fast ein wenig erschrocken: wie, um Himmels willen, kann solcher Trost denn aussehen? Was habe ich den Schreckensbildern unserer Zeit denn entgegen zu setzen? Haben wir ihnen überhaupt etwas entgegen zu setzen? Hatten sie es damals?
Es heißt, dass alle die biblischen Weltuntergangstexte in den Evangelien, und auch in der Offenbarung des Johannes, letztlich vor allem diesen Sinn hatten – und bis heute haben: nämlich den Menschen gerade auf dem Hintergrund des erlebten oder befürchteten Schreckens Trost zu vermitteln, Gewissheit zu schenken, sie nicht allein zu lassen mit ihren Ängsten.
Und was unterscheidet uns dann von denen damals? Sind die Realitäten nicht sogar noch greifbarer – und wir nicht mindestens genauso des Trostes bedürftig? Gewiss, die Bilder sind andere, die uns täglich ins Wohnzimmer geliefert werden. Die Nachrichten von Hunger und Verfolgung, von Flucht und Vertreibung, von Gewalt und Krieg, von denen, die, um in der Sprache des Lukas zu bleiben, „verzagen und verschmachten vor Furcht“. – So geht es uns doch auch, wenngleich aus sicherem, gebührenden Abstand heraus.
Einerseits so satt und sicher und wohl behaust, und andererseits so hilflos, und so ohnmächtig. Auf der Suche nach Licht, das ins Dunkel unserer entsetzten Fragen dringt und mehr ist als nur ein flackernder Schein am Adventskranz. Auf der Suche nach Trost, der viel tiefer reicht als die Gerüche und Gefühle, die zu dieser Zeit gehören.
„So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung!“ – ruft, ja schreit flehend der Prophet Jesaja. - „ O Heiland, reiß den Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf! Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für!“ So singen wir mit dem Liederdichter und Jesuitenpater Philipp Spee, auch heute wieder. Und hoffen genau so, über die Zeiten und unterschiedlichen Bilder- und Vorstellungswelten hinweg, auf Trost, auf Hilfe, auf Erlösung aus allem Schrecken.
Und: wir haben etwas, was uns helfen kann. Tatsächlich. Trostgeschichten haben wir. Trostbilder haben wir, die bis in die Tiefe der Seele reichen, uns berühren, das Herz erleuchten, wenn wir sie nur auf uns und in uns wirken lassen.
Eine solche Trostgeschichte, ein Trostbild, hält sogar unser Weltuntergangstext aus dem Lukasevangelium bereit, - vielleicht ist es Ihnen noch im Ohr:
„Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum, und alle Bäume“. Der Feigenbaum ist der einzige Baum im Nahen Osten, der seine Blätter im Herbst abwirft – und im Frühling neu ausschlägt. Ein sichtbares, handgreifliches Zeichen der Hoffnung, gerade in dunkler Zeit. Martin Luther hat es in einer Predigt zum 2. Advent ganz wunderbar bedacht und ausgelegt. So predigte er: „Das Gleichnis von den Bäumen, das Christus seinen Jüngern und Christen gibt, damit er ihnen den Trost desto besser einprägen möchte, ist lieblich. Unser Herrgott hat den Jüngsten Tag nicht allein in die Bücher, sondern auch in die Bäume hineingeschrieben, damit wir, so oft wir die Bäume im Lenz ausschlagen sehen, stets an dieses Gleichnis denken. Die Blätter an den Bäumen zeigen nicht den Winter an, dass es frieren, schneien und kalt werden soll, sondern zeigen die fröhliche Zeit an, nämlich den Lenz und den Sommer.“
„Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätterl Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit.….“
Nein, Luther kannte die Sitte des Tannenbaums noch gar nicht. Er ist erst im 19. Jahrhundert in die Weihnachtsstuben der bürgerlichen Familien eingezogen. Aber er ist eben ein sinnenfälliges Zeichen der Hoffnung, ein sprechender Ausdruck von Trost. Spätestens, wenn ich mich mit unserem Hausmeister Ende November in Gummistiefeln auf den Weg zu einer Baumschule mache, um den sieben Meter großen Tannenbaum für unsere Johanneskirche auszusuchen, - der dann noch weiter wachsen darf bis zum 4.Advent, - beginnt für uns Mitarbeiter in der Gemeinde die besondere Zeit. Und wird dann noch verstärkt, wenn die Kranzbinderinnen mit ihrer Arbeit beginnen und das gespendete, durch alle Kirchenräume duftende Grün zu ihren vierhundert Kränzen für den Weihnachtsmarkt verarbeiten. In den meisten Familien, sogar in den nichtchristlichen, ist es kaum anders. Mehr als 30 Millionen Weihnachtsbäume sind es auch in diesem Jahr wieder – wer keinen Baum hat, der, so scheint es, der feiert auch gar nicht richtig Weihnachten.
Und er sagte ihnen ein Gleichnis: „Seht den Feigenbaum, und alle anderen Bäume“ – so hören wir noch einmal Lukas. Er ist ein Symbol des Lebens. Seht ihn an, und erhebt eure Häupter, und wisst, dass der Sommer nahe ist. Seht hin, und denkt dran: das, was um euch und vor euch ist, was euch den Lebensmut nehmen und euch allen Trostes berauben will, das ist nicht alles. Es kommt eine andere Zeit. Es kommt der Sommer. Es kommt eine Zeit, in der eure Erlösung naht. – In der sich vieles ändert. In der sich die Menschen ändern - und ihr mit ihnen. Weihnachten kommt!
Ist es ein Trost? Zumindest ist es ein tröstliches Bild. Es wird nicht kahl, nicht dunkel, nicht trostlos bleiben. Seht auf – erhebt eure Häupter. Seht, was kommt, und was euch wahrlich gut tut.
Und eine andere Trostgeschichte, ein anderes Trostbild, von Jochen Klepper. Im Jahr 1938, dem Jahr der Reichspogromnacht, schreibt er sein unvergleichlich tröstliches Lied: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. – Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein, der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“ Und: „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und – Schuld, doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.“ In seiner berechtigten, ihn dann letztlich auch ganz und gar aufzehrenden Angst um seine jüdische Frau, um die halbjüdische Tochter, hat er noch die Kraft, von solchem Trost zu sprechen und zu singen. – Wagt er es, den Blick zu heben, das Haupt zu erheben, und nach dem Morgenstern Ausschau zu halten, dessen Schein das Ende der Nacht anzeigt.
Und schließlich noch eines, ein letztes Trostbild: Beim Betreten der meisten Kirchen ist unser Blick nach Osten gerichtet, dorthin, wo die Sonne aufgeht - zu dem Gott, der in die Welt gekommen und den Tod überwunden hat.
Der Weg aus der Kirche führt uns dann nach Westen, dorthin, wo die Sonne untergeht. Zeichen ist sie für das Vergehen des Lebens und der Welt. In vielen mittelalterlichen Kirchen haben die Baumeister nun gerade dort im Westwerk Glasfenster mit wunderbaren Rosetten gestaltet, die beim Licht der untergehenden Sonne in vollem Glanz erstrahlen – um, ja um die Furcht zu überwinden und auch noch im Bewusstsein des Vergehens das Leben feiern zu können. Wir kennen solche wunderbaren Fenster aus den großen Kathedralen.
Trost, in aller Trostlosigkeit. Trostbilder, die uns inmitten der vielfach grausigen Realitäten erleuchten – und uns voller Freude den Advent feiern lassen können.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger gilt es an diesem 2. Advent zu sagen. Der grüne Baum, der Morgenstern am noch dunklen Horizont, das bunte Glas im Licht der untergehenden Sonne: sie sollen uns dessen gewiss machen, dass wir etwas zu hoffen, zu erwarten haben. Dass sich etwas ändern wird in dieser unserer kalten Welt. Dass wir uns verändern. Dass sich unser Blick verändert. Dass mitten im Grauen Gott kommt, da ist, - und das Leben, trotz allem, schön ist, schön wird. –
Auch wir dürfen gewiss sein, was uns Jochen Klepper verspricht: „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und – Schuld, doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“ Amen
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Predigt zu Lukas 21,25-33 von Mirko Peisert
Liebe Adventsgemeinde!
Am 21.12. geht die Welt unter!
Alles beginnt mit einer nuklearen Kettenreaktion in den USA und dem finalen Fall out.
Was wird dann kommen?
Und was wird bleiben?
Gibt es noch ein Überleben für die Menschheit?
Du schlüpfst in die Rolle des Apokalyptischen Reiters. Du kämpfst gegen Mutanten und marodierende Banden. Du versuchst Dir ausreichend Munition zu sichern und Nahrungsmittel zu horten.
Was kommen wird und was bleibt, du hast es in der Hand!
Das ist ungefähr könnte die Geschichte eines neuen Computergames Apocalypse 5.2 sein– zu deutsch Enthüllung oder Offenbarung, Teil 5.2!
Die Apocalypse-Spielereihe für die X-Box begeisterte in den letzten Jahren immer wieder mit absolut sensationeller Grafik, neuer Menüführung und völlig überarbeiteten Charakteren und füllte deshalb nicht nur die Kassen des Einzelhandels, sondern erfüllte auch die Weihnachtswünsche von zahllosen Jugendlichen.
Das geilste Spiel überhaupt – heißt dazu auf Facebook!
Doch ich sage, das ist alles nur eine billige und langweilige Kopie!
Ich habe dagegen das Original! Die echte Geschichte. Und die, die stammt von Jesus.
+
Hören sie sich an, was wirklich kommen wird und was bleiben wird!
Der Evangelist Lukas hat es aufgeschrieben:
Jesus sagt: Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist. So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.
Wahrlich, ich sage euch: Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.
+
Die Frage ist nun: War Jesus nun der erste Gamer?
Ist das jetzt auch nur ein Spiel? Oder ist das Echt?
Meint er das ernst?
Und wenn ja:
Was hat das alles eigentlich mit uns heute zu tun?
+
Viele Wissenschaftler sagen: Jesus meint das sehr ernst, das schon, - aber es ist auch schon alles vorbei! Das wovon Jesus da redet. Es geht ihm nämlich um die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70. Er scheint die Vernichtung der Stadt und des Tempels schon vorausgeahnt zu haben. Und kündigt die Zerstörung als Gericht Gottes an!
Die Verwüstung der Stadt und insbesondere die Zerstörung des Tempels, der danach nie wieder aufgebaut wurde. Das war ein tiefer Einschnitt für die Juden genauso wie für die Christen damals.
Und die Menschen damals dachten: Das ist das Ende der Welt!
Es ist vorbei!
+
Wozu dann aber noch dieser Predigttext heute?
Ehrlich gesagt, habe ich mich das auch gefragt. Und es gibt doch in diesen Tagen so viel Angenehmeres und Schöneres über das sich Nachdenken und Predigen ließe!
Von Lichtern und Lebkuchen, von Sternen und Stiller Nacht.
Aber vielleicht ist es auch ganz richtig und notwendig, dass wir es uns in diesen Adventswochen nicht ganz so gemütlich machen! Denn die Adventszeit, das ist eine Zeit mit doppeltem Boden!
Dieser doppelte Boden um den geht es mir heute Morgen! Der doppelte Boden im Advent, der fängt schon beim Begriff an: Advent!
Advent das ist Latein und das heißt schlicht Ankunft – Ankommen.
Aber wer kommt da eigentlich?
Wer wird da erwartet im Advent?
Antwort 1: Der Weihnachtsmann! Oder: Die Weihnachts-Geschenke! Das wäre wahrscheinlich die häufigste Antwort auf dem Hannoveraner Weihnachtsmarkt! Irgendwie ist sie auch nicht falsch, denn die mit dem Weihnachtsmann verbunden Geschenke werden ja wirklich erwartet. Aber leider gibt es für diese Antwort hier in der Kirche 0 Punkte!
Also noch mal die Frage: Wer kommt da im Advent? Wen erwarten wir?
Antwort 2: Das Kind von Bethlehem! Auch das ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig! Im Kindergarten zumindest würde ich die Antwort auch gelten lassen!
Zumindest die Hauptkonfirmanden könnten und sollten aber auch noch mehr und auch die Antwort 3 kennen. Denn diese Antwort geben wir jeden Sonntag im Gottesdienst, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen: Wir glauben an Jesus Christus……er sitzt zur rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dort wird KOMMEN zu richten die Lebenden und die Toten.
Advent ist eine Zeit mit doppeltem Boden:
Vordergründig da geht es um Bethlehem, um das Kind, das kommt, das wir erwarten, auf das wir uns vorbereiten.
Aber im Hintergrund, da geht es um noch um ein ganz anderes Kommen, da geht es um das Kommen Jesu Christi in diese Welt, am Ende der Zeit, als Richter über Lebende und Tote!
Es geht darum, was bleibt, wenn alles andere vergeht!
Es geht um das, was ich erwarte, wünsche und hoffe für diese Welt!
+
Advent ist eine Zeit mit doppelten Boden und ein wenig wie das Kunstwerk von Teresa Margolles, der mexikanischen Künsterlin!
Es ist schon ein paar Jahre her, da hat sie im Frankfurter Museum für moderne Kunst einen Raum gestaltet: der Besucher ihres Raumes wird von einer Kaskade von Seifenblasen begrüßt! Die Seifenblasen tanzen durch den Raum bis sie irgendwann zerplatzen. Ansonsten ist der Raum weiß und leer. Nur die Seifenblasen, die eine Maschine kontinuierlich in den Raum pustet.
Ein Raum voller Seifenblasen, das ist wunderbar. Bilder aus meiner Kindheit werden in mir wach, ich denke an mein Patenkind, wie es begeistert die ersten Seifenblasen produziert hat, fasziniert schaue ich den Seifenblasen hinterher, denke an Kinderlachen, an den Frühling….
Wer will kann nur das sehen! Ja. Man könnte sich soweit zufrieden geben! Mit dieser Ebene, aber auch Teresa Margolles Kunst hat einen doppelten Boden, eine zweite Botschaft.
Theresa Margolles ist nicht nur Künstlerin, sie arbeitet eigentlich als Gerichtsmedizinerin. Täglich hat sie mit den Ermordeten des mexikanischen Drogenkrieges zu tun. Sie untersucht die Leichen, sie wäscht sie. Das Leichenwasser aber hat sie für ihr Frankfurter Kunstwerk aufgehoben und aufbereitet, desinfiziert.
Und verwandelt es nun zu Seifenblasen!
Ihre Arbeit lässt sich als eine bittere Anklage gegen die Ungerechtigkeit in ihrem Land lesen.
Und: Eine Anklage gegen das Wegschauen!
Teresa Margolles will sich nicht ab mit den Zuständen abfinden.
Sie will etwas verändern!
Und so erinnert sie noch einmal sanft an die Toten und uns an die Vergänglichkeit des Lebens.
+
Ich glaube, manchmal brauchen wir das Erschrecken! Und vielleicht ging es Jesus auch genau darum.
Drastisch und deutlich erinnert er an die Vergänglichkeit des Lebens, ja, die Vergänglich der Welt, um so unsere Erwartung wecken!
Die Erwartung auf Gottes Kommen.
Dass er für Gerechtigkeit sorgt.
Das Unrecht beendet.
Es geht um die Sehnsucht nach Gott.
Dass er zurückkommt und die Welt verändert und erlöst.
Von dieser Sehnsucht erzählt die Lesung aus dem Alten Testament. Da betet der Prophet Jesaja voller Erwartung:
Ach, Gott, dass du den Himmel zerrissest und führest herab,
dass die Berge vor dir zerflössen,
wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht.
Denselben Text hat mehr als 2000 Jahre später Friedrich Spee von Langenfeld zu einen Adventslied gemacht:
Oh, Heiland reiß die Himmel auf,
herab, herauf vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
Das sind Worte von Menschen, die sehnsuchtsvoll auf Gott warten, dass er endlich mit Macht herabsteigt vom Himmel, dass er herunterkommt, dass er diese Welt verändert und erlöst. Worte von Menschen, die Gott sehnlichst vermissen, denen Gott fehlt.
Bei uns hingegen klingt die Adventszeit viel zu sehr nach diesem Lied: „Alle Jahre wieder!“
Alle Jahre wieder, Immer wieder das gleiche. Jedes Jahr der gleiche Weihnachtsstress und die gleiche Mühe. Jedes Jahr die gleiche Sorge um die Geschenke und die vollen, überfüllte Geschäfte und der überteuerte Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt.
Aber wozu dann noch Advent, wenn wir sonst nichts mehr zu erwarten haben? Wenn unsere Sehnsucht nicht mehr kennt als den Weihnachtsmann?
Gut, wer einen zweiten Boden hat, der ihn trägt!
Der noch etwas im Hintergrund hat, wenn der Boden unter den Füßen schwankt.
+
Was kommt?
Was bleibt?
Ich muss bei diesen Fragen an eine alte Fotografie der Berliner Elisabethkirche Kirche denken.
Nach dem 2. Weltkrieg ist Berlin eine apokalyptische Ruinenlandschaft. 90 Prozent der Gebäude in der Mitte Berlins sind zerstört. So auch die Elisabethkirche, 1834 von Schinkel erbaut. Als im März 1945 Phosphor-Bomben die Kirche treffen, brennt die ganze Kirche aus, das Dach stürzte ein, sämtliches Inventar wird zu Asche.
Nicht wenige haben damals gesagt: Die Kriegszerstörungen das war eine Strafe Gottes. Sie hatten das Gefühl, das ist sein Gericht.
Auf wundersame Weise aber blieb das große Eingangsportal der Kirche erhalten und über der Tür die Buchstaben eines Bibelverses:
Caelum et terra transibunt -
Verbum Dei Manet in aeternum.
Himmel und Erde werden vergehen;
aber Gottes Worte vergehen nicht.
Die Herren der Welt vergehen.
Die Mächtigen gehen dahin.
Die Herrscher und Herren.
Vorsitzenden und Präsidenten.
Sind wie Seifenblasen.
Unser Gott kommt.
Und bleibt.
In Ewigkeit.
AMEN
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"Die Netze auswerfen" - ZDF-Predigt zu Lukas 5,1-7
Lesung aus dem Lukasevangelium, Kapitel 5, 1-7:
Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
Da stieg er in eins der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahr hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.
Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen.
Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beiden Boot voll, so dass sie fast sanken.
Liebe Gemeinde!
Oft sind die Fischer Seit den frühen Morgenstunden schon am Brennsee draußen, um frische Fische zu fangen. Immer wieder werfen sie Netze aus und ziehen die triefenden Netze ins Boot. Sehr oft bleiben die Netze leer. Aber die Fischer geben nicht auf. Mit Beharrlichkeit und großer Geduld hoffen sie auf einen guten Fang. Die Fischer am Brennsee erinnern an die Fischer am See Genezareth aus dem Evangelium. In einer Nacht war ihr Fischzug wohl völlig erfolglos. Wir haben Simons Antwort an Jesus im Ohr: "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen!"
Großes Bemühen, viele Stunden der Arbeit, wieder eine Chance vertan und kein Erfolg. Das ist dann schon zum Verzweifeln. Jeder und jede von uns kennt solche Situationen. Wir mühen uns ab, wir setzen uns ein. Immer wieder beginnen wir von Neuem: Dennoch bleibt einem der Erfolg verwehrt. Was in solch einer Situation tun? Alles hinschmeißen? Aufgeben? Oder es immer wieder wagen? Noch einmal neu beginnen?
Erinnern wir uns an das Evangelium. Nach dem erfolglosen Fischfang in der Nacht erhält Simon den Auftrag von Jesus: "Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft wirf deine Netze zum Fang aus!" Simon hatte seine Zweifel. Er verstand was von seinem Handwerk. Gewiss mehr als Jesus, der ja Sohn eines Zimmermanns und nicht Fischer war. Simon rechnete sich keine großen Chancen auf einen guten Fang aus. Er kannte seit Jahren die besten Plätze zum Fischen und wusste, dass die Nacht und die frühen Morgenstunden die besten Zeiten für einen guten Fang sind. Seine Freunde werden ihm gewiss auch abgeraten haben, sich wieder der Mühe unterwerfen. Noch einmal hinaus rudern, noch einmal die Netze auswerfen und nach erfolglosem Fang auch wieder reinigen. In einem Satz fasst Simon all diese Bedenken zusammen und sagt auch im Namen der anderen Fischer: "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen!"
Mit diesem Satz, liebe Gemeinde, werden wir bei unseren Erfahrungen abgeholt. Ja so geht es uns im Leben auch immer wieder. Wir mühen uns ab, wir laufen scheinbar wie ein Hamster in seinem Rad. Aber der Erfolg bleibt aus. "Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen!"In solch einem Moment können die Zweifel in einem wachsen. Hat das alles denn noch einen Sinn? Ist das nicht alles vergebliche Mühe? Ich könnte verstehen, wenn Simon geantwortet hätte: "Also weißt du was, Jesus? Du willst, dass wir noch mal hinausfahren, aber glaub mir: das bringt jetzt wirklich nichts."
Doch Simon sagt: "Aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen!" Ja, sagt Simon, wir haben zwar die ganze Nacht nichts gefangen, aber auf dein Wort hin will ich die Netze noch einmal auswerfen. Was Simon hier tut, ist nicht nur, dass er sich einfach einen Ruck gibt. Er springt nicht nur über seinen eigenen Schatten. Er vertraut auf das Wort Jesu. Und das heißt auch, er traut ihm mehr zu als seinem eigenen Selbstzweifel und seiner Erfahrung als Fischer. Denn Simon ist ja immerhin Fachmann und Profi. Zweifel, liebe Gemeinde, gehören zum Glauben dazu. Aber das Wort Jesus lädt uns ein, dann auch wieder am eigenen Zweifel zu zweifeln und aufs Neue vertrauen zu üben. Aber auf Dein Wort will ich die Netze auswerfen.
Der Erfolg bleibt nicht aus, wie uns das Evangelium berichtet: "Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen!"Jesu Ermutigung: "Fahr hinaus, wo es tief ist und werft eure Netze zum Fang aus!" sind uns heute auf den Weg gegeben. Die Antwort von Simon: "Aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen!" wollen wir auch auf unser Leben umsetzen.
Im Vertrauen auf Jesus Christus zu leben kann heißen: Immer wieder die Netze auswerfen. Es neu zu wagen. Auch allen Zweiflern zum Trotz. Nicht aufgeben. Sich immer wieder die Leidenschaft als langen Atem der Geduld bewahren. In so vielen Bereichen des Lebens kann das Auswerfen der Netze, das Bemühen für einen Neuanfang konkret werden.
Der Blick auf die gewalttätigen, kriegerischen Auseinandersetzungen in den letzten Wochen bewegt uns an diesem Morgen auch hier an diesem idyllischen, friedvollen Ort am See. Blutvergießen, unschuldige Opfer auf Seiten der Palästinenser und Israelis. Die Spirale der Gewalt dreht sich immer weiter und weiter. Gewalt säht Gewalt. Wird es im Nahen Osten jemals Frieden geben? Sind die Bemühungen zum Frieden überhaupt zielführend? Die Fragen und auch die Zweifel sind berechtigt. Und doch müssen immer wieder Angebote zum Frieden gemacht werden. Doch müssen die Netze immer wieder ausgeworfen. Es sind oft kleine Schritte und viele Versuche sind auch immer wieder vergeblich. Aber auf Jesu Wort hin wollen wir trotz vieler Rückschläge nicht aufgeben. Hoffen wir und beten wir, dass die Bemühungen auch zum Erfolg führen und Frieden wachsen kann.
Als Pfarrer bin ich immer wieder innerlich tief bewegt, wenn ich Konfirmandinnen und Konfirmanden nach vielen Jahren wieder treffe. Im Konfirmandenkurs habe ich es nicht immer leicht mit ihnen. Ich denke mir oft: Was ich denen erzähle, das geht doch beim einen Ohr ein und beim anderen wieder raus. Es ist doch sinnlos. Immer wieder werde ich aber überrascht.
Vor kurzem war Mario zum Anmelden seiner Hochzeit bei mir. Ich kann mich noch gut an seine Konfirmandenzeit erinnern. Habe ich mich doch oft über ihn geärgert und dachte mir: Der kapiert doch überhaupt nichts. Mario erzählt mir beim Traugespräch voll Begeisterung von seinen Erfahrungen im Konfirmandenunterricht. Es war eine wunderschöne unvergessliche Zeit, sagt er mir. Sein Konfirmandenspruch von Gott als dem guten Hirten sei ihm ein treuer Begleiter im Leben. Mario will diesen Psalm auch bei seiner Trauung zugesprochen bekommen. Wir kommen weiter ins Gespräch. Mario ist vom Beruf Zimmermann. Ich erzähle ihm, dass wir demnächst einen Zubau beim Pfarrhaus in Angriff nehmen werden. Mario sagt mir gerne zu, als Zimmerer bei diesem Projekt seiner Pfarrgemeinde mitzuarbeiten. Ich kann ihn jederzeit fragen. Das hat mich überrascht und auch sehr gefreut.
Wie die Erfahrungen von Fischereimeiser Andreas Hofer ausgegangen sind, wenn wir seine letzten Satz im Ohr haben: Die Genossenschaft war am Ende. Soll ich aufgeben? Wie es bei Matthias Mayer im alpinen Schisport weitergegangen ist als er wenige Wochen vor dem Saisonstart völlig kraftlos im Rollstuhl saß? Wir werden, liebe Gemeinde, die Antworten auf diese Fragen gleich hören und überrascht sein, was sich in den Netzen des Lebens von Andreas Hofer und Matthias Mayer so alles findet. "Fahr hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!" diese Jesu Worte aus dem Evangelium geben uns heute Morgen Ermutigung.
Geben wir aus dem Vertrauen unseres Glaubens heraus in unserem Leben niemals auf. Werfen wir – im Bild gesprochen – in den großen Zusammenhängen der Welt und in unserem persönlichen Leben immer wieder die Netze aus. Wir können gewiss sein: Gott wird sie reichlich füllen. Es kann manchmal dauern. Aber die Netze werden eines Tages gut gefüllt sein.
Amen