Wegegewirr - Konfirmationspredigt zu Matthäus 7,13–16a von Reiner Kalmbach
Wegegewirr
Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, Verwandte, Freunde, liebe Gemeinde Christi:
In unserem Kirchengesangbuch in Argentinien gibt es ein Lied, dessen Refrain übersetzt so geht: „...alle Wege dieser Welt führen uns zu Gott..“, Es hat eine eingängige Melodie und wird in vielen Gemeinden mit Begeisterung gesungen, ausser in meiner. Ein Kollege sagte mir einmal: „du darfst das nicht so eng sehen, wichtig ist, dass die Menschen mit dem Herzen dabei sind...“.
Wenn ich mir aber die religiöse Strassenkarte unserer Zeit ansehe, dann wird mir schwindelig, da findet sich nicht einmal mein Navi zurecht.
Führen alle diese Wege zu Gott?, gibt es nicht auch Sackgassen, oder gar „Irrwege“, Wege die uns sogar ins Verderben führen können?
Eine Konfirmation ist auch heute noch ein grosses Ereignis im Leben eines jungen Menschen. Es ist schon merkwürdig: ich kann mich noch ganz genau an meine eigene Konfirmation erinnern, das war vor 45 Jahren. Eigentlich nichts besonderes, ein Familienfest, wir lebten damals in einem kleinen Dorf im Schwäbischen. Am Tag vor der Konfirmation schmückten wir Jungs den Weg zur Kirche mit jungen Birken und die Mädchen das Innere der Kirche.
Warum bleibt einem dieses Ereignis im Gedächtnis haften?, wo mir doch in all den Jahren so viele andere Dinge passiert sind, erfreuliche und weniger erfreuliche. Wenn ich aber zurückblicke, und das tue ich in letzter Zeit immer öfter, dann sehe ich einen Weg den ich gegangen bin. Ja, es ist ein Weg, ziemlich schmal, keine Autobahn!, eher ein Pfad, der an manchen Stellen ganz nahe am Abgrund vorbei führt. Nun stehe ich da und bringe nur ein „Gott, bin ich froh!“ zustande, angesichts der Gefahren (die ich erst im Nachhinein erkenne!), in denen mich eine unsichtbare Hand sicher geleitet hat.
Und ob ihr mir glaubt, oder nicht, aber damals, im Gottesdienst, predigte unser Pfarrer über das gleiche Wort, das uns auch heute etwas mit auf den Weg geben will.
Textlesung: Matthäus 7. 13 – 16a
Auf tausend Wegen
Eine der grössten Sorgen die wir uns als Eltern, Grosseltern, Lehrer und sogar Pfarrer machen, ist die, dass unsere Kinder den falschen Weg im Leben einschlagen, dass sie auf „Abwege“ geraten und einer ungewissen Zukunft ausgesetzt sein könnten. Und ich kann euch versichern: diese Sorge ist durchaus berechtigt!
Unser ältester Sohn wurde geboren, als in Tschernobyl das Atomkraftwerk in die Luft flog. Wir wohnten gerade in Heidelberg, als die radioaktiv verseuchte Wolke über uns hinweg zog. Über Wochen und Monate gab es kein frisches Gemüse zu kaufen, keine frische Milch.., Angst und Sorge bedrückten uns... Welchen Weg hat die Menschheit eingeschlagen?! Das Motto heisst: immer mehr, immer schneller, immer bequemer..., wir wollen einfach auf nichts mehr verzichten. Und wir sind bereit einen hohen Preis dafür zu bezahlen, dem Atom-und Fortschrittsgott unsere Gesundheit und die Zukunft unserer Kinder zu opfern. Welchen Wert hat das Leben?, was ist „Leben“?
Aber wir dürfen umschalten: andere Situation, anderer Kontinent, anderes Land: in Patagonien, mitten in der Steppe. Ich besuche einen kleinen Ort, eine der letzten Gemeinschaften der „Tehuelche“, die Ureinwohner Patagoniens. Unsere Kirche unterstützt dort ein kleines Projekt. Frauen versuchen ihre fast schon vergessene Kultur neu zu beleben, sie unterrichten an einer kleinen Schule die Kinder in Tehuelche und bringen ihnen uralte handwerkliche Fähigkeiten bei. Sie verarbeiten die Wolle ihrer Schafe und Guanacos zu wunderschönen gewebten Teppichen. Als wir ankommen spüre ich sofort, dass etwas passiert ist. Nach einigem zögern erzählt mir die Dorfälteste (bei den Tehuelche haben die Frauen das Sagen...), dass sie vor zwei Monaten ihren Sohn verloren hat. Ich möchte wissen, was passiert ist, aber sie schweigt. Am nächsten Tag nimmt sie mich zur Seite, möchte alleine mit mir reden. Sie erzählt, dass ihr Sohn plötzlich Anfälle bekam und unter starken Kopfschmerzen litt. Am Ort gibt es eine kleine Pfingstgemeinde, der Prediger ist selbst ein Tehuelche. Also brachten sie den Sohn zu ihm. Während mehrerer Gottesdienste versuchte der Prediger die Dämonen aus ihrem Sohn zu vertreiben, „...und dann wollte er nicht mehr hin, und es wurde immer schlimmer...“. Nach ein paar Tagen hat man ihn gefunden, Selbstmord.
Noch einmal umschalten: ein junger Mann, 20 Jahre alt, Volontär in einem unserer sozialen Projekte, beliebt bei allen Menschen, hilfsbereit...“ein Mensch der das Böse nicht kennt“, sagte eine Mitarbeiterin. An den Wochenenden zieht er los, mit „Freunden“, er spielt Schlagzeug in einer Rockband, ziemlich gut! Plötzlich merken wir, wie er sich verändert, sich immer mehr in sich selbst zurückzieht. Wir haben praktisch keinen Zugang mehr zu ihm..., es geht sehr schnell, er weigert sich professionelle Hilfe anzunehmen. Er steckt in einer „Sackgasse“, er weiss es, aber der „Paco“, die wohl gefährlichste aller Drogen, hat sein Zerstörungswerk schon zu weit vorangetrieben, „treibt“ ihn in den Selbstmord.
Auf tausend Wegen...
...kann man sich leicht verlieren
Warum erzähle ich euch diese schrecklichen Geschichten?, will ich euch Angst vor dem Leben einjagen? Ganz bestimmt nicht!, das will auch Jesus nicht mit seinen warnenden Worten am Ende der Bergpredigt.
Im Haus meiner Grosseltern hing ein Bild dessen Einzelheiten bei mir als Kind einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Es ist praktisch die gemalte Botschaft unseres Textes: der breite und der schmale Weg. Der breite Weg ist gesäumt von Kneipen, Spielhöllen und Bordellen und führt letztendlich ins Verderben. Der schmale Weg ist kurvig, steinig, unglaublich mühsam führt er nach oben..., aber dort wartet das Leben. Ich habe mich oft gefragt, wie wohl ein moderner Maler dieses Thema darstellen würde.
Haben wir tatsächlich nur die Wahl zwischen einer Autobahn und einem Bergpfad?
Und dann warnt uns Jesus auch noch vor „falschen Propheten, die sich als Schafe ausgeben, in Wirklichkeit an unserem Wohl überhaupt nicht interessiert sind, ganz im Gegenteil!
Vielleicht hilft uns dieser „Zusatz“ weiter.
Wege sind Möglichkeiten, es gibt viele Wege, tausende, aber welcher ist der richtige Weg für mich, für mein Leben...?, wer kann mir Orientierung geben?
Und da sind sie, die „Angebote“..., ja, unsere moderne Gesellschaft mit ihren religiösen Bedürfnissen gleicht tatsächlich einem riesigen Supermarkt: ich nehme mir einen Wagen und spaziere durch die Gänge, ich lade auf, was ich brauche und was ich möchte..., am Ende des „Weges“ komme ich zur Kasse, mein Geld, oder meine Karte machen alles möglich. Und wenn ich genau hinsehe, werde ich feststellen, dass sämtliche Produkte mir etwas besonderes versprechen: das perfekte Leben! Als ob es dies tatsächlich auf dieser Erde gebe...
New Age, charismatische, oder Pfingstbewegung, zurück zu den Mythen, Geisterglaube, Volkskirche oder Freikirche..., jeder kann sich seine eigene Religion zurechtschneidern, und ich werde immer einen „Propheten“ finden, der mir den „Himmel auf Erden“, d.h. die Lösung all meiner Probleme verspricht.
Wahrlich: in diesem Chaos kann man sich leicht verlieren. Es ist das was uns Jesus sagen will, vor dem er uns warnen und bewahren will!
Aber, wie geht das?, aus den vielen Wegen jenen finden, der für mich richtig ist?, aus tausend Wegen...
...den Einen wählen
Unser Wort steht im Schlussteil der sogenannten Bergpredigt. Es ist das Manifest Jesu, sein Programm hier auf Erden. Wer wissen möchte wie Jesus war, wer er war und welches seine Mission hier auf Erden war, dem können wir nur raten die „Bergpredigt“ zu lesen. Was für die Einen ins Reich der Utopie gehört, ist für die Anderen der einzige Weg zu einer friedlicheren Welt. Ohne ins Detail zu gehen, wir „reagieren“, d.h. wir antworten mit „entsprechenden“ Mitteln auf das, was mit uns geschieht. Es ist wirklich wie das Gewinde einer Schraube. Wir kennen diese Situation aus Konflikten in der Familie, unter Freunden, in der Schule, unter Nachbarn (wir müssen gar nicht auf die Völker schauen). Was harmlos und ganz klein beginnt, endet in einer Tragödie...Die Bergpredigt zeigt uns einen anderen Weg, den umgekehrten Weg. Es ist der Weg Jesu, der Weg der bedingungslosen Liebe, Liebe bis zur letzten Konsequenz: das Kreuz ist kein religiöses Symbol, sondern Teil der irdischen Wirklichkeit.
Niemand kann uns ein Leben, eine Zukunft ohne Ängste und Gefahren garantieren. Schmerz und Leid werden uns auf diesem Weg begleiten..., natürlich auch Freude, Zufriedenheit, Erfolg, und auch Liebe!, ja, ganz besonders die Liebe zum Nächsten, Liebe die uns geschenkt ist..., von wem? Von dem der nicht einfach liebt, oder hasst (wie wir Menschen es tun), sondern von dem der die Liebe ist.
Nun soll es noch einmal um den „Weg“ gehen: wie finde ich den für mich vorgezeichneten Weg? Der Konfirmandenunterricht hat nur einen Sinn, wenn er etwas entscheidendes vermittelt: die Kunst der Unterscheidung. Darum geht es Jesus, seine Jünger sollen unterscheiden können..., unter den tausenden von Wegen jenen einschlagen, der es wirklich gut mit ihnen meint: es ist Jesus selbst, ER ist der Weg!
„Gemeinde Christi“, ich habe diese Anrede am Anfang ganz bewusst gewählt. Wir wollen Konfirmation feiern, die Bestätigung dessen, was einst eure Eltern und Paten, ohne euch zu fragen, entschieden haben: wir möchten, dass unser Sohn, unsere Tochter, Teil der christlichen Gemeinde werden. Und das heisst doch im Klartext: ein Leben mit Jesus. Es ist wahrlich der schmale Weg, wer sich für ihn entscheidet, gehört bestimmt nicht zur Mehrheit, die in rasender Geschwindigkeit auf der Autobahn unterwegs ist.
Aber eine Welt ohne diesen (schmalen) Weg wäre eine dunkle Welt, eine verlorene Welt, eine Welt ohne Hoffnung, weil ohne Liebe. Willkommen in der Gemeinde Christi!, hier beginnt euer Weg.
Amen.
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22.2.2015 Leipzig: "Du bist schön"
Liebe Gemeinde hier in der Michaeliskirche und an den Bildschirmen!
Ich schaue in den Spiegel. Auf meiner Glatze liegt ein dunkler Schatten. Was ist das schon wieder, verdammt!? Seit Monaten bekomme ich Che-motherapie, die Haare sind längst ausgefallen. Und jetzt das! Ich streiche panisch über meinen Kopf und begreife: Hey - das sind die neuen Haare, die da wachsen wollen. Sofort schmeiße ich die Perücke in die Ecke und laufe dünn und bleich, aber mit winzigen Igelborsten durch die Stadt. Ich bin schön! Danke, lieber Gott! Mit 29 Jahren habe ich das alles genau so erlebt. Ich bin glücklich. Nach wie vor. Sie sind mir geblieben, die Haare.
Die Schönheit, von der unser Bibelwort spricht, kann schier makellos sein. George Clooney, Nicole Kidmann - hach, sehen die toll aus… Natürlich kann man das auch zum eigenen Partner oder der Freundin sagen. Du bist schön, du hast wunderbare Augen, liebster Mann, hast eine fa-belhafte Figur. Das ist überschwängliche Freude an Gottes Ideenreichtum, die uns und andere so hat werden lassen, wie wir sind.
Aber es wäre viel zu wenig, wenn wir uns allein von Äußerlichkeiten be-geistern ließen. Ich habe eine liebe Freundin, deren Mann eigentlich we-nig von einem Filmstar hat. Er ist unglaublich geistreich, witzig und kann phantastisch mit Sprache umgehen. Und sie sagt: "Was bin ich froh. Dass vorher keine seine Schönheit entdeckt hat und ich ihn bekommen durfte!"
Schönheit ist im Wortsinn Ansichtssache. Wer liebt, der ist entzückt vom Aussehen des anderen, von Körper, Stimme, Bewegungen – von seinem, ihrem Wesen, der ganzen Art. Toll, diese feingliedrigen Hände, die unbe-zähmbaren Augenbrauen! Herrlich, diese Nase mit Aufwärtstrend ... Wer liebt, spielt mit grauen Haarsträhnen, fährt zärtlich Falten nach und streichelt den Bauch, der kein Waschbrett-, dafür ein Waschbärbauch zum zufriedenen Anlehnen ist.
Solch Schönheitssinn kommt auch zurecht mit Krankheiten, mit Gebre-chen. Kommt zurecht mit dem Anderssein des anderen. Ich habe einen kleinen Jungen mit Down-Syndrom getauft. Theo Benjamin heißt er, übersetzt: Gottesgeschenk, Sohn meiner Liebe. Seine bildhübschen Schwestern haben im Gottesdienst "Isn´t he lovely" gesungen, einen Hit vom blinden Soulsänger Stevie Wonder. Ja, er ist entzückend, Theo, mit seinen Juchzern, seiner Freude, seiner Knuddligkeit. Er würde fehlen, gäbe es ihn nicht.
Du bist schön. Ich hab´ Dich gern, wenn deine Augen strahlen oder müde sind und du täglich vor dem Fernseher einschläfst. Du bist schön, auch wenn du nicht stark und wild, sondern schwach und nicht mal zahm bist. Das ist das Geheimnis der Liebe – die Schönheit im anderen, an sich selbst jeden Tag neu zu entdecken. Siehe, meine Freundin, du bist schön. Siehe, mein Freund, du bist lieblich. Das wäre doch mal eine Begrüßung auch des eigenen Spiegelbildes …
"Du bist so schön", flüstern sich Liebende zu. In solchen Augenblicken spielen modische Ideale, plakatierte Versionen davon, wie ein Mensch zu sein habe, keine Rolle. Die Zeilen aus der Bibel sind so sinnlich, dass sie früher flugs auf die Liebe zwischen Gott und Mensch übertragen – und damit ihres erotischen Klanges beraubt wurden. Wie schade! Mann und Frau, so erzählt die Bibel am Anfang, sind ein Fleisch. Sexualität ist eine Gabe Gottes, die machtvoll zur Lebenskraft beiträgt.
Deswegen ist es wichtig, Gott ins Spiel zu bringen. Die Beziehung zu ihm macht es möglich, sich selbst und andere wirklich schön zu finden und nicht runterzumachen. Wir sind nach seinem Bild geschaffen, sind sein Abbild - schön und begabt, nicht vollkommen, aber besonders. Wir ent-falten unsere Gaben oft eindrucksvoll. Zugleich geraten wir immer wieder ins Trudeln. Scheitern. Sehen alt aus. Wir brauchen immer wieder Vergebung und Neuanfänge. Gottes Ebenbild: So dürfen wir uns in unse-rer schönen Unvollkommenheit nennen.
Und es ist eine Verpflichtung. Wir sollen Gott, der uns geschaffen hat, nicht lästern. Andere nicht runtermachen, sondern ihre Schönheit sehen oder aus ihnen herauslieben, auch, aus uns selbst. Ich kenne einen Be-amten einer Justizvollzugsanstalt, der Jugendlichen in der Arbeitsthera-pie handwerkliche Fertigkeiten nahe bringt. Mit Blick darauf, dass sie ein drogen- und gewaltfreies Leben anfangen sollen, bewundert er den Tä-towierer für seine Malkunst, den Schläger für die Geduld beim Bienen-stockbauen und den Junkie für seine Liebe, mit der er Engel aussägt.
Er kitzelt aus den Gefangenen heraus, was sie an Gutem schaffen können – zu ihrer eigenen Überraschung. Vielleicht hilft uns die Einsicht, dass kein Mensch makellos durchs Leben kommt. Jeder trägt Falten, Narben, Wunden auf Körper und Seele, hat Flecken auf der weißen Weste und bleibt Gottes Ebenbild. Wozu wäre himmlische Gnade und vorurteilsfreie Zuneigung gut, wenn man sie nicht dringend bräuchte? Du bist schön! Schluss mit dem Runtermachen!
Mit einer kleinen Zeile unseres Bibelwortes habe ich Schwierigkeiten. Da heißt es: "Wie eine Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Mädchen". Lilie heißt im Hebräischen Shoshannah, Susanne, so, wie ich. Aber warum bezeichnet der Liebste in seinem Überschwang die an-deren als Dornen? Man sollte das Schönsein des geliebten Menschen oder das eigene Selbstbewusstsein nicht auf Kosten anderer feiern. Setzen Sie also gerne auch Rosa, Yasmin, Iris oder Fleur ein… Oder Maike, Karin, Monika, Beate. Sagen Sie Ihren Namen und fühlen sich gemeint!
Du bist schön. Und wenn man selber oder ein anderer das so gar nicht empfindet? Dann hilft es, getrost auf Gott zu schauen. Er wird in dubiose Familienverhältnisse hinein geboren, hat als erste Gäste am hölzernen Himmelbett unterbezahlte Hirten, trifft sich zum Essen mit Aussätzigen, Huren und Zöllnern. Er hat keine Lust auf Rollenfestlegungen, weil die nie den ganzen Menschen zeigen. Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott sieht das Herz an. Er sieht den ganzen Menschen – und darum wer-den auch die Leute anders, mit denen er zu tun hat.
Gott liebt die innere Schönheit heraus. Ein Betrüger wie Zachäus tischt freundlich auf und entdeckt, wie er sein berufliches Leben zum Guten verändern kann. Eine ehemalige Zwangsprostituierte macht ihren Hauptschulabschluss. Du bist schön! Das, was du kannst ist wunderbar. Das neue Fastenmotto nimmt Gott tief ernst. Unsere Fastenaktion gibt einen kräftigen Anstoß, unsere Vorstellungen von einem allseits passen-den, gefälligen Menschen in Frage zu stellen.
Du bist schön – auch wenn du in dich gekehrt und keiner der "Immer-gut-drauf"-Typen bist. Du bist schön, weil du in Streitigkeiten zur Ruhe beiträgst, weil du pfeifst auf das, was "in" ist. Du bist schön, weil du ein Herz hast für die Nöte anderer, weil du gibst und nicht allein nimmst. Wir sind Gottes Söhne und Töchter, von ihm geliebt, bevor wir auch nur einen Fuß auf diese Erde setzen - und nachdem wir sie verlassen haben.
Mit dem Motto unserer diesjährigen Fastenaktion im Ohr kann man ge-trost sämtliche Selbstoptimierungsprogramme zum Sondermüll bringen - und andere mit der Aufforderung verschonen, endlich etwas aus sich zu machen. Die Urheberschaft unseres Lebens ist unstrittig himmlisch, auch wenn wir keine Engel sind - oder selten. Wir sind schon wer! Mehr könn-ten wir gar nicht sein als Gottes Kinder, einer wie die andere und zugleich keine wie der andere. Einmalig, unverwechselbar sind wir - wie wunderbar. Zu wissen, dass Gott die Existenz eines jeden Menschen will und bejaht, stärkt das eigene Selbstbewusstsein.
Und es macht Laune, auch anderen als Ebenbild Gottes zu begegnen: sie in ihrer Vielfalt zu bewundern. Verzichten wir darauf, uns und andere madig zu machen, mit mieser Stimmung unser Leben zu verplempern. Stattdessen können wir aus Gottes genialem Werk tief gehende Lebens-freude schöpfen und die Kraft, das zu ändern, was wirklich geändert werden muss. Menschen sind schön geschaffen als Frau, als Mann, als Kind. Was für eine verblüffende Wonne! Danke, Herr, unser Gott.
Und: Amen.
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Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Christiane Borchers
Liebe Gemeinde!
„Führe mich nicht in Versuchung“, beten wir jeden Sonntag im Vater Unser-Gebet im Gottesdienst. Hier führt Gott in Versuchung. Gleich zu Beginn wird klargestellt, welcher Geist es ist, der Jesus in die Wüste führt. Es ist der Geist Gottes selbst, der zuvor bei der Taufe Jesu im Jordan in Gestalt einer Taube vom Himmel herabkommt. Eine Stimme vom Himmel spricht: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Gibt es denn auch noch andere Geister, als den Heiligen Geist? Oh ja, nach antiker Vorstellung ist die Welt voller Geister, von guten und bösen. Jesus treibt Dämonen aus; Pharisäer diskutieren, aus welchem Geist heraus Jesus handelt. Für sie ist es nicht unbedingt klar, ob der Geist von Gott kommt und er dadurch Vollmacht hat oder ob es böse Geister sind, die vom Beelzebub herrühren. „Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt…“ Da vorher die Taufe war, dürfen wir daraus schließen, dass es der Geist Gottes ist, der ihn versucht. Die Versuchung geht direkt auf Gott zurück. Muss das sein?, frage ich mich. Was ist das für ein Gott, der Menschen in Versuchung führt? Will er sie prüfen, ob sie in der Stunde der Anfechtung standhaft zu ihm halten und sich nicht anderen Mächten unterwerfen? Haben der Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs und Jesus es nötig, sich selbst bestätigen zu lassen?
Die Bibel überliefert noch weitere Versuchungsgeschichten. Abraham soll seinen Sohn opfern. In letzter Sekunde überlegt Gott es sich anders und sendet einen Engel, der ihn von der Tat abhält. Hiob wird versucht. Satan darf ihm alles nehmen, was er hat: seinen ganzen Besitz. Seine Frau und seine Söhne kommen um, Hiob selbst wird mit schwerer Krankheit geschlagen, sodass er des Lebens müde wird. Nach langem Hadern mit Gott und seinem Schicksal findet er letztlich wieder zum Gottvertrauen zurück. In der Hiob-Erzählung scheint es so, als ob Gott zuvor selbst in Versuchung gerät. Der Satan streift auf Erden herum und entdeckt den frommen Mann Hiob. Im Himmel zurückgekehrt tritt er zu Gott. Gott fragt ihn stolz, ob er auf seinen Knecht Hiob achtgehabt hat. Es ist seinesgleichen nicht auf Erden. Hiob ist fromm, rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet alles Böse. „Kein Wunder“, sagt der Satan, „er ist ja auch reich gesegnet mit einer Frau und Söhnen, mit Gesundheit, Hab und Gut. Glaubst du wirklich, dass er dich umsonst fürchtet?“ Gott lässt sich provozieren. Er erlaubt dem Satan, Hiob zu prüfen. Der Satan darf sein Werk ausführen. Zum Schluss wird er nicht die Oberhand behalten, aber er darf bis zu einer von Gott gesetzten Grenze wüten. Satan wird mit Versucher übersetzt, Teufel und Luzifer. Luzifer zeigt seine ursprüngliche Herkunft an. Sein Name ist abgeleitet von lux, Licht. Er gehört ursprünglich zu dem himmlischen Hofstab Gottes, von dem er allerdings abgefallen ist. Er ist kein echter Gegenspieler Gottes, dessen Mächte gleich stark sind. Luzifer gehört zu Gott, seine Macht reicht nur so weit, wie Gott es zulässt. Dann ist ja alles gut, wäre die logische Konsequenz. Dann dürfte es in der Welt kein Unrecht, kein Übel, keinen Hunger, keine böse Krankheit mehr geben. Wir wissen, dass es nicht so ist: Gott lässt viel zu, zu viel, möchten wir klagen und fragen in schweren Anfechtungen: Warum lässt Gott das zu? Eine Antwort werden wir nicht finden. Viel Unrecht und großes Unglück wird ungerechterweise Gott zugeschrieben. Gehen wir der Ursache auf den Grund, so stellt sich oft heraus, dass viel Übel Menschenwerk ist. Aber nicht jedes Unrecht und jedes Unglück lässt sich damit wegerklären. Es bleibt genügend übrig, wo wir vor der ungelösten Frage nach dem „Warum“ stehen.
Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt, damit er vom Teufel versucht würde. Die Wüste ist ein Ort der Kargheit und des Mangels. Nur kundige Menschen, die in der Wüste oder am Rande der Wüste leben, sind in der Lage hier zu überleben. Wer in die Wüste geht, muss sich auskennen; muss wissen, wo Wasserstellen sind, wo noch irgendetwas Essbares wächst; muss sternenkundig sein, damit die Richtung stimmt. Selbst erfahrene Wüstenvölker meiden es, zu weit in die Wüste einzudringen. Sie gehen nur so weit, wie es unbedingt nötig ist. Jesus wird vom Geist in die Wüste geführt. 40 Tage fastet und betet er dort. 40 Tage sind eine lange Zeit. Sich 40 Tage in die Einöde zurückzuziehen, um zu fasten und zu beten, muss anstrengend sein. Wer weiß, welche Gedanken und Visionen einem durch den Kopf gehen? Wird der Verstand klarer, der Körper empfindlicher, der Geist aufmerksamer? Oder schleichen sich Vorstellungen ein, die dem Wahn nahekommen? Ist ein langer Aufenthalt in der Wüste ein Einfallstor für Halluzinationen? Ich nehme an, alles ist möglich. 40 ist eine symbolische Zahl. Die Zahl 40 steht für Vollendung. Es kommt etwas zu seinem Abschluss. 40 Tage regnet es, ehe die Arche sich vom Erdboden erhebt und zu schwimmen beginnt (Gen 7,17); 40 Jahre wandert das Volk Israel, bevor es ins gelobte Land einzieht. 40 Tage und Nächte hält Mose sich auf dem Horeb auf, als er die 10 Gebote empfängt.
Am Ende der 40 Tage, die Jesus in der Wüste verbringt, ist bei ihm ein Entschluss gereift. Von da an beginnt er sein Leben im Bewusstsein seiner Gottessohnschaft. Nach der Wüstenerfahrung berichtet Matthäus von Jesu Wirken in Galiläa. Der Versucher nähert sich ihm. Es wird nicht näher beschrieben, wie der Versucher aussieht. Der Teufel mit Hörnern, Pferdefuß und Schweif ist eine mittelalterliche Vorstellung. Womöglich tritt der Teufel in Gestalt eines freundlichen Menschen auf, der uns vorgaukelt, nur unser Bestes zu wollen, der seine wahren Absichten so gut und lange wie möglich versteckt. Der Versucher nutzt die Notlage Jesu aus. Jemand, der so lange gefastet hat, muss doch Hunger haben. An dieser Schwachstelle will er ihn packen: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Jesus wundert sich nicht, dass er angesprochen wird, wo doch keine Seele weit und breit zuvor zu sehen war. Das gibt es manchmal, wo die Landschaft hügelig ist, dass plötzlich ohne Vorwarnung jemand vor einem steht. Ein Mensch, ein Tier, taucht wie aus dem Nichts unvermittelt auf. Jesus scheint keinen Moment zu zögern. Schlagfertig antwortet er auf das Wort Gottes, auf die Tora. Davon lebt der Mensch, von Gott und seinem Wort, und nicht vom Brot allein. Hören wir genau hin: Jesus sagt nicht, dass das Brot nicht nötig ist. Ein Mensch braucht Nahrung, damit er satt wird. Das zieht er nicht in Zweifel und tut nicht so, als ob das zweitrangig wäre. Aber ohne Gottes Wort und seine gnädige Zuwendung könnten wir keinen Tag existieren. Ist das nicht eine Verlockung, aus Steinen Brot zu machen? Ist Jesus nicht weltfremd, wenn er die Möglichkeit, aus Steinen Brot zu machen, ablehnt? Was sagen die Hungernden dazu, wenn Jesus dieses großzügige Angebot ablehnt? Viele leben in Armut und bitterer Not. Sie haben zu viel Steine und zu wenig Brot.
Die Wüstenzeit nähert sich ihrem Ende. Kurz vor Schluss will Luzifer es ein zweites Mal versuchen, ob er den Gottessohn nicht doch dazu bewegen kann, von Gott loszulassen. Er führt ihn nach Jerusalem, in die heilige Stadt, und stellt ihn auf die Zinne des Tempels. Jesus geht bereitwillig mit, lässt sich vom Teufel führen. Ist er sich so sicher, dass er ihm nichts anhaben kann? Dass er einmal der Versuchung widerstanden hat, heißt nicht, dass er jedes Mal widersteht, denn so schnell gibt der Teufel nicht auf. In Gethsemane im Angesicht des nahen Todes fleht Jesus inbrünstig, dass Gott diesen Kelch an ihm vorübergehen lassen möge. Verstehen kann ich das.
Dort steht er, der prächtige Tempel mitten in der Altstadt von Jerusalem. Die hohen Mauern mit den hellen dicken Steinen leuchten im Sonnenlicht. Die Zinne reicht hoch in den Himmel. Susanna hat ihren Korb unter den Arm geklemmt und ist unterwegs zum Markt. Buntes Treiben herrscht in der Innenstadt. Händler preisen ihre Waren an, Eselskarren transportieren frisches Obst und Gemüse, fromme Juden mit schwarzem Hut und Schläfenlocken eilen durch die Gassen. Susannas Blick fällt nach oben auf die Tempelspitze. Täuscht sie sich oder steht da einer? Sie bleibt stehen, kneift ihre Augen zusammen, um deutlicher zu sehen. Tatsächlich: Da steht einer hoch oben auf der Zinne des Tempels. Andere haben das inzwischen auch bemerkt. Eine Traube von Neugierigen und Sensationslüsternen bildet sich in Windeseile. Bei genauem Hinsehen entdeckt Susanna hoch oben noch einen Zweiten. Was machen die beiden da oben? Der eine könnte ein Rabbi sein, der andere ist schwer auszumachen. Fechten die beiden dort oben einen Machtkampf aus? Diskutieren sie über die Tora? Hoffentlich passiert da oben nicht ein Unglück. Lange blickt sie nach oben, jedoch es tut sich nichts. „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich herab“, redet Luzifer auf Jesus ein. Du weißt doch, was in der Tora steht: Er wird seinen Engeln Befehl geben, sie werden dich auf Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“ Der Teufel kennt sich aus in der Tora, er ist sogar religiös geworden und argumentiert mit der Bibel. Jesus fällt darauf nicht herein. Wahrscheinlich sieht er auch keinen Sinn darin, Gott herauszufordern. Wem wäre damit gedient, wenn er mutwillig ein Risiko einginge? Gott lässt sich nicht zwingen. Jesus geht lieber zu Fuß wieder die Tempeltreppe herunter, als sich herunterzustürzen. Warum den Leuten die Sensationslust stillen? Einen anderen Sinn als diesen kann er darin nicht entdecken. Diese Versuchung ist keine echte Versuchung für ihn. Er hat lediglich den schönen Blick von der Zinne genossen. Etwas anderes ist ihm von vornherein nicht in den Sinn gekommen. Die Menge unten hat sich inzwischen verlaufen, es gibt doch nichts Aufregendes zu sehen. Susanna setzt ihren Weg zum Markt fort. Merkwürdig, denkt sie, was sich dort oben abgespielt hat. Sie kann es nicht richtig einordnen. Sie wird später zu den Frauen gehören, die Jesus gefolgt sind, die bei ihm geblieben sind (vgl. Lk 8,3f). Aber das weiß sie jetzt noch nicht.
Der Teufel ist hartnäckig, Jesus lässt sich weiter bereitwillig von ihm führen. Der Teufel führt ihn auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit. „Das alles will ich dir geben“, spricht der Teufel und breitet seine Arme aus, „wenn du niederkniest und mich anbetest.“ Der Blick vom Berg ist wunderschön. Fruchtbare Ebenen tun sich auf, Dattelpalmen und Obstplantagen. Von hier aus können sie sogar das Meer sehen. Wer wollte da nicht schwach werden? Wer wollte da nicht genießen? Wer wollte da nicht, dass dies alles ihm gehörte! Jesus hat gerade sein 40-tägiges Fasten hinter sich. Das grüne fruchtbare Land mit seinen Wasserquellen wirkt umso faszinierender auf ihn. Jesus blickt in die Ferne, dann sieht er dem Versucher direkt in die Augen und sagt: „Weg mit dir, Satan. Du sollst Gott allein dienen.“ Jesus hat der stärksten Versuchung, Macht zu gewinnen, widerstanden. Darum geht es dem Teufel, er soll ihm dienen und ihn als den Mächtigen der Welt anerkennen. Ein kurzer Kniefall, ein kurzes Ja-Sagen, was bedeutet das schon. So schwer kann das doch nicht sein. Es sieht ja auch keiner, sie sind hier ganz allein, niemand schaut zu, niemand hört ein Wort. Jesus lässt sich nicht beirren, hält fest an dem, woran er glaubt, lässt seine Überzeugungen nicht los. Gott allein hat Worte des Lebens; ihm zu folgen, ist sein Ziel. Endlich gibt der Teufel auf. Für dieses Mal hat er genug. Er hat den Kürzeren gezogen und macht sich aus dem Staub. Siehe, da treten Engel zu Jesus und dienen ihm. Jesus hat die Prüfung bestanden. Er geht seinen Weg ins Leben.
Die Personen in dieser Geschichte sind bis auf Jesus, der ja real gelebt hat, mythologische Gestalten, Gestalten also, die nicht real gelebt haben: der Teufel, die Engel, der Geist. Sie haben aber durchaus Bedeutung. Wir glauben zwar nicht an den personifizierten Teufel, was aber nicht heißt, dass es nicht teuflisch und verführerisch in der Welt zugehen kann. Der Teufel steht für das Böse schlechthin.
Im Kasperletheater ist der Teufel immer der Böse, der die Dinge durcheinanderbringt. Durch seine Verwirrung bringt er Leben in das Stück. Am Ende jedoch gewinnt immer der Kasper. Er ist der Gute. Der Kasper und der Polizist sorgen dafür, dass die Geschichte gut ausgeht. Auch in der Versuchungsgeschichte brauchen wir uns um Jesus keine Sorgen zu machen. Am Anfang steht Gottes Geist, am Ende seine Engel.
Mir kommt die Versuchungsgeschichte wie eine Initiation vor: Der Jüngling im Märchen verlässt sein Elternhaus, geht in die Welt, wird vor Herausforderungen gestellt. Nach bestandenen Prüfungen darf er die Prinzessin heiraten. Nun heiratet Jesus nicht, ihm dienen Engel, aber Teile eines Initiationsritus lassen sich wiedererkennen. Jesus ist durch die Wüstenzeit und durch die Prüfungen des Versuchers bereit für seine Aufgaben als Gottessohn in der Welt. Gestärkt geht er aus der Krise hervor, sich seines Gottes gewiss, der ihn nicht fallen lässt. In der tiefsten Anfechtung steht er ihm bei, in der Versuchung, einen anderen Weg zu gehen als jenen, den Gott für ihn vorgesehen hat; er gibt ihm die Kraft dazu, zu widerstehen und sich nicht irreführen zu lassen. Die Welt hält uns Verlockungen und Versuchungen vor die Nase. Es ist leichter den Weg des kurzfristigen Gewinns auf Kosten vieler zu gehen. Es ist leichter, sich von der Macht blenden zu lassen und sie auszuüben, als in Demut und Ehrfurcht vor Gott und seiner Schöpfung das eigene Leben zu führen. Es ist leichter Ja zu sagen zu den teuflischen Versuchungen, die Armen arm sein zu lassen und sich selbst den Bauch voll zu schlagen auf Kosten vieler. Es ist leichter, viel und billiges Fleisch zu essen, als für eine artgerechte Tierhaltung einzutreten. Versuchungen gibt es viele, der Teufel ist unterwegs und lacht sich überall dort ins Fäustchen, wo Leben missachtet und mit Füßen getreten wird.
„Meinst du“, fordert der Teufel Gott heraus, „dass Hiob Gott umsonst fürchtet? Er fürchtet dich doch nur, weil du ihn reich gesegnet hast.“ - Auch wir sind reich gesegnet. Jesus hat es uns vorgelebt, was es bedeutet, Gottes Sohn zu sein. Wir sind nicht Jesus selbst mit seiner Geschichte. Wir leben in seiner Nachfolge. Als Kinder Gottes treten wir ein für das Leben in Frieden und Gerechtigkeit, damit das Böse keine Macht bekommt. Amen.
EG, Nr. 295,1-4: Wohl denen, die da wandeln…
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Machtspiele - Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Manfred Wussow
Machtspiele
Dienstag, 17. Februar 2015, 14:49 Uhr:
Die deutsche Presseagentur – dpa – meldet:
„Debalzewo - Die Aufständischen in der Ostukraine haben die strategisch wichtige Stadt Debalzewo nach eigenen Angaben "zu 80 Prozent" eingenommen.
"Nur ein paar Wohnviertel sind noch übrig, dann haben wir den Ort völlig unter Kontrolle", sagte Separatistensprecher Eduard Bassurin am Dienstag in Donezk.
Die Gefechte gelten als massiver Verstoß gegen ein erst vor wenigen Tagen in Minsk geschlossenes Friedensabkommen. Demnach sollten die Konfliktparteien eigentlich ihre schweren Waffen aus dem Donbass abziehen.“
Ich lese die dpa-Meldung, als ich mein e-mail Postfach öffne. Sachlich ist sie, unbestechlich. Eine Nachricht – unter vielen. Aber was macht sie mit mir? Was mache ich mit ihr? Ich fiebere bei jeder Friedensbemühung mit, ich bin enttäuscht, wenn sie wieder einmal keine Chance bekommt, ich sehe die Felle schwimmen. Durchschauen kann ich sie nicht – die Machtspiele. Die Drohgebärden. Die Schuldzuschreibungen. Gewalt windet sich, wächst in Spiralen. Die Propaganda vernebelt, kunstvoll rational verhüllt. Am Ende darf nicht mehr klar sein, wer Freund, wer Feind ist – wer angefangen hat, wer sich wehren musste – wer rechtzeitig gewarnt hat, wer überfallen wurde. Viele Menschen sterben. Viele trauern.Wird der Frieden auf der Strecke bleiben? Geopfert werden? Geopfert werden müssen? Wie die Wahrheit, die auf der Strecke bleibt?
Beim Lesen meiner e-mails huscht mir durch den Kopf, wie groß doch die Versuchung sein muss, (wieder) in Machtblöcken zu denken, Einflussshären abzugrenzen, Nationalitäten zu definieren – und Menschen gegeneinander aufzubringen. Pflöcke werden eingeschlagen, um später Rechtsansprüche aus ihnen ableiten zu können. Nennen wir es die Gunst der Stunde, die herbei gezwungen wird, nennen wir es „Kriegsglück“ - für Macht verkaufen Menschen sogar ihre Seelen – und die fremden, die anderen gleich mit. Doch Hass sät neuen Hass … Kein Ende in Sicht!
Widerspruch
Hat mein Freund, Matthäus, eigentlich gewusst, dass uns das Thema bewegt, bedrängt? Jedenfalls erzählt er uns heute, 22. Februar 2015, unerwartet eine Geschichte, die von einem ungewöhnlichen Traum, von einem ungewöhnlichen Weg erzählt.
Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.
Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels
6und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit
und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
(Mt. 4,1-11)
Der Traum – bleiben wir einmal bei diesem Wort - beginnt in einer Wüste, schwingt sich auf die Zinne des Tempels in der Heiligen Stadt, Jerusalem, und landet auf einem „sehr hohen Berg“. Das alles dann auch noch an einem Tag. Oder war es eine Nacht? Die Szenen verlaufen wie Aquarell- Farben. So schnell kann man kaum noch schauen. Geschweige denn aufpassen. Unheimlich und gefährlich sind alle drei Orte: die Wüste, die Tempelzinne und der hohe Berg – ist es wirklich ein Traum? Ein Albtraum? Matthäus erzählt nicht, dass Jesus schweißnass aufwacht, wohl aber, dass er jetzt seinen Weg kennt – und geht. Gehen kann.
Klärung
Die Geschichte, die Matthäus erzählt, ist faszinierend: Sie erzählt von Jesus, der seinen eigenen Weg sucht, noch sucht – den Weg des Messias. Er hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen. In eine Wüste. Vierzig Tage sind auch kein Pappenstiel. Aber vierzig Tage erinnern an die Prüfungszeit Israels, die – nur eine kleine Nebensächlichkeit – vierzig Jahre betragen haben soll. Gemeint ist eine Zeit der Reifung, eine Zeit der Klärung. Auch Jesus fängt klein an – wie einer, der sich entdecken muss. Der seine Identität findet. Der wird, was er sein soll: Messias. Oder griechisch: Christus.
Früher dachte ich, Jesus sei von Anfang an fertig gewesen – heute bin ich glücklich, dass auch er seinen Weg sucht – und findet. Es ist der Geist, der Geist Gottes, der Jesus auf Trapp bringt. Lehrstück Nr. 1 – sozusagen.
Neuer (oder auch alter) Bekannter ist der Teufel. Er nimmt Jesus mit auf einen sehr hohen Berg. Betont: sehr hoch! Ein Hügel tut’s hier nicht. Es muss der Weltenberg sein. Dort oben, ganz oben, sind die beiden allein. Aber auch dem Himmel ganz nah … Ob der Teufel weiß, in welcher gefährlichen Höhe er sich bewegt? Ob er ahnt, wem er hier gefährlich nahe kommt? Gipfeltreffen können wir nennen, was jetzt geschieht, was auf die Spitze getrieben wird – und zerfällt. Jesus soll alle Reiche der Welt und ihre Schönheiten sehen. Ein herrlicher Blick! Es ist ein Blick, der ausgekostet werden muss. Ein Panorama sondergleichen. Die Welt liegt Jesus zu Füßen. Oder wird sie ihm vor die Füße gelegt? Der Teufel will seine letzte Karte ausspielen – er setzt auch alles auf eine Karte: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest“. Eine kleine Geste nur, nicht der Rede wert – für ein so großes Geschenk? Wir ahnen, wie vergiftet das Angebot ist. Jesus sagt dann auch: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Diese kleine Szene aus Rede und Gegenrede – es reicht jeweils ein Satz – spielt mit der Sehnsucht nach der Weltherrschaft, der Sehnsucht nach Macht, der Sehnsucht danach, „ganz oben zu sein“. Der Teufel ist ein begnadeter Seelenkenner – und ein Spieler dazu. Er spielt mit Gefühlen und Träumen, mit Minderwertigkeitskomplexen und Allmachtsphantasien. Doch: Kann der Teufel geben, was ihm nicht gehört? Was ihm noch nie gehörte? Nie gehören wird? Hier, ganz oben auf dem Berg, wird der Teufel entlarvt – der Zauberer verliert sein Gesicht. Hier oben auf dem hohen Berg ist die Luft dünn – und die Welt unnahbar weit weg – und das Leben so erbärmlich klein wie ein Gipfelplateau. Aber: Gott ist nahe. In Sichtweite. Auf Rufweite. Gegenwärtig in – einem Wort. »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Jesus sieht die Welt mit ihren Schönheiten – als Schöpfung Gottes. Aber er sieht auch die Verlorenheit, das Leiden der Menschen. Er sieht die Wunden der Natur. Er sieht die verwickelten und verwinkelten Geschichten – jetzt geht er nach unten. Er geht zu den Menschen. Er liebt die Menschen. Sein Weg ist jetzt klar: Er wird nach Jerusalem gehen. Dort wird der Menschensohn, wie er sich nennt, wie er genannt wird, leiden – am dritten Tag aber auferstehen. In seiner Verteidigungsrede wird Jesus sagen, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist … Dann wird er als „König“ ans Kreuz geschlagen.
Von dem Abstieg Jesu erzählt Matthäus darum direkt nach der Geschichte von der Versuchung Jesu – und von dem hellen Licht, das sich jetzt breitmacht, ausbreitet:
Und Jesus verließ Nazareth – so Matthäus - , kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali,
damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23; 9,1):
»Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa,
das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.«
Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“
Von Finsternis ist die Rede, von Schatten des Todes – und von einem großen Licht, das aufgegangen ist. Jetzt können Menschen aufbrechen, umkehren, noch einmal neu anfangen. Auch ein Macht-Spiel. In ihm gewinnt das Leben. Die Zukunft. Gottes Reich – Gottes Recht. Nahe herbeigekommen! Nahe! Herbeigekommen!
Versuchung
Wir nennen die Geschichte, die Matthäus – ziemlich am Anfang seines Evangeliums – erzählt, eine Versuchungsgeschichte. Jesus soll auch – wörtlich – vom Teufel versucht werden. Jesus wird in eine Situation gebracht, in der er dem größten Widersacher – im Leben von Menschen – ausgeliefert wird. Wir sind gespannt, wie er damit fertig wird!
In dem Wort „Versuchung“ stecken die Worte „Suche“ und „Versuche“, Worte, die wir kennen, die uns vertraut sind. Suche wie Versuche sind nicht einmal auf Lebensalter aufzuteilen oder abzuschließen. Glücklich ist der Mensch, der immer noch Versuche frei hat! Der sich auf die Suche machen kann.
Oscar Wilde (1854 - 1900), eigentlich Oscar Fingal O'Flahertie Wills, irischer Lyriker, Dramatiker und Bühnenautor, meint:
I can resist everything except temptation - etwa: Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht.
Christian Morgenstern (1871 - 1914) weiß:
„Nur in Versuchungen immer wieder fallend, erheben wir uns.“
Und Giovanni Guareschi (1908–1968), italienischer Journalist und Schriftsteller, fügt – vielleicht ein wenig schmunzelnd - hinzu:
„Manch einer, der vor der Versuchung flieht, hofft doch heimlich, dass sie ihn einholt.“
Alles kluge Sentenzen, aus dem Leben gegriffen. Aber nicht jede Versuchung ist so zart – wie Schokolade. Versuchungen können tödlich ausgehen. Versuchungen können das Leben zur Hölle machen. Versuchungen können uns die Seele rauben.
Von dem Teufel reden wir übrigens nicht mehr. Es gibt ihn nicht – mehr. Oder doch? Wer vom Teufel redet, wieder reden kann, gibt dem Bösen ein Gesicht, eine Gestalt – und kann mit ihm kämpfen. Mein Freund Matthäus ist da sehr unbefangen – und viel moderner als gedacht. Das ist doch eine tolle Szene da oben auf dem Berg! Ich verrenke mir den Kopf – so hoch kann ich nicht gucken. Wie gut, dass Jesus runter kommt! Ich will ihn hören, ich will ihm folgen!
Von den Steinen in der Wüste und von der Zinne des Tempels möchte ich jetzt nichts erzählen. Uns läuft auch die Zeit weg. Aber wir hören Rede und Gegenrede, wir hören, wie ein Wort das andere gibt. Jesus wächst das letzte Wort zu! Er findet seinen Weg – in der Schrift. In der Schrift Israels. Wir müssen, wir dürfen sie nicht „alt“ nennen – Gott ist der Vater Jesu. Mit Zitaten, mit Rezitation, wird der Teufel gefangen. Nur – mit Zitaten, mit Rezitation! Dem Teufel bleiben nicht einmal mehr Ausreden.
Die Welt geht neu auf in dem Wort. »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Es tut gut – und macht gut -, unsere Versuchungsgeschichten als Klärungsgeschichten, als Findungsgeschichten zu verstehen. Der Geist Gottes hat gewiss seine Finger im Spiel! Auch bei uns.
Am Ende treten Engel in unser Leben. Ob sie uns auch – dienen? Matthäus legt da so eine Spur …
Zumindest: wir sind in guter Gesellschaft!
Invokavit
Heute ist der 22. Februar 2015. Ein Tag des Herrn! Der Sonntag trägt den Namen Invokavit. Der 91. Psalm steht an ihm Pate. : "Invocavit me, et ergo exaudiam eum" – auf deutsch:
„Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören“ – und weiter:
„Ich bin bei ihm in der Not; ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen“ (Ps 91, 15).
Der Wochenspruch bringt es auf den Punkt:
Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre. (1. Joh 3, 8b).
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn
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Durch Versuchung zum Erfolg?! - Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Agnes Schmidt-Koeber
Durch Versuchung zum Erfolg?!
Liebe Gemeinde,
eines der Themen, das ich in den in den letzten Tagen seit Aschermittwoch wahrgenommen habe, ist das Fasten.
Fasten – von der „schnellen Diät“ bis hin zum Einstieg in einen grundlegenden Lebenswandel ist so ziemlich alles dabei: Kraft tanken, entschlacken, auf andere Gedanken kommen, mit sich selbst allein sein, die eigenen Gedanken einer Reinigung unterziehen … Entscheidend dabei ist der eigene Antrieb, der eigene Wille zu einer Veränderung.
Wenn eine Veränderung angestrebt und diszipliniert angegangen wird, kommt es dennoch vor, dass nicht der erwünschte Erfolg sich einstellt. Aber etwas anderes, was zunächst wenig Freude bereitet.
Wer Erfolg haben will, muss einiges auf sich nehmen und diszipliniert daraufhin arbeiten.
Wenn’s anders kommt, als erwartet, ist das keineswegs MissErfolg. Der zweite, sachliche Blick deckt auf, dass Erfolg auch anders aussehen kann, als man ihn sich vorstellt.
Ein treuer Begleiter auf dem Weg zum Erfolg ist die Versuchung. Sie ist allgegenwärtig. Ein paar Beispiele:
Sich etwas aneignen, was einem nicht zusteht.
Oder: wer meint, sich behaupten zu müssen, stellt sich besser dar, als er/sie ist und macht sich und anderen was vor (was später dann Schwierigkeiten nach sich zieht).
Ist das angestrebte Ziel eine gesündere Ernährungsweise, stellen Naschwerk und Genussmittel eine Versuchung dar.
Ist das angestrebte Ziel, einen einflussreichen Posten innerhalb der Firma zu bekommen – so ist es die Wiedergabe und Weitergabe von vertraulichen Inhalten oder Missbrauch von Vertrauen und Kompetenzen.
Lebt man in einer Beziehung, die gerade stürmische Zeiten durchmacht, so ist die Versuchung groß, sich auf eine neue, vermeintlich unbelastete, aber gefährliche, ungesunde, unmoralische Beziehung einzulassen…
Wenn ich jedoch das Wort „Versuchung“ höre, gehen meine Gedanken ins NT, zum heutigen Evangelium:
Lesung aus dem Matthäusevangelium 4,1-11
Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.
Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels
und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«
Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«
Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit
und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.
Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«
Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Der Gottessohn, der wahre Mensch und wahre Gott Jesus Christus, wird vom Teufel in der Wüste versucht. Eine der eindrücklichsten Schilderungen des NT, meisterhaft in Szene gesetzt.
Lassen Sie uns den Kontext betrachten, in dem sich dieser Bibelabschnitt befindet: Ende des 3. Kapitels lesen wir „Eine Stimme vom Himmel herab sprach: dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Und weiter: Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt. Der hintere Rahmen ist der Anfang des Wirkens Jesu. Eigentlich könnte man – rein dramaturgisch gesehen – auf diese Episode verzichten.
Als Heranwachsende war mir unverständlich, wieso der allmächtige Gott das zulässt, kurz nachdem er ihn coram publico als seinen geliebten Sohn vorgestellt hat.
Diese Bibelstelle ist mir heute nicht nur eine große Hilfe, wenn die Theodizeefrage innerhalb christlicher Gruppen gestellt wird, sondern sie ist wichtig für christologische Auseinandersetzungen (die im Lauf der Kirchengeschichte stattfanden). Hier wird deutlich, dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, kein Gottmensch, kein Magier, kein politischer Messias. Die Versuchungen sind Merkmale seines Mensch-Seins: nur den eigenen Interessen dienen, Selbstvergewisserung durch Grenzüberschreitungen und Streben nach absoluter Macht.
Das Durchhalten von vierzig Tagen Fasten und das Überwinden des Satans erweisen seine Göttlichkeit.
Er kann kein durchschnittlicher Mensch sein – der wäre wohl angesichts der Situation der Versuchung erlegen.
Was Jesus da erlebt, sieht nicht nach einer zufällig lauernden Versuchung aus, sondern nach einem gottgewollten und vom Geist umgesetzten Vorgehen.
Hier erweist sich Jesus Christus als Sohn Gottes, der dem Wort Gottes gegenüber gehorsam ist, der im und aus dem Vertrauen auf den himmlischen Vater lebt und handelt. Was ihn während der vierzig Tage am Leben gehalten hat und was ihm auch in der Begegnung mit dem Bösen hilft, ist das Wort Gottes, es ist seine verlässliche Basis, er verliert so seinen Auftrag nicht aus dem Blick, als das Böse versucht seiner habhaft zu werden. Er geht erfolgreich aus der Auseinandersetzung hervor.
Nach vierzig Tagen fasten mag der Körper etwas matt und kraftlos sein – der Geist jedoch nicht. Fasten stärkt den Willen, Fasten heißt jedoch nicht Verzicht auf jegliche Nahrung: der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort aus dem Mund Gottes. Gottes Wort stärkt, Gottes Wort gibt Kraft und Mut und führt zum Erfolg.
Erfolg haben durch Versuchung.
Was man sich als „normaler Mensch“ als schlimme Gefahr vorstellt oder befürchtet, ist in Wirklichkeit Prüfstein für die Ernsthaftigkeit des Vorhabens, es stellt heraus, ob es dem Betreiber um die Sache oder um sich selbst geht.
Der Versuchung widerstehen, eine vermeintliche Abkürzung auf dem Weg zum Erfolg zu nehmen, lohnt sich.
Ein Beispiel, das mich sehr gefreut und auch beeindruckt hat: Im Herbst 2014 fanden im EU-Land Rumänien Präsidentschaftswahlen statt. Der Präsident wird vom Volk direkt gewählt. Ein unwürdiger Wahlkampf um das Amt des Staatspräsidenten ging voran.
Es traten eine ganze Reihe von Kandidatinnen und Kandidaten an. Reelle Chancen wurden zwei Männern eingeräumt: der Regierungschef strebte nach dem höchsten Amt, und ein gradliniger Bürgermeister einer blühenden Großstadt, der erfolgreich gegen Korruption und Vetternwirtschaft gewirkt hatte.
Der Regierungschef, Vorsitzender der kommunistischen Nachfolgepartei, arbeitete mit allen nur denkbaren Winkelzügen, Vetternwirtschaft und unrealistischen Wahlversprechen auf sein Vorhaben hin. Als absehbar war, dass die Wählerschaft skeptisch bleibt, wurde der Wahlkampf zunehmend unfair: Angriffe auf den bürgerlich-konservativen Bürgermeister waren an der Tagesordnung: seine Zugehörigkeit zu einer verschwindenden (deutschen) Minderheit bzw. der kleinen evangelischen Kirche, die ungewollte Kinderlosigkeit, Verleumdungs- und Schmutzkampagnen, Verängstigung der Wählerschaft durch Verbreitung von Lügen… für nichts von all diesem war sich der junge Regierungschef und seine Partei zu schade. Kenner der politischen Szene des Landes gaben die Wahl für den konservativen Kandidaten verloren und schienen im ersten Durchgang auch Recht zu bekommen.
Dem Bürgermeister wurde von seinen Parteikollegen intensiv nahegelegt, sich zu wehren und mit den gleichen Mitteln zu kämpfen – Munition hätte es zur Genüge gegeben (Plagiat, Vetternwirtschaft, fragwürdige Amnestien, Behinderung der Justiz, Lügen…). Der Bürgermeister blieb bei seiner sauberen Strategie, die Wählerschaft mit seinem einfachen Programm zu überzeugen und seinem Versprechen, anders Politik machen zu wollen. Er nahm lieber in Kauf, die Wahl zu verlieren.
Es kam die Stichwahl und das Unwahrscheinliche geschah: der Bürgermeister gewann haushoch, der Abstand zwischen den beiden Kandidaten betrug deutliche 10%.
Wer diesen Mann nicht kennt, vermutet Taktik hinter seiner Verweigerung, den Gegner mit dessen Schmutz zu bewerfen. Wer dem ehemaligen Physiklehrer aber begegnet ist, weiß, dass er wirklich so ist: unbestechlich, gradlinig, mit hohen moralischen Standards. Der sein Christentum lebt, indem er beispielsweise auch unter den extremen Bedingungen eines balkanischen Wahlkampfes sich an die Gebote hält und sein Christentum nicht medienwirksam zur Schau stellt.
Auf dem Weg zum Erfolg durchschreitet man auch durch tiefe, dunkle Täler. Wer ein klares, lauteres Ziel vor Augen hat und inneren Halt, der wird erfolgreich sein. Für Christen ist Halt z.B. in der Gemeinschaft und im Wort Gottes zu finden.
Auf dem Weg zum Erfolg kommt voran, wer der Versuchung ins Auge blickt und sich in Frage stellen lässt, wer sie nicht scheut.
Erfolgreiches Leben ist für mich, wenn man sich den Herausforderungen des Lebens nicht entzogen, sondern sich ihnen gestellt hat. Wenn man nach dem Hinfallen wieder aufsteht, wenn man das Ziel seines Lebens, die Ewigkeit, nicht aus den Augen verliert. Erlebte Versuchung schärft den Blick. Überwundene Versuchung macht dankbar und demütig.
Ja, durch Versuchung zu einem erfolgreichen Leben kommen – was uns Jesus Christus vorlebt, ist auch für uns möglich – möge es uns allen als erstrebens- und nachahmenswert erscheinen. Unser Wille und unsere eigenen Kräfte sind sehr begrenzt. Die benötigten Kräfte erwachsen aus der Verbundenheit mit der Kraftquelle unseres Lebens: Gott, wie er sich uns in seinem Wort durch seinen Geist schenkt.
Sei es jetzt in der Fastenzeit, sei es zu jedem beliebigen Zeitpunkt. Amen
Literatur: Ulrich LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, Band 1, EKK, Zürich, Düsseldorf, Neukirchen-Vluyn 1997
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Jesus und die Gefahr der Korrumpierbarkeit des Menschen - Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Jens Junginger
Jesus und die Gefahr der Korrumpierbarkeit des Menschen
kennen Sie das auch? Da stecken auf einmal Kataloge im Briefkasten, die man nie angefordert hat, mit der persönlichen Anschrift versehen.
Anzeigen tauchen ungefragt auf dem Bildschirm auf, mit Appartements in Regionen, die einem vertraut sind. Bilder von Produkten, die tatsächlich meinem Geschmack entsprechen, werden mir da als Schnäppchen vorgehalten.
Wer hat mich da ausspioniert?
Wer will mir Lust auf Einkauf und Konsum machen?
Wer führt mich da in Versuchung?
Es ist mir unheimlich.
Ich werde offenbar beobachtet. Ich werde regelrecht vermessen.
Und nicht nur das. Eine unsichtbare Hand legt mir Angebote vor die Nase!
„Algos“ werden sie genannt, habe ich mir sagen lassen. Algorithmen.
Sie vermessen Daten, die von mir übers Internet erfasst werden und werten sie aus.
Mit ihrer Hilfe werden Anreize erzeugt und Versuchungen aufgetischt.
Was für eine unsichtbare Macht ist hier am Werk?
Im Namen einer Religion werden Menschen massakriert, erniedrigt und unterworfen. Eine Religion, die den Frieden will, wird für Böses missbraucht.
Junge Menschen werden indoktriniert.
Selbst eine islamische Pädagogin kann sich nicht erklären was mit ihren früheren Schülern passiert sein muss, dass sich von Hasspredigern und Aufpeitschern für den bestialischen Kampf haben einfangen lassen?
Was für Mächte sind hier am Werk, die ganz und gar nichts Gutes wollen, aber Herzen und Hirne von Menschen begeistern, beherrschen und zum Töten und Abschlachten anleiten?
Mir fällt auf, erzählte kürzlich jemand, bei uns im Betrieb sind es eigentlich nur noch wir, die über 40 Jährigen, die aufeinander schauen, Sorge füreinander tragen und auch mal die Schwächen untereinander ausgleichen.
Die Jüngeren, schauen nach sich, ausschließlich nach ihrem persönlichen Vorteil und eben nach dem Geld. Da ist etwas anders geworden. Das sind zwei verschiedene Welten. Das finde ich traurig. Die sind irgendwie von anderen Werten und Idealen geprägt.
Was ist es, das die Jüngeren so anders, so kalkulierend gemacht hat?
Unsichtbare gottferne Mächte sind es für Paulus, die da wirken (Vgl. Römer 8)
Die Philosophin Hannah Arendt war eine derjenigen, die sich nach dem Naziterror auf die Suche nach Erklärungen gemacht hat, wie Menschen dazu verführt werden konnten derart unmenschlich und böse zu handeln, wie es in den KZs passiert ist.
In der Bibel hat diese Macht den Namen Satans bzw. „diabolos“. Das ist wörtlich der Durcheinanderbringer. Luther hat diesen Begriff mit „Teufel“ übersetzt.
Als Versucher, Verführer, als Feind Gottes und Herrscher der gottfernen Welt tritt er in den biblischen Erzählungen in Erscheinung.
In der folgenden Szene tritt diese Macht auch Jesus gegenüber. Als Figur, so wie Mephisto in Goethes Faust. Als der, der Jesus auf seine Korrumpierbarkeit überprüft, in dem er ihn mit drei Versuchen aufs auf‘s Glatteis zu führen versucht.
1Danach [d.i. nach seiner Taufe] wurde Jesus vom Geist [der Kraft Gottes] in die Wüste geführt.
Dort sollte er vom Teufel auf die Probe gestellt werden.
2Jesus fastete vierzig Tage und vierzig Nächte lang.
Dann war er sehr hungrig.
3Da kam der Versucher
und sagte zu ihm:
"Wenn du der Sohn Gottes bist,
befiehl doch,
dass die Steine hier zu Brot werden!"
4Jesus aber antwortete ihm:
"In der Heiligen Schrift steht:
'Der Mensch lebt nicht nur von Brot,
sondern von jedem Wort,
das aus dem Mund Gottes kommt.'"
5Dann nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt.
Er stellte ihn auf den höchsten Punkt des Tempels
6und sagte zu ihm:
"Wenn du der Sohn Gottes bist,
spring hinunter!
Denn in der Heiligen Schrift steht:
'Er wird seinen Engeln befehlen:
Auf ihren Händen sollen sie dich tragen,
damit dein Fuß an keinen Stein stößt.'"
7Jesus antwortete ihm:
"Es steht aber auch in der Heiligen Schrift:
'Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen!'"
8Wieder nahm ihn der Teufel mit sich,
dieses Mal auf einen sehr hohen Berg.
Er zeigte ihm alle Königreiche der Welt
in ihrer ganzen Herrlichkeit.
9Er sagte zu ihm:
"Das alles werde ich dir geben,
wenn du dich vor mir niederwirfst
und mich anbetest!"
10Da sagte Jesus zu ihm:
"Weg mit dir, Satan!
Denn in der Heiligen Schrift steht:
'Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten
und ihn allein verehren!'"
11Da verließ ihn der Teufel.
Und sieh doch:
Engel kamen und brachten ihm zu essen.
(Übersetzung: Basisbibel)
Drei Versuchungen, an drei rasch wechselnden symbolträchtigen Orten: Wüste, Tempel und Berg.
Kurz und knapp wird erzählt, anschaulich und eindrücklich.
Gut überlegt und raffiniert tritt die diabolische Macht Jesus entgegen.
Betrachten wir den ersten Versuch des „diabolos“:
Jesus lehnt den Showeffekt einer „aus Steine mach Brot“ Verzauberung kategorisch ab. Brotwunder oder Brotvermehrung sind für Jesus kein Selbstzweck, sondern dem Willen Gottes geschuldet nämlich Not zu beseitigen, Hunger zu stillen und Armut zu bekämpfen.(Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium, ThKNT, 2006 S.90)
Wenn das Leben aber auf die rein materielle Ausstattung reduziert wird, auf Essen, Arbeit, Wohnen,
wenn Menschen nicht (mehr) wissen, ausblenden oder verdrängen, dass wir Geschöpfe sind, die von Voraussetzungen leben, die wir selbst nicht geschafft haben und nicht schaffen können,
wenn Menschen nie davon gehört haben, dass ein jeder Mensch, ob Afrikaner oder Araber oder Asiate ein Ebenbild Gottes ist,
wenn Menschen nie erfahren haben, dass es – etwa in der Bibel - für alle grundlegende Werte gibt, die ein zukunftsfähiges Zusammenleben auf diesem Globus ermöglichen wollen und können, dann zeigt sich:
Brot allein, das reicht nicht. Das führt zu einer geistlich moralischen Verarmung und Rückbildung.
Mit dem Satz: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, erteilt Jesus jeglichem, geist- und seelenlosen Materialismus eine klare Absage. (Schrottroff/Sölle, Jesus von Nazareth, dtv, 2000 S.24)
Dass dieser Materialismus jedoch eine reale verführerische Macht darstellt und Wirkung zeigt, das erleben wir in zweierlei Weise:
Die einen wollen Andersgläubigen und hilfesuchenden das tägliche Brot, das Existenzrecht und eine besseres leben nicht gestatten.
Die anderen horten ihr Brot, lassen es in der Schweiz vermehren und vergolden, um es der Allgemeinheit zu entziehen.
Ohne das Wort, das gerade nicht aus uns selbst, sondern aus Gottes Mund kommt,
also ohne dass wir uns von diesem Wort zum Perspektivenwechsel anregen lassen und immer wieder uns selbst kritisch reflektieren,
ohne dieses Wort von außen verkommen wir und bleiben uns selbst genug.
Das hat Jesus klar erkannt, damit ist er aufgewachsen.
Er hält der ersten Versuchung stand.
Bei der zweiten Versuchung könnte sich der Diabolos gedacht haben:
Ich probier‘s mal mit einer wortwörtlichem, also fundamentalistischen, Schriftdeutung :
Es steht geschrieben sagt er zu Jesus und verweist wie Jesus auf die Tora:
Du wirst von Gott auf den Händen getragen, egal was passiert.
Also, lass dich fallen. Dann werden wir werden ja sehen was passiert, was Gott kann und wer du wirklich bist.
Jesus erteilt auch dieser Aufforderung eine Absage.
Und erteilt damit zugleich einem falschen Gottesbild, einer trügerischen Gottesvorstellung und einem wortwörtlichen Schriftverständnis eine Absage, also jeglichem Fundamentalismus.
Gott - der rettet, wenn wir versagen, der Niederlagen und Elend erspart, der Erfolg garantiert, der mich dann bestraft, wenn ich nicht rechtschaffen gelebt habe, mit Krankheit, Schmerz.
Den gibt es nicht.
Eine ganze Generation gläubiger Menschen und Theologen hat genau das lernen und begreifen müssen, angesichts des Holocausts. Gott ist nicht der, der uns auf seinen Händen über alles Unrecht hinwegträgt, dass Menschen selbst verursacht und nicht verhindert haben.
Gott erlebt vielmehr in Jesus Christus selbst Niederlagen mit.
Achtsamkeit ist vielmehr für das Unscheinbare geboten.
Das Böse, Schreckliche kommt sehr viel normaler, versteckter, mitunter recht banal, alltäglich, gutbürgerlich brav und obrigkeitshörig, ja ordentlich daher.
Hannah Arendt hat bei der Beobachtung des Prozesses gegen den früheren SS Obersturmbandführer und Leiter der Organisation für die Vertreibung und Deportation der Juden Adolf Eichmann eben diese „Banalität des Bösen“ ausfindig gemacht.
Ihr könnt Gott nicht ausprobieren, sagt Jesus klipp und klar. Und wer es trotzdem tut wird sich im Nachhinein in schuldhafter Verstrickung wiederfinden und muss bekennen:
„Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.“(Stuttgarter Schulderklärung)
Die dritte diabolische Versuchung lautet: Jesus - wir wär‘s mit Weltherrschaft, mit Macht ohne Ende, bis ans Ende der Welt, nach dem Vorbild des Imperium Romanum. Alles läge dir zu Füßen. Du hättest die Macht, über Herzen und Hirne von Menschen?
Weg mit dir Satan, lautet die barsche, scharfe und unmissverständliche Antwort Jesu auf dieses Angebot, mit dem sich der Teufel vollends „selbst entlarvt“ hat (Fiedler, S.91).
Herrschaftlich, patriarchal diktatorisches Machtgebaren – nicht mit Jesus.
Konsequent hat er es gelebt bis zum Kreuz. Damit legte er eine Messlatte - bis heute.
Eine solch herrschaftskritische Haltung vertrat, zeitweise zumindest, auch der Reformator Martin Luther.
Herrschaftskritisches Denken und Handeln sind bis heute Kennzeichen christlicher Glaubwürdigkeit geblieben.
Christen erkennen weder andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung an, noch wollen Christen anderen Herren oder Mächten zu Eigen sein (Vgl Barmer Theologische Erklärung)
Und trotzdem !
Den subtilen Verlockungen und Einflüssen, denen wir – unmerklich oder unbedacht - tagtäglich ausgesetzt sind, denen ist nicht immer so leicht zu entkommen.
Immer wieder zu prüfen, zu entlarven oder angemessen zu bewerten, wovon bin ich gesteuert,
wer hat welche Interessen, das bleibt eine stetige Herausforderung.
Eine Herausforderung das eigene Denken und Handeln immer wieder kritisch und selbstkritisch zu prüfen.
Jesu Wachsamkeit im Gespräch mit dem „diabolos“ sensibilisiert einen.
Was der Schlange in der Paradieserzählung (1. Mose 3) gelungen ist, gelingt dem „diabolos“ nicht.
Jesus bewahrt sich die „von Gott geschenkte Freiheit“ (Gabriele Wulz, Invokavit, in: Predigtmediationen im christlich-jüdischen Kontext, 2002 S.121) und er ist wohltuend gestärkt von der liebevollen Zusage Gottes, kurz vor diesem Teufelsdialog, in der er erfährt:
An dir habe ich Wohlgefallen.
Eines gibt der „diabolos“ aber zu erkennen und daran ist er identifizierbar:
Er spricht die niedrigen Instinkte an. So ist er „in seiner Nichtigkeit offenbar geworden“ (Wulz,S.121)
Mit mir kommst du groß raus, da bist du wichtig, unsterblich, erfolgreich, da bist stark, mächtig und einflussreich.
Mit mir bist du auf der Gewinnerseite.
Da sind wir Menschen immer ein Stück weit korrumpierbar. Jedoch sind es weltweit leider mehr, deutlich mehr geworden.
Die Standhaftigkeit Jesu gründet in seiner tiefen Verwurzelung in den Weisungen Gottes,
in der stärkenden Gewissheit geliebt zu sein
und in der Glaubensdemut, dass wir eben nicht alles uns selbst, also auch nicht unserer Leistung, verdanken.
So vermag er dem Versuch auf eindrückliche Weise standzuhalten sich korrumpierbar zu machen.
Möge das auch uns gelingen, in der Erziehung von Kindern, in der Bildung, in der religiösen Bildung und der Seelsorge und in der gesellschaftlichen Aufklärung,
im Vertrauen auf Gottes Hilfe:
Er führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“
Und sei
Amen
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Hungrig satt, angreifbar getragen, arm reich - Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Helmut Liebs
Hungrig satt, angreifbar getragen, arm reich
Liebe Gemeinde,
wenn jemand sagt: „Jetzt ist es Matthäi am Letzen“, oder „Mir ist zumute wie Matthäi am Letzten“, dann steht es schlimm. Dann ist jemand am Ende, oder zumindest fast am Ende: finanziell oder seelisch oder körperlich oder alles zusammen. Eine schwierige Situation hat sich zugespitzt und nun scheint die Katastrophe, der Zusammenbruch, das Ende unausweichlich. Dann sagt jemand redensartlich: „Jetzt ist es Matthäi am Letzten.“
Woher kommt diese Redensart? Wir finden sie in Martin Luthers Kleinem Katechismus [4. Teil: von der Taufe], wo der Reformator schreibt: „Aufs erste muss man vor allen Dingen die Worte wohl wissen, … darauf die Taufe gegründet ist, nämlich da der Herr Christus spricht Matthäi am Letzten: Geht hin in alle Welt, lehrt alle Heiden und tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Also meint Luther mit „Matthäi am Letzten“ den Schluss des Matthäusevangeliums. „Matthäi am Letzten“, das sind die letzten Zeilen dieses Evangeliums. Und wie lautet der allerletzte Satz? Sie kennen ihn [, wir haben ihn in der Schriftlesung gehört.]: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Weil also die letzten Zeilen damit enden, dass Christus bis zum Weltende bei uns ist, wurde „Matthäi am Letzten“ zur Redensart für den Weltuntergang oder zumindest für Schlimmes, das sehr bald kommt oder bereits eingetroffen.
In Zeiten wie den unsrigen könnte man wirklich meinen, dass bereits „Matthäi am Letzten“ ist. Angesichts der Schreckensnachrichten, die uns täglich erreichen, ist man Mal um Mal zutiefst erschüttert darüber, was Menschen mit zerstörerischer Macht Menschen antun. Und selbst der gläubigste Mensch kann ins Zweifeln darüber kommen, ob das wirklich gilt, was der auferstandene Christus in eben der letzten Passage des Matthäusevangeliums sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Die Gewalt, die Macht, die Herrschaft über unserer Welt scheinen gänzlich andere zu haben als Christus. Nicht Zuwendung, sondern Ausgrenzung scheint die Macht zu haben. Nicht Liebe, sondern Hass. Nicht Freiheit, sondern Zwang. Nicht Leben, sondern Tod. So sieht es vielerorts aus.
Ich will versuchen, einen Weg zu weisen, dennoch zu glauben, dass der Sohn Gottes die Macht hat. Auch wenn es eine Macht eigener Art ist. Ich will versuchen, uns im Glauben an seine Macht stark zu machen. Allem "Matthäi am Letzten“ zum Trotz. Denn den Weg zu Glaubensgewissheit weist Christus selbst. Und um ihn zu gehen, den Weg, lese ich weiter, was der Auferstandene in seiner letzten Rede laut Matthäusevangelium sagt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen haben. Und siehe: ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Einen Aspekt dieser Rede, in vielen Bibeln mit „Missionsbefehl“ überschreiben, möchte ich herausgreifen; nämlich die Aufforderung „Machet zu Jüngern alle Völker“. „Machet zu Jüngern alle Völker“ ist die uns vertraute Formulierung, wie sie in den meisten Bibeln steht. Im griechischen Urtext steht allerdings nichts von Jüngern, sondern korrekt übersetzt müsste es heißen: Machet zu Schülern alle Völker. Also: lasst sie lesen und lernen, erzählt und erklärt, zeigt und zeugt davon, was ich euch gesagt habe, was ihr mit mir erlebt habt. Dann mögen sie zu glauben beginnen, dass mir tatsächlich alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist.
Liebe Gemeinde, so möchte ich denn der Aufforderung Christi folgen und bei ihm sozusagen in die Schule gehen und den Bibeltext lesen, wie er für heute als Predigtgrundlage vorgeschlagen ist, und will daraus lernen. Es ist die Geschichte von der Versuchung Jesu, zu lesen im vierten Kapitel des Matthäusevangeliums.
[Lesung von Matthäus 4,1-11]
Wer hungrig ist, ist verführbar. Jesus war hungrig: nach vierzig Tagen und Nächten des Fastens. Auch wer einsam ist, ist verführbar. Jesus war einsam: Wüste, nichts als Wüste um ihn herum. Jesus war hungrig, Jesus war einsam. Er hat sich dem Hunger und der Einsamkeit ausgesetzt und hat darin erlitten, worunter Menschen aller Zeiten und aller Orten gelitten haben und noch leiden. Der Theologe Helmut Thielicke schrieb dazu [Helmut Thielicke, Zwischen Gott und Satan, München 1960, Seite 68f; zitiert nach „Für Arbeit und Besinnung“, Nr. 2, 15. Januar 2015, Seite 14]: „Darum schreit mit seinem Hunger die ganze Not des Menschen in ihm, es schreien ihre Krankheiten und Schmerzen und das viele, viele Leid, der Jammer der Gefängnisse und Irrenhäuser, das Blut der Kriege, es schreit die Sinnlosigkeit von so vielem, und es schreien die Tränen von unendlich vielen Nächten. Wirklich: er trägt das Leid der Welt.“
Und zu dem, der da trägt des Leid der Welt in Hunger und Einsamkeit kommt nun einer; tritt an ihn heran, spricht ihn an, mit einem vertraulichen „Du“ und macht ein Angebot, das eigentlich nicht abzulehnen ist: Hunger? Steine? Mach doch Brot daraus! Du, als Sohn Gottes, Sohn des Schöpfers, ausgestattet mit der Macht, zu schaffen, was immer Dir gefällt, Du brauchst es doch nur auszusprechen, und schon werden diese Steine zu Brot, und Du wirst satt.
Jesus, er weist das verführerische Angebot zurück, Schöpfer anstelle des Schöpfers zu sein. Er hungert lieber, als sich aus Eigennutz der Macht zu bedienen, die ihm zur Verfügung stünde. Machtgebrauch zum puren Eigennutzen ist Machtmissbrauch. Nicht Brot wird mich am Leben halten, sondern Gott. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ Indem Jesus dieses entgegnet, beruft er sich auf ein Wort aus dem 5. Buch Mose. Dort wird daran erinnert, dass Gott das Volk Israel 40 Jahre lang in der Wüste und durch diese hindurch führte, bis das Volk gemäß Gottes Verheißung das Land Kanaan erreichte. Die Verheißung Gottes ist der Anfang. Die Erfüllung ist das Ziel. Ihm hat sich das Volk Israel anvertraut, ihm vertraut auch der in Wüste hungernde und einsame Jesus.
Jesus hat das Angebot des Verführers unter Verweis auf Gott und sein Wort abgewehrt. Doch der Verführer ist lernfähig. Er führt Jesus an den Ort der Verehrung Gottes, er führt Jesus auf das Dach des Tempels in Jerusalem und sagt ihm nun seinerseits ein Bibelwort: Wirf dich herunter, denn es steht geschrieben, dass Gott seinen Engeln befehlen wird, dich auf Händen zu tragen. Wirf dich herunter, dann werden wir sehen, ob Gott zu seinem Wort steht. Wirf dich herunter, und liefere den Beweis für Gott. Falls nicht … nun es steht so nicht im Bibeltext, aber wir können uns denken, was wäre, falls Gott seine Engel nicht schicken würde: Gott wäre entmachtet.
Jesus weist auch dieses verführerische Angebot zurück. Und das, obwohl hier Jesu Glaube und die Glaubwürdigkeit Gottes auf dem Spiel stehen. Hat er sich doch in seiner vorherigen Antwort auf Gott berufen, aus dessen Wort er, Jesus, lebe. Jesus weist den Verführer zurück, indem er wiederum mit einem Bibelwort antwortet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Gott wird nicht auf die Probe gestellt. Die Souveränität Gottes ist indiskutabel. Sie ist jenseits dessen, was der Mensch an Für und Wider vorbringen kann. Gott lässt sich nicht nötigen. Er ist nicht verfügbar. Einen Gottesbeweis herbeiführen zu wollen, indem er zum Einlösen seines Worte genötigt wird, ist unverschämt. Jesus lässt Gott lieber unbewiesen, als ihn aus Eigennutz, nämlich um nicht unglaubwürdig dazu stehen, zum Beweis herauszufordern. Jesus bleibt in seinem Glauben lieber angreifbar als in unzulässig abzusichern.
Jesus hat das Angebot der Verführers zum zweiten Mal abgewehrt; dieses Mal unter Verweis auf Gottes unverfügbare Hoheit, die zu testen dem Menschen nicht zusteht. Doch der Verführer ist lernfähig. Wenn offensichtlich Gott der absolute Souverän ist, dann muss er als solcher abgelöst werden. Er führt Jesus auf einen Berg, von dem aus die ganze Welt überschaubar ist. Wenn Du mich anbetest, dann gebe ich Dir mehr als Dein Gott Dir je geben kann: Ich gebe Dir die Weltherrschaft samt allen Herrlichkeiten, die die Welt zu bieten hat! Alle Herrlichkeiten … ich sehe es förmlich glitzern und gleißen, blitzen und blinken: das Nobelchalet in den Alpen, die Jacht im Hafen von Cannes, das Dinner mit den Reichen und Schönen in Shanghai; keine Sorgen, nur Freuden, keine Ängste, nur Macht.
Jesus weist auch dieses verführerische Angebot zurück. Herrlichkeit ist bei Gott allein. Anbetung ist vor Gott allein. Niederfallen vor dem Verführer ist Knechtschaft. Glaube an Gott ist Kindschaft. Jesus bleibt Gott gehorsam, statt sich aus Eigennutz der Welt zu bedienen, die ihm der Verführer zu Füßen legt – um den Preis, dass er sich ihm zu Füßen legen müsste. Einmal mehr ist es ein Wort Gottes, das Jesus in dieser Verführung stärkt: „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“
Am Ende ist Jesus ohnmächtig. Er nutzt nicht seine Schöpferkraft. Er bekommt keinen Gottesbeweis. Er übernimmt nicht die Weltherrschaft samt allen Herrlichkeiten. Jesus bleibt hungrig, angreifbar und arm. Drei Mal wurde er verführt. Drei Mal widerstand er dank Gottes Wort. Johannes Brenz, der Reformator Württembergs, schrieb dazu: „Christus kämpft mit keinen anderen Waffen als mit der Heiligen Schrift.“ [Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1, 1985, Seite 139, Fußnote 39)
Und wir? Auch wir bleiben ohnmächtig. Auch wir bleiben hungrig, angreifbar und arm. Doch wir bleiben es nicht uns selbst. Sondern wir bleiben hungrig vor Gott, angreifbar vor Gott, arm vor Gott. Und es ist unser Vertrauen auf Gott, in welchem wir dann doch – so paradox es klingt – satt werden, getragen sind und reich beschenkt. Es ist dieses Paradox, welches die Existenz als Christ auszeichnet: hungrig, aber satt; angreifbar, aber getragen; arm, aber reich.
Und es war ein kurzer Satz Jesu, welcher die Verführung, nicht in diesem Paradox zu leben, schließlich beendete: „Weg mit dir, Satan!“ Da verließ ihn der Verführer. Und Engel traten zu Jesus und dienten ihm.
Verzichten wir an dieser Stelle auf eine ausführliche Erörterung, ob und wie es den Satan, Teufel, Diabolos gibt. Die Bezeichnungen meinen alle dasselbe: Gegner und Ankläger Gottes, Verführer, Verleumder und Verwirrer, Täuscher, Trickser und Durcheinanderwerfer. Er ist Chiffre für das Böse und deshalb Zerstörerische schlechthin. Allein mit der Leben spendenden Kraft Gottes, wie sie von Anbeginn und bis ans Ende in der Welt ist, kann das Böse abgewehrt oder gar – rechnen wir immer damit – das Bösen zum Gutes gewendet werdet.
Ein Versuch zu erklären, warum Jesus die Zerstörungsversuche des Satans abwehren konnte: Jesus war ganz bei sich. Möglicherweise eine Frucht seines Fastens. Der Hunger, das Ungesichert sein, die Armut: er hat es gänzlich bejaht und als zu sich gehörend verstanden, hat es integriert. Und das Geheimnis darin: er war ganz bei sich, indem er ganz bei Gott war.
Sophie Scholl, die heute (22. Februar) vor genau 71 Jahren vom Bösen ermordet wurde, schrieb: „Und wenn in mir noch so viele Teufel rasen, ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat.“ [Sophie Scholl/Fritz Hartnagel, Damit wir uns nicht verlieren, Seite 432; zitiert nach „Für Arbeit und Besinnung“, Nr. 2, 15. Januar 2015, Seite 16]
Ich sagte eingangs, dass wir gut daran tun, wenn es „Matthäi am Letzten“ ist, in die Schule Jesu zu gehen. Die Geschichte von der Versuchung Jesu ist eine harte und leichte Schule zugleich. Einerseits führt sie uns eine dramatische Begebenheit vor Augen, die ans Limit führt. Doch andererseits ist sie nicht belehrend, sondern erlaubt uns, eigene Entdeckungen zu machen. Entdeckungen mit einer Geschichte, die kein Publikum hatte. Eine Geschichte, von der wir nicht sagen können, ob sie sich so tatsächlich zugetragen hat. Faktencheck ist hier nicht möglich. Und doch ist es eine wahre Geschichte, insofern darin Wahres über Gott und mit Gott zur Sprache kommt. Es ist Gott, bei dem wir – in welchen Nöten auch immer – nicht verloren gehen. Denn er hat mit seinem Sohn alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
So sind wir denn bei Jesus in die Schule gegangen. Und haben in ihm den gesehen, der jegliche Not mit uns teilt. Und haben einmal mehr gelernt, was wir sind: Hungrig satt, angreifbar getragen, arm reich. Amen.
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1.2.2015, Marl: "Krumme Wege – aufrechter Gang"
Gnade sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt!
Liebe Gemeinde, was für eine Szene: Zwei Häftlinge spielen eine biblische Geschichte nach. Die Versuchung Jesu. Und zwischen den Zeilen spielen sie ihre eigene Geschichte.
Dima und Kemal sprechen aber nicht nur nach, was Jesus dem Teufel entgegnet. Sie deuten das Streitgespräch auch.
Kemal als Versucher treibt Dima – Jesus die wackelige Leiter hoch. Als der oben ist, setzt Kemal mit feiner Ironie noch einen drauf und sagt:
„Das alles wird dir gehören, wenn du dich vor mich hinkniest und anbetest, du Opfer“.
„Du Opfer“ – das steht gar nicht in der Bibel. Aber Kemal spürt genau, worum es dem Teufel geht: Er will Menschen und Gott auseinanderbringen.
Er will teilen und herrschen, Beziehungen zerstören, um dann selbst die Kontrolle zu übernehmen. Darauf kommt es dem Teufel an. Deshalb nennt die Bibel ihn „Diabolos“, den Auseinanderbringer.
Der setzt alles daran, Macht über Jesus zu gewinnen. Jesus soll sich ihm unterwerfen. Sein Innerstes opfern. Seine Seele verkaufen.
Und Jesus? Der wird richtig hart geprüft. Dabei hatte doch alles so gut angefangen. Als Jesus getauft wurde, öffnete sich plötzlich der Himmel.
„Du bist mein geliebtes Kind“, hat Gottes Stimme gesagt. Alle konnten es hören. Was für ein schöner Moment! Was für ein starkes Bild. Der Himmel hat sich geöffnet, alles ist möglich. Der getaufte Jesus und Gott, den er Vater nennt – sie sind unzertrennlich.
Mein liebes Kind, mein lieber Sohn!
Reicht dieser Satz fürs Leben, auch wenn es hart auf hart kommt? Wird aus dem Kind ein aufrechter, freier Mensch? Ist die Liebe stark genug?
Das fragt Gott sich.
Und beauftragt den Auseinanderbringer.
Der soll mit aller Härte an Jesus prüfen, ob Gottes Wort standhält.
Jesus, der Prüfling, lässt sich nicht beirren. In der Wüste gibt es nur Sand und Steine. Und den weiten Himmel. Nichts kann ihn ablenken. Die Stille hilft ihm, zu sich zu kommen.
Dima dagegen braucht die Kälte. Sie erinnert ihn an Sibirien. An seine Widerstandskraft. An das, was in ihm steckt. In der Kältekammer behält Dima seinen kühlen Kopf.
Wenn ich unsicher oder durcheinander bin, hilft mir die Bewegung. Am liebsten zu Fuß und draußen. Ich sehe den weiten Himmel, die gute Aussicht. Ich spüre, wie mein Körper seinen Rhythmus findet. Und die Gedanken werden frei.
An so einem ruhigen Ort also prüft Jesus die Angebote des Versuchers. Er misst sie an dem, was Gott ihm versprochen hat. „Du bist mein geliebtes Kind“, hat Gott ihm gesagt. Sein Kind wird Gott nicht im Stich lassen. Im Leben nicht. Da kann uns nichts auseinanderbringen. Auch nicht im Tod. Darauf verlässt Jesus sich und hält stand, bis der Teufel aufgibt.
Auch Dima wird hart geprüft. Ausgerechnet in einer Kirche. Hier ändert sich sein Leben
Dima hängt die Ikone zurück. Hätte er sie mitgenommen, wäre er aus dem Gröbsten raus. Dann wäre er der große King, der seinem Vater hilft. Und alle würden ihn bewundern. Die Versuchung war riesengroß.
Die Ikone ist aber auch ein heiliges Bild. Als Dima sie ansieht, erkennt er in ihr etwas Göttliches. Dima entscheidet sich. Er will sich nicht mehr verwirren lassen. Er will sich des Gottesbildes nicht bemächtigen. Er lässt die Ikone an ihrem Platz. Man könnte sagen: Er lässt Gott an seinem Platz. Auch in seinem Leben.
Dima will sich nicht mehr unterwerfen, um über die Runden zu kommen. Ihm ist sein Gewissen wichtig geworden. Und die Freiheit, sich zu entscheiden. Jetzt geht er seinen eigenen Weg.
Darum stößt er etwas später auch die Leiter um. Sie sollte ihn zum Erfolg und zum Reichtum führen. Aber auf dem Weg zu sich selbst braucht er keine Räuberleiter mehr.
Liebe Gemeinde, dieser Dima ist für uns in doppelter Hinsicht ein gutes Beispiel.
Er zeigt: Bei Versuchungen geht es niemals nur um Kleinigkeiten. Um Kavaliersdelikte. Oder um Benimmfragen.
Es geht immer ums Ganze. Was wir tun oder lassen hat immer Folgen für unsere Beziehungen. Zu uns selbst, zu unserem Gewissen. Zu anderen Menschen. Und zu Gott.
Dima redet sich ja nicht damit raus, dass er nur ein `armes Migrantenkind´ ist und deshalb gar nicht anders kann als zu stehlen. Dima wählt den aufrechten Gang. Und erweist sich darin als ein mutiger Nachfolger Jesu.
Solchen Mut wünsche ich uns auch: Den Mut, auf Gott zu setzen. Auf sein Wort zu vertrauen. In der Beziehung zu Gott einen Weg in die Freiheit zu finden, selbst in beklemmenden Situationen.
Das bedeutet nicht, dass wir darauf verzichten müssen, Einfluss zu nehmen in der Welt. Ganz im Gegenteil. Wir können uns dabei an Jesus ausrichten. Uns wie er festmachen an Gottes Zuspruch für jeden Menschen: Du bist mein geliebtes Kind. Die Macht, jeden Menschen als ein Kind Gottes anzusehen, nehmen wir aus Gottes Hand.
Wenn wir das im Sinn haben, dann entlarven wir eine Versuchung unserer Zeit. Wer diesen jungen Mann ansieht, merkt vielleicht ein Klischee einrasten: Der kommt aus Russland? Dann gehört er bestimmt zur Mafia. Die klauen und sind gewalttätig.
Durch solche Zuschreibungen werden ganze Menschengruppen auf wenige Merkmale festgelegt. Die Russen. Die Türken. Die Araber. Die Asylsuchenden. Sie geraten in eine Schublade. Und dann können wir sie uns vom Leib halten. Weil wir nicht wissen, wer da auf uns zukommt. Und was.
Was fremd ist, ist unheimlich. Und dann übernimmt die Angst das Regiment. Aber wenn wir Angst haben, hat der Auseinanderbringer ein leichtes Spiel: Die wollen uns überrennen. Die machen uns fertig. Dann machen wir sie doch lieber fertig. Oder wir lassen sie erst gar nicht rein.
Manchmal höre ich Menschen sagen: „Da kann man eh´ nichts machen“. Oder: „Man muss eben mit dem Strom schwimmen. Die Hassparolen sind so laut. Die Gewalt so brutal. Da heule ich lieber mit den Wölfen.“ In meinen Ohren klingt das bedrückend. Und ängstlich. Und furchtbar resigniert.
„Aufzugeben ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann bei dem Versuch, ein Mensch zu werden.“ hat die Theologin Dorothee Sölle mal gesagt. „Die Bibel hat für sich, dass sie unsere größte Versuchung, die Hoffnungslosigkeit bekämpft.“
In unserem Kirchenkreis versuchen wir darum, Menschen die Angst voreinander zu nehmen. Hier in Marl sind wir so frei und laden Flüchtlinge in evangelische Gemeindehäuser ein. In anderen Städten helfen wir Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan, unsere Sprache zu lernen.
Sie sollen selbst zu Wort kommen. Und wir erleben, wie erleichtert viele Menschen sind. Auf beiden Seiten.
Die Angst wird klein, die Hoffnung groß. Dass es doch gemeinsam geht. Dass noch jede Menge Platz ist bei uns.
Dass Unterschiede zwischen Menschen nicht bedrohlich sein müssen. Sondern bereichernd sind. Wenn wir nur darauf achten, dass niemand verloren geht. Dann widerstehen wir nämlich der Versuchung, unsere Seele an den Auseinanderbringer zu verkaufen.
„Du bist mein geliebtes Kind.“ An dieses Machtwort Gottes können wir uns halten, wenn Versuchungen uns locken wollen. Du bist mein geliebtes Kind.
Beten hilft auch. Jesus hat uns Worte dafür geschenkt: „Führe uns nicht in Versuchung!“, so beten wir im Vater Unser.
Wir können sicher sein: Was uns Angst macht, was uns durcheinander bringt, was uns innerlich zu zerreißen droht, ist in Gottes Ohr gut aufgehoben.
Immer wieder, jeden Tag. Gott weiß ja, dass wir es täglich neu üben, Menschen zu sein. Gotteskinder zu bleiben.
Wir haben öfter die Wahl, als wir denken. Davon erzählt die Geschichte von der Versuchung Jesu. Und Dimas Geschichte auch. Gott sei Dank sind sie beide nicht zu schön, um wahr zu sein.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinn in Christus Jesus.
Amen.
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Verdienst und Gnade - Predigt zu Matthäus 20,1-15 von Christoph Dinkel
Verdienst und Gnade
Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.
Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen. Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.
Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?
Liebe Gemeinde!
Das Verhalten des Gutsbesitzers im Gleichnis löst Diskussionen aus. Und das hat dieser durchaus beabsichtigt. Ganz gezielt wird denen der Lohn als erstes ausgezahlt, die am kürzesten gearbeitet haben. Und sie erhalten zur allgemeinen Überraschung einen vollen Tageslohn. Fast schon mit Hinterlist wird bei denen, die am längsten gearbeitet haben, dadurch Hoffnung geweckt: Wenn der Gutsbesitzer zu denen, die nur kurz gearbeitet haben, so großzügig ist, wie werden dann erst wir für unsere harte Arbeit belohnt werden. Im Kopf wird schon eifrig überschlagen, was da wohl herausspringt und was man sich dafür kaufen könnte. Und dann diese Enttäuschung: Alle bekommen denselben Lohn, ganz gleich ob sie kurz oder lange gearbeitet haben. Das grenzt an Betrug, toben die einen, und die anderen werden sich schnell aus dem Staub machen, bevor ihnen ihr Lohn streitig gemacht wird. An Gesprächsstoff wird an diesem Abend kein Mangel gewesen sein. Unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden haben sich einmal überlegt, was die verschiedenen Arbeiter zu Hause wohl jeweils berichtet haben:
„Den ganzen Tag habe ich mich abgerackert! Von morgens bis abends! In der prallen Sonne, in quälender Hitze! Den ganzen Tag! Und der Gutsbesitzer zahlt mir genauso viel wie den Arbeitern, die erst am Abend eingestellt wurden und nur eine Stunde gearbeitet haben. Das ist ungerecht! Morgen fange ich auch erst bei Sonnenuntergang an zu arbeiten. Dann spare ich meine Energie und kriege trotzdem gleichviel Geld. Der Gutsbesitzer kann mich mal!“
Ein anderer, der ebenfalls lange gearbeitet hat, klingt ganz ähnlich: „Es ist ungerecht, dass die, die sich einen Großteil der Zeit auf die faule Haut gelegt haben, genauso viel wie wir an Lohn bekommen haben!“
Ein dritter schließt seinen Bericht mit den Worten: „Morgen warte ich einfach bis abends, dann wird er mich wohl auch einstellen, und ich muss weniger arbeiten.“
Aus Sicht derer, die kurz gearbeitet haben, stellt sich die Sache natürlich anders dar. Einer berichtet zu Hause: „Eigentlich war klar, dass ich nicht den vollen Tageslohn bekommen würde, aber besser als nichts. Also ging ich mit in den Weinberg. Nach einer Stunde Arbeit rief uns der Weinbergbesitzer zu sich und ließ allen einen ganzen Tageslohn auszahlen. Vielleicht war es ja ein Geschenk Gottes. Aber morgen werde ich den ganzen Tag arbeiten, sonst wäre es ja nicht fair.“
Ein zweiter zieht einen anderen Schluss. Auch er freut sich über den unverhofften Tageslohn. Aber er fühlt sich dadurch zu nichts verpflichtet. Am nächsten Tag will er wieder erst am Abend zur Arbeit kommen. So lange es dafür dasselbe Geld gibt, wäre alles andere ganz schön blöde.
Aber die meisten derer, die kurz gearbeitet haben, reagieren anders. Sie nehmen sich vor: „Morgen werde ich schon ganz früh morgens da sein, um das viele Geld mit harter, fleißiger Arbeit zurückzuzahlen, das ich heute für die wenige Arbeit bekommen habe.“
Der Gutsbesitzer im Gleichnis wollte Diskussionen auslösen und das ist ihm gelungen. Und Jesus, der den Gutsbesitzer und das Gleichnis erfunden hat, zieht uns mit seiner Erzählung in die Diskussion zwischen denen, die lange und denen, die kurz gearbeitet haben, mit hinein. Was ist gerecht? Darf jemand hart arbeitende Menschen so provozieren? Darf man mit seinem Vermögen für Streit und Neid sorgen?
Das Gleichnis Jesu löst Diskussionen aus. Es sperrt sich gegen einfache Lösungen. Als Modell für Tarifverträge eignet es sich schon einmal nicht. Tarifverträge nach dem Muster des Verhaltens des Gutsherren würde nicht nur die Arbeitsmoral, sondern auch den Betriebsfrieden nachhaltig stören. Unterschiedliche Belastungen, Qualifikationen und Verantwortungsbereiche müssen sich in der Bezahlung irgendwie widerspiegeln. Sonst bricht die Motivation zusammen.
Was aber ist dann gemeint und worauf zielt der Impuls, den das Gleichnis setzen will?
Eine andere Lösung klingt da schon deutlich passender: Der im Gleichnis vereinbarte Tageslohn von einem Denar oder Silbergroschen dürfte in etwa dem entsprechen, was damals eine kleinere Familie täglich zum Überleben benötigte. Die Botschaft des Gleichnisses wäre dann: Es soll keiner Hungern. Alle haben Anspruch auf genügend Nahrung. Neid ist da völlig unangemessen, wo es ums Überleben geht.
In diese Richtung wird man das Gleichnis interpretieren können und in diese Richtung hat es auch gewirkt. Dass in unserem Land jeder Mensch Anspruch auf Nahrung, Obdach und Gesundheitsversorgung hat, auch dann, wenn er durch eigene Arbeit nichts für deren Finanzierung beitragen kann, liegt ganz auf der Linie unseres Gleichnisses. Auch wenn hier noch manche Wünsche offen sind – aus der Perspektive der Tagelöhner unseres Gleichnisses wären die sozialen Sicherungssysteme unserer Gesellschaft dem Himmelreich schon sehr nahe.
So richtig diese Lösung sein mag, so sehr bleibt der Eindruck zurück, dass das noch nicht alles sein kann, was das Gleichnis sagen könnte. Für den einfachen sozialen Appell: Alle sollen satt werden! – wäre kein solch erzählerischer Aufwand erforderlich gewesen. Dazu hätte es der Provokation der lange im Weinberg Arbeitenden nicht bedurft. Die raffinierte Erzählstruktur, die geradezu aufreizende Geldauszahlungsszene muss noch einen anderen Hinweis enthalten.
Ich denke, es ist folgender: Wir Menschen gehen in unserem alltäglichen Denken und Verhalten zumeist davon aus, dass der andere sein Schicksal sich irgendwie selbst verdient hat. In Worte gefasst klingen unsere Alltagsunterstellungen etwa so: Wer viel arbeitet, bringt es auch zu etwas. Wer wenig tut, der hat auch wenig. Bildung und Einkommen hängen ganz offensichtlich zusammen, das lehrt die Statistik: Je höher der Bildungsabschluss, desto höher im Durchschnitt das Einkommen. Schlechte Noten in der Schule sind ein Armutsrisiko und ungenügende Bildung ist auf Dauer auch ein Kriminalitätsrisiko. Außerdem gilt: Wer arm ist, stirbt im Durchschnitt früher, weil arme Menschen eher weniger auf ihre Gesundheit achten, mehr Alkohol zu sich nehmen und dicker sind. Überhaupt bringt Fettleibigkeit ein erhöhtes Krebsrisiko mit sich, von den Risiken für Herz und Kreislauf einmal ganz abgesehen.
Für unser Alltagswissen hängt das Schicksal eines Menschen ganz eng mit seinem Verhalten zusammen. Und die ganzen statistischen Informationen zu Krankheit, Kriminalität, Bildung, sozialen Faktoren, die wir über Zeitung, Fernsehen, Internet mitbekommen, bestärken uns in dieser Einschätzung noch. Wir können uns zwar klarmachen, dass die meisten der genannten Zusammenhänge nur statistisch bestehen und Rückschlüsse auf den Einzelfall oder gar Einzelfallprognosen damit völlig unzulässig und irreführend sind. Unserem Alltagswissen ist das aber egal. Es bleibt dabei: Von einzelnen Unglücksfällen abgesehen, hat man sich sein Schicksal selbst verdient und selbst zuzuschreiben.
Auch zu Jesu Zeiten hat das Alltagswissen der Menschen schon so funktioniert: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern“ wird Jesus von seinen Jüngern gefragt als er einen Blindgeborenen heilen will (Johannes 9,2). Irgendeiner muss verantwortlich sein für das Unglück des Blinden, so denken die Jünger. Das Opfer muss zu allem Unglück auch noch die Schande tragen, irgendwie selbst an seinem Schicksal schuld zu sein. Auch auf unseren Schulhöfen kann man als Schimpfwort den Ausspruch hören: „Du Opfer!“ – Wie wohltuend ist es doch da von Jesus über den Blindgeborenen zu hören: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern“. Jesus durchbricht mit aller Deutlichkeit die unheilvolle Unterstellung als sei man am eigenen Ergehen selbst schuld.
Und noch eine andere, ziemlich unbekannte Äußerung Jesu weist in dieselbe Richtung (Lukas 13,1-4): „Es kamen […] einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? […] Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen?“
Für Jesus ist klar: Wer Unglück erleidet, ist nicht schuldiger als der, der heil davon kommt. Und genauso wenig wie das meiste Unglück in der Welt verdient ist, genauso wenig ist das meiste Glück in der Welt verdient. Dass jeder seines eigenen Glückes oder seines eigenen Unglückes Schmied ist, ist eine grandiose Selbsttäuschung der Menschen. Diese Selbsttäuschung mag zu manch großer Leistung motivieren, aber im Grunde ist das ganz und gar unrealistisch, hochmütig und selbstgerecht.
Gott „lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Matthäus 5,45) Auch dieser Satz stammt von Jesus und er macht noch einmal klar, dass jeder Versuch Sonnenschein, Wetter oder Lebensglück sich selbst und der eigenen Leistung oder moralischen Qualität zuzuschreiben an der Realität völlig vorbei geht.
Wer im Gleichnis Glück hatte und schon früh eine Arbeit bekam, soll darüber einfach froh sein. Er hat zwar hart gearbeitet, musste sich aber den ganzen Tag nie Sorgen um seinen Lebensunterhalt machen. Wer im Gleichnis vom Pech verfolgt ist und den ganzen Tag um seinen Lebensunterhalt bangen musste, dem wird am Ende das Lebensnotwendige einfach geschenkt. Oft wird das im Leben nicht geschehen. Aber wo es geschieht, da sollten jene nicht neidisch werden, die sich ihres Lebensunterhaltes sicher sein können, weil sie Arbeit haben, gebildet, gesund oder vermögend sind. Auch die Arbeitsfähigkeit, auch die Gesundheit, auch das Vermögen, den Verstand und den Fleiß hat sich keiner von uns selbst verdient. Sie sind uns geschenkt, sie sind ein Gnade Gottes und die einzig angemessene Form der Antwort auf solche Gnade ist die Dankbarkeit und der selbstverständliche Einsatz für andere.
Keinem Menschen darf sein Schicksal einfach als Folge seiner Taten zugeschrieben werden. Das gilt, wie im Gleichnis, für Menschen ohne Arbeit und Auskommen, das gilt genauso für Menschen, die krank sind, pflegebedürftig, behindert, einsam oder arm. Und das gilt auch für die Menschen in den armen Ländern dieser Erde, für die Opfer von Krieg, Hunger, Seuchen, Korruption und Misswirtschaft. Viele von ihnen sind Opfer, obwohl sie keine Schuld trifft und sie nichts für ihre Lage können. Dass es den meisten in Deutschland besser geht, ist nicht unser Verdienst, verdanken wir nicht unserer Leistung. Das ist Gnade, ganz allein Gnade.
Und so ist die Pointe unseres Gleichnis zugleich der Kernsatz protestantisch-reformatorischer Lehre: Wir Menschen leben nicht von unseren Verdiensten. Wir Menschen leben allein von der Gnade Gottes. Das kränkt unseren Stolz, weil wir doch so gerne unser Schicksal selbst herstellen und verdienen wollen. Und weil das so kränkend ist, regen sich die Arbeiter, die im Gleichnis lange gearbeitet haben, ja auch so auf. Aber wer realistisch ist, der weiß, dass er wie jene im Gleichnis, die nur kurz gearbeitet haben, das Lebensnotwendige und alles Glück als Geschenk und umsonst empfängt. Von unseren Leistungen und Verdiensten könnten wir niemals leben. Wir Menschen leben allein von der Gnade Gottes. – Amen.
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KONFI-IMPULS zu Matthäus 20,1-16 von Judith Reinmuth-Frauer
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Reaktionen nach der ersten Lektüre
Viele empfinden das Verhalten des Hausherrn als unfair, vor allem gegenüber denen, die schon den ganzen Tag gearbeitet haben. Es gibt auch die Sichtweise: Vielleicht hat jemand ja schon den ganzen Tag nach Arbeit gesucht und keine gefunden. Erst am Nachmittag gelingt es dann. Für diesen Menschen ist es nicht unfair, weil er ja nichts dafür kann, im Gegenteil: Er freut sich.
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Gleichnis für Gott
Ich weise darauf hin, dass diese Geschichte ein Gleichnis für Gott ist und das Verhalten des Hausherrn uns zeigen soll, wie Gott sich verhält. Dann frage ich, ob das für sie etwas verändert, ob sie es dann anders empfinden. Für manche macht es keinen Unterschied, sie empfinden das Verhalten immer noch als unfair und ungerecht. Für andere verändert sich etwas: Gott behandelt alle gleich – das ist gut. Gott liebt alle gleich – das tut gut.
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Hineinversetzen in die Personen
Die Geschichte bietet gute Möglichkeiten, sich mit Methoden des Bibliologs bzw. Bibliodramas anzunähern. Eine Idee dazu: V. 1 bis 10 noch einmal zu lesen und dann die Gruppe einzuteilen in diejenigen, die ab 6 Uhr, ab 9 Uhr, ab 12 Uhr und ab 15 Uhr gearbeitet haben. Allen wird ein „Silbergroschen“ (könnte auch ein Schoko-Taler sein) als Lohn gegeben. Sie reagieren aus ihrer Perspektive und äußern sich. Dabei werden sie auch konfrontiert mit dem Satz: „Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?“ Es entsteht ein Gespräch. Evtl. können die Rollen noch einmal getauscht werden, um auch die andere Perspektive einzunehmen.
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Schreibdiskussion
Eine weitere Möglichkeit, auch als Ergänzung zu 3., bietet eine Schreibdiskussion zu Vers 16: „So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.“
Dieser Satz steht auf einem großen Plakat und die Konfirmandinnen und Konfirmanden schreiben ihre Gedanken, Gefühle, Einfälle dazu in der Stille auf.
Erste(r) zu sein ist für viele ein Ziel, z. B. im Sport oder im Ansehen bei den anderen. Letzte(r) zu sein ist dagegen nicht erstrebenswert und doch für manche auch eine immer wieder gemachte Erfahrung. Was bedeutet es, wenn sich alles umkehrt?
Es schließt sich ein Gespräch darüber an.