1.2.2015, Marl: "Krumme Wege – aufrechter Gang"

Gnade sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt!

Liebe Gemeinde, was für eine Szene: Zwei Häftlinge spielen eine biblische Geschichte nach. Die Versuchung Jesu. Und zwischen den Zeilen spielen sie ihre eigene Geschichte.

Dima und Kemal sprechen aber nicht nur nach, was Jesus dem Teufel entgegnet. Sie deuten das Streitgespräch auch.

Kemal als Versucher treibt Dima – Jesus die wackelige Leiter hoch. Als der oben ist, setzt Kemal mit feiner Ironie noch einen drauf und sagt:
„Das alles wird dir gehören, wenn du dich vor mich hinkniest und anbetest, du Opfer“.

„Du Opfer“ – das steht gar nicht in der Bibel. Aber Kemal spürt genau, worum es dem Teufel geht: Er will Menschen und Gott auseinanderbringen.

Er will teilen und herrschen, Beziehungen zerstören, um dann selbst die Kontrolle zu übernehmen. Darauf kommt es dem Teufel an. Deshalb nennt die Bibel ihn „Diabolos“, den Auseinanderbringer.

Der setzt alles daran, Macht über Jesus zu gewinnen. Jesus soll sich ihm unterwerfen. Sein Innerstes opfern. Seine Seele verkaufen.

Und Jesus? Der wird richtig hart geprüft. Dabei hatte doch alles so gut angefangen. Als Jesus getauft wurde, öffnete sich plötzlich der Himmel.

„Du bist mein geliebtes Kind“, hat Gottes Stimme gesagt. Alle konnten es hören. Was für ein schöner Moment! Was für ein starkes Bild. Der Himmel hat sich geöffnet, alles ist möglich. Der  getaufte Jesus und Gott, den er Vater nennt – sie sind unzertrennlich.

Mein liebes Kind, mein lieber Sohn!

Reicht dieser Satz fürs Leben, auch wenn es hart auf hart kommt? Wird aus dem Kind ein aufrechter, freier Mensch? Ist die Liebe stark genug?

Das fragt Gott sich.

Und beauftragt den Auseinanderbringer.

Der soll mit aller Härte an Jesus prüfen, ob Gottes Wort standhält.

Jesus, der Prüfling, lässt sich nicht beirren. In der Wüste gibt es nur Sand und Steine. Und den weiten Himmel. Nichts kann ihn ablenken. Die Stille hilft ihm, zu sich zu kommen.

Dima dagegen braucht die Kälte. Sie erinnert ihn an Sibirien. An seine Widerstandskraft. An das, was in ihm steckt. In der Kältekammer behält Dima seinen kühlen Kopf.

Wenn ich unsicher oder durcheinander bin, hilft mir die Bewegung. Am liebsten zu Fuß und draußen. Ich sehe den weiten Himmel, die gute Aussicht. Ich spüre, wie mein Körper seinen Rhythmus findet. Und die Gedanken werden frei.

An so einem ruhigen Ort also prüft Jesus die Angebote des Versuchers. Er misst sie an dem, was Gott ihm versprochen hat. „Du bist mein geliebtes Kind“, hat Gott ihm gesagt. Sein Kind wird Gott nicht im Stich lassen. Im Leben nicht. Da kann uns nichts auseinanderbringen. Auch nicht im Tod.  Darauf verlässt Jesus sich und hält stand, bis der Teufel aufgibt.

Auch Dima wird hart geprüft. Ausgerechnet in einer Kirche. Hier ändert sich sein Leben

Dima hängt die Ikone zurück. Hätte er sie mitgenommen, wäre er aus dem Gröbsten raus. Dann wäre er der große King, der seinem Vater hilft. Und alle würden ihn bewundern.  Die Versuchung war riesengroß.

Die Ikone ist aber auch ein heiliges Bild. Als Dima sie ansieht, erkennt er in ihr etwas Göttliches. Dima entscheidet sich. Er will sich nicht mehr verwirren lassen. Er will sich des Gottesbildes nicht bemächtigen. Er lässt die Ikone an ihrem Platz. Man könnte sagen: Er lässt Gott an seinem Platz. Auch in seinem Leben.

Dima will sich nicht mehr unterwerfen, um über die Runden zu kommen.  Ihm ist sein Gewissen wichtig geworden. Und die Freiheit, sich zu entscheiden. Jetzt geht er seinen eigenen Weg.  

Darum stößt er etwas später auch die Leiter um. Sie sollte ihn zum Erfolg und  zum Reichtum führen. Aber auf dem Weg zu sich selbst braucht er keine Räuberleiter mehr.

Liebe Gemeinde, dieser Dima ist für uns in doppelter Hinsicht ein gutes Beispiel.

Er zeigt: Bei Versuchungen geht es niemals nur um Kleinigkeiten. Um Kavaliersdelikte. Oder um Benimmfragen.

Es geht immer ums Ganze. Was wir tun oder lassen hat immer Folgen für unsere Beziehungen. Zu uns selbst, zu unserem Gewissen. Zu anderen Menschen. Und zu Gott.

Dima redet sich ja nicht damit raus, dass er nur ein `armes Migrantenkind´ ist und deshalb gar nicht anders kann als zu stehlen. Dima wählt den aufrechten Gang. Und erweist sich darin als ein mutiger Nachfolger Jesu.

Solchen Mut wünsche ich uns auch: Den Mut, auf Gott zu setzen. Auf sein Wort zu vertrauen. In der Beziehung zu Gott einen Weg in die Freiheit zu finden, selbst in beklemmenden Situationen.

Das bedeutet nicht, dass wir darauf verzichten müssen, Einfluss zu nehmen in der Welt. Ganz im Gegenteil. Wir können uns dabei an Jesus ausrichten. Uns wie er festmachen an Gottes Zuspruch für jeden Menschen: Du bist mein geliebtes Kind. Die Macht, jeden Menschen als ein Kind Gottes anzusehen, nehmen wir aus Gottes Hand.

Wenn wir das im Sinn haben, dann entlarven wir eine Versuchung unserer Zeit. Wer diesen jungen Mann ansieht, merkt vielleicht ein Klischee einrasten: Der kommt aus Russland? Dann gehört er bestimmt zur Mafia. Die klauen und sind gewalttätig.

Durch solche Zuschreibungen werden ganze Menschengruppen auf wenige Merkmale festgelegt. Die Russen. Die Türken. Die Araber. Die Asylsuchenden. Sie geraten in eine Schublade. Und dann können wir sie uns vom Leib halten. Weil wir nicht wissen, wer da auf uns zukommt. Und was.

Was fremd ist, ist unheimlich. Und dann übernimmt die Angst das Regiment. Aber wenn wir Angst haben, hat der Auseinanderbringer ein leichtes Spiel: Die wollen uns überrennen. Die machen uns fertig. Dann machen wir sie doch lieber fertig. Oder wir lassen sie erst gar nicht rein.

Manchmal höre ich Menschen sagen: „Da kann man eh´ nichts machen“. Oder: „Man muss eben mit dem Strom schwimmen. Die Hassparolen sind so laut. Die Gewalt so brutal. Da heule ich lieber mit den Wölfen.“ In meinen Ohren klingt das bedrückend. Und ängstlich. Und furchtbar resigniert.

„Aufzugeben ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann bei dem Versuch, ein Mensch zu werden.“ hat die Theologin Dorothee Sölle mal gesagt. „Die Bibel hat für sich, dass sie unsere größte Versuchung, die Hoffnungslosigkeit bekämpft.“

In unserem Kirchenkreis versuchen wir darum, Menschen die Angst voreinander zu nehmen. Hier in Marl sind wir so frei und laden Flüchtlinge in evangelische Gemeindehäuser ein. In anderen Städten helfen wir Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan, unsere Sprache zu lernen.

Sie sollen selbst zu Wort kommen. Und wir erleben, wie erleichtert viele Menschen sind. Auf beiden Seiten.

Die Angst wird klein, die Hoffnung groß. Dass es doch gemeinsam geht. Dass noch jede Menge Platz ist bei uns.

Dass Unterschiede zwischen Menschen nicht bedrohlich sein müssen. Sondern bereichernd sind. Wenn wir nur darauf achten, dass niemand verloren geht. Dann widerstehen wir nämlich der Versuchung, unsere Seele an den Auseinanderbringer zu verkaufen.

„Du bist mein geliebtes Kind.“ An dieses Machtwort Gottes können wir uns halten, wenn Versuchungen uns locken wollen. Du bist mein geliebtes Kind.

Beten hilft auch. Jesus hat uns Worte dafür geschenkt: „Führe uns nicht in Versuchung!“, so beten wir im Vater Unser.
Wir können sicher sein: Was uns Angst macht, was uns durcheinander bringt, was uns innerlich zu zerreißen droht,  ist in Gottes Ohr gut aufgehoben.

Immer wieder, jeden Tag. Gott weiß ja, dass wir es täglich neu üben, Menschen zu sein. Gotteskinder zu bleiben.

Wir haben öfter die Wahl, als wir denken. Davon erzählt die Geschichte von der Versuchung Jesu. Und Dimas Geschichte auch. Gott sei Dank sind sie beide nicht zu schön, um wahr zu sein.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinn in Christus Jesus.

Amen.

Perikope
01.02.2015
4,1-11

Verdienst und Gnade - Predigt zu Matthäus 20,1-15 von Christoph Dinkel

Verdienst und Gnade - Predigt zu Matthäus 20,1-15 von Christoph Dinkel
20,1-15

Verdienst und Gnade

Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.

Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen. Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.

Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?

Liebe Gemeinde!

Das Verhalten des Gutsbesitzers im Gleichnis löst Diskussionen aus. Und das hat dieser durchaus beabsichtigt. Ganz gezielt wird denen der Lohn als erstes ausgezahlt, die am kürzesten gearbeitet haben. Und sie erhalten zur allgemeinen Überraschung einen vollen Tageslohn. Fast schon mit Hinterlist wird bei denen, die am längsten gearbeitet haben, dadurch Hoffnung geweckt: Wenn der Gutsbesitzer zu denen, die nur kurz gearbeitet haben, so großzügig ist, wie werden dann erst wir für unsere harte Arbeit belohnt werden. Im Kopf wird schon eifrig überschlagen, was da wohl herausspringt und was man sich dafür kaufen könnte. Und dann diese Enttäuschung: Alle bekommen denselben Lohn, ganz gleich ob sie kurz oder lange gearbeitet haben. Das grenzt an Betrug, toben die einen, und die anderen werden sich schnell aus dem Staub machen, bevor ihnen ihr Lohn streitig gemacht wird. An Gesprächsstoff wird an diesem Abend kein Mangel gewesen sein. Unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden haben sich einmal überlegt, was die verschiedenen Arbeiter zu Hause wohl jeweils berichtet haben:

„Den ganzen Tag habe ich mich abgerackert! Von morgens bis abends! In der prallen Sonne, in quälender Hitze! Den ganzen Tag! Und der Gutsbesitzer zahlt mir genauso viel wie den Arbeitern, die erst am Abend eingestellt wurden und nur eine Stunde gearbeitet haben. Das ist ungerecht! Morgen fange ich auch erst bei Sonnenuntergang an zu arbeiten. Dann spare ich meine Energie und kriege trotzdem gleichviel Geld. Der Gutsbesitzer kann mich mal!“

Ein anderer, der ebenfalls lange gearbeitet hat, klingt ganz ähnlich: „Es ist ungerecht, dass die, die sich einen Großteil der Zeit auf die faule Haut gelegt haben, genauso viel wie wir an Lohn bekommen haben!“

Ein dritter schließt seinen Bericht mit den Worten: „Morgen warte ich einfach bis abends, dann wird er mich wohl auch einstellen, und ich muss weniger arbeiten.“

Aus Sicht derer, die kurz gearbeitet haben, stellt sich die Sache natürlich anders dar. Einer berichtet zu Hause: „Eigentlich war klar, dass ich nicht den vollen Tageslohn bekommen würde, aber besser als nichts. Also ging ich mit in den Weinberg. Nach einer Stunde Arbeit rief uns der Weinbergbesitzer zu sich und ließ allen einen ganzen Tageslohn auszahlen. Vielleicht war es ja ein Geschenk Gottes. Aber morgen werde ich den ganzen Tag arbeiten, sonst wäre es ja nicht fair.“

Ein zweiter zieht einen anderen Schluss. Auch er freut sich über den unverhofften Tageslohn. Aber er fühlt sich dadurch zu nichts verpflichtet. Am nächsten Tag will er wieder erst am Abend zur Arbeit kommen. So lange es dafür dasselbe Geld gibt, wäre alles andere ganz schön blöde.

Aber die meisten derer, die kurz gearbeitet haben, reagieren anders. Sie nehmen sich vor: „Morgen werde ich schon ganz früh morgens da sein, um das viele Geld mit harter, fleißiger Arbeit zurückzuzahlen, das ich heute für die wenige Arbeit bekommen habe.“

Der Gutsbesitzer im Gleichnis wollte Diskussionen auslösen und das ist ihm gelungen. Und Jesus, der den Gutsbesitzer und das Gleichnis erfunden hat, zieht uns mit seiner Erzählung in die Diskussion zwischen denen, die lange und denen, die kurz gearbeitet haben, mit hinein. Was ist gerecht? Darf jemand hart arbeitende Menschen so provozieren? Darf man mit seinem Vermögen für Streit und Neid sorgen?

Das Gleichnis Jesu löst Diskussionen aus. Es sperrt sich gegen einfache Lösungen. Als Modell für Tarifverträge eignet es sich schon einmal nicht. Tarifverträge nach dem Muster des Verhaltens des Gutsherren würde nicht nur die Arbeitsmoral, sondern auch den Betriebsfrieden nachhaltig stören. Unterschiedliche Belastungen, Qualifikationen und Verantwortungsbereiche müssen sich in der Bezahlung irgendwie widerspiegeln. Sonst bricht die Motivation zusammen.

Was aber ist dann gemeint und worauf zielt der Impuls, den das Gleichnis setzen will?

Eine andere Lösung klingt da schon deutlich passender: Der im Gleichnis vereinbarte Tageslohn von einem Denar oder Silbergroschen dürfte in etwa dem entsprechen, was damals eine kleinere Familie täglich zum Überleben benötigte. Die Botschaft des Gleichnisses wäre dann: Es soll keiner Hungern. Alle haben Anspruch auf genügend Nahrung. Neid ist da völlig unangemessen, wo es ums Überleben geht.

In diese Richtung wird man das Gleichnis interpretieren können und in diese Richtung hat es auch gewirkt. Dass in unserem Land jeder Mensch Anspruch auf Nahrung, Obdach und Gesundheitsversorgung hat, auch dann, wenn er durch eigene Arbeit nichts für deren Finanzierung beitragen kann, liegt ganz auf der Linie unseres Gleichnisses. Auch wenn hier noch manche Wünsche offen sind – aus der Perspektive der Tagelöhner unseres Gleichnisses wären die sozialen Sicherungssysteme unserer Gesellschaft dem Himmelreich schon sehr nahe.

So richtig diese Lösung sein mag, so sehr bleibt der Eindruck zurück, dass das noch nicht alles sein kann, was das Gleichnis sagen könnte. Für den einfachen sozialen Appell: Alle sollen satt werden! – wäre kein solch erzählerischer Aufwand erforderlich gewesen. Dazu hätte es der Provokation der lange im Weinberg Arbeitenden nicht bedurft. Die raffinierte Erzählstruktur, die geradezu aufreizende Geldauszahlungsszene muss noch einen anderen Hinweis enthalten.

Ich denke, es ist folgender: Wir Menschen gehen in unserem alltäglichen Denken und Verhalten zumeist davon aus, dass der andere sein Schicksal sich irgendwie selbst verdient hat. In Worte gefasst klingen unsere Alltagsunterstellungen etwa so: Wer viel arbeitet, bringt es auch zu etwas. Wer wenig tut, der hat auch wenig. Bildung und Einkommen hängen ganz offensichtlich zusammen, das lehrt die Statistik: Je höher der Bildungsabschluss, desto höher im Durchschnitt das Einkommen. Schlechte Noten in der Schule sind ein Armutsrisiko und ungenügende Bildung ist auf Dauer auch ein Kriminalitätsrisiko. Außerdem gilt: Wer arm ist, stirbt im Durchschnitt früher, weil arme Menschen eher weniger auf ihre Gesundheit achten, mehr Alkohol zu sich nehmen und dicker sind. Überhaupt bringt Fettleibigkeit ein erhöhtes Krebsrisiko mit sich, von den Risiken für Herz und Kreislauf einmal ganz abgesehen.

Für unser Alltagswissen hängt das Schicksal eines Menschen ganz eng mit seinem Verhalten zusammen. Und die ganzen statistischen Informationen zu Krankheit, Kriminalität, Bildung, sozialen Faktoren, die wir über Zeitung, Fernsehen, Internet mitbekommen, bestärken uns in dieser Einschätzung noch. Wir können uns zwar klarmachen, dass die meisten der genannten Zusammenhänge nur statistisch bestehen und Rückschlüsse auf den Einzelfall oder gar Einzelfallprognosen damit völlig unzulässig und irreführend sind. Unserem Alltagswissen ist das aber egal. Es bleibt dabei: Von einzelnen Unglücksfällen abgesehen, hat man sich sein Schicksal selbst verdient und selbst zuzuschreiben.

Auch zu Jesu Zeiten hat das Alltagswissen der Menschen schon so funktioniert: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern“ wird Jesus von seinen Jüngern gefragt als er einen Blindgeborenen heilen will (Johannes 9,2). Irgendeiner muss verantwortlich sein für das Unglück des Blinden, so denken die Jünger. Das Opfer muss zu allem Unglück auch noch die Schande tragen, irgendwie selbst an seinem Schicksal schuld zu sein. Auch auf unseren Schulhöfen kann man als Schimpfwort den Ausspruch hören: „Du Opfer!“ – Wie wohltuend ist es doch da von Jesus über den Blindgeborenen zu hören: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern“. Jesus durchbricht mit aller Deutlichkeit die unheilvolle Unterstellung als sei man am eigenen Ergehen selbst schuld.

Und noch eine andere, ziemlich unbekannte Äußerung Jesu weist in dieselbe Richtung (Lukas 13,1-4): „Es kamen […] einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? […] Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen?“

Für Jesus ist klar: Wer Unglück erleidet, ist nicht schuldiger als der, der heil davon kommt. Und genauso wenig wie das meiste Unglück in der Welt verdient ist, genauso wenig ist das meiste Glück in der Welt verdient. Dass jeder seines eigenen Glückes oder seines eigenen Unglückes Schmied ist, ist eine grandiose Selbsttäuschung der Menschen. Diese Selbsttäuschung mag zu manch großer Leistung motivieren, aber im Grunde ist das ganz und gar unrealistisch, hochmütig und selbstgerecht.

Gott „lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Matthäus 5,45) Auch dieser Satz stammt von Jesus und er macht noch einmal klar, dass jeder Versuch Sonnenschein, Wetter oder Lebensglück sich selbst und der eigenen Leistung oder moralischen Qualität zuzuschreiben an der Realität völlig vorbei geht.

Wer im Gleichnis Glück hatte und schon früh eine Arbeit bekam, soll darüber einfach froh sein. Er hat zwar hart gearbeitet, musste sich aber den ganzen Tag nie Sorgen um seinen Lebensunterhalt machen. Wer im Gleichnis vom Pech verfolgt ist und den ganzen Tag um seinen Lebensunterhalt bangen musste, dem wird am Ende das Lebensnotwendige einfach geschenkt. Oft wird das im Leben nicht geschehen. Aber wo es geschieht, da sollten jene nicht neidisch werden, die sich ihres Lebensunterhaltes sicher sein können, weil sie Arbeit haben, gebildet, gesund oder vermögend sind. Auch die Arbeitsfähigkeit, auch die Gesundheit, auch das Vermögen, den Verstand und den Fleiß hat sich keiner von uns selbst verdient. Sie sind uns geschenkt, sie sind ein Gnade Gottes und die einzig angemessene Form der Antwort auf solche Gnade ist die Dankbarkeit und der selbstverständliche Einsatz für andere.

Keinem Menschen darf sein Schicksal einfach als Folge seiner Taten zugeschrieben werden. Das gilt, wie im Gleichnis, für Menschen ohne Arbeit und Auskommen, das gilt genauso für Menschen, die krank sind, pflegebedürftig, behindert, einsam oder arm. Und das gilt auch für die Menschen in den armen Ländern dieser Erde, für die Opfer von Krieg, Hunger, Seuchen, Korruption und Misswirtschaft. Viele von ihnen sind Opfer, obwohl sie keine Schuld trifft und sie nichts für ihre Lage können. Dass es den meisten in Deutschland besser geht, ist nicht unser Verdienst, verdanken wir nicht unserer Leistung. Das ist Gnade, ganz allein Gnade.

Und so ist die Pointe unseres Gleichnis zugleich der Kernsatz protestantisch-reformatorischer Lehre: Wir Menschen leben nicht von unseren Verdiensten. Wir Menschen leben allein von der Gnade Gottes. Das kränkt unseren Stolz, weil wir doch so gerne unser Schicksal selbst herstellen und verdienen wollen. Und weil das so kränkend ist, regen sich die Arbeiter, die im Gleichnis lange gearbeitet haben, ja auch so auf. Aber wer realistisch ist, der weiß, dass er wie jene im Gleichnis, die nur kurz gearbeitet haben, das Lebensnotwendige und alles Glück als Geschenk und umsonst empfängt. Von unseren Leistungen und Verdiensten könnten wir niemals leben. Wir Menschen leben allein von der Gnade Gottes. – Amen.

Perikope
01.02.2015
20,1-15

KONFI-IMPULS zu Matthäus 20,1-16 von Judith Reinmuth-Frauer

KONFI-IMPULS zu Matthäus 20,1-16 von Judith Reinmuth-Frauer
20,1-16
  1. Reaktionen nach der ersten Lektüre
    Viele empfinden das Verhalten des Hausherrn als unfair, vor allem gegenüber denen, die schon den ganzen Tag gearbeitet haben. Es gibt auch die Sichtweise: Vielleicht hat jemand ja schon den ganzen Tag nach Arbeit gesucht und keine gefunden. Erst am Nachmittag gelingt es dann. Für diesen Menschen ist es nicht unfair, weil er ja nichts dafür kann, im Gegenteil: Er freut sich.
     
  2. Gleichnis für Gott
    Ich weise darauf hin, dass diese Geschichte ein Gleichnis für Gott ist und das Verhalten des Hausherrn uns zeigen soll, wie Gott sich verhält. Dann frage ich, ob das für sie etwas verändert, ob sie es dann anders empfinden. Für manche macht es keinen Unterschied, sie empfinden das Verhalten immer noch als unfair und ungerecht. Für andere verändert sich etwas: Gott behandelt alle gleich – das ist gut. Gott liebt alle gleich – das tut gut.
     
  3. Hineinversetzen in die Personen
    Die Geschichte bietet gute Möglichkeiten, sich mit Methoden des Bibliologs bzw. Bibliodramas anzunähern. Eine Idee dazu: V. 1 bis 10 noch einmal zu lesen und dann die Gruppe einzuteilen in diejenigen, die ab 6 Uhr, ab 9 Uhr, ab 12 Uhr und ab 15 Uhr gearbeitet haben. Allen wird ein „Silbergroschen“ (könnte auch ein Schoko-Taler sein) als Lohn gegeben. Sie reagieren aus ihrer Perspektive und äußern sich. Dabei werden sie auch konfrontiert mit dem Satz: „Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?“ Es entsteht ein Gespräch. Evtl. können die Rollen noch einmal getauscht werden, um auch die andere Perspektive einzunehmen.
     
  4. Schreibdiskussion
    Eine weitere Möglichkeit, auch als Ergänzung zu 3., bietet eine Schreibdiskussion zu Vers 16: „So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.“
    Dieser Satz steht auf einem großen Plakat und die Konfirmandinnen und Konfirmanden schreiben ihre Gedanken, Gefühle, Einfälle dazu in der Stille auf.
    Erste(r) zu sein ist für viele ein Ziel, z. B. im Sport oder im Ansehen bei den anderen.  Letzte(r) zu sein ist dagegen nicht erstrebenswert und doch für manche auch eine immer wieder gemachte Erfahrung. Was bedeutet es, wenn sich alles umkehrt?
    Es schließt sich ein Gespräch darüber an.

 

Perikope
01.02.2015
20,1-16

Predigt zu Matthäus 20,1-16a von Angelika Überrück

Predigt zu Matthäus 20,1-16a von Angelika Überrück
20,1-16

Liebe Gemeinde,
„Paul ist acht Jahre alt. Paul braucht Geld: 6,50 €. Er möchte sich dafür etwas kaufen. Verdienen kann er noch nichts. Bitte sagen mag er nicht. Da fällt ihm etwas ein: Er schreibt seiner Mutter eine Rechnung:
Für das Anziehen der kleinen Schwester  1,50 €
Für das Aufpassen  2,00 €
Fürs Einkaufen   3,00 €
Macht zusammen  6,50 €
Vor dem Mittagessen legt er diese Rechnung heimlich unter den Teller der Mutter. Mutter findet den Zettel. Sie liest ihn. Sie schaut Paul an. Sie sagt kein Wort. Sie legt den Zettel in die Kommode. Paul weiß gar nicht, was er davon halten soll. Er ist ganz aufgeregt.
Am Abend liegen unter seinem Teller zwei kleine Briefe. In dem ersten Brief sind 6,50 €. In dem anderen Brief liegt ein Zettel: Rechnung von der Mutter:
Für Essen und Trinken   0,00 €
Fürs Waschen, Plätten und Flicken der Sachen   0,00 €
Für die Pflege bei Krankheit  0,00 €
Für Erziehung  0,00 €
Fürs Liebhaben  0,00 €
Macht zusammen   0,00 €
Als Paul das liest, wird er sehr nachdenklich. Leise steht er auf und geht in die Küche. Leise legt er das Geld auf den Küchentisch. Dann geht er schnell wieder hinaus.“
(Siehe: Vorlesebuch Religion 1, S. 21, Die Rechnung)

Soweit diese Geschichte. Sie kann verdeutlichen, worum es in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg geht. Paul rechnet wie die Arbeiter, die am Ende eines langen Arbeitstages vor dem Verwalter des Weinberges in der Schlange stehen und auf die Auszahlung ihres Lohns warten. Paul möchte, dass seine Arbeit gerecht bewertet wird und versucht den Wert seiner Arbeit selber abzuschätzen. Auch die Arbeiter im Weinberg haben gearbeitet, um einen gerechten Lohn zu erhalten. Die, die den ganzen Tag gearbeitet haben, wissen, was vereinbart ist. Sie haben gearbeitet mit der Überzeugung, dass ihr versprochener Lohn nach den damaligen Maßstäben für einen Tag Lebensunterhalt reichen müsste. Die anderen Arbeiter werden darauf hoffen, wenigstens genug für eine Mahlzeit zu bekommen.
Und dann kommt die Lohnauszahlung: allerdings sowohl in dem Gleichnis als auch in der Geschichte von Paul und seiner Mutter mit einer überraschenden Wendung.
Die Mutter zählt ihre Leistungen genauso wie Paul auf, kommt aber in der Summe zu einem ganz anderen Ergebnis. Denn sie liebt Paul und deshalb rechnet sie nicht auf, deshalb berechnet sie nicht. Die Mutter verschenkt das, was sie hat. Auch der Weinbergbesitzer entlohnt nicht nach Leistung. Sondern er gibt jedem so viel, wie er es für richtig hält. Er beschenkt einige der Arbeiter, damit auch sie genug haben, um durch den nächsten Tag zu kommen. Ihm ist es wichtig, dass es allen gut geht.
Dass die Mutter ihre Leistungen, ihr Handeln in und für die Familie verschenkt, ist für uns selbstverständlich. Der Weinbergbesitzer dagegen verletzt mit seiner Art der Lohnauszahlung unser Gerechtigkeitsempfinden. Nach unseren menschlichen Maßstäben gemessen ist es ungerecht, dass alle, egal wie lange sie gearbeitet haben, den gleichen Lohn erhalten.
Wenn wir dieses Gleichnis mit den Konfirmanden als Rollenspiel nachspielen, dann beginnen immer sofort Diskussionen, wie man diese Ungerechtigkeit beseitigen kann. Die Konfirmanden spielen, dass sich die Arbeiter zusammenschließen, einen Sprecher wählen, der für sie und ihre vermeintlichen Rechte eintritt. Der dafür sorgen soll, dass doch noch alle zu einem gerechten Lohn kommen. Und derjenige, der den Weinbergbesitzer spielt, hat eine schwierige Aufgabe. Denn den anderen klar zu machen, dass ihnen kein Unrecht geschieht, sondern sie den vereinbarten Lohn bekommen, ist nicht einfach. Wenn ich dann frage, welche Überschrift man diesem Gleichnis geben könnte, kommt oft als Vorschlag „vom ungerechten Lohn“ oder „vom ungerechten Weinbergbesitzer“. Die Auszahlungsart dieses Weinbergbesitzers passt eben nicht zu unserer Vorstellung von Gerechtigkeit, von menschlicher Gerechtigkeit, von Bezahlung nach Leistung.
Was gerecht und was ungerecht ist lernen wir von klein auf. Wir lernen es, weil wir eine Ahnung davon haben, dass mehr Gerechtigkeit unser Zusammenleben besser macht. Dabei vergleichen wir und bewerten Abweichungen als ungerecht. Schon kleine Kinder achten darauf, dass kein Kind mehr bekommt. Da wird jedes Gummibärchen, jedes Stück Schokolade abgezählt und geteilt. Wer sich mehr nimmt, auf den sind die anderen sauer. Wir haben letztes Jahr im Kindergottesdienst in einer Einheit zum Thema Gerechtigkeit allen Kindern ein Gummibärchen gegeben und nur einem Kind eine kleine Tüte voll. Das gab Grummeln, Rumoren und Wut. Erst als zum Schluss dann alle auch eine kleine Tüte voll erhielten, war der Friede wieder hergestellt. Wenn nicht alle das gleiche erhalten, ist es ungerecht.
Andererseits ärgern wir uns bei dem Gleichnis gerade darüber, dass alle gleich behandelt werden. Weil Gerechtigkeit, so wie wir sie verstehen, auch immer etwas mit  Leistung und Gegenleistung zu tun hat. Und wenn Leistung und Gegenleistung nicht miteinander übereinstimmen, empfinden wir es als ungerecht.
Und so bemühen wir uns ein Leben lang, gerecht zu sein, merken aber immer wieder, dass es nicht gerecht zugeht.
An diesem Wochenende hat es Zeugnisse gegeben. Da erwarten wir, dass die Noten gerecht vergeben wurden. Für gute Leistung gute Noten und für schlechte Leistungen schlechte Noten. Ich kenne viele Eltern, die den Wert ihres Kindes nach den Noten beurteilen und deshalb unbedingt bei den Zeugniskonferenzen dabei sein möchten. Schade, denke ich dann immer, denn wie viel wichtiger wäre es, sich an anderen Stellen für die Kinder zu engagieren und gerade denen zur Seite zu stehen, die nicht so gut sind. Denn manchmal sind Noten gar nicht so gerecht. Da stimmt die Chemie zwischen Schüler und Lehrer nicht und schon wird es schwierig. Da quasselt jemand ständig, weil er sich langweilt, und schon gibt es Probleme. Egal, wie die Noten auch sind, die Kinder haben sich ein halbes Jahr lang angestrengt. Und der Wert eines Kindes bemisst sich nicht an den Noten.
Auch im Berufsleben erwarten wir Gerechtigkeit: Jemandem, der viel arbeitet, wird auch viel Lohn gezahlt, und jemandem, der nichts tut, eben weniger. Daran messen wir auch unseren eigenen Wert, indem wir uns mit anderen vergleichen. Deshalb ärgert uns das Verhalten des Weinbergbesitzers, weil er alle aufgestellten Regeln, die Gerechtigkeit nach Leistung und Gegenleistung oder Belohnung bemisst, auf den Kopf stellt.
Aber wenn wir uns in unserer Welt umsehen, dann merken wir allerdings auch schnell, dass wir es bei allem Bemühen nicht schaffen, wirklich gerecht zu sein. Denn welcher Arbeitslohn heute ist schon gerecht? Es gibt da viele Ungerechtigkeiten, genauso wie damals im Gleichnis. Warum verdient beispielsweise eine Krankenschwester oder Menschen, die im Rettungsdienst und in der Altenpflege tätig sind, so wenig? Warum bekommen Erzieherinnen nicht mehr Gehalt? Arbeitet ein Manager wirklich so viel Stunden mehr als sie? Hat er wirklich so viel mehr Verantwortung? Da sind Asylanten, die bei uns arbeiten wollen, aber es laut Gesetz über Monate hinweg nicht dürfen. Und wie viele Menschen gibt es, die von dem, was sie verdienen, gar nicht leben können? Die Diskussion um den Mindestlohn im letzten Jahr, den es ja nun seit 1. Januar gibt, hat das deutlich gemacht. Das, was man verdient, muss auch zum Leben reichen.
Von daher ist der Weinbergbesitzer unserer Zeit weit voraus. Denn er bezahlt einen Mindesttageslohn, nicht nur einen Mindeststundenlohn. Und unbezahlte Überstunden muss man bei ihm auch nicht machen. Für ihn steht einzig und allein im Vordergrund, dass alle genug zum Leben haben.
Allerdings ist dieses Gleichnis natürlich keine Anleitung zu besserem betriebswirtschaftlichen Handeln. Vermutlich würde der Weinbergbesitzer bei einer solchen Handlungsweise bald keine Arbeiter mehr finden, denn die meisten würden ja erst kurz vor Schluss kommen, wenn sie wüssten, dass sie dann auch noch vollen Lohn erhielten. Die Arbeit im Weinberg würde liegen bleiben. Und dann wäre der Weinbergbesitzer vermutlich schnell pleite, wenn er immer allen den gleichen Lohn auszahlen würde. Dieses Gleichnis ist auch kein Beitrag zur Mindestlohndebatte. Nein, um korrekten Umgang mit Lohn und Gehalt geht es nicht.

Sondern es geht um das das Verhältnis von Gerechtigkeit und Liebe. Das Gleichnis möchte deutlich machen, wie Liebe und Gerechtigkeit zusammenhängen, dass es bei Gott andere Maßstäbe gibt als bei uns. In Gottes Welt, die Bibel nennt es Reich Gottes, wird der Wert eines Menschen nicht durch den Vergleich mit anderen bemessen und er wird auch nicht über die Leistung bestimmt.
Die Mutter in unserer Geschichte tut genau das, was man von einer Mutter erwartet: sie rechnet ihre Liebe, ihr Handeln für die Kinder und für die Familie nicht auf. Das ist für sie selbstverständlich. Sie schreibt es ja nur auf, um ihrem Sohn etwas deutlich zu machen: nämlich, wie viel Liebe, wie viel Zeit sie investiert. Wie viel sie gibt, was er nicht sieht, nicht wahrnimmt.
Gott geht noch weiter als die Mutter: Er rechnet seine Liebe nicht auf. Er schreibt auch nicht auf, wie viel er tut. Er sagt nur: „Ich will euch geben, was recht ist.“ Und das ist mehr als die Arbeiter erwarten. Recht in Gottes Augen ist es, dass es allen Menschen gut geht. Dass alle sich am Leben freuen können. Damit durchbricht Gott alle Erwartungen. Weil er für seine Liebe zu uns Menschen keine Leistung fordert. Gott bemisst unseren Wert nicht nach Leistung. Sondern er beschenkt uns. Wir brauchen nichts zu tun. Wir dürfen uns einfach über Gottes Liebe freuen. So wie wir uns am Geburtstag über ein lang ersehntes Geschenk, über die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches freuen.
Allerdings kennen Sie wahrscheinlich auch alle Menschen, denen es schwer fällt, ein Geschenk einfach anzunehmen. Sie rechnen den Wert des Geschenkes aus und meinen dann, beim nächsten Mal in gleicher Höhe schenken zu müssen. Der Schenkende erwartet das manchmal allerdings auch. So ist das Geschenk der Liebe Gottes nicht gemeint. Gott liebt und wertschätzt uns, ohne dass wir etwas gegenleisten müssen.
Wenn wir Menschen nur nach ihrer Leistung beurteilen und für jede Leistung auch eine Gegenleistung erwarten, dann können wir uns nicht richtig freuen. Dann spüren wir gar nicht, wie schön es ist, beschenkt zu werden. Wir dürfen uns freuen, weil wir beschenkt werden. Weil andere beschenkt werden. Der Weinbergbesitzer fragt am Schluss: „Bist du neidisch, weil ich großzügig bin?“ Und wir müssen eingestehen: Ja, dann, wenn wir uns ärgern über den Weinbergbesitzer, dann sind wir neidisch. Neidisch, weil wir meinen, zu kurz zu kommen. Neidisch, weil die eigene Leistung nicht gewürdigt wird.
Aber vielleicht können wir ja lernen, Gottes Gerechtigkeit zu leben. Sicher eine andere Gerechtigkeit als die nach Lohn und Leistung, aber eine, die den anderen Menschen sieht, der auch ein von Gott geliebter Mensch ist. Eine Gerechtigkeit, die alle Menschen im Blick hat und alle mit den Augen der Liebe ansieht. Die will, dass es allen Menschen gut geht. Wenn wir lernen könnten, diese Gerechtigkeit zu leben, wäre das schon ein Stück Himmel auf Erden. Amen

 

Perikope
01.02.2015
20,1-16

Gerecht ist anders, oder? - Predigt zu Matthäus 20,1-16 von Katharina Wiefel-Jenner

Gerecht ist anders, oder? - Predigt zu Matthäus 20,1-16 von Katharina Wiefel-Jenner
20,1-16

Gerecht ist anders, oder?

Erzähl uns mehr, Jesus! Wie wird es sein, wenn wir dir nachfolgen? Wie wird es sein, wenn wir mit dir aufbrechen? Erzähl uns - nur eine Geschichte. Wir lieben deine Geschichten. Eine Geschichte vom Himmelreich - und dann werden wir verstehen, wie der Himmel sein wird. Nur eine Geschichte noch, damit wir begreifen, worauf wir achten müssen; damit wir ahnen, wo wir hingehören. Erzähl uns, Jesus – wir hören dir zu.

Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der sich früh am Morgen aufmachte, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. 2 Er fand etliche und einigte sich mit ihnen auf den üblichen Tageslohn von einem Denar. Dann schickte er sie in seinen Weinberg. 3 Gegen neun Uhr ging er wieder auf den Marktplatz und sah dort noch andere untätig herumstehen. 4 ›Geht auch ihr in meinem Weinberg arbeiten!‹, sagte er zu ihnen. ›Ich werde euch dafür geben, was recht ist.‹ 5 Da gingen sie an die Arbeit. Um die Mittagszeit und dann noch einmal gegen drei Uhr ging der Mann wieder hin und stellte Arbeiter ein. 6 Als er gegen fünf Uhr ein letztes Mal zum Marktplatz ging, fand er immer noch einige, die dort herumstanden. ›Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?‹, fragte er sie. 7 ›Es hat uns eben niemand eingestellt‹, antworteten sie. Da sagte er zu ihnen: ›Geht auch ihr noch in meinem Weinberg arbeiten!‹
8 Am Abend sagte der Weinbergbesitzer zu seinem Verwalter: ›Ruf die Arbeiter zusammen und zahl ihnen den Lohn aus! Fang bei den Letzten an und hör bei den Ersten auf.‹ 9 Die Männer, die erst gegen fünf Uhr angefangen hatten, traten vor und erhielten jeder einen Denar. 10 Als nun die Ersten an der Reihe waren, dachten sie, sie würden mehr bekommen; aber auch sie erhielten jeder einen Denar. 11 Da begehrten sie gegen den Gutsbesitzer auf. 12 ›Diese hier‹, sagten sie, ›die zuletzt gekommen sind, haben nur eine Stunde gearbeitet, und du gibst ihnen genauso viel wie uns. Dabei haben wir doch den ganzen Tag über schwer gearbeitet und die Hitze ertragen!‹ 13 Da sagte der Gutsbesitzer zu einem von ihnen: ›Mein Freund, ich tue dir kein Unrecht. Hattest du dich mit mir nicht auf einen Denar geeinigt? 14 Nimm dein Geld und geh! Ich will nun einmal dem Letzten hier genauso viel geben wie dir. 15 Darf ich denn mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich so gütig bin? ‹
16 So wird es kommen, dass die Letzten die Ersten sind und die Ersten die Letzten.“
(Neue Genfer Übersetzung)


Nein, Jesus! Das ist keine Himmelsgeschichte. Das passt nicht zu Gott. Gott ist gerecht, Gott ist gut. Und im Himmel geht es gerecht zu. Im Himmel, bei Gott, gibt es wirkliche Gerechtigkeit. Im Himmel muss sich niemand mehr beschweren. Im Himmel fühlt sich niemand übervorteilt. Im Himmel wird niemand betrogen und ungerecht behandelt. So ist der Himmel nicht. Nein, Jesus! Erzähl uns, wie es wirklich im Himmel ist.

Und mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der sich früh am Morgen aufmachte, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen...

Jesus! So etwas gibt es nicht, auch nicht in einer Himmelsgeschichte. Welcher Gutsbesitzer geht denn früh morgens los und stellt selbst die Arbeiter ein.  Kein Gutsbesitzer geht mit dem Sonnenaufgang los und sucht sich seine Arbeiter eigenhändig zusammen. Nein Jesus – wenn das der Himmel ist, dann ist das sehr ungewöhnlich. Ein Gutsbesitzer hat seine Leute, seinen Personalchef, der diesen ganzen leidigen Papierkram mit den Bewerbungen, Referenzen, Arbeitszeugnissen und Gehaltsverhandlungen erledigt. Wenn Gott wie dieser Gutsbesitzer ist, dann hieße das doch, dass Gott sich nicht auf irgendwelche Personalchefs oder Diener verlässt, sondern sein Personal direkt rekrutiert. Davon merken wir nur in glücklichen Momenten etwas.
Schon eher nach Himmel klingt freilich, dass der Denar ein ziemlich üppiger Tageslohn ist. Mit einem Denar hat man mehr als doppelt so viel, wie eine Kleinfamilie zum Leben für einen Tag braucht. Geizig ist Gott also nicht – er will mehr als den Mindestlohn zahlen. Aber mal ehrlich Jesus - das ist ohnehin klar: Gott ist kein Ausbeuter, Menschenschinder, kein Lohndrücker. Das reicht so noch nicht für eine Himmelsgeschichte, Jesus. Für eine wirkliche Himmelsgeschichte ist mehr nötig als nur die Aussicht auf mehr als den Mindestlohn.

Und mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der gegen neun Uhr und zur Mittagszeit und um drei Uhr und sogar um fünf Uhr noch einmal losgeht, um neue Arbeiter einzustellen.
Jesus! Der Gutsbesitzer hat keinen Plan. Soll das eine Himmelsgeschichte sein? Gott hat keinen Plan? Das kannst Du nicht gemeint haben, Jesus. Gott soll so fern von den Realitäten sein? Am Morgen weiß man doch, wie viele Leute man braucht. Außerdem gibt es keinen erkennbaren Grund in deiner Himmelsgeschichte, warum der Gutsbesitzer nach drei, sechs, neun und elf Stunden noch einmal neue Arbeiter anheuert. Du hast nichts davon berichtet, dass der Gutsbesitzer den Fortschritt der Arbeit auf dem Weinberg  zwischenzeitlich begutachtet hätte. An neuen Aufgaben im Weinberg kann es demnach nicht gelegen haben. Dass die Arbeit im Weinberg unendlich zu sein scheint, wusste der Gutsbesitzer schon vorher.
Das kann nicht das Himmlische an deiner Himmelsgeschichte sein – dass Gott losgeht und immer wieder losgeht und noch einmal losgeht. Oder doch?
Immerhin findet er jedes Mal neue Arbeiter. Männer, die untätig auf dem Parkplatz oder neben der Tankstelle herum stehen, kennen wir auch. Aber die suchen nicht unbedingt nach Arbeit. Wer am Morgen in der Jobvermittlung nichts abbekommen hat, geht wieder nach Hause oder in die Kneipe, aber wartet nicht weiter. Ist das das Himmlische an deiner Geschichte, Jesus?  Braucht der Himmel die nicht versiegende Sehnsucht, ausgewählt zu werden? Ist das der Himmel, wenn man in der Hoffnung ausgewählt zu werden, nicht enttäuscht wird? Öffnet das den Himmel, wenn man nicht aufgibt und weiter darauf hofft, beim nächsten, übernächsten oder überübernächstem Mal doch noch dazu zu gehören? Die Männer und Frauen, die kurz vor Sonnenuntergang angestellt werden, stehen zwar den langen Tag untätig herum, bevor Gott sie anspricht. Aber sie geben nicht auf, weil sie die Hoffnung haben, dass da noch was kommt. Sie warten, weil das Leben so nicht alles gewesen sein kann. So gesehen, Jesus, passt das zu Gott und die Geschichte klingt tatsächlich ein wenig nach Himmel.

Aber was du dann erzählst, Jesus, das passt einfach nicht zu  Gott. Wieso soll das der Himmel sein?
Die Letzten mögen sich wie im Himmel gefühlt haben. Sie haben mit einer Stunde Arbeit mehr als genug zum Leben verdient. Diese Glückspilze! Die Stunden der Sehnsucht, die verzweifelte Angst einen vergeblichen Tag hinter sich bringen zu müssen, der verzweifelte Versuch, wenigstens etwas Vorzeigbares zu erreichen – alles wurde der Arbeit im Weinberg gleichgestellt und genauso bezahlt. Als ob ihre Schmerzen über ihr untätiges Warten honoriert wurden. Die Wiederherstellung der Würde durch einen Denar. Das ist der Himmel, das ist Gott.
Aber die ersten? So kann Gott doch nicht mit ihnen umgehen? Ist das die himmlische Gerechtigkeit? Wir hätten uns auch beschwert, Jesus. Das ist einfach ungerecht,  das ist unfair. Auch wenn der Gutsbesitzer sich mit allem Grund auf die Abmachung vom frühen Morgen berufen kann. Auch wenn der Tarif abgemacht war und der Gutsbesitzer sich korrekt und vertragstreu verhalten hat - das ist doch nicht in Ordnung! So ist Gott nicht! Das ist nicht Gott!

Ist das die Lehre aus deiner Himmelsgeschichte: im Himmel geht es zwar korrekt, aber letztlich ungerecht zu? Willst du uns mit dieser Himmelsgeschichte den Glauben an Gott vermiesen, Jesus?

Paulus hilf du uns doch, du hast Jesus doch immer so gut verstanden? Paulus, schaffst du es, die Meckernden und Murrenden zu besänftigen? Kannst Du uns Jesus erklären?

Du, Paulus meinst, dass es Jesus in dieser Geschichte gar nicht um die Gerechtigkeit geht, sondern darum, dass Gott uns selbst will. Dich und mich, so wie wir hier sitzen. Du meinst: Jesus erzählt uns mit seiner Himmelsgeschichte, dass wir Gott nicht mit unserer Hände Arbeit und mit unseren frommen Gedanken und Gebeten beeindruck  können. Du meinst, dass Gott anders rechnet. Du meinst, dass bis kurz vor Schluss die Tore zum Himmel offen bleiben und am Ende werden alle gleichberechtigt sein. Es geht also nicht um Gerechtigkeit, sondern um Gleichberechtigung. Die, die schon immer zu Gott gehalten haben, sitzen im Himmel nicht auf bequemeren Plätzen, trinken keinen köstlicheren Wein, hören keine bessere Musik, haben keine schöneren Stimmen zum Lobgesang, tragen keine strahlenderen Kleider? Im Himmel ist diese elende Hierarchie aufgehoben, die uns schon von Kindesbeinen an in den Wettkampf um die besten Startplätze zum guten Leben schickt. Im Himmel zählt nur noch, da zu sein und bei Gott zu sein. Noch in letzter Minute geht Gott los und engagiert, wer auch immer voller Sehnsucht ist. Es geht nicht um die Arbeit, um die Last der Mittagshitze und die Schufterei unter glühender Sonne.  Tatsächlich ist es doch auf andere Art unerträglich schwer und mühsam, untätig herumzustehen und zu warten, sich vor Sorge zu zermartern, zu grübeln, wo das tägliche Brot für morgen herkommen soll, zu berechnen, wie lange die Vorräte reichen und ob jemand im Notfall das Geld für die Apotheke leihen kann, wenn das Kind krank wird. Die Mühen und Plagen des Tages unterscheiden sich von außen, von innen ist die Sehnsucht nach der Schönheit des Himmels das Entscheidende. Und die wird sich erfüllen, genau dann, wenn der Gutsbesitzer-Gott vorbei kommt und sagt: „Los, steh nicht weiter untätig rum, da ist der Weinberg, mache dich auf. Du wirst satt werden, du wirst mehr als genug bekommen, du wirst das Leben finden. Du wirst bei mir sein und alles andere wird unwichtig. Nichts kann dich mehr von meiner Liebe trennen.“ Egal zu welcher Stunde Gott das sagt, es passt zu Gott. Das klingt doch nach Gott!

Wir lieben deine Geschichten, Jesus. Aber am nächsten Sonntag erzähle uns eine  Geschichte vom Himmelreich, die wir schneller verstehen werden, bei der wir nicht erst murren und meckern, bevor wir verstehen, wie der Himmel sein wird. Erzähle weiter, damit wir begreifen, worauf wir achten müssen; damit wir ahnen, wo wir hingehören.
Amen.

 

Perikope
01.02.2015
20,1-16

Vom Gipfel zum Leben in dieser Welt - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Matthias Riemenschneider

Vom Gipfel zum Leben in dieser Welt - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Matthias Riemenschneider
17,1-9

Vom Gipfel zum Leben in dieser Welt

Liebe Gemeinde,

Der Ort ist für die Verklärung wichtig. Es ist der Gipfel eines Berges. In unserem Text wird der Name dieses Berges nicht genannt. Die biblische Tradition kennt nur einen Berg, der dafür in Frage kommt: den Tabor in Galiläa am Ostrand der Jesreel-Ebene.

Heute ist der Tabor für Touristen ein fester Programmpunkt bei der Rundreise in Israel. Schon im Alten Testament wird die Erhabenheit dieses Berges beschrieben und seine Höhe mit der Macht Gottes verglichen. Unvermittelt ragt der Tabor wie ein Kegel aus Ebene heraus. Im Volksmund heißt er deshalb der „Zeigefinger Gottes“.

Die Bilderwelt unseres Predigttextes weist uns den Weg zu einem Geheimnis des Glaubens. Ein Geheimnis ist etwas anderes als ein Rätsel. Ein Rätsel kann man lösen. Ein Geheimnis kann man allenfalls beschreiben und dabei seine Bedeutung jenseits aller rationalen Durchdringung respektieren. Vielleicht liegt hierin auch der Grund, warum Jesus seine drei Jünger auffordert, von diesem Erlebnis erst nach seiner Auferstehung zu reden. Über das Besondere, das Außergewöhnliche – ja auch das Überwältigende kann man nicht ständig reden. Einem geliebten Menschen kann und muss man nicht alle fünf Minuten sagen, wie sehr man ihn liebt. Wie mit der Liebe, so ist es auch mit der Gottesnähe; wir erfahren sie, aber wir reden nicht ständig von ihr.

Nähern wir uns den Bildern, mit denen Matthäus dies Geheimnis beschreibt.

Da ist zuerst der Gipfel des Berges. Solche Gipfel bieten häufig besondere Erlebnisse. Wir können das leicht nachvollziehen, wenn wir etwa auf dem Lemberg einen Sonnenuntergang beobachten und Zeuge werden, wie die Leonberger Höhe in ein leuchtendes Rot getaucht wird und uns dabei noch eine Gedichtzeile Hölderlins in den Sinn kommt.

Berge sind oft auch Orte des Rückzugs, der Besinnung und der Auszeit. Auch das kennen wir aus unserem Leben. Vor wichtigen Aufgaben tanken wir Ruhe, vor schwierigen Entscheidungen ziehen wir uns zurück, um unsere Kräfte zu sammeln mit denen wir „über den Berg kommen“.

Vor den Augen und den Ohren der Jünger wird Jesu Vollmacht bestätigt. In der Dramaturgie des Evangeliums geschieht die Verklärung zwischen der ersten und der zweiten Leidensankündigung Jesu. Gipfelerlebnisse sind immer Wendepunkte. Nach dem Aufstieg zum Gipfel muss man wieder den Weg in die Ebene zurückgehen. Deshalb ist das Ansinnen von Petrus irrig, drei Hütten zu bauen und damit das Besondere und das Überwältigende für die Ewigkeit zu konservieren. Es würde bestenfalls ein Museum dabei herauskommen.

Wir kennen auch die Redewendung „die Mühen der Ebene“. In diese Ebene zurück führt der Weg für den Verklärten, auf dem er seine Jünger mitnimmt. Aber vorher geschieht noch etwas anderes:
„7Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!“

Glaube kann manchmal ein heiliges Erschrecken sein. Jedenfalls machen die Jünger eine im wahrsten Sinn umwerfende Erfahrung. Was sie sehen und hören übersteigt ihre Möglichkeiten der Wahrnehmung. Wie schon Mose und Elia vor ihnen löst die Erscheinung Gottes bei ihnen Furcht und Zittern aus. Aber Jesus berührt sie und richtet sie aus ihrer Demutsgebärde wieder auf. Er gibt ihnen ihr menschliches Maß und damit ihre Würde zurück. Ein Kapitel nach unserem Text muss Jesus freilich den Rangstreit zwischen den Jüngern schlichten und sie von ihren Höhenflügen auf den Boden der Tatsachen zurückholen.

Die Bilder, die Matthäus verwendet, kann man angemessen so zusammenfassen: ‚Ohne Abstieg bleiben Gipfelerfahrungen wertlos. Ohne Gipfelerfahrungen wird jeder Abstieg zu einem Trauermarsch‘.[1]

In unserem individuellen Leben haben wir zu diesen Gedanken einen unmittelbaren Zugang. Für alles, was lange währen soll, brauchen wir immer wieder Gipfelerlebnisse, Erfahrungen des Glücks und der Ermutigung, an denen wir Kraft tanken, damit wir die Mühen des Alltags gut überstehen. Das gilt für das Zusammenleben von Paaren genauso wie für ein langes Arbeitsleben, für das wir auch immer wieder Erfolgserlebnisse und Anerkennung benötigen. An dieser Stelle dürfen wir nicht stehenbleiben. Erfolgserlebnisse beleben den Alltag. Wenn man nur einseitig die Höhepunkte festhalten will, erreicht man am Ende nur Stillstand.

Mit meinen bisherigen Gedanken befinden wir uns ausschließlich in der Welt des persönlichen Erlebens. Haben diese Gedanken eine Bedeutung für das, was uns politisch in diesen Wochen bewegt? Der Terror der selbsternannten muslimischen Gotteskrieger erschüttert die Welt. Um die Hintergründe dieses Terrors verstehen zu können, ist es nötig die Verschränkung der politischen Kultur mit der Religion des Islam zu beleuchten.

Die kulturelle Blüte des Islam lag im Mittelalter, noch bevor mit Reformation und Humanismus sich im Westen eine Loslösung von der kirchlichen Bevormundung abzeichnete. In Philosophie, Naturwissenschaften und Mathematik war die islamisch geprägte Kultur der europäischen sogar in Teilen überlegen.

Die Entdeckung Amerikas ist im Osmanischen Reich, dass die politische Einheit für die Welt des Islam darstellte und zu dieser Zeit seine machtvollste Ausdehnung besaß, überhaupt nicht beachtet worden. Und doch legte die Entdeckung der neuen Welt den Grundstein für den wirtschaftlichen und politischen Niedergang des Osmanischen Reiches – eine Erfahrung von Abstieg und Ausgeliefertsein, das die islamische Welt in weiten Teilen bis heute prägt.

Der Buchdruck, mit dem die Weitergabe von Wissen um ein Vielfaches beschleunigt wurde, durfte im Osmanischen Reich erst 300 Jahre nach Johannes Gutenberg eingeführt werden. Dies hatte vornehmlich religiöse Gründe, weil die arabische Hochsprache, in der der der Koran überliefert ist, eine vorwiegend religiöse und liturgische Bedeutung hat. Deshalb unterliegt die mechanische Vervielfältigung der heiligen Sprache einem Tabu.

An diesem kleinen Beispiel wird deutlich, wie der bis ins Mittelalter hinein selbstverständliche geistige und kulturelle Austausch zwischen Okzident und Orient unterbrochen wurde, weil sich die Entwicklung der Sprache, der Weitergabe von Wissen und damit auch die kulturelle Entwicklung der Gesellschaften getrennt voneinander zu entwickeln begannen.

Für Westeuropa ist die Entwicklung hin zur Moderne mit der Säkularisierung verbunden. Säkularisierung kann man als „Einhegung des Sakralen“ bezeichnen. Das heißt: Vorschriften der Religion und die Erfahrung der Transzendenz bestimmen nicht mehr vollständig das Alltagsleben der Menschen, sondern werden auf bestimmte Bereiche begrenzt. Dies ermöglichte der westlichen Zivilisation eine eigenständige Entwicklung, die weitgehend frei von religiösen Verboten und Einschränkungen ist.

Diese Form der Einhegung des Sakralen hat die Mehrzahl der arabisch-muslimischen Gesellschaften nicht mitvollzogen. Auf der Religion basierende Vorschriften bestimmen bis heute das Alltagsleben vieler Menschen, die gesellschaftliche Ordnung und die staatliche Gesetzgebung. Damit wird weitgehend eine alte Ordnung konserviert, die nicht dynamisch im Zusammenleben der Menschen weiterentwickelt wird.

In der islamischen Kultur kommt noch ein anderes Verständnis des Gesetzes hinzu. In der traditionellen Ethik werden die Vorschriften für das Alltagsleben aus dem Gesetz hergeleitet. Erst die Erfüllung des Religionsgesetzes ermöglicht das „richtige“ Leben des Gläubigen. Wenn dieses richtige Leben erreicht ist, erfüllt sich die Geschichte. Diese Erfüllung der Geschichte ist in der traditionellen Vorstellung mit Bildern verknüpft, die eine Rückkehr in die idealisierte Zeit des Propheten in Mekka und Medina bedeuten. In dieser Lesart des Koran sehnt man sich nach dem Gipfel der Verklärung zurück

Aus diesem religiös motivierten Anspruch heraus das gesellschaftliche Leben zu gestalten wird die eigenartige Spannung sichtbar, die das Verhältnis von Islam und aufgeklärter Moderne kennzeichnet.

Dies erklärt nicht die Ursachen eines fundamentalistischen Terrors, macht aber den Graben sichtbar, der sich in den vergangenen 500 Jahren zwischen der europäisch-christlichen und der arabisch-muslimischen Welt aufgetan hat. Die Aufgabe, die die großen Religionen angesichts dieses Terrors haben, ist den abgerissenen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Dabei kann jede Religion aus dem Reichtum ihrer Tradition schöpfen, ohne den Reichtum der anderen Tradition damit abzuwerten.

„7Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!“ In dieser Aufforderung Jesu an seine Jünger, aufzustehen, den Gipfel der Verklärung zu verlassen und in die Ebene hinabzusteigen, liegt eine besondere Ermutigung. Sie brauchen sich nicht blind der Erhabenheit Gottes zu unterwerfen. Sondern im Gegenteil sind sie aufgefordert, in einem aufrechten, die menschliche Würde wahrenden Handeln ihr Leben zu gestalten und in einer nach vorne hin offenen Zukunft zu entwickeln. Die Begegnung mit Gott ist nicht auf die Offenbarung auf dem Berggipfel beschränkt, sondern geschieht ebenso im Vollzug unseres Alltags.

Amen

Literatur:

Dan Diner, Versiegelte Zeit. Über den Stillstand in der islamischen Welt, Berlin ³2010

Lothar Steiger, Erzählter Glaube. Die Evangelien, Gütersloh 1978, S. 144 – 152.


[1] Hans Joachim Schliep, Predigt zu Matthäus 17, 1-9. In: Göttinger Predigten im Internet, 9. Februar 2003. Dieser Predigt verdanke ich wichtige Hinweise.

 

Perikope
25.01.2015
17,1-9

Predigt zu Matthäus 17,1–9 von Irmtraud Ahlers

Predigt zu Matthäus 17,1–9 von Irmtraud Ahlers
17,1-9

Liebe Gemeinde,
Die Begegnung mit dem Heiligen hat etwas Faszinierendes und Erschreckendes zugleich. Sie verwirrt, ja, überrascht Menschen, so dass sie sich fürchten und zugleich wundersam berührt sind.  Die Begegnung mit dem Heiligen  bleibt nicht ohne Folgen, sondern setzt Menschen in Bewegung.
Davon erzählt die Bibel in vielen Geschichten,
Davon können wir selber –vielleicht auch- aus unserem eigenen Erleben Geschichten hinzufügen, die unsere Lebenswege maßgeblich beeinflusst haben.

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?“ ruft der Psalmbeter und richtet seinen Blick sehnsuchtsvoll nach oben, als wäre Gott da anzutreffen. Und, als gäbe er sich die Antwort nach einem Atemzug selber, heißt es dann: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“
Da oben, wo Himmel und Erde sich berühren, ist für die Menschen der Bibel häufig der Ort der Gottesbegegnung.

Mose ist Gott dort nahe gekommen, unverhofft, beim Hüten der Schafe. Viele Jahre später wird er eigens diesen Berg hinaufsteigen, um die Weisungen und Gebote Gottes in Empfang zu nehmen, die das Zusammenleben der Israeliten fortan ordnen sollten.
 
Und heute, am letzten Sonntag nach Epiphanias, ist es, als stünden wir im Spannungsbogen des Kirchenjahres auch auf einer Höhe, einem Bergkamm gleich. Im Rücken liegt das Tal, dessen Weg aus Bethlehem heraufführte. Wir sehen das helle Licht, dass mit Jesu Geburt in die Welt kam und die Finsternis erhellte. Auf der anderen Seite des Kamms liegt das Tal, dessen Weg am Ende nach Jerusalem und Golgatha führt. Ein anderer, intensiver, Wegabschnitt im Leben Jesu beginnt.

Auch die Predigtgeschichte aus dem Matthäusevangelium führt uns heute hinauf auf einen hohen Berg zu einer besonderen Gottesbegegnung. (Lesung Mt 17, 1 – 9:)

Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich
Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder,
und führte sie allein auf einen hohen Berg.
Und er wurde verklärt vor ihnen,
und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,
und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia;
die redete mit ihm.
Petrus aber fing an und sprach zu Jesus:
„Herr, hier ist gut sein!
Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen,
dir eine, Mose eine und Elia eine.“
Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke.
Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach:
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe;
den sollt ihr hören.“
Als das die Jünger hörten,
fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr.
Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach:
„Steht auf und fürchtet euch nicht!“
Als sie aber ihre Augen aufhoben,
sahen sie niemand als Jesus allein
Und als sie vom Berge herabstiegen,
gebot ihnen Jesus und sprach:
„Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen,
bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“


Liebe Gemeinde,
eine geheimnisvolle Geschichte ist das, mit Anspielungen und verborgenen Verlinkungen, ein religiöses visionäres Gipfelerlebnis, das einen zunächst mehr blendet als einen neuen Verstehenshorizont eröffnet.
Jesus begibt sich auf den Berg in die Abgeschiedenheit. Um welchen Berg es sich handelt, wird nicht gesagt. 
Der Erzähler scheint den Gottesberg im Sinn zu haben, auf dem Mose Gott begegnet war. Auch hat er die alten Worte aus dem 2. Buch Mose im Sinn als er seine Geschichte aufschreibt, wo es heißt: „Die Herrlichkeit des Herrn ruhte auf dem Berg und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage. Am siebenten Tage erging der Ruf des Herrn an Mose aus der Wolke.“ (Ex 24,16)
Danach ist Mose wieder hinabgestiegen mit den Geboten in den Händen. Er strahlte. Sein Angesicht leuchtete so sehr vom himmlischen Licht, dass er sich mit einem Schleier bedecken musste, als er sich dem Volk, was unten auf ihn wartete, näherte.
Und noch etwas hat der Erzähler im Sinn: das Bergerlebnis des Profeten Elia. Elia zählte neben Mose zu den angebeteten geistigen Vätern Jesu von klein auf. Hatte nicht auch Elia in der Stunde der Verzweiflung auf dem Berg sein Heil gesucht? Und hatte sich Gott nicht auch dort offenbart- im sanften Sausen der Luft?  
Das geschah unverhofft, in tiefster Verzweiflung.  Elia bewegte das sehr, in tiefster Verzweiflung so sanft und tief berührt zu werden, keine großen Reden und Vorhaltungen zu hören. Ganz von allein gewann Elia wieder Boden unter den Füßen. Gestärkt und mit neuem Selbstvertrauen begab er sich wieder nach unten in die irdischen Gefilde
 
Jesus sucht die Nähe Gottes und nimmt auf Weg in die höhere Sphäre drei Jünger mit, Petrus und die Brüder Jakobus und Johannes, Jünger, denen er besonders vertraute.   
Oben angekommen verwandelt sich Jesus wundersam. Er beginnt zu strahlen und zu leuchten. Und zu ihm gesellen sich plötzlich zwei Gestalten:  Elia und Mose. Die Jünger trauen ihren Augen nicht.
Für Jesus waren  Elia und Mose zeitlebens leuchtende Vorbilder gewesen. Sie erscheinen ihm, weil es ihm so sehr nach ihnen verlangte. Er beschwört sie sozusagen selbst. Von Kindesbeinen an hatte er mit ihnen Umgang, stets tauschte er sich mit den beiden geistlichen Väter aus in den alten Schriften aus.
Wohin Jesus auch kam, dachten die Leute an Mose und Elia. „Mose ist wieder unter uns!“ riefen sie, oder: „Elia ist wiedergekehrt!“
Nun erscheinen sie ihm auf dem Berg Gottes. Es ist fast als habe Gott sie geschickt, um ihm beiseite zustehen und zu stärken. Die beiden Gestalten, die ihn von der Wiege an so nahe waren, werden ihn auch auf seinem letzten Lebensabschnitt begleiten.

Jesus strahlt, als er die vertrauten Gestalten sieht,
und sein Angesicht leuchtet wie die Sonne,
und seine Kleider werden weiß wie das Licht.

Ihn erwarten Leiden und Tod, doch auf dem Berg ist für Augenblicke Ostern.
Jesus weiß mit diesen beiden Wegbegleitern an seiner Seite, er wird durchhalten.

Eine Vision in hohen Sphären, liebe Gemeinde.
Die Zeit zählt nicht mehr, die Uhren stehen still. Wenn wir in uns hineinhorchen, kennen wir vielleicht ähnliche Momente, wo uns Ahnengestalten, liebe Menschen aus einer anderen Zeit, in einem besonderen Moment auf einmal so nahe kommen, dass man sie förmlich um sich spürt, man sie vielleicht auch sprechen hört, wie sie einem etwas Wichtiges sagen. Das sind kostbare, heilige Momente, die einem einen wichtigen Impuls geben können, so dass man manches danach wieder klarer sieht.

Und die Jünger, die die Adoption Jesu in den Kreis der geistigen und göttlichen Väter auf dem Berg miterleben, was ist mit denen? Petrus findet zuerst zur Sprache zurück und wartet unvermittelt mit einem praktischen Vorschlag auf, um diesen besonderen Moment noch ein wenig zu halten und zu verlängern. Vielleicht war ihm auch bange vor dem, was vor ihnen lag. So redet er eben drauf los: 
„Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen,
dir eine, Mose eine und Elia eine.“

Petrus hatte seine Idee noch nicht ganz ausgesprochen, da überschattet sie eine Wolke, aus der sie eine Stimme, Gottes Stimme, hören:
„Dies ist mein  lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“

Es ist die Stimme, mit der alles begann, die Stimme am Ufer des Jordans, die Jesus hörte, als er sich taufen ließ:
„Du bist mein Sohn“.
Nun wendet sich die Stimme an die Jünger. Was sie als Zeugen eben wunderbar miterlebt haben, wird nun noch einmal durch die Stimme erklärt: Wer Gott hören und erfahren will, der höre auf diesen Sohn.  Gott spricht und wirkt durch ihn.
Die Jünger packt nicht nur ein heiliger Schauer, sondern die Angst.
Verständlich bei dem, was sie selbst gesehen und gehört haben.
Sie fallen zu Boden und verdecken ihr Gesicht.
Jesus kommt auf sie zu, berührt sie  und sagt zu ihnen: „Steht auf, und fürchtet euch nicht!“
Als sie wieder aufblicken, sehen sie nur noch Jesus, so wie er ihnen vertraut war. Und alles andere, die verklärten Gestalten, die Wolke, sie sind nicht mehr da.

Es ist Zeit, wieder hinunterzugehen. Die Jünger wissen, sie haben etwas Wunderbares erlebt und gesehen. Beglückt, verwirrt, und auch ein wenig bange treten sie den Abstieg an.
Jesus ermahnt sie dabei, dass sie dieses Erlebnis zunächst für sich behalten und von der Gottesoffenbarung solange nichts sagen, bis er Leiden und Tod überwunden hat.

Liebe Gemeinde,
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht bei diesem gedanklichen Mitgehen auf den Berg hinauf und schließlich wieder hinunter.
Mir ist ganz wohl, wieder in der Ebene, sozusagen im Alltag der Welt, angelangt zu sein. Das besondere religiöse Erlebnis in der Höhe verlangt nach Erdung und Bodenhaftung.

Petrus  meinte ja, die drei Auserwählten könnten in dem Moment, in dem sie des religiösen Spitzenerlebnisses teilhaftig werden, aussteigen und die Erde hinter sich lassen. Aber das ist nicht der Weg Jesu. Der führt ihn – und seine Anhänger immer wieder – hinunter in die Mühsal, in die Verlockungen, die Fruchtbarkeit und die Herausforderungen der Ebene.
Wir können als Christen getrost mit dem Licht und den Glanz Jesu im Herzen unsere Wege gehen und die gesellschaftlichen, privaten und auch politischen Herausforderungen angehen.
Der Glaube ist eine Kraftquelle, nicht nur in angefochtener Zeit, die auf Gebote und biblische Weisungen basiert. Er ist Ausdruck der Barmherzigkeit und Großzügigkeit Gottes gegenüber denen, die es schwer haben im Leben.  
Der Glaube an Jesus Christus, dem Licht der Welt, möge uns in dieser dumpfen Zeit, in der Religion und Gottvertrauen fortwährend mit Gewalt und Terror und Fremdenfeindlichkeit durcheinander gebracht wird, helfen, die Geister zu scheiden und nicht irgendwelchen einfachen Erklärungen zu folgen.
Und wenn es dann doch zu wirr wird in der Ebene, mögen wir uns immer wieder Auszeiten gönnen, in denen wir hinaufschauen oder auf den Berg steigen, um dem Heiligen zu begegnen. Danach sieht man meistens klarer.
Der Theologe Jörg Zink drückt das in seinem Gedicht: ‘Was ich Dir wünsche‘ so aus: Ich wünsche dir
die Kraft zu wachsen.
Du bist noch zu etwas berufen.
Bleib stehen. Schau nach oben
und fühle die Kraft aus Gott,
die wachsen will in dir.

 
Amen.
 

Perikope
25.01.2015
17,1-9

Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Elisabeth Tobaben

Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Elisabeth Tobaben
17,1-9

Liebe Gemeinde!

Manches verklärt sich wie von selbst - fernab von der alltäglichen Realität;
Hier auf der Insel, weit draußen am Strand,
auf dem Segelboot draußen auf dem Watt,
und erst recht hoch oben auf dem Gipfel eines hohen Berges!
Die Welt erscheint in einem andern Licht: Gipfelerfahrungen.
Alles sieht ganz anders aus, deutlicher irgendwie, klarer als sonst und als anderswo.
Die Welt hüllt sich in Schweigen,
keine gewohnten, vertrauten Geräusche - und wenn, dann nur ganz aus der Ferne,
von weit vielleicht her  Kuhglocken, das Rauschen eines Wasserfalls, einer tief unten vorbei gleitenden Eisenbahn.
Die Welt erscheint entfremdet. Verändert.
Gipfelerfahrungen verändern.
Nicht unbedingt gleich die ganze Welt,
nicht unbedingt die Realität des gesamten Alltags,
jedenfalls nicht unbedingt direkt und sofort.
Aber wer schon einmal einen relativ hohen Berg bestiegen hat, der weiß, wie anstrengend das ist, aber auch was für ein tolles Gefühl es ist, wenn man es dann geschafft hat -die 2500, 3000 m oder noch mehr!
Alles ist so weit weg, was mich sonst verfolgt, bedrängt oder ablenkt.
Dazu kommt die Klarheit der Farben und Formen, Blumen und Felsen, die Intensität des Lichtes.
Ein gemeinsamer Anstieg verbindet auch, kann die Gipfelerfahrung noch intensiver machen.
Die Erlebnispädagogik macht sich das zu Nutze, gerade mit Jugendlichen, die sonst kaum Erfolgserlebnisse haben, die gerade in den Bergen entdecken können, was es heißt, sich aufeinander verlassen zu müssen, etwas zu schaffen, was man sich selbst nicht zugetraut hatte.
Gipfelerfahrungen können auch erschreckend sein, aufrührend, können alles Bisherige in Frage stellen und mich zweifeln lassen an der Richtigkeit meiner Pläne.
Aus einem ganz andern Blickwinkel taucht das Zurückliegende wieder auf.
Und: Gipfelerfahrungen können auch ausgesprochen ernüchternd sein.
Ich muss schließlich irgendwann wieder runter vom Berg!
Auch die Empfindungen und Erkenntnisse entgleiten mir nur zu schnell wieder, ich kann sie oft genug dann doch nicht festhalten.
Kein Wunder, dass der Evangelist Matthäus diese ganz unerklärliche Erfahrung der Verklärung Jesu auf einem Gipfel spielen lässt, auf einem hohen Berg.

Lesung: Matth. 17, 1- 9

Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg.
Und er wurde vor ihren Augen verwandelt, sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.
Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elia und redeten mit Jesus.
Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elia.
Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, auf ihn sollt ihr hören.
Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden.
Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst!
Und als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus.
Während sie den Berg hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.


Eine  traumhafte Erfahrung!
So etwas wäre mir unvorstellbar auf einem belebten Marktplatz, in einem großen Einkaufszentrum, in einem Wohnhaus oder auch in einer Kirche.
Die Abgeschiedenheit, die Stille und Klarheit der Berge scheint geradezu nötig zu sein, damit die drei überhaupt wahrnehmen können, dass da etwas Besonderes passiert.
Stellen Sie sich vor, die Verklärung Jesu hätte unter dem Flutlichtscheinwerfer eines Fußballstadions oder vor hell erleuchteten Schaufenstern  stattgefunden, die drei hätten doch gar nicht bemerkt, was für ein Leuchten das in diesem Moment von Jesus ausging!
Außerdem: es geht ja auch um eine sehr intime Erfahrung.
Offenbar will Jesus  gar nicht, dass die Massen  dieses Leuchten um ihn schon  sehen, nein, nur drei Auserwählte nimmt Jesus mit auf den Berg.
Fast kommt es mir so vor wie ein „Probelauf“, als wollte Jesus schon vorab an einigen ihm besonders Vertrauten einmal testen, wie die Menschen auf ihn als Auferstandenen reagieren werden.
Das blendende Licht, leuchtend weiß erscheinende Kleider, Erscheinungen – das alles klingt schon sehr österlich.
Und was geschieht bei den Jüngern in dem Moment? Festhalten wollen sie ihn!
Einer prescht voran, Petrus, der schon bekannt ist für sein vollmundiges Bekenntnis und seine direkte Art.
Ganz pragmatisch packt er die Sache an.
Natürlich ist auch ihm klar, dass er gerade etwas äußerst Ungewöhnliches miterlebt,  und das möchte das er bewahren.
Ich finde es sehr verständlich, dass  er sagt: “Ach, wenn‘s doch immer so sein könnte!
Hier bleiben wir, hier ist es gut!“
„Verweile doch, o Augenblick, du bist so schön.“
Hier, so denken die drei,  kommen wir unserer eigenen Geschichte nahe, den Wurzeln unseres Glaubens.
Die Licht- Gestalten von Mose und Elia verbinden uns mit unserer Geschichte.
Aber Licht festhalten? Das klingt doch schon sehr nach den berühmten Schildbürgerstreichen, und auch dort war es schon nicht gelungen, das Licht in Säcken in ihr fensterloses Rathaus zu tragen.

Auf dem hohen Berg scheinen die drei und Jesus dem Himmel etwas näher.
Zwei Wirklichkeiten schieben sich in der  Verklärungsgeschichte übereinander:
die Macht des Himmels geht auf die Erde über, die Kraft Gottes erreicht diese  Welt – sicher, unverfügbar wie zu Pfingsten – manchmal recht verborgen, aber manchmal auch urplötzlich sichtbar, spürbar!
Jemand hat die Szene der Verklärung Jesu einmal mit einer Ikone verglichen:
Da gibt es eine sichtbare obere Schicht mit bunte Farben und ganz zuletzt aufgetragenen Lacken.
Und es gibt eine Tiefenschicht - den Goldgrund - der bei jeder Ikone zuerst auf das Holz kommt und ihr den Glanz des Echten, Wahren und Wertvollen geben soll.
Durch die darauf  gemalten Bilder und Motive leuchtet  überall immer wieder einmal der Goldgrund hindurch.
Und so leuchtet auch in unserer Welt und in unserem Leben hin und wieder Gottes Gegenwart besonders glänzend durch.
In der Bibel  sind übrigens oft Berge der Ort einer besonderen Begegnung mit Gott.
Gerade die beiden in dieser Erscheinung so unvermittelt aufgetauchten Mose und Elia   bringen ihre ganz eigenen Bergerfahrung mit:
Mose bekommt auf dem Sinaigebirge, die Anweisungen zum Leben und Glauben, die ihn und sein Volk durch Jahrtausende begleiten sollten, die bei uns bis heute Gültigkeit haben als „die 10 Gebote“.
Und Elia kämpft auf dem Berg Karmel gegen fremde Götter, schießt mit seiner Gewalttätigkeit weit übers Ziel hinaus und macht trotzdem gerade in dieser dunkelsten Stunde seines Lebens eine herausragende Erfahrung:
Er weiß sich getröstet, versorgt und erlebt, dass Gott ihm eine neue, schwierige Aufgabe zutraut.
Und da ist die Lichtwolke.
Licht lag schon auf Moses Gesicht, nachdem Gott ihm die Richtlinien für das Leben und das Miteinander gab, als Mose wieder abgestiegen war mit den schweren Steintafeln unter dem Arm, und die Menschen erkennen daran, dass ihm etwas ganz und gar Außergewöhnliches begegnet ist.
Verhüllt geht Gott mit, nur manchmal leuchtet etwas auf, erstrahlt Lebens- und Glaubensgewissheit auf dem Gesicht eines Menschen,
im Regenbogen vielleicht, Glanz- und Hoffnungszeichen Gottes
über einer neu erstehenden Welt.
Es ist ein schöner Gedanke, dass auch wir unser Lebenspanorama auf einen Goldgrund malen können, wie auf einer Ikone!

Petrus bekommt leuchtende Augen: Hier lasst uns Hütten bauen!
Eine für Christus: festhalten, dass er Herr ist über mein Leben, verlässlicher Halt in meiner schwankenden Lebensgeschichte.
Petrus sucht den Weg des Eindeutigen: Hütten für Mose und Elia, ein Heiligtum, etwas zum Festhalten und Anfassen, einen Ort schaffen, wo Gott verfügbar erscheint.
Heute stehen auf dem „Berg der Verklärung“ in Israel nach langer, wechselvoller Geschichte zwei Kirchen - eine griech. orth. und eine röm. kath., man konnte sich nicht einigen im Streit um das Gelände und um die Darstellung der Verklärung...
Für Petrus sind Mose und Elia die Verbindung zum Früher, Garanten dafür, dass Gottes Zusage sich durchhält, auch damals schon war.
Petrus zielt auf End-Gültiges, will Halt bieten, Autorität, religiöse Heimat.
Damit würde er sicher auch heute bei vielen offne Türen einrennen und auf begeisterte Zustimmung stoßen.
Die Sehnsucht ist groß in unseren Zeiten nach Sicherheit, nach unverbrüchlicher Glaubensgewissheit.
Und zugleich ist die Gefahr ist nach wie vor groß, im Vordergründigen stecken zu bleiben,
Hütten auf dem Berg zu bauen und vielleicht gar nicht mehr zu merken, dass sich der Glanz schön längst verflüchtigt hat...
Festhalten und Festschreiben um jeden Preis: So ist es und nicht anders-
Das ist Gewissheit gegen andere, gefährlich erscheinende Überzeugungen.
Sie macht die Angst nicht kleiner, führt eher dazu, dass jede auch noch so leise Anfrage als Angriff erlebt wird, als ungeheuer bedrohlich;
Führt dazu, dass Menschen (oder sogar ganze Gemeinden) sich abschotten.
Sie verstärkt eher die Anstrengung, Glanz aufrecht zu erhalten nach außen.
Keine tragfähige Kraft für das Leben.
So verläßt Petrus der Mut im Sturm.
‚Er kann das Scheitern nicht aushalten in Gethsemane,
der Angst nicht standhalten, als der Hahn kräht.
Gipfelerfahrungen wie diese - sie sind eben gerade nicht herstellbar, zu erzwingen oder einzufordern, sie sind Geschenk und Herausforderung zugleich.
Gott zeigt sich, und für einen Moment scheint der Goldgrund der Ikone durch, erstrahlt Gottes Zusage in deinem Leben.
Die Frage ist: wie ist das Erlebte zu deuten?
Die Stimme gehört dazu, mysteriös aus den Wolken in diesem Fall,
sonst eher in mir selbst, meinen eigenen Überlegungen und Meditationen zu finden, manchmal auch als zufällig hingeworfener Satz eines andern - Wegweisung - gehört dazu, ("Ihn sollt ihr hören!" hatte übrigens auch schon Maria bei der Hochzei zu Kana gesagt.)
Und: „Dies ist mein lieber Sohn“  sagt die Stimme, - wie schon bei der Taufe im Jordan...
Zum Glauben gehört eben auch das Hin- und  -Hergerissensein zwischen Angst und Schrecken und dem Fürchtet - euch - nicht, der österliche Glanz der Verklärung und Erleuchtung und  Karfreitag.
Und die Ernüchterung nach der Gipfelerfahrung folgt auf den Fuß: die Erscheinung ist verschwunden, nur noch Jesus zu sehen, und die drei fragen sich vielleicht: haben wir grad „nur“ geträumt?
Jedenfalls müssen sie wieder herunter vom Berg und –was ich mir ziemlich schwierig vorstelle- dürfen noch nichtmal von dem erzählen, was sie erlebt haben!
Nebenbei: vielleicht lässt es sich auch kaum erzählen? Wenn schon die Erfahrungen einer ganz normalen Bergbesteigung so schwer zu vermitteln sind?
Dennoch sind Petrus, Jacobus und Johannes ganz sicher  nicht so zurückgekommen, wie sie aufgebrochen sind.
Angerührt sind sie.
Wieder aufgerichtet, nachdem der Schrecken sie zunächst umgeworfen hatte.
War nicht die Gipfelerfahrung, die sie gemacht haben, nun tatsächlich so etwas wie eine vorzeitige Ostererfahrung?
So wie sie Jesus gesehen und erlebt hatten, werden sie ihn erst als  Auferstandenen wiedersehen.
Auferstehung mitten im Leben. Aber handfester, alltäglicher jetzt noch: Jesus fasst sie an, um sie aus dem Schrecken zurückzuholen.
Vielleicht legt er ihnen beruhigend die Hand auf die Schulter, ergreift ihre Hand, um sie vom Boden wieder hochzuziehen.
Aber schon Widerspruch gegen die tag- tägliche Gewissheit: "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen..."
Am Übergang von der Epiphaniaszeit zur Passionszeit gewinnt diese Geschichte eine ganz eigene Bedeutung:
Hier schneiden sich die Linien vom herrlich leuchtenden "Morgenstern" und dem elend leidenden Gekreuzigten.
Beides zusammen macht erst das Ganze aus, in Christus wie in jedem einzelnen Menschen.
Gipfel - und Tiefenerfahrungen gehören zusammen.
Sternstunden und der krähende Hahn.
Und manchmal verklärt sich etwas - wie von selbst.
Der Goldgrund scheint durch - Leben wird transparent für Gottes Gegenwart.

Amen

Perikope
25.01.2015
17,1-9

Gipfeltreffen - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Monika Waldeck

Gipfeltreffen - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Monika Waldeck
17,1-9

Gipfeltreffen

Wer es auf den Gipfel schaffen will, muss sich anstrengen.
Je höher der Berg, desto mehr Kraft und Ausdauer braucht man.
Ein genauer Zeitplan ist nötig, eine gute Ausrüstung und unbedingt: Durchhaltewillen.

Durchhaltewillen braucht jeder, der etwas vorhat in seinem Leben, der sich Ziele gesetzt hat. Die können manchmal sein wie ein Berggipfel, zu Beginn weit entfernt und scheinbar unerreichbar, mit der Zeit immer ein Stückchen näher rückend, langsam, aber sicher.
Rückschläge sind nie ausgeschlossen. Wer trotzdem seine Ziele nicht aus den Augen verliert, kann Überraschendes erleben.

Durchhaltewillen haben sie, die Drei, die Jesus mitnimmt auf den hohen Berg.
Darüber freuen sie sich sicher, dass er sie auswählt, unter allen Jüngern. Die Aussicht, mit Jesus allein, „ganz für sich“ zu sein, das motiviert zum Anstieg.
Mit dem meditativen Pilgern des Jakobswegs hat diese Bergwanderung wenig zu tun. Der Weg ist hier nicht das Ziel.
Die hier unterwegs sind, die wollen oben ankommen, weil sie etwas erwarten.
Etwas soll sich verändern, das ist ihre Hoffnung.
Was war geschehen?

Das Matthäusevangelium erzählt: Die Jünger Jesu sind besorgt in diesen Tagen. Der äußere Druck wird stärker. Die etablierten religiösen Führer, die Ratsältesten, führenden Priester und Schriftgelehrten beäugen misstrauisch, wie die Jesusbewegung grundlegende religiöse Wahrheiten in Frage stellt.
Die Angst unter Jesu Anhängern wächst, dass ihm etwas zustoßen könnte und nun fängt er sogar selbst davon an zu sprechen, dass er bald hingerichtet werden würde.
Seine Freunde und Weggefährten haben Angst: um ihren Meister, aber sicher auch um sich selbst. Was würde aus ihnen werden, wenn Jesus nicht mehr da wäre?

Äußerer Druck erhöht den inneren Druck, das wissen alle, die sich Sorgen machen um einen anderen Menschen, oder auch um das eigene Leben. Äußerer Druck erhöht das Gefühl eigener Hilflosigkeit. Ob es äußere politische Widerstände sind, eine Krankheit, eine Naturkatastrophe oder finanzielle Sorgen, das ist oft zweitrangig, wenn man selbst betroffen ist. Matthäus weiß, wovon er spricht. Seine Gemeinde wurde verfolgt und in den Untergrund gedrängt.
Manche fangen dann an zu beten, andere ignorieren die Angst, begehren auf und funktionieren weiter, wieder andere brechen zusammen oder fühlen sich wie gelähmt.

Was einen hoffen lässt?
Wenn es einen Menschen in der Nähe gibt, der die Zuversicht behält, sich nicht von Ängsten mitreißen lässt, sondern sie aushält und „überlebt“. Dann können sie auch für einen Ängstlichen verdaulich, erträglich werden. Noch besser: Wenn man mit einer hilfreichen Macht rechnen kann, die einen schützt und trägt.

In unserer Erzählung, da lässt der Evangelist Matthäus Jesus denjenigen sein, der die Ruhe behält. Gegen allen äußeren Druck, gegen alle Widerstände und gegen alle Vernunft weiß er: Am 3. Tag nach seinem Tod würde er auferstehen von den Toten, das sei der Wille Gottes.
Jesu Klarheit und Unbeirrbarkeit macht es Petrus möglich, in dieser belastenden Situation zu sagen: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Ein starkes Bekenntnis in einer unsicheren Zeit.

Und jetzt sind die Jünger auf dem Berggipfel angekommen. Sie warten darauf, dass etwas geschehe, das ihnen helfen würde, mehr Sicherheit zu gewinnen, etwas, das ihnen ihr Selbstvertrauen zurückgebe.
Da passiert es: Jesus verändert sich vor ihren Augen, er erscheint in helles Licht getaucht, ein lichtdurchflutetes Wesen, eine Traumgestalt.
So sehen ihn die Freunde und Weggefährten – in einem neuen Licht. Als ob sie plötzlich eine Erkenntnis haben: Das ist nicht Jesus, der Mensch, den sie kennen, das ist eine Erscheinung direkt aus dem offenen Himmel.

Diese Vision gewinnt an Klarheit: Da kommen zwei wichtige Männer der Geschichte auf sie zu. Beide haben ebenfalls nach Gott gesucht, hatten Kontakt mit ihm, haben ihn in ihrem Leben erfahren, auf sehr unterschiedliche Weise.
Mose, der zu ihm betete und mit ihm redete wie mit einem Freund, der aber nur hinter Gott hersehen durfte. Er rechnete mit Gott, konnte seine Gegenwart aber erst im Nachhinein erkennen. So geht es ja manchmal. Das Wirken Gottes begreift man erst, nachdem sich etwas verändert hat.
Und Elias hat erlebt, dass sich Gottes Kraft nicht in dem verheerenden Auftreten vernichtender Naturgewalten zeigt, sondern in dem sanften Säuseln des Windes.
In ganz kleinen, fast unscheinbaren Zeichen, ganz anders als erwartet, kann sich Gottes Macht im Leben zeigen.
Indem diese beiden großen Gestalten Israels in ein lebendiges Gespräch mit Jesus treten, erkennen sie ihn als Gottes Sohn an. Ganz im Gegensatz zu den derzeitigen religiösen Führern.

Diesen besonderen, glücklichen Augenblick will Petrus festhalten. Am liebsten gleich eine Hütte bauen, dort bleiben und wohnen, für immer. Wie ein Foto, das man sich ins Album klebt. Zu Hause im Glück. Ein Menschheitstraum.

Doch dann berichtet die Erzählung etwas, das alles übersteigt und den drei Männern fast den Verstand raubt. Der Himmel öffnet sich und Gott spricht zu ihnen: „Das ist mein Sohn, ihn habe ich lieb. An ihm habe ich Freude. Hört auf ihn.“ Gott selbst beugt sich herab und spricht zu den Menschen dort auf dem Berg.
Keiner überlebt es, Gott zu sehen. Das wussten die Männer. Sie können sich nur furchtsam auf den Boden werfen, bis Jesus sie aufrichtet und ihnen die Angst nimmt.

Ich muss zugeben, für mich klingt diese Szene aufgeladen, fremd, fast wie aus einem Hollywood-Film. Was ich verstehe: Matthäus will uns zeigen, dass Jesus Gottes Sohn ist. Schon jetzt, vor seinem Tod, soll das ganz klar sein.

Ein Glück, dass die Erzählung nun nicht hier endet, sondern der Abstieg ins Tal beginnt, die Rückkehr in die Realität. Das Gipfeltreffen ist beendet.
Mir ist deutlich: Auf dem Berg des Glücks gibt es kein Zuhause.
Aber die Erinnerung an den Moment des Glücks ermöglicht es, Unglück zu überleben.
Ohne diese Erfahrung fehlt die Kraft für die Zeiten, in denen ich leidvolle Erfahrungen machen muss. Solche Lichtmomente können einen durch lange Durststrecken hindurch tragen.
So werden die Jünger gestärkt für das, was kommt.

Sie werden dem Tod ins Auge sehen müssen, sehr bald.
Sie werden Jesus verraten, und damit alles, was ihnen heute wichtig und wertvoll ist.
Sie werden tiefe Trauer erleben.
Sie werden ihre Gemeinschaft verlieren, einsam und heimatlos werden.

Es ist viel, was man in einem Menschenleben aushalten und ertragen muss.
Niemand kommt darum herum.
Vollständiges Glück, Ganzheit, Beheimatung, wie Petrus sich das wünscht, gibt es nicht.

Manchmal blendet man das aus, wenn man in einer reichen, abgesicherten Gesellschaft wie unserer lebt. Mit wachsender Lebenserfahrung aber wird doch klar: das Leben ist zerbrechlich, fragil, in jedem Moment ist der Tod möglich, Schmerz, Versagen, schuldhaft oder zufällig. Glücksmomente scheinen nicht konservierbar, in der Erinnerung aber wichtig.
Wir leben zwischen Sehnsucht und Verlust, Hoffnung auf Ganzheit und der Erfahrung, dass wir auf andere Menschen angewiesen sind und bleiben.

Und Gott?
Der ist nicht nur stark und vollkommen wie in der leuchtenden Christuserscheinung unserer Erzählung. Schon wenig hängt er zu Tode gefoltert und zerbrochen am Kreuz.
Beides gehört zusammen.
Beide Seiten gibt es in uns, mit beiden müssen wir zurechtkommen.
In beiden Seiten sind wir Ebenbilder Gottes.
Am Widersprüchlichsten ist dabei sicher, dass wir von hierher unsere Menschenwürde erhalten. Seit dem Kreuzestod Jesu wissen wir, dass uns diese Würde zugesagt ist, jedem von uns, ob wir gesund sind oder krank, jung oder alt, weiß oder schwarz, Mann oder Frau.

Und wir sind sie denen schuldig, denen wir begegnen:
Der eigenen Familie und den Flüchtlingen aus Syrien oder Somalia.
Das ist der Grundgedanke unseres christlichen Glaubens, des „christlichen Abendlandes“, von dem auf einmal in letzter Zeit so viel die Rede ist.
Davon zu erzählen ist unsere Aufgabe als Christen, sich davon stärken zu lassen, ist unser Trost.


(Bibelzitate nach der BasisBibel, Das Neue Testament, Stuttgart 2010)
 

Perikope
25.01.2015
17,1-9

Sicherheit in schwierigen Zeiten - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Michael Rambow,

Sicherheit in schwierigen Zeiten - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Michael Rambow,
17,1-9

Sicherheit in schwierigen Zeiten

Stars und solche, die sich dafür halten oder gerne wären, sonnen sich gern im Blitzlichtgewitter und Lampenglanz der Fernsehkameras. Wichtige Leute umgibt ein besonderer Glanz.
Als es noch keine Blitzlichter, keinen Medienrummel, „Walk of Fame“ oder Paparazzi gab, da malten alte Meister besonderen Personen einen goldenen Strahlenkranz um den Kopf. Jedem Betrachter wird schnell klar: hier ist mehr als irgendein Mensch. Hier leuchtet eine andere Sonne auf. Ein Licht aus dem Himmel.

Jesus, Petrus, Jakobus und Johannes sind hoch oben auf dem Berg. Plötzlich leuchtet Jesu Gesicht in einem seltsamen Glanz. Auch die Kleidung wird weiß. Was für eine Erscheinung! Petrus erfasst es wieder mal zuerst. Er sagt gleich: In diesem Himmelsglanz wollen wir immer bleiben.
Eine seltsame Geschichte erzählt  Matthäus vom Licht, vom Himmelsglanz auf der Erde und von der Sehnsucht, dieses Gefühl nie wieder einzutauschen. Keine Finsternis, kein Alltag sollen ihre Schatten je wieder ausbreiten können. Nur Himmel und Glanz und Schein.
Wenige Wochen später sind Petrus und Jakobus und Johannes mit in Gethsemane und teilen mit Jesus die Todesangst der Karfreitagnacht. Werden sie an die Erscheinung auf dem Berg gedacht haben in dieser tiefsten Finsternis?
Auf dem Berg aber erst einmal die Gottesverheißung: „Dem folgt. Er zeigt euch den Weg zum Leben!“ Nichts anderes zeigt sich in Jesus Christus.

Dieser Sonntag schließt die nachweihnachtliche Zeit ab. Kerzen und Lichterglanz sind von den öffentlichen Plätzen, aus Vorgärten und Wohnungen längst wieder verloschen. Die Glühweinstände abgebaut. Die öffentlichen Plätze und Straßen haben Terror und Weltdunkelheiten  zurück erobert. Die ersten finsteren Tage oder gar Wochen des Jahres liegen schon hinter uns.
Wir kommen her aus der Feier der Freude und des Lichtes. Noch einmal leuchtet wie auf einem Höhenzug dieser ferne Glanz von weit her, bevor es endgültig in die Ebene des Alltags und Lebens geht. Gerade darum tragen die eine oder der andere und wir alle miteinander die Erinnerung und die Sehnsucht nach dem besonderen Glanz mit den Worten: Jesus zeigt den Weg zum Leben.

Manchmal wünscht man sich, dem Himmel näher zu bleiben. Wer hat sich noch nicht ein Leben gewünscht, das sich nicht allein dem täglichen Kampf verdankt. Viele Ratschläge, viele „Lebensprogramme“ haben das als Hintergrund. Der Ausstieg aus dem Alltag. Man  nennt das heute „schwammig spirituelle Erlebnisse“ sagte Helge Adolphsen, der frühere Hauptpastor an der Hamburger Michaeliskirche dazu einmal.
Nur von den Höhepunkten des Lebens aus scheinen die normalen Niederungen des Lebens begehbar und erträglich. Wir erleben Zeiten, in den eigener Mut und innere Kraft und Erfolge tragen. Wie beschwingt hüpft man dann gewissermaßen von Gipfel zu Gipfel.
Nächsten Sonntag beginnt die Passionszeit. Leben zwischen Höhen und Tiefen. Nur das Licht aus der Höhe gibt dann noch Orientierung um einigermaßen durchzufinden durch die grauenvollen leidvollen Erfahrungen.
Wie gut könnten wir die Erfahrung gebrauchen, von der die Verklärungsgeschichte erzählt. Hütten bauen und bleiben können, wo es gut ist. Nicht mehr weiter gehen und schon gar nicht abtsiegen müssen in die Grauzonen.

Als Petrus und die Brüder Jakobus und Johannes gerade diesem Gefühl nachgeben und Baumaterial zusammenschleppen wollen, hören sie die Stimme: „Das ist mein Sohn. Hört auf ihn“. Jesus erscheint in einem ganz andren Licht. Nicht der Rückzug. Nicht das Aussteigen. Nicht das süße niedliche Kindlein. Hier kommt der Himmel ganz nahe. Und mit ihm steigt man herab von den Höhenzügen, den falschen Sehnsüchten, den irrigen Erwartungen. Mit dem Himmel geht es zurück auf die ausgetretenen Wege durch den Alltag. Der Maßstab christlicher Glaubenserfahrung ist die zuversichtliche Rückkehr in den Alltag. Der verheißungsvolle Weg verläuft hoch und fern über allem, das festgehalten werden will. Er führt durch alles hindurch. Sicherheit und Zuversicht kommen aus der Erfahrung, dass Gott in diesem Jesus da ist.

„In mir ist es finster, aber bei Dir ist das Licht;
Ich bin einsam, aber Du verlässt mich nicht;
Ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist die Hilfe;
Ich bin unruhig, aber bei Dir ist der Friede;
In mir ist Bitterkeit, aber bei Dir ist die Geduld;
Ich verstehe Deine Wege nicht, aber Du weißt den Weg für mich“
dichtete Dietrich Bonhoeffer. Am 9. April vor 70 Jahren war er durch Gott an sein Ende geführt worden und wurde in Flossenbürg hingerichtet (zit. Nach GottesdienstPraxis, 2. Reihe, Bd. 1, 1991, 138f).
Warum die schönen Augenblicke, die erhabenen Gefühle, die glanzvollen Eindrücke nicht bleiben lässt sich kaum begreifen.
Matthäus erzählt, dass die Sicherheit für das Leben aus dem Glauben an Gottes menschgewordenes Wort Jesus Christus kommt. Er bringt uns den Himmel näher und der Sehnsucht, wie Leben sein könnte. Das ist die Voraussetzung für das Leben auf der Erde. Jesu Wort verlockt, gegen den Augenschein zu glauben und gegen manche bittere Erfahrung immer wieder aufzustehen, das Baumaterial der falschen Sicherheit und Zufriedenheit liegen zu lassen. Darum ist christlicher Glaube die Rettung. Es ist diese Spannung zwischen Glauben und Zweifeln, Hören und Sehen, Berg- und Talfahrten, die es anzunehmen gilt. Die mit Jesus auf den Berg steigen – und das können wir uns ja bildlich gut vorstellen – Gott damit ein Stück näher gekommen sind, sie machen diese entscheidende Glaubenserfahrung. Wo Menschen unterwegs sind, Ruhe und Sicherheit suchen, auf den mächtigen bewahrenden Gott hoffen, da sehen sie auf Jesus Christus. In ihm leuchten Gottes Nähe und Bewahrung.
Sonntag für Sonntag und manchmal dazwischen gleichen wir den Dreien ja ein bisschen. Und die Frage ist also, ob es etwas gibt, das auch uns herausholt aus dem Schleier der Ohnmacht und wie von einem hohen Berg Gottes Hilfe und Nähe sehen lässt und Hoffnung gibt unten auf der Erde.
„Fürchtet euch nicht“ sagt Jesus zu seinen drei Begleitern.
„Wir können uns…, von diesem Sonntag aus, erneut dem Leben zuwenden, dem alltäglichen Leben…Glaube bedeutet: Normalisierung…Wir können an unsere Arbeit gehen und von ihr ausruhen, jung sein und alt werden, uns freuen und traurig sein, mit uns selbst einig und auch einmal mit uns selbst zerfallen sein, lieben und auch manchmal kräftig verabscheuen“ (M. Trowitzsch: Die bunte Gnade Gottes. Chr. Kaiser, München 1988, 119).

„Fürchtet euch nicht“ ist der typische, immer wiederkehrende Trost Gottes aus dem Himmel. Gott ist da und geht mit. Das erfuhren die Hirten. Das hören die drei auf dem Berg. Es ist die himmlische Botschaft an uns heute.
Vielleicht ist es der eigene Konfirmationsspruch, in dem sie uns manchmal aufleuchtet, ein Lied oder irgendetwas anderes, in denen wir Jesus neu sehen und durch sie hindurch Gottes Stimme hören.
Auf dem Berg zeigt sich den Jüngern, dass Jesu Weg aus dem Glanz in das Dunkel der Weg ist, auf dem Gott mit unterwegs ist. Die Wirklichkeit wird nicht verklärt.
Das hilft aufzustehen, sicher zu werden, den Überblick zu behalten auch in schwierigen Zeiten.

Amen

Perikope
25.01.2015
17,1-9