Altjahresabend 2018 - Predigt zu Johannes 8,31-36 von Julia Neuschwander

Altjahresabend 2018 - Predigt zu Johannes 8,31-36 von Julia Neuschwander
8,31-36

Lesung des Predigttextes nach der Bibel in gerechter Sprache

Liebe Gemeinde,

das Jahr 2018 geht heute zu Ende. Wie auf den Weg durch eine Landschaft schauen wir auf unseren Weg in diesem Jahr. Wir brachen auf im Jahr 2018 und zwar sehr motiviert ganz früh am Tage noch im Halbdunkel. Ein bisschen „Im Frühtau zu Berge“, ein bisschen müde, noch benommen, aber dennoch frohgemut taten wir die ersten Schritte im neuen Jahr. Der Weg in 2018 startete im Winter, bald schon führte uns unser Weg in hellere Tage, wir schritten beschwingt voran, rechts und links immer weiter begrünt durch das Frühjahr. Unser Weg schlängelt sich auf knirschenden Steinchen um die Kurve. Dann plötzlich die Fülle: Mandelblüten säumten rosa unseren Weg. Unser Herz war uns leicht und freudig beim weiteren heiteren Voranschreiten. Der Sommer kam und mit dem Sommer manche Hitze und Dürre, Entbehrung, bald schon Sorge. Ständig nun waren wir mit der Wasserflasche unterwegs im Sommer, stets bemüht, sie rechtzeitig aufzufüllen. Der Herbst kam und mit seinen goldenen Farben rechts und links verschönte er unseren Wanderweg. Lange, stimmungsvolle Sonnenuntergänge nährten Auge und Herz und endlich kam auch mit dem Herbst die erste Frische und Kühle. Der Winter mit seinen kurzen Tagen, dem Dunkel, das uns nun nach langer Wanderung fast wie ein Schutz umgab. Nun sind wir am Ende des Jahres angelangt. Machen wir heute unseren Frieden mit uns und mit diesem Jahr.

Ein Jahr so voller Fülle und gleichzeitig in der Jahresbilanz so unabgeschlossen und unfertig wie das Johannesevangelium, in dem – wie in unserem Predigttext – der Jude Jesus mit Jüdinnen und Juden über die Wahrheit spricht. Dabei ist die Technik des Verfassers des Evangeliums besonders raffiniert und kunstvoll: Viele Texte im Johannesevangelium erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Sie changieren, schillern, drehen und wenden sich, umso weiter wir sie lesen und hören. Zunächst verwirrend, dann immer tiefer, immer weiser, immer grundsätzlicher wird die Erkenntnis, wenn sie sich auch unserer Alltagsvernunft, dem scheinbar Offensichtlichen immer mehr entfernt. Spiralförmig kreisen die Gespräche um die eine Mitte, die Wahrheit, eine Bewegung von oben nach unten. So vertieft auch das Kapitel 8 im Johannesevangelium, dem unser Predigttext heute entstammt, ein einziges Thema: „Ich bin das Licht der Welt.“ Immer wieder, wenn der Zuhörer, die Leserin glaubt, sie habe es verstanden, worum es eigentlich geht, kommt ein neuer Dreh in die Sache. So auch in unserem Predigttext, in dem Jesus von jüdischen Menschen um sich herum befragt wird, ja, geprüft wird auf Herz und Nieren, als er im Tempel lehrte. Geprüft wird im Tempel gleich bei der Vorratskammer, ob er sich nicht vielleicht gleich schon mit einer Gotteslästerung verrät.

Was ist die Wahrheit?

Ich glaube, die Wahrheit ist, dass die Dürre und die Hitze dieses Sommers Zeichen einer massiven Klimaveränderung sind. Ich glaube, dass das, selbst wenn es doch nur ein zufällig massiver Ausreißer in der Statistik beim Wetter sein sollte, es dennoch ein deutliches Zeichen für uns in Europa dafür sein muss, dass wir jetzt handeln. Dass wir es uns nicht mehr leisten können, die Zeichen zu ignorieren, sondern jetzt auch als Privatleute aktiv werden müssen im nächsten Jahr. 2019 – ein Jahr mit immer weniger Plastik in unserem Alltag. 2019 – ein Jahr mit weniger Schadstoffe, die wir in die Luft senden. 2019 – ein Jahr, in dem wir dem Handel signalisieren, dass wir nur noch Obst und Gemüse kaufen, das nicht in Plastik verpackt ist. 2019 – ein Jahr, in dem wir uns an den ständigen Gedanken gewöhnt haben, wie „Leben anders“, „gutes Leben für alle“, „ein Entgegenwirken weiterer Verschmutzung der Meere“ aussehen könnte.  Keine Plastikstrohhalme, keine Plastikwattestäbchen mehr – die EU-Ordnung überholt uns links, doch es ist natürlich nicht genug. Es sind Symbole dafür, dass einmal Verwendetes, Weggeworfenes nicht mehr willkommen ist.

Was ist die Wahrheit?

Ich glaube, die Wahrheit ist, dass wir Menschen Halt suchen. Auch als Erwachsene, gerade wenn wir das nicht wahr haben wollen, sind wir bedürftig. Wir suchen Geborgenheit, Zuwendung und Anerkennung. Das ist nicht mehr als menschlich. Wir möchten dazu gehören, nicht abgehängt sein. Ich glaube, die Wahrheit ist, dass wir unter bestimmten Umständen nicht mehr selbständig und unabhängig sind, sondern bestechlich, manipulierbar und überangepasst. Zum Beispiel suchen wir dann Halt in vermeintlich starken Führungspersönlichkeiten. Ich glaube, die Wahrheit ist, dass wir unseren inneren Kompass sehr gut hüten müssen, um Kurs zu halten. Und ich glaube, dass wir es in Zukunft nur schaffen werden, unsere Werte zu bewahren, wenn wir uns mit anderen Menschen umgeben, mit denen wir uns gegenseitig darin bestärken. Weil wir sonst schnell umkippen in einer entsprechenden Umgebung, wenn wir das nicht tun.

Was ist die Wahrheit?

Die Wahrheit kommt von Gott, sagt der Jude Jesus den jüdischen Menschen um sich herum. „Die Wahrheit, die mich gesandt hat, ist mit mir.“ Sagt Jesus den Umstehenden. „Sie hat mich nicht allein gelassen, denn ich tue allezeit, was ihr gefällt.“ Sagt Jesus. Sie hat mich nicht allein gelassen. Sie hat mich gesandt von oben nicht aus dieser Welt. Meint er damit, dass die Wahrheit an sich göttlich ist oder dass die Wahrheit sogar Gott ist? Mit der Wahrheit macht Jesus sich bei seinem Umfeld nicht gerade beliebt, im Gegenteil, sie lauern darauf, dass er sich verrät und verhaftet werden kann. Die Wahrheit ist mehr als das, was wir in der Welt auf den ersten Blick sehen und was wir täglich erkennen können. „Und auch ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien.“ Sagt Jesus dann noch.

Ein Traum. Ich stehe mit meinen Füßen auf dem Boden. Auf Mutter-Erde. Meine Füße berühren den Boden, ich stehe dort. Dann beginne ich zu sinken. Ich bekomme Panik, was soll das, soll ich in den dunkeln Boden, in die Erde, in den Ackerboden? Wie soll ich atmen? Hab´ keine Angst, sage ich mir selbst im Traum, hab` Vertrauen, sinke. Nachdem ich keine Angst mehr habe, ist es ganz leicht. Ich sinke. Erst sind meine Füße verschwunden, dann meine Beine, meine Hüfte, mein Oberkörper, schließlich sinkt auch mein Kopf und ich schließe langsam die Augen in der Dunkelheit.  Aber ich bin nicht blind, ich schaue weiter mit inneren Augen. Ich sehe das Dunkle der Erde, ich sinke weiter, ich sehe und ich staune. Ich sinke und irgendwann habe ich den Mittelpunkt der Erde überwunden. Ich sinke und nach langer Zeit habe ich die andere Seite der Erde erreicht. Meine Füße ragen aus der Erde, dann nach und nach meiner ganzer Körper, mein Kopf. Ich sehe und fühle Sternenhimmel, Stille, Ruhe, Freude und Leichtigkeit. Ich bewege mich weiter. Die Erde gerät aus meinem Blickfeld. Ich spüre gar nicht mehr, dass es ein Oben oder Unten gibt.

Was ist die Wahrheit?

Die Wahrheit überwindet jegliche Angst. Sie bringt uns echtes Vertrauen, wahre Tiefe und wirkliche Leichtigkeit. Die Wahrheit bringt uns Freiheit.

Alle, die Unrecht begehen, sind in der Gewalt des Unrechts. Sagt Jesus zu den Menschen. Am Schluss  seid Ihr dann Untertanen und Untertaninnen eures eigenen Unrechts. Das Unrecht, einmal in die Welt gesetzt, beginnt eine Eigendynamik zu entwickeln.

Wer einmal angefangen hat, die Menschen zu belügen, muss immer weiter lügen. Seine Lügen haben einen Sog, der am Schluss ihn selbst mit sich mitreißt.

 Die einmal angefangen hat, gegen die eigenen Überzeugungen zu handeln, gerät immer tiefer in die Verstrickung. Immer mehr Kraft braucht es, um zu den eigenen Überzeugungen zurück zu kehren. Sie verliert das Vertrauen in sich selbst. Wie wird sie das nächste Mal handeln?

Wer einmal geglaubt hat, dass für ihn keine Regeln gelten, findet nicht mehr zurück zu einem rücksichtsvollen, liebevollen Weg. Er spürt ihn immer mehr, den Zwang, die Regeln zu brechen, Macht auszuüben. Er ist darin gefangen, in diesem Zwang. Er schreitet immer weiter voran, allein und ohne die anderen.

Jesus antwortete den Menschen, die ihn umstanden: „Amen, amen, ich sage euch: Alle, die Unrecht begehen, sind in der Sklaverei des Unrechts. Ihr werdet aber die Wahrheit erkennen! Und die Wahrheit wird euch frei machen!“

Wahre Buße bedeutet in jüdisch-christlicher Tradition seit Jahrtausenden: Durch Beten und durch Fasten, durch echte Reue strahlt Erkenntnis auf, wir erkennen die Wahrheit, und damit ist das Unheil auf Erden abwendbar. Busse heißt, ich hafte dem Vergangenen nicht an, sondern werde frei zu handeln.

Lassen wir das vergangene Jahr hinter uns. Lassen wir es so sein wie es war. Lassen wir uns so sein, wie wir sind. Gehen wir in die Befreiung. Die Farben und die Erlebnisse, das Frohe und das Schwere. Das Unvollkommene und das Unvollständige. Das Unverständliche und das Mehrdeutige. Lassen wir das Unrecht hinter uns, das eigene und das fremde. Schauen wir auf die Wahrheit. Streben wir nach der Wahrheit, suchen wir die Wahrheit. Befreien wir uns unseren Verstrickungen, befreien wir uns aus dem Sog und den Zwängen, die uns gefangen halten. „Alle die Unrecht begehen, sind in der Sklaverei des Unrechts. Ihr werdet aber die Wahrheit erkennen! Und die Wahrheit wird euch frei machen!“

Gehen wir befreit in ein neues Jahr!

Amen.

Perikope
31.12.2018
8,31-36

Predigt am Altjahrsabend 2018 – Text: Johannes 8,31 f von Rudolf Rengstorf

Predigt am Altjahrsabend 2018 – Text: Johannes 8,31 f von Rudolf Rengstorf
8,31f

Liebe Leserin, lieber Leser!

2018. Ungewohnt war die Zahl zunächst  bei der Datierung von Briefen und Schriftstücken. 2018. So stand es  über meinem neuen Taschenkalender. Die schon  feststehenden Termine hatte ich schon  eingetragen, auch die Geburtstage von Verwandten und Freunden. Alles war noch Zukunft. So manches Ereignis war darunter, auf das ich mich freute. Manches stand mir  bevor. Wieder anderes machte mich neugierig: Wie das wohl wird? Inzwischen ist das alles Vergangenheit. Mit dem Ablauf des heutigen Tages ist  der Kalender, der mich ein ganzes Jahr begleitet hat und oft genug verzweifelt gesucht wurde, Makulatur. Er verschwindet tief in einer Schublade mit all seinen Vorgängern. Ab morgen muss ich mich an eine neue Jahreszahl gewöhnen,

Doch bevor ich ihn  wegpacke, blättere ich ihn noch einmal durch. So wie  ich in Jahresrückblicken mir die weltbewegenden Ereignisse des  vergehenden Jahres  noch in Erinnerung rufen ließ, so möchte ich noch einmal auf das schauen,  was mir dieses Jahr persönlich gebracht hat.

Vieles war dabei, wofür ich einfach nur dankbar sein kann: Höhepunkte im familiären Leben, anregende Reisen, Arbeiten, die gelungen sind, Krankheiten, die ich überstanden habe, viele Begegnungen mit alten Freunden und mit Menschen, die noch Freunde werden können, beglückende Konzerte und Gottesdienste.

Und dann die Tage, die schwer waren, weil die in sie gesetzten Erwartungen bitter enttäuscht wurden. Das lag oft an anderen, aber nicht nur. Warum habe ich mich   bei dieser oder jener Gelegenheit  zum Streit reizen lassen? Warum  bin ich im Umgang mit Menschen, an denen mir liegt, viel zu unaufmerksam  gewesen, sodass ich sie – ohne es zu wollen – tief verletzt habe? Und manche Tage  waren dadurch verdunkelt, dass ich Menschen in ihrer Not nicht wirksam helfen konnte, wobei die psychischen Krankheiten mich besonders hilflos machen. Ja, und dann die Kreuze, die eine ganze Reihe von Tagen dieses Jahres markieren.  Die Geburtstage  standen immer schon fest und waren  im vorhinein lange eingetragen. Die Sterbetage aber  kamen oft ganz plötzlich, und wir brauchten lange, das Geschehene zu begreifen,  und noch länger, es zu akzeptieren. Und auch da, wo ein Tod sich lange angekündigt hatte, ist der Abschied enorm schwer gefallen. Ich erlebe es viel zu selten, dass ein Mensch mit seinem Leben wirklich  abschließen, alles ordnen und ganz in Frieden gehen kann. Meist bleibt da so viel Unausgesprochenes, Ungeklärtes, noch Ausstehendes und Unversöhntes. Und das tut weh und hängt nach. Am schlimmsten aber war, dass ich oft nicht die Zeit gefunden habe, die Besuche zu machen, die nötig gewesen wären und wohl auch erwartet wurden, nicht nur bei den Gestorbenen. Überhaupt – das Gefühl, keine Zeit zu haben, von der Zeit getrieben zu werden und mit dem, was ich mir vorgenommen habe, nicht nachzukommen – das hat dieses Jahr ebenso geprägt wie seine Vorgänger

Was wird mit diesem Jahr, das jetzt zu Ende geht? Was wird aus dem, was es mit mir gemacht hat? Was wird aus abgebrochenen Beziehungen, aus dem, was ich schuldig geblieben bin? Und was wird aus meinem Leben, wenn  dieses Treiben und Getriebenwerden von der Zeit – wie ja  anzunehmen – weitergeht und sich bei allen guten Vorsätzen, von denen es in all den zurückliegenden Jahren ja genug gegeben hat, nichts ändern wird?

Dazu die beiden Sätze aus dem  für heute  vorgegebenen Predigttext, die mir weiterhelfen:

 Jesus sagt: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger. und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. (Johannes 8, 31 f)

Wie sehr Worte eine Bleibe, ein Zuhause  zu bieten vermögen, ist mir  vor langer Zeit zu Beginn eines Studienjahres im Ausland  bewusst geworden. Wenn ich  täglich von neuem, versuchte, mich unter meinen Kommilitonen in der noch ganz ungewohnten Sprache verständlich zu machen, mühsam nach den richtigen Worten und der korrekten Aussprache suchte und  merkte, dass die Unterhaltung längst weitergegangen war und ich draußen vorblieb – wie sehr habe ich mich danach gesehnt, wie zu Hause  reden zu können, wie mir der Schnabel gewachsen war und mit dazuzugehören! Und was für eine Freude, wenn ich Landsleute trag. Mit denen ich Deutsch sprechen konnte! Die zu Hause, die von Mutter und Vater übernommene Sprache verschafft in der Tat unter denen, die diese Sprache auch sprechen so etwas wie ein Zuhause, mögen sie dabei auch noch so weit von ihrer Heimat entfernt sein.

Auch  bei Jesu Worten geht es um ein Zuhause, um das Zuhause, aus dem ich komme, in das ich gehöre und in dem ich willkommen bin mein Leben lang und darüber hinaus. Seine Worte erinnern mich daran, dass wir mit Jesus Gott zum Vater haben, der uns ins Leben gerufen hat, uns zutraut, in seinem Namen und nach seinem Willen zu leben und auf sein Reich zuzugehen, in dem alle Welt zum Frieden und zun Heil kommt. In jedem Vaterunser eröffnet und verbreitet sich dieses Zuhause, mag das Leben, in dem ich mich  gerade vorfinde, auch noch so  unwirtlich und bedrohlich sein

Das Schönste an dem Zuhause, das Jesu Worte mir, uns  eröffnet, sind die offenen Türen und eine zu Herzen gehende Atmosphäre, die kein Wenn und Aber kennt. Wo es nicht heißt: Hier bekommt jeder, was er verdient. Und wer sich draußen nicht bewährt, wer sein Leben nicht in den Griff kriegt, es nicht meistert, braucht  gar nicht wiederzukommen; für Versager machen wir uns hier nicht krumm. Nein, bevor Jesus in der Bergpredigt auf die Hausregeln Gottes zu sprechen kommt, heißt  er alle willkommen, holt er alle  mit den acht Seligpreisungen heim,. Alle, die in dieser Welt nicht zurechtkommen,  weil sie   arm sind an Leib und Seele, weil sie Leid tragen, mit ihrer Sanftmut als Weicheier verlacht werden, weil es sie nach Gerechtigkeit hungert und dürstet, und sie mit ihrer Barmherzigkeit auf taube Ohren und harte Herzen stoßen, weil sie mit ihrem reinen Herzen als Gutmenschen verhöhnt werden, ,weil sie  in der Welt des  Auf- und Wettrüstens zum Frieden fertig sind und  mit ihrem Gerechtigkeitssinn verfolgt werden: Sie alle sind berufen zu Hausgenossen Gottes, Brüder und Schwestern Jesu, der dann in der Bergpredigt eine Hausordnung  bekannt macht, die darauf angelegt ist, dass angeschlagene Menschen wieder  heil werden.

Dieses Zuhause bei Gott nimmt mich auf mit dem Gepäck, das ich mit diesem vergehenden Jahr mit mir herumschleppe. Hier ist es gut aufgehoben, das Stückwerk, das ich zustandegebracht habe. Hier kommen sie zu Ehren – die Menschen, denen ich nicht gerecht geworden bin und die nicht zu Ende gekomen sind mit ihrem Leben.

Ja, bei Gott zu Hause zu sein – da kommt mein Leben  zu dem Recht, das von vornherein in ihm angelegt war, da kommt sie ans Licht – die Wahrheit meines Lebens. Die besteht doch nicht in dem, was an genetischen Dispositionen da war, was meine Eltern und andere wichtige Bezugspersonen mir beizubringen versucht haben, auch nicht in dem, was ich zustande gebracht und versemmelt habe. All das hat mit mir zu tun, gewiss – aber darin gehe ich doch nicht auf. Die Wahrheit meines Lebens geht über das hinaus, was jetzt greifbar und konstatierbar ist, besteht darin, dass Gott mich hier haben will und er mir zutraut, dass ich mich von neuem von seinem Willen  leiten lasse. Dazu gebe er uns allen  für das neue Jahr Mut und Freiheit! Amen.

Perikope
31.12.2018
8,31f

Am Anfang … - Predigt zu Johannes 1,1-5,9-14 von Bernd Giehl

Am Anfang … - Predigt zu Johannes 1,1-5,9-14 von Bernd Giehl
1,1-5,9-14

Ja, was war denn nun am Anfang. Muss wohl mal nachdenken. Ach ja, richtig: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.  Quatschkopf. Heute ist doch Weihnachten. Da geht es doch nicht um die Erschaffung von Himmel und Erde. Darüber kannst du an irgendeinem Sonntag nach Trinitatis predigen. Aber doch nicht heute.  Heute geht es um … Das weiß ich doch selbst. Du brauchst es mir nicht zu sagen.  Heute geht es um die Geburt Jesu.  Du hast recht. Das war ein Anfang. Na siehst du.  Aber da steht nicht: Am Anfang war die Geburt Jesu. Da steht: Am Anfang war das Wort.  Ja und?  Meinst du nicht, dass der, der das geschrieben hat, sich auf die Schöpfungsgeschichte bezieht?  Natürlich hat der das. Worauf hätte der sich denn sonst beziehen sollen?  Du sprichst in Rätseln, lieber Freund. Das musst du mir bei Gelegenheit mal erklären

Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht befremdet. Manchmal rede ich mit mir selbst. Das kommt vor. Und hin und wieder führt das sogar weiter.

Fangen wir doch mal mit dem Rätsel an. Dieser Predigttext ist ein Rätsel, auch wenn er sich vielleicht nicht so anhört. Womöglich haben Sie ihn schon viele Male gehört. Kennen ihn zum Teil wohl auch auswendig. „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ Alles klar? Natürlich nicht. Sind damit die banalen Sprüche gemeint, die wir jeden Tag machen? „Schönes Wetter heute.“ „Na ja, könnte besser sein. Wie geht’s Ihnen?“ „Soweit ganz gut. Und selbst?“

Nein, das ist es nicht. Und hier beginnt schon die Reise, die man unternehmen muss, um diesen Text zu verstehen. Das hier ist nicht der gemütliche Stall von Bethlehem, in dem man sich gleich wohlfühlt, weil wir die Menschen kennen, die sich darin befinden. Weil Maria da ist, der stille Josef und die Hirten, die nun auch still geworden sind, weil sie ehrfürchtig vor dem Kind in der Krippe knien. Da kann man nicht viel falsch machen. Da stellt man sich dazu und genießt die feierliche Atmosphäre und wenn man wieder geht, schwingt das alles noch lange nach. Sicher ist uns auch der Johannestext vertraut, weil wir ihn schon so oft gehört haben. Aber diese Vertrautheit ist anders. Unter der Oberfläche des Bekannten und Gewohnten mischt sich eine gewisse Befremdung hinein, weil er so groß ist, groß und voller Rätsel. Er ist wie ein großes Gedicht, das sich ja auch nicht gleich beim ersten Lesen erschließt.  Vielleicht auch nicht beim zweiten oder dritten Mal.

Aber von Gedichten rede ich hier besser nicht. Sie haben den Ruf, esoterisch zu sein. Vergleichen wir ihn besser mit einer Kathedrale. Die sehen wir schon von weitem. Sie ragt aus der Stadt empor, ein Wahrzeichen; man kann sich an ihr orientieren. Sie hat mehrere Türme; sagen wir zwei; manchmal auch mehr. Wir kommen näher, wir sehen die filigranen Formen, die verzierten Fenster, manche mit Glas, manche ohne. Wir sehen die Rosette über dem Eingang, die Wasserspeier mit den Dämonenfratzen am Dach, das Portal mit den Figuren im Halbrelief, die vielen Verzierungen an der Außenfassade. Das alles erschließt sich dem Betrachter nicht sofort, aber es ist schön. Vielleicht machen wir Fotos, um uns später die Einzelheiten noch einmal genauer ansehen zu können. Dann gehen wir hinein. Wir sehen die bunten Fenster, die uns die biblischen Geschichten erzählen, die Säulen, kompakt und doch in sich gegliedert, die das Gewölbe tragen und den Raum teilen, das netzwerkartige Gewölbe mit den Schlusssteinen und vorne den mit filigranen Formen umspielten Hochaltar, dessen Zentrum die Bilder sind.  Aber das Eigentliche lässt sich nur schwer beschreiben. Es ist dieses Gefühl von Überwältigung, das sich einstellt. Der Eindruck von Schönheit in diesem riesigen Raum. Was diese Schönheit ausmacht, das können wir erst einmal gar nicht ausdrücken. Vielleicht ist es die Harmonie, die, wenn sie klingen würde, wie die Musik der Engel klänge. Man würde sich ja wirklich nicht wundern, wenn gleich ein himmlischer Chor anfinge zu singen. Natürlich ist dieses Gebäude auf Überwältigung ausgelegt, und es preist ja nicht nur die Größe und Erhabenheit Gottes, sondern ein Abglanz dieser Größe soll auch auf die Kirche und ihren Bischof fallen, der hier residiert. Aber eigentlich macht das auch nichts. Es ist in Ordnung so.

Vermutlich fragen Sie sich was unser Text mit einer Kathedrale zu tun hat. Es ist ganz einfach. Er hat so viele Facetten wie ein gotischer Dom. Und er hat auch die Schönheit einer solchen Kathedrale. Man muss nicht alles begreifen. Aber hin und wieder versteht man eben doch etwas.  Jedes Mal, wenn ich mich mit ihm beschäftige, erschließt sich mir ein anderer Aspekt. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass ich mich in ihm verliere.

Beginnen wir mit dem ersten Vers. „Im Anfang war das Wort.“ Ausnahmsweise will ich einmal den griechischen Urtext hinzunehmen: „Im Anfang war der Logos.“ Logos bedeutet nicht nur „Wort“, sondern auch „Sinn“, „Verstand“, „Geist“ und man erinnert sich nicht nur daran, dass Gott in der Schöpfungsgeschichte die Welt mit seinem Wort schafft, sondern auch, dass am Anfang dieser Geschichte Gottes Geist über den Wassern schwebt. Das ist so ziemlich genau das Gegenteil dessen, was die derzeit gängige Theorie von der Entstehung der Welt behauptet, dass nämlich die Welt und das Leben in ihr durch Zufall entstanden sei. Dieser Vers sagt – jedenfalls nach meinem Verständnis – dass Gott die Welt mit Sinn versehen habe und dass dieser Sinn in allem waltet.

Und dann verwandelt sich dieser Logos. Oder sagen wir vielleicht besser: Er enthüllt sich. Dieser Logos war und ist nicht nur ein Teil Gottes, sondern er bekommt jetzt auch einen Namen. Er heißt Jesus Christus und er machte sich den Menschen bekannt in der Person des Jesus von Nazareth. Oder mit den Worten des Johannesevangeliums: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Kann man das begreifen? Ich glaube nicht. Nicht mit dem Verstand. An irgendeiner Stelle gerät man unweigerlich in die Spekulation von den zwei Naturen und den zwei Willen; man gerät auf den Weg, den die alte Kirche des 4. und 5. Jahrhunderts gegangen ist, die immer mehr hinter die Geheimnisse Gottes kommen wollte und jeden zum Ketzer erklärte, der es anders sah. Vielleicht bin ich ja auch einer, aber diesen Weg halte ich immer noch für einen Irrweg.

Und so glaube ich auch nicht, dass der Evangelist Johannes über das Wesen Gottes spekulieren wollte. Ich glaube vielmehr, dass er Gott und Mensch noch einmal ganz nah zusammenbringen wollte. Dass er einen Anfang setzen wollte, der die Trennung überwindet. Ungefähr so wie in der Paradieserzählung vor dem Sündenfall, nur dass er den umgekehrten Weg einschlagen will: nicht weg von Gott, sondern hin zu ihm. Man kann Gott sehen, sagt er, weil Gott Mensch wurde. Weil Jesus zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott war.

Fragt sich natürlich gleich: Können wir das auch? Können wir das verstehen, dieses Bild vom wahren Gott und wahrem Mensch, das im Lauf der Jahrtausende immer mehr zur Formel geraten ist, die man nicht hinterfragen durfte? Schließlich leben wir ja nicht mehr zur Zeit Jesu. Johannes würde darauf antworten: Deine Frage zeigt schon, dass du etwas grundsätzlich missverstanden hast. Es geht nicht um den Jesus, der damals über die Straßen Palästinas lief, predigte und Wunder tat. Oder jedenfalls nicht in erster Linie. Es geht darum, ihn mit den Augen des Herzens zu sehen.

In der Folge wird Johannes sogar vom „Erkennen“ reden. Das passiert schon in Vers 10, wo es heißt: „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht, aber die Welt erkannte ihn nicht.“  Derselbe Stoff aus dem Gott, Logos, Welt und Mensch sind und eigentlich müsste das Erkennen ganz automatisch funktionieren, aber das tut es nicht. Falls Sie jetzt an den Vers aus der Geschichte vom Sündenfall denken, der vom Mann und seiner Frau redet, die sich „erkennen“ und dabei für einen Moment eins werden, dann liegen Sie nicht verkehrt.  Johannes scheint hier ganz nah bei den Mystikern zu sein, die ja auch von der Vereinigung des Menschen mit Gott redeten, und darin das höchste Ziel menschlicher Existenz sahen.

Schwierig, das alles. Ob man das auch noch einfacher sagen kann? Versuchen wir’s mal. Vielleicht mit der Fortsetzung des Dialogs vom Anfang. Ja, was war denn nun am Anfang? Das hast du mir immer noch nicht erzählt. Also, das ist doch ganz einfach. Am Anfang war Gott. Nur Gott. Gott allein. Er ganz allein? War ihm da nicht langweilig?  Vermutlich schon. Deshalb schuf er ja die Welt. Und die Menschen.  Die auch. Und alldem gab er seinen Geist ein. Alles war erfüllt mit Sinn. Mit Schönheit. Alles war wohlgeordnet.  Aber dann kam der Sündenfall dazwischen. Und Gott und Mensch waren getrennt.  Stimmt.

Das war traurig. Aber dann machte Gott einen neuen Anfang. Er kam selbst in die Welt. Verborgen in der Gestalt eines Menschen. Aber durch den Menschen hindurch schimmerte etwas Göttliches. Nicht jeder konnte es sehen. Nur wer sich auf ihn einließ. So wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte? Die haben es zuerst begriffen. Aber denen erschienen ja auch die Engel vom Himmel. Auch das ist richtig. Aber wie sollen wir ihn dann  begreifen? Uns erscheinen doch keine Engel mehr. Oder doch? In gewisser Weise hast du recht. Aber manchmal, weißt du, braucht es keine Engel. Sondern was?Einfach nur ein bisschen Zeit. Zeit, in der man ganz still wird. Und dann findet man ihn?  

Dann findet man ihn.

Perikope
25.12.2018
1,1-5,9-14

Jesus wohnt in uns - Predigt zu Johannes 1,1-5, 9-14 von Elke Markmann

Jesus wohnt in uns - Predigt zu Johannes 1,1-5, 9-14 von Elke Markmann
1, 1-5, 9-14

„Das geht ja gar nicht!“ regt sich eine Kollegin auf. Sie hatte gehört, wie eine Erzieherin im Kindergarten erzählte: „Wir feiern den Geburtstag von Jesus! Darum schenken wir uns alle etwas. Wir feiern Geburtstag!“ Meine Kollegin wetterte: „Das als alleinige Botschaft! Das geht doch gar nicht!“

Nein, das geht gar nicht. Weihnachten als gigantische Geburtstagsfete – weltweit. Das geht doch wirklich gar nicht!

Und doch: Wir feiern auch Geburtstag. Und noch viel mehr: Hinter all den Geschenken droht der kleine und unscheinbare Anfang tatsächlich irgendwie verloren zu gehen. Und darum möchte ich noch einmal genau hinsehen. Was feiern wir Weihnachten eigentlich, wenn nicht die große Mega-Party?

Wir haben gestern in den Gottesdiensten die Weihnachtsgeschichte gehört. Maria und Joseph bekommen ein Kind. Und weil sie das nicht zu Hause bekommen, und weil in der Stadt kein Platz in irgendeiner Herberge zu finden ist, landen sie im Stall. Im Stall kommt der zur Welt, der einmal die ganz Welt verändern soll? In Armut und obdachlos zusagen, unscheinbar. Wenn nicht die Engel gewesen wären, die die Hirten aufmerksam gemacht haben. Wenn da nicht der Stern gewesen wäre, der die Weisen aus dem Morgenland lockte … wer hätte dann von der Geschichte erzählt?

Die Engel machen die Hirten aufmerksam. Der Stern bringt die Weisen auf den richtigen Weg.Himmlische Öffentlichkeitsarbeit also.

Und wofür? Nicht für die große Party, sondern für ein kleines Kind. Mit diesem Kind allerdings hat es etwas Besonderes auf sich. Der Evangelist Johannes erzählt keine Geburtsgeschichte Jesu. Er fängt sein Evangelium mit einem besonderen Anfang an:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott.

Viele von uns kennen diese Worte. Die Rede vom Wort, das von Anfang an da ist.

Ich lese eine andere Übersetzung. Da ist nicht vom Wort, sondern von der Weisheit die Rede:

Am Anfang war die °Weisheit und die Weisheit war bei °Gott und die Weisheit war wie Gott. Diese war am Anfang bei Gott. Alles ist durch sie entstanden und ohne sie ist nichts entstanden. Was in ihr entstanden ist, war Leben, und das Leben war das Licht für die Menschen.

Von der Weisheit ist im Alten Testament an mehreren Stellen die Rede. Die Weisheit spielt vor Gott. Die Weisheit ist vor dem Anfang der Schöpfung bei Gott. Die Weisheit wird dabei unterschiedlich dargestellt. Einerseits spielend, andererseits wissend. Wenn ich von der Weisheit lese, habe ich manchmal ein fröhliches Kind vor Augen und manchmal eine weise alte Frau.

Am Anfang war die °Weisheit und die Weisheit war bei °Gott und die Weisheit war wie Gott. Diese war am Anfang bei Gott. Alles ist durch sie entstanden und ohne sie ist nichts entstanden. Was in ihr entstanden ist, war Leben, und das Leben war das Licht für die Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht aufgenommen.

Das Leben war das Licht für die Menschen. Das Leben entsteht in und durch Gott. Die Menschen sind zur Welt gekommen. Gott hat die Menschen geschaffen, so lesen wir im ersten Buch der Bibel. Alles Leben kommt von Gott.

In diesem Wissen liegt eine tiefe Wahrheit, eine tiefe Weisheit. Fast so etwas wie ein Plan? Eine Idee? Gott hat den Menschen geschaffen, als Mann und als Frau, als menschliches Bild der eigenen Göttlichkeit. Die Idee dahinter? Der Plan? Irgendwie scheint er im Laufe der Zeit verblasst zu sein. Und so passiert es noch einmal. Das Licht, das im Leben von Beginn an leuchtete, war in Vergessenheit geraten. Der göttliche Ursprung, der göttliche Funke, war verblasst. Wie soll es jetzt weiter gehen?

Johannes erzählt davon:

Es entstand ein Mensch, von Gott gesandt, mit Namen Johannes. Dieser kam, um Zeugnis abzulegen: um für das Licht zu zeugen, damit alle durch ihn °zum Glauben kämen. Jener war nicht das Licht, sondern war da, um für das Licht zu zeugen. Die Weisheit war das wahre Licht, das allen Menschen leuchtet, die in die Welt kommen. Sie war in der Welt, und die Welt ist durch sie entstanden, aber die Welt hat sie nicht erkannt. In das ihr Eigene kam sie, aber die Ihrigen haben sie nicht aufgenommen. Allen denen aber, die sie angenommen haben, denen gab sie Vollmacht, Kinder °Gottes zu werden. Das sind die, die an Gottes Namen glauben, die nicht aus Blut und nicht aus °irdischem Bestreben und nicht aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und die °Weisheit wurde °Materie und wohnte unter uns, und wir sahen ihren °Glanz, einen Glanz wie den eines einzigen Kindes von °Mutter und Vater voller °Gnade und Wahrheit.

Erst kommt Johannes, der kündigte etwas Besonderes an, ein besonderes Licht. Und dann kommt eben dieses Licht, kommt Gott selbst auf die Erde. So schreibt Gott die Geschichte weiter und bringt das Licht noch einmal in die Welt.Das Licht, die Gnade, die Weisheit werden Mensch.

Aber eben nicht prunkvoll und voller Macht. Ein einziges Kind kommt auf die Welt, klein und abhängig, unselbstständig und auf Hilfe angewiesen. So leise und unscheinbar, dass es kaum ohne himmlische Öffentlichkeitsarbeit durch Engel und Sterne geht! Und schon in diesem kleinen Anfang ist der Glanz sichtbar.  Die Hirten erkennen göttlichen Glanz in diesem kleinen Kind. Die Weisen hatten zwar die prunkvolle Königsgeburt erwartet, aber erkennen in diesem kleinen Kind im unscheinbaren Stall in Bethlehem den göttlichen Glanz, die Gnade und die Weisheit.

Johannes weiß es:

Wer in dem kleinen Kind mehr sieht, ist selbst ein Kind Gottes.

Wer diesen Glanz erkennt, der ist ein Bruder oder eine Schwester des kleinen Kindes in der Krippe.

  • Und selbst ein Kind Gottes.

Selbst ein Kind Gottes sein – selbst den Glanz Gottes in die Welt bringen, das Licht in die Finsternis. Dazu braucht es keine große Geburtstagsparty mit Licht und Lärm. Dazu braucht es oft nur Kleinigkeiten: Wenn eine Freundin sich merkt, worüber ich mich freue - und es mir später schenkt.  Wenn ich die Menschen anlächle, die ich gar nicht kenne.  Wenn eine Nachbarin für die andere den Schnee oder das Laub weg fegt, ohne aufgefordert zu sein, einfach weil sie ihr einen Gefallen tun möchte. Wenn plötzlich an der Tür eine Tüte mit Süßigkeiten hängt mit einem kleinen Dank darin. Wenn Sie eine Postkarte schicken. Wenn ich meinen Sohn lobe.

Weihnachten feiern wir, dass Gott keine Mühe scheut, uns nahe zu sein. Gott selbst kommt auf die Welt. Gott selbst wird Mensch wie wir. Gottes Weisheit wird lebendig. Das ist wahrhaftig ein Grund zu feiern!

Amen

Perikope
25.12.2018
1, 1-5, 9-14

Der neue Nachbar - Predigt zu Johannes 1, 14 von Anne-Kathrin Kruse

Der neue Nachbar - Predigt zu Johannes 1, 14 von Anne-Kathrin Kruse
1,14

(die kursiv gedruckten Überschriften werden nicht gelesen)

I. Ein neuer Nachbar

Die Wohnung nebenan stand lange leer. Keine Ahnung, warum. Jetzt ist jemand eingezogen, heißt es. Wir sind uns noch nicht begegnet. Aber freundlich scheint er zu sein. Hat vor jeder Wohnungstür im Haus ein Fladenbrot,  wie es der türkische Laden bei der Moschee um die Ecke hat,  und eine kleine Flasche Wein gestellt. Etwas ungewöhnlich,  wo die meisten Muslime doch gar keinen Wein trinken… Aber man hört so manches im Treppenhaus: Jude soll er nämlich sein, und auch noch aus Israel… Na, hoffentlich gibt das keinen Ärger im Haus. Juden hatten wir hier noch nie.

II. Gott zieht um.

Weit spannt er das Dach seines Zeltes – weltweit. Mit seinem Wort ist er gegenwärtig, schafft Himmel und Erde – und Leben. Zuerst und für immer wohnt er bei seinem Volk. Im Wüstenzelt, später im Tempel in Jerusalem. Aber seine Gegenwart beschränkt sich nicht darauf, überall ist er zu finden,  in der Wüste, auf Bergen, in Krankenhäusern und Gefängnissen, am Bahnhof, in Flüchtlingslagern wie in der Unterkunft für Wohnungslose. In Gottes Geschichte ist das nicht neu –  dass er sich der Welt zuwendet und in ihr wohnt. Durch die Propheten redet er mit seinem Volk Israel, rettet und befreit mit seinem Wort, zieht es durch Wasserfluten, zeigt ihm den Weg durch Wüstenzeiten, mahnt und tröstet. Gott macht sich klein  und begegnet seinem Volk auf Augenhöhe. Umsorgt es, isst und trinkt mit ihm. Schenkt ihm seine Gebote, damit Jüdinnen und Juden  in Gerechtigkeit und Frieden leben können. Der Mensch lebt schließlich nicht vom Brot allein, sondern von allem, was Gott über die Lippen kommt. Dtn 8, 3

III. Gott wohnt unter uns…

Gestern Abend klingelt es. Eigentlich haben wir es uns gerade  am Christbaum gemütlich gemacht. Die Geschenke sind ausgepackt. Die Begeisterung der Kinder weicht einer stillen Freude. Sie sind vollauf damit beschäftigt, alles auszuprobieren. Der Glühwein dampft in den Gläsern,  die Weihnachtsbrötle haben wir aus ihrem Versteck geholt und endlich zum Naschen freigegeben. Jetzt steht er im Flur  und druckst in gebrochenem Deutsch etwas herum. Nicht stören will er. Neu sei er hier und noch fremd. Ein bisschen Heimweh habe er. Und übrigens heiße er Jehoshua. Jehoshua - so einen Namen hatten wir noch nie gehört.

IV. Gottes Wort wird Fleisch und wohnt unter uns.

Gottes Wort bekommt Hand und Fuß, Einer aus Fleisch und Blut kommt und wohnt über, neben, unter uns. Mittendrin. Was wohl an seiner Türklingel steht? Jesus Christus – eben Vor- und Nachname? Nicht wirklich! Das Christkind ist nicht eines von uns. Das Christkind ist ein Judenkind. Von einer jüdischen Mutter  geboren, wie jeder jüdische Junge nach 8 Tagen beschnitten, mit 13 wurde er Bar Mizwa  und damit vor Gott für seine Taten selbstverantwortlich. Leidenschaftlich streitet er für die Tora, Gottes heilige Gebote, an denen kein Jota verändert werden darf. Und – selbstverständlich - spricht er hebräisch. Ja, Gott spricht hebräisch. Gottes Wort muss für uns übersetzt werden. Es ist nicht immer leicht zu verstehen. Jehoshua, auf Deutsch: Gott rettet. Und: Christus – kein Nachname. Ein Ehrentitel, aus dem Hebräischen übersetzt:  der Messias, der kommt, von Gott gesandt am Ende aller Tage, um Israel zu retten und das Reich Gottes auszurufen in aller Welt. Das Heil kommt von den Juden, wie es später im Johannesevangelium heißt.  Joh 4, 22b Gott ist zuerst in seinem jüdischen Volk zur Welt gekommen. Auch in der Weihnacht kommt er in diesem jüdischen Volk zur Welt. Und zwar weniger in einem Stall, als in einer Höhle im jüdäischen Gebirge nahe Bethlehem, damals in der früheren Provinz Judäa, heute im palästinensischen Autonomiegebiet.

V. Und wir sahen seine Herrlichkeit…

Eigentlich wollten wir ja an diesem denkwürdigen Weihnachtsabend  lieber unter uns bleiben. Aber nun ist er schon mal da, dieser fremde Jehoshua. Neugierig hat er uns gemacht. Erzählt, wo er herkommt. Worauf er hofft. Was er als seine Lebensaufgabe sieht: Wie Gottes Wort die Menschen jenseits des jüdischen Volkes ansprechen. Die suchen, die andere längst abgeschrieben haben. Oder die sich selbst abgeschrieben haben.

An Grenzen gehen. Verbinden, was getrennt ist. Worte sagen, die lebendig machen.  Dafür sorgen, dass die Welt in einem neuen Licht erstrahlt. Auch die Kinder werden mittlerweile neugierig auf diesen Fremden, klettern uns auf den Schoß, schauen ihn mit großen Augen an  und hängen förmlich an seinen Lippen. Wir wohnen Wort an Wort. Sag mir  dein liebstes  Freund  meines heißt Du.1 Wort Gottes spricht an, knüpft Kontakt, schafft Beziehung, bewegt, macht lebendig.  Leuchtet und strahlt.  Gott bleibt nicht nebulös. Gibt sich im Wort zu erkennen. 

VI. In meines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen.

Was mir aber nicht aus dem Sinn geht, waren Sätze wie diese: In meines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen. Die Wohnung für sein jüdisches Volkes, aber auch Wohnungen für die anderen, nichtjüdischen  Völker. Sie sollen nicht verloren gehen. Auch sie sollen einen Platz bei Gott haben. Keine Wohnungsnot, kein Mangel. Es gibt genug Platz für alle.Und: Ich bin die Tür. Joh 10, 9 Die Tür zu Gottes Wohnung, die uns offen steht. Durch ihn führt der Weg zu Gott… Oder doch umgekehrt?  Durch ihn kommt Gottes lebendiges und befreiendes Wort zu uns! Und wir sehen seine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit. Gott zieht um und wohnt unter uns wie bei seinem Volk. In seinem Hause gibt es viele Wohnungen. Weihnachten – ein Kapitel in den Liebesgeschichten Gottes  mit dem Volk  Israel, mit uns Nichtjuden, mit seiner ganzen Schöpfung.Für uns das Entscheidende.

VII. Unser Herz brannte Lk 24, 32

Spät wurde es gestern Abend – in dieser Heiligen Nacht. Keine Schein-Idylle im Stall samt Ochs und Esel. Auch keine Hirten. Vielleicht ein paar Engel… Dafür stießen im Laufe des Abends noch ein paar Nachbarn dazu, von unserem fröhlichen Lachen angelockt. Brachten die Fladenbrote und den Wein mit. Und er dankte, brach das Brot und gab es uns. Dankte für den Wein, gab ihn uns. Das tut zu meinem Gedächtnis… Und unser Herz brannte.

Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns,

und wir sahen seine Herrlichkeit,

eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,

voller Gnade und Wahrheit.

 

Amen.

 

1 I Rose Ausländer, in: Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg, Stuttgart 1996, S. 819

Perikope
25.12.2018
1,14

„Heile Familie“ – Predigt zu 1. Johannes 3,1-6 von Andreas Schwarz

„Heile Familie“ – Predigt zu 1. Johannes 3,1-6 von Andreas Schwarz
3,1-6

Herr, gib uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für dein Wort. Amen.

Alexander ist ein aufgeweckter Junge. Begeisterter Fußballspieler und freundlicher Schüler. Mit seinen 11 Jahren ist er auffällig reif. Vielleicht liegt das an seinen besonderen Lebensumständen. Seine Eltern sind vom Balkan nach Deutschland gekommen. Weil der Vater gewalttätig ist, hat sich die Mutter von ihm getrennt. Um ihren Sohn kümmert sie sich vorbildlich. Die Beiden lieben einander sehr, leben aber in ständiger Angst vor dem Ehemann und Vater. Und eines Nachts geschieht es. Er kommt in die Wohnung und tötet seine Ehefrau. Der Junge hat alles mitbekommen. Der freundliche Polizist Carlos Benede begleitet ihn in der  nächsten Zeit. Der Junge sagt auf eigenen Wunsch im Prozess gegen seinen Vater aus, der ihm das Liebste im Leben genommen hat. Nie will er ihn wiedersehen. Aber er hat keinen Menschen mehr, er muss ins Heim. So richtig gut geht es ihm dort nicht. Eines Tages bittet der Heimleiter den Polizisten, ins Heim zu kommen. Er teilt ihm mit, Alexander habe den Wunsch geäußert, einen Vater zu haben, der so sei wie der Polizist. Ob er ihn nicht als Pflegesohn aufnehmen wolle. Der Polizist, unverheiratet und alleinlebend, nimmt den Jungen zu sich und kümmert sich um ihn. Eines Tages klingelt das Telefon, der Junge geht ran. Als er aufgelegt hat, spricht der Polizist ihn an: Du hast Dich mit meinem Nachnamen ‚Benede‘ gemeldet. Ja, sagt der Junge, ich möchte so heißen wie Du. Das geht aber doch nur, wenn ich dich adoptiere. Das will ich, sagt Alexander. Du sollst mein Vater sein.1

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Was für eine Aussage. Oder besser noch: Was für eine Zusage. Da ist von Liebe die Rede.  Und wer würde von sich sagen, die bräuchte er nicht? Bei allem guten Essen und Trinken in diesen Tagen. Es geht uns ja gut, wir müssen nichts entbehren, müssen auf nichts verzichten, können uns einiges leisten. Bei allen  Geschenken, die wir bekommen haben, über die wir uns gefreut haben. Die größere Wirkung darauf, ob wir uns wohlfühlen, ob es uns gutgeht, hat die Liebe. Dass wir spüren, wir sind mit Menschen zusammen, die uns wichtig sind, die uns am Herzen liegen.  Wir haben uns schon lange auf das Fest gefreut, weil wir dann wieder mit denen zusammen sind, mit denen wir zutiefst verbunden sind. Wir genießen die Zeit miteinander, essen, trinken, reden, spielen; wir erzählen voneinander, lachen miteinander, geben Ratschläge und Hilfe, wenn sie gewünscht sind. Wir sind Familie. Freuen uns darüber und sind dankbar. Wenn es denn so schön ist, wie gehofft.

Und wenn es denn so nicht ist, dann leiden wir darunter. Weil wir es gerne so hätten, weil wir uns danach sehnen, geliebt zu sein, wert geachtet zu sein, Teil einer Familie zu sein, in der man sich versteht, in der man füreinander da ist, sich zusammengehörend weiß und auch so erlebt, wo man zusammengehört, ohne etwas leisten und beweisen zu müssen. Die Verbindung ist die Liebe. Nichts als die Liebe. Darum freuen wir uns mit, wenn es einem gut geht. Darum haben wir Teil daran, wenn eine sich Sorgen macht. Darum leiden wir mit, wenn einer leidet; sind traurig, wenn es einer schlecht geht, weinen, wenn eine Beziehung endet, wenn einer geht. Wir sind verbunden im Guten und im Unangenehmen. Wir gehören zueinander – Mutter, Vater, Kinder.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

An Weihnachten macht Gott diese Zusage an uns. Und spricht damit die an, die dankbar sein dürfen für ihre guten Erfahrungen mit ihrer Familie. Und er spricht die an, die das vermissen, die gerade keine gelingende Familie erleben; Weil sie gar keine haben und einsam sind. Weil sie keine wollen, es verbindet uns ja doch nichts, wir streiten uns nur oder gehen uns aus dem Weg. Heile Familie? Heile Beziehungen? Da sind die Hoffnungen größer, als die Erfahrungen, das Scheitern zahlreicher als das Gelingen. Gute Aussichten für die Sehnsucht. Offene Ohren und Herzen für die Botschaft?

Heil ist das auch mit der so genannten Heiligen Familie nicht. Maria und Josef - noch nicht verheiratet. Maria - schwanger, aber nicht von Josef. Und als er es erfährt, plant er, sie heimlich zu verlassen. Geburt - in einer Notunterkunft. Fremde Hirten als erste Gäste an der Krippe. Ich kann mir heile Familie schon auch anders vorstellen.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Johannes verkündigt seiner Gemeinde eine Zusage, die wenig mit dem zu tun hat, was die Menschen erleben und kennen. Er verkündigt ihnen etwas, was sie ungläubig staunen lässt. Das passt mit ihrer Erfahrung gerade nicht zusammen. Weder in der Familie, noch in der Gemeinde. Unsere Liebe, unser Gefühl von Zusammengehörigkeit sind sehr bruchstückhaft; Verbindungen und Beziehungen sind sehr zerbrechlich, immer wieder bedroht. Wir wünschten es uns anders.

So wie Alexander, dem alles zerbrach, was ihm Sicherheit gegeben hatte, die Erfahrung geliebt und angenommen zu sein. Und dann erlebt er in dem Polizisten Carlos Benede einen Menschen, der einfach nur für ihn da ist, egal, was die anderen denken und sagen, egal, wie unsinnig das ist, wie unrealistisch. Er erlebt neu Geborgenheit und Liebe. Am Ende gibt Carlos Benede seinen Beruf als Polizist auf und leitet ein Heim für Jugendliche, die wie Alexander vor den Scherben ihres Lebens stehen und sich nach Liebe sehnen.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Wie schön oder belastend, wie gelingend und gestört Beziehungen und Familien sein mögen, an Weihnachten wird es vielleicht deutlicher als sonst im Jahr: du bist und bleibst Gottes Kind. Du bist geliebt. Du bist angenommen. Niemand macht Dir Deinen Platz in dieser Familie streitig, niemand nimmt Dir, was Dir geschenkt ist. Das ist seine Botschaft an diesem Tag. Was für eine Liebe! Unbeschreiblich, grenzenlos. Zu sehen in diesem Kind in der Krippe, geboren, für dich, aus lauter Liebe. Damit dein Leben gut wird. Sehet – sagt Johannes; ihr, die ihr zum Gottesdienst am Weihnachtsfest gekommen seid. Schmecket und sehet. An seinem Tisch, in seiner Familie sind alle willkommen, haben alle Platz, die die Einladung hören, sich freuen und kommen.

Wie immer die persönliche Lebenssituation ist, wie gelungen oder enttäuschend der gestrige Abend war. Hier gibt es für alle zu schmecken und zu sehen von der Liebe Gottes. Du bist gemeint, du bist geliebt, du bist eingeladen, du gehörst dazu, du bist Teil dieser Familie, bist Gottes Tochter, Gottes Sohn, sein Kind.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Das ist Weihnachten – und schöner kann es nicht sein, als geliebt zu sein, angenommen, wertgeachtet. Schade, dass Johannes nun auch noch von der Sünde redet. Muss das sein? An Weihnachten? Es hätte so ungetrübt sein können. Ist es aber ehrlicherweise nicht. Bei Alexander nicht. Bei der Gemeinde nicht, an die Johannes schreibt. In unseren Familien und Gemeinden nicht. Doppelt nicht. Missverständnisse bleiben nicht aus. Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Verstehen einander nicht, enttäuschen Erwartungen und Hoffnungen. Machen einander Vorwürfe, gesagt oder verschwiegen. Der Zusammenhalt ist bedroht und brüchig, bleibt an der Oberfläche. Vielleicht wird es nicht laut, wenn man zusammen ist, sondern eher ganz leise, weil man lieber schweigt, als zu streiten und dann wieder seine eigenen, ganz anderen Wege geht. Wie leicht gehen Dankbarkeit und Freude darüber verloren, Gottes Kinder zu sein. Als könnten wir Weihnachten machen oder retten oder sichern. Als müssten wir bestätigen, würdig zu sein, beschenkt zu werden. Wenn es an uns läge und was uns gelingt, nie würde Weihnachten werden. Wie in der Heiligen Nacht in Bethlehem, so wird heute nicht Weihnachten, weil Menschen zielsicher ein großes Fest vorbereitet haben. Es kam, weil er kam und darüber haben sich Menschen gefreut. Menschen, die mit nichts gerechnet hatten, die nicht erwartet hatten, dass sie jemand sieht, sie wahrnimmt, geschweige denn, sie liebt, die waren auf einmal gemeint und mitten drin und voller Freude. Unheile Familien wie Maria, Josef und das Kind. Die doch eine heile Familie wurden, weil sie von Gottes Liebe lebten.

Als Alexander auf grausame Weise seine Mutter verloren hatte, da erinnerte er sich daran, dass sie ihn jeden Morgen vor dem Weg in die Schule mit einem Kreuz auf der Stirn gesegnet hatte. Nachdem sie beerdigt war, ließ er sich taufen. Ich will dazu gehören. Beschenkt werden mit einer Liebe, die mir niemand nehmen kann. Nicht durch Gewalt, nicht durch Sünde und Schuld.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Amen.

1 I nach der Verfilmung der wahren Begebenheit von Carlos Benede https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/der-polizist-der-mord-und-das-kind-100.html ausgestrahlt am 11.12.2017 um 20.15 Uhr

Perikope
25.12.2017
3,1-6

Weihnachtspost - Predigt zu Johannes 1,3-6 von Manfred Wussow

Weihnachtspost - Predigt zu Johannes 1,3-6 von Manfred Wussow
1,3-6

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen noch erkannt.

 

Weihnachtspost

Die Überraschung ist gelungen. Ein Weihnachtsengel, ein Hirte, vielleicht auch ein Ochse erzählen uns ihre Geschichten. Geschichten aus der letzten Nacht. Geschichten von dem Kind. So weit weg – und doch so nah. Dass wir ihre Nacht „heilig“ nennen würden, konnten sie nicht ahnen. Der Ochse schüttelt den Kopf. So eine Eselei. War es doch eine Nacht, x-beliebig, wie jede andere auch  – bis, ja bis die Engel erschienen, die Hirten aufbrachen und die Ochsen ihre Nasen in die Krippe steckten.  Dass diese Nacht so anders werden würde, haben die Weisen in den Sternen gelesen. Doch das ist eine andere Geschichte. Zauberhaft, verträumt sind sie alle.

Inzwischen ist der 1. Weihnachtstag angebrochen. In den Zimmern liegen noch die Geschenke, das Altpapier und der Abwasch. Die Lust, in der Nacht noch Ordnung zu machen, hielt sich nicht lange. Der Wein war lecker. Wo hatten wir den noch mal her? Haben wir noch ein paar Flaschen? – Und dann gleich ein Festmenü. Oh, wie lecker die Pute riecht!

Fröhliche Weihnachten, sagen wir. Das steht nicht in den Sternen. Der Blick in den Kalender genügt.Aber schön wäre es schon, wenn die Weisen zu uns kämen. Irgendwie alles so dumpf, oberflächlich, langweilig. Denken Sie schon an die Arbeit? Nichts verträgt ein Mensch so schlecht wie eine Reihe guter Tage. Komisch. Warum ist im Kopf alles so verworren, gemischt, verkocht?

Sie sind richtig hier. Heute, am 1. Weihnachtstag, treffen wir auf einen alten Bekannten. Vielleicht ist er auch nicht so alt. Er hat einen Brief geschrieben. Einen Weihnachtsbrief? Womöglich. Wir können das offen lassen. Sorry, wir werden es schon merken.Ich lese ihn einfach einmal vor, ein paar Zeilen heben wir auch noch auf. Muss nicht alles auf einmal sein:

„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt.Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

 

Ein Zauberwort

So etwas hat mir bisher keiner geschrieben. Ihnen? Wir werden doch tatsächlich als „meine Lieben“ angesprochen, als „Gottes Kinder“! Kennt Johannes uns? Kennt er uns so gut? Zwar ist hier noch vieles offen, zumindest nicht abschließend geklärt, aber dass wir Gottes Kinder sind – das ist schon ein Satz! Woher Johannes das weiß? Oder ist es nur – falsche Vertraulichkeit? Ich bin misstrauisch. Entschuldigung.

 

Jedenfalls ist das Wort „Liebe“ hier das Zauberwort. Es geistert nicht nur durch unsere Kirche, es öffnet Herzen, Gedanken, Träume. Aber ganz speziell: Wir sind geliebt. Ich bin geliebt. Vom Vater. Dass mein Vater mich mochte, weiß ich – er ist lange tot. Zu Weihnachten kommen die Erinnerungen hoch. Als Vertriebener hatte er bei Liedern aus seiner Kindheit Tränen in den Augen. Ich verstand es nicht. Er brauchte seinen Schnaps. Aber der Vater, von dem hier die Rede ist, ist Gott selbst. Er hat alles gemacht. Er hat alles gut gemacht. Die Schöpfungsgeschichte ist seine Liebesgeschichte.  Seine erste! Als er das Licht geschaffen hat, musste die Nacht als erste daran glauben. Seine Liebe begleitet Menschen von Anfang an. Nein, nicht nur in meiner Biografie, vom Anfang der Welt. Viele Menschen sind dabei glücklich geworden, viele sind daran irre geworden. Viele Menschen haben in entsetzlichen Situationen Halt gefunden, viele haben ihre Hoffnungen irgendwo verloren. Geliebt zu sein, ist die älteste und schönste Sehnsucht aller Menschen. Zerbrechlich mutet es uns an. Manchmal kann ich mich selbst nicht lieben.

 

Haben Zauberworte eine Realität? Was zaubern sie, was verzaubern sie? Wenn etwas die Welt verzaubert, dann – die Liebe. Johannes schreibt doch tatsächlich: Wenn offenbar und für alle sichtbar werden wird, dass wir Gottes Kinder sind, werden wir Gott sogar gleich sein. Wir werden ihn sehen, wie er ist. Diesen Gedanken auszudenken, wage ich kaum. Wo Gott doch der große Unbekannte geworden ist, der Fremde! Ihn sehen … ihm gleich werden. Wie das wohl geht?

 

Eine Annäherung

Noch sind wir ganz im Bann von gestern. Heiliger Abend, Heilige Nacht. In den Kirchen, vielleicht auch bei Ihnen zu Hause, wurde die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Besungen. In die schönsten Worte gefasst. Da war der Kaiser Augustus. Große Politik zum Greifen nah. Sogar die Steuerpolitik. Ich suchte das römische Bundesgesetzblatt  - vergeblich. Die Archive schweigen. Aber ich sah Maria mit ihrem Josef über Land ziehen. Mit einem Kind im Bauch. Wie viele von ihnen waren schon unterwegs. An Land gespült. Verjagt, eingesperrt, zurückgeschickt. Kleine Schicksale passen in Steuer-Nr. – wenigstens in diese. Einen Platz gab es nicht. Gestern in der Nacht. Nur ein Stall. Ein Ochs, ein Esel sollen dabei gewesen sein. Von ihnen erzählte schon der Prophet. Sie wüssten, wo sie hingehören – viele Menschen wissen es nicht, wo sie zu Hause sind. Selbst in großen und schönen Häusern sind viele Menschen nicht zu Hause.

Aber das Kind wurde geboren. In Windeln gewickelt. In eine Krippe gelegt. Und irgendwo über den Feldern, nicht weit von hier, tat sich der Himmel auf. Die Nacht wurde hell und von Engelstimmen erfüllt. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Da ist es wieder. Oder endlich. Die Geschichte, die Augustus schreibt, die seine Annalen und Verdienste füllt – ein anderer hat sie eingefädelt. Mit langer Hand vorbereitet. Was in Steuerlisten erfasst werden soll, wird zu einem Evangelium für alle Welt. Doch es sind die Hirten, ärmlich, ungeliebt und schlecht beleumdet, die den Anfang machen. Den Anfang machen müssen. Pack! Sie finden Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Nicht nur große Geschichte im kleinen Nest (Bethlehem), kaum zu fassen: Gott wird Mensch. Ein Kind. Er fängt noch einmal neu an. Mit der Welt. Mit uns. Nur gesagt wird das nicht im Weihnachtsevangelium! Man kann es aber hören, mit großen Ohren hören:

„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“

Man kann es hören … von selbst kommt man nicht darauf. Denn die große Geschichte wird von großen Menschen gemacht. Und große Menschen glauben daran.

Dass Gott nicht darauf kommt, nicht darauf setzt – wer hätte das gedacht? Er schreibt die Geschichte, die er einmal begann, mit seiner Liebe neu. Doch seine Liebe ist alt. Vom ersten Tag der Schöpfung bis zum letzten, von meinem ersten Atemzug bis zu meinem letzten, von meinen ersten Schritten bis zu meinen letzten. Augustus wird zum Chronisten, Zeitzeugen und Träumer. Degradiert. Darum steht er nur im ersten Satz – im letzten nicht mehr. Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging …

 

Ich muss es mir nicht einmal zusammenreimen:  Bevor wir – einmal – Gott sehen und ihm gar gleich werden, wie es uns Johannes schreibt, hat uns Gott gesehen. Mit den Augen eines Kindes. In einem Stall. Unfassbar, er ist uns gleich geworden. Er hat sich mit uns gleich gemacht. Augenhöhe. Auf Augenhöhe. Was ist von Gott jetzt noch geblieben? Wo doch seine Herrlichkeit im Stroh liegt, seine Ehre Windeln trägt, sein Glanz im Windlicht untergeht …

Johannes hat einen tollen Brief geschrieben. Die Perspektive, die er wählt, spiegelt sich in der Geschichte von Weihnachten. Wer ist zuerst wem gleich geworden? Klar doch: er uns. Dann: wir ihm.

Dann!

 

Ehre und Friede

Die Engel haben das besungen. Sie mussten nur den Himmel öffnen. Dann konnte es wie Schuppen von den Augen fallen. Wir haben sie in ihrem „normalen“ Lob gehört! Wir haben in den Himmel gesehen! Hinter die Kulissen. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Die Ehre, die Herrlichkeit, der Glanz, die Gott zukommen, verwandeln sich in Frieden, in Liebe, in Barmherzigkeit. Die „Höhe“ misst sich an der „Erde“, die „Erde“ an der „Höhe“. Es sind keine zwei Welten, die hart und bitter aufeinandertreffen: Wo Gott ist, wo Gott Mensch wird – wird der Mensch. Huch. Ich zögere. Vorsichtshalber schlage ich in klugen Büchern nach. Wo Gott Mensch wird, wird der Mensch - Gott. Ich schlucke. Die drei großen Kappadozier – Kirchenväter - haben das schon vor über 1.500 Jahren so klar und rein formuliert, dass ich mit meinen Worten kaum noch mitkomme. Aber Johannes hat uns nicht umsonst heute einen Brief geschrieben:  „Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

Dass müssen wir heute lesen!

Nicht, dass Liebe kein schönes, herrliches, liebliches Wort ist, doch von Liebe reden wir ständig. Gefragt und ungefragt. Zu Weihnachten besonders. Eine Alternative? Weit und breit nicht in Sicht. Die Welt ist voll von diesem Wort. Sie quillt förmlich über. Es ist wohl einfacher, die Haare auf dem Kopf zu zählen als dieses Wort „Liebe“-  im Internet. Doch im Netz wird dieses Wort auch gefangen, geschüttelt und gequetscht. Am Ende passt Liebe sogar in eine Patronenhülse. Hass schmückt sich, Liebe zu vollenden. Mit der Wahrheit stirbt Liebe immer zuerst. Eine Überraschung? Nein, eine Welt, die ohne Liebe nicht leben, nicht träumen kann, aber ständig an ihr zerbricht. Am 1. Weihnachtstag ist das allemal der Rede wert! Einen Computer brauche ich dafür nicht.

„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt.“

Zukunft

Eigentlich könnte ich jetzt Amen sagen. Finden Sie auch? Aber ich muss noch einige Zeilen aus dem Brief lesen, den Johannes uns geschrieben hat:

„Und jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht.  Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen noch erkannt.“

Für Johannes ist das der krönende Abschluss. Ein Plädoyer für eine neue Sicht auf die Welt. Ein Plädoyer für die Liebe. Die Sünde lässt den Dingen ihren Lauf, die Sünde kennt keine Hoffnung, die Sünde gibt Menschen – und die Welt – auf. Die Sünde braucht keinen Gott, sie verträgt keinen Gott, sie duldet keinen Gott. Die höchste Kunst der Sünde ist, uns mit uns alleine zu lassen. Alles, was Johannes schreibt, ist wie ein Aufschrei – dagegen. Wer geliebt ist, wer geliebt wird – von Gott, findet ihn unter Engeln, Hirten und Ochsen.

Übrigens, sie ahnen es vielleicht auch, womöglich liegt es Ihnen auf der Zunge: Der Brief, den wir heute lesen, findet sich auch – ein wenig verändert – im Evangelium nach Johannes. Sogar die Kapitel stimmen überein (Joh. 3,16 – 1. Joh. 3,1´ff):

 

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab,  damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Perikope
25.12.2017
1,3-6