ZDF-Predigt zu Matthäus 22,15-22 von Bettina Klünemann
Ein heißes Eisen – das Verhältnis von Staat und Kirche. Viele Menschen in der Kirche sind deswegen beunruhigt. Wie stehen Sie dazu? Wollen Sie in der Kirche Ihre Ruhe haben vor den Problemen draußen? Oder ist sie Ihnen als kritisches Gegenüber zum Staat wichtig? Oder fragen Sie vielleicht: Warum überhaupt darüber nachdenken?
Martin Luther hat dieses heiße Eisen vor knapp 500 Jahren angepackt. Er stellte die römisch-katholische Kirche auf den Prüfstand. Und die weltliche Obrigkeit gleich mit. Er schrieb: Wir müssen nun "lernen, wie lang ihr Arm reiche" – also der Arm der weltlichen Obrigkeit – "…, dass sie sich nicht zu weit erstrecke und Gott in sein Reich und Regiment greife."
Luther wollte die Macht von Kirche und Staat stärker trennen. Die Macht des Papstes und des Kaisers sollten Grenzen haben – obwohl er selbst von der weltlichen Obrigkeit profitiert hat: Als er zum Ketzer und damit für vogelfrei erklärt wurde, konnte er nur überleben, weil sein Landesfürst ihm Asyl gewährte.
In den folgenden Jahren beschäftigte er sich - intensiv mit dem angemessenen Verhältnis von Staat und Kirche. Dabei orientierte er sich - u.a. an einem Streitgespräch zwischen Jesus und der religiösen und politischen Elite seiner Zeit:
Daraufhin kamen die Pharisäer zusammen. Sie beschlossen, Jesus mit einer Fangfrage in die Falle zu locken. Sie schickten ihre Jünger zusammen mit einigen Anhängern des Herodes zu Jesus. Die sagten zu ihm: "Lehrer, wir wissen: Dir geht es nur um die Wahrheit. Du sagst uns die Wahrheit,wenn du lehrst, wie wir nach Gottes Willen leben sollen. Du fragst dabei nach keinem anderen. Denn du siehst nicht die Person an. Sag uns bitte, was du für richtig hältst:Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht?"
Jesus durchschaute ihr böses Spiel und sagte: "Wollt ihr mir eine Falle stellen, ihr Scheinheiligen? Zeigt mir eine Münze, mit der ihr die Steuern bezahlt!" Sie gaben ihm eine Silbermünze. Jesus fragte sie: "Wer ist auf dem Bild zu sehen und wer wird in der Inschrift genannt?" Sie antworteten ihm: "Der Kaiser." Da sagte Jesus zu ihnen: "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!" Als sie das hörten, waren sie sehr erstaunt. Dann ließen sie Jesus einfach stehen und gingen weg.
Matthäus 22,15-22 nach der BasisBibel
"Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht?" Eine Fangfrage. Spricht Jesus sich öffentlich gegen die römische Kopfsteuer aus, könnte er für einen Staatsfeind gehalten werden. Spricht er sich dafür aus, würde er die römische Herrschaft akzeptieren. Das war für fromme Juden wie die Pharisäer und ihn selbst undenkbar. Denn der römische Kaiser ließ sich als Gott verehren. Ihm zu huldigen verstieß gegen das erste Gebot. Ein echtes Dilemma!
Doch Jesus zieht den Kopf aus der Schlinge. Er nimmt die Männer mit ihrer Frage beim Wort: Ist es erlaubt? Also: Entspricht es dem Willen Gottes? Die Steuermünze mit dem Bild des Kaisers soll Aufschluss geben. Doch sie enthält nur die halbe Antwort: "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser zusteht!" Erst danach setzt Jesus seine Pointe: "Und gebt Gott, was Gott gehört!" So überlässt er jedem Einzelnen die Entscheidung, ob das, was er dem Kaiser gibt, auch dem Willen Gottes entspricht.
"Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!" Ein Wort, das es in sich hat und oft missbraucht wurde. Auch von Martin Luther. Er nutzte es als Argument gegen die Freiheitsbestrebungen der Bauern. Sie bräuchten sich in ihrem Kampf gegen die hohen Steuerlasten an die Fürsten nicht auf die Bibel zu berufen, meinte er.
Auch zur Zeit von Kaiser Wilhelm wurde Jesu Antwort gerne zugunsten der weltlichen Herrscher ausgelegt. Wer dem Kaiser dient, dient Gott, predigten manche Pfarrer. Und wer Gott dient, dient selbstverständlich auch dem Kaiser. Kaisertreue und Treue zu Gott, Vaterlandsliebe und Glauben waren in ihren Augen eins. Aber damit haben sie Jesus gründlich missverstanden. Denn Gott steht für Jesus über dem Kaiser. Ohne wenn und aber.
Und heute? Der Kaiser hat längst abgedankt. Trotzdem ist Jesu listige Antwort auch für uns aktuell. In unserer Demokratie sind wir Christenmenschen ja beides: Staat und Kirche, Nation und Gottesvolk zugleich. Deswegen kann die Frage auch für uns nicht heißen: Wem gegenüber bin ich loyal - Staat oder Kirche? Eine falsche Alternative! Eine "Falle", in die wir uns heute genauso wenig locken lassen sollten wie Jesus damals. Als Christen sind wir beiden, Staat und Kirche verpflichtet.
Aber wir setzen Prioritäten: Meine Bürgerpflichten kann und soll ich erfüllen, solange sie Gottes Willen nicht widersprechen. Darum lasse ich mich als Bürgerin dieses Staates davon leiten, was ich als Christin für richtig erachte. So verstehe ich Jesus. Die Kirche ist ja kein "Schneckenhaus".
Was das im Einzelnen bedeutet, gilt es immer wieder neu auszuloten. Im Kleinen, privaten Leben wie im Miteinander der Institutionen Kirche und Staat. In welcher Beziehung sollten sie zueinander stehen? Und was bedeutet es für uns als Kirche, wenn wir mit dem Staat zusammenarbeiten? - Zum Beispiel bei Abschiedsfeiern für gefallene Bundeswehrsoldaten. Es ist üblich, dass Staat und Kirche sie gemeinsam begehen. Der Staat fordert in solchen Fällen, dass Kirchengemeinden für diese Gottesdienste ihr Hausrecht an die Bundeswehr abtreten. Das geht vielen Christen deutlich zu weit. Sie schlagen daher vor, den Staatsakt und die kirchliche Trauerfeier lieber räumlich zu trennen, damit niemand falsche Kompromisse machen muss.
Ihr Vorschlag erinnert mich an den Rat des Paulus, den wir eben in der Lesung gehört haben: -Passt euch nicht dieser Zeit an". Ich verstehe seine Worte so: Unterscheidet euch. Bleibt in kritischer Distanz zum Staat, aber grenzt euch nicht aus. Das belebt eine Beziehung. Und bewahrt den ungetrübten Blick auf Strukturen und Arbeitsweisen. Es fordert heraus und bringt Entwicklungen in Gang.
Aktuelles Beispiel: Das Kirchenasyl. Viele Flüchtlinge hat der Staat nachträglich anerkannt, nachdem sich die Kirchen für sie eingesetzt haben. Und umgekehrt das Arbeitsrecht: Seit die Politik Bedarf anmeldet, die Rechte der Mitarbeiter in den Kirchen zu stärken, ist viel Bewegung in die Diskussion gekommen. So kann eine kritische Partnerschaft beiden dienen, Kirche und Staat.
Und wenn in dieser kritischen Partnerschaft unsere Motivation und Richtschnur ist: Gott zu geben, was Gott gehört, dann ist die Kirche mittendrin im Leben und gibt auch dem Staat viel. "Als sie das hörten, waren sie sehr erstaunt." So endet das Gespräch zwischen Jesus und den Pharisäern. Die Jesus in die Falle locken wollten, erkennen an, was er sagt. Davor haben sie Respekt. Das wünsche ich uns auch in Staat und Kirche. Gegenseitigen Respekt!
Wenn wir in dieser Haltung offen unser Verhältnis diskutieren, es auf den Prüfstand stellen und dieses heiße Eisen immer wieder neu schmieden, dann kann auch in Zukunft viel Gutes daraus erwachsen. Für mich genügt da ein Blick auf unsere Christuskirche: Von außen alt und aus einer anderen Zeit, aber drinnen: Leben - und Platz für jede Menge neue Töne.
Amen.
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Der Traum der Drei Könige - Bildpredigt zu Matthäus 2,1-18 von Ruth Conrad
Der Traum der Drei Könige. Eine Bildpredigt zu einem Kapitell von Meister Gislebertus an der Kathedrale Saint-Lazare, Autun)
Liebe Gemeinde,
die Weihnachtsgeschichte ist eine brutale Geschichte.
Eine extrem brutale Geschichte.
Zumindest so wie Matthäus sie erzählt.
Da gibt es keine Engel, die am hellen Himmel ihr „Friede auf Erden“ singen.
Kein holder Knabe im lockigen Haar.
Keine Stallidylle und keine eiligen, weil ergriffenen Hirten.
Nein, da gibt es zunächst einmal und zentral einen eiskalten Machtpolitiker.
Herodes – ein gewiefter Taktiker der Macht mit einer klar nachvollziehbaren Logik: Ein neuer König – das ist einer zu viel.
Wer die Macht hat, will sie allein.
Herrsche und teile nicht.
Diese Devise ist nicht unklug.
Wer oben ist, will oben bleiben.
Dafür müssen unliebsame Konkurrenten beiseite geräumt werden – durch die Kunst der Intrige, durch gezielte Lügen, in größeren Kontexten durch Mord. Der Kindermord ist eine groteske Steigerung dessen, was alltäglich ist – Macht sichern, Machtpositionen ausbauen, Konkurrenten ausschalten.
Man kann das für sich selbst durchaus verantwortungsethisch untermauern:
Es kann nur einer herrschen.
Nur ich will das Beste.
Wer weiß, welche Absichten der andere hat.
Einen Machtkampf können wir uns nicht erlauben.
Wer wollte die Opfer verantworten?
Wer könnte den Ausgang garantieren?
Also: das Kind muss weg.
Und mit großer Finesse werden nun Andere für das eigene Anliegen instrumentalisiert:
die Hohenpriester und Schriftgelehrten, sie müssen den Schriftbeweis führen,
das Gutachten erstellen.
Die Religion erweist sich als willfährige Stütze des politischen Systems.
Das gibt den hauptamtlichen Religionsagenten das Gefühl eigener Bedeutsamkeit.
Die drei Fremden aus dem Morgenland sollen den Weg bahnen,
den Konkurrenten ausfindig machen,
eine Anbetungsidylle inszenieren, wo dann eigentlich ganz andere Interesse walten.
Da werden Seilschaften gesponnen,
Abhängigkeiten geschaffen,
Gefälligkeiten ausgetauscht.
Macht und Lüge,
Macht und Intrige,
Macht und Gier,
Macht und Hinterhältigkeit – all das, was eine lange Tradition unter Menschen hat und gesättigtes Erfahrungswissen von uns allen ist, all das wird uns hier wie in einem Brennspiegel vor Augen geführt.
Es ist unsere Welt, die hier beschrieben wird.
Es sind unsere Erfahrungen, von denen hier erzählt wird.
Es sind unsere Taten, die hier benannt werden.
Denn oft ist eben nicht klar, wer wir sind – Täter oder Opfer,
Intrigant oder der, der hinters Licht geführt wird,
der, der die Macht hat oder der, der vor ihren Exzessen fliehen oder mindestens den geordneten Rückzug antreten muss.
Man muss da auch nicht immer so unschuldig und ahnungslos tun.
Oft sind wir verstrickter als uns lieb ist.
Und wer spielt nicht lieber mit als zu erleben, selbst zum Spielstein zu werden.
So also ist die Welt.
So ist das Leben.
Die Weihnachtsgeschichte ist eine Geschichte von unserem Leben und von unserer Welt.
Wo aber, liebe Gemeinde,
wo liegt dann die Hoffnung einer solchen Geschichte?
Wenn die biblischen Erzählungen nur unsere Erfahrungen abbilden würden,
wenn Sie nur erzählen würden, was wir sowieso schon kennen,
welchen Mehrwert hätten sie?
Wie käme dann Gott vor? Nur als Bestätigung unserer Erfahrung?
Was würde über unsere Welt und unsere Erfahrungen hinausweisen?
Wo also finden wir in dieser kalten und brutalen Geschichte einen Hinweis auf Erlösung, eine Geste der Hoffnung, etwas, das unsere Erfahrung ins Gute durchbricht.
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Hier ist sie,
die ersehnte Geste der Hoffnung,
der Hinweis auf Erlösung.
Der Traum der Drei Könige.
Drei gekrönte Häupter unter einer Decke.
Ein nächtliche Pause, bevor es zurückgeht ins Spiel der Macht.
Von Herodes kommen sie her,
angebetet haben sie das Kind,
zu Herodes sollen sie zurück.
Das ist der Deal.
Jetzt aber schlafen sie.
Ruhen sich aus.
Eingehüllt in eine Decke.
Schützend geborgen.
Und in unendlicher Sanftheit kommt ein Engel.
Lässt zwei der Könige weiterschlafen.
Gönnt ihnen die Ruhe.
Behutsam und leise weckt er den obersten König.
Nur er hat die Augen geöffnet.
Sanft berührt er, mit nur einem Finger, die einzig freie Hand, den Ringfinger.
Mit der anderen Hand weist er auf den Stern, der den rettenden Umweg zeigt.
Eine Berührung von unendlicher Sanftheit.
Nichts Lautes,
nichts Brutales,
keine brachiale Rettungsaktion,
kein Blitz,
kein Donner,
keine Rache für die Opfer.
Nein, der Engel bleibt diskret im Hintergrund.
Lässt alles in der Schwebe.
Aber gibt den rettenden Hinweis.
Weist in den Himmel und berührt sanft den Menschen.
So vermittelt der Engel zwischen Himmel und Erde,
zwischen Rettung und Intrige,
zwischen Erlösung und Kindermord.
So also denkt die Bibel göttliches Eingreifen in menschliches Machtgebalze:
Diskret,
im Hintergrund.
Gegen die Brachialität der Macht – die Sanftheit des Engels,
gegen das menschliche Machtgetöse am Tage – ein rettender Traum in der Ruhe der Nacht,
gegen die Verletzungen durch Intrigen und Gehässigkeiten – eine heilsame Berührung durch den himmlischen Boten.
Ein stilles Wecken und ein stummer Hinweis: Hier geht’s lang. Hier ist der rettende Ausweg.
Vielleicht,
liebe Gemeinde,
vielleicht ist uns das auf den ersten Blick zu wenig.
Vielleicht wäre es uns lieber, Gott hätte den drei Weisen den Auftrag gegeben, Herodes ultimativ um die Ecke zu bringen.
Oder Gott hätte zumindest den Kindermord durch direkte machtpolitische Intervention verhindert.
Manchmal hätte man das ja gerne: Dass Gott direkt eingreift.
Manchmal fragt man sich: Warum hat Gott das Böse nicht verhindert? Warum ist er dem Bösen nicht in die Arme gefallen?
Aber liefe eine solche Geschichte und ein solcher Ausgang nicht unserer Erfahrung stracks zu wider?
Wenn die Bibel von Gott erzählt, dann tut sie es eben so, dass wir zwar über unsere Erfahrungen hinausgewiesen werden. Aber uns wird nicht zugemutet, Dinge zu glauben, die wir gar nicht mit unserer Erfahrung verbinden können.
Und unsere Erfahrung lehrt uns: Gott greift nicht lautstark ins Weltgeschehen ein und überrennt den Menschen und das, was dieser tut, und sei dies noch so schlimm. Manchmal ist das nur schwer zu ertragen angesichts der Machtspiele und Hinterhältigkeiten des Bösen und all der Bösen.
Andererseits: wollten wir das wirklich – einen Gott, der sich aktiv in die Menschenpolitik einmischt, der nach Menschenart schaltet und waltet? So einfach ist das alles nicht. Große und befremdliche Fragen tauchen hier auf.
Aber dass Gott nicht lautstark und gewaltsam eingreift, heißt nun eben nicht, dass er abwesend ist. Kennen wir nicht vielmehr eine andere Erfahrung, nämlich die, von der diese Geschichte und dieses Bild erzählen:
Wenn Erlösung und Hoffnung in die Geschichten unserer Welt kommen,
dann kommen sie anders als erwartet,
leise,
sehr diskret,
zur Rettung des Einzelnen.
Man kann diese Erlösung und Rettung leicht übersehen,
die Berührung ignorieren,
sie für einen Traum halten,
weiterschlafen und am nächsten Morgen zur bekannten Tagesordnung übergehen.
Aber wer die zarte Berührung durch Gott selbst spürt,
nachts im Traum, wenn er nichts dazu tun kann,
schlafend, wo wir uns entzogen sind,
orientierend, wo wir uns verstrickt haben,
nichts vorschreibend, aber auf Rettung hinweisend,
ein solcher Mensch wacht auf,
entdeckt den rettenden Stern,
meidet die Machtspiele des Tages,
weicht aus,
geht behütet auf anderen Wegen durchs Leben.
Vielleicht auf Umwegen,
aber berührt und geweckt vom himmlischen Boten.
Liebe Gemeinde,
sehen können sie diese Szene in Autun in Burgund, an einem Säulenkapitell der Kathedrale Saint-Lazare.
Entstanden ist es im 12. Jahrhundert durch die Hand des Künstlers Gislebertus, einem der größten Bildhauer des Mittelalters.
Seit über 800 Jahren ist sie hier zu sehen.
Ganzjährig erinnert die Darstellung daran, dass Weihnachten so brutal ist wie das Leben. Dass aber Gott in unendlicher Zartheit eingreift, auch wenn die Welt noch so gottlos wirkt. Dass himmlische Boten unseren Gang durch diese Welt auf gute Wege lenken, ihn begleiten und uns bewahren.
Gott stärke uns auch im eben angebrochenen Jahr in dieser Hoffnung und mache uns wach und aufmerksam für die Stille und Sanftheit seines Seins und seiner Berührungen.
Amen
Eine Abbildung des Kapitells ist zugänglich über den Wikipedia-Artikel: Kathedrale von Autun (http://de.wikipedia.org/wiki/Kathedrale_von_Autun) oder über Google Bildersuche: Traum der drei Könige#Autun.
Ich schlage vor, Mt 2,1-18 als Schriftlesung zu verlesen.
Mögliche Predigtlieder: EG 19 O komm, o komm, du Morgenstern oder EG 20 Das Volk, das noch im Finstern wandelt
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Predigt zu Matthäus 22, 23–33 von Karin Klement
Liebe Ehefrauen und Ehemänner,
liebe Partner aus innigen Beziehungen,
liebe Mütter und Väter,
Kinder und Geschwister…
… Sie alle – Geliebte von jenen, die heute nicht mehr bei uns sind!
Ich weiß nicht, mit welchen Gefühlen Sie in diesen Gottesdienst gekommen sind. Doch ich ahne, dass Traurigkeit und Abschiedsschmerz noch immer Ihre Herzen berühren. Besonders, wenn wir die Namen unserer Verstorbenen nennen.
Ich glaube, dass die Toten, deren Körper längst in der Erde ruhen, deren Asche eingebettet liegt zwischen Baumwurzeln und duftender Erde, in unseren Gedanken auferstehen. Dass wir sie mit all ihrer Lebendigkeit vor unseren inneren Augen wiedersehen: Menschen, mit denen wir ein Stück unseres Lebens teilten; deren Hände in unseren Händen lagen. Deren Wangen wir streichelten, und die uns küssten. Körperliche Nähe, spürbar mit allen Sinnen. Fühlbar ihre Wärme, kostbar ihre Worte, beglückend ihr Anblick. In unseren Erinnerungen erwachen jene Tage, an denen wir gemeinsam lachten; aber auch Zeiten, die uns schwer miteinander wurden. Wir hoffen, dass GOTT uns nahe kommt, heute und immer wieder, damit wir nicht mutlos werden, wenn wir an unsere Toten denken, und die Leere, die sie hinterlassen, nicht zu groß.
Als Menschen, die mit leidvollen Erfahrungen umgehen müssen, lernen Sie, liebe Angehörige, Ihren veränderten Alltag zu bewältigen. Sie finden Wege, um Trauer und Dankbarkeit miteinander zu verknüpfen. Bis der Schmerz in einem Netz aus Sympathie und Liebe aufgehoben und getragen wird. Sie teilen Ihre freudigen Erinnerungen, wenn Sie anderen Menschen begegnen, und Sie teilen Ihr Leid. Die mitfühlende Gemeinschaft tut uns allen gut.
Aber manchmal fällt es Menschen sehr schwer, die Trauer anderer auszuhalten. Sie fühlen sich hilflos, reagieren abwehrend, denken: Einmal muss die Traurigkeit doch ein Ende haben! Vom Verstand her begreifen sei, was Leid bedeutet, aber sie wollen das Fühlen nicht an sich heranlassen; der Tod macht ihnen zu viel Angst.
Ich stelle mir vor: So ähnlich empfanden die Sadduzäer, eine Gruppe wohlhabender Gelehrter zur Zeit JESU. Sie galten als kluge Köpfe, legten die Thora strikt nach den geschriebenen Worten aus. Den Glauben an Engel und Auferstehung lehnten sie ab. Spöttisch, ja herzlos zerstören sie die Träume ihrer Zeitgenossen; sie halten nichts von einer „billigen Vertröstung auf´s Jenseits“ – wie moderne Kritiker des Auferstehungsglaubens heute sagen würden. Vielleicht glaubten sie sich als gebildete Skeptiker ihren gläubigen Mitmenschen überlegen.
So kommen sie zum Gottessohn, um ihn zu prüfen. Sie konstruieren eine absurde, geradezu lächerliche Geschichte als Hintergrund einer religiösen Frage.
Hören wir aus dem Evangelium nach Matthäus (22, 23-33):
Es traten zu Jesus die Sadduzäer, die lehren, es gebe keine Auferstehung, und fragten ihn und sprachen: „Meister, MOSE hat gesagt (Dtn 25, 5f): Wenn einer stirbt und hat keine Kinder, so soll sein Bruder die Frau heiraten und seinem Bruder Nachkommen erwecken. Nun waren bei uns sieben Brüder. Der erste heiratete und starb; und weil er keine Nachkommen hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder. Desgleichen der zweite und der dritte bis zum siebenten. Zuletzt nach allen starb die Frau. Nun in der Auferstehung: wessen Frau wird sie sein von diesen sieben? Sie haben sie ja alle gehabt.“
Zynisch ist ihre Rede, menschenverachtend; sie geben sich als „starke Männer“ ohne jedes Mitgefühl für eine Witwe, die aus ihrem Leid gar nicht mehr herauskommt – wäre dieser Fall eine Tatsache. Still und heimlich machen sie sich lustig über die schwächlichen Emotionsgeladenen. Ob sie sich geschützter glauben vor Trauer und Schmerz – und vor Todesangst, indem sie sich über die Gefühle anderer erheben? Im Grunde verweigern sie ein Nachdenken über Tod und Sterben. Sie lassen das Fühlen nicht an sich heran. Die Realität des Todes, das Verwesen ehemals lebendiger Körper, all das, was wir sehen können – und wahrnehmen müssen –, bleibt ihnen die einzige Wahrheit. Aber, wenn sie die Trauer, den Abschiedsschmerz nicht fühlen können, fühlen sie auch die LIEBE nicht. Deshalb diese frauenverachtende Geschichte: eine Frau wird als Ware gesehen, als Erbstück, das von einem Mann zum nächsten weitergereicht wird. „Alle haben sie gehabt!“
Die sexuelle Anspielung ist überdeutlich. Auch wenn der biblische Hintergrund eine Versorgung der alleinstehenden Frau beabsichtigt und das Weiterleben eines Verstorbenen in der Nachkommenschaft seiner Brüder anstrebt.
Aber ist das alles, was eine Ehe oder partnerschaftliche Beziehung ausmacht – Kinder zu zeugen? Gibt es darin nicht auch ein Miteinanderlachen, ein Hand-in-Hand-Arbeiten, ein Zueinanderstehen, egal was geschieht? Leuchtet in einer Beziehung zwischen Menschen nicht das ganze Spektrum lebendiger Nähe auf? Treu sein und Streiten, Reden und Schweigen, sich gegenseitig lieben oder zornig aufeinander sein, Lachen und Weinen. Nicht allein, sondern gemeinsam?
Der angesprochene Gottessohn ignoriert die Konstruiertheit dieser Geschichte. Seine Antwort trifft den Kern der wirklichen Frage. Er beschreibt ein Bild von Auferstehung, das kein irdischer Mensch wissen kann.
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes. Denn in der Auferstehung werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie die Engel im Himmel.
Habt ihr denn nicht gelesen von der Auferstehung der Toten, was euch gesagt ist von Gott, der da spricht (Ex 3, 6): Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.
Und als das Volk das hörte, entsetzten sie sich über seine Lehre.
Die klugen philosophisch-denkenden Sadduzäer irren sich; sie täuschen sich über Gottes Kraft. Denn diese spiegelt sich wieder in der Sehnsucht, in den Träumen der Trauernden von einem Leben, das weitergeht. Irgendwie. Wonach Menschen sich sehnen, ist doch zugleich ihre Hoffnung, das, was sie aufrichtet: Dass GOTT mächtig ist, voller Kraft – und Liebe. ER ist ein GOTT der LEBENDEN – das heißt, wo Gott ist, gibt es nur Lebendigkeit, kein Sterben, kein Leiden, keinen Tod. Unter Gottes Augen sind auch wir lebendig. Überall, immerzu!
In der Antwort, die JESUS gibt, umarmen sich Trauer und Trost. Das irdische und das himmlische Leben verbinden sich – für einen Moment lang. Was JESUS sagt, berührt mein Herz und gewiss auch das vieler anderer Menschen, die heute leben und sich genauso fragen: Wie wird es sein jenseits dieser Welt? Wie geht es weiter mit mir nach meinem Tod? Wohin gebe ich geliebte Menschen, die ihr Leben hier beschlossen haben?
Wo die Toten bleiben, weiß ich. Aber wo bleibt ihr Wesen, ihre Persönlichkeit, jener Mensch, der sie waren – und sind, auch heute noch?
Sie sind wie die Engel im Himmel, sagt JESUS.
Wir werden sein wie die Engel – das ist die Antwort auf die Frage der Sadduzäer. Und die Antwort auf die Frage, wie Auferstehung sein wird.
Sein wie die ENGEL – hauchfeine, geistige Wesen und machtvolle Boten – ausgestattet mit Gottes Kraft; von einer so tiefen, glühenden Lebendigkeit, wie wir sie hier auf Erden gar nicht spüren können, solange unsere Körper eingeschränkt, unsere Gedanken begrenzt sind.
Sein wie die ENGEL – lichtdurchflutet, gebadet in Liebe; mit sehenden Augen, die nicht mehr getrübt sind von Tränen; aufgehoben in Gottes Schoß.
Nach meinem Tode – ein Engel; aber wer bin ich dann noch? Ist Leiblichkeit für das Leben nicht zwingend nötig? Wie leben wir ohne Körper? Brauchen wir es nicht, dass wir einander die Hand reichen können, um uns lebendig zu fühlen? Auf der Erde lebe ich in Beziehungen. Ich fühle, dass ich lebe, weil jemand mich umarmt, mir zärtlich die Wange streichelt, mein Herz, meine Seele anspricht, mit mir redet, mir nahe ist. Ich wäre wie tot, wenn niemand mich wahrnimmt. Ich höre, sehe, schmecke, rieche – nehme mit allen Sinnen wahr, dass ich lebe – weil mir jemand antwortet, mir Resonanz gibt auf mein Rufen. Und der Klang meiner Stimme nicht ungehört verhallt. Ich weiß, dass ich lebe – weil (mindestens) ein Mensch mich kennt, mit Namen anspricht.
Wird es im Himmel auch so sein – wenn mein Körper zerfallen ist oder zu Asche verbrannt? Wie spüre ich dann, dass ich lebe?
Wir werden sein wie die ENGEL! Vielleicht wird Gottes Lebendigkeit mich durchdringen, mich vereinen mit unzähligen Leben. Ab und zu besuchen mich die Gedanken, Erinnerungen eines Menschen auf der Erde. In Träumen, sehnsüchtigen Wünschen, in liebevollem Gedenken nehmen jene, die ich zurückließ, mit mir Kontakt auf. Und ich lache laut vor Freude; ich singe, tanze, schwebe durch den Himmelsraum, der mir eine neue Heimat geworden ist – und mein Zuhause.
„Tears in Heaven“ – der Song des britischen Gitarristen Eric Clapton erzählt von solcher himmlisch-tröstenden Begegnung. Er komponierte dieses Lied in Erinnerung an seinen kleinen Sohn Connor. Connor war viereinhalb Jahre alt, als er ausgelassen durch die Wohnung seiner Mutter tobte im 53. Stockwerk eines New Yorker Hochhauses. Er kannte die Räume, hatte x-mal vor den Fenstern gespielt. An jenem Frühlingstage 1991 wurden die Fenster von außen gereinigt und dazu weit geöffnet. Ob der kleine Junge gegen die Scheibe rennen wollte, seine Arme weit ausgestreckt, um sich von der durchsichtigen, aber festen Glaswand stoppen zu lassen?? An jenem Tag gab es kein Fenster, das ihn aufhielt. Er fiel 49 Etagen tief hinunter auf das Dach eines Nachbarhauses. Er war sofort tot.
Would you know my name, if I saw you in heaven? Wirst du mich wiedererkennen, wenn ich dich im Himmel sehe? Fragt Eric Clapton seinen Sohn mit diesem Lied. Would it be the same, if I saw you in heaven? Wird es wieder sein wie früher, wenn ich dich sehe im Himmel?
Die Trauer schmerzt so furchtbar, dass die Phantasie auf Reisen geht. Gedanken überspringen den Horizont, gefühlte Liebe durchdringt die Wolken. Irgendwo dort oben, wo wir das blaue Firmament erkennen mit leuchtenden Sternen übersät in der schwarzen Nacht. Dort in der Ferne – zumindest unseren Augen so nahe – muss das verschwundene Leben sein: das Kind, das wir lieben; den Partner, den wir vermissen; die Geliebte, nach der unser Herz sich zerreißt; der vertraute Mitmensch, mit dem wir gern noch so vieles bereden und erleben würden. Abgerissene Verbindungen neu zu knüpfen, das Trennende überwinden, eine zerstörte Gemeinschaft heilen. Wir alle tragen solche tiefe Sehnsucht nach Heil in uns. Das, was gut war, soll sich fortsetzen. Was noch fehlt, soll weitergehen. Was abgebrochen wurde, soll sich wieder zusammenfügen. Was wir fühlen, trägt uns über die äußerliche Realität hinaus. Die nicht zu Ende gemalten Bilder unserer Beziehung zu einem Menschen vollenden sich in unseren Gedanken.
Natürlich könnte man sagen, – wie damals die Sadduzäer gegenüber Jesus – das ist reine Phantasie. Aber sind es nicht gerade die geleugneten Gefühle, die eine unbezwingbare Macht in uns ausüben? Unser Verstand versucht ihre Auswirkungen zu bezähmen, ihre Kraft einzudämmen. Dennoch bleiben sie der Anschub unserer Lebensenergie, das Feuer unserer Lebendigkeit.
I must be strong and carry on, cause I know: I don't belong here in heaven. Ich muss stark sein und weitermachen, - erkennt der Sänger Eric Clapton – denn ich weiß: Ich gehöre (noch) nicht hierher in den Himmel.
Das Leben geht weiter. So simpel dieser Satz, so negativ oft empfunden, trägt er doch eine wunderbare Verheißung in sich. Das Leben wird sich durchsetzen. Seine Kraft gewinnt es aus der Liebe des Schöpfers. Gott gibt uns Anteil an Seinem Leben; er geht mit uns über alle Höhen, durch alle Tiefen. Er führt uns zu einem Leben, in dem alle Schwere von Trauer und Schmerz aufgehoben sein wird, wo alle Tränen versiegen. Federleicht wird die Seele sein, getragen wie von Engelsflügeln. Gewiss, wir können es nicht wirklich wissen. Unser Verstand verweigert die Akzeptanz; aber unsere Herzen wissen es auch ohne sichtbare Beweise.
Beyond the door there's peace, I'm sure. Hinter der Tür zum Jenseits herrscht Frieden, dessen ist sich Eric Clapton sicher. Versöhnung und Vergebung für alles, was wir einander schuldig geblieben sind. Denn auch Schuldgefühle gehören zum Trauerprozess. And I know, there'll be no more tears in heaven. Und er weiß es einfach: Im Himmel gibt es keine Tränen mehr!
Vom Himmel träumen, ihn in Gedanken durchwandern, geliebten Menschen begegnen mit Herz und Verstand; damit wir hier auf der Erde wieder festen Boden unter die Füße bekommen. Das ist Gottes Wille. Denn unser Gott ist ein Gott der Lebenden – mögen Lebende, wie wir, noch eine Zeit lang sich auf diesem Planeten tummeln. Oder als Lebende in einer anderen Welt, die uns noch fern erscheint, zuhause sein. Gott blickt uns an – und unter seinen Augen leuchtet das Feuer der Lebendigkeit – unerreichbar für die Tränen, aber berührbar mit einem Herzen voller Gefühle.
AMEN
Das Lied „Tears in Heaven“ von Eric Clapton wird nach der Predigt von CD oder instrumental abgespielt. Der englische Text und seine Übersetzung liegen als Handzettel in den Händen der Gottesdienstbesuchenden.
Möglicherweise lässt sich auch beim Verlesen der Namen der Verstorbenen die Melodie dieses Liedes leise anklingen lassen.
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Predigt zu Matthäus 22, 23-33 von Angelika Überrück
Liebe Gemeinde,
Am Anfang dieses Gottesdienstes haben wir die Namen aller derer, die im vergangenen Kirchenjahr aus unserer Gemeinde gestorben sind, vorgelesen. Dazu haben wir jeweils eine Kerze angezündet als Erinnerungszeichen. Wir erinnern uns an die vielen Menschen, die nun nicht mehr unter uns leben. Wir erleben an diesem Sonntag in Gedanken noch einmal die schwersten Stunden des vergangenen Jahres. Alte Wunden brechen wieder auf. Gemeinsame Erlebnisse und Begebenheiten tauchen vor unserem inneren Auge auf und auch der Tag der Beerdigung.
Viele von Ihnen sind in den letzten Tagen oder heute noch mal am Grab des Verstorbenen. Tränen werden geweint. Schon überwunden geglaubte Trauer wird noch einmal wach. Denn der Tod hat viele Pläne zunichte gemacht. Er hat Gemeinsamkeiten zerstört. Der Tod ist und bleibt ein Angriff auf unser Leben. Und jeder Tod eines Menschen stellt uns vor die Frage: Was kommt danach? Gibt es ein Leben nach dem Tod - für die Verstorbenen und für uns? Und wie kann das aussehen?
In unserem Predigttext heute kommen Sadduzäer, eine religiöse jüdische Gruppe, zu Jesus und stellen auch diese Fragen. Sie konfrontieren ihn mit der Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt und wie es aussieht. Der Predigttext steht im Matthäusevangelium im 22. Kapitel, die Verse 23-33.
(Text lesen!)
Liebe Gemeinde,
was kommt nach dem Tod? Und wie sieht das Leben nach dem Tod aus? An diese Fragen scheiden sich seit jeher die Geister.
Eine Meinung repräsentieren die Sadduzäer. Sie glaubten nicht an eine Auferstehung von den Toten. Sie gingen davon aus, dass mit dem Tod alles zu Ende ist. Tot ist tot. Das ist eine Vorstellung, die uns auch oft begegnet. Ihre Anhänger haben in den letzten Jahren zugenommen. Diese Haltung führt dazu, dass immer häufiger Beisetzungen ohne Trauerfeiern stattfinden. Auch die Zahl der namenlos Beigesetzten, wo die Angehörigen keinen Ort mehr für die Trauer haben, nimmt zu und immer mehr Menschen ohne Angehörige werden irgendwo beerdigt und nicht einmal die Kirchengemeinde erfährt davon. Tot ist tot.
Die Sadduzäer wollen Jesus deutlich machen, dass es keine Auferstehung geben kann, indem sie ein sehr ungewöhnliches Beispiel wählen: eine Frau, die nacheinander mit sieben Brüdern verheiratet war. Und sie fragen Jesus nun, wem die Frau bei der Auferstehung der Toten gehört. Man merkt der Frage deutlich an, dass sie voraussetzen, dass Jesus darauf keine überzeugende Antwort geben kann. Man merkt der Frage auch an, dass keiner der Fragenden persönlich durch den Tod betroffen ist. Denn wer persönlich betroffen ist, der stellt die Frage anders. Der fragt: Ist der Verstorbene ganz weg? Oder wird es ein Wiedersehen mit den Verstorbenen geben?
Auf die Frage der Sadduzäer und auch auf unsere Fragen antwortet Jesus: Das Leben nach dem Tod ist nicht die Fortsetzung des irdischen Lebens sondern etwas ganz anderes. Die Sadduzäer versuchen ja nur das irdische Leben über den Tod hinauszudenken. Etwas ganz anderes Neues wollen sie sich nicht vorstellen.
So ein Denken ist uns auch nicht fremd. Wir wünschen uns ja auch manchmal, dass der oder die Verstorbene im Himmel weiter mit den bereits verstorbenen Verwandten, Freunden und Nachbarn zusammen sitzt, dort z.B. Doppelkopf spielt und fröhlich ist, wenn wir das schon nicht mehr mit ihm können. Ist das denn so falsch?
Jesus sagt: In der Welt der Auferstandenen ist alles anders, da braucht man nicht mehr zu heiraten, da braucht man all das, was unser menschliches Leben hier bestimmt, nicht mehr. Auferstehung hat mit Verwandlung zu tun. Es ist eine neue Lebensweise.
Es wird also ganz anders im Himmel. So die Antwort Jesu gegen die Sadduzäer und unsere Vorstellungen, dass es im Himmel so weitergehen müsste wie auf der Erde.
Aber wie sieht das Leben dann aus im Himmel, wenn es nicht so aussieht wie unser menschliches Leben? Ein paar Hinweise gibt unser Predigttext da schon noch.
Im Himmel, so Jesus, leben die Menschen wie Engel.
Die Vorstellung, dass wir im Himmel als Engel leben, begegnet mir in vielen Gesprächen immer wieder. Nach dem Tod ist der Verstorbene ein Engel im Himmel und schaut auf uns herunter. So erzählen es viele ihren Kindern oder Enkeln.
Aber was tun die Verstorbenen eigentlich als Engel im Himmel? Die Aufgabe von Engeln ist es vor allem Gott zu loben. Aber diese Vorstellung wird von vielen eher als Karikatur gesehen. Da werden dann die Verstorbenen als Engel auf einer Wolke mit einer Harfe in der Hand dargestellt. Sie dürfen nichts anderes tun als da sitzen und jubilieren. Ob es noch andere Aufgaben für Engel gibt, z.B. ob sie als Boten Gottes tätig werden, oder Menschen beschützen, wissen wir allerdings tatsächlich nicht. Darüber sagt Jesus auch nichts, wenn er sagt: wir werden wie Engel sein. Sondern er meint damit nur: wir werden ein verwandeltes Äußeres haben und ganz nah bei Gott sein. Wie das genau aussieht, weiß keiner. Aber es wird sicherlich schön sein, denn sonst würde Jesus nicht sagen, dass es ganz anders ist als unser irdisches Leben mit all seinen Problemen und all dem, was uns belastet.
Und weil eben keiner weiß, wie das Leben bei Gott aussieht, haben sich Menschen zu allen Zeiten Gedanken gemacht und haben es sich ausgemalt, wie denn dieses Leben bei Gott sein kann. Denn Phantasien und eigene Bilder dürfen wir uns machen. Die brauchen wir, um dem Tod etwas entgegen setzen zu können.
Da finden wir in der Bibel, u.a. auch in den Texten für den heutigen Sonntag oder in den Lesungen, die wir bei den Beerdigungen immer wieder hören, die Vorstellung von einer Welt ohne Leid, ohne Tränen, ohne Krankheit, ohne Geschrei und ohne Tod. Da gibt es das Bild von einem unsterblichen Leib, mit dem wir alle ausgestattet werden. Da heißt es, dass man im Himmel Gott begegnen und seine Stimme hören kann und dass da eine ganz spezielle Wohnung für einen jeden von uns vorhanden ist.
Und weil schon die Bibel das Sein bei Gott so unterschiedlich beschreibt, haben sich Menschen auch zu allen Zeiten weiter ihre Bilder vom Himmel gemacht. Sie kennen vielleicht einige.
Der Maler Matthias Grünewald hat z.B. ein Bild von der Auferstehung gemalt, die das Sein hier auf der Erde in dunklen kalten Farben und die Auferstehung in den Himmel hinein, hinein in warme helle Farben darstellt.
Das Lied: „Geh aus, mein Herz“ von Paul Gerhardt hofft, dass Gottes Welt viel schöner ist als unsere schönsten Gärten, dass es dort ein goldenes Schloss gibt und man fröhlich miteinander singt.
Auch Liedermacher haben sich das Leben nach dem Tod vorgestellt. Mir fallen Lieder von Reinhard Mey und Eric Clapton ein, die je eine Vorstellung vom Leben nach dem Tod enthalten.
Der Sänger Reinhard Mey hat das Leben nach dem Tod in dem Lied: „Du hast mir schon Fragen gestellt“ folgendermaßen beschrieben:
„Ich stelle mir das Sterben vor so wie ein großes, helles Tor, durch das wir einmal gehen werden. Dahinter liegt der Quell des Lichts, oder das Meer, vielleicht auch nichts, vielleicht ein Park mit grünen Bänken. Doch eh‘ nicht jemand wiederkehrt und mich eines Bess‘ren belehrt, möcht‘ ich mir dort den Himmel denken. Höher als Wolkentürme steh‘n, höher noch als Luftstraßen geh‘n, Jets ihre weißen Bahnen schreiben, jenseits der Grenzen unsrer Zeit, ein Raum der Schwerelosigkeit, ein guter Platz, um dort zu bleiben. Fernab von Zwietracht, Angst und Leid, in Frieden und Gelassenheit, weil wir nichts brauchen, nichts vermissen. Und es ist tröstlich, wie ich find‘, die uns vorangegangen sind, und die wir lieben, dort zu wissen. Und der Gedanke, irgendwann auch durch dies Tor zu geh‘n, hat dann Nichts Drohendes, er mahnt uns eben, jede Minute bis dahin, wie ein Geschenk, mit wachem Sinn, in tiefen Zügen zu erleben.“
Der Sänger Eric Clapton betrauert im Lied „Tears in Heaven“ den Tod seines Sohnes und stellt Fragen, wie es wohl sein wird, wenn man sich im Himmel wiedersieht.
„Wirst du meinen Namen kennen, wenn ich dich im Himmel sehen werde?
Wird es dasselbe sein, wenn ich dich im Himmel sehen werde?
Wirst du meine Hand halten, wenn ich dich im Himmel sehen werde?“
Und dann setzt er seiner tiefen Trauer und seinen vielen Fragen seine Hoffnung vom Leben nach dem Tod entgegen:
„Jenseits der Tür ist Frieden, da bin ich mir sicher und ich weiß, im Himmel wird es keine Tränen mehr geben.“
Ich denke, es gibt noch viel mehr Bilder - persönliche Bilder -, die alle ihr Recht haben und die getragen sind von der Hoffnung, dass es nach dem Tod ein Leben bei Gott gibt.
Auch wenn viele Fragen offen bleiben, auch wenn wir wenig konkret wissen über die Auferstehung und das Leben bei Gott, ist Jesus in unserem Predigttext ein Gedanke noch ganz wichtig. Für Jesus ist unbezweifelbar, dass Gott die Toten auferwecken wird, weil er ein Gott ist, der die Menschen von jeher immer und überall begleitet hat. Jesus zitiert Worte aus dem 2. Buch Mose: „Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ Und als Kommentar dazu sagt er: „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.“ Die Betonung, liebe Gemeinde, liegt auf dem kleinen Wort: „bin“. Es heißt nicht: „Ich war der Gott Abrahams, sondern ich bin“. D.h. doch: Gott bleibt. Gott ist lebendig. Gott macht lebendig. Er bleibt über die Generationen hinweg. Tote sind für ihn nicht vergessen und die Lebenden können auf ihn vertrauen. Gott bleibt bei denen, die gestorben sind, er bleibt aber auch bei uns.
Was kommt nach dem Tod? Und wie sieht das Leben nach dem Tod aus? Diese beiden Fragen versucht der Predigttext zu beantworten, allerdings nicht so, dass wir nun genau sagen könnten, wie unsere Verstorbenen leben. Ob sie Engel sind, wie sie als solche aussehen, was sie tun, wie der Himmel aussieht. Das wissen wir als Menschen nicht, wir können es uns nur in Bildern immer wieder vorstellen. Vielleicht ist es aber auch gar nicht so wichtig, wenn wir darauf vertrauen, dass auf jeden Fall Gott auf uns wartet, der uns auch schon hier auf dieser Erde führt und leitet, der unsere Tränen sieht und uns Kraft und Hoffnung geben will. Amen
Link zur Online-Bibel
Der Glaube hilft - Predigt zu Matthäus 22, 23-33 von Jens Junginger
„Der Glaube hilft“
„Blick in die Ewigkeit...“ lautet der Titel eines mehrere hundert Seiten starken Buches. Geschrieben hat es ein Medizinprofessor an der renommierten amerikanischen Havard- Universität. Er hat darin seine Erfahrungen während eines 7-Tage dauernden Komas festgehalten.[1] Er ist nicht der erste, der über seine Nahtoderfahrungen schreibt.
Die Wissbegierde darüber, worüber wir nichts wissen, über den Tod, ist enorm. Noch viel mehr in einer Zeit wie der unsrigen, in der Zahlen, Daten, Fakten nahezu lebensentscheidend zu sein scheinen. Wir wollen wissen, messen, planen und Risiken und Nebenwirkungen im Griff haben.
Also auch den Tod. Und das, was danach kommt.
Der Mediziner gibt sich in seinem Buch als jemand aus, der nach seiner Nahtoderfahrung als bekehrter, frommer gläubiger Mensch detailgenau beantworten kann, wie es ein wird.
Er hat einen Blick ins Jenseits geworfen.
Sein Werk verkauft sich gut. Ein fantastischer Ausflug in ein mitunter etwas schlichtes kitschiges Wunderland hinter dem Horizont, sagen Leute, die das Buch gelesen haben.
Die Sadduzäer, eine Gruppe gut situierter Gelehrter zurzeit Jesu, hatten ihren – wie sie meinen - begründeten Zweifel an der Auferstehung. Und damit sind sie auch heute nicht die einzigen. Ich lese einen Abschnitt aus dem 22. Kapitel des Matthäusevangeliums (nach der Übersetzung der Basisbibel):
An demselben Tag kamen Sadduzäer zu Jesus. Diese Leute behaupten, dass es keine Auferstehung der Toten gibt. Sie fragten Jesus: 24"Lehrer, Mose hat gesagt: 'Wenn ein Mann stirbt, der keine Kinder hat, dann soll sein Bruder die Frau heiraten und so dem Verstorbenen Nachkommen verschaffen.' 25Nun gab es bei uns sieben Brüder. Der erste heiratete und starb kinderlos. Deshalb heiratete sein Bruder die Witwe. 26Ihm erging es genauso. Auch dem dritten bis hin zum siebten. 27Als Letzte von allen starb auch die Frau. 28Bei der Auferstehung der Toten nun: Mit wem von den Sieben wird die Frau dann verheiratet sein? Alle haben sie ja zur Frau gehabt." 29Jesus antwortete ihnen: "Ihr irrt euch! Ihr kennt weder die Heiligen Schriften, noch wisst ihr, wie groß Gottes Macht ist. 30Wenn die Menschen vom Tod auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten und nicht mehr geheiratet werden, sondern sie werden leben wie die Engel im Himmel. 31Was aber die Auferstehung der Toten angeht – wisst ihr nicht, was Gott euch gesagt hat: 32'Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.' Gott ist doch nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden." 33Die Volksmenge hatte Jesus zugehört. Sie war von seiner Lehre tief beeindruckt.
Die Frage nach der Auferstehung der Toten begegnet uns am unmittelbarsten, wenn wir unsere Toten begraben. Auf dem Friedhof.
Im Laufe des heute zu Ende gehenden Kirchenjahres waren einige von ihnen bei Begräbnissen und Beisetzungen auf dem Friedhof. Trauernd, Abschied nehmend.
Langsam geht man von der Trauerhalle in Richtung Grab. Alle schweigen. Der Tod eines Menschen ist bedrückend und stimmt nachdenklich. Er, sie, ist nicht mehr unter uns, ist nicht mehr ansprechbar. Braucht auch einen nicht mehr. Und es wird einem selbst bewusst: „wir alle müssen sterben“, unser eigenes Leben ist begrenzt.
Die Grabsteine sind stille Zeugen. Sie tragen Namen, Jahreszahlen. Sie erinnern an Menschen, die vor uns gelebt haben. Sie säumen den Weg der eigenen Trauer. Viele sind es, unzählige. Vielfach gelebtes Leben.
Es ist beschwerlich dem Tod so unmittelbar nahe zu sein. Jüngere Menschen halten es kaum aus.
Ich erinnere mich an einen solchen Gang zum Grab. Wenige Wochen ist es her: Vereinzelt fallen Blätter von den Bäumen. Auch sie haben ihre Zeit des Grünens und Entfaltens hinter sich. Ihre Lebenskraft ist dahin.
Goldgelbe Blätter winken noch von den Bäumen. Sonnendurchleuchtet schwingen sie an den Ästen. Und die, die zu Boden schweben, die fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten.[2]
Wärmende Herbstsonne, die goldenen Blätter, ein leiser Windhauch – um uns. Die Dunkelheit des Todes, das Schwarz der Trauernden, die Schwere des Augenblicks – in uns. Zwei gegensätzliche Stimmungen: Tod und Leben, Trauer und Licht in einem. oder: Leuchtet da „Die güld‘ne Sonne, voll Freud und Wonne“? Dem Tod zum Trotz ? Der Liederdichter Paul Gerhardt empfindet in der letzten Strophe zu diesem Lied die güld‘ne Sonne auch als Ausdruck für: Freude die Fülle und selige Stille wird mich erwarten im himmlischen Garten, dahin sind meine Gedanken gericht‘.
Die Sadduzäer – wir haben es gehört - halten jeglichen Gedanken, jegliches Bild, jegliche Vorstellung darüber, was nach dem Tod ist, für gänzlich abwegig. Das illustrieren sie an einem – wie ich finde - etwas bewusst konstruiertes, geradezu absurdes Szenario: An der Beispielgeschichte einer mehrfach verwitweten, wieder verheiratete und dann verstorbene Frau. Die Wiederheirat mit den jeweils Verwandten der verstorbenen Männer diente in der damaligen patriarchalen Welt dazu, dass Frauen existentiell, materiell und sozial geschützt und gesichert bleiben sollten.
Dass man auch alleine auf eigenen Füßen stehen kann, war unvorstellbar und tatsächlich so gut wie nicht möglich.
Wenn alle auferstehen, die Frau und die verstorbenen Ex-ehemänner? Wessen Ehefrau ist sie dann? fragen die Sadduzäer. Jesus zeigt gegenüber solchen Vorstellungen klare Kante: „Ihr irrt“. Ihr habt ein völlig irrige Vorstellung, denn wenn die Menschen vom Tod auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten und nicht mehr geheiratet werden. Eine Fortsetzung des gelebten Lebens, einfach eine Weiterführung der Beziehungen, von Partnerschaften, Familienleben von Freundschaften oder Feindschaften, so wie sie gepflegt wurden von Kungeleien und Rivalitäten, von Vetterleswirtschaft und Korruption, von Zoff und Spannungen, von Menschenhandel und Rassismus von Ausbeutung und Erniedrigung einfach unter ein bisschen anderen Bedingungen – das wird nicht sein. Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen, Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen Sie werden leben wie die Engel im Himmel sagt Jesus. Er öffnet einen weiten Raum für schönes, heiteres, verrücktes auch, für einen beflügelnden Glauben für ein gelassenes Vertrauen darauf, dass danach eben nicht alles aus ist. Vielmehr werden da neue Freiräume eröffnet, für Selbsterkenntnisse und Fremderkenntnisse, für Gespräche, für Geselligkeit, für viel Zeit und für ein besseres Verstehen.
Der Theologe Karl Barth hoffte als Wissenschaftler ganz darauf im Himmel Kollegen treffen zu können, die vor ihm gelehrt hatten, gegen die er sich deutlich abgegrenzt hatte.
Er stellte sich vor, sich mit demjenigen Kollegen ein paar Jahrhunderte lang ausgiebig unterhalten zu können, dessen Ansichten er am meisten widersprach. Und er meinte: „das wird eine sehr ernste Sache, aber wir werden uns aber auch gegenseitig sehr festlich anlachen.“[3]
Mit einer solchen bildhaften Beschreibung füllt Karl Barth den weiten himmlischen Raum für das Leben der Engel, seien es, Theologen, Wissenschaftler und für ganz normale, wie Du und ich.
Entspannt, entschleunigt wirkt so die Begegnung der beiden Gelehrten, die sich im realen Leben nie kennenlernen und nie miteinander reden konnten. Weil der eine 1834 gestorben ist und der Andere 1886 geboren wurde.
Jetzt endlich soll es möglich werden.
Eine schöne Aussicht, auf die Ewigkeit, in die wir keinen Einblick haben, worüber wir einfach nichts wissen. Woran wir nur glauben, worauf wir hoffen können.
Lassen wir es damit genug sein. Wir wollen nämlich unser Herz, unseren Verstand unseren Glauben nicht an einen Gott der Toten verlieren.
Wir, Sie, als diejenigen, die jetzt hier und heute leben, weiter leben, sich erinnern, der Verstorbenen gedenken, sich zugleich sorgen, bangen, um das was sie persönlich umtreibt, was kommt, was auf uns zukommt, was sich ändert, was nicht absehbar ist, wir, Sie, liebe Gemeinde wir sind hier und jetzt auf Gott angewiesen, für unser Leben, für unser Zusammenleben.
Wenn wir unsere Wirklichkeit vor Augen geführt bekommen, dann wollen wir am liebsten oft wegschauen, die unerträglichen Bilder und Zahlen wegklicken.
Weil der herbeigeführte, menschlich verursachte Tod so sehr alltägliche Realität geworden ist. Aber diese unangenehmen Tatsachen werfen unweigerlich die Frage auf:
Haben wir uns willentlich, unwillentlich nicht doch in den Gott der Toten verliebt? Genießen wir nicht auf groteske Weise den tödlichen Eingriff in die göttliche Architektur ?
Der begeisterte Bergsteiger und Fotograph James Balog stellt in einer Szene des Dokumentarfilms „Chasing Ice“ (d.h. „Gejagtes Eis“)bestürzt fest: [4]
Da, wo bei seiner letzten Exkursion noch gigantische Eiszungen in die Landschaft ragten, ist nur noch ein wenig schmuddeliger Matsch und Geröll zu sehen.
Das erinnert mich – so sagt er „… an einen Menschen, der im Sterben liegt.“ Sind die unerhörten, unverschämten rücksichtslos zerstörerischen Eingriffe in die göttliche Architektur nicht doch mehr ein Ausdruck eines Glaubens an den Gott der Toten? So hat es offenbar den Anschein, nicht nur für ihn.
Und doch wollen wir intuitiv diesem Eindruck widersprechen. Aus unserer tiefen Sehnsucht heraus, dass wir alle das Leben in Fülle haben und miteinander teilen können. Dass „nicht aufhör‘n soll Saat und Ernte Frost und Hitze“, im festen Glauben was noch möglich ist. Dass Gott, ein Gott der Lebenden sein möge. „Lehre uns, bedenken, Gott, dass wir sterben müssen auf dass wir klug werden. „(Psalm 90)
Auf dem Sterbebett sagte der Vater einer guten Freundin zur Überraschung der Familienangehörigen, die um ihn waren: „Es ist der Glaube, der hilft“.
Liebe Gemeinde,
Es ist mein fester Glaube, dass jener gute Freund, den ich vor 38 Jahren durch einen tödlichen Verkehrsunfall verloren habe, lebt, auch wenn er gestorben ist. Ja, lebt, im himmlischen Garten bei Freude die Fülle. Lebt, in dem was ihm wichtig war und uns verbunden hat: Der Glaube und die Hoffnung, die Sehnsucht dass das Leben auf diesem kleinen blauen Planet gelingen möge, dass es friedlicher und versöhnter zugeht dass wir alle zusammen klüger werden, aus der Freude am Schönen, aus der Freude am Wechsel des Grünens und Verwelkens der Blätter, und am Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit.
Gott – so bezeugen es uns die Heiligen Schriften vom Anfang bis Ende - ist ein Gott der Lebenden, aller Arten und vor allem der Unarten des Todes zum Trotz.
Es sind nicht die Nahttoderfahrungen.
Es ist der Glaube, der hilft.
Amen
[1] Vgl. DIE ZEIT 29.Mai 2013, Kurzer Trip ins Jenseits
[2] Vgl: Rainer M. Rilke: Herbst
[3] Zit. Nach. Isolde Karle “Erzählen sie mir vom Jenseits“ Ev.Theologie 5/2005, S.346
[4] Süddeutsche Zeitung vom 9./10.November 2013, S.13